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HEINRICH LANZ
Das Problem der Gegenständlichkeit
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"Der Physiker wird auf Farben oder Töne in dieser eigentlichen Wortbedeutung schwerlich den Anspruch erheben, da ihn ja gerade seine Wissenschaft darüber belehrt hat, daß dort, wo wir Farben zu sehen, Töne zu hören meinen, weit eher etwas wie Schwingungsvorgänge vorliegt."

"Die Psychologie beschäftigt sich mit den Empfindungszuständen, nicht mit deren Inhalten. Also nicht nur das Denken hat Objekte, welche ihm gegenüberstehen, sondern auch den einfachsten Empfindungszuständen entsprechen Inhalte, welche von den Empfindungen selbst ganz verschieden sind. Die Empfindung des Roten, sagt Husserl, ist selbst niemals rot."

"Das ist die kopernikanische Tat Kants, daß er diesen Dualismus zwischen Subjekt und Objekt vernichtet hat, daß er gezeigt hat, daß jede Objektivität aus dem Subjekt stammt."


III. Kapitel
Die transzendente Schule
Intentionale Gegenstände
[Fortsetzung]

Diese Lehre HUSSERLs von der Ideation ist eigentlich nichts anderes, als die platonische Lehre von der "Erinnerung", aber ohne die metaphysische Unterlage und ohne die unwissenschaftliche Posie derselben. Wenn wir die naiv metaphysische Lehre über die Anschauung der Idee durch die Seele in ihrer vorirdischen Existenz ausschalten, so erhalten wir eine den Ansichten HUSSERLs höchst ähnliche Auffassung: die allgemeinen Begriffe entstehen nicht aus unseren Wahrnehmungen, diese letzteren erwecken nur die in unserem Bewußtsein schlummernden Anschauungen der Ideen, sind nur Anlässe zu ihrer Entstehung, enthalten sie aber keineswegs. Die einzelne konkrete Wahrnehmung ist nur die Grundlage, auf der der neue Akt der "Erinnerung" konstruiert wird, welcher nun unmittelbar und a priori die entsprechende Idee erfaßt. Die Funktion der Erinnerung ist nichts anderes, als die metaphysische eingekleidete Funktion der Ideation. Für beide Philosophen ist unsere konkrete Wahrnehmung nicht dasjenige, woraus wir unsere Allgemeinbegriffe bilden, sondern nur die Grundlage, auf der der neue Akt einer unmittelbaren Beziehung zur Idee entsteht.

Für beide ist im Grunde genommen jeder Allgemeinbegriff apriorischen Ursprungs in dem Sinne, daß er nur auf der Grundlage der Erfahrung, nicht aber aus der Erfahrung gebildet wird. (32)

Was die Lehre von der intentionalen Transzendenz der Gegenstände betrifft, so vertritt MEINONG denselben Standpunkt wie HUSSERL, mögen sie auch sonst weit auseinandergehen. Jede "psychische Tatsache hat ihren Inhalt und daher auch ihren Gegenstand", sagt MEINONG (33). Der psychische Akt und sein Gegenstand sind immer prinzipiell verschieden voneinander. Mit besonderer Klarheit tritt dieser Gedanke in MEINONGs Lehre von den "heimatlosen Gegenstände", d. h. solchen Gegenständen, welche keinem Wissenschaftsgebiet angehören, hervor. So sind z. B. die einfachen Sinnesqualitäten, "sozusagen um ihrer selbst willen", also zunächst nicht bloß hinsichtlich ihrer Beziehungen zu unserem psychischen Leben (34) betrachtet, solche heimatlosen Gegenstände. Denn die Physik untersucht sie nicht "um ihrer selbst willen", sondern nur, sofern sie ihr ein qualitatives Zeichen für die quantitative Wirklichkeit liefern.
    "Der Physiker wird auf Farben oder Töne in dieser eigentlichen Wortbedeutung schwerlich den Anspruch erheben, da ihn ja gerade seine Wissenschaft darüber belehrt hat, daß dort, wo wir Farben zu sehen, Töne zu hören meinen, weit eher etwas wie Schwingungsvorgänge vorliegt. ... Weil es also streng genommen Farben und Töne eben nicht gibt, hat der Physiker mit ihnen um ihrer selbst willen nicht das Geringste zu tun; der Physiologe aber natürlich auch nicht und auch sonst wäre wohl kaum eine der alt geglaubten Wissenschschaften namhaft zu machen, in deren Arbeitsgebiet diese Gegenstände fallen."
In das Gebiet der Psychologie gehören sie aber auch nicht. Das versucht MEINONG am Beispiel der psychologischen Abgeschlossenheit und der inhaltlichen Unbegrenztheit der Tonlinie zu zeigen.

Die Psychologie beschäftigt sich mit den Empfindungszuständen, nicht mit deren Inhalten. Also nicht nur das Denken hat Objekte, welche ihm gegenüberstehen, sondern auch den einfachsten Empfindungszuständen entsprechen "Inhalte", welche von den Empfindungen selbst ganz verschieden sind. Die Empfindung des Roten, sagt HUSSERL, ist selbst niemals rot.

Dasselbe gilt für alle "unmöglichen Gegenstände". Ein "rundes Viereck" ist für unsere Vorstellung ganz und gar unmöglich, und doch ist es ein Gegenstand möglicher Beziehungen und Prädikationen, welcher durch keinen anderen Gegenstand logisch ersetzbar ist; man kann z. B. nicht sagen, daß das runde Viereck ein bloßer Lautkomplex ist;
    "man braucht ja bloß darauf hinzuweisen, daß die Lautkomplexe: rundes Viereck, round square etc., die schon untereinander sehr verschieden sind, von Rundheit und Viereckigkeit nicht das Mindeste an sich haben, gesprochen oder geschrieben aber sich einer gesicherten Existenz erfreuen, was alles von dem unmöglichen Gegenstand rundes Viereck gewiß nicht zu behaupten wäre." (35)
Der Einwand, daß eine solche Theorie zur Verneinung des Satzes des Widerspruchs führt, trifft nicht zu. Wir können uns auch ein "seiendes rundes Viereck" vorstellen und unsere Vorstellung wird vom Gegenstand selbst auch in diesem Fall verschieden sein, daraus folgt aber nicht die wirkliche Existenz des runden Vierecks; die intentionale Existenz eines Gegenstandes fällt gar nicht mit seinem realen Dasein zusammen, das gemeinte Sein, als eine existenzielle Prädikation, ist durchaus nicht dasselbe, was das reale Sein als Objekt darstellt.
    "Existierend sein in jenem Sinn der Existenzialbestimmung und existieren im gewöhnlichen Sinn von Dasein ist eben durchaus nicht dasselbe." (36)
Im ersten Fall ist die Existenz ein Objektiv (37), im zweiten ein Objekt.

