p-4A. StadlerM. StingelinSigwartF. BrentanoA. Marty    
 
KARL SCHNEIDER
Zur Kritik der
Urteilslehre Franz Brentanos

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"Jedem kategorischen Urteil liegt Brentanos Urteilslehre zufolge eine Existentialbehauptung oder eine Verbindung von solchen zugrunde. In dieser Aufstellung, nach der das früher kaum als vollwertiges Urteil anerkannte Existentialurteil das Urbild und die Grundform aller Urteile überhaupt darstellen würde, liegt vor allem das Neue von Brentanos Lehre, die zweifellos zu den wertvollsten Bereicherungen gerechnet werden muß, die in neuerer Zeit unserer Einsicht in das Wesen des Urteilsvorgangs zuteil geworden sind."

Wenn auch bezüglich der genaueren Bestimmung des Wesens des Urteilsvorgangs die einzelnen Forscher, die sich mit dieser Grundform des Denkens und Schließens befaßt haben, zum Teil nicht unerheblich voneinander abweichen, so ließen doch ihre Deutungen dieses Vorgangs seit der altgriechischen Philosophie bis in die jüngste Gegenwart nahezu ausnahmslos eine Übereinstimmung in der Grundauffassung zutage treten, daß das Urteil, oder zumindest doch das eigentliche und vollkommene Urteil, ein auf einer Mehrheit von Bewußtseinsgegebenheiten aufgebauter und ausschließlich auf dem Gebiet des Erkennens sich vollziehender Vorgang ist. Die Entwicklung und Ausgestaltung, die im Laufe der Zeit die Einsicht in das Wesen des Urteils erfuhr, hatte wohl eine immer feinere Unterscheidung der einzelnen Arten der Urteile und dazu besonders im ausgehenden 19. Jahrhundert, eine schärfere Besinnung auf die Möglichkeit verschiedenen erkenntnistheoretischen Wertes der einzelnen Urteile bei gleichartiger äußerer Form zur Folge; die bezeichnete Grundanschauung aber, daß das vollkommene Urteil auf einer Mehrheit und irgendwie gearteten Verbindung oder Verknüpfung von Bewußtseinsinhalten beruhen muß, blieb durch diese Fortschritte hinsichtlich unserer Erkenntnis von den Arten und der Bedeutung der Urteile unberührt. In der seit dem frühesten Auftreten logischer Untersuchungen bis in die jüngste Gegenwart als geradezu unumstößlich und kaum des Beweises bedürftig betrachteten Lehre, daß zu jedem Urteil auch in seiner einfachsten Form zwei Bewußtseinsgegebenheiten, nämlich - nach der wohl von BOETHIUS stammenden Namensgebung - sein "Subjekt" und ein "Prädikat" als unbedingte Grundlage und Erfordernis gehören, fand diese Anschauung ihre festgelegte Formel; und es darf wohl als eine Grundüberzeugung fast der gesamten Logik bis in die jüngste Zeit betrachtet werden, daß keine Bereicherung und Vertiefung unserer Einsicht in das Wesen des Urteilsvorganges diese Grunderkenntnis wird erschüttern können.

Eine bestimmte Klasse von Urteilen gibt es allerdings, der, seit sie überhaupt als eine besondere Gattung der Urteile Anerkennung gefunden hat, dieses Begründetsein auf eine Mehrheit von Bewußtseinsinhalten nicht allgemein und ohne weiteres zugesprochen wurde: es sind die sogenannten "Existentialurteile". Die Anerkennung dieser Urteile als besondere Gruppe der Urteile, die unzweifelhaft zu den wichtigsten Fortschritten und Bereicherungen der Urteilslehre überhaupt gerechnet werden muß, gehört nun freilich überhaupt erst einem sehr jungen Abschnitt dieser Entwicklung an; war es doch noch KANT, obwohl er in der "Kritik der reinen Vernunft" dem Prädikatsbegriff des Seins seine Untersuchung zugewandt hat, möglich, diese Urteile in seiner im gleichen Werk enthaltenen Tafel der Urteile überhaupt nicht zu erwähnen. Das besagt natürlich nicht, daß diese Urteile nicht der Sache nach schon früher bekannt und in Verbindung mit bestimmten philosophischen Fragen behandelt und erörtert worden wären. So haben von den älteren Philosophen namentlich ARISTOTELES und EUDEMOS bereits mit aller Deutlichkeit die Frage nach dem Wesen der in diesen Urteilen enthaltenen Prädikatsbestimmung aufgeworfen und beantwortet; im Mittelalter waren es die Scholastiker, die - besonders im Zusammenhang mit der Erörterung des ontologischen Gottesbeweises - dem Begriff des Seins und so auch dem Existentialurteil ihre Aufmerksamkeit zuwandten; in der neueren Philosophie dann vor allem die englischen und schottischen Psychologen, die von ihrer grundsätzlichen Forderung aus, das dinglich Seiende als ein Späteres und Abgeleitetes gegenüber dender Erkenntnis zuerst gegebenen Inhalten des Bewußtseins zu verstehen und zu erklären, dem Sinn der Existentialbehauptung besondere und für die gesamte weitere Entwicklung des philosophischen Denkens fruchtbare Untersuchungen widmeten. In dem hier behandelten Zusammenhang dürfte von ihnen besonders LOCKE Erwähnung verdienen, der in Buch IV, Kapitel 1 seines "Essay on human understanding" ausdrücklich das "wirkliche Dasein" (real existence) zu den "Ideen" zählt, die das "unmittelbare Objekt" eines Gedankens oder einer Überlegung des Geistes, also auch eines Urteils sein können. Dennoch muß jedoch die bestimmte, auch durch eine eigene Bezeichnung festgelegte Hervorhebung und Ausscheidung der Existentialurteile aus der Gesamtheit der Urteilsvorgänge als einer besonderen Klasse und die Untersuchung ihrer Besonderheit im Rahmen der allgemeinen Urteilstatsachen als eine Errungenschaft eines noch jüngeren Entwicklungsabschnitts des philosophischen Denkens betrachtet werden. Das Verdienst, diese Scheidung im Zusammenhang einer Untersuchung über das Urteil erstmals vorgenommen und sprachlich festgelegt zu haben,dürfte HERBART gebühren, der in seinem 1813 erschienenen "Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie" (Von den Urteilen, § 63) zum erstenmal auf diese Urteile das Wort: "Existentialsatz" anwandte; von HERBARTs Schüler DROBISCH wurde dann ("Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachsten Verhältnissen. Mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaften", § 59) das Existentialurteil als "thetisches" oder "absolutes" Urteil der Gesamtheit der übrigen als den "kategorischen" Urteilen entgegengesetzt und so die später allgemein übliche Bezeichnungsweise geschaffen, in der die Anerkennung wie die Auffassung der Existentialurteile als eigener Urteilsgattung ihren Ausdruck fand. Als eigener - freilich darum nicht auch ohne weiteres als vollständiger und vollwertiger Urteile; vielmehr findet sich schon bei HERBART im genannten Werk, bei TRENDELENBURG (Logische Untersuchungen II, Seite 205 - 215) und anderen von HERBART beeinflußten Forschern, aber auch bei neueren Psychologen und Grammatikern vielfach die Anschaung vertreten, daß das Existentialurteil, insofern es nur die Setzung oder Anerkennung eines einzigen Inhalts in sich begreift, ein unvollkommenes Urteil oder das Rudiment des vollständigen Urteils darstellt. Diese Anschauung, daß das Existentialurteil nur ein unvollständiges Urteil und schon darum von den übrigen, d. h. den "kategorischen" Urteilen wesenhaft verschieden ist, darf geradezu als die in der neueren Psychologie und Logik vorherrschende Auffassung des Existentialurteils bezeichnet werden; wie sie sich dann auch noch bei LIPPS (Grundzüge der Logik, Seite 100) mit aller Deutlichkeit ausgesprochen findet. (1)

