R. BaerwaldH. RennerMFKBenekevon Kirchmann | |||
Ist Beneke Materialist? [ 2 / 2 ]
Wo Herr GIESELER den grundlosen Satz aufgestellt hat, Natur und Freiheit seien kontradiktorische Gegensätze, fügt er in einer Anmerkung bei: "Dieser Gegensatz bekundet sich im Menschen jeden Augenblick so bestimmt, daß man sich fast einbilden könnte, man habe zwei Seelen" (neckt ihn die Zusammengesetztheit der Seele wieder?), "wenn nicht das ganze Seelenleben wieder durch seine Beziehung auf das einheitliche Ich zusammengesetzt würde." Wie kann man von einem Zusammenfassen reden, wo nach Herrn GIESELER an keine Zersplitterung zu denken, wo Alles Eins ist und bleibt? Ferner heißt es: "Beneke läßt das Bewußtsein nicht als angeborene Kraft der Seele gelten, weil es sich ja erst allmählich entwickeln muß. Aber ist eine Kraft darum noch nicht vorhanden, weil sie sich des Stoffes noch nicht bemächtigt hat, an dem sie sich betätigen könnte?" - So macht es die alte Psychologie; was sie nicht erklären kann, setzt sie als angeboren, und damit ist sie fertig. Daß die Erfahrung ewig Nein! dazu sagt, geht sie nichts an; sie gibt höchstens zu, daß die Zähne nicht angeboren sind, und wenn dieselben später doch zum Dasein kommen, so wundert sie sich nicht, denn sie denkt: das ist so; Punktum! Mehr wissen zu wollen, wäre ja Vermessenheit, und sie schlummert, wie das Angeborene anfangs schlummert. Wie aber die Zähne, da sie aus Nichts niemals werden, im Angeborenen eine Grundlage, eine Prädetermination [Vorherbestimmung - wp] haben müssen, nur keine Präformation [Vorgeformtheit - wp], so muß auch das Bewußtsein im Angeborenen durch irgendetwas prädeterminiert sein, und das ist eben, wie wir vorhin gesehen haben, die Kräftigkeit der Urvermögen, weshalb nur so weit ein klares Bewußtsein in der Seele entsteht, so weit diese Kräftigkeit reicht. Des Stoffes bemächtigen sich doch die niederen Seelenvermögen gehörig, warum bleibt dann aber hier alles dunkel bewußt? Weiter! Die Seele würde sich "als eine tausendfache Persönlichkeit fühlen müssen ohne ein festes, bestimmtes und bestimmendes Ich, und die Naturwissenschaft" (welche?) "ist unzureichend, die Einheit des Selbstbewußtseins zu erklären". "Dieselbe reicht nicht bis zu einem einheitlichen Ich. Um ihr Terrain nicht zu verlieren, darf sie nicht über die psychischen Gebilde hinausgehen, muß sogar das Selbstbewußtsein in dieselben verlegen, auf die Gefahr hin, selbst dieses zu zerstückeln." "Überall ist die materielle und formelle Bildung der psychischen Gebildet identisch gesetzt mit der Apperzeption derselben, weil auch hier die Naturwissenschaft ein ihr Unerreichbares, das apperzipierende Ich, ignoriert" Daß BENEKE das Ich gar nicht ignoriert, sondern trotz der einzelnen Gebilde zu erklären gewußt hat, wird das Folgende sogleich zeigen. Vorher hat Herr GIESELER gesagt: "Wenn aber das Bewußtsein als Eigenschaft an Seelenakten auftritt; wenn Gefühle, Bestrebungen usw. die Stelle des Subjekts einnehmen; wenn gar von apperzipierenden Begriffen, von einem adjektivistischen Bewußtsein die Rede ist: könnte man da nicht mit gleichem Recht von Tieren reden, die sich selber fressen, von Mägen, die selbst verdauen und dgl.? - Himmel! wenn auch FICHTEs Ich = Ich nicht mehr feststeht, dann geht das souveräne Selbstbewußtsein in Rauch auf und das ganze Seelenleben wird Anarchie!" - Armer BENEKE, was hast du da für ein närrisches Zeug geschaffen? Du hast nicht bemerkt, daß die Seelengebilde einander gleichsam fressen, wenn sie einander auffassen oder apperzipieren, wenn also ihr eigenes oder ihr eigenschaftliches Bewußtsein zum deutlichen Wahrgenommenwerden nicht ausreicht. Daß Letzteres der Fall ist, kannst du freilich leicht beweisen. Faßt doch niemand nicht einmal sinnlich Angeschautes klar und richtig auf, wenn ihm die entsprechenden Begriffe fehlen, denn z. B. die Sterne sind tausenden von Menschen bloß Sterne, nicht Fixstern und Planeten, weil sie die Begriffe "Fixstern" und "Planet" nicht haben, also auch nicht zur Wahrnehmung einzelner Sterne hinzubringen und bewußt machen können. Es werden ihnen daher diese Wahrnehmungen nie so deutlich, daß sie das Aufgefaßte nach seiner wahren Verschiedenheit zu erkennen vermögen. Ebenso faßt der, der ohne musikalische Begrffe ist, wohl die Töne eines Musikstückes auf, aber nie mit der unterscheidenden Deutlichkeit, wie der Musikkenner, der die Begriffe Tonleiter, Akkord, Dur, Moll, Haupt- und Nebenakkord usw. besitzt und als mitauffassende Gebilde zu den Tönen hinzubringt. Du hast also richtig erkannt, daß die Klarheit des Auffassens durch die Begriffe bedingt ist, weil in den Begriffen eine höhere Klarheit liegt, als in den bloßen Anschauungen, und du behauptest, auch von den Begriffen, die sich auf das Geistige bezehen, gilt das. Die Erfahrung bestätigt es, denn so lange das Kind nicht z. B. den Begriff "Erinnerung" - hat, bemerkt es kaum, daß es sich erinnert. Der Vorgang des Erinnerns findet in ihm statt, aber denselben nach seiner Verschiedenheit von den bloßen Einbildungen zu erkennen, von Urteilen etc. zu unterscheiden, mithin vollkommen klar aufzufassen, ist ihm unmöglich. Das Geistige kündigt sich zwar schon durch sein