cr-4Hamann und HerderHerder und die Sprache    
 
JOHANN GOTTFRIED HERDER
Sprachkritischer Protestantismus der
Metakritik und das Zeugnis der Sprache


Der menschliche Verstand hat eine viel größere Kraft als dunkel zu schematisieren.

Wer einer Nation ihre Sprache verkünstelt (mit welchem Scharfsinn es auch geschehe), hat das Werkzeug ihrer Vernunft verdorben und ihr verleidet; einer Menge von Jünglingen hat er ihr edelstes Organ verstümmelt und den Verstand selbst, dessen Gebiet sich den Spekulationen nie abschließen kann, irregeleitet. Hätten wir aber eine größere Pflicht und Gabe, als den freien, innigen Gebrauch unseres Verstandes?  Protestantismus  ist also die  Metakritik;  sie protestiert gegen jedes der Vernunft und Sprache eben so unkritisch als unphilosophisch aufgedrängte Satzungenpapsttum.

Die menschliche Seele denkt mit  Worten;  sie äußert nicht nur, sondern sie bezeichnet sich selbst auch und ordnet ihre Gedanken mittelst der  Sprache.  Sprache, sagt LEIBNIZ, ist der Spiegel des menschlichen Verstandes, und, wie man kühn hinzusetzen darf, ein Fundbuch seiner Begriffe, ein nicht nur gewohntes, sondern unentbehrliches Werkzeug seiner Vernunft. Mittelst der Sprache lernten wir denken, durch sie sondern wir Begriffe ab und knüpfen sie, oft haufenweise, ineinander.

In Sachen der reinen oder unreinen Vernunft also muß dieser alte, allgemein-gültige und notwendige Zeuge abgehört werden, und nie dürfen wir uns, wenn von einem Begriff die Rede ist, seines Herolds und Stellvertreters, des ihn bezeichnenden Wortes, schämen. Oft zeigt uns dieses, wie wir zu dem Begriff gelangt sind, was er bedeute, woran es ihm fehle. Konstruiert der Mathematiker seine Begriffe durch Linien, Zahlen, Buchstaben und andre Zeichen, ob er gleich weiß, daß er keinen mathematischen Punkt machen, keine mathematische Linie ziehen könne und eine Reihe anderer Charaktere von ihm gar willkürlich angenommen sind: wie sollte der Vernunftrichter das Mittel übersehen, durch welches die Vernunft eben ihr Werk hervorbringt, festhält, vollendet?

Ein großer Teil der Mißverständnisse, Widersprüche und Ungereimtheiten also, die man der Vernunft zuschreibt, wird wahrscheinlich nicht an ihr, sondern an dem mangelhaften oder von ihr schlecht gebrauchten Werkzeuge der Sprache liegen, wie das Wort Widersprüche selbst sagt.

Glaube niemand, daß die hohe Kritik der reinen Vernunft hierdurch erniedrigt und die feinste Spekulation zur  Grammatik  werde. Es wäre gut, wenn sie in allem dies werden könnte, worauf auch Leibniz mit seiner Charakteristik ausging. Dem großen Sprachkenner, Sprachenforscher, Sprachenvergleicher war, wie hundert seiner Bemühungen zeigen, die Bezeichnung unserer Begriffe in ihren Ableitungen sowohl als Komplikationen die letzte und höchste Philosophie. Auch dem weisen LOCKE (wie seine Nation ihn ehrenhaft nennt), war das Organon unserer Vernunft, die Sprache nicht gleichgültig. Die Griechen drückten Vernunft und Rede mit einem Wort aus: Logos.

Mithin wird Metaphysik eine  Philosophie der menschlichen Sprache.  Welch ein großes Feld! Wie viel ist auf ihm noch zu bemerken, zu ordnen, zu säen, zu ernten! Nächst der Mathematik ist keine Philosophie, die den Verstand so aufklärt, die Begriffe so bestimmt, als diese, sie ist die wahre Kritik der reinen Vernunft sowohl als der Phantasie; der Sinne, des Verstandes hat sie allein die  Kriterien  in sich.