Es war jedenfalls ein bemerkenswerter Schritt in der Entwicklung der Urteilslehre, als FRANZ von BRENTANO in seiner 1874 erschienenen "Psychologie vom empirischen Standpunkt" den Versuch unternahm, die Kluft, die bis dahin nach allgemeiner Auffassung zwischen den in der älteren Logik allein als solache anerkannten "katetorischen" Urteilen und den "Existentialurteilen" bestand, durch eine neue Deutung des Verhältnisses dieser beiden Urteilsgattungen zu überbrücken. Nach dieser Auffassung, der BRENTANO außer in dem genannten Werk besonders auch in den Anmerkungen zu der 1889 erschienenen Schrift "Vom Ursprung sittlicher Erkenntnis" Ausdruck gegebenhat, ist zunächst die alte Anschauung irrig, daß "Vorstellen" und "Urteilen" der gleichen Grundklasse seelischer Erscheinungn oder Vorgänge angehören - vielmehr setzt ihr zufolge das Urteil zwar die Vorstellung voraus, ist aber von dieser wesenhaft verschieden; der Unterschied, der Vorstellen und Urteilen zu zwei völlig getrennten Grundklassen des seelischen Geschehens stempelt, wird darin erblickt, daß im Urteil der Inhalt oder Gegenstand der Vorstellung - dieses Wort im weitesten Sinn sowohl als äußere wie innere Wahrnehmung verstanden - in einer dieser gegenüber durchaus neuen Weise vom Bewußtsein erfaßt, nämlich "anerkannt" oder "geleugnet" wird. Diese Anerkennung oder Leugnung, die somit nach BRENTANO das Wesen des Urteils ausmacht, stellt ihm zufolge eine neue, "intentionale" Beziehung des Bewußtseins zu den vorgestellten Inhalten dar, vergleichbar und entsprechend dem Verhältnis, das uns in der Erscheinung von Liebe und Haß gegenüber Inhalten unserer Vorstellung als eine dieser gegenüber eigene und selbständige Beziehung bekannt ist. Die bis dahin in der Philosophie allgemein übliche Einteilung der seelischen Vorgänge oder Inhalte in die zwei Hauptklassen der seelischen Vorgänge oder Inhalte in die zwei Hauptklassen des Vorstellens, Wahrnehmens und Erkennens oder Urteilens einerseits und des Begehrens oder Widerstrebens andererseits (nous und oresis des ARISTOTELES) will demnach BRENTANO durch eine dreidimensionale Auffassung der Bewußtseinsinhalte ersetzt wissen, als deren Grundklassen Vorstellung, Urteil und Gefühl (einschließlich des Willens - siehe "Psychologie etc.", Kap. 8) erscheinen. Dabei bedarf es kaum einer besonderen Hervorhebung, daß mit dem "Anerkennen" oder "Leugnen", das so das Wesen des Urteils ausmachen soll, nichts anderes als die positive oder negative Existentialbehauptung gemeint ist, jedem "kategorischen" Urteil also BRENTANOs Urteilslehre zufolge eine Existentialbehauptung oder eine Verbindung von solchen zugrunde liegt. In dieser Aufstellung, nach der das früher kaum als vollwertiges Urteil anerkannte Existentialurteil das Urbild und die Grundform aller Urteile überhaupt darstellen würde, liegt vor allem das Neue von BRENTANOs Lehre, die, wenn sie sich bei genauerer Prüfung als haltbar erweisen sollte, zweifellos zu den wertvollsten Bereicherungen gerechnet werden muß, die in neuerer Zeit unserer Einsicht in das Wesen des Urteilsvorgangs zuteil geworden sind.