Daß den "unmöglichen Gegenständen" eine gewisse Rolle sogar in der Wissenschaft zukommt, geht daraus mit voller Klarheit hervor, daß z. B. der Begriff einer "Null", der in der Mathematik von großer Bedeutung ist, einen unmöglichen Gegenstand darstellt, "dessen Sein seinem Nichtsein gleichkommt" (38), um die Definition MALLYs von diesem Begriff zu gebrauchen. Die Unmöglichkeit, sogar die Absurdität eines Gegenstandes sagt noch nichts gegen seine Gegenständlichkeit. In diesem Sinn hat dann natürlich auch jedes "falsche affirmative Urteil seinen Gegenstand". (39)
    "Man sieht zugleich, wie sonach der erweiterte und modifizierte Gegenstandsgedanke auf Urteile ganz beliebiger Beschaffenheit, gleichviel ob affirmativ oder negativ, ob wahr oder falsch anwendbar ist, und wie man hier jenen Sinn vor sich hat, in dem der Gegenstand Sache aller Urteile ohne Ausnahme ist." (40)
Jedes Urteil hat einen Gegenstand, ist auf ihn "gerichtet", und darum prinzipiell von ihm verschieden. Dieses Gerichtetsein auf einen Gegenstand ist die eigentliche Tat einer psychologischen Vorstufe des Urteilens - eines "Annehmens". Die gemeinte Transzendenz des Gegenstandes ist die Leistung einer "Annahme" (41)
    "Nicht der Tisch oder Sessel transzendiert ja, sondern das Urteil ist es, das, indem es sich in seiner Weise einer Wirklichkeit bemächtigt, gewissermaßen über sich hinausreicht, die Schranken der Subjektivität übersteigt." (42)
Hier tritt viel klarer als bei HUSSERL das Wesen der Intention hervor. Die Intention ist nämliche eine subjektive Tatsache, ein inneres Erlebnis, sie bedeutet gar kein wahrhaft objektives Verhältnis zwischen dem Akt und den Gegenständen. Diese notwendige Folgerung aus der Intentionaltheorie vernichtet diesen Standpunkt vollständig. In MEINONGs Gegenstandstheorie kommt jene zur Selbstzerstörung.

Dieses wahrhaft objektive Gerichtetsein auf einen transzendenten Gegenstand kann nie Tatsache eines rein subjektiven Erlebnisses sein, weil es die Schranken der Subjektivität überschreitet. Jedes Erlebnis wird immer durch sich selbst erschöpft, es geht völlig in sich selbst auf. Wie der transzendente Gegenstand nie "erlebt" werden kann, ebensowenig auch die objektive Intention auf ihn, gerade darum, weil sie eine Intention auf etwas ist, was nicht in ihrem Bereich (als eines Erlebnisses) liegt:
    "Das, was als ein objektives Gerichtetsein bezeichnet wird, ist keine objektive Beziehung, sondern nur ein inneres Erlebnis, ein Hinstreben, eine innerliche Tendenz nach dem Erfassen des Gegenstandes." (43)
Es drückt kein Verhältnis zwischen einem Objektiven und Subjektiven aus, sondern liegt selbst ausschließlich im Bereich des Subjekts. Es ist kein Verhältnis, sondern ein Erlebnis. Das Ziel dieser Theorie bleibt unerfüllt. Sie will eine Beziehung zwischen dem Subjekt und dem für dieses transzendenten Objekt im Begriff der Intention fixieren, und am Ende kommt sie zu einem solchen Begriff der Intention, welcher jede Beziehung zum Objekt ausschließt; das, was sie als Beziehung aufstellt, fällt völlig auf die Seite eines der beiden Glieder der vermeintlichen Beziehung, und die Glieder selbst - den Gegenstand und den subjektiven Akt, die Intention einschließend - stehen einander ohne jedes Band gegenüber. Es gibt keine Intention eines psychischen Aktes auf einen Gegenstand, da diese Intention selbst eine psychische Tatsache ist. Wenn wir ein Verhältnis zwischen A und B erklären oder zumindest beschreiben wollen, so muß dieses Verhältnis als solches von beiden Gliedern der Relation verschieden sein; wenn wir aber zu der Erkenntnis gelangen, daß diese vermeintliche Relation mit einem Glied der Relation (mit A) völlig zusammenfällt oder zumindest einen Teil von A selbst darstellt, so bleiben A und B ohne jede Relation, wie früher. Es gibt also kein objektives Gerichtetsein unseres psychischen Bewußtseins auf einen Gegenstand; es bleibt bei der leeren Prätention, welche erkenntnistheoretisch keine Rechtfertigung hat und haben kann.

Die Wurzel des Irrtums bei dieser Theorie liegt in derselben Verwechslung beider Begriffe des Bewußtseins, auf welche wir schon bei den psychologistischen Theorien hingewiesen haben. Als Erkenntnissubjekt wird das objektive psychische Bewußtsein aufgestellt und aufgrund dessen schließt man weiter, daß der Gegenstand von diesem "Bewußtsein" völlig verschieden ist; das eine ist räumlich, das andere unräumlich, das eine kann rot sein, das andere nicht. (44) Wenn man aber das annimmt, so soll man dann diese Annahme zumindest bis zur letzten Folgerung durchdenken und nicht nur Verschiedenheit, sondern die völlige erkenntnistheoretische Getrenntheit beider annehmen; das psychische Bewußtsein steht nicht dem Gegenstand erkennend, sich auf ihn richtend gegenüber; diese Funktion kommt nur dem Bewußtsein als solchem (gleichgültig physischem oder psychischem) zu.

Als eins der verbreitetsten philosophischen Vorurteile erscheint mir die Meinung, als ob das Bewußtsein nur mittels eines psychologischen Subjekts die Welt denken und erkennen kann, als ob es eine Konzentration bräuchte, damit in ihm die Erkenntnisprozesse möglich sind. Es wird dabei zur Voraussetzung gemacht, als ob das Bewußtsein selbst ein so abstraktes Wesen darstellt (Grenzbegriff im Prozeß der erkenntnistheoretischen Abstraktion), daß es sogar kaum als Bewußtsein bezeichnet werden darf. (45) Kurz: als eine dogmatische, fast selbstverständliche Voraussetzung aller erkenntnistheoretischen Systeme (sogar AVENARIUS nicht ausgenommen) erscheint die psychologische Introjektion. Dem psychologischen Bewußtsein wird Bewußtsein introjiziert, es wird als der eigentliche und unmittelbare Träger der Ichheit anerkannt. Sogar AVENARIUS und RICKERT, welche so klar die Objektivität des Psychischen erkannt haben, vermeiden nicht diese naive Konzeption (46). Sie lassen es außer aucht, daß ein Objekt ein "Vorgefundenes" nie als Subjekt, nie als derjenige, welcher vorfindet, behandelt werden darf.

