ra-2G. HeymansK. BindingE. BelingG. ThonM. E. Mayer    
 
ADOLF MERKEL
(1836-1896)
Rechtsnorm und Subjekt
[mit Bezug auf das gleichnamige Werk von August Thon] (1)

"Das Recht im objektiven Sinn ist nach Thon ein Inbegriff von unter sich verbundenen Imperativen, Geboten und verbundenen Imperativen, Geboten und Verboten, in welchen der Wille der Gemeinschaft (der allgemeine Wille) zum Ausdruck kommt. Dieselben richten sich an den Willen der Einzelnen und ihre Bestimmung ist es, menschlichen Interessen Schutz und bzw. (in Form von Geboten) eine Förderung zu gewähren."

 "Thon  nimmt an, daß die Imperative des Rechts sich auch an Unzurechnungsfähige wenden, und auch von diesen übertreten werden können. Aber augenscheinlich hat es keinen Sinn, Befehle an jemanden zu richten, von dem wir wissen, daß er sie nicht verstehen und befolgen kann, und Verletzungen dieser Befehle durch solche Personen anzunehmen."

"Das Genießen ansich ist ebensowenig eine Rechts ausübung wie eine Rechtsverletzung. So sind auch beliebige Herrschaftsverhältnisse zur Sachenwelt ansich keine Rechtsverhältnisse. Wir stehen überhaupt nicht in Rechtsverhältnissen zu Sachen, so gewiß Sachen keine Pflichten gegen uns haben. Das Genießen wird ferner nicht dadurch zum Recht, daß es nicht verboten ist; eine Handlung nicht dadurch zur Rechtsausübung, daß sie kein Unrecht enthält. Der Selbstmord ist im deutschen Recht nicht verboten, ohne darum die Ausübung eines Rechts zu sein. Zum Recht gehört die Anerkennung seitens der Rechtsordnung und die Existenz von Garantien für die praktische Anerkennung seitens der Einzelnen."

AUGUST THON bietet in dem in der Überschrift genannten Werk eine Bearbeitung der juristischen Hauptbegriffe. Vor allem hat es es sich zur Aufgabe gemacht, "den Begriff des subjektiven Rechts einer erneuten Prüfung zu unterziehen". Es ist dies kein willkürlich gewähltes Thema. Vielmehr ließ der Stand der Dinge im Bereich der Privatrechtswissenschaft eine gründliche Analyse des erwähnten Begriffs in einem speziell hierauf gerichteten Werk längt als ein Bedürfnis empfinden. Um jener Aufgabe gerecht zu werden, vertieft sich THON zunächst in Untersuchungen über den Begriff des objektiven Rechts und über die Rechtsfolgen der Verletzung desselben, sowie über das Verhältnis, in welchem die Einzelnen zum Inhalt der dasselbe bildenden Gebote und Verbote stehen. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen dieser Untersuchung gelangt er hinsichtlich des subjektiven Recht zu einer Scheidung dessen, was man gegenwärtig meist mit diesen Worten bezeichnet, in vier Hauptbegriffe - Anwartschaft auf Ansprüche, Normenschutz, Genuß der normgeschützten Güter und Befugnis -, deren verschiedene Bedeutung näher von ihm dargelegt wird. Seine Stützpunkte sucht THON vornehmlich, wenn auch keineswegs ausschließlich auf dem Gebiet des Privatrechts, und die Ergebnisse seiner Untersuchungen werden im Wesentlichen nur für dieses verwertet.

Die behandelten Fragen gehören jedoch ihrer allgemeinen Fassung nach keiner der juristischen Teilwissenschaften ausschließlich an. Vielmehr haben dieselben eine Beziehung auf sämtliche in das Gebiet unserer Wissenschaft fallende Verhältnisse und Vorgänge und können nur im Hinblick auf die Gesamtheit derselben eine befriedigende Erledigung finden. Sie gehören demnach dem allgemeinen Teil der Rechtswissenschaft, welcher mit der Rechtsphilosophie zu identifizieren ist (2), oder wie THON sich ausdrückt, der allgemeinen Rechtslehre an. An dieser zu arbeiten sind die Vertreter der besonderen juristischen Disziplinen gleichmäßig berufen, insofern ihr Blick über das Gebiet ihrer Spezialforschungen hinausreicht und sie die Ergebnisse der letzteren im Hinblick auf das Ganze des Rechts- und Gesellschaftslebens zu prüfen und fruchtbar zu machen vermögen.

Daß dies bei THON der Fall ist, wird durch das vorliegende Werk zur Genüge bewiesen. Auch folgt man seinem Gang mit einer von der Zustimmung zu den Ergebnissen unabhängigen Befriedigung wegen der Durchbildung der vorgetragenen Gedanken und der überall gewahrten wissenschaftlichen Besonnenheit. Das leitende Interesse ist bei ihm ein formales: es ist in der Hauptsache nicht auf die Erweiterung unserer Einsicht in die Natur, den Zusammenhang und die Gründe der in Betracht kommenden Verhältnisse, sondern auf eine davon unabhängige Kritik überlieferter Definitionen, Unterscheidungen und Zusammenfassungen, sowie der Einreihung bekannter Tatsachen in die überlieferten Rubriken, gerichtet. Damit steht es in einem gewissen Zusammenhang, daß bei ihm, wie bei der großen Mehrzahl der Theoretiker unseres Fachs der Sinn für die Analyse, für subtile Unterscheidungen und für die Hervorkehrung der Besonderheiten das Interesse an der Erforschung dessen, was den Instituten gemeinsam ist, und einerseits auf gleiche Ursachen, andererseits auf gleiche Wirkungen hinweist, überwiegt.

Ich hebe im Folgenden die Hauptansichten, welche in diesem Werk entwickelt sind, gesondert hervor, um jedesmal einige eigene Betrachtungen damit zu verbinden. Die Würdigung des reichen Details bleibt Anderen überlassen.

Das  Recht im objektiven Sinn  ist nach THON ein Inbegriff von unter sich verbundenen Imperativen, Geboten und Verboten, in welchen der Wille der Gemeinschaft (der "allgemeine Wille") zum Ausdruck kommt. Dieselben richten sich an den Willen der Einzelnen und ihre Bestimmung ist es, menschlichen Interessen Schutz und bzw. (in Form von Geboten) eine Förderung zu gewähren. Von diesen Imperativen sind begrifflich die Folgen zu scheiden, welche das Recht mit der Verletzung seiner Vorschriften verknüpft. Mit dem Wesen der Verletzung hat die Anordnung solcher Folgen ansich nichts zu schaffen. Die Vorschrift: "Du sollst nicht stehen" ist daher Rechtsvorschrift unabhängig von den rechtlichen Folgen des Stehlens. Insbesondere ist der Zwang, der den Übertreter der Rechtsvorschrift treffen kann, kein wesentlicher Bestandteil im Begriff des Rechts. Diese rechtlichen Folgen der Übertretung bestehen übrigens nach THON lediglich im Eintritt neuer und in der Zurücknahme bisheriger Imperative, in einem neuen Sollen und Dürfen, nicht in irgendeinem faktischen Geschehen. So hat der Mord nicht etwa die Hinrichtung des Mörders zur Rechtsfolge, sondern das Hervortreten gewisser an die Organe der Strafjustiz gerichteter und die Zurücknahme anderer, den Schutz des schuldig gewordenen Individuums bezweckender, Imperative. Analog werden die rechtlichen Folgen legitimer Handlungen charakterisiert. Demgemäß wird das Rechtsgeschäft definiert als eine menschliche Handlung, an deren Vornahme die Rechtsordnung den Eintritt oder das Aufhören bestimmter Imperative im Voraus verknüpft hat. Vom Verderben unterscheidet es sich dadurch, daß es als das Mittel zur Hervorrufung dieser Rechtsfolgen von der Rechtsordnung im Voraus bezeichnet und den Geschäftsfähigen zur beliebigen Benutzung überlassen wird. Die neuen Imperative, welche im Fall einer Übertretung lebendig werden ("sekundäre" Imperative), fallen gleich den übertretenden ("primären") Imperativen unter den Gesichtspunkt der Mittel, durch welche die Rechtsordnung ihre Zwecke erreicht. Hinsichtlich dieser Zwecke aber wird im Allgemeinen keine Übereinstimmung zwischen primären und sekundären Geboten vorausgesetzt (wohl aber Seite 224, Anmerkung 2). Auch besteht nach dieser Auffassung kein gesetzmäßiges Band zwischen beiden. So erscheint es weder durch die Natur des Rechts, noch durch eine logische, psychologische oder historische Notwendigkeit begründet, daß die Verletzung bestimmter Rechtsvorschriften Strafbefehle lebendig werden läßt, und der Zweck dieser Strafbefehle hat mit dem Zweck der verletzten primären Gebote ansich nichts zu schaffen. Während die letzteren den Schutz beliebiger Interessen bezwecken können, sind die ersteren lediglich auf die Befriedigung des Gerechtigkeitstriebs gerichtet. Die sekundären Gebote und bzw. die Rechtsfolgen der Übertretungen unterscheiden sich ihrerseits wieder durch die Zwecke, welchen sie dienen. Die Existenz einer wesentlichen Verwandtschaft zwischen ihnen wird nicht angenommen. Den Strafgeboten werden Gebote zum Zweck der Ausgleichung gegenübergestellt. Die letztere umfaßt die Erfüllung, Entschädigung und Sicherung. Durch die erste soll das mittels des nichtbefolgten Imperativs Angestrebt nachträglich noch herbeigeführt werden, durch die zweite dem durch die Übertretung Verletzten anderweitig eine Entschädigung gegeben, durch die dritte künftigen Übertretungen vorgebeugt und die Besorgnis vor solchen gemindert werden. -

Diese Auffassung THONs enthält, ebenso wie die Begründung und Entwicklung derselben, neben Anzuerkennendem viel Anfechtbares.