An Stimmen, die dieser Anschauung von der Bedeutung von BRENTANOs Urteilslehre Ausdruck gaben oder doch von dieser Voraussetzung ausgehen, hat es auch in der Tat in der neueren psychologischen Literatur nicht gefehlt. Die Annahme der von BRENTANO der von BRENTANO vertretenen Auffassung vom Urteil blieb keineswegs auf ihren Urheber beschränkt; wenn es ihr auch von vornherein nicht an Gegnern fehlte, unter denen als unmittelbare Angreifer namentlich SIGWART (vor allem in seiner Schrift "Die Impersonalien", 1888) und WINDELBAND ("Beiträge zur Lehre vom negativen Urteil" in den Straßburger Abhandlungen zur Philosophie", Seite 165-195) eine Hervorhebung verdienen, so fand sie doch zum Teil in Deutschland, besonders aber an den damals unmittelbarer dem Einfluß von BRENTANOs Lehrtätigkeit zugänglichen österreichischen Hochschulen zahlreiche Anhänger und Verfechter, die sie teils zu erläutern, teils auch des weiteren auszubauen und für die Psychologie und Logik fruchtbar zu machen suchten. Der ersten Gruppe dürfte namentlich ANTON MARTY ("Über subjektlose Sätze und das Verhältnis der Grammatik zur Logik und Psychologie" in "Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie", der zweiten FRANZ MIKLOSICH ("Subjektlose Sätze", 1883, FRANZ HILLEBRAND, ("Die neuen Theorien der kategorialen Schlüsse", 1891) und ALOIS HÖFLER ("Logik", 1890) zuzurechnen sein, ohne daß jedoch diese Nennungen den Bereich von BRENTANOs Einfluß erschöpfen; vielmehr sind noch eine erhebliche Anzahl anderer Philosophen, an ihrer Spitze ALEXIUS MEINONG, ursprünglich ebenfalls mehr oder weniger von BRENTANOs Anschauungen ausgegangen, um sie dann allerdings teils völlig aufzugeben, teils auch in wesentlichen Punkten zu anderen Anschauungen und Standpunkten zu gelangen. Die Erläuterungen, die die oben genannten Verfasser zu BRENTANOs Darlegungen geben, und die Folgerungen, die sie daraus gezogen haben, dürfen jedenfalls, da ihnen BRENTANO nirgends entgegengetreten ist, als in dessen Sinn erfolgte Auslegungen betrachtet und daher mit BRENTANOs eigenen Schriften einer Untersuchung dieser Lehre zugrunde gelegt werden. BRENTANO selbst hat noch im Jahr 1911 durch einen - unter dem Titel "Von der Klassifikation der psychischen Phänomene" Neue, durch Nachträge stark vermehrte Ausgabe der betreffenden Kapitel der "Psychologie" veröffentlichten - Neudruck der auf die Urteilslehre bezüglichen Abschnitte seines Hauptwerkes bewiesen, daß er an seinen wesentlichen Aufstellungen festhält und sie nicht durch neuere Deutungen und Beschreibungen des Urteilsvorgangs überwunden erachtet; und da das Gleiche auch mindestens von einem sehr erheblichen Teil seiner unmittelbaren und mittelbaren Schüler und Anhänger angenommen werden muß, dürfte eine erneute Untersuchung über das Wesen und das Verhältnis von Urteil und Existentialurteil im Anschluß an BRENTANOs Lehre auch abgesehen vom philosophiegeschichtlichem Interesse noch heute eine gewisse Rechtfertigung in Anspruch nehmen können.

Wie jede andere kritische Auseinandersetzung dieser Art wird eine solche Untersuchung die Begründung der Theorie selbst sowie die Folgen, die sich aus ihr für die Auffassung der Urteilsvorgänge ergeben, an den Tatsachen prüfen und danach ihr Urteil über den Wert oder Unwert der Theorie fällen müssen.

