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Zur Begriffsbestimmung der "intellektuellen Gefühle" und des "Interesses"
Meine Herren! Indessen zeigen sich bei näherem Zusehen Schwierigkeiten sowohl auf dem Boden der psychologischen Wissenschaft als auch in der wissenschaftlichen Pädagogik. Bei ersterer ist, wie die Gefühlslehre im allgemeinen, so ganz besonders das Gebiet der intellektuellen Gefühle bisher noch nicht mit derjenigen Klarheit und Sicherheit behandelt worden, daß man von endgültigen, allgemein anerkannten Ergebnissen sprechen könnte; innerhalb der Pädagogik aber ist es gerade der Begriff des Interesses, der trotz der Wichtigkeit, die man ihm von allen Seiten zugesteht, noch recht mannigfach gedeutet wird und meist noch in recht lockerer begrifflicher Fassung erscheint. Von der hierin herrschenden Verworrenheit kann man sich am raschesten überzeugen, wenn man erwägt, daß - beispielsweise - die sechs Interessen bei HERBART, psychologisch betrachtet, durchaus nicht bloß unter die Gruppe der intellektuellen Gefühle gehören, sondern auch unter die des moralischen, des ästhetischen Gefühls, speziell des Mitgefühls usw., während trotzdem die psychologischen Handbücher dem, der sich informieren will, das Interesse lediglich als Unterart des intellektuellen Gefühls behandeln. Ebenso wird in der herkömmlichen Darstellung der "intellektuellen Gefühle" meist das Heterogenste [Ungleichartigste - wp] vereinigt und als zusammengehörig behandelt. So wollen wir also zuerst die Begriffsbestimmung der "intellektuellen Gefühle" ins Auge fassen. Die gewöhnliche Definition bezeichnet sie - von unwesentlichen Abweichungen des sprachlichen Ausdrucks abgesehen - als Gefühle, die sich an die Betätigungen des Intellekts anschließen. (Daß hierbei nicht gesagt wird, was als "Betätigung des Intellekts" anzusehen sein soll, ist, wie sich zeigen wird, ein folgenschweres Versehen.) Vorerst nun wollen wir fragen: was alles wird da und dort in den verschiedenen Darstellungen als "intellektuelles Gefühl" bezeichnet? Da finden wir dann eine recht erkleckliche Anzahl von Tatsachen und Tatsachengruppen, die hierher eingereiht zu werden pflegen und die ich im Folgenden kurz zusammenstellen will, ohne übrigens dabei auch nur im Entferntesten mir zu schmeicheln, erschöpfende Vollständigkeit erreichen zu können.
2) Freude an der Übereinstimmung und an Gewißheit, Unlust an Widerspruch und an Ungewißheit, Zweifel. Vgl. Bain, a. a. O., Seite 274, Ziegler, a. a. O., Seite 160f. Auch Zieglers "Freude am Erkennen", "am Bekannten", Seite 148, gehört hierher. 3) Das instinktive Wahrheitsgefühl (das Erkennen "nach dem Gefühl". Vgl. Lehmann, a. a. O., Seite 225, Nahlowsky a. a. O., Seite 157f. (Bei Nahlowsky liegt sogar das Schwergewicht der Darstellung auf diesem "Wahrheitsgefühl".) Ziegler, Seite 159 (Evidenzgefühl, Wahrscheinlichkeitsgefühl). Es ist dies eine wichtige Gruppe von psychischen Tatsachen, die u. a. von Lazarus, "Leben der Seele" unter dem Wort "Takt" berührt wird und ist eine dem "Sprachgefühl" und dem "Rechtsgefühl" analoge Erscheinung. - Insbesondere dem weiblichen Geschlecht pflegt das "Urteilen nach dem Gefühl" zugeschrieben zu werden. 4) Das Interesse. Als hierher gehörig findet man behandelt: Neugierde, Wißbegierde, "edle Lernbegierde", "wissenschaftliches", "reines", "theoretisches", "unmittelbares" Interesse. Vgl. Ziegler, Seite 163 (der sich übrigens gegen das Vorkommen eines rein-theoretischen Interesses ziemlich skeptisch äußert); Ziller, Allgemeine Pädagogik; zweite Auflage, Seite 170f; Gottfried Maier, "Pädagogische Psychologie", Seite 196f. 5) Beeinflussung intellektueller Prozesse durch Gefühle:
b) des Urteilens, Nahlowsky 157f, Lehmann 225, Ziegler 159; c) der Begriffsbildung durch Heraushebung des Wesentlichen, Ziegler 159; d) der gesamten Denktätigkeit, Ziegler 162f. Man muß also die Gruppen 3) und 5) von vornherein aussondern, so zeigt sich ferner, daß auch bei der unter 2) genannten "Freude an Übereinstimmung und Gewißheit und Unlust am Widerspruch und Ungewißheit" genau unterschieden werden muß, ob a) Übereinstimmung und Widerspruch oder b) Gewißheit und Ungewißheit das Gefühl erregen. Ist ersteres der Fall, so ist das Gefühl entweder ästhetischer Natur, oder es ist das Selbstgefühl, das durch Übereinstimmung angenehm, durch Widerspruch unangenehm berührt wird. Vgl. z. B. VOLKMANN, Lehrbuch der Psychologie, vierte Auflage, Bd. 2, Seite 355 Anm. - Im letzteren Fall aber, wo durch Gewißheit oder Ungewißheit Gefühle erregt werden, liegen zweifelsohne Gefühle vor, die nicht durch den beurteilten Inhalt bedingt sind, also durch das, was gewiß bzw. ungewiß ist, sondern durch das dem Urteils-Akt als solchem anhaftende Merkmal des Gewißheitsgrades. Daher sind diese Gefühle unbedingt zu den intellektuellen zu zählen. Fragen wir nach einem Erklärungsgrund, wieso die unter 3) und 5) und unter 5a) genannten Tatsachen trotz ihrer ziemlich