cr-3Mauthner - O. F. Gruppe    
 
OTTO FRIEDRICH GRUPPE
(1804-1876)
Der empirische Ausweg

Antäus
Begriff 'Abstraktum'
Gefahr der Sprachen
Kein System
Wendepunkt
"Denn wenn alle Begriffe relativ sind, was kann es da noch für Sicherheit in der Erkenntnis, was kann es da noch für Wissenschaft geben?"   Relativität der Begriffe
Allgemeinheit
Falsche Logik
Neue Methode
Spekulativer Irrtum

Und jetzt beginnen wir mit freudiger Zuversicht den letzten Abschnitt, welcher die positive Methode philosophischer Forschung und somit den Schlußstein des Ganzen enthalten soll. Alles was im Bisherigen schwierig erschien, muß hier gelöst werden, alles was bisher aufgestellt wurde, muß hier seinen vollen Zusammenhang, seine wahre und eigentliche Begründung gewinnen, so wie anderseits hier erst recht deutlich das Mißverstandene metaphysischer Spekulationen wird ins Licht treten können.

Vielleicht ist es gut, uns noch ganz kurz der Schwierigkeiten bewußt zu werden, welche aus unserer Darstellung hervorgehn. Es ist hauptsächlich folgende: der Gebrauch abstrakter Begriffe, und das sind alle Worte, führt immerfort auf Irrtum und Täuschung: und doch können wir in allem Denken keinen Augenblick der Begriffe und Worte entbehren. Ja wie es scheint, so haben wir es nicht bloß mehr mit den Schwierigkeiten zu tun, welche aus dem nachgewiesenen falschen Gebrauch der Begriffe entspringen, sondern unsere eigene Ansicht droht deren noch viel schlimmere zu enthalten. Denn wenn alle Begriffe relativ sind, was kann es da noch für Sicherheit in der Erkenntnis, was kann es da noch für Wissenschaft geben? Wir fanden, daß aus den Definitionen so unendlich viel Unheil entsprungen ist, aber werden die Wissenschaften ihrer jemals entraten können? Die Urteile erschienen uns als Übertragungen, diese Übertragungen haben nirgend eine Grenze: entsteht nun dadurch nicht gerade zuletzt ganz unvermeidlich eben das, was wir an der spekulativen Konstruktion so hart tadelten, die Übertragung der Begriffe auf Entgegengesetztes, die  contradictio in adjecto?  Das Festhalten der Definitionen führte auf Einseitigkeit und Irrtum, aber eben so sehr auch ihr Gegenteil, die unbeschränkte Übertragung zufolge der Relativität: ist nun da noch ein Ausweg?

Welches sind nun die Umstände und Maßregeln, unter denen die Begriffe von jener Gefahr befreit sind?

Welches sind die Maximen und Regeln, wo die Forschung den größten Nutzen von dem freiesten Gebrauch der Begriffe zieht, so daß sie ihr etwa einen ähnlichen Dienst leisten können, als die Mathematik den Naturwissenschaften?

Diese Naturwissenschaften werden uns überhaupt dabei zur Richtschnur dienen müssen, weil sie allein bereits im Besitz einer Methode sind, welche allen jenen Gefahren, die die Metaphysik bedrohen, sicher entgeht. Es liegt nun hier die sehr wichtige Frage vor: Welcher Modifikationen und Erweiterungen bedarf die baconische Methode der empirischen Naturforschung, um ebenso auf die Gebierte der Philosophie zu passen und hier gleichen Erfolg zu ergeben?

Die Lösung davon wird sich nicht so äußerlich ergeben, man kann nicht so einfach vom Besondern zum Allgemeinen aufsteigen; dies kann nur gelingen, wenn wir die Sache in ihrem Grunde zu fassen suchen. Und zwar so: Wiefern liegt es in dem Akt des Erkennens begründet, daß die baconische Methode so sicher und fruchtbar ist? Den Akt des Erkennens aber haben wir schon entwickelt und wir müssen jetzt überhaupt den umgekehrten Weg gehn als oben. Dort suchten wir aus der angestellten Vergleichung zwischen der Sprache und der bewährten Methode der Naturwissenschaften den wahren Erkenntnisakt abzuleiten; hier hingegen suchen wir aus dem letztern uns zu erklären, woher gerade diese Methode sicher ist. Ist es gefunden, so wird die Allgemeinheit des Erkenntnisaktes auch leicht eine Verallgemeinerung der Methode ergeben.