Unter den Beweisen, die BRENTANO und seine Anhänger für die Richtigkeit ihrer Deutung des Urteilsvorgangs beizubringen suchten, spielte nun von Anfang an ein bestimmter Hinweis eine wichtige, ja die hauptsächliche Rolle. Sollte die neue Lehre nicht bloß eine Aufstellung bleiben, sondern als Beschreibung von Tatsachen gelten können, so mußte selbstverständlich nachgewiesen werden, daß sie mit der Erfahrung in Übereinstimmung steht; d. h. es muß dargelegt werden, oder es muß doch zumindest für die Begründung der Lehre von größter Wichtigkeit sein, wenn dargetan werden kann, daß es überhaupt und zwar abgesehen von den eigentlichen Existentialurteilen selbst, Urteile gibt, die nicht auf einer irgendwie gearteten Zusammenordnung von Subjekt und Prädikat beruhen, sondern lediglich als die "Anerkennung" oder "Leugnung" einer Vorstellung begriffen werden können; es muß ferner gezeigt werden, daß diese Urteile mit den Existentialurteilen bedeutungsgleich sein; und es ist weiter der Nachweis erforderlich, daß Urteile dieser Art als einfachste Form des Urteils überhaupt den nach bisheriger Auffassung notwendigerweise auf Subjekt und Prädikat aufgebauten "kategorischen" Urteilen zugrunde liegen. Es leuchtet nun ein, daß dieser Forderung jene Form des Urteils, die bis dahin zumeist als die einfachste "kategorische" Urteilsgattung gegolten hatte, nämlich jenes sogenannte "unmittelbare" Wahrnehmungsurteil, das über einen selbst noch nicht näher bestimmten Gegenstand einer Wahrnehmung eine Aussage macht, nicht wohl genügen kann. Sind doch in Urteilen dieser Art, wie sie als musterhaftes Beispiel etwa der Satz: "Dies ist rot" darstellt, die beiden Glieder "dies" und "rot" unzweifelhaft in der Art in Beziehung gebracht, wie sie die bisherige Urteilslehre als das Verhältnis von Subjekt und Prädikat aufgefaßt hatte; ein Urteil dieser Art durfte daher im Sinn von BRENTANOs Lehre nicht wohl als die einfachste Form des Urteils betrachtet werden, die der Deutung als bloße Anerkennung oder Leugnung eines einzigen Vorstellungsinhaltes und damit als der gesuchten Grundform aller Urteile überhaupt keinen Widerstand zu bieten schien. Eine solche Grundform des Urteils hat BRENTANO auch tatsächlich geglaubt in der Erfahrung nachweisen zu können: es sind die teils als "subjektlose Sätze", teils als "unpersönliche Sätze" oder "Impersonalien" bezeichneten Urteile, in denen sofern sie in deutscher Sprache gefällt werden, ein anscheinend in keiner Weise auf einen Wahrnehmungs- oder Vorstellungsinhalt beziehbares "es" oder, falls die Urteilsfällung in gewissen anderen Sprachen erfolgt, ein gleichartiges Fürwort den Platz des Subjekts einnimmt, während in manchen anderen älteren und neueren Sprachen diesen Sätzen eine sprachliche Subjektsbezeichnung überhaupt fehlt oder doch fehlen kann und somit das Fehlen einer dieser Bezeichnung entsprechenden Bewußtseinsgegebenheit tatsächlich erwiesen scheint. Es sind also Sätze von der Form "es blitzt", "es donnert", "es schneit", "es rauscht", "es sommert", "es wird getanzt", "es fehlt an Geld", "pluit", "pugnatur", "pugnatum est" usw., in denen BRENTANO und seine Anhänger die Grundform allen Urteilens mit der Behauptung der Existentialbehauptung glauben aufzeigen zu können; und es ist daher nur natürlich, daß sowohl die Einwände der Gegner von BRENTANOs Lehre wie die Beweisführungen ihrer Verteidiger hauptsächlich die Auffassung dieser Urteile zum Kernpunkt haben. In der Tat muß jede Auseinandersetzung mit der Urteilslehre BRENTANOs auf diese Sätze umsomehr eingehen, als ihre Deutung als subjektloser Urteile mit dem Sinn der Existentialbehauptung auch von solchen Philosophen geteilt wird, die sonst in keiner Weise als Vorläufer oder Vertreter von BRENTANOs Auffassung vom Urteil betrachtet werden können. So hat z. B. HERBART, für den sonst das Urteil notwendig auf einer Verbindung von Subjekt und Prädikat beruth in seinem bereits erwähnten "Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie" wohl als erster die sogenannte unpersönliche Ausdrucksweise einer näheren Betrachtungsweise unterzogen und, als Ausnahme vom allgemeinen Gesetz, die Subjektlosigkeit derselben anerkannt; in einem Satz wie "es friert" ist ihm zufolge das Prädikat selbständig da, es hat weder ein Subjekt noch ist es ein Subjekt. Seiner Auffassung schließt sich auch TRENDELENBURG an, indem er, entsprechend seiner Auffassung vom Existentialurteil, ein Urteil wie "es blitzt" lediglich als Rudiment eines Urteils gelten lassen will; und wie sehr diese Auffassung auch in der neueren Philosophie noch vielfach als die einzig mögliche galt, zeigt die Tatsache, daß selbst SIGWART, dessen Schrift "Die Impersonalien" doch gerade der Widerlegung der Urteilsauffassung BRENTANOs gewidmet ist, wenigstens für bestimmte Gruppen dieser Urteile, wie "es regnet", "es windet", "mich hungert, dürstet, friert, mir ist heiß" usw. die Auffassung als wirklich subjektloser Sätze mit BRENTANO teilt (vgl. "Logik", vierte Auflage, Bd. 1, § 11); ähnliches gilt auch für LIPPS, insofern er ("Grundzüge der Logik", Seite 100) das "subjektlose Urteil", dessen Wirklichkeit ihm demzufolge nicht zweifelhaft ist, als den einfachsten Akt der "Anerkennung" eines Vorgestellten, damit aber (ebd. Seite 294) als ein "Urteil ohne den Gegensatz von Subjekt und Prädikat" auffaßt.

Eine so weitgehende Übereinstimmung in Bezug auf die Deutung der "subjektlosen" Sätze unter Philosophen, deren Auffassungen sowohl in Bezug auf die allgemeinen philosophischen wie hinsichtlich der besonderen logischen Tatsachen und Vorgänge sonst zum Teil sehr weit auseinander gehen, läßt es gewiß begründet erscheinen, wenn eine Untersuchung von BRENTANOs Urteilslehre gerade diese ihre anscheinende Erfahrungsgrundlage einer erneuten Prüfung unterzieht. Die Frage, in der diese Prüfung gipfeln muß, ist offenbar eine doppelte: es muß zunächst untersucht werden, ob die bezeichneten Urteile wirklich im Sinne des zuerst von MIKLOSICH (Subjektlose Sätze, zweite Auflage, Seite 22) vorgeschlagenen Sprachgebrauchs "eingliedrige" Urteile sind, oder ob nicht doch versteckt ein Subjekt in ihnen enthalten ist; und es muß zweitens die Aufstellung nachgeprüft werden, daß der Sinn dieser Sätze die Existentialbehauptung ist. Erst wenn diese Voraussetzungen in BRENTANOs Urteilsauffassung sich als unanfechtbar erwiesen haben sollten, kann diese selbst in ihrer Grundbehauptung, daß eingliedrige Existentialurteile die Grundform aller dem Anschein nach auf einer Verbindung von Subjekt und Prädikat beruhenden "kategorischen" Urteile bildeten, ernsthaft zur Erörterung gestellt werden.

