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Kant und Hume 1774. Kants Äußerungen über seine Beeinflussung durch Hume.
BENNO ERDMANN und VAIHINGER lassen den eigentlichen Kritizismus KANTs erst mit der Aufgabe der transzendenten Erkenntnis nach dem Brief an Herz aus dem Jahr 1772 beginnen und verlegen in diese Zeit (1773-74) den Einfluß HUMEs. PAULSEN hat in einer Rezension von ERDMANNs Ausgabe der Prolegomena (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 2, Seite 492f) die Unrichtigkeit dieser Datierung überzeugend nachgewiesen. ERDMANN hat in Bd. 2 seiner Reflexionen (Seite XLIXf) seine Behauptung wiederholt und in Einzelheiten berichtigt, ohne wesentliche neue Beweismittel anzuführen oder PAULSEN zu widerlegen. Ich hoffe durch eine erneute eingehendere Untersuchung, als PAULSEN im Rahmen einer Rezension möglich war, dem Nachweis, daß ERDMANNs und VAIHINGERs Auffassung mit KANTs Äußerungen nicht vereinbar ist, noch größere Sicherheit und Bündigkeit geben zu können. 1) Ich gehe davon aus, daß KANT die Unterbrechung seines dogmatischen Schlummers in der Vorrede zu den Prolegomena (Seite 13) (1) auf HUME, in einem Brief an Garve vom 21. September 1798 auf die Antinomien zurückführt. ERDMANN zitiert beide Stellen und ergänzt die zweite noch durch Hinweise auf die
ERDMANN muß nun natürlich eine doppelte Erweckung aus dem dogmatischen Schlummer annehmen, eine teilweise 1769, eine vollständige, gründliche Anfang 1774. Im Mittelpunkt der Erkenntnistheorie KANTs steht nach ihm die Grenzbestimmung der reinen Vernunft. Mit der zu diesem Zweck erforderlichen Beschränkung der Kategorien auf Erfahrung ist der Übergang vom Dogmatismus zum Kritizismus gegeben. Die gründliche "Erweckung" durch HUME hatte nach ERDMANN jene völlige Beschränkung zur Folge, eine teilweise Erweckung hätte also doch auch eine teilweise Beschränkung auf Erfahrung nach sich ziehen müssen. 1769 finden wir letzteres aber nur hinsichtlich Zeit und Raum, für die viel wichtigeren reinen Verstandesbegriffe fand das Gegenteil statt. Denn schon 1766 beschränkt KANT prinzipiell unsere ganze Erkenntnis auf Erfahrung. (2) Freilich ist damals der Gegensatz zur Erfahrung das Transzendente, 1774 die Dinge in sich, aber die Gegenstände sind doch wenigstens teilweise dieselben, wie Gott, Seele, Weltganzes; und gemeinsam ist der positive Grundsatz: nur auf Erfahrung beziehen sich unsere Erkenntnisse. 1769 wird es, durch Einführung der transzendentalen Idealität von Raum und Zeit, KANT möglich, seine nur der Konsequenz wegen und im Prinzip aufgegebenen, aber schmerzlich vermißten, metaphysischen Spekulationen wieder hervorzuholen, d. h. unsere reinen Verstandeserkenntnisse auf Dinge-ansich auszudehnen. Also der Augenblick, welcher nach ERDMANN den dogmatischen Schlummer teilweise durchbrechen soll, beginnt einen neuen dogmatischen Schlummer, - und zwar nach einer empiristischen Periode, die ERDMANN, wenn er konsequent sein wollte, auch als Kritizismus bezeichnen müßte, wäre wirklch eine Grenzbestimmung die Hauptsache beim letzteren. Was er (Reflexionen II, Seite LV und früher) über die notwendige Ergänzung der Träume eines Geistersehers durch die Andeutungen über antinomisch-analytische Methode sagt, ändert an dieser Sachlage nichts. Der unbefangene Leser wird mir zugeben müssen, daß, wenn das Resultat der Erweckung vom dogmatischen Schlummer vor allem die Beschränkung unserer Verstandesbegriffe auf Erfahrung gewesen sein soll, 1769 unmöglich ein solche, auch