W. HerrmannJ. G. FichteM. DrobischFeuerbachR. Otto | |||
Vorlesungen über Relisionsphilosophie [2/2]
3. Die Erhaltung und Regierung der Welt, das Wunder (Theodizee) α) Die Erhaltung 50. Der Begriff der Erhaltung (und Regierung) steht in einem engen Zusammenhang mit dem Begriff der Schöpfung. Deismus, Pantheismus und Atheismus können nur von einer Selbsterhaltung der Welt sprechen, nicht aber von einem göttlichen Akt; sie bleiben hier bei einer mechanischen Auffassung stehen. Wir dagegen behaupten, gemäß unserem Schöpfungsbegriff, eine bleibende lebendige Wechselbeziehung zwischen beiden Polen, Welt und Gott, ein geschichtliches Walten Gottes in der Welt. ANSELM sagt: "Wie nichts geschaffen ist außer durch die schöpferische gegenwärtige Wesenheit, so besteht nichts außer eben derselben erhaltenden Gegenwart." Ich sage: wenn Gott (A) Zustände (1, 2, 3 ...) hat vor der Schöpfung der Welt, welche als hinreichende Gründe (die Liebe Gottes vgl. § 41) der Schöpfung der Welt entsprechen, so müßte, wenn diese Zustände aufhören würden, auch die Welt wieder aufhören Es muß also der schöpferische Liebesakt ein dauernder sein und so ist die Erhaltung nach meiner Ansicht als das dauernde Zusammenwirken des endlichen mit dem unendlichen Geist zu fassen. 51. Wir wollen das, was aus der Entwicklung der Welt als solcher hervorgehen würde, das Natürliche nennen. Selbstverständlich bedarf das Natürliche der fortdauernden Erhaltungstätigkeit Gottes; das dauernde Bestehen der Naturgesetze ist ein dauerndes Wirken Gottes. Aber damit ist Gottes Sich-Kümmern um die Welt und die Ausführung seines Liebesplanes nicht beendet, sondern wir haben weiter unten dem Begriff der Regierung oder Vorsehung Gottes zu verstehen, daß er das Natürliche unter Umständen modifiziert, ändert, aufhebt. Solche außerordentlichen Eingriffe in das Natürliche nennt man Wunder. Mit dem Begriff der Regierung ist also ohne weiteres der Begriff des Wunders gesetzt. Plump festgehalten öffnet dieser Begriff allem Aberglauben und jeder Beschränktheit Tür und Tor. Von außen gesehen aber wären Wunder Ereignisse, welche nach der Wirksamkeit der Naturgesetze unmöglich scheinen oder deren Eintritt doch eben jetzt nicht für möglich gehalten ist; daher nimmt sie der Gläubige als Gottes Offenbarungstätigkeit. 52. Wir sagen nun folgendes: Einmal liegt das, was wir Wunder nennen, ganz in der gleichen Linie, in der sich der Weltplan überhaupt bewegt. Irgendeine Mißgeburt ist kein Wunder; das Wunder kann nur in der Linie der Verwirklichung göttlicher Liebeszwecke liegen. - Des weiteren treffe ich mit LEIBNIZ folgende Bestimmungen: 53. Erstens wird es durch Gottes Vollkommenheit bedingt, daß von Anfang an im Schöpfungsplan ein Eingreifen Gottes in den Weltgang mit vorgesehen ist und zwar durch eine gewisse Wandelbarkeit, welche über den Naturgesetzen liegt. In dieser Beziehung wäre die besondere Leitung Gottes, das Wunder, in einem eigenartigen Zusammentreffen verschiedener Kausalreihen der Geschichte zu suchen. Wo uns die Einheit und Ordnung der Natur, die uns in Summa verschlossen bleibt, wie planvoll entgegenleuchtet, da, sagen wir, sehen wir den lebendigen Willen Gottes. Ein Beispiel dieser niederen Bedeutung des Wunders wäre das planvolle Zusammenstimmen der Natur, welche die Griechen umgab, zu ihrer Entwicklung. 54. Ungleich tiefer wird der Begriff, wenn wir zweitens die graduell hervorragende Kraftentwicklung des menschlichen Geistes hinzu nehmen. Griechenland ist zertreten: da tritt SOKRATES auf, und in einem Moment breitet sich Griechenland zu Schöpfungen aus, die der Welt vorleuchten. So entwickeln bei der Zertrümmerung des jüdischen Volkes die Propheten eine Macht des Gottesbewußtseins, die von jeher auf eine göttliche Inspiration zurückgeführt ist. Die Erhebung des menschlichen Wesens in diesem Zustand der Offenbarung hat der Mensch sich selbst nicht gegeben; er erleidet sie. Sie überschreitet dasjenige Wesen der Seele, das sich nach den Gesetzen des Weltlaufs berechnen lassen könnte. Sie ist somit eine (wenn auch vorübergehende) Verlängerung und Erweiterung des menschlichen Geistes. Sie liegt aber wiederumg in derselben Richtung, die der menschliche Geist hat, nur weiter in dieser Richtung; eine Potenzierung des menschlichen Wesens. 55. Endlich müssen wir drittens prinzipiell die Möglichkeit anerkennen, daß auch Revolutionen in der Erdgeschichte, plötzliche Naturereignisse einem Eingreifen Gottes in den Weltenlauf verdankt werden können (z. B. als Begleitung wichtiger geschichtlicher Ereignisse), wenn durch sie, was im göttlichen Willen liegt, zutage tritt. - Im einzelnen aber wird jeder, der sich hier zu einer Meinung berufen fühlt, keusch sein und nicht vorschnell; daher hat es seinen guten Sinn, immer die Unbedingtheit der Naturordnung zu betonen. 56. Es sind also die großen Führungen der Geschichte, in denen Gottes Offenbarungstätigkeit, soweit sie in der Regierung der Welt über die Schöpfung hinausreicht, zu suchen haben. In der Entwicklung der Geschichte gestaltet sich das Reich Gottes; hier zeigt sich erst der Sinn und die Bedeutung, die Gott mit dem Menschen vorgehabt hat. - Dagegen wird in den kleinen Lebensverhältnissen des Einzelnen nur soweit und insofern die Präsumtion eines außerordentlichen Eingriffs Gottes vorhanden sein, inwiefern der Einzelne von Gott berufen ist oder sich selbst dazu gemacht hat, als ein Hauptwerkzeug dem göttlichen Liebeszweck zu dienen. Je mehr Du bloße Spreu bist, je mehr wirst Du auch als bloße Füllung benutzt. - Wohl aber wird jeder in seinem Privatleben das finden, was für Führung des Lebens nennen. Jeder wird dies einsehen, wenn er als siebzigjähriger Greis die Wege übersieht, die er hat wandeln müssen; doch rechnen wir dies nicht zu den außerordentlichen Eingriffen Gottes. 57. Schließlich sei noch erwähnt, daß, was man als Heilung Wunder genannt hat, durchaus in der Richtung liegt, in der wir Wunder anerkennen. Geistesmächtige Persönlichkeiten haben eine wahrhaft ins Fleisch hineinreichende Kraft. Daß aber der Glaube doch mehr bedeutet als ein bloßes Für-Wahr-Halten, das bestätigt die Geschichte auf jeder Seite. 538. Eine poetische Ausprägung des (Wunder-)Glaubens, daß der lebendige Gott über der Ausführung seines Weltplans besonders wacht, ist der Engelglaube. 59. Wir kommen nunmehr zu der vielerörterten Frage: Wenn Gott die Welt aus Liebe erschaffen hat und sie erhält und regiert in demselben Sinn, welche Bedeutung hat dann das Übel und das Böse in der Welt? Zunächst ist das tatsächliche Vorhandensein des Übels und des Bösen einer der zwingenden Gründe für unsere bestimmtere Unterscheidung zwischen Gott und Welt bei der Erörterung des Schöpfungsbegriffs. Denn in Gott als dem Unendlichen kann es weder Böses noch Übel geben. Das Übel kann bloß eine Erscheinung innerhalb des Reiches der endlichen Geister sein. Aber hier muß es von Gott zugelassen und gewollt sein. Unsere Frage ist also bestimmter die der Theodizee: Zu welchem Zweck hat Gott das Übel in der Welt zugelassen? 