p-4F. HillebrandF. BrentanoK. SchneiderO. KrausA. Marty    
 
WILHELM ENOCH
Franz Brentanos
Reform der Logik


"Die Frage muß immer wiederholt werden: Was ist denn eigentlich ein affirmierter, ein negierter Gegenstand? - Jeder versteht, was es heißt, die Gleichheit zweier Dreiecke, die Eigenschaft eine Rose rot zu sein, zu affirmieren oder zu negieren. Niemand aber wird ohne künstliche Vernünftelei verstehen, wenn von einem bejahten oder verneinten Dreieck, einer bejahten oder verneinten Rose gesprochen wird. Auch die Gleichheit als solche oder die Eigenschaft als solche kann weder bejaht noch verneint werden, sondern immer nur das Gleichsein vergleichbarer Gegenstände, das Beschaffensein einer Eigenschaft an einem Ding."

"Wenn Brentano in der Qualifizierung, im Bejahen und Verneinen, eine eigentümliche psychische Tätigkeit sieht und dasselbe als eine besondere Klasse zwischen das Vorstellen und die Gemütsbewegungen stellt, so gehört diese Unterscheidung nicht in die Logik, sondern in die Psychologie. Denn die Logik hat es mit den Formbestimmungen der Urteile zu tun, sofern dieselben den Zwecken der Erkenntnis dienen, nicht aber mit der Bestimmung der Tätigkeiten, durch die Urteile vollzogen werden."

"Hillebrand zeigt, daß man ein primäres Urteil von einem sekundären unterscheiden muß. Jenes anerkennt oder verwirft den Gegenstand selbst, dieses den Gegenstand als vorgestellten. Es dürfte angezeigt sein, zunächst klar zu machen, was denn unter dem Gegenstand selbst in einem Urteil zu verstehen ist. Mit dem *Gegenstand selbst im gewöhnlichen Sinn haben wir es nur zu tun, wenn wir ihn berühren oder bearbeiten. Aber schon in einem den Gegenstand abzeichnen ist der Gegenstand, welcher gezeichnet wird, nicht der Gegenstand selbst, sondern sein Bild. Den Gegenstand selbst sehen heißt doch nur, das Bild desselben aufnehmen. Der gesehene Gegenstand ist also das aufgenommene Gesichtsbild desselben, ist der Gegenstand als Vorstellungsinhalt. Einen Gegenstand lieben affiziert nicht den Gegenstand selbst. Die Liebe betrifft unmittelbar nur ihn als Vorstellungsinhalt und erst mittelbar, indem sie zu Aktionen unseres Körpers führt, den Gegenstand selbst."

"Wenn Brentano den Satz A ist = A wird anerkannt setzt, so ist zu bemerken, daß, um die bloße Vorstellbarkeit von A zu behaupten, ein besonderer Akt der Anerkennung völlig überflüssig ist. Wenn aber die Realität eines Gegenstandes seinem Anerkanntwerden gleichgesetzt wird, so ist zu fürchten, daß diese Lehre in einen ganz unterträglichen Subjektivismus hinausläuft, welcher die Realität eines Begriffes von unserem subjektiven Verhalten, die Wirklichkeit Gottes von unserer Anerkennung abhängig macht und unsere subjektive Willkür an die Stelle des objektiven Gesetzes setzt."


I. Einleitung
1. Die durch Brentano hervorgerufene logische Bewegung

FRANZ BRENTANO gab im Jahr 1874 den ersten Band einer "Psychologie" heraus, in welcher auf einigen Seiten eine vollständige Reform, ja der Umsturz der althergebrachten Logik angekündigt und in den äußersten Umrissen dargestellt wurde. Seine Behauptungen veranlaßten alsbald in der philosophischen Welt, zumindest in Deutschland, eine lebhafte Bewegung. Es erschien eine Reihe von Schriften, die die von BRENTANO angeregten Fragen behandeln. Außerdem sahen sich viele veranlaßt, zu ihnen zumindest Stellung zu nehmen. Unter denen, die sich ablehnend oder doch kritisch zu BRENTANOs Neuerungen verhalten, sind WINDELBAND, SIGWART, BERGMANN, STEINTHAL, SCHUPPE, PAUL (1) zu nennen, während MIKLOSICH, MARTY, STUMPF, KERRY u. a. dieselben annehmen, verteidigen und ergänzen. In neuester Zeit hat HILLEBRAND (2) eine vollständige Darstellung von BRENTANOs Logik gegeben, die zugleich einen Teil der Diskussion über dieselbe enthält. Seine Schrift ist offenbar dazu bestimmt, die von BRENTANO selbst zwar angekündigte, aber nicht ausgeführte Herausgabe der "Neuen Elementarlehre" zu ersetzen. BRENTANO hat Schule gemacht. Man kann seine Logik die österreichische nennen und sie der englischen der quantifizierenden Logiker an die Seite stellen.


2. Kurze Übersicht über
Brentanos Neuerungen in der Logik

BRENTANOs "Psychologie" will eine neue Einteilung der psychischen Vorgänge begründen. Er unterscheidet als deren drei Hauptklassen: Vorstellen, Urteilen und die Erscheinungen der Liebe und des Hasses. Er stellt also das Urteilen als eine besondere Funktion dem Vorstellen gegenüber. Das Wesen des Urteilens besteht ihm im Anerkennen oder Verwerfen eines Vorstellungsinhaltes. Das Urteil kann sich auf jeden beliebigen Inhalt erstrecken. Dieser ist als seine Materie anzusehen, welcher Anerkennung oder Verwerfung die Form des Urteils geben. Da alle anderen Unterschiede der Urteile nach BRENTANO nur ihre Materie betreffen, so sind das affirmative [zustimmende - wp] und das negative die beiden einzigen Arten des Urteils.

Dasselbe besteht also nicht in einer Verbindung von Vorstellungsinhalten und setzt auch keine Mehrheit von Vorstellungen voraus. Ein einfacher Inhalt kann ebensogut beurteilt werden, wie ein zusammengesetzter. Die Unterscheidung von Subjekt und Prädikat wird also hinfällig. Die Quantität wird in die Materie verwiesen. Die eingliedrige Form der Existentialsätze kann allen Urteilen gegeben werden. Sie ist die dem waren Wesen des Urteils entsprechende Form. In ihr enthüllt sich die eigentliche Bedeutung der Urteile, deren Erkenntnis zu ganz neuen Lehren über die Urteile und Schlüsse führt.

BRENTANO vermeint nachweisen zu können, daß die seit ARISTOTELES gültigen Folgerungen und Schlüsse zum großen Teil fehlerhaft oder bedeutungslos sind. Von allen unmittelbaren Folgerungen läßt er nur die ad contradictoriam zu. Von den Schlüssen aus zwei Prämissen sind viele nach ihm hinfällig. Die wichtigsten Gesetze der hergebrachten Syllogistik erklärt er für falsch. So gibt es nach ihm gültige Schlüsse mit vier Terminis, ja "die streng verpönte Quaternio terminorum wird geradezu zum Gesetz erhoben." Jetzt heißt es statt ex mere negativis: es mere affirmatis nihil sequitur [aus negativen oder positiven Obersätzen in Schlüssen folgt nichts - wp]. Das Diktum de omni et nullo [Alles und Nichts - wp] wird von ihm verworfen. Die herkömmliche Scheidung der Syllogismen nach den vier Figuren wird als unwesentlich hingestellt. Der Satz der Identität soll identisch mit dem Satz des Widerspruchs sein. In der Tat, wie man sieht, ein vollkommener Umsturz der bisherigen Logik.

Diese aber unterscheidet, wie bekannt, als gleichberechtigte Formbestimmungen der Urteile Quantität, Qualität, Relation und Modalität. Die englischen Logiker HAMILTON, JEVONS, BOOLE haben die Qualifikation des Prädikats eingeführt und die Urteile in Gleichungen zwischen Subjekt und Prädikat verwandelt. Ihre Logik ist eine durchaus quantitative. Man kann BRENTANOs Logik eine qualitative nennen. Die Engländer wollten die aristotelische Logik vervollständigen, ihr mathematische Eleganz und Sicherheit verleihen. Sie erkennen aber die hergebrachte Grundlage durchaus an. BRENTANO will alles neu machen. Ist sein Umsturz aber berechtigt? Ist das, was er an die Stelle des Alten setzt, haltbar und brauchbar? Entspricht seine Reform den großen Ansprüchen, mit denen sie auftritt? Ist die aristotelische Logik von BRENTANO beseitigt? -

Man hat bereits vielfältige Einwendungen gegen BRENTANO gemacht und unter ihnen durchaus stichhaltige. Aber das scharfsinnige Spiel seiner Gedanken verführt selbst seine Gegner. Es ist deshalb wohl der Mühe wert, das Prinzip der logischen Irrtümer BRENTANOs völlig deutlich zu machen und den täuschenden Schein, der für sie einnimmt, zu zerstören.