offen zutage liegenden Unzugehörigkeit doch unter die intellektuellen Gefühle gerechnet werden konnten, so finden wir diesen alsbald in der vagen Fassung der oben mitgeteilten landläufigen Definition der intellektuellen Gefühle, in welcher sowohl der Ausdruck "sich anschließen" als auch der Begriff "intellektuelle Betätigung" undefiniert und daher vieldeutig und schwankend ist. Daß dies bei letzterem, dem Begriff der "intellektuellen Betätigung", zutrifft, beweis u. a. ALFRED LEHMANN, der in seinem angeführten Werk nur die vorstellende Tätigkeit hierzu rechnet, während man sonst Vorstellen und Urteilen hierher gezählt findet. Diese Auffassung LEHMANNs ist nach dem Standpunkt HERBARTs allerdings begreiflich, der das Urteilenn bekanntlich nicht als Tatsache sui generis [aus sich selbst heraus - wp] anerkennt. Je mehr aber die psychologische - und die logische - Forschung unserer Zeit gelernt hat, sich mit den psychischen Erlebnissen unmittelbar und ohne theoretische Voreingenommenheit zu beschäftigen, desto mehr, so will es mir scheinen, ist die Ansicht BRENTANOs von der Eigenart und Unrückführbarkeit des Urteilsaktes zu allgemeiner Anerkennung durchgedrungen, weshalb ich auch glaube, hier auf eine Begründung dieses Punktes nicht näher eingehen zu müssen. - Wohl aber möchte ich meinen, daß man, in gesteigertem Gegensatz zu LEHMANN, gerade nur das Urteilen als Betätigung des Intellekts ansehen muß. Ich kann mich hierbei auf das klare Zeugnis des wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Sprachgebrauchs berufen, der allerdings eine hochentwickelte Urteilsfähigkeit - das Schließen natürlich mit einbegriffen - mit dem Ausdruck Intelligenz bezeichnet, für reiche Vorstellungsfähigkeit aber den vollkommen klaren und deckenden Ausdruck Phantasie zur Verfügung hat und auch tatsächlich anwendet. Wenn einem Künstler nicht bloß lebhafte, reiche Phantasie, sondern auch Intelligenz zugeschrieben wird, so weiß jedermann, was ins Gebiet des Vorstellens und was in das der Urteilsfähigkeit zu zählen ist. Und so will ich dann auch den Begriff der "intellektuellen Betätigung" in dem engeren Sinn der Beschränkung auf das Urteilen gebrauchen. Aber auch der Begriff des "Sich-anschließens" kann weiter und enger gebraucht werden. Fassen wir ihn weit, so bedeutet er jeden, wie immer gearteten Zusammenhang. Da nun aber gewiß jedes Gefühl mit der Denktätigkeit in irgendeinem Zusammenhang stehen kann, fiele damit auch jedes Gefühl unter den Begriff der intellektuellen Gefühle. So würde natürlich auch das oben besprochene und ausgeschlossene "Urteilen nach dem Gefühl" hierher gehören, und NAHLOWSKY hätte recht, bei der Behandlung der intellektuellen Gefühle gerade dieser Erscheinung eine so besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Und doch zeigt eine ganz kurze Überlegung, daß wir es hier mit wesentlich verschiedenen Tatsachen zu tun haben. Wird unser Urteilen durch ein Gefühl beeinflußt, so liegt ein Kausalverhältnis in dem Sinne vor, daß das Gefühl Antezedenz [Vorheriges - wp] und die Modifikation des Urteilens Konsequenz [Nachfolgendes - wp] ist; umgekehrt aber liegt die Sache, wenn ein intellektueller Prozeß Gefühle erregt. Dann bildet er das Antezedenz und das Gefühl ist die Konsequenz. Wenn nun die Psychologie einer erklärende Wissenschaft sein soll, d. h. zu den Erscheinungen deren ursächlich-vorangehende Momente zu erforschen versucht, so muß es auch Aufgabe der psychologischen Urteilslehre bleiben, jene Fälle zu besprechen, wo unter den Antezedenzien des Urteils Gefühle eine Rolle spielen, und in die Gefühlslehre gehört die Untersuchung darüber, was dem Gefühl ursächlich vorangeht, in unserem Fall intellektuelle Prozesse. Daher werden wir dann auch gut tun, das "Sich-anschließen" insoweit enger zu bestimmen, als wir sagen, intellektuelle Gefühle sind jene Gefühle, die durch vorausliegende intellektuelle Prozesse kausal beeinflußt sind. Indem wir aber auf diese Weise eine Gruppe von Gefühlen abgrenzen, folgen wir nur den grundlegenden und scharfen Aufstellungen MEINONGs zur Gefühlslehre, der zuerst nicht nur die Wichtigkeit der kausalen Antezedenzien der Gefühle, oder, um seinen Ausdruck zu gebrauchen, der Gefühlsvoraussetzungen betont, sondern auch ihre Verwendung als Einteilungsgrund in der Gefühlslehre durchgeführt hat (3). Im Interesse einer völligen Klarlegung der Sachlage möge es mir gestattet sein, auf MEINONGs Ausführungen soweit als nötig einzugehen. Vor allem zeigt MEINONG, daß Fühlen und Vorstellen nicht voneinander gänzlich unabhängig sind, sondern daß zumindest eine einseitige Abhängigkeit besteht. Ein Gefühl ohne zugrunde liegenden Vorstellungsinhalt ist ebenso undenkbar, wie ein Vorstellungsakt ohne vorgestellten Inhalt, oder wie ein Urteilsakt ohne beurteilten Inhalt. Freude kann ich nicht fühlen ohne mich über etwas zu freuen etc. Diesen, dem Fühlen zugrunde liegenden Vorstellungstatbestand nennt MEINONG Gefühlsinhalt. Das