Hamann und KantMartin SeilsJosef SimonMetakritik über den Purismus ... | ||||
Hamann und Herder Brief an den König
Am Schluß seiner ersten Rezension der HERDERschen Preisschrift hatte HAMANN den "kabbalistischen Philologen" (den Verfasser der "Aesthetica") aufgefordert, "Zweifel und Orakul über den Inhalt und die Richtung der akademischen Frage aufzuwärmen". Diese Aufforderung an sich selbst erfüllt HAMANN in der Schrift "Philologische Einfälle und Zweifel über eine akademische Preisschrift" vom September 1772. Er verband sie mit einem an den König gerichteten Brief in französischer Sprache ("Au Salomon de Prusse"), denn in König Friedrich II. sah HAMANN die dichteste und machtvollste Ausprägung des von im bekämpften Geistes der Berliner Aufklärung, der HERDER zu seiner Sprachtheorie "verführt" hatt; diese Schlußwendung der "Einfälle und Zweifel" gegen den König verhinderte jedoch eine Drucklegung der ganzen Schrift, die deshalb nur handschriftlich überliefert ist. HERDER hat in seiner "Abhandlung über den Ursprung der Sprache" (und damit auch bei ihm: des Menschen) jene Denkart gewählt, die HAMANN in seiner "Abfertigung" (und später auch im "Ritter Rosenkreuz") als für diese Frage unzulässig aufgewiesen hatte: das am Vorfindbar-Gegenwärtigen, an der "Beobachtung" orientierte Denken. HERDER hatte übersehen, daß der reine Ursprung einer Sache selbst nicht in eine Reihe mit den Momenten gestellt werden kann, die sich aus diesem Ursprung entwickeln. Er glaubte den Ursprung aufhellen zu können, wenn er einfach beobachtend und deutend die Momente der Entwicklungsreihe bis zum "Anfang" der Kette zurückverfolgt oder umgekehrt, von diesem "Anfang" her Glied für Glied der Kette bis zur Gegenwart herauf nachgeht. HERDER nennt diese Methode "genetische Erklärung". HAMANN richtet seine Klinge sofort auf diesen wundesten Punkt der HERDERschen Theorie. Er weiß, daß diese Methode den Ursprung des Menschen nicht erhellen kann. Darum konzentriert er, wie er gleich am Anfang sagt, aus der Fülle der möglichen Einwände, die "seiner Seele vorbeigestrichen", alle Zweifel auf eine einzige Frage: "... ob es auch dem platonischen Apologisten des menschlichen Sprachursprungs je ein Ernst gewesen, sein Thema zu beweisen oder auch nur zu berühren". Der Ursprung der Sprache kann in einer genetisch entwickelnden Reihe nicht erreicht, ja nicht einmal "berührt" werden. Nochmals um eine Schicht tiefer bohrt HAMANN diese Frage durch die existentielle Wendung: "ob es dem Apologisten je ein Ernst gewesen ... sein Thema zu berühren": Hätte der Verfasser wirklich "ernst", d.h. mit gesammelter Kraft des Herzens auf das Befragte hörend, seine Frage gestellt, dann hätte er seine Antwort in einem Denken gegeben, das dem Befragten entsprochen hätte. Am Schluß der Kampfschrift, wo er sich von der bekämpften Sache löst und sich seinem "Freund Herder" zuwendet, greift er diesen Gedanken noch einmal auf und wendet ihn für HERDER positiv: HERDER sei es mit der ganzen Sache gar nicht so "ernst" gewesen, er wollte nur dem "Kleinode des verkündigten Preises" nachjagen und mußte deshalb, entsprechend den ihm von der Akademie vorgeschriebenen Gesetzen "aufs Ungewisse laufen" und "Luftstreiche ausführen". Gerade deshalb aber ist er "von Rechts wegen gekrönt worden, weil er gesetzmäßig gekämpft hat". Es ist nicht seine Schuld, daß er ein "an Fragen und Wortkriegen seuchtiges", nicht aber ein