nur teilweise, stattgefunden haben kann. Ganz anders, wenn man den Einfluß HUMEs und den Einfluß der Antinomien beide auf das Jahr 1769 bezieht und als den Schwerpunkt des Kritizismus die Lösung des Hume'schen Problems, betreffend die Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit unserer Erkenntnisse, ansieht, wie sie in der transzendentalen Deduktion vorliegt. Das Wesen des dogmatischen Schlummers, welcher sowohl die erste rationalistische wie auch die empiristische Epoche umfaßt, ist dann ein doppeltes: einmal und vor allem wird es dadurch gekennzeichnet, daß das Problem der Notwendigkeit weder begriffen noch gelöst ist; das zweite, nicht so wichtige Merkmal ist, daß Raum und Zeit nicht für subjektive Erkenntnisformen, sondern für etwas objektiv Seiendes gehalten werden (3). Nur so, wenn man das Problem der Notwendigkeit in den Mittelpunkt stellt, ist es erklärhbar, aber auch völlig erklärbar, daß KANT behaupten kann, 1769 aus dem dogmatischen Schlummer erweckt worden zu sein, und daß er trotzdem nach 1769 noch "die reine Verstandeserkenntnis dogmatisch begreiflich machen" will (Brief an Herz vom 21. Februar 1772) und auch auch späteren Rückblick auf diese Periode sagen kann, er habe damals noch nach der Methode gesucht, "die dogmatische Erkenntnis durch reine Vernunft zu erweitern" (Reflexion Nr. 3). Er sah solche Versuche als Überreste der dogmatischen Denkweise an, die, nachdem die Grundmauern (kritiklose Annahme des Begriffs der Notwendigkeit und objektive Existenz von Zeit und Raum) gefallen waren, von der fortschreitenden Untersuchung nach kürzerer oder längerer Zeit, auf jeden Fall hätten weggerissen werden müssen. Mit einem Wort - ich komme zum zweiten Beweisgrund -: 2) es gibt für Kant in den 70-er Jahren keinen Wendepunkt von einschneidender Bedeutung, keinen Augenblick, auf den sich das alles anwenden läßt, was er über HUMEs Einfluß sagt. Mit Recht sagt PAULSEN (Vierteljahrsschrift, Bd. 2, Seite 493-494) darauf aufmerksam, daß die Briefe an MARCUS HERZ durchaus nur von einer Fortentwicklung der Gedanken KANTs auf der Basis der Dissertation wissen. Auch bei Rückblicken aus den 80-er Jahren erscheinen die 70-er stets als eine Periode ohne einschneidende Wendepunkte. 1781 schreibt KANT an HERZ über die Kritik:
Auch ERDMANN und VAIHINGER gestehen ein, daß KANT ohne von außen beeinflußt zu sein, durch immanente Entwicklung dazu gekommen ist, die Theorie der Vernunfterkenntnis, welche er 1770 vertreten hat, für ungenügend zu halten. Selbständig stellte er die Frage: "auf welchem Grund beruth die Beziehung desjenigen, was man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand?" (Brief an Herz 1772). Wie ein Vergleich zwischen der Dissertation und eben diesem Brief mit vollster Klarheit zeigt, kannte KANT 1772 das Problem der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit unserer Erkenntnisse in vollem Umfang. Ferner sah er Raum und Zeit schon als apriorische Formen unserer Sinnlichkeit an, die uns nur Erscheinungen zu kennen geben. Der Glaube an die Erkennbarkeit der Dinge-ansich durch reine Verstandesbegriffe ist zumindest stark erschüttert: und da soll KANT noch in einem dogmatischen Schlummer gelegen haben, dieser soll damals (nach 1772) zuerst unterbrochen worden sein?! Wer jenes Problem der Beziehung der Vorstellung auf ihren Gegenstand, an dem der ganze Rationalismus blind vorübergegangen war, selbstständig aufgefunden hatte, war wohl auch fähig, es selbständig zu lösen. Zumal die Lösung eigentlich schon an einem anderen Punkt bereit lag: in der Lehre von der Idealität von Raum und Zeit. Das dort gewonnene Resultat (Rettung der Mathematik mittels jener Idealität und der dadurch ermöglichten Apriorität) brauchte nur auf die reinen Verstandesbegriffe übertragen zu werden, und die Rettung der Metaphysik oder besser der Naturwissenschaft mit Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit war fertig. 