Die Philosophie soll ein- für allemal jede Introjektion völlig verwerfen. Wie diese im Gebiet des Physischen unmöglich ist, ebenso unmöglich ist sie auf dem Gebiet des Psychischen, weil das Letztere nicht prinzipiell vom Ersteren verschieden ist. Unsere Psyche gehört zur Welt der Objekte und als Objekt befindet sie sich immer im Bewußtsein und kann nicht das Bewußtsein in sich einschließen. Das Bewußtsein ist der ganzen Welt immanent, ebenso und in demselben Sinn wie es der physischen Welt immanent ist; kein Objekt darf als Träger des Bewußtseins im Sinne einer Introjektion gedacht werden. Die ganze Welt ist die Welt des Bewußtseins; man darf aber daraus keine panpsychistische Folgerung ziehen und etwa sagen, daß die ganze Welt bewußt wäre. Die psychische Welt ist eine Welt des Bewußtseins, weil sie dem Bewußtsein immanent ist; in keinem Fall aber ist die umgekehrte Behauptung zulässig, daß das Bewußtsein unserer Psyche immanent ist.

Die psychische Welt ist nicht prinzipiell von der physischen verschieden; beide stehen zueinander gar nicht im Gegensatz des Erkennenden und des Erkannten, des Subjekts und des Objekts, denn unsere Psyche selbst ist ein Objekt und wird nur im Prozeß der psychologischen Erkenntnis als Objekt erzeugt. Und dieser Teil ist ebenso objektiv und ebenso "sinnlos" wie der physische. Die physische Welt besteht gerade aus denselben psychischen Elementen, welche nur in einem anderen Zusammenhang betrachtet werden; es ist dieselbe Welt der Empfindung und der Vorstellung. Es gibt nur eine objektive Welt, welche von zwei verschiedenen Standpunkten aus und in verschiedenen Zusammenhängen ein Mal als physische das andere Mal als psychische betrachtet wird (47). Die objektive empirische Wirklichkeit kann nich in zwei voneinander unabhängige, durch ein Wunder zu vereinigende Welten, von denen eine die andere wiederholt und widerspiegelt, geteilt werden. Das ist eine unnütze Verdoppelung der Welt. Es gibt kein Objekt und neben ihm noch seine Wahrnehmung oder Vorstellung. Das Bewußtsein findet Objekte oder Vorstellungen vor, aber nie werden die Objekte durch die Vorstellungen vorgefunden. Wenn das Ich einen Gegenstand betrachtet, so ist es der Gegenstand selbst und keine Vorstellung des Gegenstandes; und wenn es die Vorstellung betrachtet, so ist es die Vorstellung selbst und keineswegs die Vorstellung dieser Vorstellung. Kurz: es sind uns nur die Gegenstände oder Vorstellungen bekannt und nie die Beziehung beider zueinander. Das Psychische findet also nicht das Physische vor, sondern beide, das Psychische wie das Physische, werden im Bewußtsein als sein unmittelbarer Inhalt gefunden und gedacht (48). Die physische Welt (im Sinne einer unmittelbar wahrgenommenen, durch Wissenschaft noch nicht bearbeiteten Wirklichkeit) spiegelt sich nicht in unserer Psyche ab und wird gar nicht durch sie und in ihr erkannt; sie erscheint als ein ebenso unmittelbarer Inhalt des Bewußtseins, wie unsere Psyche selbst. Die Welt wird nicht durch das Individuum als objektiv vorgestellt, sondern schon als objektiv vorgestellt tritt sie in das Verhältnis mit dem Individuum ein, welches selbst ein objektiv dargestellter Teil dieser Welt ist.

Die Welt wird nicht durch das Individuum, sondern durch dasselbe Bewußtsein bewußt, wodurch das Individuum selbst bewußt wird. Das Bewußtsein überflutet die ganze Welt, denn die Welt ist eine Welt des Bewußtseins. Das Bewußtsein kann nicht als ein besonderes Prärogativ [Vorrecht - wp] einer bestimmten Art der Objekte betrachtet werden, weil alle Objekte die des Bewußtseins sind. Andererseits ist aber kein Objekt Träger des Bewußtseins im Sinne eines Subjekts und zwar gerade darum, weil es ein Objekt ist. Wie man das Bewußtsein nicht in das Innere des menschlichen Körpers introjizieren darf, ebenso darf man es nicht in das "Innere" der psychischen Individualität hineinversetzen. "Ichheit und Individualität sind sehr verschiedene Begriffe." (49) Die Ichheit ist das einzige Subjekt, der einzige Träger des Bewußtseins, welches nicht nur allen psychischen Individualitäten, sondern allen Objekten überhaupt gemeinsam ist. Sie ist der Inbegriff der die Welt konstituierenden und formenden Kategorien; sie liegt nicht außerhalb der Welt, als ein sie widerspiegelndes, mystisches Wesen, sondern sie ist die Objektivität selbst. Es gibt keinen Dualismus zwischen dem Bewußtsein und seinem Gegenstand; das, was Gegenstand ist, ist seiner gegenständlichen Form nach gerade das Bewußtsein selbst. Die Zeit ist Bewußtsein, der Raum ist Bewußtsein, alle Kategorien, d. h. alles, was das eigentliche Wesen der Gegenständlichkeit bildet, ist Bewußtsein; wenn wir von der Zeit das Bewußtsein wegdenken, so bleibt überhaupt nichts mehr von ihr übrig. Bewußtsein ist kein Prärogativ der psychischen Erscheinungen; jeder Gegenstand ist darum ein Gegenstand, weil er eine besondere Bestimmung des Bewußtseins darstellt. Die Subjektivität ansich ist nur eine besondere Betrachtungsweise der Objektivität ansich. Die Subjektivität ist der Inbegriff der die Welt konstituierenden Kategorien, wenn wir diese gerade als Kategorien, d. h. sub specie aeternitatis [im Licht der Ewigkeit - wp] betrachten. Das ist die kopernikanische Tat KANTs, daß er diesen Dualismus zwischen Subjekt und Objekt vernichtet hat, daß er gezeigt hat, daß "jede Objektivität aus dem Subjekt stammt".

Gerade darum aber darf das psychische Individuum nicht als ein Träger des Bewußtseins, als ein Subjekt der Erkenntnis betrachtet werden, weil dann dieser Dualismus unumgänglich wäre. Das Bewußtsein braucht keinen Träger außer sich selbst, und es kann keinen Grund außer sich selbst haben. Sein Verhältnis zum Gegenstand ist ganz unmittelbar und vollzieht sich gar nicht mit Hilfe der menschlichen Psyche.