eigenes, ihm eigenschaftliches Bewußtsein so an, daß man sagen kann, es fasse sich hierdurch ebenso selbst auf, wie Herr GIESELER dies von seinem einheitlichen Ich voraussetzt, aber eine klare Selbstauffassung ist das nicht; erst die erworbenen entsprechenden Begriffe mach das Einzelne in uns, das aufgefaßt werden soll, hinreichend klar. Der Begriff ist dann das auffassende Subjekt, das Aufgefaßte ist das Objekt, eine Zweiheit, die aber dennoch stets auf das Innigste zusammenfällt und für den Augenblick einen Akt konstituiert. Es ist eben nur ein klareres Bewußtsein des Aktes. Da jedoch die Begriffe zu allen Akten, zu denen sie passen, hinzuerregt und auch nicht hinzuerregt werden können, so folgt, daß sie ein gesondertes Dasein erlangt haben müssen (wer denkt bei jedem angeschauten Baum: das ist ein Baum? wer bei jedem angeschauten Haus: das ist ein Haus? wer bei jedem angeschauten Menschen: das ist ein Mensch? bei jeder Erinnerung: das ist eine Erinnerung? bei jedem Urteil das ist ein Urteil? etc. Die auf das Geistige sich beziehenden Begriffe nennt nun BENEKE innere Sinne, weil sie die eigentlichen Wahrnehmungsvermögen für das innerlich Vorgehende sind, und so bleibt bloß noch die Frage übrig, wie entstehen sie? Durch eine Konzentration des Bewußtseins, wie alle Begriffe. Kein Begriff entsteht, solange nicht die konkreten Gebilde (Anschauungen, Begehrungen, Gefühle etc.) erworben sind, deren Gleichartiges zusammenbewußt, konzentriert werden kann. Dieses Zusammenbewußtwerden bleibt aber nie aus, wenn die Gebilde, die das Gleichartige enthalten, nebeneinander (gleichzeitig oder unmittelbar hintereinander) zum Bewußtsein erregt werden. Dann fließt immer nach einem Gesetz, welches BENEKE die gegenseitige Anziehung des Gleichartigen nennt, das Gleichartige zusammen, niemals früher, d. h. es wird zusammenbewußt und gewinnt hierbei eine innigere Verschmelzung, so daß es später immer wieder in diesem Zusammen zum Bewußtsein zurückkehren kann. Je gleicher aber die Elemente eines Gebildes sind, umso heller ist auch sein Bewußtsein. Dieses Gesetz der Anziehung hat vor BENEKE niemand in der Seele entdeckt, und die Außenwelt mit ihren längst bekannten Anziehungserscheinungen konnte ihn am wenigsten darauf führen, da auch hier sich das Ungleiche häufig, ja am häufigsten anzieht, wobei überdies alles Bewußtwerden fehlt. So gelangt die Seele aus den Anschauungen z. B. verschiedener Bäume, verschiedener Steine etc. zu den Begriffen: Baum, Stein etc. also zu Begriffen von äußeren Objekten. Dagegen gewinnt sie aus konkreten Erinnerungs-, Begehrungs-, Gefühlsakten etc. die Begriffe Erinnerung, Begehrung, Gefühl etc., die sich nur auf Objekte der Innenwelt beziehen. Diese letzteren Begriffe entstehen natürlich später, als jene, da die Entstehung der psychischen Gebilde zunächst durch Reizaufnahme, durch äußerlich Objektives bedingt ist, folglich bildet sich diese objektive Seite auch an denselben vorherrschend zum Bewußtsein aus, bis nach einer gewissen Sättigung auch ihre subjektive Seite, die Vermögen nach ihren verschiedenen inneren Tätigkeiten, ihr Bewußtsein gesondert oder für sich geltend machen können. Das Ungleichartige der Gebilde wird bei dieser Begriffserzeugung unbewußt, kann also in den Begriff, wenn er sich ungestört zu entwickeln vermag, nicht mit eintreten, und so setzt sich dieser Prozeß immer höher hinauf fort, da das Anziehungsgesetz die ganze Seele beherrscht. Aus den niederen werden höhere Begriffe, und zuletzt höchste, über welche hinaus keine Fortsetzung mehr möglich ist, weil das Gleichartige gewisser Gebilde als allgemeinstes zusammengeflossen ist. Schon alte Lehrbücher der Logik sprechen von solchen höchsten Begriffen, sie streiten nur darüber, ob es mehrere höchste oder nur Einen gibt und welcher das ist. Auch haben sie über die Entstehung der Begriffe ein ganz andere Ansicht. Sie lassen dieselben durch den Verstand erzeugt werden, welcher der Werkmeister der Begriffe und angeboren sein, aber anfangs schlummern soll. Da dieser Verstand keine Begriffe schafft, wenn nicht die entsprechenden Vor- und Grundgebilde erworben sind (daher erlangen die Blind- und Taubgeborenen trotz ihres sonstigen Verstandes keine Begriffe von Farben und Tönen), ja selbst dann nicht, wenn diese Gebilde zwar da sind, aber nicht nebeneinander zum Bewußtsein erregt werden, so hält ihn BENEKE für eine falsche Hypothese und mit Recht. Ebenso falsch ist es, wenn man sagt: der Verstand bildet die Begriffe durch Abstraktion, durch Abziehung des Bewußtseins. Das Ungleichartige der Gebilde, aus welchen die Begriffe entstehen, wird freilich unbewußt, oder das Bewußtsein wird von ihm abgezogen. Das ist aber nur ein Nebenvorgang bei der Entstehung der Begriffe, denn diese Abstraktion des Bewußtseins führt ja zu dem, was man sonst Vergessen nennt, und durch Vergessen erlangt niemand Begriffe. Da wir nun erst durch Begriffe die Klarheit des Vorstellens gewinnen, die man "verstehen" nennt, so leuchtet ein, daß der Verstand eine Folge, nicht der Grund der Begriffe, des Begreifens oder Verstehens ist, und BENEKEs Erklärung, das springt in die Augen, wird auch hier den Tatsachen weit mehr gerecht, als die alte