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FRIEDRICH ADOLF TRENDELENBURG
Logische Untersuchungen
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"Die formale Logik will die Formen des Denkens an und für sich begreifen, ohne auf den Inhalt zu sehen, an dem diese Formen erscheinen. Sie will den Begriff, das Urteil, den Schluß allein aus der auf sich selbst bezogenen Tätigkeit des Denkens verstehen."

"Die formale Logik pflegt die Wahrheit als die Übereinstimmung des Gedankens mit dem Gegenstand zu erklären. Wenn sich daher die Logik nicht außerhalb der Wahrheit stellen will, gleichsam wie vogelfrei außerhalb des Gesetzes: so verfährt sie in der stillen Voraussetzung einer vorher bestimmten Harmonie zwischen den Formen des Denkens und der Sache. Sie steht hier dem Bekenntnis ihrer Unzulänglichkeit nahe. Sie drückt dieses Bekenntnis nur anders aus, wenn sie zwischen formaler und materialer Wahrheit unterscheidet und sich selbst die formale Wahrheit zuspricht, aber den Zusammenhang der formalen mit der materialen, des Denkens mit dem Sein, einer  künftigen  Metaphysik überläßt."

II.
DIE FORMALE LOGIK

1. Im Vorangehenden ist die Einheit der Logik und Metaphysik gefordert worden. Aber die  formale Logik  behauptet das Gegenteil.

CHRISTIAN WOLFF ist noch der Ansicht, daß die Gründe der Logik aus Ontologie und Psychologie stammen und die Logik nur für den Gang des Studiums diesen Wissenschaften vorangehe. (1) Erst in KANTs kritischer Philosophie, in welcher die Unterscheidung von Materie und Form durchgreift, bildet sich die  formale  Logik scharf heraus und eigentlich steht und fällt sie mit KANT. Indessen haben viele, die sonst KANT verließen, wenigstens im Ganzen die formale Logik beibehalten. Wenn nun die Bearbeiter in der Behandlung des Einzelnen und in der Weise, diese Disziplin in das ganze System einzureihen, sie zu stützen und zu ergänzen, vielfach voneinander abweichen: so kann es unstatthaft scheinen, die verschiedenen Darstellungen unter das Kollektivum der formalen Logik zu bringen. (2) Es gibt jedoch die gemeinsame Grundansicht dazu ein Recht. Namentlich HERBART hervorzuheben, der mit scharfer Distinktion der formalen Logik in seinem System ein eigenes Gebiet abzugrenzen und zu sichern trachtet. (3) Um nicht verschiedene Erscheinungen zu vermischen, werden wir in der vorliegenden Untersuchung bestimmte Stellen einzelner Bearbeitungen ausdrücklich anführen. (4)

Die formale Logik will die Formen des Denkens an und für sich begreifen, ohne auf den Inhalt zu sehen, an dem diese Formen erscheinen. Sie will den Begriff, das Urteil, den Schluß allein aus der auf sich selbst bezogenen Tätigkeit des Denkens verstehen.

In dieser Ansicht, wie sie bei KANT hervortritt, wird Denken und Gegenstand voneinander getrennt, wie etwa der aufnehmende Spiegel und der einfallende Lichtstrahl als zwei verschiedene Dinge einander gegenüberstehen. Die Unterscheidung scheint klar und annehmlich; sie scheint umso tunlicher zu sein, da das Denken gleichsam wir selbst sind und es uns darum in seinen Formen zugänglich und offen da liegt.

Indessen erheben sich gar bald Bedenken. Jener Vergleich weist schon auf ein gegenseitiges Verhältnis zwischen dem Denken und dem Gegenstand hin. Das Gesetz der Reflexion ist nicht vom Spiegel allein bedingt. Soll es erklärt werden, so ist die Natur des Lichts der vorwaltende Grund des ganzen Vorganges; und was gleichsam unsichtbar geschieht, um die Spiegelung zu erzeugen, das muß verschieden gedacht werden, je nachdem man das Wesen des Lichts in eine geradlinige Ausströmung oder in eine wellenförmige Schwingung des Äthers setzt. Auf ähnliche Weise wird schwerlich das Denken mit seinen Formen erkannt werden können, ohne die Wechselwirkung mit der Natur der Gegenstände zu untersuchen.

Alle Sinne haben eine unmittelbare Verwandtschaft mit dem Gegenstand, für den sie bestimmt sind. "Wär' nicht das Auge sonnenhaft, wie könnten wir das Licht erblicken?" Wenn wir uns nun nach dieser Analogie das Denken vorläufig als den Sinn für den Grund der Dinge vorstellen, so würde auch dieser Sinn eine innere Beziehung zu seinem Gegenstand haben müssen und diese Beziehung, ohne welche sich die Formen des Denkens nicht verstehen ließen, würde erst mit dem Gegenstand völlig hervortreten können.

Die Organe des Leibes sind in ihren Formen ohne den Zweck, für den sie da sind, nicht zu verstehen und weisen daher aus sich selbst heraus. Die bewegliche Hand wird nur begriffen, indem man auf die allgemeine Natur der Gegenstände Rücksicht nimmt, die sie fassen und betasten soll. Das Denken ist gleichsam das höchste Organ der Welt und zeigt daher, wenn man es in seinen Formen verstehen will, auf die Natur der Dinge hin, die es geistig fassen und begreifen soll.