Wir fanden, daß das Urteil überall, wo es in seiner kenntlichen, unverwischten Gestalt auftritt, rücksichtlich seiner Form eine Übertragung und Metapher enthält, rücksichtlich seines Gedankengehalts aber einen Vergleich, welcher denn eben die metaphorische Form erklärt. Beides aber zusammen spiegelt uns die Natur menschlichen Auffassens ab, und diese Natur des Auffassens, welche zuletzt ein Faktum bleibt, macht wiederum jene Form und jenen Inhalt des Urteils, kurzum die Natur seiner einfachen Synthesis vollkommen begreiflich. Ohne Vergleich, der nur nicht überall gleich deutlich hervortritt, können wir gar nichts auffassen, nichts denken, nichts aussprechen: der Vergleich gibt den Inhalt eines Gedankens her, er macht das Wesen eines Urteils aus, und er gibt ihm auch seine Form, seinen sprachlichen Ausdruck in der durch die Übertragung gewonnenen Metapher. Es konzentriert sich alles Interesse des Auffassens und Beobachtens um dieses Verhältnis, und man braucht nur noch daran zu denken, daß  vergleichende  Anatomie,  vergleichende  Botanik gerade diejenige Seite dieser Disziplinen ausmachen, welche den Beobachtungen erst eine wahre wissenschaftliche Bedeutung geben.

Aber die Beobachtung ist nicht überall zugänglich, es bedarf der Überlegung, der Erfindung, um Schwierigkeiten dieser Art zu entfernen oder zu umgehn. Die Erscheinungen sind für unsere Fassungskraft entweder zu klein oder zu groß. Im ersten Fall hilft das Mikroskop, das Fernrohr; im letzteren bedarf es der Gesichtspunkte, der Kombinationen, um das Entlegene und Zerstreute zu sammeln. Noch auf andere Art kann die Beobachtung gehindert sein: z.B. es läßt sich einem Gegenstand, der gemessen werden soll, nicht beikommen. Die Aufgabe ist, Mittel und Wege aufzufinden, welche aus anderweitigen Verhältnissen des unzugänglichen Gegenstandes zu andern zugänglichen immer noch das Gesuchte erkennen lassen. Hier nun ist die Stelle, wo die Geometrie als Hilfswissenschaft auftritt. Messen ist Vergleichen, es ist eine bestimmte einseitige Art des Vergleichs bloß innerhalb quantitativer, und zwar bei der Geometrie überdies noch räumlicher Verhältnisse: dies allein schon bringt das Wesen dieser Wissenschaft in einfache Verbindung mit unserer Vorstellung von der Natur des Erkenntnisaktes, von dem natürlich auch sie nur abhängig sein kann. Die praktische Nutzbarkeit dieser Wissenschaft nun, wodurch sie aushilft, wo die unmittelbare Beobachtung behindert ist, besteht eben darin, daß sie sich über die Abhängigkeit gewisser räumlicher Verhältnisse von einander allgemein und ein für allemal zu belehren sucht, daß sie solche Abhängigkeiten studiert und sich merkt, ähnlich wie ein Ein-mal-Eins, um, falls für das Eine oder Andere solcher räumlichen Verhältnisse das unmittelbare Messen behindert wäre, auf diesem Wege noch zum Ziel zu führen.