Unsere Psyche als einen Vermittler zwischen der Welt und dem Bewußtsein hineinzuschieben, heißt die Frage nicht lösen, sondern sie nur aufzuschieben. Denn wir fragen weiter: Wie ist diese Beziehung des Bewußtseins zu unserer Psyche möglich? Wodurch wird unsere Psyche selbst als Gegenstand konstituiert? Wo liegt dasjenige Substrat, mittels dessen dieses Verhältnis ermöglicht wird? Vielleicht in einer anderen höheren Psyche? Aber dann sind wir genötigt, den höchsten Unsinn zu postulieren - eine unendliche Reihe der psychischen Subjekte! - Nein! Es gibt keine Vermittler zwischen dem Bewußtsein und seinem Gegenstand und kann auch keinen geben. Das Ich produziert aus sich selbst heraus spontan, durch seine eigenen Kategorien das Nicht-Ich. Darin besteht das Wesen jeder Kategorie, daß diese notwendig ihren Inhalt objektiviert, daß sie das Subjekt (d. h. sich selbst) zum Objekt macht, oder besser als Objekt, als eine Seite des Objekts überhaupt, denkt. Das Nicht-Ich ist dasselbe Ich, nur von einer anderen Seite betrachtet, nämlich von der Seite seiner zeitlichen, räumlichen und kategorialen Bestimmtheit. Und umgekehrt ist das Subjekt dasselbe Objekt nur sub specie aeternitatis als Bewußtsein betrachtet. Subjekt und Objekt sind immer prinzipiell verschieden und doch immer identisch; es sind nur zwei Seiten derselben Welteinheit. Das Nicht-Ich ist kein Gegensatz zum Ich und steht mit diesem in keinem Widerspruch. Die Frage darüber, wie es möglich ist, daß im Bewußtsein etwas absolut Unbewußtes, z. B. ein physisches Objekt gegeben sein kann, kann nur durch ein Mißverständnis hervorgerufen werden.

Jedes Objekt ist dem Bewußtsein immanent und in diesem Sinn erscheint die ganze Welt als bewußt; aber keinem Objekt darf das Bewußtsein als seinem Subjekt introjiziert werden, und in diesem Sinn bleibt jedes Objekt, unsere Psyche nicht ausgenommen, unbewußt. Wir haben ebensowenig recht, das Bewußtsein den psychischen Individuen, wie den physischen Körpern zu introjizieren; denn das (worin es auch immer ist) introjizierte Bewußtsein verwandelt sich dadurch in ein Ding und hört auf, Bewußtsein zu sein. Diese so oft zu beobachtende Tendenz zur Introjektion ist ein Rest der realistischen Metaphysik. Der reine Idealismus soll sich von dieser Tendenz völlig befreien. Im Sinne der Introjektionstheorie gehören die beiden Welten, wie die physische so auch die psychische, zum Reich der unbewußten Objekte, aber auch das nur im Sinne der Introjektion.

Man darf nicht die psychische Welt als eine Welt des Bewußtseins und die physische als die der Materie definieren; denn die Materie kann nur im Bewußtsein gegeben und gedacht werden; beide Welten sind im gleichen Maß und in demselben sinn immanente Inhalte des Bewußtseins, beide werden durch das Bewußtsein als seine Objekte, als seine unmittelbar gegebenen Bestimmungen erzeugt und konstruiert. Wie es keine physische Welt ohne das elementare naturwissenschaftliche Bewußtsein gibt, ebensowenig gibt es eine psychische Welt ohne eine elementare, psychologische Reflexion; beide Welten werden im Prozeß der wissenschaftlichen Entwicklung, im Prozeß der differenzierenden Objektivation erzeugt. Aber gerade kraft dessen kann diese Objektivation selbst, also die Wissenschaft als eine noetische Einheit, welche das kategoriale Wesen beider Welten bildet, zu keiner von beiden gehören. Kein Akt der Objektivation, d. h. der objektivierend Erkenntnis kann innerhalb der menschlichen Psyche geschehen, weil die Psyche selbst schon ein Produkt dieser Objektivation ist. Prozesse der Objektivation, Prozesse der wissenschaftlichen Gegenstandserzeugung geschehen im Bewußtsein selbst und in keinem Fall in seinem Objekt; darum ist Erkenntnis ebensowenig auf dem Gebiet des Psychischen, wie auf dem des Physischen möglich. Sie ist eine außerweltliche Erscheinung; in dem Sinne außerweltlich, daß sie nicht unter dem Gesichtspunkt der Objektivität betrachtet werden kann. Die Erkenntnis ist keine Wirklichkeit, obgleich sie nirgendwo außerhalb der Wirklichkeit vorhanden ist; sie vollzieht sich nur an der Welt, aber nicht in der Welt. Was aber in der Welt existiert, kann sich nicht zur Erkenntnis erheben; so ist es auch mit unserer Psyche; sie ist ein Gegenstand; darum kann sie nicht die transzendentale Funktion der Gegenstandserzeugung auf sich nehmen. Der Gegenstand kann nur in einem noetischen Prozeß der Erkenntnis und nicht in dem des Lebens erzeugt werden.

Was aber ist Erkenntnis in einem noetischen Sinn? Zwei Momente scheinen für diesen Begriff besonders charakteristisch zu sein. Erkenntnis ist erstens Bewußtsein; das ist das genus proximum [nächsthöhere Gattungsbegriff - wp]für ihre Definition. Als ihre differentia specifica [Artunterschied - wp] nehmen wir ihre eigentümliche Beziehung zur Wahrheit an (50). Die Erkenntnis läßt sich also als Bewußtsein oder Bewußtwerden der Wahrheit definieren und insofern als sie in eine Beziehung zur Wahrheit tritt, insofern geht sie aus der Sphäre der psychologischen Betrachtung heraus.