Laßt uns alles, was unser Verfasser (KANT) in seinen oft blendend glücklichen Ausdrücken vorträgt, sobald uns der Grund ihrer Behauptung entgeht, in unsre Sprache übersetzen. Denn jeder Mensch kann und muß allein in  seiner  Sprache denken. Wer das Eigentum dieser verloren hat und fremde Worte sinnlos nachlallt oder herbetet, hat für sich und andre den Grund aller Philosophie, das  eigne  Denken, zerstört.

Kann also die Metaphysik durch eine Transzendental-Ästhetik, Transzendental-Analytik, Transzendental-Dialektik geheilt oder verbessert und fortgeführt werden?

Das hieße den Schaden mit einem ärgern Schaden heilen. Hätte sich die Vernunft, z.B. durch Transzendenz ihrer selbst in luftleere Gegenden verirrt und verstiegen, bringt man sie zurecht, wenn man noch höher steigt und die Transzendenz transzendiert? Vollendes wenn auf einen Unbegriff, Sythesis vor allem und außer allem Gegebenen, die Sache ankommen soll und man von lauter Undingen ... von einer Vernunft, ehe Vernunft war, von Gegenständen, ehe Gegenstände sind, redet, so läuft man Gefahr, den wahren Gebrauch der Vernunft propädeutisch völlig wegzuvernünfteln.

Ist der Vernunft, wie die Geschichte zeigt, insonderheit dadurch viel Unheil zugestoßen, daß man sie mit der Streit- und Disputierkunst (Dialektik) verwechselte: wie könnte diese böse Feindin je ihren Schaden heilen oder einen besseren Gebrauch derselben gründen, wenn sie durch ein Dekret a priori sich sogar zur Schöpferin der Vernunft a priori machte?

Gerade der entgegengesetzte Weg ist der einzige, der fördert. Statt nämlich zu  transzendieren,  kehre die Vernunft auf den Ursprung ihres Besitzes, d.i. in sich selbst zurück, mit der Frage: "Wie kamst du zu dir und zu deinen Begriffen, wie hast du diese ausgedrückt und angewandt, verkettet und verbunden, woher kommts, daß du ihnen allgemeine, notwendige Gewißheit zueignest?"

Unterläßt sie diese Frage und isoliert sich von  aller  Erfahrung, so täte sie wohl, wenn sie sich auch von der Sprache isoliert, denn diese hat sie gewiß, doch nur durch Erfahrung. Geriete sie endlich soweit ins Wahnreich, daß sie ihren Urteilen vor aller Erfahrung deshalb Allgemeinheit und Notwendigkeit zuschriebe, weil sie (nach der mißverstandenen Anwendung des Wortes) a priori, d.i. vor aller und abgetrennt von aller Erfahrung waren, so ist sie im Lande  vor  aller Vernunft, die samt der Erfahrung durch sie erst möglich werden soll, indem sie solche synthetisch a priori erdichtet.

Es ist zu zweifeln, ob es einen ärgern Mißbrauch der Sprache gebe als diesen. Er konstituiert in Wortlarven eine Übereinkunft, die alle Philosophie abschneidet und nur Figmente möglich macht - Figmente ex nullis ad nulla - ein priori, das, ehe es ist, sich selbst schafft, getrennt von sich selbst und ohne alle Erfahrung.

Auf verständliche Worte zurückgeführt heißt also die Frage nicht, wie ist menschlicher Verstand, menschliche Vernunft  möglich,  als ob diese sich selbst erst zu setzen oder zu fabrizieren hätten, sondern das sie  gesetzt  und  gegeben,  ja die edelsten Gaben sind, die wir zu erkennen und anzuwenden haben, so heißt die Frage:

Was ist Verstand und Vernunft? Wie kommen sie zu ihren Begriffen? Wie knüpfen sich solche? Was für Recht haben wir, uns einige derselben allgemein und notwendig zu denken?