Diese und ähnliche Bedenken, aus der Wechselwirkung der Dinge geschöpft, stellen sich im Voraus der ganzen Aufgabe entgegen, welche die formale Logik übernimmt. Sie würden nur dann zurücktreten, wenn die Formen des menschlichen Denkens über die Wechselbeziehung, in der sonst alle Dinge gefangen sind, erhaben wären und, mit dem göttlichen Denken ein und dasselbe, schon den Dingen selbst bestimmend und Gesetz gebend zugrunde lägen. Aber um eine solche kühne Voraussetzung zu bewähren, würde es wiederum einer Betrachtung bedürfen, die von den sich auf sich selbst beschränkenden Formen des Denkens auf die Dinge überginge.

2. Ohne indessen durch diese Zweifel bestimmt zu werden, fragen wir weiter: wie weit ist es der formalen Logik gelungen, ihre Aufgabe zu lösen? Die Antwort wird die Probe unserer Ansicht sein, sei es nun eine Bestätigung oder Widerlegung.

Wenn wir demnach das Werk dieser Wissenschaft zu prüfen versuchen, so haben wir dahin zu sehen, ob sich die formale Logik innerhalb ihres Kreises vollendet oder ob sie in sich Elemente aufnimmt, welche die Form des Denkens überschreiten und den Inhalt der Gegenstände berühren. Wenn sich dieses Letztere erwiese, so würde sie sich damit selbst das Urteil sprechen.

3. Die formale Logik pflegt die Wahrheit als die Übereinstimmung des Gedankens mit dem Gegenstand zu erklären. (5) Wenn sich daher die Logik nicht außerhalb der Wahrheit stellen will, gleichsam wie vogelfrei außerhalb des Gesetzes: so verfährt sie in der stillen Voraussetzung einer vorher bestimmten Harmonie zwischen den Formen des Denkens und der Sache. Sie steht hier dem Bekenntnis ihrer Unzulänglichkeit nahe. (6) Sie drückt dieses Bekenntnis nur anders aus, wenn sie zwischen formaler und materialer Wahrheit unterscheidet und sich selbst die formale Wahrheit zuspricht, aber den Zusammenhang der formalen mit der materialen, des Denkens mit dem Sein, einer  künftigen  Metaphysik überläßt. (7) Die Frage nach der objektiven Gültigkeit unseres Denkens ist wesentlich logischer Natur.

4. Die formale Logik setzt zunächst den Begriff als gegeben voraus. (8) Wenn darunter der Begriff in seiner vollen Bedeutung als diejenige Vorstellung eines Dinges, welche den Grund desselben in sich schließt, verstanden würde: so wäre damit eigentlich schon alles vorausgesetzt; es wäre im Anfang fertig überliefert, was die Wissenschaft erst als das Ziel zu erreichen hat. So viel wird indessen nicht gefordert. "Der Begriff faßt ein Mannigfaltiges von Merkmalen  in sich  und ein Mannigfaltiges von Vorstellungen  unter sich,  deren Merkmal er selbst ist; jenes macht seinen  Inhalt,  dieses seinen  Umfang  aus." Der höhere Begriff wird nur dadurch gewonnen, daß aus dem niederen ein Merkmal hinweggedacht wird. Mag man bei diesem Verfahren, um streng innerhalb des Denkens zu bleiben, von Merkmalen der Begriffe sprechen, statt naturgemäßer von Merkmalen der Dinge, so wird man dabei die Dinge doch nicht los; denn die Vorstellungen führen immer auf das, dessen Gegenbild sie sind. Der Inhalt als Inbegriff von Merkmalen mag zwar für sich deutlich sein; der Umfang läßt sich indessen durch die bloße Form des Denkens kaum verstehen; denn wie der Begriff wiederum Merkmal in einem andern Begriff werden kann, liegt nicht unmittelbar in ihm selbst. Diese äußere Beziehung wird nur dadurch begreiflich, daß die Anschauung, welche dem Begriff die Erscheinungen zuführt, unbemerkt zu Hilfe eilt. Denn der Umfang ist in der Tat nichts anderes als der Kreis, in welchem der Begriff zur Erscheinung kommt. Aus dieser stillschweigend ergänzenden Anschauung allein versteht man, warum der Begriff in Bezug auf seinen Umfang der höhere und übergeordnete heißt; denn hier herrscht er wie das Gesetz. Ohne ein solches ist der Ausdruck, der Begriff habe ein Mannigfaltiges  unter sich,  durchaus unverständlich. Die Geschlechter, Gattungen und Arten entstehen nach jener Ansicht nur dadurch, daß Merkmale weggelassen werden. Sie sind willkürliche Gebilde des abstrahierenden d. h. verflüchtigenden Denkens; nirgends zeigt sich ein Gesetz dieses Verfahrens von innen oder von außen. Wenn später der ganze Syllogismus, dessen Ausbildung der Stolz der formalen Logik ist, auf der Unterordnung der Begriffe ruht, aber diese Unterordnung aus nichts anderem, als aus einer eigentlich nur versuchsweise vorgenommenen Zuzählung oder Abzählung von Merkmalen entstanden ist: so bleibt der Wert des Syllogismus als einer Begründung der Sache mehr als zweifelhaft. Daher wird dann auch in der Lehre von der Erklärung und Einteilung die angenommene Grenze der sich innerhalb der Formen des Denkens haltenden Logik meistens überschritten. Es wird die Beziehung auf das Reale synthetisch nachgeholt, die anfangs um der reinen Analysis willen nicht vorhanden schien. Da wendet die Logik dann Begriffe an, wie "wesentliche Merkmale" oder "Einteilungsgrund", Begriffe, wovon der erste nur Sinn hat, insofern der reale Grund ein Maßstab des Merkmals wird und der zweite, insofern die bedeutsame Seite eines Dings die Klarheit einer Übersicht beherrscht. Dabei gewinnt der Begriff, das Geschlecht, die Art usw. dann nachträglich eine reale Bedeutung; aber nur jeweils fallweise; denn im Prinzip der formalen Logik liegt so ein Reales nicht.