60. Es ist klar, daß endliche Geister als solche mit gewissen Unvollkommenheiten behaftet sind, daß deshalb eine endliche Welt ohne Konflikte nicht möglich ist. Weiter aber sind, dem Schöpfungsplan gemäß, die endlichen Geister zur Selbstentfaltung bestimmt. Sie müssen sich durch viele Irrtümer zum Wahren hindurchdringen. So sind jene Konflikte und die damit verbundenen Übel, alle Krankheit und Not, dazu da, daß sie vom sinnlichen Menschen empfunden und dem geistigen ein Reiz werden, aus dem Sinnesschlaf zu erwachen. Sichtbar für uns ist zunächst eine Seite dieser Ökonomie, das Schuldgefühl bei der Verirrung. Dieses sagt aus, daß die Schuld Sühne verlangt, daß ich eine Wiederherstellung meines eigenen Zustandes nur dann finde, wenn ich soviel Leiden auf mich nehme, als ich zugefügt habe. Aber das Übel überhaupt bloß als Strafe in diesem Sinne anzusehen, damit kommen wir zur Rechtfertigung der Existenz desselben nicht aus; denn da ständen Vergeltung und Schuld in der Wirklichkeit in keinem Verhältnis. So müssen wir den tieferen Grund des Übels eben so aussprechen: im Schmerz wirst Du erst des Widerspruchs inne zwischen Deinem jetzigen Zustand und Deiner Bestimmung zur Ebenbildlichkeit Gottes. Am Übel ringt sich der Mensch empor. Das Übel weckt uns. Erst im Übel können wir zeigen, wieviel uns am Guten liegt: mag der ganze sinnliche Plunder in Stücke gehen, die übersinnliche Welt gilt mehr (das uralte Thema des Buches Hiob). Erst das Übel vermag die Ichheit völlig zu zerstören und die Erfahrung zu zeitigen: ich bin nichts, Gott aber ist alles. In der Angst und Qual des Leidens bricht erst die göttliche Bestimmung hervor. 61. Wir dürfen nicht darüber klagen, daß Gott unser Wesen so eingerichtet hat, daß wir erst fallen müssen, bevor wir allmählich zur Einsicht gelangen, wie wenig fest wir stehen. Denn Gott ist der Geber aller Güter, die überlegene göttliche Weltordnung ist nur sich selbst verantwortlich, nicht Dir. Das Böse ist als ein Moment in der Entwicklung zum Guten von Gott gewollt. Erst da, wo es statt eines Momentes in jenem Prozeß ein bleibender bewußter Gegensatz gegen das Göttliche wird, tritt die Verwerfung ein, das Teuflische, der Antichrist. Der Teufel ist die symbolisierte Welt des festgehaltenen Gegensatzes zu Gott, die mythische Verkörperung des Negativen, ein Schattenreich ohne Licht, das für sich in hämischer Schadenfreude lebt. 62. Wir fassen, was wir von der göttlichen Regierung gesagt haben, noch einmal kurz so zusammen. Die göttliche Regierung können wir hinsichtlich des Guten und Bösen so einteilen, daß sie das Übel teils zuläßt, teils einschränkt, teils verhindert, das Gute aber teils sollizitiert [ablehnt - wp], teils zugrunde gehen läßt, um der Bewährung und Vertiefung willen. Hinsichtlich der Mittel aber ist die göttliche Regierung teils eine ordentliche, teils eine außerordentliche, d. h. jene in den Tiefen des Geistes hervortretenden Regungen der Kräfte, die im sogenannten natürlichen Menschen nicht ohne weiteres vorliegen. Das Ziel aber kann für die religiöse Betrachtung nur das sein, daß alle zum Guten geführt werden oder, religiös gesprochen, die Erlösung, nach ANSELM die immutabilis sufficientia [gleichbleibende Zufriedenheit - wp] der Seligen. (höchstes Gut, die Aufgaben des Menschen und die Hauptformen der Sünde) 1. Vom höchsten Gut 63. Das höchste Gut ist ein Begriff, den schon alle späteren klassischen Ethiker haben. Er hat sich in der Geschichte schrittweise entwickelt als das, wonach der sittliche Mensch streben soll. So muß er als Keim schon durch die Schöpfung bestimmt sein, und dieser Keim kann nur das sein, was Gott mit der Welt wollte (es soll ja des Menschen höchstes Gut sein, jener logos, auf den blickend Gott die Welt schuf. Dieser Keim ist ewig. In Gott ist die Vollendung desselben auf einmal in alle Ewigkeit. In der Welt dagegen kann er sich nur nach und nach explizieren. Das ist schon ein platonischer Gedanke; die sinnlichen Dinge sind nicht unmittelbar göttlich, sondern nur ein mimema [etwas Nachgemachtes - wp] des Göttlichen. 64. Um näher die Art des höchsten Gutes darzulegen, das in der sinnlichen Welt verwirklicht werden soll, stellen wir folgende Erörterung an. Wert haben, gut sein ist ein Begriff, der sich allemal nur in der lebendigen Empfindung, im Gefühl verstehen läßt. Gefühl ist Lust und Unlust. Lust liegt dem Guten, Unlust dem Übel zugrunde. Indem wir nun nach dem höchsten Gut fragen, erkennen wir eine Stufenfolge der Lüste, verschiedene Arten derselben, an (vgl. PLATONs Philebus). Das höchste Gut müßte demnach dasjenige sein, das, wenn es erfüllt wäre, das höchste Wohl gäbe, und wenn nicht erfüllt, das höchste Weh brächte. Es muß weiter eine Lust sein, die nicht zerstört werden kann. PLATO zeigt aber schon im Philebus, wie alle sinnliche Lust nur ein Aufhören des Übels ist, also kann idese, im Übrigen wohl ganz angenehme, sinnliche Lust nicht zum zentralen Interesse des Menschen taugen. Eine höchst unzerstörbare Lust aber kennen wir auf einem religiösen Standpunkt in der göttlichen Seligkeit. Jene vorhin erwähnte immutabilis sufficienta der Seligen muß also das sein, was Gott mit der Welt vorhatte; denn sie spiegelt seine eigene Seligkeit wieder, ist ein mimema von Gottes Seligkeit. Das verlangt mein Schöpfungsbegriff, der nicht die Annahme zuläßt, daß Gott sich selbst ein Höheres vorbehalten hat. 65. Es lebt im Menschen eine Macht, die ihn immer wieder über sich selbst erhebt. So drängt mit Notwendigkeit das ursprünglich verschwommene phantastische Denken von selber zur Logik. So ist es auch auf dem Gebiet des Schönen, das in der Geschichte ein Aufsteigen zu immer reineren Formen zeigt. Und ebenso steht es mit dem Guten. Es tönt bei aller Lust immer die höchste Lust mit und zieht zu sich empor. Die Formen des Handelns nun, in denen die höchste Befriedigung entspringt, bezeichnen wir als die absoluten Formen des Handelns; sie entsprechen den logischen Formen auf dem Gebiet des Denkens. Vom religiösen Standpunkt aus aber bezeichnen wir sie als die Gesetze des göttlichen Willens, die vom Menschen zu erfüllen sind, wie Kinder den Willen des Vaters erfüllen müssen. Daher dürfen wir vom religiösen Standpunkt aus die Menschen nicht bloß als Naturprodukte auffassen, sondern zugleich und vor allem als Kinder Gottes. 66. Damit haben wir den Boden für diesen letzten Abschnitt gewonnen. Während für Gott das Gute unmittelbar seine eigene Natur ist, so ist für den Menschen die Verpflichtung, gut zu werden, ein Gebot, ein Sollen; ein Sollen bleibt das ethische Gebot, mag die Ethik religiöse oder anders behandelt werden. In der Qual und Angst der Erdennot sollst Du herausstellen, was in Dir liegt; das Ziel aber ist die durch beharrliche Arbeit zu erringende Seligkeit. Die Erfüllung der Aufgabe ist, vom religiösen Standpunkt bezeichnet, die Heiligung, die Kehrseite derselben die Sünde. Zerlegen wir den Weg zur Erfüllung, so zerlegen wir im weitesten Sinne den Heilsweg (III. Teil), gehen wir den Abirrungen nach, so betrachten wir den Sündenpfad. Für eine Betrachtung, die wie die HERBARTs die Ethik auf Geschmacksurteile beschränkt, gibt es keine Sünde; eine solche Ansicht kann nur von einem Unglück reden, daß man den sittlichen Geschmack nicht erhalten hat. 67. Dreierlei Aufgaben des Menschen wollen wir unterscheiden. Die erste ist die Kulturaufgabe. Der Mensch soll sich die Natur allseitig dienstbar machen, Besitz nehmen von der Breite des sinnlichen Seins, um sich dadurch über dieses natürliche Sein hinauszuschwingen. Eine Vorstellung von der Bedeutung dieser Aufgabe des Menschen erhalten wir, wenn wir die Vorstellung des Kindes von Raum und Zeit etwa damit vergleichen, wie wir jetzt in unserer Telegraphie usw. Raum und Zeit überfliegen. Die Entwicklung der sinnlichen Erkenntnis des Menschen ist nur möglich, indem er sich mit der sinnlichen Welt in Berührung setzt und sie sich aneignet. - Die zweite Aufgabe ist die sittliche. Die Menschen, die zunächst in einzelnen Räumen zusammenleben, sollen sich in eine geordnete Gesellschaft eingliedern, die sich immer weiter verfeinert. Wenn der Mensch sich als Glied eines größeren Zusammenhangs weiß, geht der natürliche Egoismus unter. Indem er ein dienendes Glied des Allgemeinen wird, der Familie, des Staates, der Menschheit, kommt er zur entsagenden Selbstbeschränkung. Die dritte Aufgabe ist die religiöse. Sie verlangt die Sammlung und Vertiefung in den wahren Sinn der menschlichen Bestimmung, die Entwicklung einer wahren Einsicht in den inneren Grund der Dinge; das erst würde zur Lauterkeit und Reinheit der Gesinnung führen. 