Zuzustimmen ist unbedingt seiner Verwerfung der Ansicht einiger schnellfertigen Urteiler, welche die Norm vollständig aus dem Begriff des Rechts ausgeschlossen und dieselbe der Moral und Religion zum ausschließlichen Eigentum zugewiesen haben wollen. Seine eigene Ansicht aber, nach welcher das Recht  nichts  sein soll, als ein Komplex von Imperativen, läßt ebenfalls gewichtige Einwendungen zu. Da dieselbe das ganze Werk beherrscht und dessen Eigentümlichkeit wesentlich bestimmt, so soll etwas ausführlicher darauf eingegangen werden.

Es ist ihr zunächst entgegenzusetzen, daß sie der  Zweiseitigkeit des Rechts,  vermöge welcher es bei der Gestaltung der Lebensverhältnisse regelmäßig auf einer Seite ein Sollen und bzw. Müssen, auf der anderen Seite ein Dürfen und bzw. Können begründet, und also die Funktionen des Gebietens und Bindens mit denjenigen des Erlaubens und Gewährleistens in sich verbindet, nicht gerecht wird. Die eigentümliche Bedeutung des Dürfens in der Sphäre des Rechts läßt sich aus den Begriff des Ge-(Ver-)botes und bzw. des Sollens nicht ohne weiteres ableiten, wie sich bei einem Vergleich der Gebote des Rechts mit denjenigen der Moral oder Religion sofort ergibt. Diese bestehen wesentlich aus Imperativen, aus welchen sich ein System von Pflichten ableitet, welchen nicht wie im Bereich des Rechts ein gewährleistetes Dürfen in einem System von Rechten im subjektiven Sinn gegenübertritt.

Das Dürfen bezeichnet die aktive Seite der Rechtsverhältnisse (ohne dieselbe übrigens vollständig zu charakterisieren), die Seite der geschützten Interessen, auf welcher für die juristische Betrachtung der Schwerpunkt liegt. Aktive und passive Seite der Rechtsverhältnisse entsprechen sich freilich in der Art, daß wir in der Regel nur eine zu bestimmen brauchen, um das Ganze zu charakterisieren. Aber es ist dies nur möglich, weil unsere Kenntnis der allgemeinen Natur der Rechtsverhältnisse uns aus dem, was über die eine Seite gesagt wird, auf die andere schließen läßt. Eben deshalb gilt es, die "Grundgedanken des Rechts" (Thon Seite 293) in einer Weise zu bestimmen, welche dem fraglichen Moment gerecht wird. Übrigens kommt das Übergewicht der aktiven Seite des Rechtsverhältnisses in zahlreichen Bestimmungen zum Vorschein. Hierher gehört es, daß das Dürfen unter Umständen unverändert fortbesteht, obgleich hinsichtlich des auf der passiven Seite des Rechtsverhältnisses regelmäßig vorauszusetzenden Sollens eine Änderung vor sich gegangen ist. Man denke etwa an den Erfüllungszwang in seiner Richtung gegen Unzurechnungsfähige. Das Dürfen bleibt hier im alten Umfang mit der vollen Rechtshilfe ausgestattet, obgleich auf der Gegenseite das Sollen abgestorben und nur ein Müssen übrig geblieben ist. (übereinstimmend Thon Seite 201 oben) Oder an die erlaubte Selbsthilfe, welche unabhängig davon ist, ob auf der passiven Seite die Verletzung einer Pflicht - eines Sollens - vorliegt. Es gehört hierher, was THON über das "schuldlose Unrecht" und dessen rechtliche Folgen ausführt (wobei ihm freilich der Schluß, der sich hinsichtlich der selbständigen Bedeutung des Dürfens hieraus ergibt, durch eine Fiktion verdeckt wird, deren weiter unten gedacht werden soll). Die erlaubende, ermächtigende, gewährende und bwz. garantierende Seite des Rechts entwickelt in den betreffenden Fällen ihre praktischen Konsequenzen, während die gebietende, pflichtbegründende, durch das bloß objektive Unrecht nicht berührt wird. Vergeblich bestreitet daher THON (Seite 292f) die relativ selbständige Bedeutung jener Seite. Sie tritt u. a. in der  Fassung  zahlreicher Bestimmungen des Privat- und öffentlichen Rechts hervor, insofern darin nur die Rechte definiert sind, nicht die Pflichten, und jene ohne Beziehung auf die Verschiedenheiten, welche auf der passiven Seite der Rechtsverhältnisse hervortreten können. Hierher gehören aus dem Bereich des öffentlichen Rechts z. B. Bestimmungen, wie sie das Gesetz gegen die Sozialdemokratie in § 20 enthält, welcher die Zentralbehörden der Bundesstaaten ermächtigt, mit Genehmigung des Bundesrates unter gewissen Voraussetzungen eine Art von Belagerungszustand zu verdrängen. Man mache den Versuch, den Inhalt dieses Paragraphen in erschöpfender Weise in die Form bloßer Imperative zu kleiden, und man wird erkennen, daß diese Form eine künstliche und dem Gegenstand nicht adäquate sein würde.

Da ich hier auf die Natur des Rechtsverhältnisses Bezug genommen habe, so bemerke ich ein- für allemal, daß mir gewisse Einseitigkeiten, welche das von THON entwickelte Gedankensystem meines Erachtens zeigt, mit dem Umstand zusammenzuhängen scheinen, daß neben den Begriffen des objektiven und des subjektiven Rechts der Begriff des Rechtsverhältnisses keine entsprechende Berücksichtigung gefunden hat.

Eine von der bisher besprochenen verschiedene Frage ist, ob das "bloße" Dürfen, bezüglich dessen keine Rechtshilfe gewährt wird, den Begriff des subjektiven Rechts, das "bloße" Erlauben, ohne eine Aufstellung von Garantien für das Können, den Begriff des objektiven Rechts erfüllt. Diese Frage ist mit THON (Seite 293) im Allgemeinen zu verneinen. Aber es gilt hier für das Dürfen und das Erlauben nichts anderes als für das Sollen und das Gebieten. Wenn nicht Garantien für ein entsprechendes Verhalten geboten werden, so erfüllen diese ebensowenig den Begriff der Rechtspflicht und des Rechtsgebotes, wie jene unter den erwähnten Voraussetzungen den des subjektiven Rechts und der berechtigten Norm. Damit aber treten wir von einer anderen Seite her aufs Neue in einen Widerspruch mit der THONschen Ansicht vom Wesen des Rechts und seiner Bestimmung desselben als eines bloßen Komplexes von Imperativen. Hierbei sollen aber einige allgemeine Bemerkungen zur Orientierung vorangeschickt werden.

Bloße Befehle, welche irgendwo ertönen, gleichviel in welchen Formen und mit welcher Wirkung, geben keinen Anlaß für die Anwendung des Rechtsbegriffs. Die Befehle des Rechts sind Äußerungen einer bestimmten Macht, bei deren Charakterisierung wir weder von der Tatsache ihrer Wirksamkeit, noch von den Formen dieser Wirksamkeit absehen dürfen. Sie vergleicht sich nicht dem Geist über den Wassern, der am Spiel der letzteren als passiver Zuschauer keinen Anteil hat, sondern den dieses Spiel beherrschenden und seine Regelmäßigkeiten bestimmenden Kräften. Die Bewegung und Ordnung des gesellschaftlichen Lebens aber zeigt sich durch verschiedenartige Kräfte bestimmt, und es fragt sich, was denjenigen unter ihnen, auf welche wir den Begriff des Rechts anwenden, eigentümlich ist. Daß sie ihren Einfluß u. a. in der Form von Imperativen äußert, gehört nicht dahin, denn das hat sie gemein mit Sitte, Moral und Religion. Daß diese Imperative des Rechts die Förderung menschlicher Interessen bezwecken, ist ebenfalls nichts für sie Eigentümliches. Daß sich in ihnen der allgemeine Wille äußert, ebenfalls nicht. Es gilt dies von ihnen in keinem anderen Sinn als von den Imperativen einer bei einem Volk herrschenden Sitte und öffentlichen Meinung. Hieraus ergibt sich, daß die THONschen Definition des Rechts nicht das Charakteristikum des letzteren enthält. Man hat dasselbe neuerdings in der Anerkennung der Rechtsvorschriften seitens derjenigen, für welche sie aufgestellt sind, finden wollen, aber die Vergleichung von Recht und Sitte läßt auch diese Ansicht ohne weiteres als unbefriedigend erkennen. Die Meisten von denjenigen, welche sich in der neueren Zeit mit dem Wesen und Begriff des Rechts beschäftigten, haben sich auffallenderweise die Frage, was das Recht mit den andern die Ordnung des gemeinsamen Lebens begründenden Normen gemein hat, und was es von diesen unterscheidet, nicht ernsthaft aufgeworfen, damit aber auf die Lösung der in Angriff genommenen Aufgabe von Vornherein verzichtet. In früherer Zeit hat man die Eigentümlichkeit der Rechtsvorschriften vielfach im Inhalt dessen, was sie ge- und verbieten, nachweisen zu können vermeint, aber die soeben geforderte Vergleichung, anhand der Geschichte und Völkerkunde durchgeführt, läßt erkennen, daß auf diesem Weg keine ausreichenden Unterscheidungsmerkmale finden lassen. Es ist hier nicht der Ort, eine diese Merkmal erschöpfend bestimmende Theorie zu entwickeln. Ich muß mich mit einigen nur halb begründeten Thesen begnügen. Es ist oben darauf hingewiesen worden, daß die Form der Imperative nur  eine  der Äußerungsformen des Rechts ist, und daß darin eine Eigentümlichkeit desselben liegt. Was nun die Imperative des Rechts selbst betrifft, so können wir dieselben nicht in befriedigender Weise charakterisieren, wenn wir absehen von den  äußeren Formen, in welchen sie zur Existenz gelangen und das Leben nach sich gestalten.  Hinsichtlich der hierherzuziehenden Formen ergibt sich hier noch eine Schwierigkeit daraus, daß dieselben sich nicht in allen Gebieten und bei allen Bestandteilen des Rechts vollständig entwickelt und gleichmäßig vertreten finden. Es besteht eine auf ihre Ausbildung gerichtete Tendenz, welche sich zwar überall in der Sphäre des Rechts ankündigt, aber eine Realisierung in sehr verschiedenem Umfang gefunden hat.