5. Die Logik faßt den Begriff als eine Zusammensetzung von Merkmalen und als nichts anderes. Darauf beruth ihre ganze weitere Rechnung. Sie lehrt demgemäß (9) die Definition gleichsam algebraisch ansetzen:  d  (Definitum)  = k + x  oder  d = k - x  oder  d = k - x + y,  je nachdem  k,  woran die Erklärung angeknüpft wird, ein übergeordneter oder untergeordneter oder nebengeordneter Begriff sei. So wird nach einem gewöhnlichen Beispiel im Begriff  Mensch  das Merkmal "tierisch" und "vernünftig" vereinigt  (k + x).  Ohne diese Ansicht der Zusammensetzung vermag die formale Logik, wie sich bald zeigen wird, ihr eigentliches Prinzip nicht anzuwenden.

In einer solchen Zusammensetzung liegt jedoch ein wesentlicher Irrtum. Denn die Merkmale, die wir in einem Begriff unterscheiden, haben unter sich einen eigentümlichen Zusammenhang. Dieses organische Band, durch welches das durchströmende Leben des Ganzen bezeichnet wird, ist in der Ansicht der Zusammensetzung zerrissen und in eine bloße Summe äußerlicher Teile verwandelt. Es ist nicht genug, im Menschen das Merkmal "vernünftig" zum Merkmal "tierisch" hinzuzufügen. Das wesentliche Verhältnis derselben zueinander ist dabei vernachlässigt, namentlich wie das tierische Leben die Grundlage des vernünftigen bildet. Wenn im linneischen System die Kennzeichen einer Pflanz aufgezählt werden, so scheint das eine Zusammensetzung von Merkmalen zu sein; aber die Anschauung oder die Vorstellung eilt ergänzend zu Hilfe und setzt jedes Kennzeichen an seine eigentümliche Stelle und gibt durch eine organische Verknüpfung den abgezogenen Merkmalen wieder Leben. Diese Ansicht der die Merkmale addierenden Zusammensetzung muß, scheint es, als eine scholastische aufgegeben werden. Sie liegt dem kühnen, aber verfehlten Versuch des RAIMUNDUS LULLUS zugrunde, der in seiner "großen Kunst" nur an die größtmöglich Zusammensetzung von Merkmalen dachte, um die Welt der Begriffe zu erschöpfen. (10) Beim rechnenden LEIBNIZ finden sich ähnliche Versuche zu Gleichungen aus den Merkmalen der Begriffe und den Begriffen selbst. (11)

Es ist innerhalb der formalen Logik selbst diese Betrachtungsweise umgestaltet worden: Die Art der Verbindung der Merkmale im Begriff soll keineswegs ein bloßes Nebeneinanderstellen, sondern eine  Bestimmung  des einen Merkmals oder des bereits gebildeten Komplexes von Merkmalen durch das noch hinzukommende, also nicht analog der Addition, sondern der Multiplikation. (12) Offenbar tritt dieser Gedanke der Sache näher; aber eigentlich ist doch nur ein arithmetisches Bild in ein anderes verwandelt worden. Während sich die Multiplikation allenthalben als dasselbe Verfahren eine Zahl zu erzeugen wiederholt, ist gerade die Determination der Begriffe allenthalben nach der eigentümlichen Natur des Gegenstandes verschieden. Wie ein Merkmal in das andere aufgenommen werden kann, das lehrt nur die reale Natur des Merkmals selbst.

Aus diesem Grund können wir auch die in demselben Sinne (13) "zur Theorie der Einteilungen und Klassifikationen" versuchte Kombinationsrechnung nicht anerkennen. Sie ruht auf der Analogie, daß die logische Determination eine arithmetische Multiplikation sei. Daß diese Analogie in der Tat und Wahrheit nicht ausreicht, beweist der Erfolg. Die Rechnung kommt schon im einfachsten Fall auf ungültige Glieder, z. B. in der Kombination der Merkmale eines Dreiecks. Das wäre unmöglic, wenn jene logisch und diese arithmetische Operation einander deckten. Wenn nun aber dieses Verfahren auf ungültige Glieder führt, so muß sich die Logik weiter nach einem Merkmal umsehen, um sie als solche zu erkennen und auszuscheiden. Welches ist das aber? Nur die Erkenntnis der  Sache  kann hier entscheiden und hat im vorliegenden Fall wirklich entschieden, denn ein geradliniges, gleichseitiges, rechtwinkliges Dreieck ist unmöglich. Die Verwicklung, die hier schon in einem einfachen Beispiel erscheint, wird in einem größeren Maß wachsen, je mehr sich die Merkmale eines Begriffs vervielfältigen und verschlingen. So zeigt sich's auch an diesem Versuch, daß sich schwerlich das Denken auf ein bloßes Rechnen zurückbringen läßt. Mag man in der Addition und Subtraktion oder etwas näher in der Multiplikation und Division das Wesen des Denkens finden wollen: es wird immer vergeblich sein. Denn in allem Rechnen (die Multiplikaton ist ja nichts anderes als eine Addition gleicher Summanden) herrscht nur die Behandlung einförmiger Einheiten durch die einförmige Art des Zuzählens und Abzählens. Schwerlich wird sich das mannigfaltige und vielgestaltige Denken aus seiner Allgemeinheit auf diese  eine  Art zurückführen lassen.

6. Wir verfolgen die formale Logik weiter, indem wir ihr billig ihre Basis, den Begriff als Zusammenfassung von Merkmalen, einige Augenblicke zugeben. Sie lehrt nun das Prinzip der Identität und des Widerspruchs, in der Formel:  A ist A  und  A ist nicht nicht-A  und setzt ihre Vollendung darin, daß sie aus diesem gewissesten Grundsatz all ihr Tun und Treiben ableitet.