68. Dies sind also die drei Aufgaben: daß man Besitz nimmt von den Dingen und sie beherrscht, daß man sich mit seinen Zwecken in eine Zusammengehörigkeit aller Menschen eingliedert, daß man sich durchdringen läßt von der tiefsten Weisheit des Alls. Wird nun die Kulturaufgabe im weitesten Sinn von den Bestrebungen der Gesellschaft gelöst, so findet die sittliche Aufgabe ihr Zentrum in der Gemeinschaft des Staates und die religiöse in der Kirche. Alle drei sind ausnahmslos in der Geschichte zur Geltung gekommen, aber so, daß der Schwerpunkt immer wo anders lag. Die antiken Völker haben wesentlich die erste und zweite Aufgabe zu erfüllen gesucht. Hier sind die zentralen Kräfte einerseits die Besitznahme der Welt, der Genuß ihrer Schönheit, die Kenntnis der Natur und die Herrschaft über die Natur, andererseits das, was man als Patriotismus bezeichnet, daß jeder sich als dem Staat eingegliedert weiß; an der Peripherie nur liegt, sich wesentlich aus religiösen Motiven bestimmt zu wissen. Gerade das letztere aber ist das Eigentümliche der höheren christlichen Ethik, nämlich die Welt und die Aufgabe, die sie stellt, nur als Übung für das religiöse Bewußtsein aufzufassen und nicht unser kleines irdisches Dasein mit dem Ganzen der göttlichen Weltordnung zu verwechseln. Das ist das Neue im Leben und Weben, was mit dem christlichen Fühlen in die Welt gekommen ist. 69. Wer diesen Aufgaben, welcher auch immer, selbstlos dient, von dem sagen wir, daß er an seinem Teil den Weltzweck erfüllt; wer ihnen nicht dienen will oder nur das Seine in ihrem Dienst sucht, der ist in der Selbstentzweiung des Subjektiven mit dem, was er seinem Wesen nach sein soll, ist der Sünde verfallen. 70. Die Sünde hat als Moment im sittlichen Prozeß überall ihre Stelle. Denn der Mensch erwacht nur schrittweise aus der Naturbeschränktheit. Wir sind in einer Beziehung Tier, mit der natürlichen Selbstsucht eines ungöttlichen Willens begabt. Aber während die Tiere und Pflanzen in naiver, träumender Weise sündlos dahinleben, wird uns das, was uns zu Menschen macht, das unterscheidende Bewußtsein des Guten und Bösen, ein notwendiger Quell der Sünde, Denn um aus dem Paradies der Kindheit zum selbstbewußten Guten heranzureifen, muß der Mensch durch die Sünde hindurch. Dem erwachsenden Freiheitsgefühl ist jede Schranke lästig, und solange der Mensch noch nicht durch das sittlich Gute erleuchtet wird, geht er im sinnlichen Drang über die Schranken hinaus, bis er sich den Kopf zerstößt und zu Bewußtsein kommt. Diese im menschlichen Wesen begründete Notwendigkeit der Sünde für den zum Guten emporstrebenden Menschen wird von den Theologen mit dem Namen Erbsünde bezeichnet. 71. Entsprechend den drei Aufgaben des Menschen unterscheiden wir drei Hauptgruppen der Sünde. Was zunächst die Kulturaufgabe betrifft, so ist der Naturforscher, der sich selbstlos der Betrachtung der Natur hingibt, ganz gewiß im Kreis des Guten. Sobald aber die Selbstsucht sich einmischt, so wird aus der sittlichen Besitznahme der Welt die Weltsucht, die Genußsucht. Diese Weltsucht ist unersättlich ("So taumle ich von Begierde zum Genuß und im Genuß verschmachte ich nach Begierde"); sie erstrebt, was nicht satt macht. Es lassen sich eine Masse Arten derselben aufzählen: Sinneslust, Lust am Schauen, Fleischeslust, Lust am Besitz usw. In ihrer niedrigsten Form ist sie die halb unschuldige Art der Sünde. Denn daß der Mensch überhaupt genießen muß, ist natürlich, und da ist dann, solange das geistige Sein noch weniger entwickelt ist, ein Überschreiten der Schranke sehr leicht möglich. So sprechen wir hier auch lieber von Vergehungen als von Verbrechen. 72. Die zweite Form der Sünde, die Kehrseite der sittlichen Hingabe, wäre die Selbstüberhebung, das hoffärtige Wesen, das rücksichtslos alles niedertritt, um nur das liebe Ich auf den Thron zu erheben. Hierfür ist der Typus ALKIBIADES. Alle seine großen bewundernswerten Eigenschaften benutzt er zum Raum am Vaterland, zur Aufblähung seines eigenen großen Ich. Hier ist Schuld; denn wor die Geistigkeit so sehr entwickelt ist, da ist das Bewußtsein dessen, was der Mensch zu leisten bestimmt ist. 73. Die Kehrseite der religösen Aufgabe endlich, der Vertiefung in jenes Innerste, Unsagbare, können wir als das Dämonische, das Teuflische bezeichnen; eine Sünde, die eigentlich ebenso über den Menschen hinausragt, wie die erste Art unter dem Menschen steht. In religiöser Sprache bezeichnet man die Verhärtung gegen die in jedem tönende Ahnung von der göttlichen Bestimmung als die Sünde gegen den heiligen Geist. Auch Du hast das Göttliche vernommen; aber Du hast zeigen wollen, daß Du stärker bist. Diese ist die widerlichste und fürchterlichste Form der Sünde. 74. Jede dieser drei Hauptformen der Sünde hat, wie klar ist, unzählig viele Abarten. Vor allem wollen wir bemerken, daß jede der drei Abirrungen unschuldigerer und teuflischerer Art sein kann. Dieser Grad mißt sich am Grad der geistigen Entwicklung, an dem, was man an der bösen Lust zum Opfer bringt. 75. Der normale Prozeß des Guten würden nun dem bisher Gesagten zufolge dieser sein. Jeder Mensch ist gut, dient dem Weltzweck, sofern er an seiner Stelle seine Aufgabe im Bewußtsein seiner Pflicht erfüllt, gleichgültig, ob er sich als einfacher Arbeiter, als Politiker, als Beamter bewährt; das Gute mißt sich nicht an dem besonderen Gebiet, das Dir gerade durch Schicksal und Neigung zugefallen ist, sondern an der Art, wie Du Deine besondere Aufgabe erfüllst. Der normale Prozeß geht nun durch mancherlei Zickzackwindungen aufwärts; denn es irrt der Mensch, solange er strebt. Dem Irrtum aber folgt der Rückschlag. ("Ihr führt ins Leben ihn hinein, ihr laßt den Menschen schuldig werden; dann übergebt ihr ihn der Pein.") Wem nun seine Sünde brennt, in dem erwacht das Bedürfnis nach Erlösung. Wer sich dann wecken läßt und seine geistige Bestimmung höher anschlägt als die ganze Welt, der wird frei; er erkämpft eine Hingabe, die stärker ist als der Tod, bereit, alles zu opfern. Das ist der normale Weg zum Guten. - Den regelmäßigen, wohlzugeschnittenen Schüler wollen wir gewiß nicht heruntersetzen; doch "der war nie töricht, aber auch nie weise". 76. Wer nun zum Aufwachen über sich gekommen ist, der wird nach einer anderen Lebensweise verlangen, und er wird diese in der Gesellschaft suchen müssen; denn aus sich allein kann der Mensch weder gut noch böse sein. Wenn das Wort Geltung hat: "Der Verbrecher ist das Verbrechen der Gesellschaft, erträgt in seiner Schuld die der Gesellschaft, in der er lebt, mit", so kann sich der Mensch auch bessern, indem er das Gute der Gesellschaft in sich aufnimmt. Schuld weiter, das Gefühl der Unwürdigkeit und Trennung von Gott, ziehen wir selbst groß, indem wir unser sündhaftes Leben fortsetzen. So können wir umgekehrt unsere sittliche Kraft stärken, indem wir sie fortgesetzt gebrauchen. Wenn aber jene Umkehr Platz gegriffen hat, so tritt die Eitelkeit aller Dinge klar vor das Bewußtsein und es entsteht ein Gefühl der Leere (in religiöser Sprach der Ruf Gottes zur Buße; es bekundet, daß das Gute schon in mir war, aber bis jetzt nur nicht in die Höhe kommen konnte). Dieses Gefühl treibt dann zur Weltflucht. Diese Weltflucht aber, wenn sie sich befestigt, ist verkehrt, ist Überhebung. Der innere Drang fordert ein positives Tun, und das ist nur in der Gesellschaft möglich. Eine gründliche Abstoßung des Bösen wird nicht durch Weltflucht erreicht, sondern durch positives Schaffen. Wir fragen also: Welche Umwälzung wird in der Lebensführung vor sich gehen, wenn die Überzeugung Gottes zur leitenden Macht wird? Darauf antwortet der dritte Teil. Die Umwälzung der Lebensführung durch die religiöse Erkenntnis (religiöse Ethik) 77. Es soll jetzt die Umwälzung betrachtet werden, welche die Lebensführung durch die religiöse Erkenntnis erfährt. Daß eine solche Wirkung der religiösen Weltanschauung tatsächlich vorhanden ist, wollen wir denjenigen gegenüber zeigen, welche die Sittlichkeit allein vom sittlichen Gefühl, dem kategorischen Imperativ, abhängig wissen und der religiösen Erkenntnis eine nur sekundäre Stellung zuerteilen möchte. 