3) Man kann das Selbstzeugnis KANTs in der Vorrede zu den Prolegomenen (Seite 13), HUME habe seinen Untersuchungen im Feld der spekulativen Philosophie eine ganz andere Richtung gegeben, nicht auf die Zeit nach 1772 beziehen. Die neue Richtung könnte nur in der Beschränkung aller Erkenntnis, auch der durch reine Verstandesbegriffe, auf Erfahrung bestehen. Eine solche Beschränkung war aber für KANT nichts Neues. Schon 1766 hatte er sie, wenn auch vielleicht widerwillig, gelehrt. Der Gegensatz war damals gewesen: Erfahrung - transzendent, jetzt lautet er: Erscheinung (= Erfahrung) - Ding-ansich. Was KANT bei HUME hätte vorfinden können, was also seinem Denken eine andere Richtung hätte geben müssen, war nur der erste Gegensatz; denn den zweiten in der Bedeutung, wie KANT ihn braucht, kennt HUME nicht. Doch gerade mit Bezug auf die Beschränkung der Gültigkeit der reinen Verstandesbegriffe auf Erscheinungen und Erfahrung fühlt KANT sich überhaupt nicht als in Abhängigkeit von HUME, sondern als im Gegensatz zu HUME stehend. An der oben genannten Stelle der Kritik der praktischen Vernunft heißt es weiter: Ich
4) Ich komme damit zu einem weiteren Punkt. Es ist nach meiner Ansicht eine Verkennung des wahren Sachverhalts, wenn Erdmann und Vaihinger Kant in erster Linie als Nachfolger, nicht als Gegner Humes ansehen. In Wirklichkeit war, wie aus KANTs eigenen Äußerungen hervorgeht, HUMEs Einfluß im Wesentlichen negativ, nicht positiv. Sehr gut drückt PAULSEN das Verhältnis aus Vierteljahrsschrift, a. a. O., Seite 494-495). HUMEs Einfluß auf KANT war
Wir hörten schon oben die Worte aus der Vorrede zu den Prolegomena, nach welchen die Erinnerung des DAVID HUME KANT zuerst den dogmatischen Schlummer unterbrochen und seinen spekulativen Untersuchungen eine ganz andere Richtung gegeben hat. Darauf fährt KANT fort:
Ganz anders, bezieht man KANTs Äußerungen auf das Jahr 1769! Das Problem, welches KANT bis dahin nicht kannte, welches seinem Denken neuen Schwung gegeben und andere Bahnen angewiesen und ihn aus dem dogmatischen Schlummer aufgerüttelt hat, ist die Frage nach der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnisse, wie HUME sie in den Untersuchungen behandelt, die sich um das Kausalitätsproblem herum kristallisieren (6). KANT nimmt das Problem auf, ist aber weit entfernt, HUMEs Folgerungen nachzugeben. Was dieser Lösung nennt, konnte KANT seiner ganzen Denkrichtung nach gar nicht als Lösung erscheinen, sondern nur als Verzicht auf jede Lösung, weil mit der Aufhebung aller Wissenschaft gleichbedeutend. HUME hält KANT in einem abschreckenden Beispiel das Ziel vor, auf das seine, KANTs, empirische Entwicklung - ihm selbst bisher unbewußt - hinsteuerte. Die Folge ist ein Bruch mit der bisherigen Richtung, Rückwendung zum Rationalismus, der unter dem Einfluß des HUME'schen Problems eine neue Form und Grundlage erhält. Der Erweiterung des HUME'schen Problems folgt die Lösung, erst die vorläufige in der Dissertation, dann die endgültige in den transzendentalen Deduktionen. KANTs Vorgänger ist HUME