Unterzieht man nun im Sinne der ersten Fragestellung diese Urteile einer näheren Untersuchung, so ist von vornherein klar, daß keinesweg etwa alle mit dem sprachlichen Subjekt "es" ausgestatteten Impersonalsätze der hier bezeichneten Gruppe zugerechnet werden können. Zunächst sind hier vielmehr verständlicherweise mit SIGWART (Die Impersonalien, Seite 22f) all jene Urteile dieser Form als "unechte" Impersonalsätze auszuschließen, bei denen, wie etwa bei dem mit Bezug auf ein bestimmtes Kind ausgesprochenen Satz: "es schläft", das Fürwort "es" ganz offenbar und unzweideutig ein persönliches Subjekt bezeichnet; des weiteren aber auch die im tathaften Leben sicherlich keine unerhebliche Rolle spielenden Urteile, bei denen, wenn auch in etwas versteckterer Weise, dieses "es" gleichfalls nur als das vertretene Begriffszeichen für ein wenn auch unpersönliches und selbst undingliches, so doch angebbares Subjekt gebraucht wird. Fällt etwa, um ein gleichfalls von SIGWART erörtertes Beispiel anzuführen, beim Nachhausegehen aus einer Gesellschaft das Urteil: "es war unterhaltend" oder "es war langweilig", so ist klar, daß von einem subjektlosen Urteil hier nicht die Rede sein kann, daß vielmehr das "es" sich auf den ganzen Verlauf der Gesellschaft bezieht, dieser also das psychologische Subjekt eines durch das beigefügte Prädikat bestimmten vollständigen Urteils bildet. Das gleiche gilt für gewisse Gruppen weiterer bisher zumeist als "subjektlos" gedeuteter Urteile dieser Art, die sich, wie SIGWART überzeugend dargelegt hat, zumindest der Möglichkeit nach auf angebbare Subjekte beziehen lassen und somit gleichfalls aus der Klasse der Urteile ohne bestimmte Subjektsgrundlage von vornherein ausscheiden müssen. So können die Urteile "es ist kalt, heiß, warm, kühl" usw. falls nicht schon nach dem Sinn der vorausgegangenen Worte oder Erlebnisinhalte auf eine bestimmte Gegenständlichkeit, doch auf die Temperatur überhaupt bezogen werden, die dann eben ihr psychologisches Subjekt bildet; bei "es taut" kann und wird im allgemeinen der Boden oder das Eis, bei "es ist hell, dunkel, trübe" usw. der Helligkeitszustand der uns umgebenden Luft unter dem anscheinend bedeutungslosen Fürwort verstanden sein. Andererseits müssen wir uns freilich vor einer Gefahr hüten, die bei der Betrachtung dieser Urteile nahe liegt: daß wir nämlich einem "subjektlosen" Urteil dieser Art ein anderes, dem Sinn nach jenem nahekommendes und mit einem aus dem Sachzusammenhang sich ergebenden Subjekt ausgestattetes Urteil als dessen eigentlichen Inhalt unterlegen und nun die Zweigliedrigkeit, die jenem zweiten Urteil zweifellos zukommt, ohne weiteres auch dem ersten glauben zuschreiben zu dürfen. So ist z. B. gewiß richtig, daß dem Urteil "es klingelt" in den meisten Fällen der Sinn "man klingelt" oder nocht bestimmter "jemand klingelt" wird untergelegt werden können; wie ja z. B. im Französischen der genannten unpersönlichen deutschen Wendung im allgemeinen ein "on sonne" [wir klingeln - wp], dem deutschen "es klopft" ein "on frappe á la porte" [jemand klopft an die Tür - wp], im Englischen einer deutschen Wendung wie "es schießt" im allgemeinen ein persönliches "they shoot" gegenüber steht. Allein trotz dieser engen Beziehung ist doch das Urteil "es klingelt" von dem Urteil "man klingelt", "es klopft" von "jemand klopft" usw. dem Sinn nach verschieden; mag selbst die Bedeutung des Fürwortes "es" sich in vielen Fällen als ein man, jemand, sie usw. herausstellen, so sind doch das unbestimmte und das mit einem allgemein bestimmten Subjekt ausgestattete Urteil auf alle Fälle so wenig gleichbedeutend wie etwa das Urteil "es blitzt" mit dem seinem Sinn gewiß gleichfalls sehr nahekommenden Satz: "dies ist ein Blitz" restlos zusammenfällt. Am wenigsten dürfen wir uns dazu verleiten lassen, mit THEODOR BENFEY (siehe "Göttinger gelehrte Anzeigen", 1865, Seite 1178-1792) und anderen Sprachgelehrten den "subjektlosen" Sätzen mit einem sogenannten verbum naturae wie "es blitzt", "es donnert" usw. dadurch ein Subjekt zuzuweisen, das wir ihnen aufgrund geschichtlich-mythologischer Erwägungen den Sinn "Zeus blitzt" oder "Indra donnert" als eigentlichen Inhalt unterlegen; denn mag es sich mit der geschichtlichen Entwicklung unserer Vorstellungen über die Verursacher von Blitz und Donner wie auch immer verhalten, sollte selbst nachweisbar sein, daß in bestimmten früheren Abschnitten der Menschheitsentwicklung allgemein die genannten oder gleichartige Gottheiten als Urheber solcher Himmelserscheinungen betrachtet werden - im Bewußtsein gegeben ist uns heutigen Menschen beim Fällen solcher Urteile jedenfalls von Zeus oder Indra so wenig wie dies etwa beim Hören der Sätze "es schießt" oder "es knallt" der Fall ist; und die Frage, ob in derartigen Sätzen, mögen sie nun mit einem stellvertretenden "es" oder einem gleichwertigen Fürwort ausgestattet sein oder ihnen ein sprachliches Subjekt überhaupt abgehen da im Sinne von BRENTANOs Behauptung ein psychologisches Subjekt tatsächlich fehlt, oder ob diese Annahme sich bei näherer Betrachtung als ein Irrtum erweist, bleibt daher zunächst die einzige, mit der es diese Untersuchung zu tun hat.