Theorie. Die Seele,, die schon in allen ihren ursprünglichen Teilen ein zur Einheit verbundenes Wesen ist, kann durch die Begriffe an Einheit des Bewußtseins nur gewinnen, nicht verlieren; denn erhält sich der Begriff auch gleichsam als ein Substantivum neben dem, was in sich selbst schon ein adjektivisches oder eigenschaftliches Bewußtsein hat, so zerreißt er doch hierdurch Nichts; sein Dasein ist nur das Zusammenbewußtwerden des Gleichartigen derjenigen Gebilde, denen er seine Entstehung verdankt. Natürlich paßt er darum nur auf diese und keine anderen Gebilde, wie auch bekannt ist, daß man mit dem Begriff Freude nicht erregte Gebilde des Ärgers, mit dem Begriff Liebe nicht erregte Gebilde des Hasses etc. vorstellen und klar machen kann, und sollen wir daher einen Begriff haben, der auf alles in der Seele paßt, so muß er auch aus allen Gebilden derselben hervorgegangen sein Und diese Bewandtnis hat es mit dem Begriff "Ich". So, lieber BENEKE, glaubst du richtig zu erklären, hast aber leider nicht bedacht, daß du dich damit an FICHTE versündigst, welcher das Ich = Ich ohne weiteres an die Spitze seiner Philosophie stellte, ohne zu fragen, ob das Wort "Ich" nicht verschiedene Bedeutungen haben kann, die genau zu unterscheiden sind. "Ich lebe", "ich bin in Dresden". In diesen Ausdrücken bezeichnet "ich" den ganzen Menschen nach Leib und Seele. "Ich wachse an Kenntnissen", "ich bin unsterblich"; hier bedeutet ich bloß die Seele. "Ich bin ein Musiker", "ich bin ein Tischler"; damit sind bleibende erworbene Eigenschaften, Eigentümlichkeiten gemeint, wodurch man sich von anderen, sowie von dem unterscheidet, was in uns wechselt. "Ich bin traurig", "ich bin fröhlich"; hier geht das Ich auf die jetzt gerade stärksten Seelentätigkeiten, die das momentane Selbstbewußtsein des Beobachters ausmachen. In allen diesen Fällen wird aber etwas Konkretes, Bestimmtes, nicht etwas Allgemeines oder ein Begriff mit dem Wort "Ich" bezeichnet, wogegen in der Redensart: "ich bin eine Person", "ein persönliches Wesen", es sich um einen Begriff handelt. Denn hier ist der Sinn: trotz allem Wechsel meiner geistigen und leiblichen Zustände erkenne ich mich als denselben; Vorstellendes und Vorgestelltes in mir gehört immer zu einem Individuum, zu dem, welches Ich bin, und zu keinem andern. In dieser Bedeutung ist da Ich "die Identität des Vorstellenden mit dem Vorgestellten", d. h. die Einheit zwischen beiden, nicht die Einerleiheit [gleich], denn der Begriff Ich ist ebenso ein besonderes Gebilde in der Seele, wie andere Begriffe, und er drückt nur das "Gehören des Mannigfaltigen zu Einem, zu einem Subjekt, zu einer Person" aus. Das zu tun vermag doch wohl nur, weil er aus allem Inhalt der Seele hervorgegangen ist. - Aber er wird doch auch, wie Herr GIESELER sagt, vorgestellt, und "was ist dann das Vorstellende"? Die in ihm liegende Identität gibt sich kund, und da muß man fragen: "wem gibt sie sich kund"? Darauf wirst du, armer BENEKE, schwerlich antworten können, da "die Naturwissenschaft bis zu einem einheitlichen Ich nicht reicht." Letzteres hast du sehr wohl gewußt, darum bautest du Nichts auf die Naturwissenschaft, die Herr GIESELER überall im Sinn hat, du bautest nur auf das Selbstbewußtsein und nanntest deine Psychologie aus einem ganz anderen Grund, als Herr GIESELER meint, und in einem ganz anderen Sinn Naturwissenschaft, worüber wir dich bald noch besonders hören wollen. Aber bist du deshalb schon im Recht? Du hast ja auch das apperzipierende Ich, wie alle Begriffe, neben das Apperzipierte gestellt und diesen Begriff somit in die Lage gebracht, alles zu verschlingen; und gesetzt auch, daß diese Gefahr nur eine sehr spaßhafte sein sollte, so fragt es sich doch immer noch, ob das Ich sich nach deinen Erklärungen als etwas Gewordenes wirklich nachweisen läßt. Nach Herrn GIESELER kann es nur etwas Ursprüngliches sein, und jeder Verständige erkennt an, daß das Ursprüngliche nicht weiter erklärt werden kann, welcher Meinung wir auch entschieden zugetan sind. Beim Erklären über das Ursprüngliche hinausgehen wollen, ist ein Unternehmen, das jederzeit mißlingen muß. Wer hilft uns nun wohl bei dieser Differenz der Ansichten aus der Klemme? Lediglich die Tatsachen des Bewußtseins, die psychologische Erfahrung! Und da ist es merkwürdig, daß zwei bis drei Jahre vergehen, ehe die Seele des Kindes "Ich" sagt, auch wenn sie sich, wie fast immer, schon vor dem Schluß des zweiten Jahres zum Sprechen entwickelt hat. Sie hört das Wort Ich täglich und stündlich, aber sie bedient sich desselben nicht, sondern spricht von sich in der dritten Person "Karl will essen", Marie will haben", statt: ich will essen, ich will haben. Es ist richtig, daß Kinder schon im ersten Lebensjahr zu sehr verschiedenen Vorstellungen, Begehrungen, Gefühlen etc. kurz zu einem mannigfaltigen Seeleninhalt gelangen, wieviel mehr also im zweiten! aber das Ich schweigt noch gänzlich. Daß jener Inhalt zu ein und derselben Seele, zu einer Person gehört, bemerken sie nicht, wie sie überhuapt die inneren Vorgänge gar nicht deutlich gewahr werden. Ihr Bewußtsein richtet sich fast gänzlich nur auf äußere Objekte, sich selber werden sie nicht zum inneren