II. Brentanos Urteilsformen
3. Die von Brentano eingeführten Formen der Urteile

Von allen Beweisen, die BRENTANO für seine neuen Lehren gibt, ist keiner so täuschend, wie seine Zurückführung aller Urteile auf die eingliedrige oder existentiale Form. Man hat daran Anstoß genommen. Es klingt in der Tat schwerfällig, wenn man etwa "Die Rose ist eine Blume" ersetzen würde durch "Die Unterordnung der Rose unter die Gattung Blume ist." Aber es kommt hier nicht auf die sprachliche Gefälligkeit, sondern auf die logische Richtigkeit und Bedeutung an. Ein jedes Urteil hat Qualität. Man kann das Bejahen oder Verneinen die Qualifikation eines Urteils nennen. Es ist die Hauptbedeutung der Kopula, des "ist" und "ist nicht", das Urteil zu qualifizieren. Daher können "M + = M ist" und "M - = M ist nicht" als angemessene und richtige Formeln gebraucht werden. Indem die Kopula an das Ende des Satzes gestellt wird, büßt sie freilich ihren kopulierenden Charakter ein, ihr qualifizierender aber wird dadurch hervorgekehrt, und das ist ein Fehler.

Die althergebrachte Logik teilt die Urteile außer nach der Qualität auch nach der Quantität ein. So ergeben sich die vier bekannten Klassen:
    - das universal-affirmative, Alle S sind P (a);

    - das partikulär-affirmative, Einige S sind P (i);

    - das universal-negative, Kein S ist P (e),

    - das partikulär-negative, Einige s sind nicht P (o).
Von diesen vier Arten gehen zwei, nämlich (i) und (o) ohne Schwierigkeit in die neuen Formen M + und M - ein. Die Formel für (i) wird SP +, für (e): SP-. Ein zweigliedriges Urteil von der Form "(i) ist" z. B.: Einige Menschen sind gelehrt. Dafür läßt sich eingliedrig setzen: Es gibt gelehrte Menschen. Ebenso läßt sich (e): "Kein Mensch ist fehlerfrei" umwandeln in "Fehlerfreie Menschen gibt es nicht."

Dagegen gelingt es nicht ohne weiteres, aus den Formeln für (a) und (o) die Bezeichnung der Quantität fortzuschaffen. Denn es entsteht eine Zweideutigkeit, wenn man etwa für das Urteil (a) "Alle Menschen sind sterblich" einsetzen wollte: "Alle sterblichen Menschen sind". Es kann also die eingliedrige Formel für (a) nicht lauten: Alle SP +. Auch würde dann die Quantität noch als zur Form und nicht als zur Materie gehörig erscheinen. Hier hilft sich BRENTANO nun in der Weise, daß er das Urteil (a) in ein solches verwandelt, welches die gewöhnliche Logik als die äquipollente [gleichbedeutend, aber verschieden formuliert - wp] Folgerung aus (a) bezeichnet. Er stetzt nämlich für "Alle S sind P": Es gibt nicht S, das Nicht-P wäre". "Es gibt keinen unsterblichen Menshen" ist nach BRENTANO der wahre Sinn und die logisch richtige Form des Satzes: "Alle Menschen sind sterblich." Die Formel hierfür ist Sp-, wo p das kontradiktorische Gegenteil von P, also Non-P, bezeichnet. Beim Urteil (o) wendet BRENTANO eine ähnlich Umformung an. Er verwandelt "Einige S sind P" in: "Es gibt s, welche Nicht-P sind". Die Formel hierfür ist Sp +. Dadurch soll aus dieser Urteilsart die Qualität beseitigt und ihr eine rein qualitative, ihrem wahren Sinn entsprechende Form gegeben sein.

Zweierlei ist an dieser Umformung auffällig: ersten die Einführung negativer (kontradiktorischer) Begriffe, zweitens die Umkehrung der Qualitäten bei den Urteilen (a) und (0), und die Behauptung, daß der logische Wert dieser Urteile dadurch nicht geändert wird. Wir prüfen zuerst, ob der eigentliche Sinn des nach der gewöhnlichen Logik partikulär-negativen Urteils affirmativ ist und durch ein Urteil von derm Form Sp + angemessen und richtig ausgedrückt werden kann.


4. Das partikulär-negative Urteil
bei Brentano

Ein von BRENTANO vorzüglich betonter und in der Tat für die Logik sehr wichtiger Grundsatz kann folgendermaßen ausgedrückt werden: Das bejahende Urteil über eine zusammengesetzte Materie setzt voraus, daß die Bestandteile derselben gültige Begriffe sind; in einem verneinenden Urteil aber brauchen die Bestandteile keine gültigen Begriffe zu sein. Wir wenden diesen Grundsatz auf das partiulär-negative Urteil an. Ein solches ist in der Form der gewöhnlichen Logik: "Einige Hexen sind gefährlich". Nach BRENTANO würde die den wahren Sinn dieses Satzes ausdrückende Form sein: "Es gibt ungefährliche Hexen (Sp +). Aus diesem bejahenden zusammengesetzten Urteil aber würde nach BRENTANO die Anerkennung des in ihm enthaltenen Begriffs der "Hexe" folgen. Somit kann derjenige, welcher diesen Begriff verwirft, auch jenen bejahenden Satz nicht aussprechen. Dagegen hindert ihn nichts, sich des negativen Urteils "Einige Hexen sind nicht gefährli" zu bedienen. Für dieses negative Urteil, das sehr wohl im Verlauf einer Diskussion vorkommen kann, ist es unmöglich, irgendeinen affirmativen oder sonstigen negativen Satz als gleichwertigen Ersatz einzustellen.

Überhaupt ist für das partikulär-negative Urteil nur dann BRENTANOs Umformung zulässig, wenn die in ihm enthaltenen Begriffe für sich gültig sind und bloß die Beziehung zwischen ihnen negiert wird. Die herkömmliche Logik hat deshalb durchaus Recht, wenn sie keine Folgerung ad aequipollentiam aus den Urteilen dieser Klasse gestattet. Wenn z. B. ÜBERWEG hieran zweifelte und wenn einige andere Logiker die Bedeutung der Klasse (o) haben herabsetzen wollen, so kommt das daher, daß sie den zufälligen Sinn einiger Beispiele ins Auge faßten, anstatt das Auftreten und die Stellung des Urteils (o) im Lauf der Erörterung und im Zusammenhang eines Beweises zu beachten.

Ein zweiter Beweis dafür, daß das partikulär-negative Urteil nicht in ein affirmatives verwandelt werden darf, ergibt sich aus der Betrachtung der induktiven Erörterung in einer Sokratischen Unterhaltung werde etwa die Frage behandelt, ob die Menschen freiwillig schlecht sind. Es möge sich aus der Aufzählung verschiedener Fälle der Satz ergeben haben: "Einige Menschen sind nicht freiwillig-schlecht". Durch Verallgemeinerung entwickelt sich hieraus der Satz: "Kein Mensch ist freiwillig-schlecht". Nun ist es aber unmöglich, durch die Verallgemeinerung eines affirmativen Satzes zu einem allgemein-negativen zu kommen. BRENTANO aber erkennt den letzteren an und verwirft seine affirmative Umformung. Denn diese könnte nur lauten: "Alle Menschen sind unfreiwillig-schlecht." Dafür aber setzt BRENTANO: Es gibt keinen freiwillig-schlechten Menschen". Er stimmt also mit sich selbst nicht überein, wenn er das partikulär-negative Urteil durch ein affirmatives ersetzt. Seine Umformung desselben aber muß, mit einem HILLEBRAND entnommenen Ausdruck, als "eine schlechte Übersetzung" bezeichnet werden.