Der unbefangenen Betrachtung mag es dabei wohl von vornherein nicht als eine ohne weiteres einleuchtende Annahme erscheinen, daß ein Begriffszeichen, wie es in einem "es" dieser Sätze vorliegt, in Urteilen dieser Art jemals Anwendung hätte finden können, wenn nicht ein wie auch immer gearteter Bewußtseinsinhalt vorläge, dem dieses Zeichen zum Ausdruck dient. Gewiß besteht ja, darüber herrscht unter den Philosophen aller Richtungen genügende Übereinstimmung, zwischen Sprache und Bewußtsein keineswegs immer eine restlose Deckung; es ist vielmehr vollkommen sicher, daß es der Sprache nur in sehr unvollkommenem Maß gelingt, für all die Begriffe, Beziehungen und Verhältnisse, die unseren Geistesblitz bilden, und für all die Veränderungen unter diesen, in denen sich die Bewegung unserer Gedanken vollzieht, zureichende Ausdrucksmittel zu schaffen. Allein das besagt doch nur, daß die Sprache ärmer ist als unser Geistes- und Vorstellungsbesitz, daß sie hinter der Schnelligkeit und Feinspurigkeit unserer Gedankenverbindungen zurückbleibt; und es rechtfertigt eben darum keineswegs die Annahme, daß der menschliche Geist ein sprachliches Ausdrucksmittel der in Frage stehenden Art geschaffen hätte, ohne daß diesesm ein irgendwie gearteter seelischer Inhalt, Besitz oder Vorgang entspräche. Weit eher dürfte vielmehr die Annahme wahrscheinlich sein, daß unsere Sprache weniger, denn daß sie mehr zum Ausdruck bringt als das, was in unserem Bewußtsein als Vorstellungsbesitz vorhanden ist oder sich an Vorstellungsbewegung vollzieht. Ist es doch eine jedermann bekannte Tatsasche, daß wir sehr häufig psychologisch vorhandene Urteilsbestandteile, und zwar sowohl das Subjekt wie das Prädikat oder die "Kopula", unbezeichnet lassen können, falls ihre Nennung nach dem beim Hörer vorauszusetzenden Vorstellungsbesitz überflüssig erscheinen kann - beispielsweise sowohl das Subjekt "dies" wie die Kopula "ist" bei dem im Sinn eines Urteils erfolgenden Ausruf "Feuer!"; und es muß daher doch wohl erneut die Frage gestellt werden, ob die behauptete Subjektlosigkeit zumindest der "echten" Impersonalsätze (im Sinne SIGWARTs) tatsächlich dem psychologischen Sachverhalt gerecht wird, oder ob sich nicht doch vielleicht eine Gruppe von Bewußtseinsinhalten aufzeigen läßt, der dieses vermeintlich fehlende Subjekt zugehört. In der Tat dürfte es nicht schwer sein zu zeigen, daß es in unserem Vorstellungsbesitz eine bestimmte Gruppe von Inhalten gibt, der die in Frage stehende Bewußtseinsgegebenheit zugerechnet werden kann und muß, und daß auch in den Fällen der "echten" Impersonalsätze keineswegs die Seltsamkeit eines zwar sprachlich bezeichneten, psychologisch aber nicht vorhandenen Bewußtseinsinhaltes vorliegt. Es sind jene unbestimmten, aber doch psychologisch inhaltvollen Vorstellungen, die uns in den Begriffen "jemand", "etwas", "irgendwo", "irgendwann" und vielen anderen gleicher Art gegeben sind und fortwährend von uns verwertet werden, denen offenbar auch "es" der "subjektlosen" Sätze als nächstverwandter Bewußtseinsinhalt zugerechnet werden muß. All diese Begriffe sind Allgemeinvorstellungen, denen eine bestimmte Einzelgegenständlichkeit nicht entspricht und nicht entsprechen kann, die aber trotz seiner scheinbaren Eindeutigkeit offenbar auch auf das "es" der "subjektlosen" Sätze zu; sein Sinn wird klar, sobald man sich die Bedeutung vergegenwärtigt, in der dieses Begriffszeichen, abgesehen von den bezeichneten Sätzen, allgemein Anwendung findet. Diese Bedeutung ist die eines bekannten Inhalts sächlicher Wesenheit (ursprünglich wohl eines als geschlechtslos betrachteten Wesens, sofern man die Anwendung der männlichen und weiblichen Geschlechtsbezeichnung auf Dinge als nicht ursprüngliche Übertragung auffassen darf); und nichts anderes liegt offenbar auch in den hier zur Erörterung stehenden Fällen vor. So gut wie "man" ein Allgemeinbegriff ist, dem jedes menschliche Wesen zugehören kann, "irgendwo" die allgemeine Vorstellung einer örtlichen Bestimmtheit ist, "etwas" ein beliebiges, aber nicht als bekannt betrachtetes Ding oder Sachverhältnis bedeutet: so bezeichnet und bedeutet "es" allgemein und daher auch im sogenannten "subjektlosen" Satz einen bekannten und bewußten oder zumindest als bekannt und bewußt gedachten und behandelten Inhalt. Der Sinn dieses Begriffs ist also einfach "das Bewußte" - womit nach dem Obigen keineswegs gesagt ist, daß beim Gebrauch des dafür üblichen Begriffszeichens jedesmal ein einzelner Inhalt, auf den es sich bezieht, tatsächlich gegeben sein muß; und mit dieser Bestimmung dürfte daher der nach PAUL (Prinzipien der Sprachgeschichte, § 91) bisher vergeblich unternommene Versuch, einen Sinn dieses Satzsubjektes aus einem angebbaren Bewußtseinsinhalt nachzuweisen, doch wohl gelungen sein. Daß uns eine bestimmte Einzelvorstellung, auf die sich das "es" der "subjektlosen" Sätze beziehen würde, in den einzelnen Fällen ihrer Bildung nicht gegeben ist, bildet für die Deutung des bezeichneten Begriffs als des psychologischen Subjekts dieser Sätze natürlich keinen Einwand; denn mag eine Vorstellung dieser Art noch so unbestimmt und allgemein sein, so ist sie eben doch ein wirklicher seelischer Inhalt, der wie jeder andere Bewußtseinsinhalt gegenständlicher Art Subjekt eines Urteils werden kann. Damit ist aber die Frage, ob wir es in den genannten Sätzen im Sinne der hier behandelten Deutung mit "wirklichen" subjektlosen Sätzen zu tun haben, wohl ohne weiteres beantwortet. Sie sind es nicht; sie sind vielmehr genau so gut mit Subjekt und Prädikat ausgestattet wie die "vollständigen" kategorischen Urteile, nur daß dieses Subjekt nicht ein eindeutig bestimmter Gegenstand, sondern die Allgemeinvorstellung eines bekannten oder als bekannt gedachten Dings, Gegenstandes oder "Etwas" ist. Das gilt nicht nur für Urteile dieser Art, die sich auf eine gegenwärtige Wahrnehmung beziehen, wie "es blitzt", "es donnert" usw., deren Sinn demnach kein anderer ist als "das Bewußte" blitzt, donnert usw., sondern auch für alle anderen Urteile dieser Gruppe unter jenen, die das unpersönliche "es" zum Subjekt haben. Beispielsweise kann daher auch in dem in der Erörterung dieser Frage oft behandelten Satz: "es fehlt an Geld", dem MIKLOSICH (Subjektlose Sätze, Seite 24) ausdrücklich die Subjektlosigkeit zuerkennt, vom tatsächlichen Fehlen dieser Urteilsgrundlage keine Rede sein; und da zudem in diesem Satz nicht nur ausgesagt wird, daß "das Bewußte" fehlt, sondern das Was dieses Fehlenden durch die Bestimmung "an Geld" noch ausdrücklich erläutert wird, so ist jedenfalls gewiß, daß gerade dieses Urteil für die behauptete Eingliedrigkeit dieser Urteile noch weniger in Anspruch genommen werden kann als die obigen Beispiele. Das gleiche Verhältnis findet aber offenbar auch statt, wenn kein Sein oder Bewirken, sondern ein Werden von einem solchen durch "es" in unbestimmter Weise angedeuteten Inhalt ausgesagt wird; und die gleichfalls so viel erörterten Sätze von der Form "es wird gespielt" oder "es wird getanzt" müssen daher, auch wenn ein bestimmtes Objekt des Spielens oder Tanzens im einzelnen Fall nicht vorausgesetzt ist, gleichfalls als richtige zweigliedrige Urteile anerkannt werden: sie sagen auf, daß "das Bewußte" wird, und geben diesem Werden durch die beigefügte Zeitwortform seine Bestimmung. Die Schwierigkeit, das "es" der bisher behandelten Sätze als das sprachliche Zeichen eines wirklich vorhandenen Bewußtseinsinhaltes und demnach eines psychologischen Subjektes zu verstehen, lag wohl vor allem in dem äußerlich unleugbar bestehenden Widerspruch, daß diesem "es" seinem Sinn nach eine vieldeutige und allgemeine, dem Anschein nach dagegen eine bestimmte und eindeutige Gegenstandsbeziehung zukommt; und da diese bestimmte Gegenständlichkeit eben nicht namhaft gemacht werden konnte, so lag die Folgerung, daß in all diesen Fällen das "es" überhaupt nur eine sprachliche Form ohne Inhalt ist, nur allzu nahe.