Zu diesen Formen gehört es nun u. a., daß die Übertretung der Imperative des Rechts rechtliche Folgen nach sich zieht. Diese  Rechtsfolgen des Unrechts  spielen bei THON eine große Rolle. Umso auffallender ist es, daß er sie im Verhältnis zum Wesen des Rechts als etwas Zufälliges betrachtet. Wenn ihre Verbindung mit Übertretungen nicht in der Natur des Rechts ihre Erklärung fände, so anders sollte sie dieselbe suchen? Wenn die darauf gerichtete Tendenz nicht mit dem eigentümlichen Wesen des Rechts zusammenhinge, wie käme es, daß sich diese bestimmten Folgen gerade nur in der Sphäre des Rechts mit der Nichterfüllung von Geboten verbinden? In der Regel ist die Frage, ob in irgendeiner Anforderung eine Rechtsvorschrift an uns herantritt, lediglich mit Beziehung auf die Form, in welcher sie uns gestellt wird und vornehmlich mit Bezug auf die Folgen, welche die Nichtbeachtung der Anforderung nach sich zieht, zu beantworten. Man möge uns etwa sagen, in welchen Ländern das Verbot des Selbstmords den Charakter einer Rechtsnorm hat und in welchen nicht (Thon berührt die Frage Seite 298), ohne dabei auf die Formen Bezug zu nehmen, in welchen dieses Verbot an die Volksgenossen herantritt und, vornehmlich, ohne der Folgen zu gedenken, welche sich mit der Verletzung des Verbots in den verschiedenen Ländern verbinden oder nicht verbinden. Es dürfte sich bei einem solchen Versuch wohl herausstellen, daß die äußeren Formen, in welchen das Recht existiert und sich behauptet, und daß speziell die eigentümlichen Folgen der Verletzung seiner Vorschriften nichts äußerlich und zufällig zu seinem Wesen Hinzutretendes, sondern Attribute dieses Wesens sind. - Beiläufig sei hier bemerkt, daß die Rechtsfolgen des Unrechts, welche nach THON für den Begriff des objektiven Rechts unwesentlich sein sollen, ihm für den Begriff des subjektiven Rechts als entscheidend gelten. Es besteht in diesem Punkt hier also keine Harmonie zwischen den beiden Begriffen, während THON im Übrigen davon auszugehen scheint, daß eine solche, wie es sich in der Tat verhält, vorauszusetzen ist. Zu diesen Rechtsfolgen gehört es nun zunächst, daß an der Stelle des verletzten ersten (primären) Imperativs, welcher dem zugrunde liegenden Interesse den speziellsten Ausdruck gibt,  ein zweiter  auf Erfüllungszwang, Entschädigung oder Strafe etc. gerichteter  Imperativ  praktisch wird. Dieser letztere kommt nicht erst jetzt infolge der Übertretung zur Entstehung, sondern wandelt sich nur in Bezug auf den einzelnen Fall aus einem bedingten in einen unbedingten um. Es ändert sich nicht das objektive Recht, sondern nur das Verhältnis der einzelnen jeweils Beteiligten zu den schon existierenden Imperativen. Die Rechtsfolgen einer Übertretung gehören daher nicht selbst zu den Normen, zu welchen THON (Seite 4) sie zählt. Die Übertretung läßt unter dem Einfluß der sekundären Vorschrift neue Rechte und Pflichten, also neue  Rechtsverhältnisse,  zur Entstehung kommen. In den Rahmen der THONschen Auffassung aber paßt diese Wendung nicht, weil sie uns über das Reich der reinen Norm hinausführt.

Das "Lebendigwerden" des zweiten Imperativs, bzw. der Mehrzahl von sekundären Imperativen, erschöpft nach THON den Begriff der Rechtsfolgen, wie oben erwähnt worden ist. Die  konkrete Erfüllung  der sekundären Vorschriften liegt nach ihm außerhalb ihres Begriffs als einer Art bloßer Imperative. Es ist auch dies ein wesentlicher Bestandteil der THONschen Gesamtauffassung, für welchen jedoch keine außerhalb dieser selbst liegende Begründung beigebracht wird. Alles hängt hier natürlich davon ab, wie der Begriff der Rechtsfolgen bestimmt wird. Doch ist diese Bestimmung kein Gegenstand freien Ermessens. Es handelt sich um Folgen von Übertretungen, an deren Eintritt sich das Recht, formgebend, gewährleistend und sanktionierend, beteiligt. Eine wissenschaftlich befriedigende Definition würde neben diesen äußeren Merkmalen die allgemeine Bedeutung dieser Folgen des Unrechts für die Rechtsordnung zu bezeichnen haben. Dieselbe liegt in der mehr oder weniger vollständigen Neutralisierung der Rechtsverletzung bezüglich ihrer Bedeutung für die Rechtsordnung, und bzw. der Wahrung des den übertretenen Normen zugrunde liegenden Interesses unter den durch die Übertretung geschaffenen Bedingungen. Ich lasse hier indessen diese letzteren, den Zweck betreffenden, Merkmale beiseite und halte mich an die vorangestellten äußeren, hinsichtlich welcher sich ein Streit nicht erheben lassen dürfte. Nun, die dem Gesetz gemäß vollzogene Bestrafung eines Verbrechers ist eine Folge seines Verbrechens und zwar eine durch das Recht sanktionierte und in ihrer Form bestimmte, für deren Eintritt es wichtige Garantien enthält, und deren rechtliche Bedeutsamkeit durch dieses Verhalten des Rechts ohne weiteres bewiesen wird. Was soll es bedeuten, wenn wir dieser rechtlichen Folge des Unrechts die ihr entsprechende Bezeichnung vorenthalten? Die Möglichkeit, daß in einzelnen Fällen diese Folge nicht eintritt, beweist natürlich nicht, daß sie dort, wo es geschieht, keine durch das Recht vorgesehene und sanktionierte Folge des Verbrechens ist. Ebensowenig beweist die von THON angezogene Möglichkeit, daß ein Unschuldiger bestraft wird. Auch hier haben wir es mit einer Unrechtsfolge, aber nicht mit einer durch das Recht gebilligten zu tun. Das faktische Geschehen ansich (z. B. die Tötung eines Menschen mittels Guillotine) ist natürlich nicht Rechtsfolge, sondern dieses Geschehen als ein den Imperativen des Rechts entsprechendes und durch dieselben sanktioniertes. THON müßte beweisen, daß die so bestimmte Verbrechensfolge entweder keine Folge des Verbrechens oder unabhängig von den Vorschriften des Rechts ist, was beides sich selbst widerspricht.

Unter den Begriff und Namen der Rechtsfolgen subsumiert sich daher nicht bloß das neue Sollen und Dürfen, welches die Übertretung entstehen läßt, sondern auch das entsprechende Müssen und Können (vgl. hier Thon Seite 201 oben) und das entsprechende Geschehen.

Mit dieser Frage ist aber die andere nicht erledigt, ob dieses entsprechende Geschehen, als der  wirkliche Eintritt der Rechtsfolgen  des Unrechts in dem hier bezeichneten Umfang etwas für das Recht Wesentliches ist. Bei THON versteht sich die Verneinung von selbst, da es nicht zum Begriff der Imperative, weder der primären noch der sekundären, gehört, daß sie ihre Erfüllung finden, der Begriff des Rechts aber mit dem der Imperative bei ihm zusammenfällt. Das Gegenteil ergibt sich aus der oben der seinigen entgegengestellten Auffassung des Rechts. Danach sind Imperative nur insofern als sie wirksam sind und eine entsprechende Gestaltung der Lebensverhältnisse mit sich führen, den Imperativen der Rechtsordnung beizuzählen. Imperative, welche nur eine papierne oder bloße theoretische Existenz haben, sind nicht Elemente derselben, so gewiß wir unter der Rechtsordnung die wirkliche Ordnung des gesellschaftlichen Lebens, nicht eine bloß gedachte, etwa in einem Lehrbuch des Naturrechts dargestellte, Ordnung verstehen. Daran ist freilich nicht zu denken, daß es den Begriff des Rechts berührt, wenn eine Vorschrift einmal straflos übertreten wird. Nur darauf kommt es an, daß sich die Macht des Rechts im Großen und Ganzen, sei es in den Formen seiner primären, sei es in denjenigen seiner sekundären Imperative, bewährt.