5. Das universal-affirmative Urteil bei Brentano

Unter einer Äquivalenz zweier Urteile ist ihre logische Gleichwertigkeit zu verstehen, auf welche sich dadurch die Probe machen läßt, daß man ohne Änderung des Sines das eine für das andere einsetzen kann. Hingegen findet bei einer Folgerung auch immer eine inhaltliche Änderung statt. Dies erkennt man daraus, daß die Folgerung nicht umgekehrt, von der Folge zur Voraussetzung stattfinden kann. Wenn die gewöhnliche Logik eine Folgerung ad aequipollentiam kennt, so ist dieser Ausdruck nicht glücklich gewählt, weil er etwa dasselbe wie Gleichwertigkeit bedeutet, eine richtige Folgerung aber nie ihrer Voraussetzung gleichwertig sein kann. Die sogenannte äquipollente Folgerung ist aber in der Tat eine wirkliche Folgerung. Wenn aus dem Satz "Alle S sind P" gefolgert wird: "Kein S ist Nicht-P", so ist hier der gefolgerte Satz insofern vom vorausgesetzten verschieden, als dieser, der vorausgesetzte, die Gültigkeit seiner Elemente einschließt, was jener nicht tut.

Wenn nun BRENTANO alle Urteile der Klasse (a) in "Sp -" umwandelt, so gibt er ihnen eigentlich keine äquivalente Form, sondern nur eine gefolgerte. Er hat dies übersehen, weil er sich den Unterschied von Gleichwertigkeit und Folgerung nicht deutlich gemacht hat. Der logische Fehler, der bei dieser Umformung gemacht wird, ist freilich geringer als der, welcher in der Darstellung des negativen Urteils der Klasse (o) durch die Form Sp + begangen wird. Denn hier liegt nicht einmal eine richtige Folgerung, geschweige denn eine äquivalente Umformung vor.


6. Brentanos Doppelurteile

Der Mangel der Äquivalenz bei der Umformung von (a) in "Sp -" wurde auch von BRENTANO bemerkt. Er fand nämlich, das außer in vielen Sätzen von der Form "Alle S sind P", besonders im singulären Urteil (Beispiel: Sokrates ist ein griechischer Philosoph; diese Planze ist nicht giftig), das im Übrigen sich wie die universalen verhält, die Gültigkeit von S nicht gleichgültig ist, sondern für die Gültigkeit des Urteils ausdrücklich vorausgesetzt wird. Soll dies nun in BRENTANOs Form dieser Urteile, welche Sp - lautet, zum Ausdruck kommen, so bleibt nichts übrig, als ein zweites Urteil "S +" hinzuzusetzen, welches die Gültigkeit von S ausdrücklich anerkennt. Solche Urteile nennt BRENTANO Doppelurteile.

Bei der Erörterung derselben verwickelt sich ihr Entdecker in eigentümliche Schwierigkeiten, die man bei HILLEBRAND, a. a. O., Seite 95f nachlesen kann. Das Bemerkenswerteste dabei ist, daß für die Doppelurteile eine Definition aufgestellt wird, die der Definition des Urteils in der so verpönten gewöhnlichen Logik überraschend ähnlich sieht. Es heißt da: "Ein Doppelurteil findet sich überall dort vor, wo einem als seiend anerkannten Inhalt irgendeine Bestimmung zu- oder abgesprochen wird." Dem wird ausdrücklich hinzugefügt, daß sich das Doppelurteil nicht in zwei einfache Urteile in BRENTANOs Form auflösen läßt, sondern in einer eigentümlichen Verbindung der beiden besteht. Das Doppelurteil ist somit notwendig zweigliedrig und seine beiden Elemente stehen in einem Verhältnis von Subjekt und Prädikat. Das Wesen des Doppelurteils besteht also nicht in der Anerkennung oder Verwerfung eines Inhalts, sondern in dem "Zu- oder Absprechen einer Bestimmung".

Aber nicht genug damit, daß hier bei den Doppelurteilen der Hausrat der alten Logik, die Zweigliedrigkeit, die Relation zwischen Subjekt und Prädikat fröhlich wieder einzieht: auch die in der neuen vereinfachten Logik beseitigten Form und Gesetze der Folgerungen Schlüsse treten nun wieder voll in Kraft. So klafft BRENTANOs Urteilslehre in zwei unvereinbare Teile auseinander. Denn entweder sind die Doppelurteile keine einheitlichen Urteile, sondern, was aber ausdrücklich geleugnet wird, bloße konjunktive Urteile, oder es gibt in dieser Logik zwei Definitionen für den Begriff des Urteils, die sich nicht miteinander vereinen lassen, von denen also nur eine wahr sein kann.

Ist nicht vielleicht die alte Logik doch im Recht? Sollten nicht vielleicht alle Urteile in Wahrheit BRENTANOs Doppelurteile sein und aus Subjekt und Prädikat bestehen? -


7. Negative Begriffe und die
Quantität in Brentanos Urteilen

Um dem universal-affirmativen und dem partikulär-negativen Urteil eine äußerlich rein qualitative Form zu geben, ist BRENTANO genötigt, sich der negativen (kontradiktorischen) Begriffe zu bedienen. Außerdem macht er von ihnen auch in der Lehre von den Folgerungen und den Schlüssen vielfältige Anwendung. Er unterläßt es aber, die Berechtigung zu ihrem Gebrauch nachzuweisen. Er hat sie offenbar einfach der althergebrachten Logik entnommen, die bekanntlich in ihrer Lehre von den Urteilen und Schlüssen ebensosehr die Quantität wie die Qualität berücksichtigt. Es fragt sich, ob kontradiktorische Elemente in rein qualitative Urteilsformen hineingehören.

Wenn die Materie, wie BRENTANO behauptet, für die Form der Urteile gleichgültig ist, so sollte sich auch keine Umformung, keine Folgerung, kein Schluß in der Materie bemerkbar machen, sondern nur in der Form. Hiervon jedoch abgesehen wird sich sogleich zeigen, daß BRENTANO entweder überhaupt kein Recht hat, kontradiktorische Begriffe zu folgern, oder daß er sich "implizit" der Quantität in den Formen der Urteile bedient, die er "explizit" in die Materie verweist. Denn wo die Form Sp als Folge aus einem SP auftritt, da bedeutet sie, daß dem S ein Merkmal P abgesprochen ist. Dadurch aber wird S aus der Gattung P ausgeschlossen und der Gattung p eingeschlossen. (Man kann diesen letzten Vorgang nach KANT als Limitation des S bezeichnen.)

Das Absprechen eines Merkmals ist aber durchaus nicht dasselbe, wie die Verneinung im Urteil, sondern ein logischer Prozeß eigener Art, der richtig als Privation bezeichnet wird. Im Hinblick auf den Umfang der Begriffe stellt sich die Privation als Exklusion aus einer Klasse dar. Ein Begriff p = Non-P sollte daher korrekterweise ein privater (oder auch kontradiktorischer) und kein negativer genannt werden. Denn ein Non-P ist durchaus kein Non-existens. Nur ansich ungültige Begriffe können mit Recht negativ genannt werden, insofern die Vereinbarkeit der in ihnen gedachten Merkmale geleugnet werden muß. Die Privation bezieht sich überhaupt gar nicht auf die Qualität eines Urteils, sondern betrifft durchaus seine Quantität. Denn wenn P dem S abgesprochen wird, so vermindert sich dadurch die Zahl seiner Merkmale, und ebenso der Umfang der Gattung P durch die Ausschließung von S. Ein Beispiel wird dies noch deutlicher machen.

Der Satz "Hexen sind nicht gefährlich" negiert die Relation "Gefährlichkeit der Hexen". Für ihre Elemente hat die Leugnung dieser Relation die Bedeutung, daß dem Begriff "Hexe" das Merkmal der "Gefährlichkeit" abgesprochen und ebenso die Spezies "Hexe" aus der Gattung des "Gefährlichen" ausgeschlossen wird. Wenn aber hieraus (freilich nur, wie gezeigt wurde, durch eine unrichtige Folgerung) die Relation "ungefährliche Hexen" entwickelt wird, so wird dadurch der Begriff "Hexe" um ein Merkmal vermehrt und die Spezies "Hexe" der Gattung des "Ungefährlichen" eingeordnet. Diese Umformung aber betrifft die Quantität der Elemente und somit des Urteils, nicht aber seine Qualität.

Wenn HILLEBRAND (a. a. O., Seite 95) an JEVONS die Frage richtet, woher dieser die negativen Begriffe gewinnt, so sollte er diese Frage auch an sich selbst und an BRENTANO richten. Die "negativen" Begriffe sind in den Folgerungen und Schlüssen BRENTANOs nichts als eine unerlaubte und inkonsequente Entlehnung aus der althergebrachten Logik; es sei denn, daß in der neuen Logik die Quantität nicht nur "implizit", sondern auch "explizit" als notwendige Formbestimmung der Urteile anerkannt wird.