1. Die natürliche Sittlichkeit 78. Zwei Formen des natürlichen sittlichen Lebens gibt es: eine sinnliche im Leben unmittelbar erwachsende und eine durch die geschichtliche Entwicklung hervortretende. Die erste Form ist die primäre, und darum ist es auch wieder unrichtig, die Sittlichkeit nur aus der religiösen Gesinnung herzuleiten: die Freude am Wohlergehen des andern und das Mitleid mit dem Übelergehen ist mit dem Wesen des Menschen gegeben. Jede menschliche Gesellschaft hat aus ursprünglich ethischen Trieben ein Volksethos entwickelt als unbewußtes naturgegebenes Produkt des Zusammenlebens (Sparta, Athen). Dieses mag beschränkt sein, aber der ganze Drang des Menschen zum Sittlichen ergießt sich in solche volkstümlichen Bildungen, und, was ihnen abgehen mag an Weite und Reife, ersetzt sie durch eine Wärme der Empfindung. Dieses Ethos befestigt sich in den ersten Anschauungen jener Sagenwelt, etwa vom Herakles usw., welche dem Menschen das Ideal des kaloskagathos [schön und gut - wp] zeigen und den Späteren Leitsterne des Handelns werden. Hier hat die Religion nur wenig mit der Ethik zu tun. Der Kult beschränkt sich auf einen bestimmten Kreis des Lebens: durch Opfer die übermäßigen Gewalten, von denen die Bedingungen des Daseins abhängig sind, sich geneigt zu erhalten. Dementsprechend sind auch die ersten ethischen Spekulationen nur der Niederschlag der Volkssitte; der Begriff der Pflicht findet sich nur in Ansätzen (PLATO) in der griechischen Spekulation; als das Höchste gilt der vieldeutige Begriff der Glückseligkeit. 79. Als nun aber das Griechenvolk zertrümmert wurde, da reichte schließlich der Begriff der kalokagathia nicht mehr aus. Im großen Römerreich, wo man den Menschen, nicht bloß den Hellenen ins Auge faßte, entwickelte schon die Stoa eine ganz andere Ethik: die Übereinstimmung mit dem durch das All gegossenen Göttlichen, das ist das Höchste. Hier vollzieht sieht sich jene Krisis, die dem Christentum den Boden vorbereitet, nach HEGELs Ausdruck das unglückliche Bewußtsein: der Mensch ist über den Boden des Ethos hinausgewachsen, hat aber noch keine innere Welt gefunden, in der er zuhause ist, und so entsteht jene innere Angst, die die Vorwehen eines inneren Umschwungs einschließt. Man sucht nunmehr eine Gemeinschaft, die einen allgemeinmenschlichen Verein bedeutet, nicht mehr einen griechischen Staat. Aus diesem zuerst abstrakten Drang nach einem Weltbürgertum entstand später, wir wir die Kirche nennen. 80. Richten wir jetzt den Blick auf den heute unter uns lebenden Einzelnen. Religiosität ist auch hier, wenn sie echt sein soll, durchaus nicht das erste, sondern die Krönung eines höchst komplizierten Gebäudes. Auch bei uns liegen die elementaren Formen der Sittlichkeit gar nicht im Religiösen. Das Kind von 3 Jahren stiehlt etwa heimlich; beim Diebstahl ertappt wird es rot und weint schon beim bloßen Vorwurf. Anerzogen könnte dies dem Kind gar nicht werden; es würde das Gemeinte gar nicht verstehen, wenn es nicht schon von vornherein eine Ahnung davon gehabt hätte. Es herrscht aber auf dieser niederen Stufe die Intensität der Empfindungen, nicht ihre Qualität. Deshalb werden die zartesten geistigen Empfindungen im stürmischen Gefühlsdrang leicht übertönt, wenn irgendeine engere Beziehung zur Ichsphäre angeregt wird. Dagegen hilft nur die Gewöhnung in der Erziehung und das Beispiel anderer. An diesen Stützen rankt sich die sittliche Anlage hinauf, die von selbst gegenüber den heftigen sinnlichen Gefühlen nicht zur Entwicklung gekommen wäre. So sind es die vom objektiven Geist bewirkten Anschauungen, welche das sittliche Gefühl erwecken; mit der Religion hat dieses erste Erwachen nichts zu tun, es ist nur an eine gesunde Entwicklung gebunden. 81. Indessen völlig abzutun die Potenz der sinnlichen Welt vermag diese natürlich erwachsene Sittlichkeit nicht; gegen außerordentliche Versuchungen ist sie nicht gewappnet. Die Pflicht andererseits tut Dinge, die sich nicht so ohne weiteres von selbst verstehen; indessen sie hat als solche stets etwas Erzwungenes, Gewaltsames an sich. Das entspricht aber nicht dem Herzensbedürfnis des Menschen, das lieben und umarmen will. So vertieft sich die Pflicht zu einer Hingabe aus dem innersten Sein. Bloße Sittlichkeit, die aus der Erziehung quillt, ist etwas Großes; durch sie gewöhnt man sich an einen Gehorsam, der auch da nicht aufhört, wo micht die Sache direkt nichts angeht. Der reife Gehorsam aber geht in die Liebe über; sie erst macht den Menschen in sich frei und damit tritt der Boden heraus, auf dem sich die religiöse Befriedigung aufbaut. 82. Das religiöse Fühlen also treibt den Menschen zu nichts, was er nicht auch sonst getan hätte. Aber während man sich der Pflicht opfert, so löst die Religion diese Unklarheit; die Liebe handelt ohne den heroischen Aufschwung. Wir haben hier also weniger eine neue Lehre als eine neue Lebenssphäre. Der Pflicht verschwindet das äußere Gesetz, der religiösen Liebe verschwindet auch das innere Gebot. Sie ist nicht mehr blinder Gehorsam, ein stummes Sich-Opfern, sie ist unmittelbare Hingabe: was Du liebst, lebst Du. In ihr verfließt das moralische Handeln still und ruhig. So tritt der Mensch aus dem friedlosen Umherirren in die Seligkeit, den Frieden Gottes. 83. Der religiöse Sinn zeigt sich positiv in der Sehnsucht nach einer solchen Hingabe und diese Sehnsucht gibt dem Geist Schwung, sodaß er zu Zeiten der Erhebung die volle Erfüllung der Aufgabe sehen kann; negativ erscheint der religiöse Sinn in der tiefen Trauer, daß man nicht genügt. Ein solcher Trieb nun nach der höchsten Hingabe läßt sich nicht mehr ableiten, und so stehen wir mit dieser praktischen Religiosität in einem Gebiet der Bestimmung von Mächten, die in der Endlichkeit als solcher nicht fließen, auf einem Boden der Ethik, der mit der natürlichen Sittlichkeit gar nicht zusammenfallen kann. 84. Die Welt der religiösen Ethik hat sich in der Geschichte tatsächlich entwickelt. Wie der Mensch sich in seinem Drang nach Gott leicht vergreift (vgl. PLATOs eros im Symposion) und seine Liebe statt auf das Unendliche auf das Endliche richtet, so war alles höhere Streben der antiken Welt in den Grenzen des Diesseits, in der Kulturidee, beschlossen. Das Christentum aber geht auf die rein innerlich zu erlebende Bestimmung des Menschen zur Gottähnlichkeit. So hat es zur Kulturidee zunächst eine negative Stellung, und der Umschwung, den es bewirkte, führte zunächst auch zur Weltflucht. Im Protestantismus nun namentlich hat das Christentum positive Stellung zu den antiken Kulturideen genommen. Es muß eben der sinnliche Mensch in der Tat abgelebt werden; in der Welt ist das Arbeitsgebiet des Christen zu suchen, dieser Gedanke ist es, der die antike Kulturidee und die humane Ethik organisch mit der religiösen Ethik verbindet. 