wirklich ernst, d.h. existentiell fragendes "Publikum zu befriedigen" hatte. Es ist nun eine klare Frage dieser der Sache eben nicht entsprechenden Denkmethode, daß HERDER sich bei seinen Darlegungen in Widersprüche verwickelt. Diese hat HAMANN hauptsächlich im Bereich von HERDERs anthropologischem Ansatz der Preisschrift aufgespürt. HERDER versucht in den ersten Abschnitten seiner Abhandlung den Menschen vom Tier abzugrenzen. Dabei arbeitet er zunächst die Gemeinsamkeiten mit dem Tier heraus. Kennzeichnend für seine notwendig zum Widerspruch führende Denkhaltung ist schon der erste Satz der Preisschrift: "Schon als Tier hat der Mensch Sprache", nämlich die tierische Sprache der unartikulierten Laute, deren "Rest" sich in den Interjektionen (oh.., ah..) der Sprache wiederfindet. Freilich erwächst aus diesem "Geschrei der Empfindungen" nicht unmittelbar die menschliche Sprache - hier wendet sich HERDER entschieden gegen CONDILLACs Naturlauttheorie - diese menschliche Sprache ist etwas "ganz anderes". Um das zu untermauern, arbeitet nun HERDER die Unterschiede heraus, die den Menschen von Tier trennen. Er sieht diesen Unterschied darin, daß der Mensch nicht wie das Tier durch seinen Instinkt auf einen bestimmten Ausschnitt der geschaffenen Wirklichkeit festgelegt ist (Beispiel: Biene), sondern sein Gesichtspunkt auf das Allgemeine gerichtet ist. Diese Instinktschwäche aber macht ihn zum "verwaistesten Kind" der Natur: "nackt und bloß, schwach und dürftig, schüchtern und unbewaffnet". Hier folgt eine Wendung, die symptomatisch zeigt, wie HERDER, trotz aller Beeinflußung durch HAMANN, doch noch aus jener Selbstverfangenheit des menschlichen Geistes heraus denkt, die das Londonereignis in HAMANNs Denken aufgebrochen hatte. HERDER sagt, statt dieser geschwächten Instinkte müßten "andere verborgene Kräfte im Menschen sein, denn Lücken und Mängel können doch nicht den Charakter seiner Gattung ausmachen", sonst wäre ja die Natur gegen ihn die härteste Stiefmutter, obwohl sie doch gegen jedes Insekt die liebreichste Mutter war. Alles kommt also darauf an, nun das "fehlende Mittelglied", das die Eigenheit des Menschen ausmacht, nicht einfach der "Vernunft" als einer "abgeteilten, einzeln wirkenden Kraft", sondern in einer "seiner Gattung eigenen Richtung aller Kräfte", die er "Besonnenheit" nennt. Diese Besonnenheit ist dem Menschen charakteristisch eigen, sie ist, wie HERDER ausdrücklich sagt, eine "Naturausgabe, ihm so wesentlich, als den Tieren der Instinkt". Ebenso wesentlich und notwendig gehören "Sprache und eigene Erfindung der Sprache" zu seiner Natur, seiner "Gattung" als Mensch. "Erfindung der Sprache ist ihm also so natürlich, als er ein Mensch ist". Denn diese Besonnenheit führt ihn naturnotwendig dazu, "aus dem Ozean von Empfindungen, der alle Sinne durchrauschet", ein einzelnes "Merkmal" abzusondern. "Dies erste Merkmal der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm ist die menschliche Sprache erfunden!". Was sagt HAMANN sachlich (über das Methodische hinaus) zu einer solchen Anthropologie und der daraus abgeleiteten Deutung des Sprachursprungs. Er folgt zunächst HERDERs Ansatz, wobei er die Unterscheidung von Stimme und Sprache auf ihren ersten Urheber ARISTOTELES zurückführt. Immer anhand aristotelischer Zitate folgt er auch HERDER in der Feststellung der Gemeinsamkeiten von Mensch und Tier. Erst, wo es um das Unterscheidende