III. Das Wesen der Qualität im Urteil
und der Begriff der Existenz

8. Eingliedrige und zweigliedrige Sätze

BRENTANO führt nicht nur äußerlich alle Urteile in die eingliedrige, existentiale Form über, sondern er behauptet auch, daß jedes Urteil dem Sinn nach einem Existentialsatz gleichzusetzen ist. Der Existentialsatz ist ihm also der Typus des Urteils. Diese Ansicht stellt die Auffassung der gewöhnlichen Logik auf den Kopf. Denn diese sieht den Existentialsatz wie ein zweigliedriges Urteil an und sucht in ihm Subjekt und Prädikat zu unterscheiden.

Rein sprachlich betrachtet, unterscheidet sich die eingliedrige Form "M ist" on der zweigliedrigen "S ist P", abgesehen davon, daß in jener das Prädikat zu fehlen scheint, dadurch daß das "ist bzw. "ist nicht", die affirmative oder negative Kopula, dort einen prägnanten, in stärkerer Betonung sich ausdrückenden Sinn zu haben scheint, während ihr verbindender, kopulierender Charakter im Existentialsatz scheinbar verloren ist. Die Prägnanz der Kopula, die gleichsam den Mangel eines ausgesprochenen Prädikats ersetzt, indem sie auf ein solches hindeutet, läßt in sprachlicher Hinsicht den Existentialsatz als einen unvollständigen, prädikatlosen Satz erscheinen. In den sogenannten "Impersonalien", den Sätzen von der Form "es ist dunkel", liegt eine zweite Art unvollständiger Sätze vor, in denen aber das eigentliche Subjekt fehlt, das in ihnen durch das hindeutende "es" ersetzt wird. Die Impersonalien sind also als "subjektlose Sätze" zu bezeichnen.

In den unvollständigen Sätzen ist der mangelnde Satzteil jedesmal in dem vorhandenen "involviert" oder eingeschlossen und aus ihm zu entnehmen. Im prädikatlosen oder Existentialsatz subsistiert das Prädikat, im subjektlosen inhäriert das Subjekt. In den unvollständigen Sätzen hat die Kopula ihren verbindenden Charakter äußerlich verloren, weil der eine der beiden zu verbindenden Teile fehlt oder nur durch ein seine Stelle ausfüllendes inhaltsloses Formwort ersetzt wird. Sie behält in diesen Sätzen dagegen ihre Eigenschaft zu bejahen oder zu verneinen. Sie hat hier ausschließlich einen qualifizierenden Charakter, indem sie die Qualität des Urteils bezeichnet.

In der Form BRENTANOs fällt der Unterschied vollständiger und unvollständiger Sätze fort. Die zweigliedrigen oder vollständigen Sätze verwandeln sich in eingliedrige. Die Unterscheidung von Subjekt und Prädikat, und damit auch die subjektloser und prädikatloser Sätze wird bedeutungslos. Der unvollständige oder eingliedrige Satz wird zu einem solchen mit einfacher Materie, der vollständige, aus Subjekt und Prädikat bestehend, zu einem solchen mit zusammengesetzter Materie. Die Kopula hat nirgends mehr die Bedeutung zu verbinden, sondern ist nur noch ein Qualitätszeichen.


9. Das Wesen der Qualität
im zweigliedrigen Urteil

Was soeben dargestellt wurde, ist der sprachliche Tatbestand. Derselbe ist nun in logischer Hinsicht zu untersuchen. Zunächst muß zugegeben werden, daß die Umformung, welche BRENTANO vornimmt, ansich nicht anstößig ist. Man hat behauptet, daß ein Fehler derselben in der Vielsinnigkeit der Kopula liegt. Es sei ein Unterschied im "Sein", wenn man es von "Gott" oder von der "Freiheit" oder von der "Kausalität zwischen Blitz und Donner" oder von der "Unterordnung der Rose unter die Gattung der Blume" aussagt. Noch abweichender wird scheinbar der Sinn des "Seins", wenn es von einem Mangel oder gar von einer Unmöglichkeit ausgesagt wird. In sprachlicher Hinsicht kann man freilich von einer Vielsinnigkeit der Kopula sprechen, die sich in ihrer prägnanten Form verbirgt. In logischer Beziehung aber liegt die Vielsinnigkeit nicht in der Kopula, sondern in der Materie, weil dieser jedesmal zu entnehmen ist, in welchem Sinne das Sein gemeint ist. In der einen Beziehung, daß sie das Urteil qualifiziert, hat sie überall dieselbe Bedeutung. Deshalb ist es aber auch berechtigt, allen Urteilen eine Form zu geben, in welcher der Qualitätscharakter der Kopula deutlich zu Tage tritt.

Die logische Untersuchung bedient sich dieser Form, um das Wesen der Qualifizierung deutlich zu machen. Dasselbe enthüllt sich zunächst und unmißverständlich in den Urteilen mit zusammengesetzter Materie. An dieser ist offenbar das Kompositum als Ganzes von der Komposition oder besser der Relation der Elemente zu unterscheiden. Es macht einen Unterschied, ob man "Gottes Güte", "den gütigen Gott", "die göttliche Güte" als Ganzes ins Auge faßt, oder die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen den Begriffen "Gott" und "Güte" richtet. Nur die letztere aber, die Relation zwischen den Begriffen,kann man vernünftigerweise bejahen oder verneinen. Und um dies auszudrücken, benutzt die Sprache die zweigliedrige Form: "Gott ist gütig" bzw. "Gott ist nicht gütig". In dieser Form bedeutet die Kopula nicht nur die affirmative oder negative Qualität des Urteils, sondern bezeichnet zugleich durch ihre Stellung zwischen den Begriffen, daß die beiden in Relation zueinander gesetzt sind, und daß sich auf diese ihre Relation die Bejahung oder Verneinung bezieht. Dagegen ist es geradezu abgeschmackt, von einem bejahten oder verneinten Gegenstand zu sprechen. "Gottes Güte" oder "der gütige Gott" oder "die göttliche Güte" können nicht als Ganzes bejaht oder verneint werden. Wenn die Sprache aber den Satz bildet "die göttliche Güte ist", so spricht das nicht dagegen, sondern bestätigt nur, wie sich sogleich zeigen wird, daß Bejahung oder Verneinung nur Relationen zukommen, daß die Qualität im Urteil die Relation seiner Elemente betrifft. (3)


10. Das Wesen der Qualität im
eingliedrigen Urteil

Wenn die Materie eines Satzes dem Wortlaut nach einfach ist, wie in dem Satz "Gott ist", so wird doch unter dem Begriff "Gott" eine Mehrheit von Merkmalen und deren Beziehung zueinander gedacht; und genauso wie in der zusammengesetzten Materie ist hier zu unterscheiden das Ganze oder die Einheit der Merkmale von der Zusammensetzung oder Relation dieser Merkmale zueinander. Dies gilt aber auch von solchen Sätzen wie "ein gütiger Gott ist". Hier ist in logischer Hinsicht gar keine zusammengesetzte, sondern eine einfache Materie. Die Mehrheit der Wörter ist kein Hindernis für die Einheit des Begriffs. Es ist vielmehr eine arge Unklarheit und Äquivokation in der Logik der Schule BRENTANOs daraus entstanden, daß dort der bloß sprachliche Unterschied, ob die Mehrheit der Merkmale, welche einen Begriff ausmachen, ausdrücklich im Satz ausgesprochen oder nur stillschweigend hinzugedacht wird, mit dem logischen Unterschied verwechselt wird, ob an die Relation der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Merkmale eines Begriffs oder an ihre Einheit gedacht wird.