Wie weit genügt dieses Prinzip?  Ansich  betrachtet scheint es unbestreitbar und doch müssen wir schon auf den zweiten Ausdruck:  A ist nicht nicht-A  aufmerksam machen, inwiefern er einen wesentlichen Begriff in sich schließt, den die Vorsicht lehrende Logik nicht unvorsichtig einführen sollte. Die Verneinung und zwar die sich aufhebende und die Bejahung wieder herstellende doppelte Verneinung ist ohne weiteres aufgenommen. Woher die Verneinung stammt und welche Bedeutung sie für das Erkennen haben soll, wird dabei nicht bedacht. Wo soll denn das Wesen der Verneinung erörtert werden, wenn nicht in der Logik?

Mit Hilfe der auf diese Weise blind aufgenommenen Verneinung werden nun kontradiktorische Begriffe gebildet (A, nicht-A). Wenn nun die formale Logik durch die Verneinung bis zum Gegensatz fortschreitet, den sogenannten konträren Begriffe, so verletzt sie von Neuem die Grenze des Nachbargebietes. Begriffe sollen konträr sein, wenn einer den anderen nicht bloß verneint, sondern auch noch eine Position enthält. (14) Demnach würden alle disjunkten [unterscheidenden - wp] Begriffe schon konträre sein und das Kontrarium von  weiß  wäre ebenso gut  grün  oder  blau  oder  rot,  als  schwarz:  denn auch die übrigen Farben enthalten die Verneinung von weiß und setzen noch etwas Neues. Der Gegensatz würde in seiner eigensten Bedeutung verwischt werden, wenn man ohne Unterschied alle nebengeordneten Arten für Gegensätze erklärte. Offenbar korrigiert die Anschauung des Gegensatzes den Fehler des Begriffes.

Wie wird nun das Prinzip der Identität angewandt? (15) Da der Begriff die Zusammenfassung seiner Merkmale ist, so sind diese mit ihm als Vorstellungen verbunden, d. h. sie können von ihm ausgesagt werden. So folgt: inwiefern  A  mit sich identisch ist,  A = b + c + d, A ist b, ist c  usw. Wenn ein Begriff gegeben ist, so können seine Merkmale voneinander prädiziert werden und zwar als bloß möglich. Dies wird auf folgende Weise dargetan:
    "Wenn der Begriff  A  mit den Merkmalen  b c d  gegeben ist, so folgt, ein oder einige  b  seien  c,  genauso kann  b c  sein oder  c b  usw. Denn könnte  b  nicht  c  sein, d. h. könnte, was das Merkmal  b  in sich enthält, nicht das Merkmal  c  enthalten oder wäre kein  b  oder  c,  so wäre auch  A  nicht  c,  also  (b + c + d)  wäre nicht  (b + c + d),  also  A  nicht  A  gegen den Satz der Identität und des Widerspruchs."
Die Sache ist richtig; jedoch folgt sie nicht aus den Prämissen. Setzt man  A = b + c + d,  so kann aus dieser Thesis als aus einer Gleichung niemals etwas für das direkte Verhältnis von  b, c, d  zueinander folgen. Denn wie will man  A,  worin sie verbunden sind, wegschaffen? und wenn man es wegschaffte, wüßte man von ihrer Verbindung nichts mehr. Vielmehr ist die gegebene Ableitung ein versteckter Schluß und zwar der dritten Figur; und ein Schluß kann ohne die Beziehung des Allgemeinen auf das Besondere nicht begriffen werden. Auch fragt sich bei einer strengen Prüfung, woher der Begriff der  möglichen  Verbindung kommt? Wir werden weiter unten sehen, ob sich die Möglichkeit lediglich aus dem formalen Denken verstehen läßt.

Das Prinzip der Identität wird häufig als Satz der Einstimmung erklärt. Dem Satz der Einstimmung zufolge ist es denkbar, daß  A  aus  x, y, z  besteht, wenn sich diese nur nicht als ein Nicht-A verhalten. Dieser Satz scheint über den Satz des Widerspruchs hinauszugehen, indem er erlaubt, eine Verbindung mit anderen Vorstellungen einzugehen, die nicht  nicht-A,  aber eben auch nicht  A  sind; diese Erlaubnis ist jedoch bloß eine analytische; nach dem Satz des Widerspruchs ist gegen solche Verknüpfungen nichts einzuwenden.

Wenn man diese Erweiterung des ersten Prinzips betrachtet, so bleibt sie nur scheinbar innerhalb der bloßen Formen des Denkens. Woher erkennt das Denken, daß ein Begriff  x  nicht ein  Nicht-A  ist? Immer nur aus einer Vergleichung des realen Inhalts. Woher entspringt dem Denken überall nur die Aufgabe oder, wenn man lieber will, die Laune, einen Begriff  x  mit  A  zu verknüpfen, da er ursprünglich nicht in  A  liegt?

Der Begriff der Übereinstimmung kann nur aus der Entstehung der Sache oder aus dem Begriff des Grundes verstanden werden, der jedoch die sich gleich bleibende Ruhe der Identität erzeugend durchbricht. Welche Begriffes sind einstimmig? Es läßt sich darauf formal gar nicht antworten; es läßt sich nicht einmal in der Form der Verneinung sagen, welche Begriffe sich widersprechen. Denn der logische Widerspruch: nicht-A ist kein Begriff mehr, wie die übrigen, inwiefern er nichts Positives mehr enthält, hat er auch keine andere Selbständigkeit, als die ihm durch den Verstand willkürlich verliehene; er ist nichts als ein logisches Gebilde.