85. Die Entwicklung des religiösen Lebens ist an bestimmte Persönlichkeiten und Institute gebunden und es bedarf, damit es lebendig bleibt, der fortgepflanzten Lehre. Ohne eine Weltansicht, die aus dem Geist erzeugt ist, zerfällt das religiöse Leben, weil dem Impuls unseres Willens dann der Halt fehlt; die Verleugnung der religiösen Weltansicht zerstört das religiöse Fühlen. Wo die Erziehung die über das alltägliche hinausgehende Wahrheit nicht in der Seele wachruft, da gewinnt der fleischliche Mensch die Oberhand, da wird der Bauch Gebieter; die sinnliche Welt erdrückt das Gute, ehe es zur Entwicklung gekommen ist. Hier erst entsteht der Sinn, der auch seiner Theorie bedarf und sie sich schafft im Materialismus und Atheismus. Die Theorie bestätigt dann wieder umgekehrt den frivolen Weltsinn und ertötet den belebenden poetischen Hauch, der das ursprüngliche Gemüt des Menschen durchweht. Dieser Gesinnung ist daher aller Zauber aus der Welt entschwunden. Von so großer Bedeutung ist die religiöse Weltanschauung für die höchste Stufe der sittlichen Liebe. Diese religiöse Weltanschauung aber ist unmöglich, wenn Du sie Dir nicht selbst erlebst, erarbeitest. 1. Sünde und Berufung 86. Wir gehen jetzt zur genauen Betrachtung des religiösen Prozesses über. Das Natürlich ansich ist noch nicht Sünde, auch nicht jene Unruhe im Laufe der Entwicklung, die uns herumpeitscht. Aber das Beharren auf diesem niederen Stadium, das ist die Sünde. Da können wir zweierlei unterscheiden: Das erste ist der schwache Wille, der sich nicht erheben mag. Wir bezeichnen diesen unbewußten Abfall als Schwachheit des Fleisches. Anders aber verhält es sich zweitens mit dem Stehen-bleiben-wollen. Das ist Verhärtung, die sich mit ihrer Endlichkeit zum Prinzip macht. Das ist ein bewußter Abfall, der dann leicht von der positiven Sünde bis zur Teufelei führt. 87. Es liegt also in Deinem eigenen Willen, Deinem eigensten Sein, ob Du Dich wecken lassen willst. Was wir Freiheit nennen, ist ein Hervorbrechen aus unserem tiefsten Wesen, eine Wahl aus Neigung, nicht aus Zwang. Die Freiheit unterscheidet sich sowohl vom physischen als auch vom logischen Zwang, dadurch daß sie ein So-sein aus Neigung ist. Der Willensentschluß der Freiheit enthüllt unser Innerstes; daher müssen wir ihn als eine Selbstentscheidung anerkennen, wofür wir uns verantwortlich fühlen. Die ganze Persönlichkeit steht und fällt mit der inneren Wahl; jede freie Wahl, ob zum Guten oder Bösen, geschieht erotikais enagkais. - Wer deshalb Wert auf die Freiheit legt, der legt auf etwas Wert, was höher als alle Logik steht. 88. Wir haben früher genau unterschieden Gott als den Urgrund und die Welt als das Geschaffene. Dementsprechend unterscheiden wir jetzt im Menschen den kreatürlichen und den geistigen Menschen. Der erste stellt sich auf sich selbst, der letztere aber, der gottähnliche, neigt sein Ohr auf die Stimme Gottes im Menschen. So entsteht im Menschen zwischen diesen beiden Personen ein Streit und dieser innere Streit ist jene Angst und Qual, jenes innere Feuer, das den Zentralpunkt aller Entwicklung bildet. Hier liegt das Gewissen im Menschen. Ein Ding, das in sich nur gut wäre, hätte keine Qual und bliebe deshalb stehen. Jene Angst aber in uns ist Zeuge, daß es etwas Besseres gibt, als ich bin. Diese Angst und Qual, die sich mit der Sünde einstellt, wird mit dem Namen Berufung bezeichnet. Zur Berufung treten an jeden heran namentlich 1. Schicksalsschläge, 2. die Verkündigung des Heils durch die Kirche, 3. aber auch jede Literatur, jede echte Philosophie, jede echte Kunst, die des heiligen Geistes voll sind. 89. Sünde und Berufung bilden den ersten Teil des betrachteten Prozesses. Das zweite Stadium ist die Reue und Buße. Reue ist die Umkehr des Sinnes, von einem Sich-Vergaffen in die Kreatur zu Gott zurück. Buße bedeutet soviel wie commodum [zum Wohl geraten - wp]. Der Bußtrieb spielt in allen Religionen im Opferkult eine Rolle, so in den Veden: das Schuldgefühl wird von mir genommen, wenn ich nur freiwillig Leid auf mich nehme. Auch die alttestamtenliche Religion führt ein Schuldopfer auf mit dem Schuldbekenntnis. Von dieser rein äußerlichen Auffassung erhebt sich schon der Prophetismus und drängt auf eine reuige Umkehr des Sinnes: "Zerreißet eure Herzen und nicht eure Kleider." Wir sagen also folgendes: Die Buße, die Folge der Reue und der erste Schritt zur Bekehrung, ist ein Verhältnis zu Gott, gegen den ich gefrevelt habe. Die Wiederherstellung aber, die die Buße für die Vergeltung der Sünde verlangt, ist ganz anderer Art als die Wiederherstellung bei Vergehen gegen irdische Menschen; denn hier kann ich für ein Gestohlenes Schadenersatz geben, für eine Beschimpfung Abbitte leisten. 90. Bei der katholischen Kirche floß die äußerliche Auffassung der Buße mit der innerlichen zusammen im Sakrament der Buße, das aus drei Akten besteht, Zerknirschung des Herzens, Bekenntnis der Lippen (Ohren-Beichte) Genugtuung durch Werke (durch die Übernahme guter Taten oder durch kanonische Bußübungen). Dies veräußerlich sich mehr und mehr seit dem 12. Jahrhundert in der Absolutionslehre: die ewigen Strafen können durch Absolution in zeitliche verwandelt und durch Werke verringert, ja von anderen übernommen werden. Der Protestantismus erst erklärte wieder die innere Seite, das Selbstgericht, für die Hauptsache: Sündenbekenntnis, Reue, Vorsatz zur Besserung, und hob die verflachte Auffassung eines rechtlichen Verhältnisses zwischen Gott und sündigen Menschen wieder auf. Aber allerdings ist der Protestantismus dem Katholizismus gegenüber fast hypergeistig, denn die pädagogische Macht des Auslebens des Schuldbewußtseins hat die katholische Kirche mehr: Bekenntnis der Schuld und Gutmachen durch Werke sind zwar äußerliche Dinge, aber wenn diese ganz vernachlässigt werden, tritt leicht eine Verflachung ein. 91. Durch Reue und Buße ist der erste Schritt getan zur Bekehrung, zur religiös-sittlichen Wiedergeburt. Diese ist das Absterben des alten und das Aufleben eines neuen Menschen, der sich nach seiner über-tierischen Bestimmung streckt, nach dem ewigen Gut, das dem Herzen Frieden schafft; es ist das Menschwerden Gottes, das nicht bloß in Christus, sondern in jedem statthaben kann. Es ist hier kein geradliniger Fortschritt, sondern entsprechend den Knotenbildungen des Halmes, tritt der fundamentale Umschwung nach längerer Hemmung relativ plötzlich ein. Das hat man praktisch übertrieben in Bestrebungen, wie Heilsarmee und derartigem Schwindel. Aber die eintretende Krisis ist allerdings plötzlich. Solange im Menschen noch nicht der Fond an Gefühl und Einbildungskraft und der Sinne, sich seine Ahnungen zu deuten, erstorben ist, solange ist er auch noch nicht verloren; denn so lange hat er auch noch dunkle Ahnungen von Gottes Gnade, und die Möglichkeit der Umkehr ist da. Wenn aber der Mensch soweit soweit kommt, daß das dunkle Anklopfen aufhört, das Gefühl nicht mehr rege ist, die Einbildungskraft niemals ein Besseres gibt, dann ist er geistig tot. - Es kann auch bei zahllosen Ansätzen zur Besserung niemals Ernst gemacht werden; dann erschlafft die Kraft, und es tritt das Gefühl der Verworfenheit und schließlich die höchste Verzweiflung ein. 92. Wie die Erkenntnis der Sünde nicht möglich ist ohne die Ahnung des Guten (und jene Qual ist die Kehrseite dieser Ahnung), so ist auch die Reue nicht möglich ohne eine Ahnung von der Seligkeit im Reiche Gottes. Aus dieser Ahnung folgt der feste Vorsatz zur Besserung. Dieser ist nur möglich unter der Voraussetzung, daß uns die göttliche Gnade auch vergibt. Ohne diese Gewißheit der Sündenvergebung ist ein fruchtbarer Vorsatz zur Besserung ganz ausgeschossen, ohne die Hoffnung, daß die bisher vermißte Kraft in der Entzündung des neuen Lebens erwachsen wird. So ist das Bewußtsein der Kindschaft Gottes durchaus gebunden an die vergebende Gnade Gottes, daß die bereute Sünde auch wirklich ausgelöscht ist, ist die Rechtfertigung allein durch den Glauben, und in diesem Vertrauen gewinnt der religiöse Prozeß, der in der Sünde begann, eigentlich seinen Abschluß. 