Gegenstand der Wahrnehmung, nur ihr Körperliches fassen sie von sich auf. Dies ändert sich zu Anfang des dritten Lebensjahres, bei guten Köpfen schon früher. Sie fangen an zu bemerken, nicht nur, daß derselbe Leib immer die inneren Vorgänge begleitet, sondern daß auch ihr heutiges ganzes Sein vom gestrigen nicht so verschieden ist, als es ihnen bisher vorkommen mußte. Gester weinte Karl viel, hatte Schmerzen, heute ist er fröhlich, rüstig, gesund, aber trotz dieser Verschiedenheit der beiden Karle ist, wie ihm innerlich kund zu werden beginnt, eine Einheit vorhanden, ein Zusammengehören des Verschiedenen zu Einem, und nun wird das Wort Ich gebracht, womit Karl, der sich früher nur nach seinen lebhaftesten, auffälligsten inneren Vorgängen und darum noch nicht als stets derselbe vorstellen konnte, seine erkannte Einheitlichkeit kund geben will. Das spricht nicht für das Angeborensein des Ich, sondern nur für die allmähliche Entstehung dieser Vorstellung. Beruft man sich auf das Schlummern des Angeborenen, warum schlummern denn die Seh- und Hörvermögen, die wahrlich auch angeboren sind, nicht? warum werden diese sofort tätig und verstärken sich zusehends? Es wird also wohl dabei bleiben, daß das Ich sich aus anderem Angeborenen nur nach und nach entwickelt, und diese Entwicklung kann so sehr unbegreiflich nicht sein. - Jedes neuerworbene Gebilde entsteht in derselben Seele, folglich kündigt sich jedes durch sein eigenes Bewußtsein als ein ihr zugehöriges neben anderen Gebilden an, sobald nur das Bewußtsein der Gebilde überhuapt die erforderliche Stärke durch Spurenvermehrung erlangt hat. So eigentümlich daher auch jedes Gebilde sein mag, das Merkmal des Zusammengehörens tragen alle an sich; es fließt für die Bewußtwerdung zusammen, und wie somit 10 Gebilde 10 Spuren für das Ich zusammensteuern können, so werden dies auch 100, 1000 und mehr tun, d. h. die abstrahierte Vorstellung "Ich" muß und wird wachsen, bis sie eine Stärke des Bewußtseins erlangt hat, daß sie ausgesprochen werden kann. Sonach ergibt sich: wollen wir das Wort Ich in einem wahren Sinn, für welchen es eigentlich gebildet ist, nehmen; wollen wir nicht zehnerlei ganz Verschiedenes (Seele überhaupt, Eigentümlichkeiten etc. - siehe vorher) vermengend darunter begreifen, sondern aller Verwirrung entgehen, so müssen wir es auf den geschilderten Begriff einschränken, welcher, wie klar vorliegt, nur ein Merkmal zum Inhalt hat: Gehören des Verschiedenen zu Einem, oder Einheit (Identität) des Vorstellenden und Vorgestellten. Dieser Begriff muß daher (bei all seinem Wachstum an Stärke) dem Inhalt nach sich gleich bleiben, trotzdem, daß der Seeleninhalt täglich ein reicherer und dadurch die Seele fortwährend etwas verändert wird. Reichte dieser Ichbegriff aus, um alles in der Seele aufzufassen, so würde es freilich nicht solcher besonderen Begriffe bedürfen, die wir innere Sinne nennen, aber die Erfahrung lehrt, daß er dazu nicht ausreicht. Sechsjährige Kinder haben ihn bereits so klar, daß sie ihn nie mit anderen Begriffen verwechseln, aber nie fassen sie Urteils-, Schluß- und andere Kombinationsakte in sich, und Tausende von erwachsenen Ich-Herren stehen ihnen hierin gleich. Auch sie fassen nur das Gröbere, Auffälligere in sich auf, die feineren und genaueren Unterschiede des Psychischen erkennen sie nicht, und darum sagen sie gern vornehm: BENEKE ist ein Mann voller Einbildungen, denn wir finden in unserer Seele nicht, was in ihr sein und vorgehen soll. Wer nicht die inneren Vorgänge geflissentlich beachtet, dadurch gleichsam zum Stehen bringt, damit sie so lange nebeneinander bewußt bleiben, daß das Gleichartige derselben sich anziehen, konzentriert, zusammenbewußt werden kann, der erwirbt wohl den ganz allgemeinen Begriff eines "Ich", aber nicht die besonderen, die zu den besonderen Arten des Psychischen erforderlich sind, wenn wir dasselbe auffassen wollen; es fehlen ihm die inneren Sinne dafür. Das "Ich" entsteht ohne besondere Übung, jene Begriffe aber nicht. Da sich nun unter dem Begriff meine eine Seele oder Ich - alles Einzelne des Innern subsumiert, "da sich das Subjekt allem Wechsel adjektivischer Zustände gegenüber identisch fühlt", so wird der, der bloß diesen Begriff klar für das Innere hat, unwillkürlich meinen, alles in ihm sei nur eine Kraft, denn jener Begriff repräsentiert ihm ja eine totale Einheit, und so wird er sich auch einbilden, seine Seele sei und bleibe ein einfaches, einkräftiges Wesen. Sein konkretes Selbst ist in Wirklichkeit ein reich zusammengesetztes, aber darauf achtet er nicht, denn der die Einheit repräsentierende Begriff macht sich zu übermächtig geltend. Zu Zeiten drängt sich wohl auch ihm diese Zusammengesetztheit auf, wie wir am Beispiel des Herrn GIESELER sattsam bemerkt haben, aber man hat so oft gehört, die Seele müsse einfach sein und bleiben, weil sie sonst zum Materiellen degradiert wird, und durch dieses Vorurteil verkümmert man sich die richtige Selbstauffassung. Wem sich der Begriff des "Ich" ankündigt, ist eine sonderbare Frage, da schon das oberflächliche Nachdenken zeigt, daß hierzu Tausenderlei innerlich vorhanden ist, und daß er nicht durch ein besonderes höheres Gebilde