Aber der Gegensatz unserer Ansichten hinsichtlich der Rechtsfolgen und ihres Verhältnisses zu den übertretenen Normen ist noch nicht erschöpft.

Es ist hier angenommen worden, daß im Verhältnis zur Natur dieser letzteren die Anordnung und der wirkliche Eintritt der Rechtsfolgen nicht als etwas Zufälliges erscheint. Verhält es sich so, so erwächst die Aufgabe - ich halte sie für eine der interessantesten, welche unserer Wissenschaft gestellt sind, - das Band zu erforschen, welches jenen  Zusammenhang zwischen primären und sekundären Vorschriften, sowie zwischen Übertretungen und Rechtsfolgen  herstellt und als einen nicht durch bloße Zufälligkeiten begründeten erscheinen läßt.

Bei THON könnte nur eine Erörterung des Verhältnisses der primären und sekundären Normen zueinander gesucht werden, da ja von diesen Normen abgesehen hier für ihn nichts existiert. Aber jene Erörterung findet sich nicht und zwar offenbar aus dem Grund, weil die Existenz eines Bandes der vorausgesetzten Art von ihm nicht angenommen wird, und es hier also nach seiner Auffassung nichts zu erforschen gibt. Die sekundären Normen treten nach ihm den primären äußerlich, nicht kraft einer im Wesen des Rechts liegenden oder irgendwie sonst begründeten Notwendigkeit zur Seite. Verschiedenartige, innerlich nicht miteinander verknüpfte Interessen lassen dem ersten Gebot ein zweites von anderem Inhalt folgen. Das ist freilich keine THON eigentümliche Auffassung - sie macht sich nur bei ihm, weil die sekundären Normen eine systematische und auf ihre Gründe eingehende Bearbeitung erfahren, recht fühlbar - sondern die  allgemeine  Auffassung. Der Staat setzt sich nach ihr, um mich ein wenig stark auszudrücken, im primären Gebot einen Zweck:  A,  kann er denselben nicht erreichen, so setzt er sich statt dessen, gleichsam um sich zu trösten, beliebige andere Zwecke:  B  oder  C  oder  D.  Kann er etwa den Zweck nicht erreichen, welchen er mittels der primären Gebote: Zeugnis zu geben, Steuern zu zahlen, die Kanzel nicht zur Störung des öffentlichen Friedens zu mißbrauchen etc. verfolgt, so setzt er sich, um doch irgendetwas zu erreichen, andere Zwecke, etwa den, seinen Vergeltungstrieb zu befriedigen, indem er dem ungehorsamen Militärdienstpflichtigen, Priester etc. ein Übel unter dem Namen der Strafe zufügt.

Wem dies keine sachentsprechende Auffassung zu sein scheint, der wird annehmen müssen, daß die Interessen, welche sich im ersten Gebot äußern, auch den sämtlichen, sekundären Geboten zugrunde liegen. In der Tat stammen beiderlei Normen aus derselben Quelle, welche sie nicht zufällig, sondern ihrer Natur gemäß in dieser Folge praktisch werden läßt, und aus welcher zunächst das allgemeine Verständnis dieser Folge zu gewinnen ist, ehe wir eine genauere Bestimmung dessen, was die verschiedenen sekundären Gebote Eigentümliches haben, versuchen. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Gesetze muß Gewißheit darüber geben, daß jener Zusammenhang besteht, daß die sekundären und primären Bestimmungen derselben im selben Grund wurzeln; daß z. B. das Interesse an der Verhütung der Tierquälerei nicht bloß dem Verbot derselben, sondern auch der  sanctio poenalis [Strafe - wp] dieses Verbots zugrunde liegt, oder daß das jüngst vereinbarte Sozialistengesetz in seinen primären und in seinen sekundären Vorschriften im selben Interesse seinen Ursprung hat.

Den sekundären Bestimmungen, z. B. den Strafbestimmungen, kommt zunächst die Bedeutung zu, die Wirksamkeit der primären Bestimmungen dem gemeinsam verfolgten Zweck gegenüber zu erhöhen, vielleicht eine solche überhaupt erst zu begründen. Letzteres ist keineswegs ein seltener, sondern ein durchaus normaler Fall. Überaus häufig wird ein praktisches Verhältnis der Rechtsordnung zu bestimmten Zwecken lediglich hergestellt durch den Strafbefehl. Es ist oben bereits auf solche Fälle hingewiesen worden. Man streiche etwa diese sekundären Befehle in den auf die Ehre bezüglichen Gesetzen. Man wird damit den in ihnen enthaltenen primären Geboten ihren praktischen Wert in Bezug auf ihren Zweck genommen und die Achtung oder Nichtachtung der Ehre unabhängig gemacht haben von der eigentümlichen Wirkungsweise des Rechts.

Aber nicht bloß diese Bestimmung hat das sekundäre Gebot: die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen oder eine solche überhaupt erst zu begründen, daß das dem Gesetz zugrunde liegende Interesse seine Befriedigung  in der vom primären Gebot vorgesehenen Form  findet, sondern daneben die andere Bedeutung: für den Fall der Nichterfüllung des primären Gebotes eine Befriedigung jenes Interesses wenigstens seinem allgemeinen Gehalt nach noch zu ermöglichen und bzw. zu verbürgen. Das primäre Gebot enthält den speziellsten, individualisiertesten Ausdruck dieses Interesses; seine Nichtbefolgung bedingt eine mehr oder weniger weitgreifende Änderung dieses Ausdrucks. Unter anderem kann nun an der Stelle des  einen  primären Imperativs (z. B. du sollst nicht stehlen) eine Mehrheit von ihrer Fassung und unmittelbaren Richtung sehr verschiedenen Imperativen (z. B. du sollst restituieren und es soll Strafe verhängt werden) Erfüllung fordern. Aber die bewegende Kraft, welche sich im ersten Imperativ äußerte, ist nicht verschwunden, sie äußert sich nur, den geänderten Umständen entsprechend, in anderen Formen. Da die Befriedigung in derjenigen Form, in welcher sie dieselbe zunächst suchte, durch den Ungehorsam vereitelt wurde, so sucht sie dieselbe in der Verwirklichung der Rechtsfolgen des Ungehorsams, welche in ihrer wesentlichen Bedeutung für sie das Äquivalent des Gehorsams sind. Ich verweise hier auf THON Seite 224, Anmerkung 2.

In unserem Werk wird dem  Erfüllungszwang  hier eine besondere Stellung gegeben. Derselbe soll sich nämlich, abweichend von anderen Rechtsfolgen, auf das ursprünglich Geschuldete richten und das unverändert fortdauernde primäre Gebot verwirklichen. THON scheint hierbei zu übersehen, daß seiner eigenen Definition der Rechtsfolgen gemäß der Erfüllungszwang diesen letzteren nur insofern beizuzählen ist, als in ihm ein vom primären abweichendes sekundäres Gebot lebendig wird. In der Tat lassen sich hier stets Modifikationen des ersteren nachweisen. So ist der Imperativ:  A  soll vor Gericht erscheinen offenbar nicht identisch mit diesem:  B  soll den  A  zwangsweise vor Gericht bringen. Durch beide Imperative wird allerdings ein Resultat herbeigeführt, das sie gemeinsam bezwecken: die Anwesenheit des Vorgeforderten vor Gericht. Aber befohlen werden nicht Resultate, sondern Leistungen, und die Leistung, durch welche im einen und im anderen Fall das Resultat herbeigeführt wird, ist nicht dieselbe. Auch ist die Bedeutung des Geschehenen für die Rechtsordnung nicht vollständig die gleiche. Was aber den gemeinsamen Zweck betrifft, so ist, wie soeben ausgeführt wurde, dies nichts für das Verhältnis des Erfüllungszwangs zum primären Gebot Eigentümliches. Auch durch den Entschädigungszwang wird ein Zustand herbeigeführt, welchen bereits das primäre Gebot (nicht zu beschädigen) bezweckte: die Integrität des betreffenden Vermögens. Dem wesentlichen Gehalt nach ist das beiden Imperativen zugrunde liegende Interesse also auch hier identisch, nur weichen hier die Formen, in welchen es eine Befriedigung sucht, den geänderten Bedingungen entsprechend, mehr voneinander ab, als bei der zuerst erwähnten Rechtsfolge des Erfüllungszwanges. Wir können auf diese Weise aus den Rechtsfolgen der Übertretungen eine Reihe bilden, in welcher sich je das folgende Glied vom Inhalt des ersten Imperativs weiter entfernt, ohne aus der Richtung desselben und aus der Herrschaft des im Wesentlichen sich gleich bleibenden staatlichen Interesses herauszufallen ...