also nur, insofern er das Problem der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit unserer Erkenntnisse zuerst aufgeworfen hat. Das größte Lob spendet KANT HUME wegen dieser Problemstellung und mit Recht. Er hatte nicht nur subjektiven Grund, weil ihm persönlich das neue Problem neue Bahnen gewiesen hat, sondern auch objektiven Grund, weil es für die Entwicklung der Philosophie überhaupt von der größten Bedeutung gewesen ist und noch ist. Über diese Gemeinsamkeit des Problems hinaus gibt es aber zwischen KANT und HUME keine Gemeinschaft nach dem Gefühl und der Ansicht des Ersteren. 5) Die Erweiterung des HUME'schen Problems von der schon öfter die Rede war, liegt nun schon in der Dissertation und noch viel mehr im Brief an Herz aus dem Jahr 1772 vor. Das ist ein weiterer Grund gegen ERDMANNs und VAIHINGERs Ansicht. In der berühmten oder besser berüchtigten Vorrede zu den Prolegomena, aus der schon mehrere Stellen, HUMEs Einfluß betreffend, mitgeteilt wurden, finden sich auch folgende Äußerungen KANTs (13-15):
2) Versuch, die Zahl der reinen Begriffe zu bestimmen, 3) transzendentale Deduktion, 4) vollständige Bestimmung des Umfangs der reinen Vernunft, nach Grenzen und Inhalt.
Es kann also keinem Zweifel unterliegen, daß die ersten beiden Stufen, welche KANT unterscheidet, vor das Jahr 1772 fallen, also vor die Zeit, in welche ERDMANN HUMEs Einfluß verlegt. Die Art und Weise, wie ERDMANN (Prolegomena LXXXVIII, XVII Anm.) diese Tatsache hinwegzuerklären versucht, kann ihm selbst doch wohl kaum genügen. Wer die betreffende Stelle des Briefes an Herz unbefangen liest, wird nicht umhin können zuzugeben, daß KANT hier von Untersuchungen spricht, die mit derm Erweiterung des HUME'schen Problems (Prolegomena 13-14) identisch sind. Von Interesse ist noch, was KANT über die beiden letzten Stufen (nach 1772) sagt. An der Deduktion wird das rationalistische Element hervorgehoben, nicht das "empiristische" (Beschränkung auf Erfahrung), wie von Seiten ERDMANNs geschieht. KANT stellt sich mit seiner Deduktion in einen Gegensatz zu HUME; sie erschien seinem scharfsinnigen Vorgänger unmöglich. Wäre der Grundgedanke der Deduktion, wie ERDMANN will, Beschränkung der Kategorien auf Erfahrung, so könnte KANT nicht so schreiben. Auf der vierten Stufe erst, nachdem die Hauptarbeit getan ist und das HUME'sche Problem schon gelöst war, geht KANT an die Bestimmung des Umfangs der reinen Vernunft nach Grenzen und Inhalt. Dies letztere betrachtet KANT als Nebenarbeit, zwar auch nötig, um die Metaphysik durchaus sicher zu begründen, aber doch Nebenwerk im Vergleich zur schwierigsten Leistung: der transzendentalen Deduktion mit ihrer Rettung der Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit unserer Erkenntnis und damit der Wissenschaft. Diese Deduktion ist die direkte Lösung des HUME'schen Problems, und die direkte Folge des HUME'schen Einflusses, die Grenzbestimmung ist nur eine indirekte Nebenfolge. 6) Aus allen Äußerungen KANTs über HUMEs Einfluß geht hervor, daß letzterer ein plötzlicher war und durchschlagend gewirkt hat, etwa wie wenn ein Licht plötzlich dem nächtlichen Wanderer den nahen Abgrund zeigt und dadurch seine schleunige Umkehr bewirkt. ERDMANN sieht sich, um seine Hypothese zu retten, gezwungen, KANTs Äußerungen umzudeuten und anstelle einer plötzlichen Erweckung durch HUME einen empfänglichen Zunder für den von diesem geschlagenen Funken zu statuieren, dessen Glimmen sorgfältig unterhalten und vergrößert wurde (Reflexionen II, Seite LVIIf). Verlegt man HUMEs Einfluß dagegen in das Jahr 1769, so ist eine solche Umdeutung nicht nötig. 