93. Die Rechtfertigung allein durch den Glauben scheint ein Leichtsinn zu sein gegenüber der Rechtfertigung durch die Werke, deshalb muß die erste bewährt werden durch ein Leben diesem Glauben entsprechend; fortwährend von Neuem muß sie sich gegen die Welt wappnen und behaupten. Dieser Prozeß nun, wodurch der Mensch ununterbrochen dem Ziel des christlichen Lebens, der Vollkommenheit, entgegengeht, wird als Heiligung bezeichnet. Der Zentralpunkt dieser Vollkommenheit ist die christliche Liebe; was sie im einzelnen fordert, sind die religiösen Pflichten. Die Kraft nun, woraus das religiöse Leben, das Tun des Willens Gottes aus Freiheit und selbstloser Hingabe, gewonnen wird, wir die religiöse Tugend genannt. Wir teilen sie in zwei Abteilungen: die fundamentalen und die bewährenden Tugenden. 94. Die fundamentalen Tugenden, welche das Verhältnis des Menschen zu Gott betreffen, sind Glaube, Liebe, Hoffnung. Der Glaube ist jenes genannte Vertrauen, das sich zur religiösen Metaphysik entwickelt. Sein Gegenteil ist die Torheit, die sich in die sinnliche Weltauffassung vergafft und anmaßend diese zur alleingültigen aufbläht. Wenn also die Torheit eine Weltansicht ist aus dem Gesichtspunkt der Selbstsucht und der Verstandesmäßigkeit, und wenn sie Kraft gewinnt dadurch, daß alle so meinen, so ist auf der anderen Seite die auf dem Glauben basierende Weisheit, die den Sinn der Welt und die Bestimmung des Menschen erschaut, darauf aus, dem Gesamtzweck sich einzuordnen. Damit stehen wir aber auch schon bei der zweiten Fundamentaltugend, der Liebe. Sie ist die praktische Rückwirkung dieser Erkenntnis. Sie ist ein freudiges Vertrauen, freudiges Handeln und Ergebung in die Wege, die wir geführt werden. Diese Tugend wird in der Tat sichtbar als eine allseitige Hingabe an die Menschen. Die Liebe ist die (religiöse Steigerung der Bürgerliebe, wie der Glaube die der Klugheit. Die Hoffnung schließlich ist die Gewißheit, daß alle Dinge denen, die Gott lieben, zum besten dienen. Sie ist die Kehrseite jenes Fatums, das der natrliche Mensch auch anerkennt und vor dem ihm graut. 95. Die zweite Abteilung sind die bewährenden Tugenden, die das Verhältnis des Menschen zu den anderen Menschen betreffen, die in der Arbeit der Heiligung entspringen und sich auswickeln. Die erste dieser Tugenden wäre stete Selbstbeherrschung und Entsagung, durch welche alles Individuelle in Schranken gehalten wird, soweit es nicht in die sittlichen Zwecke aufgeht. In stärkster Weise ist dies ausgedrückt in den drei Mönchsregeln: Armut, Keuschheit, Gehorsam; in der gewöhnlichen Ethik wäre das Entstprechende die Mäßigkeit, Genügsamkeit. Die zweite bewährende Tugend wäre die Standhaftigkeit, Entschlossenheit, Treue. Sie ist die Potenzierung der Tapferkeit; nichts darf Dich vom Weg ablenken, wenn Du weißt, daß es Deine Aufgabe ist; die Kraft dazu wird Dir schon kommen. Als dritte dieser Tugenden können wir die Versöhnlichkeit ansetzen, d. h. die stete Bereitwilligkeit, alle erlittenen Unbilden, die doch nicht ausbleiben können, zu übersehen und für alle Unbilden, die man selbst zugefügt hat, Vergebung zu erlangen. 96. Diese drei bewährenden Tugenden bilden eine Gruppe; sie beziehen sich auf den Handelnden. Eine zweite Gruppe bezieht sich auf das Objekt des Handelns. Dieses Objekt ist zunächst immer der Mensch. Hier entspricht der Gerechtigkeit die höchste Gewissenhaftigkeit, die sich überall leiten läßt durch die Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit; dier Billigkeit aber entspricht die höchste Bereitwilligkeit, störende Mägnel zu tragen, des Nächsten Wohl zu fördern und die eigenen Förderungen mit Dank anzuerkennen. Für den geselligen Verkehr kommt weiter hinzu Geselligkeit, Freundlichkeit. So wird an Freudigkeit, Liebenswürdigkeit und Lustigkeit der Fromme sich nicht unterscheiden von dem, der in der natürlichen Sittlichkeit steht; aber es ist doch ein anderer Geist übergegossen. "Sorget nicht", "seid fröhlich", sind Sprüche nicht der Weltklugheit, sondern des religiösen Sinnes. Wer nun in der religiösen Tugend einhergeht, hat etwas ganz anderes, als was sich in der bürgerlichen Sittlichkeit entwickeln kann. Durch seinen Wandel wirbt er für das Reich Gottes, ohne es zu wollen; bloß durch das Anschauen seiner Persönlichkeit wirkt er im Verkehr belebend. Wenn aber die geistige Freundschaft, die allemal auf seelischer Gleichheit beruth, fest geworden ist, dann wird auch im Verkehr die reine Gesinnung gestärkt und entwickelt. Die Freundschaft aber kann man nicht mehr zu den reinen Tugenden rechnen. 97. Die religiöse Gesinnung kennt keinen herkömmlichen Sittenkodex, wie ihn sonst jeder Stand hat: die Handlung ist hier immer ursprüngliche Tat. Nach bestem Wissen und Gewissen vollzieht der Fromme unmitteeln, in welcher Lage er auch sein mag, das Richtige; im Grunde der Gottes- und Nächstenliebe erst erwächst die wahre Freiheit, die keiner äußeren Dressur bedarf. Wo aber dennoch geirrt wird, da schlägt auch diese Irrung in einem unmittelbaren Erleben zum Guten aus. 98. Können wir nun allem und jedem gegenüber dieses Verhalten bewahren? Nein, nicht dem Unreifen und nicht dem Feind im Krieg gegenüber. Dem Kind, das da fragt, ob es wahr ist, daß die Störche die Kinder bringen, müssen wir notwendig unwahr sein Im Krieg aber ist das Gebot der Nächstenliebe hinfällig. Es ist aber nicht meine Schuld, ich habe die Lage der Dinge nicht gemacht; ebensowenig, wie ich den Trunkenbold gemacht habe, der mit der Pistole auf mich zielt. Es ist aber selbstverständlich, daß in allen diesen Dinge Maß gehalten und nicht weiter gegangen wird, als der Zweck es unbedingt erfordert; daher wird man im Krieg die friedlichen Bürger als solche behandeln. 1. Die logos-Idee 99. In einem letzten Abschnitt wären nun die Mittel zu besprechen, durch welche der einzelne Mensch sich den Strahlen des göttlichen Lichts zu öffnen vermag. Dieselben sind historisch gegeben. Das erste wäre die logos-Idee, mit der schließlich die Person Christi verschmolzen ist. Dieser logos ist jener ewige Ratschluß Gottes zur Befreiung und Vergeistigung der Menschen, wovon wir im zweiten Teil bei der Schöpfung gesprochen haben, das Urfundament der Schöpfung. Gott und sein Ratschluß waren vor der Welt. Um seines Ratschlusses willen hat Gott die Welt gegründet. So ist der Ratschluß für Gott Bauplan der Welt; für den Menschen ist er Wegweiser für sein Handeln. 100. Man kann nun fragen: wenn in Christus dieser Wegweiser erschien, warum kam er nicht am Anfang der Welt, sondern erst mitten in der Geschichte? Die Antwort heißt im Ausdruck der heiligen Schrift: die Zeit mußte erst erfüllt sein. Die Zeit mußte sich erst abgelebt haben, wie auch erst der einzelne Mensch heute sich abgelebt haben muß, bevor er fähig ist, die frohe Botschaft aufzunehmen. 