Die Gesetze dieser Beziehung, sogar dann, wenn wir die Erkenntnis als einen realen psychischen Vorgang betrachten (51), dürfen nicht psychologisch interpretiert werden. Das psychologische Verhältnis findet immer zwischen zwei oder mehreren realen psychischen Vorgängen statt. Wenn wir aber auf der einen Seite einen Akt des Erkennens und auf der anderen Seite eine ideale Wahrheit haben, so ist zwischen ihnen kein reales Verhältnis möglich, ebensowenig wie zwischen meinen fünf Fingern und der Zahl "5". "Reales kann zu Idealem nie in einer Real- sondern nur in einer Idealrelation stehen." (52) Wenn wir also die Erkenntnis als einen psychischen Prozeß auffassen, sogar dann scheint sie einer "doppelten Gesetzgebung" (53) unterworfen zu sein; gerade in ihrer Bezogenheit auf die Wahrheit, auf die "Norm" tritt sie aus der Sphäre der psychologischen Gesetzlichkeit heraus, weil ihre Gesetze nicht in den einzelnen Akten des Erkennens und nicht in den verschiedenen Bedingungen des individuellen Lebens, sondern in der "Idee der Erkenntnis" überhaupt (54) wurzeln. Den glänzenden Untersuchungen einer Reihe der bedeutendsten Logiker der Gegenwart (55) verdanken wir, daß die eben skizzierte Gedankenreihe mehr und mehr an Boden gewinnt und zu einem Grundbesitztum der Erkenntnistheorie wird. Allen diesen Forschungen, so verschieden gefärbt sie auch sind, liegt eine gemeinsame Voraussetzung zugrunde: sie alle nehmen jeden einzelnen Akt der Erkenntnis als ein psychologisches Datum an und nur insofern sie dieses Datum in Zusammenhang mit der Wahrheit (Sollen, Norm oder Wissenschaft) bringen, betrachten sie es von einem außerpsychologischen Standpunkt aus; nicht die Erkenntnis ansich ist außerpsychisch, sondern eine besondere Betrachtungsweise hebt sie aus dem Gebiet des Psychischen heraus; nur von einem besonderen Standpunkt aus erscheint sie als etwas Unpsychisches. Nicht die Verschiedenheit der Objekte, sondern eben die der Betrachtungsweise und des Standpunkts macht den Unterschied zwischen Noetischem und Psychischem aus. Sogar bei COHEN macht diese "Zweistandpunktheorie" geltend. (56) Bei allen diesen Denkern erscheint die Erkenntnis ansich als etwas Psychisches und nur in ihrer Bezogenheit auf die Wahrheit wird sie einer anderen Gesetzmäßigkeit unterworfen. Wir glauben aber noch einen kleinen Schritt weiter gehen und als Grundsatz der allgemeinen Erkenntnistheorie folgende Behauptung aufstellen zu können: Nicht nur "insofern", sondern überhaupt "wenn" der Akt ein Akt der Erkenntnis ist, ist er keine psychische Erscheinung, und von keinem Standpunkt aus darf er als etwas Psychisches betrachtet werden. Jeder Akt der Erkenntnis steht kraft seines logischen Charakters, kraft seines ideal-logischen Zusammenhangs mit der Wahrheit außerhalb der psychischen Reihe überhaupt. Alles Psychische ist und bleibt immer ein Objekt des Denkens, ein Gegenstand der Erkenntnis; es entsteht erst im Prozeß der wissenschaftlichen Bearbeitung der objektiven, empirischen Wirklichkeit; nur die Wissenschaft vermag diese Trennung der Welt in eine physische und psychische zu vollziehen. Vor dieser wissenschaftlichen Bearbeitung gibt es also kein psychisches Bewußtsein, sondern nur Welt und Ich. Das psychische Individuum ist also ein Produkt der wissenschaftlichen Reflexion und ist nicht prinzipiell von den physischen Gegenständen verschieden, weil es aus der objektiven, empirischen Wirklichkeit entstanden ist; es ist ein bestimmter Inhalt des Bewußtseins und folglich kann es keinen anderen Inhalt in sich einschließen, auf keinen anderen außer sich selbst gerichtet sein; es kann nie zum Bewußtsein selbst werden, weil es sein Inhalt ist; folglich kann es auch nichts erkennen, sondern nur erkannt werden und als Erkanntes setzt es schon das Subjekt des Erkennens als etwas Außerpsychisches voraus. Das erkennende Subjekt darf nie als ein psychisches Objekt betrachtet werden; denn, setzen wir voraus, daß dieses Subjekt seinerseits ein Objekt ist oder zumindest sein kann, so werden wir genötigt, für dieses Objekt wiederum ein Subjekt zu postulieren usw. ins Unendliche. Dieser Prozeß der Subjektivierung kann aber entweder zu Ende gebracht werden, und dann gelangen wir zu einem Subjekt der Erkenntnis, welches als solches kein Objekt sein kann - was allerdings noch zu beweisen wäre - oder dieser Prozeß bleibt unendlich, dann verwandelt sich die Welt in eine unendliche Reihe der Objekte ohne Subjekt - was unmöglich ist. Wenn wir existieren, so existieren wir immer als Objekte des Denkens, als Inhalte des Bewußtseins; in einem psychologischen Sinn sind "wir" nichts anderes als ein Teil der objektiven Wirklichkeit. Als denkende und erkennende Subjekte aber haben wir keine Existenz, sondern eben nur das Denken. Nur insofern darf man sagen, daß Denken und Erkennen "existieren", als sie in ihren Objekten leben und sich äußern, als sie sich in Objekte verwandeln. "Cognoscere est fieri rem cognitam." [Denn wir vermögen nur das in der Wahrheit zu erkennen, wozu wir selbst geworden sind. - wp] Das Denken steht seinem Objekt nicht als ein von ihm unabhängiger und seinerseits objektiver Prozeß gegenüber. Mit seinem Objekt stellt es eine unzertrennliche Einheit dar, wobei nur das Objekt eine reale Existenz hat. Das Denken selbst aber, als letztes Subjekt, darf nicht als etwas real Seiendes betrachtet werden, denn als solches würde es wieder und wieder das Denken voraussetzen, und so könnten wir nie zu einem letzten Subjekt gelangen. Der Gegenstand und die ihn konstituierenden Kategorien bilden im Grunde genommen eine Einheit; diese ideelle Einheit kann nicht in zwei selbständige, voneinander unabhängige und gleichberechtigte Objekte zerlegbar sein. Das Denken selbst "existiert" nur in seinen Produkten und keineswegs ansich und von diesen unabhängig; es schmilzt mit seinem Gegenstand zusammen und bildet mit ihm eine unzertrennliche Einheit.

Es existieren also nur Objekte der Erkenntnis (57) - ob diese physische oder psychische sind, ist dabei gleichgültig; das Denken selbst aber ist kein Objekt (58) (im Sinne eines realen Gegenstandes): darum darf es nicht als etwas in der Zeit Geschehendes, als etwas real Seiendes betrachtet werden. Sofern wir denken, erscheinen wir als ein und dasselbe "reine Denken", und insofern erheben wir uns über das Gebiet des Psychischen und des Gegenständlichen überhaupt. "Bewußtheit" wird zum "Bewußtsein". Sofern wir denken, existieren wir nicht. Cogito ergo non sum. Die scheinbare Paradoxie dieser Folgerung wird durch eine einfache wörtliche Umbildung der kartesianischen Formel beseitigt. Cogitatus sum ergo sum - das kann man wohl sagen, aber cogito ergo sum - diese Behauptung ist gewiß ein Produkt erkenntnistheoretischer Naivität. Solange wir auf dem Standpunkt der zeitlichen Objektivität stehen, haben wir keinen Begriff des Bewußtseins, sondern nur den der Dinge. Der Begriff des Bewußtseins wird nur dann geboren, wenn die Dinge sub specie aeternitatis betrachtet werden. "Soviel ist sicher, alle Zeit muß fort sein, wo diese Geburt anheben soll!" (59)