Wenn nun, woran doch der gesunde Menschenverstand keinen Augenblick zweifelt, Bejahung und Verneinung nur die Relation der Elemente betreffen, so fragt sich, welche Relation denn in eingliedrigen, von der Grammatik als unvollständig bezeichneten Sätzen bejaht oder verneint wird. Offenbar muß die qualifizierte Relation zwischen den Merkmalen der Materie des Urteils bestehen. Also bedarf es, um sie zum vollständigen Ausdruck zu bringen, einer Analyse der Materie. Es möge dies an einigen Beispielen erläutert werden. Wenn der Satz lautet: "Es gibt keine Willensfreiheit", so ist die negierte Relation sehr leich zu einem vollständigen Ausdruck zu bringen, weil die wesentlichen Merkmale der Begriffe im Wort selbst deutlich enthalten sind. Dieser Satz negiert offenbar die Relation "freier Wille", und heißt in zweigliedriger Form: "Der Wille ist nicht frei". In dem Satz: "Es gibt keine Zauberinnen" findet man als Erklärung des Begriffs "Zauberin": "Keine Frau kann zaubern." Heißt der Satz: "Es gibt Mondbewohner", so ist das subsistierende Prädikat "bewohnt", und das Satz lautet vollständig: "Der Mond ist bewohnt". In allen vorangehenden Beispielen subsistiert das Prädikat auch äußerlich, d. h. im Wort selbst; wo dies nicht der Fall ist, da kann es zunächst zweifelhaft sein, welche Relation qualifiziert wird. Damit aber der Satz dem Hörer verständlich ist, ist es ausgeschlossen, daß unwesentliche Merkmale die zu beurteilende Relation ausmachen. Die wesentlichen Merkmale eines Begriffs aber sind in seiner Definition enthalten, und somit enthält der unvollständige Satz häufig eine Qualifizierung der in der Definition seiner Materie enthaltenen Relation von Mermalen. Zum Beispiel ist die Definition des "Wunders": "ein Ereignis übernatürlichen Ursprungs". Deshalb bedeutet der Satz: "Es gibt Wunder" gewöhnlich: "Manche Ereignisse sind übernatürlichen Ursprungs".


11. Die allgemeinsten Merkmale eines Begriffs als
Prädikate im eingliedrigen Urteil

Indessen wird gewöhnlich dem Hörer nicht zugemutet, gerade die unterscheidenden Merkmale aus dem Begriff herauszulösen und deren Relation zu vollziehen, sondern weitaus am häufigsten richtet sich die Bejahung oder Verneinung auf die Relation zu den allgemeinsten Merkmalen, die Begriffe überhaupt haben können, und die eben wegen ihrer Allgemeinheit nicht mit ausgedrückt zu werden brauchen.

Nun ist das allgemeinste Merkmal aller Begriffe, die es überhaupt gibt, die Vorstellbarkeit. Denn alles, was immer Gegenstand unseres Gespräches und unseres Denkens ist, muß vorgestellt, also für den Hörer vorstellbar sein. Dieses Merkmal aber ist zu allgemein, als daß es das im unvollständigen Satz ausgelassene Prädikat sein könnte. Denn ein Satz hat in der Regel nicht den Zweck, Selbstverständliches auszusagen. Dei Vorstellbarkeit ist aber entweder Wahrnehmbarkeit oder Denkbarkeit. Jene ist unmittelbar, wenn der Gegenstand als den Sinnen gegenwärtig vorgestellt wird, mittelbar aber, wenn der Gegenstand nur durch seine Wirkungen wahrnehmbar ist. Mittelbare Wahrnehmbarkeit kann daher passend als Wirklichkeit bezeichnet werden. Im weiteren Sinn aber heißt so die Wahrnehmbarkeit überhaupt. Denn was unmittelbar wahrnehmbar [enoch] ist, ist es auch mittelbar. Die Denkbarkeit eines Begriffs ist eine innere oder materielle dann, wenn dessen Merkmale widerspruchslos zusammenstimmen; sie ist bloß formal oder äußerlich, wenn er bei mangelnder Widerspruchslosigkeit seiner Merkmale nur in der Form eines Begriffs gedacht wird, indem ihm eben dieses Merkmal, zumindest ein Begriff zu sein, beigelegt wird. Ein Begriff, der ohne Widerspruch gedacht werden kann, heißt ein gültiger Begriff. Wenn ein Begriff eine bloße formale Denkbarkeit besitzt, so ist dies eine Bestimmung, die mit Vorstellbarkeit überhaupt zusammenfällt. Es hat ebensowenig Interesse, die bloße formale Denkbarkeit wie die Vorstellbarkeit überhaupt von einem Gegenstand oder Begriff auszusagen. Es bleiben also als zwar allgemeine aber nicht selbstverständliche Merkmale, nach denen bei jedem Begriff gefragt werden kann, die Wahrnehmbarkeit oder Wirklichkeit und die Widerspruchslosigkeit oder Gültigkeit. Ohne Schwierigkeit können sie aus jedem Begriff herausgelöst und ausdrücklich ihm beigelegt oder abgesprochen werden. Die Sprache wird also nicht unverständlich, wenn sie Sätze bildet, die durch den Mangel eines dieser allgemeinsten Prädikate unvollständig sind und durch eine prägnante Kopula auf eine Ergänzung hindeuten. In dem Satz "Gott ist" z. B. bejaht man die Denkbarkeit (Gültigkeit) dieses Begriffs und die Wahrnehmbarkeit seiner Substanz, zumindest die mittelbare, durch seine Wirkungen. Sagt man "Es gibt Wunder", so bedeutet dies die Bejahung der Denkbarkeit dieses Begriffs und vielleicht auch der Wirklichkeit wunderbarer Ereignisse. Das Gleiche gilt von der Behauptung "Die Freiheit ist" und von allen Beispielen derartiger Sätze, die sich überhaupt nur auffinden lassen.


12. Der Begriff der Existenz

Es wurde bemerkt, daß das Merkmal der Vorstellbarkeit allen Vorstellungsinhalten selbstverständlich zukommt, und daß es deshalb im allgemeinen zwecklos ist, es auszusagen oder auch nur es explizit zu denken. Immerhin aber kann für die bloß formale Betrachtung dem Satz "A ist" auch der Sinn gegeben werden "A ist vorstellbar". In diesem Fall aber verliert die Kopula ihre Prägnanz insofern, als sie jetzt auf ein ganz selbstverständliches Merkmal hinweist.

Dem Begriff der Vorstellbarkeit ist der des "Seins" oder der "Existenz" gleichzusetzen. Derselbe wird häufig mit dem Begriff der Realität verwechselt. Diese aber bezeichnet die Wahrnehmbarkeit eines Gegenstandes oder auch die Denkbarkeit (Widerspruchslosigkeit) eines Begriffs. Aber man muß es festhalten, daß auch das, was weder unmittelbar noch mittelbar wahrnehmbar ist und selbst das, dessen Begriff einen Widerspruch einschließt, ist oder existiert, eben als Vorstellungsinhalt. Denn wenn es nicht irgendwie vorgestellt würde, so könnte überhaupt nicht von ihm gesprochen werden. Also existiert oder ist auch das Nicht-Reale in diesem Sinne ebenso gut wie das Reale.

Das Nicht-Reale hat aber auch eine Art von Denkbarkeit, nämlich die künstliche oder bloß formale. Denn wenn auch geleugnet werden muß, daß ein widerspruchsvoller Begriff denkbar ist, so behaupten wir doch damit, wenngleich auf künstliche Weise, daß er undenkbar oder ein Unbegriff ist. Indem wir uns aber der Unbegriffe geradeso bedienen wie der Begrife, geben wir ihnen in formaler Hinsicht das Merkmal eines Begriffs überhaupt. Dadurch werden Nicht-Realitäten formal denkbar. Diese formale Denkbarkeit kann auch als bloß logische Existenz bezeichnet werden.

Alle Existenzen zerfallen somit in Realexistenzen (diskursiver, intuitiver und diskursiv-intutitiver Art) und in logische Existenzen. Die Behauptung einer bloß logischen Existenz ist aber zwecklos, weil sie eine bloße Tautologie aussagt, und weil sie gar nicht bestritten werden kann. Denn weil es der Willkürlich überlassen ist, ob man einem Vorstellungsinhalt die Form eines Begriffs geben will, so kann nicht geleugnet werden, daß derselbe formal denkbar ist. Man bezeichnet die Behauptung der logischen Existenz eines Begriffs als die bloße Position desselben. Dieselbe kann nicht als eigentliches Urteil gelten, weil sie keine eigentliche Affirmation enthält; denn der letzteren muß immer die Möglichkeit einer Negation gegenüberstehen. Die bloße Position ist kein Urteils- sondern ein Willensakt. Ihre Bedeutung besteht darin, eine Aufforderung zu geben, den betreffenden Inhalt vorzustellen. Sie liefert also das Daatum oder das Element zu einem Urteil. Sie findet ihre eigentliche Anwendung da, wo es sich um die Formulierung eines nicht-realen Begriffs handelt.