geht, trennen sich die Wege. HAMANN zieht die Unterscheidungslinie nicht wie HERDER zunächst negativ (Mangel des Instinkts), sondern (immer noch aristotelisch untermauert) positiv: Sie liegt in der "richterlichen und obrigkeitlichen Würde eines politischen Tiers", wie er hier, sichtlich mit ironischem Abstand zu dieser Art der Gedankenführung, sagt. Von hier aus aber stößt er unmittelbar zum Boden seines Sprachdenkens durch: wie HERDER später sein negatives Unterscheidungsmerkmal positiv auffüllt durch die (arteigene) Besonnenheit, so setzt HAMANN jetzt sein positives Unterscheidungsmerkmal von der Natur des Menschen ab, so daß letztlich tatsächlich die von HERDER dargestellten "Lücken und Mängel" als Eigenheit und Kennzeichen der bloßen menschlichen Natur bestehen bleiben. HAMANN kann sich zu dieser Eigenart der menschlichen Natur bekennen, weil er im Londoner Glaubenserlebnis erfahren hat, daß die schmerzliche und tödliche Diskrepanz, eben die "Lücken und Mängel", die unabweisbar in der Korrespondenz des Menschen mit der Welt aufbrechen, vom absoluten Gott umfangen und getragen sind. HAMANN bekennt sich zur Not des endlichen, aber vom unendlichen Gott gerufenen Menschen: "Lücken und Mängel", so schreibt er in einem Brief an HERDER, "ist freilich die höchste und tiefste Erkenntnis der menschlichen Natur. Denn die "richterliche und obrigkeitliche Würde" des Menschen ist gerade keine "Naturgabe", die dem Menschen so zugehört, wie den Tieren der Instinkt, sondern ein "unmittelbares Gnadengeschenk" Gottes. Die faktische Würde des Menschen ist unverfügbar. "Keinem Helden und Dichter" fehlt es an "Perioden des Lebens", in denen er diese Unverfügbarkeit des tiefsten Kerns seines faktischen Wesens als schmerzliche Not und Bedürftigkeit empfindet, so daß er "volle Ursache hat, mit DAVID zu beichten: Ich bin ein Wurm und kein Mensch". Hier ist HAMANN ganz auf den Boden seines Denkfundaments vorgestoßen: Das, was dem faktisch sich vorfindenden Menschen Halt und Kraft zur "richterlichen" Entscheidung gibt, ist nicht bloß etwas, das ihm als Menschen notwendig zukommt, vielmehr ist (faktisch) die tragende Kraft seiner Entscheidungen und seines Menschseins die Stimme des sokratischen "daimonions"; oder (in der Sprache der "Biblischen Betrachtungen" geredet) die Stimme des gekreuzigten Gottes im "Abgrund des Herzens". Diese "Stimme", dieser "Genius" ersetzt die bedürftige "Unwissenheit" des Menschen, aber nicht so, daß er sie aufhebt, sondern ins Unendliche potenziert. Wer diese Kraft, aus der heraus er faktisch schon immer lebt und entscheidet, für etwas hält, das ihm als "Naturgabe" eigen ist, ist noch nicht "aufgewacht" zu seinem wahren Menschsein. Er gleicht einem "Schnarchenden im tiefen Schlaf", einem "Träumenden", einem "Mondsüchtigen". "Ein Träumender kann lebhaftere Vorstellungen als ein Wachender haben, mehr sehen, hören, denken als er; sich derselben bewußt sein, mit mehr Ordnung träumen als ein Wachender denkt; ein Schöpfer neuer Gegenstände, großer Begebenheiten. Alles ist wahr für ihn und doch ist alles Betrug: Alles was um ihn vorgeht, derjenige der mit ihm redet, die Gefahr, die ihn umringt, das Glück, das auf sein Aufwachen wartet, ist ihm nicht gegenwärtig und Nichts für ihn."In diesem Bild zeichnet HAMANN meisterhaft die Selbstverfangenheit des menschlichen Geistes im Denken der Neuzeit, in die hinein sich auch sein Schüler HERDER verloren