HERMANN COHEN und die ganze sogenannte Marburger Schule (60) scheinen daraus eine unzulässige Folgerung zu ziehen: sie sind geneigt, die Möglichkeit einer empirischen Psychologie zu verneinen. Dieser Verneinung hat COHEN einen kurzen Ausdruck in einer Grundforderung seiner Logik gegeben: "also fort mit der Bewußtheit" (61) "Bewußtheit ist Mythos, Bewußtsein ist Wissenschaft". (62) - das ist zwar eines der glänzendsten und doch verhängnisvollsten Schlagworte aus COHENs Logik da es die Bedeutung eines fehlerhaften Extrems hat. Man darf nicht die Realität des psychologischen Subjekts einfach verneinen, man soll es nur in die Welt der Objekte hineinversetzen und als einen Teil der objektiven Wirklichkeit behandeln. Wenn wir es aber in die Welt der Objekte hinübertragen, berauben wir es jeder logischen Beziehung zur Welt der Wahrheit. Denn die Wahrheit zu erkennen, vermag nur das Subjekt, weil es selbst nichts anderes ist, als der Inbegriff der Wahrheitskategorien, nur nich in der starren Form der logischen Geltung, sonderin in ihrer lebendigen Anwesenheit im Objekt, sozusagen in ihrer Tätigkeit. Das psychologische Subjekt verliert jede Möglichkeit zu erkennen, weil in ihm keine Kategorien liegen, sondern solche nur an ihm haften können. Es verwandelt sich aus dem noetischen Prozess der Erkenntnis in den des Lebens. Als Objekt der Erkenntnis kann es nie zu ihrem Subjekt werden. Das psychologische Individuum ist, um mit AVENARIUS zu sprechen, ein E-Wert, also ein Inhalt des Bewußtseins; kein Inhalt aber kann einen anderen Inhalt zu seinem Inhalt haben; darum ist für das psychologische Individuum die Möglichkeit eines Verhältnisses zum "Inhalt" ganz ausgeschlossen.

Es ist aber ein Vorurteil, daß das Bewußtsein eine psychische Erscheinung ist. Wenn man mich fragt: was ist dann aber dieses unpsychische Bewußtsein? so kann ich nur mit einer Tautologie antworten: es ist eben das Bewußtsein, welches sich selbst kennt; man irrt sich nur darin, daß es ein zeitlicher Prozeß ist; es kann nicht zeitlich oder räumlich sein, weil es die Zeit und der Raum selbst ist. Es ist kein außerindividuelles mystisches Wesen (63); es ist in jedem Individuum, wie in jedem anderen Objekt vorhanden. Es ist das gewöhnliche Bewußtsein, welches wir alle kennen, weil alle in diesem Bewußtsein vereinigt, weil "wir selbst" dieses Bewußtsein sind. Wir sind nur als Objekte, als verschiedene Individualitäten und nicht als Subjekte verschieden.

Setzen wir aber voraus, daß durch unsere psychischen Akte die Wahrheit aufgefaßt werden kann, daß diese Akte in bestimmte Verhältnisse zu ihr eintreten können, und dann fragen: was für einen Charakter hat dieses Verhältnis? Unter welche Art der Verhältnisse kann es subsumiert werden? und uns dann der Erkenntnistheoretiker, wie wir zeigen werden, auf diese Frage keine Antwort geben kann, wenn er den Charakter dieses Verhältnisses weder zu verstehen, noch zu erklären oder zu beschreiben, noch ihn aufzuzeigen vermag, so baut er seine ganze Theorie durchaus auf ein Wunder. Bleibt ihm nur übrig, an die Möglichkeit dieses Verhältnisses zu glauben, ohne zu wissen, was es seinem Wesen nach eigentlich ist, so heißt das, ein Wunder zu einem Dogma zu erheben. Versuchen wir zu beweisen, daß dem Erkenntnistheoretiker außer diesem Glauben an ein Wunder in der Tat nichts übrig bleibt.

Die Wahrheit, als eine ideelle, über- und außerzeitliche Geltungseinheit, bleibt immer dem Akt tranzendent, weil jeder Akt immer eine bestimmte, in der Zeit gegebene Realität ist; die Wahrheit als eine transzendente Norm kann nie in einem Akt des Urteilens liegen. Das ist die Voraussetzung der transzendenten Erkenntnistheorie. Die Aufgabe des Bewußtseins liegt in der "Anerkennung" dieser transzendenten Gültigkeit der Wahrheit, in ihrer "Auffassung". Wir fragen nun, was für ein Wesen hat diese Anerkennung? Worin besteht diese? Was ist dieses intentionale Verhalten zur Wahrheit?

Bei RICKERT wird diese Frage zu allererst als ein Problem aufgestellt, weil er der Erste war, welcher die absolute Transzendenz der Norm, als Norm (nicht als Sein) entdeckte. Aber das Problem, welches in dieser Frage steckt, ist in seinem System noch so wenig bestimmt, daß er sogar jeden Versuch unterließ, es zu beantworten. Er begnügt sich nur mit der einfachen Behauptung dieses Zusammenhangs zwischen dem Sollen und dem Bewußtsein, ohne zu versuchen, sein Wesen aufzuklären. Aber wie ist diese Anerkennung möglich? Und weiter: was ist sie überhaupt? Es ist klar, daß sie eine Relation ist. Aber was für ein Wesen hat diese Relation? Die Behauptung, daß diese Anerkennung ein bestimmtes Gefühl ist, wird keineswegs die Sachlage zu erklären vermögen; denn gerade nach dem Charakter der Beziehung dieser Gefühle zur transzendenten Gültigkeit wird ja gefragt. Wie ist die Beziehung eines Gefühls der Urteilsnotwendigkeit zur Wahrheit zu denken? Zu welcher Art des allgemeinen Begriffs "Relation" gehört sie?

Eine ausführliche Antwort auf diese Frage versucht, wie wir gesehen haben, das logische System HUSSERLs zu geben. HUSSERL denkt das Verhältnis zwischen einem Urteilsakt und seinem Sinn als ein rein logisches Verhältnis des Allgemeinen zum Besonderen, der Idee zu ihrem Einzelfall (64). Das Verhältnis zwischen ihnen ist dasselbe, wie das zwischen einer bestimmten Rot-Empfindung und dem allgemeinen Begriff der Röte überhaupt. Von keinem realen "Eintreten" oder "Auffassen" darf hier die Rede sein. Der psychische Akt der Erkenntnis "erfaßt" die Wahrheit nicht, sondern realisiert sie nur ganz unmittelbar. Er selbst ist dieselbe Wahrheit, nur in ihrer konkreten Erscheinung, sozusagen in einer individuellen Umhüllung. Die einzelnen Akte des Urteilens sind Beispiele für dasselbe Urteil in specie.

Gegen eine solche Auffassung kann ich folgenden Einwand erheben: Durch die Ideation von einem Akt der Evidenz können wir die Idee dieses Aktes und in keinem Fall seinen logischen Sinn gewinnen, ebenso wie durch die Ideation von einem Akt des Zählens wir nur die Idee des Zählens und nicht die der Zahl gewinnen können. Die Idee des Zählens ist kein mathematischer, sondern ein psychologischer Begriff; ebensowenig ist die Idee des evidenten Erkennens ein logischer, sondern sie ist ebenfalls nur ein psychologischer Begriff.