Will man sich mit dem Prinzip der Einstimmung auf das Äußerste retten, so sage man, daß zwar die wirkliche Anwendung über die bloße Form des Denkens hinausführe, die Möglichkeit indessen innerhalb derselben liege. Diese Zuflucht ist bedenklich. Denn ob die Möglichkeit aus etwas anderem stammen kann, als aus der Wirklichkeit, bleibt dahin gestellt. Die formale Logik hat wenigstens kein Recht, von der Möglichkeit zu sprechen, deren Ursprung sie nicht nachweist.

Will die Logik durch das Prinzip der Einstimmung das sogenannte synthetische Urteil begründen, so liegt nach dem Vorangehenden diese Begründungen außerhalb des von ihr abgesteckten Kreises. Sie kann von ihrem Standpunkt aus nur die sogenannten synthetische Urteile begründen, so liegt nach dem Vorangehenden diese Begründung außerhalb des von ihr abgesteckten Kreises. Sie kann von ihrem Standpunkt aus nur die sogenannten analytischen Urteile anerkennen.

7. Streng genommen, darf man der formalen Logik die Ableitung der sogenannten Kategorien, die sie vielfach anzuwenden pflegt, nicht erlassen. Sie gesteht indessen zum Teil, daß sie außer ihrem Gebiet liegen und nur aufgenommen sind, wie bei der Relation in den Fällen des kategorischen, hypothetischen, disjunktiven Urteils. Wenn KANT in der eigentümlichen Tätigkeit dieser dreifachen Form die wesentlichsten Stammbegriffe des Verstandes, Inhärenz, Kausalität und Wechselwirkung findet, (16) so obliegt ihm doppelt die Pflicht, diese Formen nicht bloß aufzuzählen, sondern als in sich notwendig und vollständig zu begreifen. Vergebens sucht man nach einer Stelle, wo er dies leistet.

Keine Kategorie berührt das Wesen des Denkens tiefer, als die Modalität, wonach sich die Urteile als Urteile der Wirklichkeit, Möglichkeit und Notwendigkeit darstellen. Es sind in diesen Begriffen gleichsam die Stufen bezeichnet, auf welchen das Denken sich nach und nach vollendet. Wie ergeben sich diese denn aus der formalen Logik?

Es wird bei der Erörterung meistens der Begriff des Unmöglichen wie ein Maß zugrunde gelegt. Das Unmögliche als eine dem Begriff widersprechende Verbindung oder Trennung scheint aus dem Prinzip der Identität verständlich (A ist nicht nicht-A). Das ist aber nur bis zu einer Grenze richtig; denn wenn man unter Widerspruch nicht bloß die logische Negation, sondern das Gegenteil der Einstimmung versteht: so ist man damit, wie oben gezeigt ist, schon in das Reale übergegangen. Es werden nun namentlich diejenigen Urteile für notwendig erklärt, deren Gegenteil unmöglich ist. Mit dieser Definition hat man den treibenden Grund, ohne welchen es schwerlich eine Notwendigkeit gibt, darum außer Spiel lassen wollen, weil der Grund aus dem mit sich selbst gleichen Begriff, diesem vermeintlichen Prinzip der formalen Logik, nicht verstanden werden kann. Wenn man aber fragt, was denn unmöglich sei, so bemerkt man bald, daß in diesem Begriff die reale Beziehung versteckt ist. Diese ganze Ansicht der Notwendigkeit ist ihrer selbst nicht würdig; denn sie, die das Positivste ist, wird hier nur negativ ausgedrückt. Es ist das Eigentümliche des indirekten Beweises, das Gegenteil einer Behauptung als unmöglich darzutun; und jene Erklärung der Notwendigkeit erhebt sich um nichts über die Natur des indirekten Beweises, der doch immer ein Umweg bleibt und zwar nur dann möglich, wenn schon Sätze als gewiß gegeben sind, der aber nie ursprünglich aus der Natur der Sache geschöpft ist.

8. Die Logik ist sich an der Sprache bewußt geworden und sie ist in vieler Hinsicht eine in sich selbst vertiefte Grammatik. Die Spuren dieses Ursprungs erkennen wir in der formalen Logik auf jeder Seite. Es kann mit Recht gefordert werden, daß die grammatische Form der Sätze in der Lehre des Urteils eine Begründung finden soll. Wenn es grammatisch wesentliche Formen von Sätzen gäbe, die sich an keine logische Form anknüpfen lassen: so würde das grammatische Faktum gegen den richtigen und vollständigen Bestand der Logik zeugen. Wie alle übrigen Wissenschaften auf die Tatsachen horchen, um sie zu erklären oder sich von ihnen bestätigen zu lassen: so darf sich auch die Logik dieser gemeinsamen Aufgabe der Wissenschaften nicht entziehen. Ein solches Faktum der Sprache ist das Urteil des Zwecks; es hat sich ebenso sehr, wie das hypothetische oder disjunktive Urteil, seine eigentümlichen Konkunktionen ( auf  daß, damit  usw.) hervorgebildet. In der formalen Logik findet es nirgends seine Stelle. Solange in derselben alles aus  A = b + c + d  usw. abgeleitet werden soll, kann sich diese lebendige Form des Urteils, welche gleichsam aus der Zukunft ihre Bestimmung holt, nicht aus einer solchen toten Zusammensetzung ergeben.

Soviel in Bezug auf die Urteile.

9. Wir durchsuchen noch die Beziehungen des Schlusses.

Lassen sich alle Formen des Schlusses aus den Prämissen der formalen Logik, d. h. aus dem Prinzip der Identität und dem Inbegriff von Merkmalen ableiten?