hat. Wirklich wach ist nur der Mensch, der weiß, daß jede noch so kleine Tat seiner Freiheit, alles menschlich vollzogene Leben immer schon getragen ist von der seufzenden Stimme des gekreuzigten (und doch absoluten) Gottes, der die immer drohende tödliche Diskrepanz der Korrespondenz des Menschen mit der Welt auf sich genommen hat und trägt und dadurch den Menschen zur unendlichen Offenheit befreit. Denn ohne die umfangende und tragende Stimme Gottes würde diese Diskrepanz jedes menschliche, d.h. in "Freiheit und Würde" vollzogene Leben schon im Keime ersticken. "Unser Geist ist nur alsdann wachend anzusehen, wenn er sich Gottes bewußt, ihn denkt und empfindet; und die Allgegenwart Gottes in und um sich erkennt."So hat diese den Menschen vom Tier negativ unterscheidende Bedürftigkeit auf eine positive Seite: Sie ist Freiheit. "Die Freiheit ist das Maximum und Minimum aller unserer Naturkräfte und sowohl der Grundtrieb als Endzweck ihrer ganzen Richtung, Entwicklung und Rückkehr".Das Ziel aller "natürlichen" Entwicklung ist die größere Freiheit. Jeder ist sein eigener, aber anderen verantwortlicher Gesetzgeber. Freiheit ist (aus dem Gegebenen heraus) die Möglichkeit zu selbst gesetzter aber in Verantwortung vollzogener Bindung. Dem "Wachenden" aber, der seine Freiheit in Gott gegründet weiß, wird diese zu jenem "vollkommenen Gesetz der Freiheit", das den Menschen, der nicht als bloß "vergeßlicher Hörer", sondern als "tätiger Vollbringer" auf dieses Gesetz hört, selig macht. Erst diese Freiheit gibt dem Menschen den Abstand gegenüber seiner Umwelt, der ihn einer "Nachahmung" fähig macht, auf welcher alle "Erfindung" und "Erziehung" beruht. Die Freiheit aber, die als unendliche Offenheit des Menschen eine direkte, mechanisch-naturhafte Kommunikation mit der Natur (als dem Vorgegebenen) verhindert und den Abstand schafft, ist die Bedeutung der Möglichkeit einer solchen Nachahmung. Auch unser Bewußtsein, unsere Aufmerksamkeit, unser Abstraktionsvermögen, ja auch unser "moralisches Gewissen scheinen größtenteil Energien unserer Freiheit zu sein." Noch einmal setzt HAMANN bei HERDERs Gedanenführung an: Wenn der Mensch also schon das Essen und Gehen "gleichsam iussum" (auf Geheiß) lernt, d.h. im Gegenüber von Wort und Antwort, "wie kann es jemandem einfallen, die Sprache als eine selbständige Erfindung menschlicher Kunst und Weisheit anzusehen?" Philosophen, die so reden, "ahmen jenen Gaukler nach, welcher das Vakuum seiner Tasche für den großen, schönen, starken Geist ausgab, der, wenn es möglich wäre, selbst die Elus verführte": Sie nehmen die unendliche Offenheit und radikale Bedürftigkeit des menschlichen Daseins, den metaphysischen "Hunger", der in Wahrheit Sprache, Kunst und Wissenschaft des Menschen entspringen läßt, als eigenmächtigen Besitz, über den sie verfügen können, während sie in Wirklichkeit doch unweigerlich selbst von dieser Not des Daseins regiert werden. Sie geben als Fülle aus, was in Wahrheit Bedürftigkeit ist, sie prunken mit einem Wissen und einer Weisheit, die in Wahrheit Unwissenheit und Hilflosigkeit ist. Sie schließen sich ab gegen den Anspruch; ihre Vernunft ist nicht mehr jenes verstehende Vernehmen, das den Menschen seine Offenheit und Unwissenheit einsehen läßt (wie das alttestamentliche Gesetz des Menschen als Sünder erkennbar macht), sondern sie ist "automatisch" geworden: sie will selber "offenbaren". Dieser "Turmbau