aufgefaßt oder apperzipiert zu werden braucht, ist ebenso klar, da er als das spurenreichste und darum vollbewußteste Gebilde an seinem unmittelbaren eigenschaftlichen Bewußtsein wahrlich genug hat. Nimmt doch Herr GIESELER dies von seinem einheitlichen Ich ebenfalls stillschweigend an. "Das souverände Selbstbewußtsein würde allerdings in Rauch aufgehen und das ganze Seelenleben Anarchie werden", wenn die Auffassung des Inneren keine Grenze hätte, nicht an das je Gleichartige gebunden und dadurch geregelt wäre, oder wenn das "apperzipierende Ich" die apperzipierten Untertanen womöglich auffressen würde, wie "die sich selber fressenden Tiere" andeuten sollen. Ein abstraktes Gebilde aber, das als höchstes in allen unter ihm liegenden, teils konkreten, teils niederen abstrakten wurzelt, indem es das Allgemeinste derselben in sich schließt, hat schwerlich einen so gräßlichen Appetit, es ist satt genug; und da meinetwegen "das ganze Seelenleben durch seine Beziehung auf das einheitliche Ich zusammengefaßt wird" (ich leugne, daß das erst hierdurch geschieht; das Einzelne steht schon ansich in unzertrennlicher Verbundenheit, die nur bewußt und zum Teil inniger zu werden braucht), so wird die Seele wohl nicht in Gefahr kommen, "sich als eine tausendfache Persönlichkeit zu fühlen"; die Persönlichkeit wird wohl Eine sein und bleiben, wie auch der höchst zusammengesetzte Leib sich als Einer erweist. Leib und Seele sind zwei einander sehr nahe stehende, aber dennoch ganz verschiedene Wesen, aber ich habe noch niemand gefunden, der gesagt hätte: ich erkenne mich deshalb als zwei Personen. Wenn Herr GIESELER der Meinung ist, "das Tiefste und Innerlichste des psychischen Lebens tue sich uns kund", wenn er demgemäß folgert, BENEKEs Hypothesen seien grundlos, so haben wir bereits früher gesehen, daß sich die Sache ganz anders verhält. Das Tiefste tut sich eben nicht kund, wir müssen es von den Tatsachen aus erschließen, und das Vorstehende kann zeigen, wie diese Schlüsse oder Hypothesen zu bilden sind. Das Ich ist ein sehr stark bewußtes Gebilde, welches sich den einzelnen Vorgängen in der Seele anschließt, sie mit seinem Bewußtsein begleitet; dennoch wird es im tiefen Nachdenken über einen Gegenstand oft vergessen, das Bewußtsein ihm entzogen, und wir bemerken dann nicht, daß wir es sind, welche denken; ein deutlicher Beweis, daß das Ich nicht die ganze Seele, sondern eben nur ein einzelnes Gebilde ist. Der Sprachebrauch macht zwischen den vielen konkreten Ich, die unser Selbst, unser leibliches und geistiges Sein oder Wesen ausmachen, und zwischen dem Begriff "Ich" keinen Unterschied; alles, was zu uns gehört, nennt er Ich woraus aber nicht folgen kann, daß die Wissenschaft diese Unterschiede zu ignorieren hat. - Aus wievielen Spuren der Begriff Ich zusammengesetzt ist, kündigt sich nie an, wie nehmen nur seine Stärke des Bewußtseins unmittelbar wahr. Diese Stärke will jedoch erklärt sein, und da das Nichts weder etwas Quantitatives noch Qualitatives erklärt, so bleibt uns für die Stärke nur die Vielspurigkeit zur Annahme übrig. Übrigens ist nicht schwer zu begreifen, warum die zu einem Akt zusammenwirkenden Spuren ihre Einzelheit und somit ihre Anzahl nicht ankündigen; ihre Gleichheit und innige Verbundenheit zu einem Gebilde oder Ganzen verdeckt eben die Vereinzelung in ähnlicher Art, wie die sieben Farben im weißen Lichtstrahl auch nicht bemerkt werden, solange sie in der Einheit (= Verbundenheit) bestehen, oder (um eine andere Erscheinung zu erwähnen) wie ich die einzelnen Fasern des weißen Papiers, auf welchem ich schreibe, nicht zu unterscheiden vermag, usw. Wollen wir mit diesen Beispielen aus der äußeren Natur das Psychische beweisen? durchaus nicht, sondern bloß erläutern, die Beweise suchen wir nur in unserem Selbstbewußtsein. Und dieses zwingt uns durchaus zu der Hypothese, daß die gleichartig entwickelten Vermögen als Spuren zu je einem Gebilde verschmelzen, wie andererseits die verschiedenartig entwickelten sich zu Gruppen und Reihen verknüpfen. Was das Letztere betrifft, so kommen in jedem Satz der Sprache Wörter und Begriffe vor, die in hundert anderen Sätzen auch vorkommen, nur anders verknüpft, anders zusammengereiht. Das erfährt bereits jedes Kind beim Lesenlernen, wenn es sich auch dieser Erscheinung hierbei nicht klar bewußt wird (im Sprechen freilich noch weniger), und wer sein Inneres nur einigermaßen sorgfältig beobachtet, kann sich das gleichzeitige Zusammenwirken vieler einzelner Seelenakte nicht verbergen. Herr GIESELER fragt wiederholt: "ist ruhende Kraft keine Kraft?" und ähnlich müssen wir fragen: ist unbewußt wirkende Kraft keine Kraft? Der Orgelspieler arbeitet mit Händen und Füßen gleichzeitig, und indem er die Noten, die er spielt, liest, reproduzieren sich ihm die Vorstellungen von den Tasten, die er greifen soll und greift, so wie er gleichzeitigt die Töne hört. Während er früher sich dies alles einzeln und langsam zu einem vollen Bewußtsein ausbilden mußte, reproduzieren sich ihm die Noten und Tasten jetzt mit höchst schwachem Bewußtsein; ja das Meiste regt sich in ihm unbewußt, setzt unbewußt seine Hände und Füße in Bewegung; folgt daraus, daß es nicht