101. Der Gedanke nun von der Bedeutung des Ratschlusses Gottes für die Schöpfung und für den Menschen ist zuerst aufgrund platonischer Anschauungen (siehe II. Teil) in Alexandria entstanden. Der logos-Begriff findet sich in den Apokryphen (Weisheit Salomonis). Hier wird von der objektiven Weisheit gesprochen; sie war vor der Welt und da nun die Welt da ist, wirkt sie in der Welt. Es ist aber die fundamentalste und grandioseste Konzeption der christlichen Lehre. Als man nun die Person Christi mit der Schöpfung in Zusammenhang brachte, mußte man ihn unbedingt mit dem Ratschluß Gottes zusammenbringen, und so wurde der logos, die ewige Weisheit, mit Christus identifiziert. Das geschah zuerst durch Johannes. Innerhalb des israelitischen Denkens trat nämlich die metaphysische Seite der logos-Idee mehr zurück gegen die religiöse Seite der Welterlösung und so konnte diese Idee in der Person des Weltheilands eine konkrete Begrenzung finden. Dabei ist interessant, daß Johannes von einer übersinnlichen Geburt Christi nichts sagt. (vgl. hierzu: Logik und Wissenschaftslehre § 250) 102. Wenn wir also von der metaphysischen logos-Idee absehen, so bleibt die historische Person Christi übrig als diejenige, welche der Welt das Licht gab; sie, ihr Vorbild, ist das zweite Mittel der Erhebung der Menschen. - Jesu Persönlichkeit ist ursprünglich ganz eigenartig. Mit vollem Sinn für das Kleine und Schöne des täglichen Lebens begabt, war Jesus genährt von den Schriften seines Volkes in der Schule seines Volkes. Im Johannes wird nun sein Auftreten in Verbindung gebracht mit der Gärung, welche durch den Täufer hervorgerufen wurde. Nach seiner Taufe aber wurde ihm in einer Vision, wie es früher auch bei anderen Propheten geschah, sein Beruf gewiß, der Messias zu sein. Er zog deshalb in die Einsamkeit. In der Versuchungsgeschichte prägt sich die Art aus, wie Jesus hier in der Wüste die Messias-Idee seines Volkes umbildete, reinigte und vergeistigte; das Reich, das er als Messias gründen will, ist nicht von dieser Welt. Jetzt folgen die 5 Predigtreisen in Galiläa. Zuerst tritt er, wie jeder israelitische Gelehrte, in der Synagoge auf und knüpft an die Auslegung der Stellen seine neue Auffassung an. In der Art seiner Lehre entspricht er der herkömmlichen Weise jüdischer Schriftgelehrter, er spricht in Gleichnissen; aber es herrscht in ihnen eine Vertiefung und Vergeistigung des alttestamentlichen Glaubens. Er verkündigt nicht mehr den zukünftigen Messias, sonder er sagt: Das Himmelreich ist da, und indem er es predigt, wird seine Predigt ein Selbstzeugnis. 103. Weil Jesus in den Versuchungen das spezifisch Jüdische abgestreift hatte, so blieb für die Ausrichtung seines Reiches, das ein innres geworden war, nur eine innere Revolution übrig, die jedem mitteilbar ist, nicht bloß den Juden. Durch Gerechtigkeit kommt man in dieses Reich, durch das unbedingte Vertrauen auf die Liebe, das verzeihende Entgegenkommen Gottes. Diese Idee ist das ursprünglich und urkräftig im Geist Jesu gewachsene, in ihm offenbarte Neue. Er hat die Gerechtigkeit und die darauf gegründete Seligkeit ursprünglich; und so weiß er sich als den Sohn Gottes, als den Erstgeborenen, der die andern nach sich zieht. Wir können die Kindschaft Gottes in uns nacherzeugen durch ein Hineinleben in seinen Sinn, durch die Befolgung seiner Vorschriften, durch die Annahme seiner Überzeugungen. 104. Er weiß seine Überzeugung als die höchste ewige Wahrheit. Das hat ihm keiner gesagt, das hat er ursprünglich erlebt (und die Geschichte hat es nachher bezeugt). Daher die dem Außenstehenden als wahnsinnige Überhebung erscheinenden Worte: "Ich bin der Weg", "Kommet her alle etc."; "meine Kirche will ich auf diesen Felsen gründen." In ihm lebt diese nie widerlegte und nie zu widerlegende Gewißheit ohne jede Spur von Dünkel; es brechen jene Worte in den Akten der Offenbarung in unmittelbarer Gewißheit empor. 105. Wenn man nun aber seine Sendung mit Wundern zusammenbringt, so setzt er den Glauben um der Wunder willen erst in zweiter Linie. Wenn sich weiterhin in der Gemeinde schon früh eine Masse Wunderlegenden um den geschichtlichen Kern der Erscheinung Jesu herumwob, so sind diese der unbegreifliche Ausdruck, in dem sich der gewaltige Eindruck auf die Zeit wiederspiegelt. So ist sein Auftreten, das kaum mehr als ein Jahr gedauert hat, und seine Geburt und seine Erhöhung mit wahrhaft lieblichen Phantasiegeweben umstrickt. Es zeigt sich also, wie immer die Kritik im einzelnen darüber entscheiden mag, daß die Wunder zwar durchaus nicht ohne weiteres zu leugnen sind (vgl. II. Teil "Erhaltung"), daß man aber eine völlig freie Stellung zu dieser Frage nehmen kann. Das Wesentliche Christi ist nicht das Wundertun, sondern die unbedingte Hingabe an die Idee, so daß er völlig mit ihr verschmilzt und sich als den logos weiß, der da kommen soll. 106. Neben dem Ernst dieser religiösen Vertiefung aber hat er ein entschlossenes Auftreten und Benehmen gegen die Welt; er fühlt sich berufen, die Welt umzubilden, und ist sich in jedem Schritt darüber klar. Dabei aber hat er doch eine stets sich öffnende Milde: das ist die Kehrseite jenes Heroismus. Das ist es nun, was uns seine Persönlichkeit so ohne gleichen macht, diese Gesinnung, die im Sünder dem Menschen dient und ihn liebt und in der vollen heroischen Tatkraft am Kreuz sein Leben läßt. 107. Zuerst war dann auch das Volk voller Begeisterung. Das dämpfte sich aber wieder und schlug um durch die Pharisäer. Das Volk wird immer kälter und feindlicher und schließlich ist die Zahl der Jünger nur noch 120 - 500. Da kommt des Petrus volles Verständnis der messianischen Bedeutung Jesu. Nun geht Jesus nach Jerusalem, um sich dem Volk als Messias zu zeigen. Er setzt das Abendmahl "zu seinem Gedächtnis ein", das ein Symbol der Hingabe ist der Jünger an den Meister und umgekehrt. Es folgt die Kreuzigung und dann die Auferstehung. Jesus hat diese nicht vorhergesagt. Aber in der vollsten Gewißheit seiner weltgeschichtliche Bedeutung hat er trotz Tod und Abfall es für ganz unmöglich erklärt, daß das Werk, welches zu stiften er in die Welt gekommen zu sein sich bewußt war, verloren gehen könnte. Die Jünger aber befanden sich in einer Erregung, so daß sie sinnlich bewährt zu sehen glaubten,, daß noch ein übersinnliches Leben da ist. Später allerdings hören diese Visionen auf. - So kann man hier wohl durch eine psychologische Interpretation verstehen. 108. Wenn wir nun doch SCHILLER mit Sehnsucht und Liebe im Herzen hegen oder BEETHOVEN oder SOKRATES oder PLATO oder FRIEDRICH den Großen oder sonst wen, so ist es ganz verständlich, daß die absolute Hingabe an das Ur- und Vorbild der christlichen Kirche die Basis der religiösen Gemeinschaft werden mußte. Denn die Sittlichkeit Jesu deckt sich mit seiner religiösen Gesinnung. So ist auch die Vergöttlichung Christi verständlich; denn um seine Offenbarung zu bewähren, mußte die Kirche seine Persönlichkeit wohl so hoch stellen, wie irgendwie möglich. So galt er der Kriche als Anfänger eines zweiten himmlischen Menschen; denn die Nachfolge Christi lehrt und unseren Sinn darauf richten, daß die sinnlichen Dinge in Bausteine Gottes verwandelt werden, sich der soma sarkikon [Körper des Fleisches - wp] in den soma pneumatikon [Körper des Geistes - wp] ändert. 109. Das dritte historische Mittel für unsere Erhebung ist die Kirche. Die später Geborenen wissen zunächst nichts weder vom ewigen Ratschluß Gottes noch vom Sehnen der Völker und der historischen Person Christi. Sie bedürfen also eines Mittelgliedes, durch welches sie damit in Berührung gesetzt werden. Dieses Mittelglied ist die Kirche. Ihre Organisation umfaßt Kultus, kirchlichen Unterricht, Seelsorge, Mission. Hierdurch sind die Fangnetze aufgestellt, um jeden mit den Heilsmitteln in Berührung zu bringen. Der Wert der Kirche besteht also nicht in den kirchlichen Gebräuchen, sondern darin, daß durch sie in uns die Umwälzung gefördert, der Christus-Geist lebendig wird; ohne diese Verinnerlichung wären diese Gebräuche wertloses Lippenwerk. Si ist die Kirche als eine weltliche Einrichtung wohl zu unterscheiden von der unsichtbaren Gemeinschaft der Heiligen. 