Dennoch dürfte diese Folgerung nicht nur durch die vorstehenden Ausführungen als irrtümlich erwiesen sein, sondern es scheint auch nicht allzu schwer zu zeigen, welches der Grund ist, der in unserer Sprache das mit diesem Widerspruch behaftete Fürwort "es" zum bevorzugten sprachlichen Subjekt des vermeintlich psychologisch subjektlosen Satzes gemacht hat. Unsere Sprache kennt, abgesehen von gewissen Fällen elliptischer Ausdrucksweise - wie etwa ein einfaches "genügt!" mitunter für "es genügt" stehen kann - den fürwortlosen Gebrauch der bestimmten Zeitwortformen bekanntlich nicht; vielmehr muß die bestimmte Zeitwortform, wenn schon ein unmittelbar bezeichnetes Subjekt dem Satz fehlt, mit einem dieses Subjekt vertretenden persönlichen Fürwort regelmäßig verbunden sein. Ein solcher doppelter Hinweis auf den Träger des Prädikats durch Zeitwortform und Fürwort kann ansich unnötig erscheinen, wie ja in vielen älteren und neueren Sprachen die bestimmte Zeitwortform allein zur Deckung dieses Ausdrucksbedürfnisses genügt; jedenfalls entspricht aber die Setzung eines Fürworts in Fällen der genannten Art einer allgemeinen Regel der deutschen Sprache, und mußte darum auch in der sprachlichen Form der sogenannten Impersonalsätze ihre Verwirklichung finden. Indem wir daher in der beschriebenen Weise ein Ding oder eine Wesenheit einem Vorgang, der ansich lediglich in seiner Tatsächlichkeit gegeben ist, als dessen Träger oder bewirkende Ursache unterlegen, leisten wir dieser allgemeinen Gesetzlichkeit unserer Sprache Genüge, während wir andererseits das so gewonnene Subjekt offenbar in der zweckmäßsigsten Weise bezeichnen. Ist doch das Fürwort "es" zur allgemeinen Andeutung eines Inhalts ohne jede nähere Festlegung zunächst schon darum das natürlich gegebene, weil es im Gegensatz zu "er" oder "sie" der Verengung seines möglichen Beziehungsbereichs durch persönliche Bestimmtheit entbehrt; sodann aber kommt in Betracht, daß "es" im Hinblick auf die Bestimmtheit der darin enthaltenen Beziehung zwischen dem vieldeutigen "etwas" und dem unmittelbar auf einen angebbaren Inhalt hinweisenden "das" gewissermaßen die Mitte hält: es schreibt dem Prädikat der Form nach ein bekanntes Ding als Subjekt zu, bleibt also vom Unbefriedigenden einer Aussage frei, deren Subjekt durch "es" ausdrücklich als unbekannt bezeichnet wird, während es wiederum im Gegensatz zu einer mit dem Subjekt "das" ausgestatteten Ausdrucksweise, die naturgemäß nur bei einem tatsächlich bekannten Subjekt eine Anwendung finden kann, doch keinen Hinweis der Art in sich schließt, als ob der Hörende die gleiche Vorstellung wie der Sprechende als Subjekt zum Prädikat, auf das es im "subjektlosen Satz" allein ankommt, im Bewußtsein gegenwärtig haben muß.