da oder daß alles nur Eins ist? Hat er etwa seine Fertigkeit ohne Übung erworben, und steigert die Übung das Schwache zum Starken durch Nichts? Nur vielspurig Gewordenes äußert sich mit der Sicherheit, die wir Fertigkeit nennen, aber diese Spuren nimmt niemand in ihrer Einzelheit, also zählbar in sich wahr. Daraus zu folgern, sie existieren nicht, ist gerade so als wollte jemand schließen: die Anziehungskraft der Erde existiert nicht, weil wir sie nicht sehen. Ebenso wird jeder Leser durch Unbewußtes in Bewegung gesetzt; denn sollte er sich, um ein Wort von nur sechs Buchstaben richtig lesen zu können, jeden einzelnen bewußt machen, wie unfertig würde dann sein Lesen sein! Warum nur die Gebilde einzeln, nicht die Spuren derselben einzeln bewußt werden, ja warum die Gebilde häufig unbewußt wirken, dafür gibt BENEKE § 161 und 200 seines "Lehrbuchs" Gründe an, die Herr GIESELER widerlegen müßte, wenn er ihm etwas anhaben wollte, denn mit der allgemeinen Bemerkung: "Unser Bewußtsein sagt uns Nichts von den unzähligen Urvermögen" - ist Nichts widerlegt. Wievieles existiert in der Welt, wovon wir nur die Wirkungen, nicht das Wirkende selbst wahrnehmen! In unserem Inneren, in der Sphäre des Geistigen kann der Zusammengesetztheit umso weniger ein Hindernis bereitet sein, weil hier nirgends Raum ins Spiel kommt, da alles völlig raumlos existiert. Doch davon später. Genug: das Geistige nehmen wir allerdings wahr, wie es ansich ist, aber nur so weit, als es wirklich bewußt wird. - Eine Kraft könnte leicht auf einmal durch und durch bewußt werden, aber Herr GIESELER beweise uns doch, daß er jemals eine Erfahrung gemacht hat, wo ihm seine "einheitliche" (einkräftige) Seele so durch und durch bewußt geworden ist. Ein Haupttadel, den Herr GIESELER gegen BENEKE erhebt, besteht darin, daß dessen Psychologie sich anmaßt, durch und durch eine Naturwissenschaft sein zu wollen, und die hierauf bezüglichen Stellen seines Aufsatzes lauten so:
Worin besteht denn die naturwissenschaftliche Methode? Bekanntlich darin, daß die Naturforscher überall von der Erfahrung ausgehen, während die Philosophen auf die Spekulation in bloßen Begriffen bauen und die Erfahrung unbeachtet an der Seite liegen lassen. Die Naturforscher beobachten zuerst, sammeln die wahrgenommenen Tatsachen, was sie Induktion (Aufzählung des Einzelnen) nennen; zerlegen sodann das Aufgefaßte, das immer mehr oder weniger zusammengesetzt, oft sehr verwickelt ist, in seine Elemente und gelangen so auf analytischem Weg zu den Grundkräften und Grundgesetzen, wodurch die Erscheinungen wie überhaupt die Veränderungen in der materiellen Natur bedingt sind. Indem sie dann andererseits (in der Praxis) die Elemente wieder zusammensetzen, zusammenwirken lassen, erhalten sie die Probe, ob ihre Auflösungen richtig waren. Da sie jedoch nicht alles wahrnehmen können, da sich manches der Erfahrung entzieht, so ergänzen sie das Verborgene durch Hypothesen, durch Gedanken, die sie zu den den Tatsachen hinzunehmen, und fahren damit so lange fort, bis in das Wahrgenommene ein erklärender Zusammenhang kommt. Dabei können sie fehlgreifen; indem sich aber die Wahrnehmungen bei fortgesetzter Beobachtung stets vermehren und auch genauer werden, so währt es nicht lange, und die falschen Hypothesen werden entdeckt. Dann bildet man andere und bessere, und so gelangt man schließlich zu dem Grad der Erkenntnis, der uns Menschen bei den Dingen der Außenwelt überhaupt möglich ist. - Die Philosophen wollen alles durch ein bloßes, reines Denken, durch Begriffsspekulation ergrübeln; als ob man icht auch das denken kann, was gar nicht existiert (Hexen, Gespenster etc.) und als ob man das, was existiert, nicht anders denken könnte, als es existiert, wobei man in diesem Fall notwendig in ein falsches Denken verfällt. Sie denken a priori (vor der Erfahrung und ohne sie); die Naturforscher denken auch, aber a posteriori (nach der der Erfahrung und ihr gemäß); welche Forschungsmethode wird die bessere sein? Auf das Objekt der Forschung kommt bei der naturwissenschaftlichen Methode zunächst gar nichts an; sie paßt auf alle Erfahrungsobjekte, modifiziert sich nur etwas nach deren besonderer Beschaffenheit; denn beobachten läßt sich alles, was überhaupt wahrnehmbar ist, und passende Hypothesen kann man zu allem hinzubilden, wenn man sich dabei nur von der Erfahrung besonnen leiten läßt. Diese Forschungsmethode nun ist es, die BENEKE auf die menschliche Seele angewendet hat, also auf ein Objekt, das nur innerlich wahrnehmbar ist, sich nur durch ein Selbstbewußtsein kundgibt. Es handelt sich hier nicht um äußere, sinnliche, sondern um eine innere Erfahrung, denn nie erscheint die Seele den äußeren Sinnen, und schon hieraus ergibt sich, daß die naturwissenschaftliche Methode BENEKEs nichts mit dem materiellen zu tun hat. Sollte ihm nachgewiesen werden, daß er Materialist ist, so müßte man darlegen, daß er die Kräfte der Seele aus leiblichen Elementen ableitet, sie zumindest diesen Elementen gleichstellt; aus seiner Forschungsmethode konnte dieser Beweis nicht geführt werden. Nun weist aber BENEKE nach, daß sich die Kräfte der Seele von den leiblichen total unterscheiden, wie wir im