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Die intellektuellen Gefühle
Unter intellektuellen Gefühlen verstehe ich solche Gefühlszustände, die sich an Erkenntnisvorgänge anschließen. Bei näherer psychologischer Untersuchung stellt sich dann heraus, daß der Unterschied zwischen dem Gefühl des assoziativ bedingten Zwangs und dem Gefühl des Denkzwangs in vielen Fällen hauptsächlich darin besteht, daß das Gefühl des Denkzwangs eben das Erleben eines Zwangs unter einer ganz bestimmten Einstellung ist, die wir als Einstellung zum Denken bezeichnen. Eine nähere Beschreibung derselben habe ich an einem anderen Ort gegeben (2). Häufig wird von den Versuchspersonen auch angegeben, daß das Denknotwendigkeitsgefühl eine aktive Beimischung habe. Diese aktive Beimischung rührt wohl von der Einstellung zum Denken her. Das Gefühl des Denkzwanges grenzt sich in manchen Fällen, abgesehen von der Beziehung zur Einstellung zum Denken, dadurch deutlich vom Gefühl des assoziativ bedingten Zwangs ab, daß sich das Gefühl des Denkzwangs mit einem mehr oder weniger deutlich hervortretenden Gleichheitsbewußtsein verbindet (3). Die Gleichheit ist dabei gesetzt zwischen dem jeweilig gemachten neuen Schritt im Denken und den Prämissen. Beim Bewußtsein der Denknotwendigkeit ist zu unterscheiden das Gefühl des tatsächlich im Denken auftretenden Zwangs und die Auffassung des erlebten Zwangs als Denkzwang. Das Gefühl des Zwanges, welches tatsächlich von der Einstellung zum Denken abhängt, kann auftreten, ohne daß dabei ein Bewußtsein der Denknotwendigkeit, der Gültigkeit des Gedachten vorhanden ist. Ich spreche da vom Zustand der Sicherheit im Gegensatz zum Bewußtsein der Sicherheit. Diesen Zustand der Sicherheit habe ich allgemein als ein Etwas charakterisiert, welches so beschaffen ist, daß auf die Frage nach der Richtigkeit eine Bejahung eintritt. Dieses Etwas ist in manchen Fällen ein Gefühl des tatsächlich im Denken auftretenden Zwangs, der also nicht als Denkzwang aufgefaßt wird, aber nicht immer. Häufig gibt auf die Frage nach der Richtigkeit ein in den Denkoperationen auftretendes Beruhigungs- oder Befriedigungsgefühl einen deutlichen Anlaß zur Entwicklung des Bewußtseins der Sicherheit. Bei allen Versuchspersonen trat in meinen Untersuchungen über das Bewußtsein der Gültigkeit bei einfacher Anweisung, einen Schluß zu ziehen, in Schlußprozessen nach der ersten Schlußfigur und bei häufiger Aufeinanderfolge von Schlüssen gleicher Art das Notwendigkeitsgefühl häufig zurück; es gewinnt dann ein Befriedigungsgefühl an Bedeutung. Es fragt sich nun, wie ein Befriedigungsgefühl oder Beruhigungsgefühl als Grundlage für die Entwicklung des Bewußtseins der Sicherheit dienen kann. Darauf habe ich (4) geantwortet:
Wie steht es nun mit der Freude an wissenschaftlicher Produktion? Webersche Gesetz gilt, der Fall ist. Interessanter ist der Fall, wo die einzelnen Schritte der Untersuchung nicht durch eine spezielle Methode im Voraus bestimmt sind. Da vollziehen sich die Erkenntnisprozesse entweder so, daß die Lösung des wissenschaftlichen Problems sprunghaft auftritt oder nicht. Wir wollen den zweiten Fall zunächst ins Auge fassen. Da wird Freude über den Vollzug der Erkenntnisprozesse eintreten, wenn dieselben einen glatten Verlauf unter Mitwirkung dunkel bewußter Beziehungsgedanken nehmen und zwar umso mehr, je reicher die Beziehungsgedanken sind und je mehr diese Beziehungsgedanken aufgefaßt werden als durch die eigene wissenschaftliche Phantasietätigkeit erzeugt. Diese reiche intellektuelle Betätigung verbindet sich mit Freude einmal aufgrund des Reichtums dieser Betätigung, die dem Kräftevorrat des Individuums entspricht und sodann aufgrund der Auffassung dieser Betätigung als einer Leistung der eigenen wissenschaftlichen Persönlichkeit, wobei der Gedanke der eigenen