Verhältnis, das zwischen diesem und dem Gefühl besteht, ist eine irgendwie geartete Notwendigkeitsbeziehung. Mag diese auch erst einer näheren Betrachtung bedürfen, eines steht fest, daß gewiß das Gefühl nicht dem Gefühlsinhalt vorausgeht, sondern umgekehrt der Inhalt ein wie immer geartetes Antezedenz für den emotionalen Akt des Fühlens bildet. Daher wählt MEINONG den möglichst unvorgreiflichen Ausdruck Gefühlsvoraussetzung. Nun weist aber MEINONG ferner darauf hin, daß es auch Fälle gibt, wo das Vorstellen als Gefühlsvoraussetzung nicht genügt, sondern noch ein Urteil mit zur Voraussetzung für das Zustandekommen des Gefühls gehört. Zum Beleg dafür bitte ich folgende zwei Fälle zu vergleichen. Wenn ich ein Werk der Dichtkunst, etwa aus dem Bereich der epischen Dichtung, genieße, sind meine ästhetischen Gefühle davon unabhängig, ob ich über die Existenz oder Wirklichkeit dessen, was erzählt ist, urteile oder nicht; ja noch mehr, sie sind auch davon unabhängig, ob ich, wenn ich urteile, die Existenz bejahe oder verneine. Es genügt vielmehr das lebhafte Vorstellen des Erzählten, um den ästhetischen Genuß herbeizuführen. Anders, wenn z. B. ein Vater sich über die Gesundheit seiner Kinder, die ihm etwa brieflich gemeldet wird, freut. Er stellt sich dieselbe vor, das ist gewiß, aber muß er nicht auch daran glauben? Ist eine Freude etwa von seinem Urteil über die Gesundheit der Kinder unabhängig? Verschlägt es nichts, wenn er daran zweifelt, oder wenn er gar die vorgestellte Gesundheit negativ beurteilen, also leider leugnen muß? - - - Es ist klar, daß in diesem letzteren Fall das bejahende Existenzialurteil eine ebenso wesentliche Voraussetzung, ein ebenso wesentliches Antezedenz für das Gefühl bildet, wie bei jedem Gefühl der Vorstellungsinhalt. Halten wir nun dieses Ergebnis MEINONGs mit unserer früheren Bestimmung zusammen, derzufolge wir nur Urteilsvorgänge als intellektuelle Betätigungen bezeichnen, so ergäbe sich uns - mit Beseitigung der früher getadelten Ungenauigkeit der Ausdrücke "sich anschließen" und "intellektuelle Betätigung" - folgerichtig ohne weiters die Definition: intellektuelle Gefühle sind nur jene, deren Voraussetzung Urteile sind. Aber dem tritt sogleich ein Hindernis entgegen. In dem vorher gebrachten Beispiel von der Freude des Vaters an der Gesundheit der Kinder zeigte es sich, daß das Vorstellen allein nicht genügt, daß vielmehr das Urteil, der Glaube, die Überzeugung des Vaters hinzutreten mußte; schon der geringste Zweifel vernichtet in diesem Fall das Gefühl der Freude, trotz noch so lebhaften Vorstellens, ja er bewirkt in der Regel sogar das Umschlagen des Gefühls in eine Unlust. Nun repräsentiert aber dieses Beispiel eine ganz außerordentlich umfangreiche und vielleicht die wichtigste Gruppe aller Gefühle, die der Wertgefühle, der Werthaltungen, auf die hier nächer einzugehen mir umsowener erforderlich scheint, als ich auf die gründlichen und feindurchdachten Arbeiten von MEINONG (4) und von EHRENFELS (5) verweisen kann. Nun verbietet es uns aber schon der Sprachgebrauch ganz entschieden, all die mannigfachen Werttatsachen als "intellektuelle Gefühle" zu bezeichnen, da sie durch den Ausdruck "Wertgefühle" sowohl wissenschaftlich als auch außerwissenschaftlich vortrefflich bezeichnet sind. Und dies ist in den Tatsachen selbst vollauf begründet; denn bei allen Wertgefühlen ist das Urteil zwar allerdings eine wesentliche Voraussetzung des Gefühls, aber auf dem Urteil als solchem liegt doch nicht das Schwergewicht. Wir freuen uns, weil wir urteilen, aber nicht über unser Urteil, nicht über unser Wissen, sondern - populär und wissenschaftlich gesagt - z. B. über die Gesundheit selbst, über den beurteilten Gegenstand, nicht über das Urteilen als solches. Wenn wir somit die Wertgefühle aus dem Bereich der intellektuellen Gefühle ausscheiden müssen, so blieben uns - ganz a priori erwogen - nur etwa solche Urteile, bei denen das Urteilen selbst den Hauptanteil am Zustandekommen des Gefühls hätte (6). Und da muß sich sofort die Frage erheben, ob die Empirie überhaupt derartiges zeigt oder nicht. Nun, ich glaube: ja. Betrachten wir die Freude des Neugierigen an einer neuen Nachricht: er freut sich am Wissen, an der Tatsache, daß er etwas erfahren hat, etwas weiß, nicht aber eigentlich an dem, was er weiß. MEINONG (a. a. O.) gibt hierfür ein treffendes Charakteristikum, indem er darauf aufmerksam macht, daß in solchen Fällen es auffallend irrelevant ist, ob das Urteil bejaht oder verneint wird, während bei den Wertgefühlen geradezu alles davon abhängt. Daß diese Indifferenz gegen ja oder nein beim Neugierigen wirklich vorkommt, ja auch bemerkt wird, scheint dadurch bezeugt zu sein, daß man eben diese Indifferenz des Neugierigen gegen den Inhalt des in Erfahrung Gebrachten ethisch - und zwar mit Recht - zu verurteilen pflegt. Nebst der Neugierde bietet uns einen edleren Fall die reine Freude des Forschers, das