Einige Beispiele hierfür. "Hölzernes Eisen" ist ein bekannter nicht-realer oder Unbegriff. Indem wir ihn aber aussprechen, stellen wir sowohl an uns selbst wie auch an Andere die Aufforderung, diesen Begriff vorzustellen. Da er aber durchaus nicht materiell denkbar und noch weniger wahrnehmbar ist, so entsteht das Urteil: "Hölzernes Eisen ist ein Unbegriff". In diesem Urteil hat das Subjekt eine zumindest formale Denkbarkeit, indem ihm das Merkmal, ein Unbegriff zu sein, beigelegt wird. In dieser Hinsicht hat also "hölzernes Eisen" auch Existenz, aber eine bloß formale, logische. - Im gleichen Sinn kann man auch sagen: "Das Nichts ist". Denn obwohl das ursprüngliche Urteil lautet: "Das Nichts ist weder denkbar noch wahrnehmbar", so bilden wir doch hieraus den Begriff der Irrealität und limitieren nun das Nichts als Irrealität, wodurch ihm eine formale Existenz beigelegt wird, die im Satz "Das Nichts ist" ihren Ausdruck finden kann. Daß es möglich und nützlich ist, diesen äußersten Unbegriff des Nichts sogar noch zu spezifizieren, d. h. in Arten zu zerlegen, lehrt KANT in seiner Tafel der Arten des Nichts (Kr. d. r. V., Ausgabe KEHRBACH, Seite 259). Aber nicht nur zu philosophischen Zwecken, sondern auch insbesondere für den Aufbau und den Fortschritt der Mathematik ist die Formulierung und Position irrealer Begriffe unentbehrlich.


13. Die Qualität des Urteils bei Brentano

Im Vorangehenden ist eine rein logische Auseinandersetzung gegeben über das Wesen der Qualität im Urteil, den logischen Gehalt des Existentialsatzes und den Begriff der Existenz. Es ist jetzt zusammenfassend auf die Lehren BRENTANOs und seiner Schule über diese Gegenstände einzugehen. Vorweg mag bemerkt werden, daß BRENTANOs Verquickung logischer und psychologischer Fragen eine bestimmte Entscheidung sehr erschwert. Die Erörterung ist daher in den verschiedenen Schriften, die sich mit diesen Fragen beschäftigen, bisweilen recht weitläufig und recht spitzfindig geworden. Das liegt zum Teil an der andeutenden, rätselhaften Weise, in der BRENTANO zuerst seine Lehren bekannt gemacht hat, zum Teil daran, daß er die letzte Tendenz seiner Behauptungen verbirgt, und endlich daran, daß die Ausdrücke, deren er sich bedient, zweideutig und mißverständlich sind.

Das Letztere gilt vor allem von den Namen, mit welchen BRENTANO das Wesen der Urteilstätigkeit zu kennzeichnen meint: Anerkennung und Verwerfung. Was unter "Anerkennen" und "Verwerfen" gewöhnlich verstanden wird, steht den Willens- und Gefühlsäußerungen der Billigung und der Mißbilligung, der willkürlichen Zustimmung und Ablehnung viel näher als dem rein theoretischen Verhalten, wie es das echte, nur Erkenntnis und Wahrheit bezweckende Urteil verlangt. In der Philosophie sind zweideutige und undeutliche Ausdrücke gefährlicher und irreführender als in irgendeiner anderen Wissenschaft. Deshalb dürfen "Bejahung" und "Verneinung" nicht durch die von BRENTANO gewählten Ausdrücke ersetzt werden. Denn Affirmation und Negation sind wenngleich auch sie ursprünglich willkürliche Zustimmung und Ablehnung bedeuten, doch die Ausdrücke, deren sich die Logik von jeher bedient hat, um die reine und echte qualifizierende Urteilstätigkeit zu bezeichnen.

Wenn man an diesem althergebrachten Wortgebrauch festhält, so vermeidet man auch am ehesten den ersten und wichtigsten Fehlschritt von BRENTANOs Lehre, der, wie wiederholt auseinandergesetzt ist, darin besteht, daß dieselbe Affirmation und Negation nicht nur von Relationen, sondern auch von gegenständlichen Vorstellungsinhalten annimmt. Die Frage muß immer wiederholt werden: Was ist denn eigentlich ein affirmierter, ein negierter Gegenstand? - Jeder versteh, was es heißt, die Gleichheit zweier Dreiecke, die Eigenschaft eine Rose rot zu sein, zu affirmieren oder zu negieren. Niemand aber wird ohne künstliche Vernünftelei verstehen, wenn von einem bejahten oder verneinten Dreieck, einer bejahten oder verneinten Rose gesprochen wird. Auch die Gleichheit als solche oder die Eigenschaft als solche kann weder bejaht noch verneint werden, sondern immer nur das Gleichsein vergleichbarer Gegenstände, das Beschaffensein einer Eigenschaft an einem Ding.

Wenn BRENTANO in der Qualifizierung, im Bejahen und Verneinen, eine eigentümliche psychische Tätigkeit sieht und dasselbe als eine besondere Klasse zwischen das Vorstellen und die Gemütsbewegungen stellt, so gehört diese Unterscheidung nicht in die Logik, sondern in die Psychologie. Denn die Logik hat es mit den Formbestimmungen der Urteile zu tun, sofern dieselben den Zwecken der Erkenntnis dienen, nicht aber mit der Bestimmung der Tätigkeiten, durch die Urteile vollzogen werden. Wenn übrigens BRENTANO darin Recht hat, daß im Bejahen und Verneinen ein vom Vorstellen verschiedenes Verhalten des Geistes zu spüren ist, so fragt sich doch, ob nicht auch das fragende und unentschiedene Verhalten dem Bejahen und Verneinen an die Seite zu stellen ist. Und diese Frage findet dadurch keine Beantwortung, daß man etwa sagt, in der Frage und in der unentschiedenen Überlegung fehlt das Urteil und werde bloß vorgestellt. Keinesfalls sind diese Zustände ein bloßes Vorstellen, noch kann sie die Abwesenheit des entschiedenen Urteils ihrer Art nach kennzeichnen. Es ist ferner durchaus nicht nötig, daß die psychologische Analyse beim Bejahen und Verneinen als letzten, nicht weiter zu zergliedernden Erscheinungen halt macht. Eigentümliche Gefühle, zum Beispiel das einer inneren Nötigung (SIGWART), spielen in den Akt der Qualifizierung hinein; und es ist nicht ausgeschlossen, daß sie diesem Akt die eigenartige Färbung geben, die er vor der inneren Beobachtung zu haben scheint. Schließlich ist auch die Tätigkeit, welche zum Aufstellen einer Relation führt, vom bloßen Vorstellen verschieden und muß vielleicht als Bestandteil des Urteilsaktes angesehen werden.


14. Der Existentialsatz und
der Existenzbegriff bei Brentano

Die Hauptstütze für seine Lehre findet BRENTANO in seiner Auffassung und Erklärung des Existentialsatzes. Aber gerade hier zeigt sich auch die Seltsamkeit und der spitzfindige Formalismus, zu dem sie führt, am auffälligsten. HILLEBRAND erörtert in seiner Auseinandersetzung mit SIGWART den Existentialsatz: "Es gibt einen Taler". Er zeigt dabei, daß man ein primäres Urteil von einem sekundären unterscheiden muß. Jenes anerkennt oder verwirft den "Gegenstand selbst", dieses den "Gegenstand als vorgestellten". Es dürfte angezeigt sein, zunächst klar zu machen, was denn unter dem "Gegenstand selbst" in einem Urteil zu verstehen ist. Mit dem Gegenstand selbst" im gewöhnlichen (nicht in einem transzendentalen) Sinn haben wir es nur zu tun, wenn wir ihn berühren oder bearbeiten. Aber schon in einem "den Gegenstand abzeichnen" ist der Gegenstand, welcher gezeichnet wird, nicht der Gegenstand selbst, sondern sein Bild. "Den Gegenstand selbst sehen" heißt doch nur, das Bild desselben aufnehmen. "Der gesehene Gegenstand" ist also das aufgenommene Gesichtsbild desselben, ist der Gegenstand als Vorstellungsinhalt. "Einen Gegenstand lieben" affiziert nicht den Gegenstand selbst. Die Liebe betrifft unmittelbar nur ihn als Vorstellungsinhalt und erst mittelbar, indem sie zu Aktionen unseres Körpers führt, den Gegenstand selbst. Außerdem ist es auch möglich, die Vorstellung, d. h. das Vorstellen des Gegenstandes zu lieben, was bedeutet, daß man sich darüber freut, daß man sich eines bestimmten Gegenstandes bewußt ist. "Einen Gegenstand als schön beurteilen" heißt: bejahen, daß seiner Vorstellung die Fähigkeit, ein Gefühl des Gefallens zu erwecken, innewohnt.