Somit ist das logische Verhältnis zwischen der Wahrheit und dem Akt ihrer Erkenntnis unmöglich, denn die Wahrheit ist ebensowenig die Idee eines Aktes, wie die Zahl eine Idee des Zählens ist.

Vielleicht kann man den Schlüssel zur Lösung dieses Rätsels im Begriff des Erlebnisses finden? Aber das "Erlebnis" ist nur ein Wort, und in diesem Wort wiederholen wir nur die Frage, ohne sie zu lösen. Denn nach der Möglichkeit und dem Charakter dieses Erlebnisses fragen wir ja gerade.

Wozu brauchen wir aber diese gegebene Art der Relation unter ein genus zu subsumieren? Es ist möglich, daß wir in diesem Fall eine ganz besondere, von allen anderen verschiedene Art des Verhaltens, also weder ein logisches, noch ein kausales, noch ein mathematisches Verhältnis vor uns haben. Es kann eine völlig eigentümliche, auf keine Weise definierbare Art des Verhaltens sein; das logische oder kausale Verhältnis ist ja gleichfalls undefinierbar.

Nehmen wir auch das einmal an! Dann verlangen wir aber, daß dieses Verhältnis uns, wenn nicht erklärt, so zumindest gezeigt wird. Man kann an einem Beispiel zeigen, was z. B. das mathematische Verhältnis seiner besonderen Natur nach ist. Dazu aber reicht die Kraft des menschlichen Verstandes nicht aus um uns das intentionale Verhältnis klar zu machen; denn dieses Verhältnis ist, als ein Verhältnis zum Transzendenten, selbst dem Verstand transzendent. Um es zu finden und zu zeigen, soll die menschliche Psyche aus ihren eigenen Grenzen heraustreten und in sich dasjenige widerspiegeln, was durch keine Analyse in ihr gefunden werden kann. Aber wo ist denn das Kriterium der Richtigkeit dieser Widerspiegelung? Alle Einwände, welche gegen die Abbildungstheorie angeführt werden, können auch gegen diese Konzeption gerichtet sein. Sie vermag also dieses intentionale Verhältnis weder zu begreifen noch zu erklären, sogar dasselbe nicht einmal zu Gesicht zu bringen. Sie ist genötigt, es als ein ihr völlig unbekanntes und unbegreifliches Wunder zu postulieren. Ihr Dogma verwandelt sich zu einem Wunder und ihr Wunder bleibt nichts mehr als ein Dogma (65).