7) Aber, könnte man einwenden, warum erwähnt denn Kant in seiner Dissertation Hume gar nicht? warum steht nicht wie bei HUME auch in der Dissertation der Kausalbegriff im Mittelpunkt (zumindest der Sektionen II und IV)? Daß das Fehlen eines Hinweises auf HUME nicht gegen die hier vertretene Hypothese spricht, hat schon PAULSEN (Versuch einer Entwicklungsgeschichte der kantischen Erkenntnistheorie, Seite 144f) gezeigt. Ich mache noch auf folgenden Punkt aufmerksam. Die Dissertation von 1770 ist eine Gelegenheitsschrift. Wäre KANT nicht gerade 1770 ordentlicher Professor geworden, so würde die Welt wahrscheinlich erst 1781 die erste Kunde von dem neuen System bekommen haben. Gleich nach 1770 beginnt, wie wir wissen, wieder die Arbeit an der Theorie der reinen Intellektualbegriffe. Die Unklarheiten und Widersprüche, die sich in der Dissertation hinsichtlich ihrer finden, zeigen, daß KANT 1770 absolut noch nicht im Reinen war über sie und - wahrscheinlich sogar ahnte, daß, was er gibt, nur vorläufige Ansichten sind, die eventuell noch in wichtigen Punkten wichtige Änderungen erfahren können. Deshalb die mehr andeutungsweise Behandlung dieses Kapitels, die für Vermutungen so manchen Spielraum läßt. Deshalb die Mitteilung an LAMBERT (Brief vom 2. September 1770), die erste und vierte Sektion könnten als unerheblich übergangen werden; und, könnten wir sicher im Sinne KANTs hinzusetzen, auch die zweite Sektion, soweit sie auf die Theorie der reinen Verstandesbegriffe im Einzelnen eingeht. Diese Teile sind unerheblich für KANT nicht in dem Sinne, daß er ihnen geringeren Wert beilegte - im Gegenteil ! - sondern weil die betreffenden Resultate ihm noch nicht fest genug zu stehen schienen. Ihre Veröffentlichung wurde ihm durch die Umstände abgedrungen zu einer Zeit, wo ihm selbst diese Untersuchungen wohl noch nicht ganz beendet, seine Ergebnisse noch nicht so recht reif erschienen. Andererseits glaubte er, wie aus demselben Brief an Lambert hervorgeht, im Großen und Ganzen einen endgültigen Standpunkt erreicht zu haben, und brauchte nicht zu befürchten, voreilig gehandelt zu haben, wenn er schon jetzt mit seinen Untersuchungen hervortritt. Hatte er doch das Antinomienproblem völlig gelöst und zum HUME'schen Problem entschieden Stellung genommen. Wie er meinte, konnte es sich für ihn nicht mehr darum handeln, diesen neuen Standpunkt je wieder aufgeben zu müssen, sondern nur darum, hier und da eine nachbessernde Hand anzulegen, seiner Polemik gegen HUME und seiner Lösung des HUME'schen Problems bessere Grundlagen und Stützen zu geben. So veröffentlichte er dann seine Theorie von der reinen Intellektualerkenntnis, aber mehr schüchtern andeutend, als breit und deutlich ausführend; das Kausalitätsproblem stellte er in den Hintergrund, indem er zugleich HUMEs Problem in größerer Allgemeinheit faßte, und erwähnte HUME, dem er zwar viel verdankt, aber doch mehr Warnungen als positive Winke, gar nicht: wahrscheinlich schlug ihm damals beim Gedanken an diesen scharfsinnigen Mann doch etwas das Gewisen, als habe er seine skeptischen Folgerungen, wenn auch nicht zu leicht und ohne genügenden subjektiven Grund, so doch ohne genügende objektive Gegengründe abgetan. Daß seine eigene Theorie der HUMEs entgegengesetzt sein muß, stand ihm völlig fest; negativ war ihr Charakter damit gegeben. Aber ob auch ihre positive Leistung genügt und zureichend begründet ist, darüber war er wohl im Zweifel. So erklärt es sich, daß er es für opportun halten konnte, das Kausalitätsproblem, welches ihn aus seinem dogmatischen Schlummer geweckt hat, zunächst in den Hintergrund zu stellen und auf HUME - seinen Vorgänger zwar, aber noch mehr seinen sehr scharfsinnigen Gegner - zunächst nicht hinzuweisen. Der Dissertation sollte ja bald ein größeres Werk folgen; was dort versäumt war, konnte hier nachgeholt werden. 