wissenschaftliche Leistungsfähigkeit hineinspielen kann. Die an die Auffassung einer gerade vollzogenen wissenschaftlichen Betätigung als einer Leistung der eigenen Persönlichkeit, etwa mit einem Hineinspielen des Gedankens der Leistungsfähigkeit, auftretende Freude muß man scharf scheiden von dem sich leider nicht sehr selten bei Forschern realisierenden Fall, daß eine ähnliche Freude offenbar systematisch zur Entwicklung gebracht wird durch einen Rückblick auf längst vollzogene wissenschaftliche Leistungen. Das wirkt sich ohne Zweifel ungünstig auf den späteren Vollzug wissenschaftlicher Leistungen aus. Dem Gedanken nun an den im Denken erzielten Erfolg ad hoc [sofort - wp] Raum zu geben, ist aber ohne Zweifel fördernd für einen späteren Vollzug wissenschaftlicher Leistungen. Eine Steigerung der wissenschaftlichen Freude tritt in den Fällen ein, wo die betreffende Erkenntnis, weil sie eine abstraktere ist, als eine solche aufgefaßt wird, die für ein größeres Gebiet der Erkenntnisobjekte Gültigkeit hat. Eine weitere Steigerung der wissenschaftlichen Freude tritt eventuelle durch Kontrast ein, nämlich im Kontrast zur Unlust, die sich im Forscher entwickelt, wenn ihm ein Problem zunächst unüberwindliche Schwierigkeiten zu machen scheint. Diese wissenschaftlichen Unlustgefühle stellen außerordentlich stark treibende Kräfte dar! Diese Unlustgefühle mögen schon bei der Inangriffnahme des Problems wirken. Häufig setzen sie auch ein, nachdem bei anscheinend vollzogener Beantwortung des Problems sich an einer Stelle ein schwacher Punkt zeigt. Der Forscher muß sich der Wahrhaftigkeit und Zweckmäßigkeit wegen so einstellen, daß er über ihm als schwach erscheinende Punkte in seiner eigenen Entwicklung nicht hinweggeht, sondern sie scharf ins Auge faßt und die Unlust nicht scheut, die sich dabei entwickelt. Es verlohnt sich diese Unlustgefühle in sich zur kräftigen Ausgestaltung kommen zu lassen. Nach einem anfänglichen Stadium passiven Charakters nehmen sie in der Norm immer mehr aktiven Charakter an und bedingen ein hartnäckiges Festhalten an dem in einem schwachen Punkt noch ungelösten Problem. Man kann von einer mutartigen Färbung dieser aktiven wissenschaftlichen Unlustgefühle sprechen. Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit den Gefühlszuständen, die bei einer Betätigung in einem der Gefahr nicht ganz entbehrenden Sport auftreten. Sie unterscheiden sich von ihnen aber unter anderem darin, daß beim wissenschaftlichen Forschen die Absicht einen Einfluß auf die ganze Gefühlsstimmung hat, Feststellungen zu machen, die der Wirklichkeit oder der Wahrheit entsprechen. Daher kommt es, daß das wissenschaftliche Befriedigungsgefühl zuweilen den deutlichen Einschlag eines sittlichen Gefühlszustandes bekommt. Wo dieses Streben in einen Gegensatz zu anderen Tendenzen tritt, wie sie z. B. da vorhanden sind, wo ein Forscher Feststellungen macht, welche eigenen Lieblingsanschauungen, z. B. religiösen, widerstreiten, prägt sich die Absicht, sich durch die Wahrheit bestimmen zu lassen, deutlicher als gewöhnlich aus und die wissenschaftliche Freude bekommt dementsprechend einen stärkeren sittlichen Einschlag. Wirken alle diese Faktoren bei der Entstehung der wissenschaftlichen Freude zusammen, so kommt ein Affekt von starker Intensität zustande. Diesen Fällen entspricht der Hymnus, den der sonst so trockene ARISTOTELES auf die produktive wissenschaftliche Betätigung singt:
1) STÖRRING, Experimentelle und psychopathologische Untersuchungen über das Bewußtsein der Gültigkeit, Archiv für die gesamte Psychologie, Bd. 14, Seite 20. 2) STÖRRING, Untersuchungen a. a. O., Seite 9f 3) STÖRRING, Untersuchungen, a. a. O., Seite 21f. 4) STÖRRING, Untersuchungen a. a. O., Seite 32 5) ARISTOTELES, Nikomachische Ethik, übersetzt von KIRCHMANN, Seite 227 und 228. |