theoretische, reine Interesse: er will nur die Wahrheit wissen, ob sie so oder so lautet, ob bejahend oder verneinend. Und trotz THEOBALD ZIEGLERs Zweifel glaube ich dann doch, daß auch dieses Gefühl - selbst heutzutage - noch immer nicht ausgestorben ist. Und so wollen wir nun diese, begrifflich recht klar abgrenzbare Tatsachengruppe zugrunde legend die intellektuellen Gefühle definieren als jene Urteilsgefühle, zu deren Zustandekommen das Urteil selbst, der Akt des Urteilens, von größerer Bedeutung ist als der beurteilte Inhalt oder Gegenstand. Kehren wir nun zu unseren anfänglich gebrachten Aufzählungen aller sogenannten intellektuellen Gefühle zurück, so müssen wir die Frage erheben, inwieweit sich nun das Tatsachenmaterial mit dieser unserer Definition in Übereinstimmung bringen läßt und inwieweit nicht. Die 1. Gruppe enthielt Lust und Unlust an geistiger Tätigkeit als solcher. Da wir nun früher schon geistige oder intellektuelle Tätigkeit auf das Urteilen eingeschränkt haben und andererseits schon in den Worten "als solcher" der Hinweis liegt, daß es sich um den Akt des Urteilens handelt, während der Inhalt keine Rolle spielt, so fügt sich diese Gruppe ohne weiteres in unsere Definition. Von der 2. Gruppe hatten wir den Fall a) Freude an Übereinstimmung, Unlust an Widerstreit, ohnehin schon ausscheiden müssen; der Fall b) aber, Freude an Gewißheit, Unlust am Zweifel trifft eben wieder, wie wir oben schon gesehen haben, ein Merkmal des Urteilsaktes, und fällt somit unter unsere neu gewonnene Begriffsbestimmung. Die 3. und 5. Gruppe wurden vorher schon ausgeschieden. Es erübrigt also noch die 4. und bedeutungsvollste Gruppe, das Interesse, die sich selbstverständlich unter unsere Definition fügt, da wir ja oben aus unzweifelhaften Fällen von Interesse, nämlich Neugierde und Wißbegierde, die Merkmale für unsere Begriffsbestimmung abgezogen haben. Immerhin aber bietet diese, speziell in der Pädagogik außerordentlich wichtig gewordene Gruppe von Gefühlen so viel an Einzelfragen und Problemen, daß wir dieser eine eigene Betrachtung im nunmehr folgenden zweiten Hauptteil widmen müssen. Jede Untersuchung über das "Interesse" sieht sich sofort vor eine große Schwierigkeit gestellt: die so außerordentliche Mannigfaltigkeit, ja geradezu Verwirrung des bestehenden Sprachgebrauchs. Wir müssen daher vorerst zum Zweck der Orientierung einen Überblick über die so verschiedenartige Anwendung des Wortes "Interesse" zu gewinnen trachten. Sehen wir ab von der bekannten kommerziellen Bedeutung des Wortes (Interessen = Zinsen), so haben wir es noch immerhin mit folgenden oft recht weit auseinandergehenden Bedeutungen zu tun. 1) Interesse = Wert, Werthaltung. In diesem Sinn sagt man: "die Stadt N. N. hat ein großes Interesse am Bau dieser Eisenbahnlinie"; oder: "ich habe ein großes Interesse daran, daß du mir dieses Buch noch heute schickst"; oder: "England ist auf die Wahrung seiner maritimen Interessen sorgsam bedacht" und dgl. Diese ganze Gruppe läßt sich meines Erachtens am besten als die des materiellen Interesses charakterisierungen, wobei nur nicht übersehen werden darf, daß man hierunter nicht nur rein materiell-ökonomische, sondern auch sonst selbstische Werthaltungen, wie etwa aus dem Bereich des egoistisch gewendeten Ehrbegriffs und dgl. zu verstehen hat. 2) Interesse in der Bedeutung der reinen, oder, um es paradox zu sagen, "uninteressierten" Freude am Erkennen, das rein theoretische Interesse, aber auch die niedrigere Erscheinungsform desselben, die Neugierde. "Schon als Knabe hatte er ein lebhaftes Interesse für Geschichte"; "N. N. interessiert sich für astronomische Dinge"; "ich bitte dich, was gibt's Neues? Mich interessiert alles, was immer es auch sein mag". 3) Interesse gleichbedeutend mit Verständnis, Empfändlichkeit, Genußfähigkeit in Sachen Kunst. 4) Interesse soviel wie Anteilnahme am Wohl und Wehe des Nebenmenschen, also Disposition zu moralischen und speziell sympathetischen Gefühlen. Außerdem müssen wir die weite Bedeutungssphäre dieses Wortes bei HERBART und dessen Schülern betrachten, die, über den gewöhnlichen Sprachgebrauch weit hinausgehend, eine solche Fülle von "Interessen" aufgestellt haben, daß der Fernerstehende jedenfalls erst nach genauerem Eingehen in die Sache den damit jeweilig verbundenen Sinn zu erfassen vermag. Vor allem ist bei HERBART neu, das Interesse als Ziel des erziehenden Unterrichts hingestellt zu sehen, während es sonst in der Regel unter den Mitteln zu Erreichung dieses Ziels erscheint. Dieses Ziel wird aber noch näher bestimmt als "gleichschwebend vielseitiges Interesse", das außerdem ein "unmittelbares" sein muß. Die "Vielseitigkeit" ist erreicht, wenn im Zögling die bekannten sechs Interessen HERBARTs entwickelt sind:
b) das spekulative, c) das ästhetische "und sittliche" (!), d) das sympathetische, e) das soziale, f) das religiöse. Trotz der nun versuchten Vereinfachung stehen wir aber noch immer vor einer solchen Mannigfaltigkeit von "Interessen", daß wir jedenfalls fragen müssen, ob da wirklich immer auch mit Recht der Terminus "Interesse" gebraucht wird. Nicht als ob wir uns dabei anmaßen wollten, am allgemeinen Sprachgebrauch zu mäkeln, der ja doch seine tyrannische Macht unbekümmert um derartige Proteste auszuüben pflegt. Wir müssen es vielmehr als unsere Aufgabe betrachten, in die Sache selbst möglichste Klarheit zu bringen, indem wir durch eine Analyse der vorliegenden psychischen Tatsachen eine natürliche und zweckmäßige Gruppierung derselben zu gewinnen trachten, an die sich dann Vorschläge zur Klärung der wissenschaftlichen Terminologie anschließen mögen. Hierbei kann ich dann anknüpfen an jene wichtigen Bestimmungen MEINONGs, denen zufolge wir früher bei der Untersuchung der intellektuellen Gefühle Vorstellungs- und Urteilsgefühle gesondert und bei den letzteren wieder Werthaltungen und Wissensgefühle als begrifflich klar geschieden erkannt haben. Haben wir nämlich so einen festen Rahmen für die Gruppierung der Gefühle gewonnen, so wird es uns von vornherein bedenklich erscheinen, wenn Tatsachen verschiedener dieser Gruppen mit ein und demselben Namen benannt werden, wie es bei den verschiedenen Interessen unzweifelhaft der Fall ist, und wir werden vielmehr gut daran tun, zu fragen, für welche dieser Gruppen der Name Interesse am natürlichsten zu reservieren sein wird. Unter den oben vorgeführten und in aller Kürze charakterisierten Arten von "Interesse" sind die materiellen Interessen der ersten Gruppe Werthaltungen; die zweite Gruppe, reines theoretisches Interesse, umfaßt Wissensgefühle (intellektuelle Gefühle); die dritte Gruppe, ästhetische Empfänglichkeit, bedeutet nichts anderes als Disposition zu ästhetischen Gefühlen, und letztere sind der Hauptsache nach Vorstellungsgefühle; das an vierter Stelle genannte Interesse am Wohl und Wehe des Nebenmenschen ist eine Disposition zu moralischen Gefühlen und diese sind Urteilsgefühle, und zwar speziell Werthaltungen; HERBARTs "religiöses Interesse" endlich können wir gleichsetzen einer Disposition zu religiösen Gefühlen, die uns einen allerdings recht komplizierten Tatbestand darstellen, da hierin moralische und ästhetische Momente zusammenwirken, von denen aber jedenfalls soviel mit Sicherheit gesagt werden kann, daß sie nicht intellektuelle oder Wissensgefühle sind. Muß es nun, wie oben erwähnt, bedenklich scheinen, all diese heterogenen Tatsachen unter den einen Begriff des Interesses pressen zu wollen, so müssen wir untersuchen, ob sich nicht Anhaltspunkte finden lassen, auf die gestützt wir den Geltungsbereich des Terminus Interesse auf nur eine der Gefühsgruppen einschränken dürfen. Da bietet sich uns dann meines Erachtens zweierlei. Erstens die im Eingang meines Vortrags erwähnte Tatsache, daß, trotz aller nebenhergehenden Inkonsequenzen, in der psychologischen Systematik doch ein Interesse in der Regel als eine Unterart der intellektuellen Gefühle aufgeführt wird. Zweitens aber weist auch der Sprachgebrauch der Worte "interessieren" und "interessant" in beachtenswerter Weise darauf hin, daß es hauptsächlich intellektuelle Erscheinungen sind, die man hierbei im Auge hat. Die Probe hierfür ist leicht zu machen. Ist der Trunk dem Dürstenden - so wertvoll er ihm sein mag - auch "interessant"? Ist der Anblick des kühlen Waldes an heißen Tagen "interessant"? Oder ist es das Kunstwerk dem Genießenden? So eigentlich doch wohl nicht. Denn um interessant zu sein, müßte erst das Wissen über den Trunk, den Wald, das Kunstwerk uns Lust bereiten und, wie wir hinzusetzen müssen, das Begehren, noch mehr darüber zu erfahren, rege machen und dgl.; es müßte eben erst ein Wissensgefühl erregt werden. So mag es dann weniger willkürlich erscheinen, wenn ich den Begriff des Interesses auf jene Gefühlstatsachen einschränke, die sich bei psychologischer Analyse als Wissensgefühle erweisen und die wir früher als zweite Gruppe besprochen und charakterisiert haben (reines theoretisches Interesse, Neugierde, Wißbegierde, HERBARTs "empirisches" und "spekulatives" Interesse). Mit der Aufgabe jedoch, den Begriff des Interesses zu definieren, sind wir hiermit doch nur bis zum "genus proximum" [nächsthöherer Gattungsbegriff - wp] gelangt, und es obliegt uns daher, jene determinierenden Merkmale zu suchen, die das Interesse gegenüber allen anderen intellektuellen Gefühlen charakterisieren. Hier sei nun erstens darauf hingewiesen, daß beim Interesse nicht bloß Lust oder Unlust, also ein reiner passiver Gefühlszustand vorliegt, wie etwa bei sinnlicher Lust oder beschaulichem (begierdelosem) ästhetitschem Genuß; vielmehr werden wir durch das Interesse angeregt, es weckt uns gleichsam aus dem stillen Ruhe des reinen Gefühls zu einem mehr aktiven psychischen Verhalten, es erregt ein Streben, einen Begehrungszustand. Das Interesse schafft nicht nur Lust, sondern den zusammengesetzten Tatbestand: Gefühl + Begehren, und zwar Begehren nach weiterer Erkenntnis (7). Das praktische "Interesse", die Nützlichkeitserwägung, ist befriedigt, wenn das Gewünschte gegeben ist; das theoretische Interesse, der Wissensdrang, strebt seiner Natur nach immer vorwärts, wie am schönsten wohl in SCHILLERs berühmter "Antrittsrede" geschildert ist. Haben wir so ein differenzierendes Merkmal des Begriffs "Interesse" gefunden, so müssen wir zweitens einen charakteristischen Unterschied des Interesses von anderen, insbesondere intellektuellen Gefühlen darin erblicken, daß unter Interesse nicht bloß aktuelle Gefühlstatsachen, sondern - gewiß ebenso häufig - die Disposition hierzu gemeint ist. Sprache und Begriffsbildung sind nun in der Scheidung des Aktuellen und Dispositionellen insofern nicht konsequent, als, wie ein Blick in die Gefühlslehre zeigt, bald für jedes der beiden je ein eigener Terminus vorliegt, bald nur für eines, bald, wie in unserem Fall, für beides ein promiskue [vielseitig - wp] gebrauchter. Bei Furcht und Furchtsamkeit, Zorn und Jähzorn, Scham und Verschämtheit, hat die Sprache differenziert; Freude, Lust, Schmerz usw. bezeichnen ausschließlich das aktuelle Gefühl und für die entsprechende Disposition fehlt der adäquate Ausdruck; Freude am Schönen, Kampflust, Arbeitsunlust, Wehmut, Stolz usw. werden bald für das eine, bald für das andere gebraucht. Zu letzterer Gruppe gehört nun auch Interesse. Offenbar ist einem dispositionellen Sinn steht es in Sätzen wie: "N. N. hat Interesse für Astronomie, für Musik, für Geschichte" und dgl.; ebenso unzweideutig ist das aktuelle Gefühl gemeint, wenn man sagt: "der Vortrage vermochte nicht das mindeste Interesse zu erregen". Unentschieden ist dieser Punkt, wenn z. B. gesagt wird: "dieses oder jenes interessiert mich". Die Interessen im Sinn von HERBARTs Schule sind selbstverständlich dispositionell zu verstehen, insoweit sie als Bildungsziele hingestellt werden. Das Interesse als Mittel zur Belebung des Unterrichts ist ebenso selbstverständlich als aktueller Gemütszustand zu fassen. Diese beiden Bedeutungen von Interesse stehen dadurch in einem engen Zusammenhang, daß einerseits, wie schon aus dem Dispositionsbegriff folgt, das dauernde, dispositionelle Interesse seinen Träger zu derartigen Gemütstatsachen "disponiert" und daß andererseits einzelne Fälle der Erregung aktuellen Interesses die Bildung einer dauernden Disposition hierzu anbahnen. Und so kann dann gesagt werden: Interesse ist einerseits jenes aktuelle Wissensgefühl, das durch das hinzutretende Begehren nach weiterem Wissen charakterisiert ist, andererseits aber auch die dauernde Disposition hierzu. Habe ich so den bescheidenen Versuch gemacht, einen in der Psychologie brauchbaren Begriff des Interesses wenn auch nur annähernd abzugrenzen, so muß ich im Folgenden mit allem Nachdruck darauf hinweisen, daß in der lebensvollen Wirklichkeit die Sache meist nicht so klar und typisch vorliegt, wie es die analysierende und abstrahierende Begriffsbestimmung bietet, sondern daß da meist recht verwickelte Komplikationen ebensowohl im Sinne eines Nebeneinanderbestehens als in dem der zeitlichen Aufeinanderfolge bzw. des allmählichen Übergangs gegeben sind. Auf die wichtigsten Fälle sei rasch hingewiesen. A. Ein Forstmann legt z. B. begreiflicherweise großen Wert darauf (Nützlichkeitserwägung, praktisches, materielles "Interesse"), die Witterungsverhältnisse, die Niederschlagsmenge, die Windrichtung und dgl. seines Reviers kennen zu lernen. Wenn er nun seine Beobachtungen durch einige Zeit mit aller Sorgfalt fortsetzt, kann es leicht geschehen, daß er unvermerkt an meteorologischen Studien überhaupt Gefallen findet, daß sein theoretisches oder rein wissenschaftliches Interesse - diesmal Interesse in unserem oben umschriebenen Sinn - rege geworden ist; ja er kann dann seine Wetterstudien auch fortsetzen, wenn und wo er sie praktisch gar nicht mehr zu verwerten in der Lage ist. Hier hat also die anfänglich rein praktische Werthaltung ein theoretisches Interesse geschaffen, es vermittelt, und wir wollen daher alle derartigen Tatsachen als "Interessenvermittlung" bezeichnen. Hierbei liegt anfangs eine bloße Werthaltung (W) vor ohne Interesse (J), später tritt zu W ein allmählich wachsendes J hinzu und schließlich kann auch der Fall eintreten, daß W gänzlich schwindet und J von da an völlig selbständig wird und unabhängig zu- oder abnehmen kann. Mit Ausnahme der beiden Grenzfälle, W allein und J allein, haben wir es immer mit einer Komplexion W + J zu tun, deren reine Analyse in der Praxis wohl meist kaum streng durchführbar sein dürfte. Daß eine derartige "Interessensvermittlung" von Werthaltung zu theoretischem Interesse nicht ohne Bedeutung ist, lehrt ein Blick auf die Entwicklung mancher theoretischer Wissenschaften. Die rein praktischen Bedürfnisse des Seefahrers haben zum Teil das theoretische Interesse an astronomischer Forschung vermittelt; das