8) Auch die Nichterwähnung HUMEs in der Dissertation gibt also keine Instanz gegen die Annahme ab, daß sein Einfluß auf KANT in das Jahr 1769 fällt. Andererseits aqber darf man auch nicht zu weit gehen und sogar KANTs Beschäftigung mit dem Antinomienproblem auf HUME zurückzuführen suchen. JANITSCH (Kants Urteile über Berkeley, Seite 31, 47f) ist der Ansicht, KANT habe das Antinomienproblem aus HUMEs Essays (XII, Part. II) übernommen. Ja! er scheint noch weiter zu gehen und behaupten zu wollen, KANT habe auch die spätere Lösung bei HUME vorgefunden. Denn es heißt in der Dissertation Seite 48, daß im genannten Abschnitt der Essays
Gegen diese Ansicht spricht dreierlei: Einmal kennt HUME keine Antinomien, sondern nur schwierige verwickelte Fragen, welche die Begriffe von Raum und Zeit umgeben, die aber lösbar sind, auch ohne daß man den transzendentalen Idealismus zu Hilfe ruft. HUMEs Standpunkt den Antinomien gegenüber ist derselbe wie KANTs Standpunkt 1768 in dem "Unterschied der Gegenden im Raum". Aber erst nach dieser Schrift wurden die auch in ihr KANT schon bekannten Schwierigkeiten zu Antinomien. Das Spezifische an KANTs Antinomienlehre zu erklären, reichen HUMEs Äußerungen nicht aus. Und KANTs Beschäftigung mit jenen Fragen überhaupt bedarf keiner weiteren Erklärung und Ableitung. Wie JANITZSCH die beiden für einander ähnlich ausgeben kann, ist mir unverständlich. Die Sache liegt zu sehr auf der Hand, als daß es sich lohnt, ein Wort weiter darüber zu verlieren. Zweitens wurde schon weiter oben nachgewiesen, daß KANT nie, wie JANITSCH im Anschluß an ERDMANN behauptet, HUMEs Skeptizismus mit dem Antinomienproblem in Verbindung bringt. Hätte KANT es getan, so würde er ganz gegen HUMEs Intentionen gehandelt haben. Denn Drittens dieser selbst sieht in den Antinomien keinen Grund für seinen Skeptizismus, kann keinen in ihnen sehen, da er sie ja für lösbar hält. Einen übertriebenen (excessive) Skeptizismus nennt er die entgegengesetzte Ansicht und meint:
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1) Ich gebe die Zitate aus den Prolegomena nach der Originalpaginierung. 2) Es ist deshalb grundfalsch, wenn Erdmann auf 1766 die Worte der Reflexion Nr. 3 bezieht, daß Kant "noch immer die Methode zu finden (glaubte), die dogmatische Erkenntnis durch reine Vernunft zu erweitern (Reflexionen II, Seite LV). 3) Harald Höffding, Die Kontinuität im philosophischen Entwicklungsgang Kants, Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. VII, Seite 383f) meint, man könne die sechziger Periode nicht als Dogmatismus bezeichnen. Kant habe damals nicht mehr geschlummert, er sei schon wach gewesen. Kant nennt in seiner eigenen Entwicklung bei späteren Rückblicken nur zwei Epochen: Dogmatismus und Kritizismus. Letzterer beginnt auch nach Höffdings Annahme (Seite 175f, 475) erst 1769. Also bleibt für die frühere Zeit nur die Benennung Dogmatismus über. Die Stelle aus dem Brief an Garve kann sich auf jeden Fall nur auf das Jahr 1769 beziehen und spricht doch auch davon, daß er aus dem dogmatischen Schlummer erst damals aufgeweckt wurde. Es laufen eben bei Kant eine Zweiteilung und eine Dreiteilung nebeneinander her; entweder unterscheidet er nur Kritizismus und Dogmatismus (in einem weiteren Sinn) und rechnet dann zu letzterem alles, was nicht Kritizismus ist, oder er verselbständigt die beiden Seiten des Dogmatismus und unterscheidet dann Dogmatismus im engeren Sinne, Skeptizismus (zugleich Konsequenz des Empirismus) und Kritizismus. 