Wenn nun die sekundären Gebote die gleiche psychische Wurzel haben, wie die primären, an deren Stelle sie dem staatlichen Interesse in, den veränderten Umständen angepaßten, Formen dienen, so ergibt sich eine bedeutsame Folgerung hinsichtlich ihres Verhältnisses zueinander. Stimmen die sekundären Gebote und die Rechtsfolgen von Übertretungen hinsichtlich ihres wesentlichen Zwecks mit den primären Geboten überein, so stimmen sie auch unter sich hinsichtlich dieses Zwecks überein. Die hier besprochene Verwandtschaft zwischen diesen und jenen ist beweisend für die Verwandtschaft jener, also des Erfüllungs-, Entschädigungs- und Strafzwangs, untereinander.

Diese Verwandtschaft ist früher von mir vertreten, dann von Mehreren, insbesondere von BINDING, dessen Ausführungen THON für überzeugend gelten, bestritten worden. Es ist hier kein Raum, um die alte Kontroverse ausführlicher wieder aufzunehmen. Es sollte nur die Gelegenheit wahrgenommen werden, einer Betrachtungsweise, welche unter der Herrschaft des analytischen Triebes bei den Unterschieden stehen bleibt, wiederholt eine Auffassung gegenüber zu stellen, in welcher die Verwandtschaft der unterschiedenen Individualitäten zur Geltung kommt. Was gegen dieselbe vorgebracht worden ist, berührt den Kern der Frage nicht, welche freilich ihre Erledigung nicht durch beiläufige Bemerkungen, wie sie hier gegeben wurden, sondern nur, gleich mancher anderen von THON berührten (was dieser nicht verkennt) im Zusammenhang mit einer umfassenderen Fortbildung der allgemeinen Rechtslehre finden kann.

Von den Rechtsfolgen des Unrechts unterscheiden sich  Rechtsfolgen schuldloser Verletzungen  der vom Recht geschützten Interessen. Daß auch derartige Verletzungen rechtliche Folgen nach sich ziehen können, hängt mit der schon besprochenen selbständigen Bedeutung des Dürfens und dem Übergewicht der aktiven Seite der Rechtsverhältnisse zusammen. THON behandelt die Frage in seinem zweiten Kapitel. Er nimmt an, daß bei schuldlosen Übertretungen solche Rechtsfolgen eintreten können, welche nicht um der Qualifikation der Tat willen, sondern um solcher Interessen willen, die auch dem Schuldlosen gegenüber gewahrt werden können, eintreten. Dahin wird die Nichtigkeit mißbilligter Rechtsgeschäfte, die Erlaubnis zur Verhinderung einer Gesetzesverletzung und der Erfüllungszwang gerechnet. Man kann dieser Erledigung zustimmen. Die Interessen werden hier gewahrt unabhängig davon, ob die Imperative, welche das nächste Mittel dazu bilden, ihre Bestimmung erfüllen können (vgl. Thon Seite 224, Anm. 2 und 201). Wäre das Recht nur ein Teil der Moral, welche dort, wo ihre Imperative nicht vernommen werden können, nichts mehr zu sagen hat, so wäre dies unverständlich. Aber das Recht hat, wie schon ausgeführt wurde, ein anderes Verhältnis zu seinen Imperativen, wie die Moral zu den ihrigen; es ist mehr als deren Inbegriff, und der Schwerpunkt liegt bei ihm nicht im Gebieten, sondern im Gewähren. THON allerdings deutet sich die Sache anders. Er nimmt an, daß die Imperative des Rechts sich auch an Unzurechnungsfähige wenden, und auch von diesen übertreten werden können. Aber augenscheinlich hat es keinen Sinn, Befehle an Jemanden zu richten, von dem wir wissen, daß er sie nicht verstehen und befolgen kann, und Verletzungen dieser Befehle durch solche Personen anzunehmen. Ich verstehe nicht, wie die Gegner glauben können, daß sie dieses Argument entkräftet hätten. Die hier bestehende Kontroverse betrifft nicht das Faktum, daß ein schuldloses Verhalten rechtlich bedeutsame Folgen hat; sondern die Begründung und den Maßstab für diese Folgen. THON gibt zu, daß für dieselben die Qualifikation der Tat nicht entscheidend ist. Ist dies der Fall, so ist offenbar auch die angeblich in der Tat liegende Übertretung der Imperative des Rechts hier nicht entscheidend. Damit aber entfällt der Grund für die Annahme einer solchen Übertretung, für eine Annahme, die einen Widerspruch enthält. Entscheidend ist lediglich, daß die Situation, in welcher bestimmte menschliche Interessen anderen menschlichen Interessen gegenüber gewahrt werden wollen, durch die Tat eine Änderung erlitten hat, wie sie eine solche in rechtlich relevanter Weise auch durch Naturkräfte erleiden kann! Dieser Auffassung entsprechen die Bemerkungen THONs Seite 244 oben.

Im Einzelnen enthält das zweite Kapitel beachtenswerte Bemerkungen u. a. hinsichtlich der  fahrlässigen  Delikte (Anmerkung 20, Seite 78f). Da ich mich vielfache im Widerspruch mit den Ansichten THONs finde, so freut es mich, hier eine wesentliche Überseinstimmung konstatieren zu können. THON befindet sich hier wie ich selbst in einem Gegensatz zu den Ansichten BINDINGs, welcher in einem anderen Zusammenhang auszutragen sein wird.

THON wendet sich im Weiteren den  subjektiven Rechten  zu. Zunächst im dritten Kapitel in eindringlicher Weise dem Unterschied zwischen öffentlichen und privaten Rechten. Vielleicht wäre es richtiger gewesen, dieser Untersuchung eine Erörterung über den allgemeinen Begriff des subjektiven Rechts vorauszuschicken, anstatt, wie es von THON geschieht, die allgemeinen Bestimmungen den nachfolgenden Abschnitten einzuflechten. Durch dieses Verfahren wird zumindest dem Leser, wenn ich nach mir urteilen darf, die Lösung der ihm zufallenden Aufgabe erschwert.

Bei jener  Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Rechten  legt THON den Akzent auf die Art, wie der Rechtsschutz gewährt wird, oder, was dasselbe ist, auf die Rechtsfolgen, welche die Übertretung der in Betracht kommenden primären Rechtsnorm nach sich zieht. Beim Privatrecht nämlich sei dem in seinen Interessen Geschützten ein Mittel zur Beseitigung der Verletzung, ein "Anspruch", von der Rechtsordnung gegeben und zum beliebigen Gebrauch überlassen. Ein ausreichendes Merkmal ist damit jedoch noch nicht bezeichnet. Auch dem Inhaber öffentlicher Rechte können Schutzmittel, z. B. die Beschwerde, zum beliebigen Gebrauch überlassen werden (vgl. Thon Seite 129f). Zur Ergänzung jenes Merkmals könnte vielleicht die speziellere Gestaltung des privatrechtlichen Schutzes angezogen werden. Es geschieht dies jedoch bei unserem Verfasser nicht. Im Allgemeinen lassen sich auf drei verschiedenen Gebieten charakteristische Merkmale des Privatrechts finden. Zunächst auf dem hier vorangestellten Gebiet des Rechtsschutzes. Dann auf dem Gebiet des materiellen Rechts, wobei insbesondere die Grundsätze über Vererbung und über die Übertragung unter Lebenden in Betracht kommen. Schließlich auf dem Gebiet der beteiligten Interessen, wo die entscheidenden Gründe für die Besonderheiten des materiellen und formellen Rechts liegen. Es kommen die Interessen in Betracht, welche eine Anerkennung und den Schutz seitens der Rechtsordnung suchen, diejenigen, denen gegenber die ersteren geschützt sein wollen und schließlich diejenigen, welche durch die Verletzung der einschlägigen Gesetze getroffen werden, und für welche die ordnungsmäßige Ausgleichung des Geschehenen bedeutsam ist. Dieses letztere nach Maßgabe der gegebenen Verhältnisse und der jeweils herrschenden Anschauungen. THON sucht die Ergänzung des oben erwähnten, zumeist von ihm betonten Merkmals auf dem zuletzt erwähnten Gebiet und setzt beim Privatrecht in diesem Sinn einen, den Interessen eines Einzelnen gegen Einzelne gewährten Schutz voraus.

Das hier zu freiem Gebrauch überlassene Schutzmittel heißt "Privatanspruch", dessen Vorhandensein sonach für die Annahme eines Privatrechts entscheidend sein soll. Das kausale Verhältnis, in welchem hier das materielle Merkmal zum formellen steht, wird nicht näher erörtert, letzteres aber in einer Weise begrenzt, welche mir als willkürlich erscheint. Nur ein Privatanspruch nämlich auf  Beseitigung  der Verletzung soll für die Existenz eines Privatrechts beweisend sein, nicht ein Privatanspruch auf einen Ausgleich derselben, bzw. auf Erlangung eines Äquivalents. Daher sollen z. B. die  actio injuria aestimatoria [Beleidigungsklage, Schätzwert - wp] und der Anspruch des schuldhaft Verletzten auf Schmerzensgeld nicht für die Existenz eines Privatrechts beweisend sein (Seite 152). Weshalb nicht? Sind dies doch Schutzmittel für Einzelinteressen gegen Einzelinteressen, welche dem Interessenten zum beliebigen Gebrauch überlassen werden.