Und da Verstand und Vernunft unseres Geschlechts Charakter ist, so fragen wir damit nach  diesem,  nach unseres Geschlechts wirksamster Macht, nach seiner eigentümlichsten Art. Das unziemende Wort der  Kritik der Vernunft  verliert sich also in das anständigere, wahre:  Physiologie der menschlichen Erkenntniskräfte... 


Sprache, Raum und Zeit

Unsere Sprache ist von Ausdrücken des  Raums  bei allem Sein, Tun und Leiden voll; vor und nach fügen sie sich den Verbis an und bestimmen, vermehren, vermindern ihre Bedeutung. Mit unglaublicher Kunst, mit Sparsamkeit und Verschwendung sind diese Bezeichnungen in die Rede verflochten; sie ordnen und erörtern gleichsam die Wahrnehmungen des Universums.

So sind's die Wörter  vor, nach, zu, in, bei, über, unter  usf., die nicht nur alleinstehend, sondern auch zusammengesetzt mit Namen und Worten ( nominibus  und  verbis ) die ganze Rede, als auch die Welt der Begriffe in ihr, gleichsam malen. Auch die kleinsten Verkürzungen, z.B.  er-, ent-, gen-, ab-, zu-,  die dem Verstande so viel sagen, waren ursprünglich  Erörterungen,  d.i. Bezeichnungen des Ortes im Raume.

Der ganzen Sprachfügung bemächtigte sich die  Zeit  allmählich; sie, die alles regiert, ordnet auch die Folge der menschlichen Gedanken. Da alles Tun und Leiden sich in der Zeit zuträgt und es nie gleichgültig ist, wann etwas geschehe oder geschehen sei oder geschehen werde, so fügte sich die Zeit an alle Tat- und Leidensworte (verba). Statt daß in ungebildeten Sprachen der Infinitiv, allenfalls mit Hinzufügung der Personen allein gegolten hatte, traten klarere modie, vor allen der Indikativ auf, mit bestimmtem Unterschiede der Zeiten.

Dieser waren anfangs nur wenige, die Unterschiede der Vergangenheit und Zukunft wurden nur grob bemerkt, bis man nach und nach feinere und in der griechischen Sprache die feinsten Unterschiede in beide Zeitbestimmungen brachte. Außerdem schlossen sich den Verbis durch Partikeln so wie Ort- so auch Zeitbestimmungen an; Adverbien und Präpositionen mischten sich in die Rede, durch Konjunktionen endlich ward der ganze Strom derselben zeitmäßig in Ufer gebracht und geleitet.

Was dieser genaueren Zeitenbezeichnung vorzüglich zustatten kam, war die  Analogie  zwischen  Raum und Zeit.  Da bei jenem, als einem sichtlichen bleibenden Gegenstande, sich die Bestimmung der Orte notgedrungen, bald finden, auch, seiner dauernden Gegenwart wegen, erhalten mußte und stark vermehrt ward, so trugen sie diese Bestimmungen auf den leisen Gang der unsichtbar-rastlos fortgehenden Zeit über.

Die meisten Zeitbestimmungen, z.B.  Morgen  (Aufgang),  Mittag, Abend  (Abgang),  vor, nach, mit, zwischen  usf. sind von Bestimmungen des Ortes hergenommen. Der Ort, wo die Sonne auf- und unterging, oder mitten in ihrem Lauf stand, gab Anlaß, daß man auch die Zeit dieses Standes  Abend, Morgen, Mittag  nannte. Die Vergangenheit ward vor-, die Zukunft hinterwärts gedacht. "Tag und Stunde" waren etwas, was anberaumt, betagt, gestundet wurde. "Monat" hieß ein Mondeslauf, "Woche" heißt Ordnung, das "Jahr" ein Kreis, ein Zirkel. Letzter war allen Völkern das Sinnbild der in sich selbst wiederkehrenden, neu beginnenden Zeit.