4) Kant will natürlich an dieser Stelle keine historische Darstellung des Einflusses, den Hume auf ihn ausübte, und der einzelnen Stufen, auf denen sich unter diesem Einfluß die Wandlung in ihm vollzogen hat, geben, sondern nur Humes Problem, den Grund, weshalb Hume daran gescheitert ist, und seine, Kants Lösung, nebeneinanderstellen. Darum übergeht er auch den ersten Lösungsversuch in der Dissertation vollständig und gibt nur den zweiten endgültigen. 5) Erdmann beruft sich mit Unrecht auf Prolegomena Seite 180, wenn er (Reflexionen II, Seite L, LII-LIII) Kant ausdrücklich erklären läßt, der von ihm adoptierte Grundsatz des Hume ist es, den Gebrauch der Vernunft nicht über das Feld der möglichen Erfahrung dogmatisch hinauszutreiben. Erdmann bezieht diese Stelle auf die Möglichkeit einer Erkenntnis der Dinge-ansich durch reine Verstandesbegriffe ganz im Allgemeinen. Nach dem Zusammenhang, in welchem die Stelle steht, darf man aber, wie mir scheint, sowohl die Aufstellung des fraglichen Grundsatzes durch Hume als auch die Adoption desselben durch Kant nur auf die theologischen Probleme und Schwierigkeiten beziehen. Es handelt sich im letzten Absatz des § 58 nicht um den Gegensatz: Beschränkung auf Erfahrung - transzendente Erkenntnis, sondern um den Gegensatz: theoretische - praktische Erkenntnis der Dinge ansich. Nur mit Bezug auf letzteren Gegensatz führt Kant Humes Grundsatz an. Und führt ihn an nur als einen Grundsatz Humes, nicht als den Hauptgrundsatz, der im Mittelpunkt von Humes System steht. - Nach all dem ist die Stelle nicht derart, daß man aus ihr weitere Schlüsse ziehen oder gar Hypothesen auf sie bauen könnte. 6) Es ist Vaihinger (Kommentar I, 214, 344f) der Nachweis nicht gelungen, daß Kant im "Hume'schen Problem" zwei Probleme ineinander gewirrt hat: das Problem des allgemeinen Kausalgesetzes und das Problem des Kausalbegriffs sowie der ihn zum Ausdruck bringenden einzelnen Kausalurteile. Es ist richtig, daß Hume in seinem Essay dem Wortlaut nach nur den Kausalbegriff behandelt. Aber wenn er diesen als "lügenhaft, betrügerisch, erschlichen" (Kant) und wissenschaftlich bedeutungslos hinstellt, so spricht er damit doch selbstverständlich auch die Ungültigkeit des allgemeinen Kausalgesetzes für die strenge Wissenschaft aus. Auch ohne Humes Treatise aus sekundärer Quelle zu kennen, konnte Kant also sehr wohl eine Polemik Humes gegen das allgemeine Kausalgesetz zurückzuweisen versuchen. 7) Man muß sich sehr hüten, aus Kants Angaben bestimmte Zeitabschnitte (Jahre, Monate) herauszulesen. Prolegomena Seite 119 behauptet er, allererst nach langem Nachdenken sei es ihm gelungen, die reinen Elementarbegriffe der Sinnlichkeit (Raum und Zeit) von denen des Verstandes mit Zuverlässigkeit zu unterscheiden und abzusondern. Liest man das, so denkt man wohl zunächst unwillkürlich an mehrere Jahre, die das lange Nachdenken gewährt haben muß. Und doch stehen, wie wir ja sicher wissen, nur Teile der Jahre 1768 und 1769 dafür zur Verfügung. |