Der Syllogismus beruth nach der gewöhnlichen Darstellung auf der Unterordnung der Begriffe. man baut die erste Schlußfigur und durch die Vermittlung der ersten auch die übrigen auf das sogenannte  dictum de omni et de nullo.  Was von allen gilt, gilt auch von einigen und den einzelnen. Dieser Grundsatz folgt aus dem Satz der Identität und des Widerspruchs; denn es ist offenbar widersprechen, von allen  m  etwas auszusagen, was man von einem oder einigen  m  leugnet. Die Ansicht des Schlusses ist hiernach numerisch gefaßt, inwiefern sie auf das Verhältnis der Begriffe: alle und einige, zurückgebracht wird. Es liegt nur die Identität der Zahl zugrunde. Wenn man das Wesen des Syllogismus so äußerlich auffaßt, so mag das Prinzip der Identität genügen.

10. Schwieriger ist die Sache in den Schlüssen der Induktion und Analogie. Es wird in den scharfsinnigsten Darstellungen der formalen Logik ausdrücklich eingestanden, daß diese Schlüsse vermöge eines "hinzukommenden metaphysischen Prinzips" geschehen. Inwiefern die Induktion ein Allgemeines bildet und die Merkmale des Begriffs erst gewinnt, von deren Zusammenfassung die formale Logik als einer gegebenen ausgeht und inwiefern wieder die Analogie in ihrem eigentlichen Wesen ein Schluß des Grundes ist, der jenseits der sich in der Breite des gegebenen Daseins haltenden Identität liegt: so entflieht die Induktion und Analogie den Schranken der formalen Logik. Damit ist freilich die Ohnmacht des von ihr festgehaltenen Prinzips eingeräumt. Denn wenn die Logik die Aufgabe lösen soll, das Verfahren des Denkens, das die Wissenschaften stillschweigend üben, in seinem allgemeinen Grund zu begreifen, so bleibt sie hier in den wesentlichsten Elementen zurück. Denn die Wissenschaften lehren in ihrer Geschichte, daß sie durch die Induktion der Beobachtung Umfang und Sicherheit und durch den Scharfsinn der Analogie Tiefe gewinnen. Es möchte kaum eine Entdeckung oder Erweiterung des wissenschaftlichen Gebietes aufzuweisen sein, bei welcher nicht wenigstens in der geheimen Werkstätte des erfindenden Geistes Induktion und Analogi schöpferisch mitgewirkt hätten. Wenn daher die Logik die Induktion und Analogie, deren Bahn die Wissenschaften vorzeichnen, aus sich nicht zu verstehen möchte, so bliebe sie das Größte schuldig; und das Prinzip der Identität und des Widerspruchs ist nicht das Prinzip der Logik, wenn aus ihm nicht die Allgemeinheit, nicht die Notwendigkeit folgt. Diese Begriffe, die wesentlichsten des Denkens, werden vielmehr selbst das stillschweigende Prinzip, wenn sie aus dem zugrunde gelegten nicht verstanden werden.

11. Die formale Logik pflegt sich die aristotelische zu nennen und schützt sich durch einen großen Namen. Hat sie dazu ein Recht? Blieb sie wirklich dem Urheber der logischen Wissenschaft treu? Wir deuten hier einige wesentliche Unterschiede an.

ARISTOTELES spricht nirgends die Absicht aus, die Formen des Denkens lediglich aus sich selbst zu begreifen. Eine solche Trennung ist dem ARISTOTELES fremd und erst eine neuere Erfindung. Wissenschaft und Meinung sind ihm von  einer  Seite auch durch den Gegenstand bedingt.

Die formale Logik setzt den Begriff mit seinen Merkmalen meistens als fertig voraus und folgert aus dem gegebenen. ARISTOTELES ist in den schwierigsten Partien seiner logischen Schriften sorgsamer als irgendeine formale Logik, damit beschäftigt, wie der richtige Begriff gebildet werde.

Wenn man dabei nach den bestimmenden Gedanken frägt, so ist man sogleich aus den bloßen Formen des Denkens mitten in die Dinge versetzt. Der Begriff soll die Ursache des Dinges in sich aufnehmen und es soll seine Klarheit gleichsam die Klarheit der schaffenden Natur sein; denn es soll aus denjenigen Begriffen definiert werden, die in der Ordnung der Natur vorangehen. ARISTOTELES unterscheidet scharf zwischen dem, was für unsere Erkenntnis das Erste ist, den Gegenständen der Sinne, und dem, was der Natur nach das Erste ist, dem hervorbringenden Allgemeinen. Das Letztere steht ihm höher und wird ihm zum Maß der Erkenntnis überhaupt, wie der Definition im Besonderen.