In unserer Sprache bedeuten  Jahr, Woche, Tag, Stunde  die Begriffe, die hier angezeigt sind, genetisch. In andern Hauptsprachen zeigten sie sich in Umständen anders und doch nach eben dem Gesetz des begriffebildenden Verstandes. Von Verbis und Nominibus an bis hinab zur kleinsten Partikel kann es erwiesen werden, daß alle sie an wirklichen, sinnlichen, und zwar den gemeinsten, oft vorkommenden Gegenständen gebildet worden. Ohne und vor der Erfahrung a priori ward keine Sprache erfunden.


Von Denkbildern menschlicher Verstandesbegriffe

Da ohne ein Verständliches kein Verstand denkbar ist, so sind innere Denkformen ohne Gegenstände schon ihrem Namen nach leere Schemen die nicht einmal verständliche Wortformeln geben. Dagegen, Eindruck des Gegenstandes wird dem Organ und dadurch dem anerkennenden Sinn sofort ein  geistiger Typus.  Durch eine Metastasis, die wir nicht begreifen, ist uns der Gegenstand ein Gedanke.

Und da jedes Organ  seine  Typen empfängt, da Bilder, Töne, Gerüche, Geschmacks- und Gefühlsarten sich in Ansehung ihrer Beschaffenheit nicht, höchstens in Ansehung des Grades ihres Eindruckes, vergleichen lassen, so wird unser innerer Sinn das  sensorium commune  das aller dieser verschiedenen Eindrücke inne ward, notwendig eine Versammlung der Abdrücke (Ektypen) sehr verschiedener Typen.

Wie diese sich im Nerv des Organs fortpflanzen, wie sie materiell aufbehalten werden usf., wissen wir nicht. Das Bild, das meine Seele empfängt, ist ganz  ihrer  Art, nicht das Bild auf der Netzhaut des Auges. Es ist von  ihr  empfangen, in ihre Natur  metaschematisiert.  Indessen war's vom Eindruck  veranlaßt  und sofern ein geistiges Bild einem körperlich ähnlich sein kann, ist es ihm ähnlich.

Die Einbildungskraft behält diesen geistigen Typus, die Erinnerung weckt ihn auf, der Traum stellt ihn dar, andere Seelenkräfte erhellen ihn, machen ihn gar zum Triebe. Menschen, denen  ein  Sinn fehlt, ermangeln der Typen dieses Sinnes: ein Blinder der Farben- und Bildtypen, ein Taubgeborener der Typen des Schalls, des Tons, des Wortlauts usf.

Längst ist die Stufenleiter bemerkt, die bei diesen Ein- und Abdrücken aus der Entfernung entsteht, in welcher der einwirkende Gegenstand vom Organ sein darf. In diesem Fall nämlich mußte ein Mittleres (Medium) zwischentreten, das den Gegenstand dem Sinn zubereite, und dessen Typus ihm gleichsam zubilde. Dem Auge tut dies das Licht, dem Ohr die Luft, sofern sie den Schall bildet und fortträgt. Hierdurch, insonderheit bei Ohr und Auge, erweitert sich nicht nur die Sphäre des Sinnes, sondern es wird auch (wunderbare Zwischenkunft!) zu Bildung reinerer Typen durch dieses Intermedium Raum gewährt. Gegenstände, wenigstens Teile von ihnen, die sich dem Sinn aufdrängen, schreiben mit lebhaften, aber groben und verworrenen Zügen sich ihm ein. Die Typen des Auges und Ohrs sind abgesetzter, reiner, heller und klarer.

Und diese beiden Sinne selbst - wie verschieden sind nicht nur ihre Abdrücke, sondern auch die Arten ihres Eindrucks voneinander. Gewissermaßen sind sie Feinde gegen einander und schränken einander ein. Indem das Auge ein Nebeneinander, dem innern Sinn metaschematisiert, zwingt das Ohr uns, Dinge, die nacheinander sind, in ganz andern, ebenso künstlichen Typen aufzunehmen. Zu gleicher Zeit werden wir also fortwährend in zwei Richtungen gezogen und unwiderstehlich gewöhnt, nicht nur beide zu verbinden, d.i. beiderlei Typen durch einander zu erklären, Erscheinungen des Auges durch Töne des Ohrs und gegenseitig, sondern unser Verstand kann auch nicht anders als in beiderlei Kunstformen seine Begriffe unverrückt und zu gleicher Zeit zu gestalten.