"Einen Gegenstand als wirklich beurteilen" heißt: seiner Vorstellung die Fähigkeit, durch unmittelbare oder mittelbare Wahrnehmung hervorgerufen zu werden, zuzuschreiben. Denn wenn ich sage: "Es gibt einen Taler", so brauche weder ich, der dies sagt, noch der, welcher es hört und glauben soll, den Taler (den Gegenstand selbst" in der Hand zu haben, sondern wir haben es nur mit unseren Vorstellungen zu tun. Wenn ich das Wort "Taler" ausspreche, so erwecke ich in einem Hörer, wenn er mich versteht, das Bild dieses oder jenes Talers. Und indem ich sage: "Es gibt einen Taler", drücke ich aus: "Das was du nun vorstellst, kann dir auch in jenem eigentümlichen Bewußtseinszustand, den wir "Wahrnehmung" oder im besonderen "Sehen" nennen, erscheinen". Also bedeutet "Es gibt einen Taler" so viel, um es kurz auszudrücken, wie: "Es ist möglich einen Taler zu sehen."

Wenn ich aber über denselben Gegenstand ein sekundäres Urteil nach BRENTANO fällen wollte, so würde ich sagen müssen: "Es gibt einen vorgestellten Taler." Hierdurch erwecke ich nun, wie vorher, im Hörer zunächst das Bild eines Talers und verlange zugleich, daß er seine Aufmerksamkeit auf den Umstand richtet, daß er sich jetzt das Bild eines Talers vorstellt. Die Behauptung "Es gibt diesen Zustand des Vorstellens, in welchem du jetzt bist", sagt nun gar nichts Neues mehr, sondern hat nur den Sinn, "Es ist möglich, sich einen Taler vorzustellen." Aber die Behauptung dieser Möglichkeit setzt bereits die Vorstellung des Thalers voraus. Denn wenn ich nicht die Vorstellung eines Talers habe, wie soll ich beurteilen, ob es möglich ist, ihn vorzustellen? Und umgekehrt, wenn ich ihn vorstelle, so ist es selbstverständlich möglich, ihn vorzustellen. Denn was wirklich ist, ist auch möglich.

Nach BRENTANO ist ein Urteil, wie "Es gibt einen vorgestellten Taler" "selbstevident" und hat die wichtige Bedeutung, die Grundlage zu sein, auf welcher der Begriff der Existenz für uns entsteht. Es zeigte sich soeben, daß der Grund der Evidenz dieses Urteils darin liegt, daß es eine leere Tautologie, die Behauptung der Möglichkeit einer Wirklichkeit ausdrückt. Wenn BRENTANO lehrt, daß in evidenter Weise nur von unseren Vorstellungsinhalten als solchen die Existenz ausgesagt werden kann, so bedetet das weiter nichts, als daß er Existenz = Vorstellbarkeit setzt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn er aber ferner behauptet, daß dieser Begriff der Existenz in allen Existentialsätzen und somit in allen Urteilen anerkannt wird, so ist das durchaus falsch. Denn da in allen Urteilen die Vorstellungen vorausgesetzt werden, so würde es eine leere Tautologie sein, die Vorstellbarkeit noch besonders zu behaupten. Vielmehr enthalten die sogenannten Existentialsätze immer eine Realitätsbehauptung. Realität aber ist mehr als bloße Existenz. Wenn BRENTANO endlich den Satz "A ist" = "A wird anerkannt" setzt, so ist zu bemerken, daß, um die bloße Vorstellbarkeit von A zu behaupten, ein besonderer Akt der Anerkennung völlig überflüssig ist. Wenn aber die Realität eines Gegenstandes seinem Anerkanntwerden gleichgesetzt wird, so ist zu fürchten, daß diese Lehre in einen ganz unterträglichen Subjektivismus hinausläuft, welcher die Realität eines Begriffes von unserem subjektiven Verhalten, die Wirklichkeit Gottes von unserer Anerkennung abhängig macht und unsere subjektive Willkür an die Stelle des objektiven Gesetzes setzt.


IV. Kurzer Abriß einer qualitativen
Urteils- und Schlußlehre.

15. Qualitätsformeln der Urteile

Von der Deutung, welche BRENTANO der Urteilstätigkeit gegeben hat, und von den neuen Formen, die er einführt, von seinen Neuerungen überhaupt, läßt sich nach dem was auseinandergesetzt wurde, nur sagen, daß sie den Schein einer Erweiterung unserer Erkenntnis erwecken, in Wahrheit aber nur leere Spitzfindigkeiten mit dem Aufgebot viel unnützen Scharfsinns aufrichten und verteidigen. Jedoch darf nicht verkannt werden, daß BRENTANOs Untersuchungen Anregung zur Erkenntnis des Wesens der Qualität im Urteil geben. Von dem, was BRENTANO zu diesem Zweck eingeführt hat, muß freilich Vieles wegfallen. Weder die verkehrte Umformung des universal-affirmativen und des partikulär-negativen, noch die der Quantität zugehörigen kontradiktorischen Begriffe, noch die sonstigen Umformungen können in einer rein qualitativen Urteils- und Schlußlehre beibehalten werden. Vor allem muß dieselbe sich von jeder Rücksicht auf die Quantität freimachen. Sie darf sich auch nicht beständig an die hergebrachte Logik anlehnen. Was hiernach zurückbleibt, enthält weder viel Neues, noch bedeutet es einen Umsturz der hergebrachten Logik. Aber es ergeben sich doch einige einfache Sätze, die eine klarere Einsicht über die Qualität im Urteil und im Schluß darbieten.

Als allgemein Qualitätsformel des bejahenden und des verneinenden Urteils kann man M + und M - gebrauchen. Denn da die qualitative Untersuchung von allen sonstigen Formbestimmungen des Urteils absieht, so kann die zu qualifizierende Relation einfach als Urteilsmaterie (M) bezeichnet werden. Da die Gültigkeit (Realität) eines Begriffs eine der wichtigsten Relationen ist, so kann (M +) einen gültigen Begriff und (M -) einen, der die Gültigkeit von M verneint, den ungültigen Begriff bezeichnen.

Zuerst ist nun der wichtige Grundsatz, welcher das principum exclusi tertii [Grundsatz vom ausgeschlossenen Dritten - wp] heißt, zu nennen. Er lautet: dieselbe Materie kann nicht zugleich bejaht und verneint werden, sondern entweder gilt M + oder M -; ein dritter Fall ist unmöglich. Diesen Satz stellt die Formel (M ±) - dar.

Die Qualifizierung einer "Materie" kann als eine eigene Relation derselben angesehen werden und als solche wiederum bejaht oder verneint werden. Es ergeben sich dann die vier bekannten Sätze der Bestätigung und der Aufhebung eines Urteils, welche lauten: die Bejahung einer Bejahung ergibt eine Bejahung; (M +) + = M +; die Bejahung einer Verneinung ergibt eine Verneinung, (M -) + = M -; die Verneinung einer Bejahung ergibt eine Verneinung (M +) - = M -, die Verneinung einer Verneinung ergibt eine Bejahung, (M -) - = M +.

Da es möglich ist Relationen in der Weise miteinander zu verbinden, daß wieder eine Relation zwischen ihnen entsteht, so fragt sich, welche Qualität die Zusammensetzung erhält. Offenbar nun ergeben zwei bejahte Relationen oder gültige Begriffe M₁ + M₂ +. In entsprechender Weise entsteht aus M₁ - und M₂ - das zusammengesetzte Urteil M₁M₂ -. Wenn aber eine bejahte Materie M₁ mit einer verneinten M₂ - vereinigt werden soll, so widerstreitet diese Forderung zunächst dem principium exclusi tertii, welches verbietet, daß ein Urteil zugleich affirmativ und negativ ist. Wir die Vereinigung der Materien dennoch vorgenommen, so kann die so entstehende Relation nur verneint werden M₁M₂ -, wie aus ein aus einem gültigen und einem ungültigen Begriff zusammengesetzter Begriff selbst ungültig ist.