der Vernunft" bedingt eine "Verwirrung der Sprache", wodurch jene "Gaukler" die Menschen "verführen", aber schließlich doch auch selbst "verführt werden". HAMANN will sich nicht in ein "Handgemenge" mit diesen "Gauklern" einlassen, "die keine Widerlegung verdienen und durch keine Widerlegung geheilt werden können"; denn die "Dunkelheit", sie sie willkürlich aus der Verschlossenheit und Selbstverfangenheit ihres Geistes heraus in ein "Licht der Vernunft" verkehrt haben, kann ihnen nicht (more geometrico) demonstriert und vor Augen geführt werden: jene Dunkelheit, die sie nicht wahrhaben wollen, liegt nämlich "im Augapfel" des "Sensus communis" selbst; es ist jener zentrale "dunkle Punkt", der selber niemals Objekt des Sehens sein kann und der doch alles Sehen erst ermöglicht. Es geht in der Frage nach dem Sprachursprung um eine "Schwierigkeit", die in der "Gebärmutter der Begriffe" liegt, in jener gottmenschlichen Urkorrespondenz, der alles menschliche Begreifen erst entspringt, und die deshalb selber niemals in Begriffe eingefangen werden kann. Deshalb können jene "Gaukler", die nach der "Erfindung" der Sprache fragen, nicht durch eine logische Widerlegung geheilt werden. Der einzige Weg von dieser Verblendetheit und Verkehrung des Daseins geheilt und seiner unendlichen Bedürftigkeit inne zu werden, ist das Hören: jener Weg, auf dem HAMANN selber zum Sprachdenken fand. Aber nicht der verstockte Mensch selber vermag diese Wahrheit des Hörens zu "zeugen", sondern nur der von außen kommende Anspruch des Wortes. Darum wendet sich HAMANN nicht in begrifflichen Erörterung an seine verblendeten Zeitgenossen, sondern er greift auf jene Form der Rede zurück, mit der er schon in der "Aesthetica" den ihm selbst widerfahrenen Anspruch an die Menschen seiner Zeit wiederzugeben suchte: zu einer existentiellen Bekundung und Bezeugung der Wahrheit vom Ursprung der Sprache in einer leidenschaftlichen und dichterisch-bildhaften Rede. HAMANN gibt HERDER darin recht, daß sich, im Gegensatz zum Tier, "der Gesichtspunkt des Menschen auf das Allgemeine ausdehnt"; sogleich aber stößt er wieder zu seinem eigenen Denkfundament durch, indem er HERDERs Gedanken gewissermaßen verlängert und sagt, daß dieser Gesichtspunkt des Menschen nicht nur beim Allgemeinen stehen bleibt, sondern sich "gleichsam ins Unendliche verliert". Erst von diesem Hingerichtetsein auf das Unendliche her ist die bloße Restnatur des Menschen, "seine sichtbare verkürzte Hälfte" zu verstehen. In dieser Sicht aber erscheint der Mensch "wie ein leerer Schlauch", ganz angewiesen auf sinnliche Erfahrung (HAMANN sagt: Offenbarung durch die Sinne) und "geschichtliche Überlieferung". So kommt der Lutheraner HAMANN zu dem aristotelisch-thomistischen Grundsatz: "Nichts ist also in unserem Verstande ohne vorher in den Sinnen gewesen zu sein. Die Sinne sind dabei nicht bloß rezeptiv, sondern auch produktiv: So wie unser Magen die aufgenommene Nahrung verarbeitet und dem menschlichen Leib assimiliert, so nehmen auch die Sinne die Wirklichkeit so wahr, daß diese zum Menschen paßt, d.h. als Anspruch, der dazu drängt, diese Wirklichkeit durch die "Nachahmung" in die unendlich Urkorrespondenz des Daseins hinein zu integrieren. Diese Assimilation des (als empirisch erfahrbare Welt oder als Überlieferung) Vorgegebenen, nennt HAMANN "lernen". Im Lernen wirkt als der Lernende selber mit, insofern er das Vergebene in die