Mit der Zahl und dem Rechnen verhält ähnlich sich's und fast nur noch einfacher. Auch Zählen ist nur ein Vergleichen; es ist das für diskrete Größen, wie das Messen für kontinente; nur ist es noch allgemeiner und abstrakter. Wie schon oft berührt, so ist die Zahlenreihe ein System von Abstraktionen; eine Vielheit, im dekadischen System je nach 10 aufsteigende Gruppen, wenden von neuem Einheit, so entsteht eine Zahlenreihe in der andern, was für den praktischen Gebrauch den entschiedenen Vorteilt größerer Übersichtlichkeit und Anschaulichkeit des Gezählten, der Zahl nach Verglichenen gewährt. Daß Addieren und Subtrahieren ganz einfache Operationen innerhalb der so organisierten Zahlenreihe, ja gar nichts anderes als ein bloßes Zählen auf und abwärts in der feststehenden Zahlenleiter sind, begreift sich von selbst; Multiplizieren und Dividieren erweitern nun diese einfachen Operationen von dem Zählen bloßer Einheiten auf das Zählen ganzer Gruppen. Ein Schritt weiter gibt Potenzierung, Radizierung und logarithmische Verhältnisse. So ist die ganze Arithmetik durch und durch ein bloßes Zählen, allein durch die geistreichsten Kunstgriffe ist hier die Tragweite des menschlichen Gedanken und der menschlichen Fassungskraft auf ganz ähnliche Art bis zum Wunderbaren erweitert, als es für den unmittelbaren Sinn durch Ferngläser und Mikroskope geschieht. Die bereits so glücklich gelöste Aufgabe der Mathematik, sowohl der Arithmetik als Geometrie, ist, Größenverhältnisse eine solche Geschmeidigkeit in ihren gegenseitigen Beziehungen zu geben, daß sich Dinge och in nahen übersichtlichen Vergleich stellen lassen, wo dieser für unmittelbare Betrachtung nicht mehr möglich sein würde. Eben nur weil die Zahl in ihrer durchgreifenden systematischen Ausbildung das allgemeinste Mittel ist, Dinge und Erscheinungen auf das allerschärfste und genaueste in Vergleich zu stellen, darauf beruht ihre Allmacht, darauf die erstaunlichen Erfolge, die ihr die Naturwissenschaften danken. Bringen wir Beobachtungen erst so weit, daß die Zahl sich darin geltend machen kann, so ist viel gewonnen. Daß man aber auch hierin sich täuschen und übereilen kann, davon habenn wir noch ein ausgezeichnetes Beispiel im Hintergrunde.

Aber hier sind wir bloß innerhalb des Quantitativen und nie vergesse man, daß gerade die Mathematik solcher Einseitigkeit ihre Überschaulichkeit, Sicherheit und Evidenz verdankt. Neue und größere Schwierigkeiten finden sich, sobald die Beobachtung auf der Seite des Qualitativen Unzugänglichkeiten begegnet; diese lassen sich nicht mehr so allgemein durch eine im voraus zu bearbeitende Wissenschaft beseitigen, jeder besondere Zweig bedarf hier seiner eigenen Kautelen (Vorbehalte,wp) und Maßregeln, und selbst diese enthalten weder gleiche Unzweideutigkeit noch Allgemeinheit. Dies Mangelnde nun muß man auf anderem Wege zu ersetzen suchen. Es kommt nämlich darauf an, sich in gewissen allgemeinen Verhältnissen und ihrer beobachteten Abghängigkeit von einander so zu orientieren, daß dadurch nicht nur die Beobachtung Richtschnur und Fingerzeig erhält, was sie zu suchen habe, sondern daß sie, falls das eine oder andere Glied ihr nicht zugänglich ist, nach jenen allgemeinen Verhältnissen dasselbe interpolieren (verfälschen, wp) und ergänzen kann. Dies sind allerdings nur Kombinationen, nur Schlüsse, alle es sind mehr als Mutmaßungen, weil sie auf einer bereits erkannten Gesetzmäßigkeit und auf natürlichen Verhältnissen beruhen, überdies aber durch mehrfache sich unterstützende Schlüsse aus übereintreffenden verschiedenartigen Beobachtungen bis zu aller wissenschaftlichen Sicherheit erhoben werden können.

Diese Kunst des Beobachtens, um es hier zu wiederholen, liegt wesentlich und allgemein einerseits in dem Auffinden und Benutzen fruchtbarer Vergleichungspunkte, anderseits in der Aufmerksamkeit auf Abhängigkeiten, so daß man von ihnen entweder auf neue Beobachtungen geleitet wird, oder falls unmittelbares Beobachten nicht möglich ist, sich Schlüsse erlaubt, endlich daß man für letztere in der Kombination mit andern Verhältnissen und Gesetzmäßigkeiten eine Kontrolle sucht.