Bei THON macht sich hier die oben besprochene und bekämpfte Auffassung vom Verhältnis der Rechtsfolgen untereinander und zu den der primären Norm zugrunde liegenden Interessen gelten.

Ich lasse im Übrigen die Richtigkeit der gegebenen Definition zunächst dahingestellt, um mich dem von THON vertretenen allgemeinen Begriff des subjektiven Rechts zuzuwenden.

Das allgemeine Merkmal des Rechts  in seinem Sinn findet THON in der Möglichkeit einer eigenen Rechtsverfolgng, der von den Gesetzen gewährte Schutz wird zum Recht nach ihm dadurch, daß dem Geschützten für den Fall der Verletzung des schützenden Gesetzes ein Mittel zur Beseitigung der Verletzung (ein Anspruch) gegeben wird. Recht ist Anwartschaft auf Ansprüche. Nachdem das Unterscheidungsmerkmal zwischen öffentlichen und privaten Rechten in den Formen des Rechtsschutzes gefunden wurde, konnte man erwarten, daß der allgemeine Begriff des Rechts als von diesen Formen unabhängig gedacht und nur die allgemeine Tatsache des Rechtsschutzes als für dessen Begriff wesentlich betrachtet wird. Wenn die Möglichkeit einer eigenen Rechtsverfolgung, der "Selbstschutz des Interesses" das allgemeine Charakteristikum des Rechts ist, so hat der Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Recht damit zu schaffen, und es bliebe sonach von der THONschen Definition des letzteren nur das materielle Merkmal, die Natur des geschützten Interesses, übrig. Aber die Stellung, welche dem letzteren im Übrigen gegeben wird, läßt es nicht als geeignet erscheinen, die Rolle des entscheidenden Charakteristikums zu übernehmen.

Das  Interesse  nämlich und dessen Befriedigung werden von THON vom Inhalt und Begriff des subjektiven Rechts ausgeschlossen. Diese Befriedigung und der  Genuß  der rechtlich geschützten Güter bilden nach ihm zwar den Zweck des Rechts (was er hier Seite 219f gegen WINDSCHEID zugunsten der JHERINGschen Auffassung vorbringt, ist durchaus treffend), sind aber selbst weder als Recht noch als Ausübung eines Rechts aufzufassen. Der Genuß soll so wenig zum Begriff des Rechts gehören, wie zum Gartenzaun der Garten, den jener schützen soll. Es bietet sich diese Ansicht als eine Konsequenz der Auffassung des objektiven Rechts. Zugleich aber wird eine selbständige Begründung derselben durch den Beweis, daß die gegnerische Ansicht absurde Konsequenzen habe, versucht. In der Tat wird diese in der Gestalt, in welcher sie bekämpft wird, tödlich getroffen, wenn überhaupt getötet werden kann, was gar kein Leben in sich hat. Das Genießen ansich ist ebensowenig eine Rechtsausübung  wie eine Rechtsverletzung.  Eine gegenteilige Ansicht würde im Ernst gar nicht als eine Ansicht, sondern bloß als eine Gedankenlosigkeit zu betrachten sein. So sind auch beliebige Herrschaftsverhältnisse zur Sachenwelt ansich keine Rechtsverhältnisse. Wir stehen überhaupt nicht in Rechtsverhältnissen zu Sachen, so gewiß Sachen keine Pflichten gegen uns haben. - Das Genießen wird ferner nicht dadurch zum Recht, daß es nicht verboten ist; eine Handlung nicht dadurch zur Rechtsausübung, daß sie kein Unrecht enthält. Der Selbstmord ist im deutschen Recht nicht verboten, ohne darum die Ausübung eines Rechts zu sein. Zum Recht gehört die Anerkennung seitens der Rechtsordnung und die Existenz von Garantien für die praktische Anerkennung seitens der Einzelnen. Was in dieser Richtung von THON vorgebracht wird, ist nicht zu bestreiten. Aber es führt nicht weiter, als daß wir mit JHERING Rechte als "rechtlich geschützte Interessen" bezeichnen. Dafür, daß diese Interessen gänzlich aus dem Begriff zu scheiden sind, enthält das Werk kein Argument, abgesehen von dem in ihm vertretenen Begriff des objektiven Rechts, welchen ich als unzulänglich zu erweisen versucht habe. Es ist ohne Zweifel richtig, wenn THON sagt, daß sich die Rechtsordnung nicht regelmäßig um den Genuß der Güter kümmert, daß es ihre Aufgabe nur sei, die Hindernisse wegzuräumen, die andere Personen unbefugt demselben stellen. Aber damit steht es durchaus im Einklang, wenn wir auch beim subjektiven Recht an den Genuß nur denken als an einen Gegenstand möglicher Störungen und rechtlichen Schutzes gegen dieselben.  Recht ist die Befriedigung eines Interesses mit Bezug auf die Bürgschaften, welche die Rechtsordnung für ein entsprechendes Verhalten Dritter bietet.  Diese Beziehung auf Dritte ist ein wesentliches Merkmal des Rechts. Aber wir können dieselbe nicht loslösen von dem, was in dieser Beziehung steht. So wenig wie der Genuß als solcher den Begriff des Rechts erfüllt, ebensowenig die hervorgehobene Beziehung des Genusses, losgelöst von ihm selber. Dem Recht steht nach der Natur der Rechtsverhältnisse eine auf den gleichen Gegenstand bezügliche Pflicht gegenüber, der Freiheit auf der einen Seite entspricht die Gebundenheit auf der anderen, der legitime Genuß ist bei dem Einen Objekt eines Dürfens, beim Andern Objekt eines Sollens. Bei THON wird dieses Verhältnis, in welche das juristische Denken die beiden Begriffe seit jeher gestellt hat, das elementarste logische Verhältnis unseres Gebietes, aufgehoben. So ist beim dinglichen Recht ein gewisser Sachgenuß als einem Dritten gegenüber gewährleisteter: Inhalt des  Rechts,  als ein von diesen Dritten zu respektierender: Inhalt der  Pflicht.  Bei THON behält die Pflicht ihre natürliche Stellung, aber das Recht verläßt ihr gegenüber seinen Platz. Es verliert überdies seine natürliche Konsistenz, und führt nur noch eine abgeleitete schattenhafte Existenz als Aussicht auf eine künftige Abwehr einer möglichen Verletzung der Pflicht, es ist zur bloßen Negation der Negation seiner selbst geworden. Denn nur der Anspruch begründet das Recht, der Anspruch aber hat eine Rechtsverletzung zur Voraussetzung und ist nichts anderes als ein Mittel zur Beseitigung derselben. Auch das Verhältnis des Rechts zu anderen Begriffen würde sich, wenn wir diese Aufhebung seiner Körperlichkeit gelten ließen, verschieben. So das Verhältnis zum Begriff der Rechtsverletzung. Man würde füglich nicht mehr davon reden können, daß man in seinem Recht verletzt sei, denn was wir gegenwärtig eine Kränkung unseres Rechts nennen, das würde dann nur die Bedingung sein, welche unser Recht, d. h. die Aussicht auf Ansprüche, lebendig werden läßt. Wer ferner noch im bisherigen Sinn davon reden wollte, daß er seine Rechte verteidigen oder zur Geltung bringen wolle, daß er sich in der Ausübung seiner Rechte nicht stören lassen werde etc., dem müßte man vorhalten, daß er den Begriff des Rechts auf den Kopf stellt.

Da nun keinerlei Gründe dafür vorzuliegen scheinen, daß wir uns mit dem bisherigen juristischen und populären Reden und Denken in einen derartigen Gegensatz stellen, so dürfte es sich empfehlen, bei den oben entwickelten Begriffen stehen zu bleiben.

Eine besondere Frage verdient hier indessen noch eine speziellere Erwähnung; die Frage nämlich, ob, wie hier zunächst vorausgesetzt worden ist, die Tatsache des rechtlichen Schutzes genügt, um den Genuß zum Recht zu erheben, oder ob nur einer besonderen Form des Schutzes, speziell der Einräumung eines Rechtsmittels an den Interessenten selbst, als dem  "Selbstschutz",  diese Bedeutung beizumessen sei. Wenn man mit THON den Genuß aus dem Begriff des Rechts ausschließt, und also nur die Beziehung auf den Rechtsschutz übrig läßt, so erscheint es als naheliegend, hier eine Beschränkung aufzustellen, und zumindest ein näheres Verhältnis des Geschützten zum Rechtsschutz vorauszusetzen. Es besteht hier in der Tat keine Veranlassung, den schützenden Staatswillen, insofern er ohne und bzw. gegen den Willen des Geschützten tätig wird, als das Recht des letzteren zu bezeichnen (Thon Seite 217), da ja der Zweck des Schutzes, der allein ein Verhältnis zwischen ihm und der betreffenden Person herstellt, mit dem Begriff des Rechts nichts zu schaffen haben soll. THON ist daher konsequent, wenn er von einem Recht des Interessenten nur dort gesprochen haben will, wo dieser zur Realisierung des Schutzes mit berufen wird, d. h. nach der technischen Ausdrucksweise THONs, wo ihm eine Aussicht auf Ansprüche gewährt ist. Findet man dagegen die Substanz des Rechts in einem Interesse, so existiert kein Grund für diese Beschränkung. Vielmehr ist dann als entscheidend für die Annahme eines Rechts nicht die Frage zu betrachten, welches die Faktoren und Vehikel des Rechtsschutzes, sondern nur die andere, wer der Träger des geschützten Interesses und für Art und Maß der Verwirklichung desselben maßgebend ist. Ich bin mir wohl bewußt, daß nicht alle, welche das Interesse als ein Element des Rechts betrachten, diese Konsequenz ziehen. Aber ich glaube, man wird dieselbe, wenn erst diese Fragen vollständiger durchgearbeitet sein werden, gelten lassen müssen. Oder will man im Ernst die Rechte, welche dem Kaiser durch die Reichsverfassung zuerkannt sind, nicht als Rechte des Kaisers gelten lassen, weil sich dieser bei der Verwirklichung des Schutzes dieser Rechte nicht beteiligt? Oder die Rechte des Bundesrats, der Monarchen in den einzelnen Staaten, der Parlamente etc. nur insofern und insoweit anerkennen, als "der Interessent selbst zur Realisierung des Schutzes mit berufen wird"? Man würde sich damit ebenso im Widerspruch mit dem Reden und Denken des Volkes, und in einem gleich unnützen Widerspruch, wie in dem oben besprochenen Fall, befinden.