16. Qualitative Folgerungen und Schlüsse

Hieraus ergibt sich, daß aus einem bejahten Urteil mit zusammengesetzter Materie M₁M₂M₃ +, unmittelbar gefolgert werden kann. In Worten: Die Teilrelationen einer bejahten Relation müssen affirmativ sein oder die Bestandteile eines gültigen Begriffs sind wiederum gültig. Wenn z. B. der Satz gilt: Im rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Kathetenquadrate gleich dem Hypothenusenquadrat, so folgt auch, daß einige Dreiecke rechtwinklig sind, und daß die Quadrate der Katheten eine Summe bilden. Ein bejahendes Urteil ist also nur dann zu bilden, wenn seine Voraussetzungen bejaht werden können.

Folgen aus einem affirmativen Urteil andere durch die Zerlegung einer Materie, so lassen sich aus einem negativen neue durch Erweiterung der Materie ableiten. Ebenso ergibt eine Ergänzug ungültiger Begriffe, sei es nun durch gültige oder durch ungültige Begriffe, wiederum ungültige Begriffe. Also wenn "M₁ -" gilt, so folgt M₁M₂ -, M₁M₂₃ -. Wenn z. B. geleugnet wird, daß manche Frauen zaubern können, so muß auch geleugnet werden, daß Zauberinnen gefährlich sind.

Diesen unmittelbaren qualitativen Folgerungen reihen sich die qualitativen Schlüsse aus zwei Voraussetzungen an. Aus M₁M₂ - kann die Qualität einer Teilmaterie nur dann geschlossen werden, wenn die Qualität der anderen gegeben ist. Also Voraussetzung: M₁M₂ -, M₁ +; Folgerung: M₂ -. Beweis: M₁M₂ - entsteht entweder aus M₁ - M₂ - oder aus M₁ + M₂ - (bzw. M₁ - M₂ +). Wenn also M₁ + ist, dann muß M₂ - sein. In HILLEBRANDs ausführlicher Darstellung der Schlüsse BRENTANOs lautet dieser Schluß so: Voraussetzung: SP -, S +, Folgerung: Sp +. Abgesehen davon daß die Buchstaben SP eine nach BRENTANO hinfällige Unterscheidung von Subjekt und Prädikat andeuten, deren er sich also nicht bedienen sollte, wird in der Folgerung das kontradiktorische Gegenteil von P, nämlich p = Non-P eingeführt. Dies aber ist, wie gezeigt wurde, eine quantitative Bestimmung, die in die rein qualitative Untersuchung nicht hineingehört.

Endlich lassen sich auch noch aus zwei Voraussetzungen, deren jede eine zusammengesetzte Materie enthält, Schlüsse ziehen. Die beiden Hauptformen derselben sind:

Voraussetzung:   a) M₁M₂ + b) M₁M₁ -
      M₂M₃ +     M₂M₂ +
  ———— ————
Folgerung:     M₁M₃ +     M₁M₃ -

Der Beweis hierfür folgt einfach aus dem Vorangehenden. Der erste der Schlüsse von dieser Art ist bei HILLEBRAND so formuliert: Voraussetzung MP -, SM +, Folgerung: Sp +. Die rein qualitative Folge aus diesen Voraussetzungen würde SP - sein. Aber HILLEBRAND woll den modus ferio [erste Prämisse ein verneinender Allsatz, zweite Prämisse ein positiver Existenzsatz - wp] der Schullogik ableiten, und deshalb muß er sich der unerlaubten, weil quantitativen, Einführung des kontradiktorischen Begriffs p = non-P bedienen, durch die er seinen Schluß erhält. Sämtliche Schlußformen BRENTANO-HILLEBRANDs leiden an diesem Fehler und sind deshalb nicht rein qualitativ. Ebenfalls hat die Logik BRENTANOs es nur diesem Fehler zu verdanken, wenn sie dazu kommt, die Unrichtigkeit vieler Schlußformen der hergebrachten Logik zu behaupten, das Gesetz "ex mere negativis nihil sequitur" [aus rein negativen Obersätzen folgt nichts - wp] umzukehren und quaternio terminorum zum Gesetz zu erheben. Einen seltsamen Beweis für ihre innere Folgerichtigkeit gibt sie dann freilich dadurch, daß sie für die Doppelurteile das, was sie umgestürzt hat, wieder aufrichtet und wieder zu den Formen und Gesetzen der alten Logik zurückkehrt.


V. Schluß
17. Rückblick

In der jetzt vollendeten Untersuchung über BRENTANOs Reform der Logik wurde zuerst die eigentümliche Form des Existentialsatzes, welche hier allen Urteilen gegeben wird, ins Auge gefaßt. Es zeigte sich aber, daß die Umformungen BRENTANOs keinen gleichwertigen Ersatz für die alten Formen bieten. Obendrein ist BRENTANO genötigt, die letzteren unter dem Namen von Doppelurteilen unter den eigenen bestehen zu lassen. Er spricht es sich dadurch selbst ab, eine neue einheitliche Form für das Urteil gefunden zu haben.

Er verkennt aber auch durchaus das Wesen der Urteilsqualität, die er doch durch eine psychologische Analyse in ein völlig neues Licht zu rücken vermeinte. Denn er übersieht unter dem Bann der zweideutigen Ausdrücke "Anerkennung oder Verwerfung", daß Bejahung und Verneinung nur Relationen zukommen. In der Form des Existentialsatzes, die bei ihm alle Urteile annehmen sollen, erkennt er fälschlich das Urteil als Anerkennung oder Verwerfung eines Vorstellungsinhaltes als eines Ganzen. Er übersieht, daß der Existentialsatz seiner regelrechten Bedeutung nach Realität behauptet oder leugnet. Sein Begriff der Existenz, aus dem subjektiven Vorgang der Anerkennung und der Verwerfung entwickelt, ist verkehrt oder doch zumindest unklar und zweideutig. Sein Verdienst ist, zu einer Untersuchung der reinen Qualität im Urteil und Schluß angeregt zu haben.


18. Endurteil

Es ist die Verirrung eines hervorragenden Scharfsinns, die sich in der irrtümlichen Logik BRENTANOs und seiner Schule darstellt. Beim Meister verbindet sich ein ausgeprochener Formalismus mit einer starken Neigung zu überraschenden Effekten, und eine nüchterne Reflexion mit dem Verlangen, bedeutenden Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Er liebt es, seine Gedanken in Andeutungen zu verhüllen und Rätsel aufzugeben. Die Schule, von der scheinbaren Schärfe der Beweisführung bestochen und von den ahnungsvollen Ausblicken bezaubert, verliert sich in Weitläufigkeiten und Spitzfindigkeiten. Dies tritt besonders bei MARTY hervor, während HILLEBRAND bei aller treuen Anhänglichkeit an den Meister doch durch seine ausführliche und sorgfältige Darstellung, die auch die Gegner ehrlich berücksichtigt, am meisten dazu beiträgt, die Irrtümlichkeit der Lehre zu enthüllen.

Eine strenge Methode würde BRENTANO und seine Schule vor den Fehlern eines ausschweifenden Scharfsinns bewahrt haben. Wenn die alte Logik völlig umgestürzt werden soll, so muß es die neue auch verschmähen, die Bausteine der alten zu benutzen, sondern muß aus eigenen Mitteln den Neubau errichten. Mit anderen Worten: Logik ist eine demonstrative Wissenschaft, und nur in streng synthetischer Form erproben sich ihre Lehren und werden beweiskräftig. Wenn ferner eine logische Theorie von psychologischen Untersuchungen herkommt, so muß sie doch als Logik rein für sich dastehen und den psychologischen Ursprung abstreifen. Endlich aber muß eine logische Elementarlehre auch frei sein von versteckten oder offenen Ausblicken auf die Metaphysik. Der Subjektivismus, der als metaphysischer Standpunkt seine relative Berechtigung wie jeder andere hat, darf in die Logik, die unerschütterliche Grundlage aller objektiven Wissenschaft, nicht hineinspielen.

LITERATUR: Wilhelm Enoch, Franz Brentanos Reform der Logik, Philosophische Monatshefte, Bd. 29, Berlin 1893
    Anmerkungen
    1) Auch KAINDL, in den Philosophischen Monatsheften, Bd. 28, Seite 278f.
    2) FRANZ HILLEBRAND, "Die neuen Theorien der kategorischen Schlüsse - eine logische Untersuchung, Wien 1891 2) FRANZ HILLEBRAND, "Die neuen Theorien der kategorischen Schlüsse - eine logische Untersuchung, Wien 1891
    3) Auch SIGWART hat hierauf hingewiesen. Vgl. auch ENOCH, Begriff der Wahrnehmung, Hamburg 1890, § 51.