Das Prinzip der Identität findet man durchaus bei ARISTOTELES, doch es steht keineswegs an der Spitze der Logik, sondern wird namentlich in der Metaphysik in Bezug auf metaphysische Fragen früherer Philosophen behandelt. Der ganze Ausdruck, welchen ARISTOTELES ihm gibt, entfernt sich merklich von jener bloß logischen Haltung bei den Neueren (A ist A und A ist nicht nicht-A). ARISTOTELES bestimmt es in den Worten: "Es ist unmöglich, daß demselben in derselben Hinsicht dasselbe zugleich zukommt und nicht zukommt." Offenbar ringt er in dieser wohlverwahrten Form des Satzes danach, einen unteilbaren Punkt an den Dingen zu erreichen, der als solcher in sich bestimmt sein müsse und die Zweideutigkeit der Auffassung auschließt. Dieser nächste Zweck betätigt sich durch den ganzen Zusammenhang der Stelle. Aus der Metaphysik hat die spätere Logik den Satz übernommen. ARISTOTELES gibt dazu ein gewisses Recht, wenn er ein solches Prinzip das gewisseste von allen nennt, auf welches die Beweisenden ihre Meinung zuletzt zurückführen und darin auf jene Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst hindeutet, die das Kennzeichen aller Wahrheit ist und namentlich den indirekten Beweis vermittelt. Der eben angeführten objektiven Fassung des Prinzips der Identität tritt in den logischen Schriften des ARISTOTELES eine mehr subjektive zur Seite, dasselbe lasse sich nicht zugleich bejahen und verneinen. KANT indessen, auf die strenge Trennung der formalen Logik bedacht, verwischte die letzte Spur des metaphysischen Ursprungs, die noch am Satz der Identität bemerkbar war, indem er erinnerte, daß in dem Ausdruck,  A  könne nicht zugleich nicht-A sein, die Zeitbestimmung "zugleich" die Logik nichts angeht.

ARISTOTELES führt ferner das Wesen der Bejahung und Verneinung über die bloß logische Form hinaus, indem er wiederholt bemerkt, daß die Bejahung der Vereinigung, die Verneinung der Trennung in der Natur entspreche. Demgemäß behandelt er den Gegensatz (das Konträre) als einen Begriff, dessen Wesen in der Natur der Dinge zu suchen ist und überläßt der Logik nur den Gegensatz des allgemein bejahenden und allgemein verneinenden Urteils (alle - keine), ohne daß dadurch dieser Gegensatz zu einer nur logischen Form gemacht würde.

Die modalen Bestimmungen der Urteile, namentlich die Notwendigkeit und Möglichkeit, werden von ARISTOTELES als Begriffe erörter, die in der Natur der Dinge wurzeln.

Endlich hat ARISTOTELES das Wesen des Syllogismus, dessen Formen er bereits vollständig bestimmt, keineswegs in ein bloß formales Verhältnis der Merkmale gesetzt. Die schöne Erörterung des ARISTOTELES, daß dem Mittelbegriff des wahren Syllogismus der Grund der Sache entspreche, ist von der formalen Logik völlig beiseite geschoben worden.

Demnach ist zu beurteilen, ob sich die formale Logik der neueren Zeit die aristotelische nennen durfte. Es ist das Wort KANTs oft nachgesprochen worden, daß die Logik seit ARISTOTELES keinen Schritt rückwärts habe tun dürfen noch einen vorwärts habe tun können. Dieser Ausspruch bedarf in demselben Sinne einer Berichtigung.

12. Die formale Logik hat sich dadurch behauptet, daß sie sich nach den Seiten hin, wo ihre Mängel hervortraten, starr abschloß. Sie schob die Ergänzung anderen Wissenschaften zu und glaubte sich auf ihrem Gebiet als Herrin, weil sie alle Abhängigkeit auf sich beruhen ließ.

KANT rühmte diese Beschränkung. Es sei nicht Vermehrung, sondern Verunstaltung der Wissenschaften, wenn man ihre Grenzen ineinander laufen lasse; die Grenze der Logik sei dadurch ganz genau bestimmt, daß sie eine Wissenschaft sei, welche nichts als die formalen Regeln allen Denkens ausführlich darlege und streng beweise. KANT mag Recht haben, so lange man die Felder der Wissenschaften nebeneinander abmarkt, wie verschiedener Herren Eigentum. Eine solche Ansicht, die die Dinge im Raum fertig nebeneinander stellt, muß der Entwicklung Platz machen, die das Verwandte aus dem gemeinsamen Grund zu begreifen trachtet.

Andere haben auf eine Fundamentalphilosophie, auf eine  philosophia prima  hingewiesen, in welcher die Voraussetzungen der formalen Logik zu erörtern seien. Um des didaktischen Zweckes willen sei es ratsam, die formale Logik in ihrem historischen Recht unangetastet zu lassen. Wenn man unter dem didaktisch Angemessenen nicht mehr die einfache Entfaltung der Sache selbst versteht, welche in den meisten Fällen für die Schüler das Deutlichste, immer aber das Bildendste ist, sondern zufällige Zugeständnisse, die um gewisser Schwierigkeiten willen dem Fassungsvermögen der Ungeübten gemacht werden: so gibt es für dasselbe keinen allgemeinen und notwendigen Maßstab mehr; es richtet sich dann ganz nach den Schülern, die man gerade vor sich hat. Wenn wir diesen Gesichtspunkt an seinem Ort gelten lassen, so kann er doch, wandelbar, wie er ist, nicht die Wissenschaften gestalten.

Gegen obige Einwürfe, welche in der ersten Auflage dieser Schrift veröffentlich wurden, haben in HERBARTs Schule zwei Männer den Standpunkt der formalen Logik zu behaupten unternommen, FRANZ LOTT in seiner scharfsinnig geschriebenen Abhandlung "Zur Logik" (Göttingen 1845) und DROBISCH in der oben angeführten "völlig umgearbeiteten" zweiten Auflage seiner Logik (Leipzig 1851). Indessen läßt sich zeigen, daß beide jene isolierte von allen anderen Erörterungen unabhängige Stellung, durch welche die formale Logik in KANT und HERBART die Herrschaft innehalte, doch eigentlich aufgegeben haben. LOTT führt auf der einen Seite alle Operationen des Denkens auf das Verhältnis des Grundes zur Folge zurück und weist dabei in HERBARTs Metaphysik hinüber, auf der andern knüpft er an psychologische Betrachtungen über Realität der Empfindung, über Entstehung der Kategorien durch gegenseitige Hemmung der Empfinungen an, ohne die notwendige und allgemeine Geltung, welche schon KANT in den Kategorien als das eigentliche Problem hervorhob, in ihrem Grund zu erreichen. DROBISCH vermag seinen eigenen Begriff des Begriffes - der Begriff sei die "erkannte  Sache"  (§ 9) - schwerlich in der Logik zu vollziehen, ohne über das Formale des Denkens hinauszugehen, - und er tut dies wirklich, z. B. in einem äußeren Zusammenhang der Objekte (§ 30), im Begriff der Bedingung (§ 33), im Zweck (§ 34), im Absoluten (§ 35), im Unterschied zwischen Erklärungsgrund und Erkenntnisgrund (§ 142). DROBISCH ist in der dritten neu bearbeitetn Auflage (1863) wiederum bedacht gewesen, die Grenzen der formalen Logik strenger einzuhalten, ohne jedoch alle synthetische Elemente ausschließen zu wollen.