Durchs Nacheinander wird von ihm das Nebeneinander dies durch jenes zu einer helleren Ordnung bestimmt. Entferntere Gegenstände drücken sich durch Töne sukzessiv in uns. Dunkle, mit Augenblicken verschwundene, Laute bleiben vor uns durch Gestalten. So typisiert der Verstand und so ward (durch welche Förderung es auch geschehen sein möge) aus Verbindung zweier dem Schein nach einander entgegengesetzter, einander aber unentbehrlicher Sinne, unter Leitung des Verstandes -  Sprache. 

Und zwar eine Sprache durch  Artikulation.  Artikulationen der Sprache wurden dem Menschen, der sich vermittelst Auge und Ohr im Besitz so vieler innern lebendigen Typen fand, gleichsam notgedrungen ein Abbild derselben. Er mußte, er wollte äußern, was er in sich sah und fühlte. So ward, unterstützt von Stimme und Gebärden, den innern Abdrücken seiner Seele ein lautbares Merkmal, das Wort. Zwischen beiden Sinnen, dem Ohr und dem Auge und den verschiedenen Eindrücken, die beide gewährten, drängte es sich hervor. Es ward der empfangenen Eindrücke typisierender Ausdruck. Ein neuer Metaschematismus tönender Gedankenbilder. Wozu Gebärden nicht hinreichten, die feinsten Typen der Seele drückte ein Ton aus.

Ein  Ton,  und dies war (wofür man's oft hält), kein Nachteil für das Bedürfnis des Menschen. Töne rollen fort, sie folgen wie das, was sie bezeichnen sollen, Begebenheiten, Empfindungen, Gedanken, schnell aufeinander. Das Plötzliche des Vorfalles weckt einen plötzlichen Verkündiger desselben, den Laut. Auch der Wechsel der Empfindungen wird durch die biegsame Menschenstimme vielfach, reich, natürlich bezeichnet. Die Stimme tönt auch in der Nacht und auf alle Seiten, da das Auge nur, wenn und wo es sieht, Gestalten wahrnimmt. Die Stimme ruft uns ins Herz. Sie tönt im Innern nach. Sie haftet gewaltig, da Gedankenbilder, die dem Auge vorschweben, als eine gemalte Oberfläche vorüberschweben und vielleicht dem Innern nichts sagen.

Sobald das Bild aber rufend kommt, zerreißt es den Faden unsrer Gedanken und stört alle Ruhe der Seele. Menschen, die Gedankenbilder, als Gegenstände des Auges, in sich herumtragen, gingen ruhig einher. Sobald ihnen diese, mit Stimme begleitet, zumal in der Nacht, im Traum, oder bei plötzlichen Vorfällen lautend zukamen, glaubten sie sich durch sie wie durche eine höhere Zusprache gerufen. Sie mußten folgen. Erinnerungen an Gestalten des Abwesenden geben ein ruhiges Andenken. Das Wiederkommen ihrer Stimme mit Bewegung, mit Handlung begleitet, bringt sie lebend zu uns. Sie gebieten unserer Seele. Wenn also Gedankenbilder eindringen, wecken, einander schnell folgen, wenn sie regsam bezeichnen, dauernd in uns hallen und widerhallen sollen, so mußten sie tönen.

Daß sie hiermit weniger malten, war dem Begriff der Sache, mithin dem Verstande selbst zuträglich. Nur etwa Bewegung oder Geräusch, Schall, Langsamkeit und Schnelle, Sanftheit und Heftigkeit kann die Sprache durch ihre Modulation malen. Begriffe, Empfindungen malt und male sie nicht. Jene wollen gedacht, diese empfunden sein. Beide soll die Sprache nur wecken, daß die Seele sie sich aus eigner Kraft hervorbringe, nicht an den Wortbildern hafte. Deshalb tönt und klingt die Sprache ätherisch.