unendliche Offenheit seines Wesens hineinintegriert. Sofern diese Offenheit (als Freiheit) aber schon Voraussetzung für dieses Lernen ist, ist Lernen ein Vorgang, der die Selbstverfangenheit des Menschen sprengt: Lernen "im eigentlichen Verstande ist ebenso wenig (autonome) Erfindung als bloße Wiedererinnerung". Mit diesem ganz an HAMANN selbst gewonnenen Vorverständnis wird auch jener of zitierte Satz relativ leicht verstehbar, mit dem HAMANN am Ende dieses ersten Teils seiner "Einfälle und Zweifel", nun nicht in philosophischen Begriffen, sondern in der ihm eigenen Bildersprache redend, seine anthropologischen Andeutungen und Hinweise zusammenfaßt: "Der Mensch ist also nicht nur ein lebendiger Acker, sondern auch der Sohn des Ackers, und nicht nur Acker und Same (nach dem System der Materialisten und Idealisten), sondern auch der König des Feldes, guten Samen und feindseliges Unkraut auf seinen Acker zu bauen; denn was ist ein Acker ohne Samen und ein Fürst ohne Land und Einkünfte? Diese drei in uns sind also Eins, so wie drei Larven, an der Wand der natürliche Schatten eines einzigen Körpers sind, der ein doppeltes Licht hinter sich hat."So hat HAMANN in diesem Bild vom "Ackerfeld Gottes" in meisterhafter Weise die Grundzüge seiner (im Gegensatz zu HERDER "offenen") Anthropologie zusammengefaßt. Die bildliche Rede ist dabei (von HAMANNs eigenem Verständnis aus) nicht eine Ausdrucksweise, die den Aussage- und Erkenntnisgehalt der Rede verringern würde. Im Gegenteil: "Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder. In Bildern besteht der ganze Schatz menschlicher Erkenntnis und Glückseligkeit."Der Satz darf freilich nicht verabsolutiert werden. Er ist weder ein schwärmerisch-irrationales Bekenntnis zu Leidenschaft und Gefühl, das die begriffliche Erkenntnis schlechthin ablehnen würde, noch auch ein resignierend-relativistisches Zugeständnis und Eingeständnis der prinzipiellen Schwäche menschlichen Erkennens. Wohl wußte HAMANN um die Unzulänglichkeit der "Bildworte" und doch ist seine Aussage, daß wahrhafte, echte und tiefe Erkenntnis "nur" in Bildern möglich sei, keine Resignation. Denn - das sollte aus obigen Ausführungen klar geworden sein - wenn HAMANN sich zu einer "Unzulänglichkeit", zu "Lücken und Mängeln" bekennt, dann tut er es in der innersten, lebendig gewordenen Überzeugung, daß gerade in diesen "Lücken und Mängeln", sofern sie keine Ausflucht bilden, sondern ehrlich erlitten sind, das Absolute durchscheint und aufbricht, das alle Korrespondenz des Menschen mit der Welt (und also alle Suche nach Erkenntnis) immer schon umfängt und trägt. Freilich, das sei nochmals betont: die Rede in Bildern darf keine Flucht vor der Verpflichtung zur Klarheit und Genauigkeit des Denkens sein; auch kein romantisches Verweilen im Idyllisch-Ursprünglichen, kein "Bilderdienst", der die Bilder vergötzt; dort aber, wo in der Übermacht der Betroffenseins und der Zusammenballung dessen, was zu sagen ist, die Begriffe nicht mehr ausreichen und tragen, sondern wieder auseinanderbrechen in den Fluß der Bilder, aus denen sie in der Anstrengung des Denkens gewonnen wurden: dort und nur dort erscheinen die Dinge in einem Licht, das absoluter ist und die Zusammenhänge "wahrer" erscheinen läßt als der herrscherliche Zugriff des Begriffs. In diesem Sinne muß HAMANNs Bild des Menschen vom "Ackerfeld Gottes" verstanden werden. Im letzten Teil seiner