Wie der Gedanke der formalen Logik in KANT entstanden ist und von HERBART in KANTs Sinne aufgenommen wurde, so werden sich bei der Prüfung die logischen Untersuchungen auf diese ursprüngliche und scharf ausgeprägte Gestalt beschränken dürfen.

13. Nach den vorangegangenen Erörterungen wird es erklärlich sein, daß man innerhalb der formalen Logik nicht verharrte. Wenn der Begriff als fertig gefordert wurde, so knüpfte sich bald die Frage an, wie entsteht denn der gefordere Begriff in unserem Denken. Nach dieser Seite hin suchte sich die Logik durch psychologische Einleitungen vorzubereiten. Wenn wiederum der Begriff den Gegenstand zu decken vorgab, wenn er dadurch von den Dingen das Gesetz seiner Wahrheit ableitete: so führte dies in metaphysische Fragen.
LITERATUR: Friedrich Adolf Trendelenburg, Logische Untersuchungen, Leipzig 1870
    Anmerkungen
    1) CHRISTIAN WOLFF, Logica, discursus praeliminaris, § 88
    2) WILLIAM HAMILTON, klar und gelehrt, hat im Wesentlichen die deutsche formale Logik KANTs auf den Boden der englischen Philosophie verpflanzt. Siehe Sir William Hamilton, Lectures on logic, Mansel/Veitch-Edition, 1860, Vol. 1 und 2. Man begegnet in diesem Werk allenthalben den deutschen Logiken von KANT, KRUG, KIESEWETTER, ESSER, BACHMANN, FRIES usw. Das ihm Eigentümliche liegt zumeist in der Schematisierung der Urteile und Schlußfiguren. Vgl. Sir WILLIAM HAMILTON, Discussions, London 1852, Seite 116f, 614f. Ihm folgen unter anderem WILLIAM THOMPSON, An outline of the necessary laws of thought - a Treatise on pure und applied logic, London 1853. WILLIAM SPALDING, An introduction to logical science, Edinburgh 1857
    3) Vgl. HERBART, Einleitung in die Philosophie, § 34, Werke I, 1850, Seite 77f
    4) Wir beachten insbesondere zwei scharfsinnige und konsequente Darstellungen der formalen Logik, die anerkannte Schrift von AUGUST TWESTEN, Die Logik - insbesondere die Analytik, Schleswig 1825 und Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen (nebst logisch-mathematischem Anhang) von MORITZ WILHELM DROBISCH, Professor an der Universität zu Leipzig, Leipzig 1836. Die zweite Auflage, welche schon auf die Einwendungen der "logischen Untersuchungen" Rücksicht genommen hat, führt den Titel Neue Darstellung der Logik. Nach ihren einfachsten Verhältnissen. Mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft. Zweite, völlig umgearbeitete Auflage, Leipzig 1851.
    5) Zum Beispiel TWESTEN § 306. Vgl. auch KANT, Kritik der reinen Vernunft, 1787, Seite 848 und ROSENKRANZ, Werke II, Seite 632
    6) AUGUST TWESTEN § 307
    7) DROBISCH, Neue Darstellung der Logik, 1851, Vorrede Seite IV und § 6 und 7
    8) TWESTEN § 29 und 31; DROBISCH § 3, 11 und 14, erste Ausgabe, womit jedoch die modifizierende Erklärung in der zweiten Auflage § 10 und 17 zu vergleichen ist.
    9) TWESTEN § 231
    10) TRENDELENBURG, Historische Beiträge zur Philosophie I, Geschichte der Kategorienlehre, 1846, Seite 247
    11) Non inelegans specimen demonstrandi in abstractis, LEIBNIZ in ERDMANNs Ausgabe
    12) DROBISCH § 17 in der  ersten  Ausgabe. Der Verfasser scheint diese Ansicht, welche sich in der zweiten Auflage nicht findet, stillschweigend aufgegeben zu haben. Sie bleibt indessen zu berücksichtigen, zumals auch LEIBNIZ sie faßte.
    13) DROBISCH, erste Ausgabe, Seite 151
    14) TWESTEN § 37. ARISTOTELES behandelt den Begriff unter anderem in der Metaphysik und wenn er diejenigen Begriffe konträr nennt, die innerhalb desselben Geschlechts am weitesten voneinander entfernt sind: so sagt er im mathematischen Bild das Richtige und inwiefern diese Bestimmung nur eine analoge Anschauung ist, offenbart er zugleich, daß die Frage, welche Begriffe konträr seien, durch eine eigentümliche Erkenntnis der Sache entschieden werden muß. Vgl. Nikomachische Ethik II, 8
    15) TWESTEN, § 33f
    16) KANT, Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage, Seite 106 (Ausgabe ROSENKRANZ III, Seite 79