Ein grober Sinn ist's, der, wenn die Seele begreift oder erfaßt, wenn sie anschaut, findet, erfindet, jedesmal ans Begreifen und Erfassen der Hand, ans Anschauen und Finden durch ein Glas denken mag, unter dem Vorwande, daß diese Ausdrücke ursprünglich  Bilder, Metaphern  gewesen. In diesem Verstande ist die  ganze  Sprache  Allegorie,  denn jederzeit drückt in ihr die Seele ein Andres durch ein Andres aus: Sachen durch Zeichen, Gedanken durch Worte, die im Grund nichts miteinander gemein haben.

Mit demselben Recht sie also das Begreifen mit der Hand ein Erfassen nennen konnte, mit eben dem und einem innigern Rechte konnte sie das Ergreifen und Erfassen mit ihrer eigensten Kraft, dem Verstande, also nennen. Denn hier ward die Sache mehr die Ihrige als durch jenes Ertasten. Trägheit oder Hohlsinn ist's, in Bezeichnungen solcher Art am Bilde zu haften oder Bildern zu fliehen, als ob sie den Gedanken widerstünden. Daß sie den Gedanken andeuten, ist ihr Zweck, und daß ein Bildausdruck dies oft viel reiner und vollständiger als sinnlos lange Wortformeln tue, daran ist kein Zweifel. Selbst die Mathematik ist voll Bildausdrücke. Den Verrichtungen der Analysis liegen sogar Dichtungen zum Grunde, bei denen der Lehrer zeigt, was sie bedeuten, d.i. was man in ihnen suchen und nicht suchen soll.

In der Sache selbst liegt es, daß, je abgezogener ein Begriff ist, sich das Bildhafte seines Ausdrucks mindere, bis es zuletzt ganz zu verschwinden scheint. Die höhere Ordnung des Begriffs nämlich gebot, daß nach und nach Merkmale der niederen Ordnungen von ihm gesondert würden, dagegen aus Vielen  ein  Hauptmerkmal desto heller ans Licht trat. Mithin ward der Ausdruck vom Mannigfaltig-Sinnlichen entkleidet. Da indes der hellste Begriff immer noch Eins im Mehreren darstellen muß, mithin eine Anschauung höherer Art gibt, so kann ihm das Bildhafte nie  ganz  genommen werden.

Die Algebra selbst mit ihren Zahlen und Zeichen, durch Ordnung, Stellung, Verwandlung und Minderung derselben, hat dieses Bildhafte (es betreffe Größe oder Operation) aufs genaueste bestimmt und eben hierauf die Sicherheit ihres Geschäftes gegründet. In der Philosophie ging man leider nicht also zu Werk. Der Genius der Metaphysik möge es wissen, unter welchem Bildhaften die Scholastiker sich ihre Entitäten und Quidditäten gedacht haben. Und eben so wisse er es, was Anschauungen und Denkformen vor aller Erfahrung für Schemata haben.

Hier also liegt der Knäuel der Verwirrung, der die metaphysische Sprache solange zum babylonischen Dialekt gemacht hat, wahrscheinlich auch, uns Deutschen zumal, lange noch machen wird. Da man sich nämlich bei spekulativen Begriffen keine groben Bilder der Erfahrung denken konnte, nahm man, wie der Zufall sie gab, aus dem Zusammenhange der Sprache, aus Erinnerungen, wo und wenn man das Wort zuerst gehört hatte, oft aus dem Schalle des Wortes selbst, Züge zusammen und formte daraus eine Nebelgestalt, wie die Kritik sie angibt, ein  Schema. 