Folgenden ausführlich sehen werden. Nach ihm ist die Seele weit mehr geistig, in weit höherem Grad immateriell, als nach der Ansicht der alten Psychologie, denn er hat erwiesen, daß schon die Grundvermögen der menschlichen Seele (die sogenannten sinnlichen) geistige sind, daß schon diese mit dem Materiellen nichts gemein haben. Daß Herr GIESELER darin nicht zurechtfindet, was kann BENEKE dafür? Auch Andere finden sich zur Zeit damit noch nicht zurecht, weil die althergebrachten Vorurteile sie daran hindern; aber sie sind doch so bedachtsam, daß sie aus einer naturwissenschaftlichen Methode nicht ein Objekt der äußeren materiellen Natur machen, nicht den Weg der Forschung mit dem Gegenstand verwechseln, zu welchem hin man den Weg einschlägt. - Wenn also BENEKE die Seele beobachtet, die Resultate dieser Beobachtung sammelt und vergleicht; wenn er die gefundenen Tatsachen in Gedanken (also ohne Seziermesser) zergliedert, das der Wahrnehmung Entzogene durch besonnene Hypothesen ergänzt und so die inneren Kräfte, sowie die Gesetze entdeckt, die deren Tätigkeit regulieren, so tut er freilich, was die Naturforscher tun, aber er tut es nur in methodischer Hinsicht. Ebenso ist es nur Sache der Methode, wenn er umgekehrt die geistigen Elemente in Gedanken zusammensetzt, wenn er demgemäß Anweisungen gibt, wie der Lehrer und Erzieher dies praktisch nachahmen, bei der Leitung der Seelenentwicklung Element zu Element hinzutreten lassen soll und schon Viele haben dies in Ausführung gebracht, sind dabei auf das Glücklichste zum Ziel gekommen, und nie hat man gehört, daß sich irgendeine Kindesseele dadurch in Materie verwandelt oder zumindest als materielles Wesen dabei geoffenbart hätte. Nur weit größere Sicherheit der pädaogischen Bestrebungen und ein viel schöneres Gelingen, als nach den Vorschriften der alten Psychologie, was als Unterschied zu bemerken. Noch mehr. Von der geistigen Natur des Menschen, von der Natur der Seele spricht alle Welt, indem man sie der leiblichen Natur entgegensetzt; ebenso erkennt man allgemein an, daß diese geistige Natur sich entwickelt, daß dies nach Gesetzen geschieht, die kein Lehrer und Erzieher mißachten dar, so wenig man auch bisher etwas Befriedigendes, Klares und Festes über diese Gesetze auszusagen vermochte, weil man sie nur im Groben, im Großen und Ganzen kannte. Durch BENEKE ist dies besser geworden; jene Gesetze sind jetzt wissenschaftlich, der Natur der Sache gemäß festgestellt, und da soll die Wissenschaft von der Seele nicht eine Naturwissenschaft heißen dürfen? Bei diesem Wort an die Wissenschaften von der äußeren Natur zu denken, wer heißt euch das? Wollt ihr es etwa gar nicht leiden, daß Gott feste Gesetze in die Seele gelegt, sie hierdurch zu einer sicheren Entwicklung befähigt und gegen die Torheit unwissender Erzieher so geschützt hat, daß sie zwar oftmals genug verdorben, aber doch nicht zu einem Wechselbalg gemacht werden kann? BENEKEs Seelenkunde (wie eigentlich alle Seelenkunde) ist eine Wissenschaft von der geistigen Natur des Menschen, kurz: eine geistige Naturwissenschaft; was liegt in diesem Wort Verdammenswertes? Wen verdammt ihr eigentlich, wenn ihr den Entdecker der geistigen Naturgesetze verdammt, anschwärzt? So geht es aber! Jenes Wort ist neu, ist ungewohnt, obgleich wir schon seit dem Jahr 1796 eine "Naturlehre der Seele" in Briefen von HOFFBAUER haben, und obgleich anderes sogar von einer "Physik der Seele" gesprochen haben, ohne dabei an etwas Materielles zu denken. Man wirft beiseite, was vom gewohnten Schlendrian abweicht, oder entsetzt sich wohl gar über die "vermessenen" Neuerungen. Wollten wir Herrn GIESELER mit gleicher Münze bezahlen, so könnten wir sagen: er macht alle bisherigen Lehrer, welche in der geistigen Natur Gesetze anerkannten und sich deren Beachtung zur Aufgabe stellten, zu Materialisten; denn nach ihm sind alle Naturgesetze an materielle Substrate gebunden, und er sagt nirgends, daß er hiervon die Gesetze der Seelennatur ausgenommen wissen will. Ja, indem er lehrt: "das unwillkürliche Denken spinnt sich nach Naturgesetzen fort", indem er von einem "naturgebundenen Seelenleben" spricht, das an den Leib gefesselt ist, rangiert er sich selber, ohne es zu merken, zu den Materialisten, denn nur der Geist soll sich "in der dem Naturleben enthobenen Sphäre der Freiheit" bewegen. Ob diese Freiheit eine völlig gesetzlose sein soll, wird nicht klar, doch wird er wohl zugeben, daß da, wo alle Gesetzmäßigkeit fehlt, der Wahnsinn vor der Tür steht. Oder schützt gegen den letzteren "das Natur und Geist zusammenfassende Ich"? Die Scheidung von (natürlicher) Seele und (übernatürlichem) Geist, die wir bei Herrn GIESELER finden, ist in der Tat eine wunderliche. Jeder aufmerksame Beobachter gibt zu, daß die menschliche Seele eine geistige, die Tierseele eine ungeistige ist, daß also die Geistigkeit gewissen Seelen nicht innewohnt, wie solches auch bei den Blödsinniggeborenen der Fall ist, denn diese entwickeln niemals das, was man Geist in einem höheren Sinn des Wortes nennt. Wäre nun der Geist das selbständige, freie Wesen im gesunden Menschen, zu welchem es Herr GIESELER macht, so fragt es sich: wie kann bei einem so "bestimmend eingreifenden" Geist jemals Wahnsinn oder eine andere Seelenkrankheit aufkommen? - Auch wir unterscheiden mit BENEKE Seele und Geist, können sie aber nicht als eine Zweiheit nebeneinanderstellen, denn sie liegen ineinander; der Geist besteht nur in der menschlichen Seele, ist eine Eigenschaft ihrer Kräfte, die sich mit deren Entwicklung immer bestimmter ausbildet. Die Sprache hat Herrn GIESELER bloß, wie so viele Andere, zu jener schroffen Zweiheit verführt, die sich übrigens zu seiner sonst verfochtenen Einkräftigkeit der Seele wunderlich reimt. Bekanntlich hat die Sprache eine große Anzahl Wörter, die etwas als gesondert oder für sich bestehend bezeichnen, was doch in Wirklichkeit nur an oder in etwas anderem existiert. Wir reden von Hunger, Durst, Leben, Tod, Jugend, Alter, Freude, Furcht etc. und den Tod bilden wir sogar ab. Es gibt aber nirgends einen Tod für sich, sondern nur tote Geschöpfe, nirgends ein Leben für sich, sondern bloß lebende Menschen, Tiere und Pflanzen. Ebenso existieren nur hungernde, durstende Magen und Gaumen, nirgends Hunger und Durst selbständig oder für sich, und wo fände sich die Freude, die Furcht, die Trauer, der Haß etc, wo keine Seelen sind, in welchen allein diese Erscheinungen vorkommen? Der menschliche Geist ist auf ähnliche Weise nichts von der Seele Gesondertes, sondern er existiert in und mit der Seele des Menschen, die, wie sie in sich selber lebt (von nachher Näheres), auch in sich selber geistig und zwar durch und durch ist, wiewohl in ihren höheren Urkräften mehr, als in ihren niederen. Die innere Erfahrung zeigt nirgends, daß der Geist als eine besondere Kraft neben der Seele wohnt und daher gleichsam aus einem Winkel hervorbricht, wenn er sich kund macht, denn er schläft immer, wenn die Seele schläft, und er wacht jederzeit nur so weit, als die Seele wacht, bewußt ist, woraus sich sattsam erhellt, daß er nur das Bewußtsein der entwickelten Seelenkräfte ausmacht. Daher verstärkt er sich auch ganz parallel mit den sich im Laufe der Entwicklung verstärkenden Seelenkräften, so daß wir schließlich von Geist in einem engeren und höheren Sinn des Wortes reden können, wenn jene Entwicklung eine hohe Stufe erreicht hat. Wie BENEKE dies alles sehr klar aus der inneren Erfahrung nachgewiesen hat, so hat er namentlich auch gezeigt, daß es ein bloßer Schein ist, wenn man zu sehen glaubt, daß der Geist (die geistige Seele) im Alter abnimmt und im Tod wohl gar vergeht. Die Gründe, die BENEKE für das Gegenteil aufstellt und die man bündiger und überzeugender nirgends findet, gereichen seiner naturwissenschaftlichen Psychologie, aus der sie resultieren, zur höchsten Empfehlung. Nur muß man die Schriften, die davon handeln, studieren, muß nicht über das alles sprechen, ehe man es kennt, man kommt sonst in Gefahr, BENEKE zu verleumden, ohne es zu wissen und zu wollen. Wie mannhaft und vernichtend kämpft BENEKE gegen den Materialismus in seiner Schrift "Das Verhältnis von Seele und Leib"; wie klar weist er dort nach, daß zwischen materiell und immateriell ein wesentlicher Unterschied besteht, während Herr GIESELER ihm das Gegenteil andichtet! - Das "naturgebundene Seelenleben taucht im Bewußtsein auf?" Solcher bloßer Bilder, die man zu allem gebrauchen kann, weil sie nie etwas Bestimmtes sagen, bedient sich BENEKE nirgends; getreu dem Grundsatz der Naturforscher: aus Nichts wird nichts - weist er überall die Elemente nach, welche bei der Entwicklung der Seele den Ausschlag geben. Diese Entwicklung ist ja eine langsame, allmähliche, gleichsam tropfenweise; sie läßt keine Sprünge, keine Lücken zu, sondern eins baut sich auf das andere in einer festen, geschlossenen Ordnung und man kann in der Seele nicht wölben, um eine Partie leer zu lassen. Diese Langsamkeit, dieses stufenmäßige Mehrwerden kann nur durch lauter Einzelnes, durch Elemente bedingt sein, und es muß also auch geistige Elemente geben. Aber freilich solche Elemente zu denken ist manchen Leuten ein Greuel; "Element" ist ein Ausdruck, den sie nur auf Materielles bisher beziehen gelernt haben, und sie kommen darum von der Unterschiebung des Materiellen nicht los. Ähnlich geht es ihnen mit den geistigen Gesetzen. Bestimmte Gesetze sind sie nur in der Außenwelt zu denken imstande; geben sie Seelengesetze zu, so müssen diese doch etwas Unbestimmtes, Schwankendes, Verschwommenes sein, denn das Gespenst des Mechanismus zieht ihnen mit bestimmten Gesetzen in die Seele ein, und wo bliebe da die Freiheit? Daher auch ihr Schluß: BENEKE muß die Gesetze der Außennatur in die Seele hineingetragen haben, er muß Materialist sein, woher kämen denn sonst bestimmte Gesetze in der Seele? Wir haben schon vorher gezeigt, wie unmöglich dieses Hineintragen ist, und wir werden dies im Folgenden noch ausführlicher zeigen. Es fällt uns aber hier wieder KOPERNIKUS ein, der seinem Zeitalter vorausgeeilt war, und BENEKE teilt mit ihm das gleiche Schicksal. - Wie sich der "Kampf" in der geistigen Seele erklärt, habe ich in meinem Aufsatz "Über das Wesen und die Bildung des menschlichen Willens" (in DIESTERWEGs "Pädagogisches Jahrbuch" 1861) hinlänglich erörter, brauche also hier nicht abermals darauf einzugehen. |