Das psychische Bewußtsein ist also nicht dasjenige, welches in einem logischen Sinn denkt und erkennt, welches sich auf einen Gegenstand bezieht; wir werden später zeigen, daß die Erkenntnis im logischen und die Erkenntnis im psychologischen Sinn zwei ganz verschiedene und heterogene Prozesse sind. Wenn die Sache sich so verhält, so darf man daraus, daß der Gegenstand von einem psychischen Bewußtsein prinzipiell verschieden ist, noch gar nicht den Schluß ziehen, daß der Gegenstand überhaupt jedem Bewußtsein transzendent ist. Die Intentionaltheorie stellt sich von Anfang an auf einen falschen Boden. Sie untersucht das Verhältnis des psychischen Bewußtseins zum Gegenstand und fixiert dieses Verhältnis im Begriff der Intention; dann überträgt sie aber dieses vorausgesetzte Verhältnis auf die Wahrheit und konstituiert eine Welt des Seins, welche in demselben intentionalen Verhältnis zur Wahrheit wie der Gegenstand zum Bewußtsein steht. Sie vergißt, daß die Erkenntnistheorie nicht mit einem psychischen Bewußtsein anfangen darf, und daß die psychologische Intentionalität auf das erkenntnistheoretische Subjekt bezogen jeden Sinn verliert. Das erkenntnistheoretische Bewußtsein "intendiert" keinen Gegenstand, sondern ist der Gegenstand selbst. Das psychische Bewußtsein aber steht nicht zu den äußeren Dingen im Verhältnis eines Subjekts zu seinem Objekt, kann also kein Objekt erkennen und fällt damit von vornherein aus dem Gebiet der Erkenntnistheorie heraus. Die erkennende Beziehung zur Wahrheit ist für das psychische Bewußtsein unmöglich; darum folgt aus den Eigenschaften dieses Bewußtseins für die Erkenntnistheorie nichts. Daß das psychische Bewußtsein intentional zu sein scheint, beweist noch nicht, daß die Gegenstände eben intentionale Gegenstände sind. Vom Standpunkt des psychischen Bewußtseins ist die Intentionalität eine subjektive Jllusion; wir haben gezeigt, daß sie keine objektive Beziehung, sondern nur eine subjektive Prätention auf eine solche darstellt. Vom Standpunkt der Erkenntnistheorie aber hat sie überhaupt keinen Sinn, weil der Gegenstand selbst eben Bewußtsein ist.
LITERATUR, Heinrich Lanz, Das Problem der Gegenständlichkeit in der modernen Logik, Kantstudien, Ergänzungsheft Nr. 26, Berlin 1912
    Anmerkungen
    32) Es ist zu bemerken, daß bei einer solchen Auffassung die Allgemeinbegriffe nur dem Ursprung nach, nicht aber nach ihrer Bedeutung für die Erkenntnis apriorische sind; die Apriorität bedeutet hier nicht Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit ihrer Beziehung zu den Gegenständen der Erfahrung.
    33) Meinong, Über Annahmen, Seite 18
    34) Meinong, Über die Stellung der Gegenstandstheorie im System der Wissenschaften, Seite 9
    35) Meinong, Gegenstandstheorie a. a. O., Seite 16.
    36) a. a. O., Seite 17
    37) Unter Objektiv im Unterschied von Objekt versteht Meinong das ideelle sein einer Prädikation; so z. B. die gerade Linie ist Objekt; daß aber diese Linie den kürzesten Weg zwischen zwei Punkten bildet, ist ein Objektiv (Über Annahmen, Seite 150-209).
    38) Ernst Mally, Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, Seite 173.
    39) Meinong, Über Annahmen, Seite 96
    40) Meinong, a. a. O., Seite 97.
    41) Meinong, Über Annahmen, Seite 103: "Darum empfiehlt es sich, den Gedanken der Gegenständlichkeit statt auf das Urteil auf die Annahme zu bauen."
    42) Meinong, Über Annahmen, Seite 109.
    43) Meinong, a. a. O. Seite 103
    44) Die Intentionaltheorie steht und fällt mit dieser Behauptung; sie geht aus von einem intentionalen Gerichtetsein des psychischen Bewußtseins auf seinen Gegenstand; sie betrachtet das Bewußtsein als eine Eigentümlichkeit des psychischen Subjekts. Wenn es uns also zu beweisen gelingt, daß das Bewußtsein, welches etwas mit dem Gegenstand zu tun hat, nicht das "psychische" sein kann und ansich gar nicht vom Objekt verschieden, sondern mit ihm identisch ist, so wird damit die Jllusion der Intentionalität zerstört. Diesen Beweis versucht eben die folgende Argumentation zu geben.
    45) In dieser Beziehung ist die Behauptung Fichtes sehr charakteristisch, daß "das reine Bewußtsein nie zum Bewußtsein gelangt" (Grundlage zur gesamten Wissenschaftslehre, Bd. 1, Seite 100).
    46) Bei Avenarius bildet diese Konzeption seinen fundamentalsten Standpunkt, da er kein anderes Bewußtsein als das psychische kennt. Bei Rickert erscheint das empirische Bewußtsein als der eigentliche Träger und Schöpfer der Wissenschaft (methodologische Kategorie). Siehe Rickert, Gegenstand der Erkenntnis, Kapitel 4, IV, Seite 205 - 228.
    47) Dieser Gedanke von Avenarius ist in unserer Zeit durch eine ganze Reihe moderner Logiker akzeptiert worden. Besonders kommen in dieser Beziehung in Betracht: Mach, Die Analyse der Empfindungen, Seite 13, 14, 26, 36, 48, 56; Theodor Lipps, Grundzüge der Logik; Rickert, Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 151-183.
    48) vgl. Avenarius, Der menschliche Weltbegriff, § 143.
    49) Fichte, Zweite Einleitung in die Wissenschaftslehre, Werke I, Seite 504.
    50) Im Grunde genommen ist die Erkenntnis die Wahrheit selbst, nur in ihrer lebendigen Anwesenheit an der Wirklichkeit. Die Wahrheit als reine Gültigkeit, als Idee, ist das Wahrheitsbewußtsein selbst nur ohne das Moment des Bewußtseins; sie ist mit der Erkenntis identisch und nichts außerhalb derselben; sie ist nur ein Moment an der Erkenntnis und nur als ein solches Moment, welches logisch von ihr unabtrennbar ist, darf sie als "Idee" gelten. Die Erkenntnis richtet sich nicht auf die Wahrheit, sondern erhält sie als Moment in sich. Dadurch wird aber die Wahrheit nicht zur psychischen Erscheinung, weil die Erkenntnis selbst keine psychische Erscheinung ist.
    51) Und folglich die Wahrheit als von ihr verschieden auffassen.
    52) Meinong, Über Annahmen, Seite 127
    53) Windelband, Normen und Naturgesetze, Präludien, Seite 255f.
    54) Husserl, Logische Untersuchungen, Bd. 1, Seite 239.
    55) Außer den eben zitierten Autoren sind in dieser Hinsicht noch Rickert und Cohen von besonderer Wichtigkeit.
    56) In seinem Werk "Kants Theorie der Erfahrung" steht er vollständig auf diesem Boden und betrachtet Raum, Zeit und Kategorien einerseits in einem rein transzendentalen Sinn, als Elemente des reinen Bewußtseins und als Methoden der Objektivation, andererseits aber als ein "ursprüngliches Quale der Bewußtheit", als ein letztes und weiter unanalysierbares psychologisches Datum. Obgleich sie zu den Methoden des reinen Bewußtseins gehören, bleiben sie zugleich "Tatsachen der Bewußtheit" (vgl. Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, zweite Auflage, 1885, Seite 73-79, 198-209, 249-250. Siehe auch ders. Logik der reinen Erkenntnis, Seite 392/3.
    57) Oder besser: die Erkenntnis als Objekt.
    58) Dagegen kann man einwenden, wie man es in Bezug auf die Erkenntnistheorie Rickerts einzuwenden versuchte (u. a. Husserl), daß auch der Akt oder das Bewußtsein im Ganzen als Gegenstand der erkenntnistheoretischen Erwägung fungiert, und darauf zum Objekt wird, folglich kann es niemals vermeiden, eine unendliche Reihe der Objekte postulieren zu müssen. Dieser Einwand kann aber nur durch ein Mißverständnis hervorgerufen sein. Bewußtsein und Erkenntnis sind gewiß Objekte, aber doch in jenem total veränderten Sinn, in dem überhaupt etwas Ideelles ein Objekt ist. Die oben angedeutete Argumentation richtet sich nicht gegen die Objektivität des Bewußtseins überhaupt, sondern eben gegen seine reale Objektivität, gegen seine Existenz. Nur die reale Welt ist ohne ein sie denkendes Subjekt unmöglich; das Bewußtsein aber als ein ideales Objekt braucht nicht seinerseits ein neues Bewußtsein, um sich seiner selbst bewußt zu werden. Die Intentionalität wird hier völlig aufgehoben.
    59) "Meister Eckharts Schriften und Predigten", übersetzt und herausgegeen von Hermann Büttner, Bd. 1, Seite 2.
    60) Besonders Johannes Paulsen, Das Problem der Empfindung, Philosophische Arbeiten hg. von Cohen und Natorp, Bd. 1, 4. Heft, Seite 241-355.
    61) Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, Seite 365.
    62) Cohen, a. a. O., Seite 366.
    63) Was Windelband als "überindividuelles Bewußtsein" bezeichnet und was gleichbedeutend ist mit der "transzendentalen Einheit der Apperzeption" bei Kant, ist keine außerindividuelle Persönlichkeit; jenes Bewußtsein ist nur innerhalb der einzelnen Individuen wirksam, und verhält sich zu diesen als ein und dasselbe identische Subjekt zu seinen einzelnen Objekten. Es steht überhaupt außerhalb dieses Gegensatzes des Individuellen und Allgemeinen, weil dieser Gegensatz nur innerhalb des Bewußtseins vorhanden ist. Es gibt aber nur ein und dasselbe, immer sich selbst identisch bleibende reine Denken und reine Erkennen. Alles Individuelle bleibt immer Objekt dieses Denkens. Überhaupt ist eine Ortsbestimmung in Bezug auf das Denken absurd. Das Denken existiert nicht innerhalb und nicht außerhalb des Individuums, sondern bleibt nur dem Individuum, und so jeden anderen Objekt immanent in dem Sinne, daß beide eine unzertrennliche Gegenstandseinheit bilden.
    64) Husserl, LU I, Seite 129, 171, 189 und öfter; LU II, Seite 97, 101, 594.
    65) Dieser Einwand fällt selbstverständlich weg, wenn wir die Erkenntnis als eine unpsychische, noetische Erscheinung betrachten; denn dann ist kein Zwang vorhanden, die Wahrheit absolut dem Bewußtsein transzendent zu denken, und folglich fällt die Frage nach ihrem Verhältnis zum Bewußtsein völlig fort. Denn nur das zeitliche Wesen der psychischen Akte macht diese Transzendenz unmöglich.