Man bildete sich ein, aus Spontaneität des Verstandes mit demselben bezeichnen zu können, was man äußerst dunkel imaginierte, worin man seine Nebengefühle mischte, oder wobei man gar nichts als Schälle oder Lettern dachte. Bei dem Wort  Essenz  z.B. hing dem einen eine Erfahrung aus der Chemie, bei dem Wort  Substanz  dem andern ein Geschmack aus der Schüssel an, die ihm seine dunkle Wortgestalt bilden halfen. Der eine dachte sich den Raum, dieses breite Nichts, als einen schwarz- oder blaugefärbten Fleck, begrenzte damit als mit einer Decke die gesamte Sinnlichkeit und erhob dieses Phantasma zu einer ewigen Anschauung.

Der andere zog die Zeit (ein langes Nichts), als eine Linie hin, in der punktweise ein Augenblick dem andern folge, und glaubte damit Substanzen, ja gar Ursache und Wirkung, erklärt zu haben. So ferner. Dergleichen  Wahnbilder  schleichen in metaphysischen Untersuchungen umher. Daher man zuletzt Widersprüche, Antinomien der Vernunft für unumgänglich hielt, andere aber die ganze Metaphysik als einen Wortkram dunkler Schemata verwarfen. Nicht vom Verstande und der Vernunft, sondern wie es ihr Name sagt, vom  Mißbrauch der Sprache,  mithin der Vernunft und des Verstandes rühren diese Antinomien her, von unbestimmter Erfassung der Begriffe und ihrer Bezeichnung durch trüglich dunkle Schemata.

Gewohnte Wortformen nennt man  Formeln.  Hüte man sich vor ihnen, sobald die unübersehlich lang sind oder unverständliche Worte enthalten. Auch der Form nach sind sie sodann schlechte Formeln. Denn was heißt  Formel,  als eine verständlich kurze, genau bestimmte Form? Ziehen sie sich wie krumme Linien mit Lücken und Abweichungen hin und geben keine Figur, beim letzten Wort haben Ohr und Seele längst vergessen, was das erste sagte, so sind sie  Larven,  nicht Formen.

Auf keine andere Weise ist diesem Übel zu entkommen, als wenn man drei Dinge,  Sache, Begriff  und  Wort  rein unterscheidet. Unser Begriff macht die Sache nicht, weder möglich noch wirklich. Er ist nur eine Kunde derselben, wie wir sie haben können, nach unserem Verstande und unseren Organen. Das Wort macht sie noch weniger. Es soll nur aufrufen, sie kennen zu lernen, ihren Begriff festhalten und reproduzieren. Begriff und Wort sind also auch nicht ein und dasselbe. Dies soll die Andeutung jenes sein, sein Abdruck kann und soll es nie werden. Wer also sich an Formeln gewöhnt, als ob er den Begriff, an Begriffe, als obe er die Sache habe, wer alle unter sich verwirrt und glaubt, Schemata stellen Verstandesbegriffe dar, hat sich mächtig getäuscht.

Unsere Zeit drängt und treibt. Wieviel Sachen haben wir kennen zu lernen, wieviel reelle Kenntnisse zu erlangen und anzuwenden und wieweit gehen uns andre Nationen in richtiger Bestimmung der Sprache vor. Sollten wir es gestatten, daß unsere gesunde Verstandessprache ein Körper voll transzendentalischer Bandwürmer, voll langhinschleichender Wortschemata werde? Es wird die Zeit kommen, da man einen großen Teil der über die "kritische Philosophie" geschriebenen Wörterbücher als die Regel ansehen wird, wie philosophische Begriffe nicht müßten ausgesprochen, oder wie Kaiserberg sagt, nicht müßten gewortet werden. Komme diese Zeit bald!

Auch erniedrige man den menschlichen Verstand nicht so tief, daß man ihm die Gabe zu schematisieren, d.i. unbestimmte Nebelformen zu schaffen, als eine Leiter andichte, auf der allein er zur Erfahrung gelangen konnte. Der menschliche Verstand hat eine viel höhere Kraft als dunkel zu schematisieren. Er kann seine erfaßten Merkmale durch Worte ausdrücken, er kann sprechen, daß man die Dinge sehe und ihn vernehme.
LITERATUR, Johann Gottfried Herder, Sprachphilosophie, (Hrsg. Erich Heintel) Hamburg 1960