sehr praktisch-materielle "Werthalten" des Steins der Weisen geht der theoretischen Chemie zeitlich und ursächlich voraus; ebenso die Landvermessung der Geometrie; der Handelsmann, mitunter auch der Stratege, wurde zum Geographen, der Bergmann zum Mineralogen und Geologen usw. Und, um ein Beispiel aus unserer Zeit anzuführen, das praktische Bedürfnis des Astronomen, die "subjektive Formel" für den einzelnen Beobachter zu ermittelnm hat das rein wissenschaftliche Interesse der Psychologen wachgerufen, die Reaktionszeiten zu messen. Wenn nun diese Art der Interessenvermittlung im großen Ganzen der Wissenschaften eine so bedeutende Rolle spielt, ist es von vornherein wahrscheinlich, daß sie es auch in der geistigen Entwicklung des Einzelnen, insbesondere im Unterricht, tun wird. Die Erfahrung bestätigt dies zur Genüge. Denn abgesehen von jenen immerhin vereinzelten Fällen, daß etwa ein Schlosserlehrjunge oder Zögling einer Gewerbeschule Physiker, Chemiker wurde, oder daß ein zum Kaufmann bestimmter junger Mensch die anfangs rein praktisch betriebenen Sprachstudien zu seinem Lebensberuf gemacht hat usw., läßt sich mit weit größerer Allgemeinheit die Tatsache feststellen, daß in der Schule sehr oft recht äußerliche Werthaltungen (Freude an Lob und an Belohnungen, Furcht vor Strafe und Tadel) dem langsam aufkeimenden reinen, stofflichen Interesse vorarbeiten müssen, und in diesem Sinne, meine Herren, ist die gänzliche Verwerfung des Ehrgeizes und seiner Ausnützung als Triebkraft, wie sie die Schule HERBARTs verlangt, so verdienstlich sie sonst sein mag, zweifellos zu weit gegangen. Haben wir so gesehen, wie die praktische Werthaltung ein rein theoretisches Interesse vermitteln kann, so läßt sich ein ähnliches Vermitteln auch auf anderen Seiten unseres Gefühlslebens nachweisen. B. Ästhetische Gefühle sind es, die fast ebenso häufig ein rein theoretisches Interesse schaffen, also "vermitteln" können. Die rein ästhetische Freude an der Musik hat die theoretischen Fächer der Musiktheorie, Musikgeschichte, Tonpsychologie, ja wohl auch die Akustik, ins Leben gerufen. Ähnlich ist die Entwicklung der Kunstgeschichte, der Ästhetik, Poetik, Literaturgeschichte, Metrik, Textkritik usw. vor sich gegangen. Und ebenso bewähren ästhetische Gefühle ihre Vermittlungskraft im Unterricht: hat der Schüler ein Dichtwerk genießen und schätzen gelernt, es lieb gewonnen, so ist erst z. B. dem reinen literaturhistorischen Interesse gedeihlich vorgearbeitet. Oder, um in das Gebiet der "exakteren" Fächer überzugreifen, sollte es nicht in den unteren Klassen geschehen können, daß das elementar-ästhetische Wohlgefallen an einem schönen, blank geputzten physikalischen Apparat, an einem wohl gelungenen, farbenprächtigen Experiment den ersten Grund zu - theoretischem Interesse an der Physik legt? - Den Wert künstlerisch schöner Abbildungen zur Belebung des Interessesf am Geschichtsunterricht hat man ebenfalls schon längst würdigen gelernt. C. Daß moralische Gefühle (ethische Werthaltungen), reines Interesse vermitteln können, dürfte der Lehrer der Geschichte bestätigen, dem es gelingt, in den Schülern derartige Gefühle der bewundernden Hochschätzung oder des sittlichen Abscheus zu erwecken und dadurch das Interesse am Gegenstand in der erfreulichsten Weise zu beleben. In etwas anderer Weise kann mitunter die moralische Wertschätzung, die der Schüler dem Lehrer gegenüber hegt, dem sachlichen, theoretischen Interesse zugute kommen; freilich gilt auch der gegenteilige Fall, daß mitunter die Mißstimmung über sittliche Schwächen des Lehrers Lust und Liebe zum Gegenstand nicht aufkommen läßt oder zumindest hemmt. D. Aus dem Bereich der sympathetischen Gefühle mag allenfalls angeführt werden, daß die medizinische Wissenschaft den Regungen des Mitleids und der Menschenliebe, wenn auch vielleicht nicht ihre Entstehung, so doch die allergrößte Förderung verdankt. Inwieweit ferner die persönliche Zuneigung und Liebe zur Vermittlung theoretischer Interessen geeignet sein mögen, sei nicht näher ausgeführt. E. Schließlich ist noch die Interessenvermittlung durch religiöse Gefühle (Religiosität) zu erwähnen, denen das theoretische Interesse für Fächer wie Kirchengeschichte, Bibelforschung und dgl. zum Teil seine Entstehung verdankt. In all den nun aufgezählten Fällen liegt also meist nicht reines Interesse vor, sondern das Gefühl, dem das Interesse seine Entstehung verdankt, mag diesem noch immer seine eigentümliche Färbung verleihen, auch wenn es selbst shcon dem Nullpunkt recht nahe kommt. Schematisch könnte man dementsprechend das reine Interesse mit J bezeichnen, das durch Werthaltung (w), ästhetische (ae), moralische (m), sympathetische (s) und religiöse (r) Gefühle vermittelte Interesse aber mit Jw, Jae, Jm, Js und Jr. Hierbei liegt es nun außerordentlich nahe, in den so determinierten Arten von J die bekannten Interessen HERBARTs zu erblicken. Und doch lassen sich diese