In Wahrheit ist nicht bloß die Existenz, sondern auch der Umfang der Rechte vom Selbstschutz abhängig. Daher dann auch im Gegensatz zu THON gewissen Rechten eine Richtung gegen Jedermann zuzuerkennen ist. In einem gewissen Sinn haben sämtliche Rechte diesen universellen Charakter, insofern nämlich, als sie von jedermann verletzt werden können, oder was auf das Gleiche hinausläuft, wie die Pflicht sich einer Verletzung derselben zu enthalten (unter gewissen Voraussetzungen) für jederman besteht. Das Recht reicht so weit wie die korrespondierende Pflicht, und es kann kein Bedenken geben gegen die Annahme des ersteren, wo die letztere außer Zweifel steht.

Noch sei bemerkt, daß, wo Rechte in dem hier vertretenen Sinn des Wortes existieren, den Trägern derselben auch die Möglichkeit geboten zu sein pflegt, sich in irgendeiner erlaubten Weise am Schutz derselben zu beteiligen, wenn auch etwa nur in der Form erlaubter Selbsthilfe oder der Beschwerde oder eines Antrags auf Bestrafung etc. Die Verwerfung des Merkmals im Obigen bezieht sich daher auf den Selbstschutz nur insofern, als er nicht allgemein mit dem Schutz und der Anerkennung seitens der Rechtsordnung verbunden ist und den von mir bezeichneten Merkmalen des Rechts gegenüber irgendeine selbständige Bedeutung in Anspruch nimmt.

Auf dem hier vertretenen Standpunkt existiert kein Bedürfnis, vom Begriff des subjektiven Rechts den Begriff der  "Befugnis"  abzusondern, wie dies von THON (Kapitel 7) geschieht. Der letztere denkt hierbei zunächst an die Befugnis der Träger von Rechten, über diese zu disponieren. Dann an eine Summe anderweitiger Befugnisse von verschiedenem Inhalt, z. B. die Befugnis, betreffende Rechte zu erwerben. Es liegt meines Erachtens hier überall insoweit ein Recht vor, als ein in seiner Betätigung geschütztes Interesse vorhanden ist. Dies ist aber überall, wo wir nach dem bestehenden Sprachgebrauch von rechtlichen Befugnissen reden, der Fall. Wenn wir jemanden als "befugt" zu einer solchen Betätigung bezeichnen, so sagen wir damit nichts anderes, als daß sie unter dem Schutz der Rechtsordnung steht und daß Dritten demgemäß eine willkürliche Vereitelung derselben untersagt ist. Es existiert jedoch kein Grund, das allgemeine Recht der Persönlichkeit zum freien Handeln in eine Summe von Rechten mit Rücksicht auf alle denkbaren Richtungen dieses Handelns zu zerpflücken. Eine Ausscheidung besonderer Arten von subjektiven Rechten ist überall nur motiviert im Hinblick auf eine besondere Gestaltung des rechtlichen Schutzes, und bzw. besondere Bedingungen ihrer Entstehung und Aufhebung. Eine andere Frage ist, ob die Befugnis, über bestimmte Rechte zu disponieren, zum  Inhalt  dieser Rechte gehört. Man kann dieselbe mit THON verneinen, ohne genötigt zu sein, mit ihm auf eine selbständige Existenz dieser Befugnis den betreffenden Rechten gegenüber zu schließen.

Die Schwierigkeiten, welche hier bestehen, begründen sich in unserer juristischen Ausdrucksweise. Die Übertragbarkeit einer Forderung ist selbstverständlich kein Teil der Forderung selbst oder ihres Inhalts, wohl aber eine Eigenschaft derselben, welche mitumfaßt wird vom lebendigen Interesse der Forderungsberechtigten und der dasselbe begrenzenden und schützenden Normen, also von einem subjektiven Recht, welches jenen hinsichtlich der Forderung zusteht. Es ist ein zufälliger und ziemlich gleichgültiger Umstand, daß der gewöhnliche Ausdruck diesen Begriff nicht vollständig deckt, insofern wir nämlich bei dem Wort "Forderungsrecht" nicht an das ganze Recht hinsichtlich einer Forderung, sondern bloß an das Recht, zu fordern, zu denken pflegen.

Recht hat dagegen THON ohne Zweifel mit der Behauptung, daß der Begriff des subjektiven Rechts den des "Könnens rechtlicher Art" oder der  "rechtlichen Macht nicht vollständig umfaßt. In zahlreichen Fällen besteht eine Macht, durch willkürliche Handlungen die Voraussetzungen für das Lebendigwerden von Normen oder den Eintritt von Rechtsfolgen herzustellen, ganz unabhängig vom Vorhandensein eines Rechts zur Vornahme dieser Handlungen. Eine solche rechtliche Macht liegt in jedem Delikt, insofern es Veränderungen innerhalb der Rechtswelt hervorbringt. Auch das Rechtsgeschäft ist, wie von THON näher ausgeführt wird, begrifflich unabhängig vom Vorhandensein eines Rechts zur Vornahme der betreffenden Handlung und von deren Erlaubtheit oder Unerlaubtheit, obgleich die Fälle, wo der Abschluß eines rechtswirksamen Geschäfts sich in Wirklichkeit  nicht  als Ausübung eines Rechts darstellt, nach der hier vertretenen Ansicht sich als bloße Ausnahmefälle darstellen. Wenn nun für diese rechtliche Macht in ihrer Unabhängigkeit vom Vorhandensein eines Rechts und von der Erlaubtheit ihrer Betätigung das Wort "Befugnis" als technische Bezeichnung von THON in Anspruch genommen wird, so kann dies kaum auf Beifall rechnen, weil, wie bereits erwähnt wurde und von BRINZ richtig bemerkt wird, in diesem "befugt" das "erlaubt" enthalten ist, so gewiß wie in einem "unbefugt" das "unerlaubt". - Auf die bei THON sich anschließenden Erörterungen über das Rechtsgeschäft verweise ich nur, vornehmlich, weil ich nichts gegen dieselben vorzubringen habe.