110. Die Kirche muß, wenn sie nicht zur toten Mumie erstarren will, wie alle weltlichen Einrichtungen, der Veränderlichkeit der Zeiten Rechnung tragen. Es wäre also, geschichtlich betrachtet, ein Unsinn, wenn jemand das Christentum irgendwelcher kirchlichen Form gleichsetzen wollte. Das Christentum hat sich in der Geschichte als eine Lebensmacht gezeigt, deren Kern durch den Wechsel der kirchlichen Form nicht zerstört wird. Kein Religionsstifter ließ seinen Jüngern mehr Freiheit, keiner vertraute mehr der Sache als Jesus. Er sprach die großen Grundsätze aus, er offenbarte das neue Leben in seinem Wirken und Sterben; den Jüngern überließ er es, das neue Glaubensbekenntnis zu suchen. Er hat seine Jünger freilich in alle Welt geschickt, aber die Organisation im Einzelnen überließ er der Weltordnung in der festen Zuversicht der Ewigkeit seines Werkes. Wenn sich also auch heute eine Weltanschauung aus den Tiefen gebiert, welche die alten, ererbten Formen des Christentums als veraltet erscheinen läßt, so sehen wir kommenden Umwälzungen fest ins Auge im Vertrauen auf die Sache. Nur das eine muß jede zukünftige Umwälzung beachten: wie Du die Dogmen formulierst, mache es so gut Du kannst; nur laß die Hand weg von den Urkunden, die uns in der naiven Stimmung des ursprünglich tief berührten Gemütes die religiösen Tatsachen überliefert haben. Diese großen Dokumente sind unangetastet zu lassen; wie wir sie deuten wollen, ist unserem besten Wissen und Gewissen anheimgestellt. 111. Werfen wir noch einen Blick auf die wirklichen Kirchenformen, so ist klar, daß in der katholischen Kirche die äußere Autorität überwiegt, in der protestantischen dagegen die persönliche Selbständigkeit; hier kann jeder Hinz und Kunz es mit sich abmachen, wie er es mit der Religion hält. Wie macht es denn nun die Kirche, als Mittel für die lebendige Erhaltung des Heils zu sorgen? Einmal hat sie die religiöse Wahrheit zu verkünden, daß der Same immer weiter ausgestreut werde. Dies geschieht in der Form der Predigt, wenn auch eine lebendige Religion noch andere Arten der Verkündung hat. Dieser ersten objektiven Seite, wodurch jedem der Inhalt der religiösen Wahrheit gezeigt wird, steht zweitens die subjektive Seite gegenüber, daß jeder zum persönlichen Aufschwung zu Gott angeregt wird. Dies geschieht ebenfalls im Gottesdienst, durch den Gesang und das Gebet. Das dritte aber ist das Sakrament. In ihm wird in sinnbildlicher Handlung die Zusammengehörigkeit des Einzelnen zum Ganzen dargestellt, daß er sich in leibhaftiger Betätigung als Glied des Ganzen weiß.. Die katholische Kirche hat 7 Sakramente, die protestantische hat, wohl zu ihrem Schaden, nur zwei: Taufe und Abendmahl. Die Taufe ist die Aufnahme der unmündigen Kinder in die Kirche Gottes. Ebenso wie für das leibliche Wohl des hilflosen Kleinen von den Eltern gesorgt wird, ebenso ist es ihre Pflicht, für das geistige Wohl derselben zu sorgen durch die unmittelbare Verknüpfung mit den vorhandenen Heilsmitteln durch eine Aufpfropfung auf den durch die Jahrtausende reichenden Stamm des geistigen Lebens. - Weil aber doch immer bei der Taufe Unmündige ohne Bewußtsein in den Bund der Kirche aufgenommen sind, so ist das zweite Sakrament nötig, in dem in bewußter Weise der Taufbund erneuert werden soll. Dieser Bund des Abendmahls ist zuerst vom Herrn mit seinen Jüngern geschlossen; er soll immer wieder aufs Neue geschlossen werden. So vergegenwärtigt also das Abendmahl den ewigen Bund mit dem Erlöser. Wenn man fragt: Was kann das Essen und Trinken bewirken? so weisen wir zur Antwort hin auf die Feierlichkeit, welche den Bund begleitet, den zwei Menschen fürs Leben schließen; wie hier, so wird auch im Abendmahl durch ein feierliches Mahl der geschlossene Bund bekränzt. 112. Wenn nun die Kirche ist, was sie sein soll, so ist sie das unbewegte Zentrum im Strom des Zeitlebens. Sie bietet gegenüber dem Kampf und Streit der Welt den Frieden Gottes, sie ruft: "Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid." In ihr ist eine Macht aufgerichtet, die die immer neu sich erzeugenden Jllusionen, daß das Sinnliche das Wahre ist, immer von Neuem zerstört. Nicht Macht und Erfolge, sondern der ewige Geist ist es, der ihr imponiert. Daher wird es gar nicht ausbleiben können, daß zwischen den weltlichen und den echt kirchlichen Mächten Konflikte entstehen. Wenn die irdische Wissenschaft die Erde zum geschlossenen, überall bekannten Käfig ausgestalten möchte, so öffnet die Kirche eine Stätte der Zuflucht und sichert durch ihre Gnadenmittel einen Zugang zu Gott. Die Kirche aber kann dieses Mittel nur bieten; wenn Du ihre Speise nicht verdaust, so hilft sie Dir nicht. 113. Zwei Wege gibt es zur Kirche. Der eine ist der koerzierende [im Zaum haltende - wp], daß man sich klar macht, daß man am schlechtesten in der Leidenschaft fährt. Der zweite ist der positive, daß man den empfangenen Keim immer mehr in sich entwickelt, praktisch und theoretisch. Dies ist die Aufgabe aller echten Philosophie, aller echten Dichtung und Literatur. Dann geht die Erhebung der Seele immer weiter, und so wird schließlich das ganze Leben ein einziges Gebet. - Wer aber in diesem Sinne lebt, der erfährt die Gewißheit eines ewigen Lebens. 114. Auf diese letzten Dinge, Unsterblichkeit und ewiges Leben, erlaubt die Zeit nicht mehr einzugehen. Sie sind auch dunkel genug verschleiert, und es ist eine Art Götzentum, den Schleier heben zu wollen. Nur soviel sei bemerkt. PLATO will die Unsterblichkeit der Seele daraus herleiten, daß sie die ewigen Ideen zu erkennen vermag, nach dem Satz: daß Gleiches nur durch Gleiches erkannt wird. Dazu wollen wir noch folgenden Unterschied heranziehen: non mori posse und posse non mori. "Nicht sterben können", die Art der Unsterblichkeit eignet allen Dingen. "Es vermögen, nicht zu sterben", das ist die religiöse Unsterblichkeit, sie entspringt in einem wahren Leben des Geistes. Schluß Wir sind am Ende. Der berechtigte Kern des transzendenten Idealismus ist in unserer Entwicklung gewahrt, nur was als konstruktive Schlacke bei Philosophen wie HEGEL hinzukommt, haben wir weggelassen. Wenn man lückenlos den religiösen Inhalt demonstrieren will, so muß man zu Symbolen greifen, und dies ist bei HEGEL die Idee. Wir haben dieses lückenlose Deduzieren ausdrücklich aufgegeben, und so kehren wir in gewissem Sinn zu KANT zurück, der auch, und nicht mit Unrecht, behauptete, daß der religiöse Inhat als solcher sich einer philosophischen Deduktion verschließt. Gerade durch diese Zweiheit des Geisteslebens, Erkennen und Glauben, machen wir einen Fortschritt. Denn wer die Ziele des menschlichen Erkennens so hoch nimmt, daß er Gott lückenlos demonstrieren will, der muß schließlich behaupten, was sich sichtlich widerlegen läßt. Der Grund aber aller dieser Abirrungen des Intellektualismus liegt in einem Einheitstrieb, der dem Verstandeserkennen des Menschen innewohnt; wir möchten gern allen in einem lückenlosen Monismus ableiten. Dieser Einheitstrieb ist die Quelle aller Verirrungen des Verstandes; denn er übersieht, daß wir Gott nur an der Peripherie berühren. Indem er mehr haben will, als er haben kann, wird er die Quelle des Atheismus, sei es in der Form des Materialismus oder des Pantheismus oder des Deismus. |