begrifflich scharf sondern. Denn nach allem früher Gesagten ist es klar, daß HERBART unter seinem "ästhetischen Interesse" nicht unser Jae, sondern Ae selbst, die Disposition zu ästhetischen Gefühlen, meint; ebenso ist HERBARTs "moralisches Interesse" M und nicht Jm, mit anderen Worten: die Disposition zu moralischen Gefühlen und durchaus nicht das durch moralische Gefühle vermittelte theoretische Interesse. Ganz analog bezeichnet "sympathetisches" und "religiöses Interesse" bei HERBART durchaus kein theoretisches Interesse, also nicht Js und Jr, sondern die betreffende Gefühlsdisposition (S und R). Ja wir würden HERBARTs Pädagogik arg verkennen, wenn wir ihr die Absicht unterstellen wollten, alle die auf verschiedenen Wegen vermittelten theoretischen Interessen wirklich als das Ziel jeder Erziehung und Bildung hinzustellen. So einseitig intellektualistische ist sein System durchaus nicht! Denn nicht episteme [Wissen - wp] , sondern etwa kalokagathia [Schönheit und Gutheit - wp] ist sein Ziel; er will den Menschen nicht zum Denker und Gelehrten heranziehen, sondern ihn für alles Schöne und Gute ebenso empfänglich machen, wie für das Wahre, er erstrebt eine harmonische Durchbildung. Ein Mißgriff aber war es, das alles unter dem Namen "Interesse" zu pressen. Hierdurch wurden Mißverständnisse und Unklarheiten verursacht, wie ein Blick in die reiche pädagogische Literatur der HERBARTschen Schule zeigt (8). Und deshalb schien es mir nicht nutzlos, eine Klarstellung des heutzutage vielfach so verworrenen und verwirrenden Begriffs "Interesse" zu versuchen. Die vom Praktiker oft so sehr mißachtete theoretische Pädagogik wird sich ja nur dadurch nach und nach die ihr gebührende Rücksicht erringen, wenn sie dem Aufklärung und Belehrung Suchenden nicht mit einer irreführenden Fülle großer Worte und in tiefsinniger Dunkelheit, sondern in ehrlich strebender, nüchtern strenger und vor allem klarer Wissenschaftlichkeit entgegentritt. Wie immer nun aber die Theorie sich in unserer Frage entscheiden mag, wir alle, die wir Lehren und Erziehen unsere Berufsarbeit nennen, mögen das Eine nie vergessen, jenes heute so oft genannte reine Interesse am Wissen zu pflegen und zumindest nicht unter der Wucht materieller und bürokratischer Forderungen unserer Zeit verkümmern zu lassen, jene reine Freude an geistiger Arbeit, an unermüdlichem, idealem Forschen, die bisher wenigstens den Stolz der deutschen Wissenschaft und der deutschen Schule gebildet hat. ![]() LITERATUR - Eduard Martinak, Zur Begriffsbestimmung der "intellektuellen Gefühle" und des "Interesses" [Vortrag, gehalten in der pädagogischen Sektion der 43. Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Köln am 26. September 1895.] Süddeutsche Blätter für höhere Unterrichtsanstalten, IV. Jahrgang, Heft 12, Stuttgart 1896.
1) Der Begriff "geistige Tätigkeit" pflegt hierbei nicht definiert zu werden. Gründlich untersucht ist derselbe erst in der schönen Arbeit Alois Höflers, "Psychische Arbeit", Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. VIII, 1895, Seite 44f. 2) Bain rechnet noch hinzu die Freude am erreichten Ziel und die Unlust am Mißlingen geistigen Strebens, Lust am geistigen Kampf, Freude an Schwierigkeiten, an Verwicklung, an Kontroversen und dgl. Hier scheinen mir aber einerseits Selbstgefühl, andererseits ästhetische Gefühlsfaktoren die Hauptrolle zu spielen. 3) Meinong, Psychologisch-ethische Untersuchungen zur Werttheorie, Graz 1894. - Ebenso in den an der Grazer Universität gehaltenen Vorlesungen. 4) Meinong, a. a. O. und ein Nachtrag: "Über Werthaltung und Wert" hierzu im Archiv für systematische Philosophie, Bd. 1, Seite 327f. 5) Christian Freiherr von Ehrenfels, Werttheorie und Ethik, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 8, 1893, Seite 76f, 200f, 321f, 413f und "Von der Wertdefinition zum Motivationsgesetz, Archiv für systematische Philosophie, Bd. 2, Seite 103f. 6) Meinongs "Wissensgefühle" (a. a. O. § 12, wo das Wesentliche der folgenden Charakteristik enthalten ist). 7) Wenn Ostermann (a. a. O., Seite 2-3) das Begehren doch nicht als wesentlich in den Inhalt des Begriffs Interesse aufnehmen will, so hat daran meines Erachtens seine so weite Fassung dieses Begriffs die Schuld, derzufolge auch ästhetisches, religiöses Interesse und dgl. hierher gezogen werden, bei denen das Begehren tatsächlich oft fehlt. Übrigens sagt er ausdrücklich, daß das Begehren eine "notwendige Folgeerscheinung" des Interesses ist (was nun wieder allerdings beim "ästhetischen Interesse" nicht immer zutreffen dürfte). Dann aber gehört jedenfalls wenigstens diese "Notwendigkeitsbeziehung" in den Begriffsinhalt des Interesses. Meine innere Erfahrung lehrt mich jedoch, daß Gefühl und Begehren viel inniger miteinander verkettet sind, als bei einer bloß zeitlich-kausaler Abfolge der Fall wäre. 8) Vgl. z. B. Hermann Kerns "Grundriß der Pädagogik" und Ostermanns Monographie über das Interesse. |