Fassen wir den allgemeinen Begriff des Rechts, so wie es hier geschieht, und scheiden demgemäß des Selbstschutz oder die Aussicht auf Ansprüche aus demselben aus, so daß dieses Merkmal zu anderweitiger Verwendung frei wird, so könnte es scheinen, daß dies der THONschen  Definition des Privatrechts,  deren Richtigkeit oben dahingestellt blieb, zugute komme, da dieselbe dieses Merkmal als für das Privatrecht charakteristisch in Anspruch nimmt. Gleichwohl ist von dem hier vertretenen Standpunkt aus die Annahme dieser Definition untunlich. Die Stellung, welche hier dem Interesse gegeben wurde, ließ es als inkonsequent erscheinen, in den allgemeinen Begriff des Rechts eine besondere Form des Rechtsschutzes als entscheidendes Merkmal aufzunehmen. Das Gleiche gilt in Bezug auf den Begriff der Privatrechte, sowie denjenigen der Rechte öffentlich rechtlicher Natur. Dem fraglichen Standpunkt ist es allein entsprechend, das diese zwei Kategorien unterscheidende Merkmal in der besonderen Natur, und bwz. der besonderen Richtung der im einen und im anderen Rechtsgebiet bei diesem Schutz beteiligten Interessen zu suchen, und die Bedeutung des hier gefundenen Merkmals nicht durch eine Verquickung desselben mit einem einer anderen Sphäre entnommenen Merkmal wieder in Frage zu stellen. Wenn dieses zweite Merkmal überall mit dem ersten zugleich vorkäme, so bedürfte es keiner besonderen Erwähnung; wäre dies nicht der Fall, so würde die Kumulierung verwirrend wirken. Wir würden dann gegebenenfalls im Zweifel sein, ob wir ein Recht den Privatrechten zuzählen sollen, weil das eine Merkmal auf diese hinweist, oder den publizistischen Rechten, weil das andere Merkmal auf die letzteren zeigt. Was nun die THONsche Unterscheidung von öffentlichrechtlichen und privaten Rechten betrifft, so stehen die beiden von ihm verwendeten Merkmale, nämlich die besondere Natur des Interesses und die besondere Form des Rechtsschutzes, keineswegs allgemein und notwendig in einer der obigen Voraussetzung entsprechenden Harmonie, daher können wir nicht umhin, zwischen ihnen unsere Wahl zu treffen. Und untersuchen wir, welches von beiden im Falle einer Divergenz als das ausschlaggebende zu betrachten ist, so werden wir durch die herrschenden Anschauungen und einen eingewurzelten Sprachgebrauch auf die Natur der geschützten Interessen hingeführt. So betrachten wir das Eigentum einer Person als ihr Privatrecht, weil in ihm sein Einzelinteresse Einzelinteressen gegenüber geschützt ist, und betrachten es so auch dort, wo dieselbe als Kind noch nicht oder als ein dem Irrsinn Verfallender sich nicht mehr berufen ist an der Realisierung des Rechtsschutzes zu beteiligen. Umgekehrt bezeichnen wir die Rechte, welche den Einzelnen den staatlichen Behörden gegenüber verliehen sind, als Rechte öffentlich-rechtlicher Natur auch dort, wo den Interessenten eine förmliche Mitwirkung beim Schutz dieser Rechte eingeräumt ist (Thon Seite 129f). Ebenso fällt es niemandem ein, die Rechte von Behörden, politischen Körperschaften etc. dann als Privatrechte zu bezeichnen, wenn diesen Behörden oder Körperschaften ein entscheidender Einfluß auf die Verwirklichung des verheißenen Rechtsschutzes eingeräumt ist. Damit soll nun aber die gewöhnliche Unterscheidungsweise und die bekannte römische Definition (Privatrecht = quod ad utilitatem singulorum spectat [den Nutzen der Einzelperson betreffend - wp]; öffentliches Recht = quod ad statum rei publicae [die Verhältnisse des Gemeinwesens betreffend - wp], welcher jene sich anschließt, keineswegs als "völlig zureichend" (BRUNS) anerkannt werden. Unzureichend ist diese Definition vielmehr insofern, als sie das Privatrecht nicht auf den Schutz der Einzelinteressen  Einzelinteressen gegenüber  beschränkt, insofern, als sie ferner das für das Privatrecht charakteristische Verhältnis zu den Einzelinteressen (als dem entscheidenden Maß) nicht genügend bestimmt. Auch Normen des öffentlichen Rechts können bezwecken, Privatinteressen zu schützen, ohne daß daraus den Trägern dieser Interessen Privatrechte erwachsen (Thon Seite 113). Ferner hat diese Definition zur Verkennung der elementaren Wahrheit beigetragen, daß die Normen des Privatrechts, obgleich sie in den Verhältnissen der Einzelinteressen zueinander ihren unmittelbaren Gegenstand haben, doch wie alle Rechtsnormen Grund und Maß und letzten Zweck in allgemeinen Interessen suchen und ein Ausdruck von solchen sind (vgl. Thon Seite 110 etc.) Auch das hier Vorgebrachte kann nicht den Anspruch erheben, eine erschöpfende Bestimmung der strittigen Begriffe zu enthalten. Genug, daß ihre Elemente bezeichnet sind. Es bleibt übrig, das Verhältnis zwischen diesen näher zu charakterisieren.

Noch ist dem Standpunkt THONs eine Konzession zu machen.

Die  Möglichkeit einer eigenen Rechtsverfolgung  konnte nicht als ein unterscheidendes Merkmal des Privatrechts anerkannt werden. Überhaupt erschien es untunlich bei der Definition desselben auf die Formen des Rechtsschutzes Bezug zu nehmen. Damit ist nun aber nicht gesagt, daß die Natur des Privatrechts und bzw. der in ihm geschützten Interessen sich völlig indifferent verhalte in Bezug auf diese Formen. Vielmehr entsprechen derselben gewisse Formen in höherem Maße als andere. Zunächst entspricht es ihr, daß dem Berechtigten, insofern er dazu befähigt erscheint, eine entscheidende Einflußnahme auf die Verwirklichung des Rechtsschutzes gewährt wird. Unter den möglichen Formen einer solchen Beteiligung entspricht ihr dann ohne Zweifel am vollständigsten diejenige des privatrechtlichen Klagerechts; wie es sich dann von selbst versteht, daß die Vorherrschaft dieser Form, sowie diejenige anderer Formen im Bereich der privatrechtlichen und bzw. zivilprozeßrechtlichen Normen ihren Grund in der Natur der Interessen habe, welche diese Normen im Verhältnis zueinander zu schützen bestimmt sind.

Wenn sonach dem "Anspruch", d. h. der eigenen Beteiligung an der Rechtsverfolgung, und seinen Arten auch nicht die unmittelbar maßgebende Bedeutung für das System der juristischen Begriffe zukommt, welche ihnen bei THON beigemessen wird, so hängen sie doch mit den zuhöchst maßgebenden Verhältnissen in einer Weise zusammen, welche innerhalb der allgemeinen Rechtslehre eine nicht bloß beiläufige Berücksichtigung fordert.

Aus den speziellen Erörterungen THONs über diesen Gegenstand (Kapitel 5) hebe ich Weniges hervor. Der  Anspruch  besteht nach ihm, seiner im Eingang dargelegten Grundansicht gemäß, einzig und allein in einem Lebendigwerden neuer oder im Wegfall bisheriger Normen. Letzteres z. B. bei der erlaubten Selbsthilfe, ersteres u. a. beim Klagerecht. Jeder Anspruch erweitert entweder die Handlungsfähigkeit oder die rechtliche Macht seines Trägers und verfolgt den gleichen Zweck wie die Norm, deren Übertretung die Voraussetzung seiner Existenz bildet. Was speziell das Klagerecht betrifft, so hat dasselbe die Macht zum Inhalt, für den Eintritt der Imperative, welche bestimmten staatlichen Organen die Gewähr von Rechtshilfe befehlen, die Vorbedingung zu setzen. Richtiger würde es hier heißen:  eine  Vorbedingung zu setzen, da die richterliche Pflicht zur Hilfeleistung an Bedingungen geknüpft ist, welche mittels des Klagerechts nicht ohne weiteres in die Macht des Berechtigten gestellt sind. Diese korrektere Fassung findet sich auch als eine eventuell geltend zum machende Seite 233, Anmerkung 15 (vgl. Seite 234) aufgeführt. Diese Definition des Klagerechts und der damit behauptete kausale Zusammenhang zwischen dem Privatrecht und der von einem Richter gewährten Rechtshilfe werden in einer eingehenderen Weise gegen SOHM, welcher diesen Zusammenhang leugnet, von welchen die Pflicht des Richters zur Verurteilung abhängig ist, die materielle Berechtigung des Klägers nicht finden, und als entscheidend allein die prozeßualischen Bedingungen gelten lassen will, so ist dies meines Erachtens ebenso einseitig, wie wenn diese letzteren Bedingungen ignoriert werden. Mit Recht nimmt THON hier Bezug auf die Strafrechtspflege. Der SOHMschen Ansicht würde es entsprechend sein, auch hier unter den Bedingungen, von welchen Verurteilung und Bestrafung abhängig sind, die materiellen Bedingungen und damit auch das Verbrechen zu streichen. Damit aber würde jede Möglichkeit, die Bestrafung von Verbrechern zu begründen, beseitigt sein. Was aber die besonderen prozeßrechtlichen Bedingungen betrifft, von welchen die zivilgerichtliche Hilfe abhängig ist, so weisen auch sie auf die Natur der im Privatrecht geschützten Interessen (und bzw. die Stellung des Staates zu denselben) zurück, so daß sich der Zusammenhang zwischen materiellem und formellem Recht auch hier als ein ungebrochener darstellt.

Für die Gewährung von Rechtshilfe ist allerdings überall das öffentliche Interesse entscheidend. Hier ist ein Punkt, wo wir mit SOHM zusammentreffen. Dasselbe bestimmt  in thesi  ausschließlich die Bedingungen rechtlicher und tatsächlicher, materiell-rechtlicher und verfahrensrechtlicher Art, unter welchen zugunsten von jemandem ein gerichtlicher Zwang eintreten soll. Aber es fehlt hier am Gegensatz. Das Gleiche gilt in Bezug auf alles, was Privatrechte zu Rechten macht, insofern die Bedingungen, unter welchen individuelle Interessen als Recht anerkannt und Dritten deren Achtung auferlegt wird, in der gleichen Weise vom öffentlichen Interesse an die Hand gegeben werden. Dies schließt nicht aus, daß  in hypothesi  die Tat des Einzelnen, indem sie eine jener Bedingungen verwirklicht, entscheidend wirkt, und diesen im Besitz einer Macht, die Organe des Staates zu seinem Schutz in Bewegung zu setzen, erscheinen läßt. Eine derartige Macht aber bildet den Inhalt des Klagerechts.

Dieser Auffassung entspricht, was THON über den letzteren vorbringt, und so treffe ich nach längerem Hadern hier auf einem Boden gemeinsamer Anschauung mit ihm zusammen.
LITERATUR Adolf Merkel, Rechtsnorm und Subjekt, Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, Bd. 6, Wien 1879
    Anmerkungen
    1) AUGUST THON, Rechtsnorm und subjektives Recht, Untersuchungen zur allgemeinen Rechtslehre, Weimar 1878
    2) Die im ersten Heft dieses Jahrgangs von Schütze gegen diese Identifizierung gerichteten Ausführungen sollen in einem anderen Zusammenhang berücksichtigt werden.