Mit der Deutung des Subjekts "es" in dem hier bezeichneten Sinn dürfte die Frage, ob es subjektlose Impersonalsätze tatsächlich gibt, zumindest für die mit dem genannten sprachlichen Subjekt ausgestatteten Sätze dieser Gattung wohl erledigt sein; und es werden daher, falls es überhaupt "subjektlose" Urteile geben sollte, diesen jedenfalls nur solche Sätze dieser Klasse möglicherweise zugerechnet werden können, bei denen, wie etwa in den begreiflicherweise viel in diesem Sinn verwerteten Sätzen: "mich friert", "mich dürstet" usw. ein sprachliches Subjekt überhaupt nicht vorhanden ist oder zu sein scheint. Indessen dürfte es gemäß der obigen Darlegung über das Verhältnis von Sprache und Bewußtsein doch wohl vorschnell erscheinen, wenn man aus dem Mangel eines sprachlichen Subjektswortes sogleich auch einen Schluß auf das tatsächliche Fehlen eines Subjekts ziehen will; und es fehlt in der Tat nicht an gewichtigen Gründen, die in mittelbarer oder unmittelbarer Beziehung auf die hier behandelte Frage von namhaften Forschern für das Vorhandensein einer Subjektsvorstellung auch in Fällen dieser Art geltend gemacht worden sind. So hat z. B. PAUL (a. a. O., Kap VI) die Annahme vertreten, daß in Sätzen wie pluit, varsati usw. die sprachliche Bezeichnung des Subjekts nicht notwendig fehlen muß, da sie ja in der Zeitwortendung enthalten sein kann; und der gleiche Forscher hat ferner auch die für die Deutung von Sätzen wie "mich friert, mich dürstet" usw. wichtige Annahme aufgestellt, daß jedes Satzglied, in welcher Form es auch erscheint, "Subjekt oder Prädikat oder Bindeglied bzw. ein Teil davon" sein kann. In dieser Anschauung begegnet sich PAUL auch mit LIPPS, der (Grundzüge der Logik, Seite 40) der Ansicht Ausdruck gibt, daß "keinem Gegenstand des Bewußtseins oder Bestandteil eines solchen, Raum- und Zeitbestimmungen nicht ausgeschlossen", von vornherein und allgemein die Fähigkeit abgesprochen werden kann, "Subjekt oder Prädikat eines Urteils zu sein oder dazu zu gehören". Gerade diese Anschauung gegen die ein Einwand sicher nicht erhoben werden kann, dürfte für die hier erörterte Frage von besonderer Bedeutung sein und dazu beitragen, über das psychologische Subjekt auch dieser letzten Gruppe der vermeintlich subjektlosen Sätze Aufklärung zu geben.

Für Sätze wie pluit, pugnatur usw. darf nämlich im Sinne dieser Anschauung je nach dem besonderen, sich aus dem Sachzusammenhang ergebenden Sinn teils wie in den bereits behandelten Sätzen ein als bekannt gedachtes Etwas, teils auch eine räumliche oder zeitliche Bestimmung als psychologisches Subjekt untergelegt werden; denn es ist ja klar, daß diese Sätze im Allgemeinen nicht besagen sollen, daß es überhaupt und irgendwo regnet oder gekämpft wird, sondern daß dieser Vorgang von einer vorausgesetzten Örtlichkeit ausgesagt, also dem damit bestimmten Subjekt als Prädikat zugeschrieben werden soll. Für die Urteile über körperliche Zustände wie "mich friert", "mich dürstet", "mir ist heiß" usw., die noch SIGWART als unanfechtbare subjektlose Urteile betrachtet, ergibt sich gleichfalls aus der in diesen Ausführungen ausgesprochenen Auffassung der Hinweis darauf, wo die vermeintlich nicht vorhandenen Subjekte dieser Urteile tatsächlich gegeben sind: es sind offenbar die herkömmlicherweise als unmittelbares und mittelbares Objekt bezeichneten Redeteile "mich", "mir" usw. oder vielmehr die durch sie bezeichneten Vorstellungen, die in diesen Fällen richtige und vollwertige Urteilssubjekte darstellen. Um diese Auffassung anzunehmen, muß man sich nur ernsthaft von der Anschauung frei machen, daß sprachliche und psychologische Kategorien notwendigerweise zusammenfallen müßten, d. h. man braucht nur Ernst mit der Erkenntnis zu machen, daß das Subjekt eines Urteils, ganz gleichgültig, welcher grammatischen Kategorie im sprachlichen Ausdruck dieses Urteils er angehört, jener Bestandteil desselben ist, an den sich als den zuerst im Bewußtsein gegebenen Vorstellungsinhalt die im Prädikat ausgesprochene Zuweisung zu einer allgemeineren Begrifflichkeit ausschließt. Hat man sich einmal die so gefaßte Bestimmung des Subjektbegriffs zu eigen gemacht, so kann offenbar auch in Bezug auf diese letzte Urteilsgruppe weder von Subjektlosigkeit noch von Eingliedrigkeit mehr die Rede sein. In dem Satz "mich dürstet" ist vielmehr zweifellos das "unmittelbare" oder "nähere" Objekt "mich", in dem Satz "mir ist heiß" das "mittelbare" oder "entferntere Objekt "mir" ebenso gut Subjekt wie etwa in den wesentlich gleichbedeutenden Sätzen "ich bin durstig" oder "ich habe heiß" der Nominativ "ich"; und es war wohl lediglich die unberechtigte Annahme, daß das psychologische Subjekt sprachlich stets in der Form des Nominativs auftreten muß, die selbst einen der Grundanschauung BRENTANOs so fern stehenden Forscher wie SIGWART dieser Urteilsgruppe den Besitz eines psychologischen Subjekts absprechen ließ.

LITERATUR: Karl Schneider, Zur Kritik der Urteilslehre Franz Brentanos, [Inaugural-Dissertation] Heidelberg, 1915
    Anmerkungen
    1) Das "Existentialurteil ist, eben als subjekt- und relationsloses Urteil, kein vollständiges Urteil. Doch darf ihm der Name eines Urteils nicht überhaupt abgesprochen werden ..."