Schrift gibt sich der Verfasser feierlich als Freund HERDERs zu erkennen und wendet in der oben schon angedeuteten Weise seinen Angriff gegen das Zeitalter, das HERDER als ein "kluger Haushalter" mit Recht irregeführt hat. Mit dieser Wende ist gleichzeitig übergeleitet zu jenem in französischer Sprache an den König gerichteten Brief, der mit den "Einfällen und Zweifeln" zu einer Schrift verbunden war. Der Brief ist seiner inneren Haltung nach der genaue Ausdruck der im ersten Teil der "Einfälle und Zweifel" konzipierten Auffassung des Menschen; und zwar sowohl auf den Verfasser, als auf den Adressaten bezogen. HAMANN, der Verfasser, steht hier in einer seltsam ambivalenten Haltung vor dem König: Einerseits sind seine Demutsbezeugungen und Selbstpersiflierungen durchaus nicht bloß der überhebliche Spott dessen, der sich dem Ganzen maßlos überlegen dünkt und in dieser "Herunterlassung" nur seine eigene Größe spiegeln will; nach dem ganzen Duktus der Rede weiß sich HAMANN wirklich als der "arme Teufel, vernarrt in meine unehelichen Kinder", wie er sich gleich im ersten Satz des Briefes vorstellt, und er bemüht sich im ganzen Brief um jene aufrichtige Ergebenheit, "die einst die Weisen des Orients beseelte". Andererseits sind aber gerade diese Demutsaussagen, ebenso wie seine Wünsche und Bitten und seine Kritik mit einer so radikalen Freiheit und unbefangenen Offenheit gesagt (etwa die Darlegung seiner Gehaltsschwierigkeiten), daß der Leser die unendliche "Rückendeckung" spürt, die der arme kleine Zollbeamte aus Königsberg hinter sich weiß: den Dämon des SokratesSOKRATES, das in der Urkorrespondenz des Daseins vernommene "vollkommene Gesetz der Freiheit", das "Gnadengeschenk des Großen Allgebers", das auch ihm, dem "Sklaven" eine "richterliche und obrigkeitliche Würde" gibt. Wir begegnen hier derselben Ambivalenz, die schon den Aufbau der "Aesthetica" bestimmt hatte: Auch dort wußte HAMANN in einem - als anspruchsmächtigen Propheten und als geschundene Kreatur. Hier in seinem Brief an den König bezeichnet er sich ganz entsprechend als jenes "erstaunlichste Ungeheuer der Gesellschaft"; als "Sklaven, der frei denkt". Dasselbe gilt umgekehrt auch vom Adressaten des Briefes. Des Königs "Majestät", seine "Gestalt eines höchsten Wesens" ist nur eine besondere Ausformung jener Würde, die Sklave wie König als "Gnadengeschenk" aus der Hand Gottes empfangen. Der gute König hält diese Würde nicht verkrampft fest wie einen "Raub", sondern ist bereit, sich selbst zu "entäußern", um als "Vater" seinen Landeskindern zu dienen. Seiner bloßen menschlichen Natur nach gesehen, ist auch der König nichts als "ein unglücklicher Preuße". So haben "König und Sklave" einen gemeinsamen Boden, auf dem sie sich, unbeschadet ihres sozialen Unterschiedes, den HAMANN nie verkennt, frei und als wirkliche Partner begegnen können. HAMANN kommt hier von seinem Sprachdenken her zu einer sehr tiefen und spezifisch christlichen Grundlegung des Verhältnisses von Autorität und Freiheit. Aus dem Bewußtsein heraus, daß in unserer faktischen Ordnung der Welt menschliche Freiheit und Würde (ihrem letzten Kern nach) jedem, ob hoch oder niedrig, "ohne innere Würdigkeit und Verdienst" geschenkt werden, kann er in einem die ihm übergeordnete Autorität in ihrer faktischen Geltung voll anerkennen und ihr doch zugleich als freie Person gegenübertreten, die um ihre eigene Würde weiß und sie bewahrt. |