Wir sind hier von der unmittelbaren Beobachtung mehr und mehr zu Grundsätzen der Forschung übergegangen und nicht minder hat sich hier schon der Übergang von der Beobachtung zum Versuch vorbereitet. Von letzterem, der so wichtig und ausschlaggebend für die empirische Forschung ist, daß sie danach sogar mit Recht ihren Namen trägt, haben wir jetzt ganz besonders zu handeln. Es reiht sich unserem Gesichtspunkt hier unmittelbar an, denn eben nur eine besondere Art von Unzulänglichkeit der Beobachtung ist es, welche durch den Versuch gehoben wird. ..Die Regelmäßigkeiten vieler Naturerscheinungen können darum nicht unmittelbar gefunden werden, weil sie selten einzeln auftreten, sondern immer kompliziert und durchflochten mit andern, so daß wir also der unbefangenen Anschauung nach keine Art von Regel wahrnehmen können und daß für die Erforschung sozusagen Gleichungen mit mehreren Unbekannten haben, die in Fällen ganz unlösbar sein werden. Nur ganz besondere Kunstgriffe können hier helfen; worauf sie hinauslaufen müssen wird bald eingesehen, sobald man sich nur der Art der Schwierigkeit deutlich bewußt wird: nämlich die Erscheinungen zu vereinfachen, störende Einflüße auszuschließen und womöglich solche Fälle herbeizuführen, wo wir die fragliche Erscheinung entweder ganz allein, oder wenigstens neben schon bekannten haben. Da wir nicht fassen können, wenn die Natur viele ihrer Gesetze zugleich ausspricht, so müssen wir Fälle abpassen oder künstlich herbeiführen, wo wie eine Erscheinung isoliert sehen, wo wir die Natur nötigen können uns auf eine einfache Frage eine einfache Antwort zu geben. Es findet ein Mißverhältnis statt zwischen der Art wie die Natur sich ausspricht und zwischen unserer Fassungskraft, dies Mißverhältnis zu überwinden ist überhaupt die Aufgabe, es war die Aufgabe der Mathematik und es ist nicht minder die des Versuchs: die Natur spricht gleichsam komplizierte Urteile aus, Urteile mit vielen Subjekten und vielen Prädikaten, wo wir nicht mit Sicherheit sogleich abzunehmen wissen, welches das Prädikat ist und zu welchem Subjekt es gehört: wir müssen also der Natur solche Fälle abschneiden, wir müssen ihr vielmehr Gelegenheit geben, in Urteilen mit  einem  Subjekt und mit  einem  Prädikat zu reden, denn sobald sie dies tut, verstehen wir sie sogleich, wir werden dann das Wesen einer bestimmten Naturkraft kennen lernen und wir werden sie bald auch zuletzt da noch wiedererkennen, wo sie mit anderen Kräften zugleich erscheint, ja wir werden finden, daß auch in der komplizierteren Erscheinung noch immer ganz jene einfachen Gesetze enthalten sind. Beispiele werden die Sache vollends klar machen. Man konnte die Gesetze der Schwere nicht deutlich beobachten, so lange sie kompliziert erschienen mit einem Widerstande, den der fallende Körper in der Luft erfährt: GALILEI dachte nun zuerst darauf, diesen Widerstand wenigstens durch Verminderung annäherungsweise zu eliminieren und er dachte ferner darauf, den Fall zu verlangsamen, um dem unbehilflichen Sinn die Beobachtung zu erleichtern und diese dadurch genauer zu machen: es gelang beides zu vereinigen, als er den Fall auf der schiefen Ebene ersann: später konnte man geradezu den luftleeren Raum darstellen und darin den Fall beobachten, endlich kam ATWOOD mit seiner so sinnreich erdachten Fallmaschine, welche sogar die ferneren beschleunigenden Einwirkungen der Schwerkraft ausschließt und so die reine  vis inertiae  der Beobachtung zugänglich zu behalten weiß. Und zu alledem nun eben die Erscheinungen am Himmel, die Gesetze der Bewegung der Weltkörper: KEPLER hatte die elliptischen Bahnen gefunden, als die allein mit den Beobachtungen stimmenden, und NEWTON tat den glorwürdigen Schritt zu zeigen, daß allein eine Anziehungskraft, die nach ähnlichen Gesetzen wirkt als unsere terrestrische Schwere hinreiche, gerade solche Bahnen zu erklären.

In der Tat fallen die Gestalten des Versuchs und alle die geistreichen Erfindungen, die hier gemacht worden sind, so einfach auf das Gesagte zurück, daß es kaum noch irgend eines weiteren bedarf. Überall kommt es darauf an, die Komplikation verschiedener Kräfte aufzulösen, um jedesmal nur die allein zu haben, welche man beobachten will, denn nur so ist die kurze Spanne unserer Fassungskraft dem Irrtum unterworfen, nur so sind wir im Stande, Urteile und Beobachtungen aufzufassen. Und jetzt wird denn auch erst begreiflich, woher die auf den Versuch gegründete Methode sich so großer Erfolge zu erfreuen hat; denn man wird jetzt erst einsehen, wie sie sich zum eigentlichen einfachen Erkenntnisakt verhält. Der Versuch dient bloß, um Schwierigkeiten zu entfernen und um Erscheinungen in so einfachem Vergleich dem Urteil vorzulegen, daß dies regelrecht, übersichtlich und täuschungslos erfolgen kann. Der Versuch leistet insofern etwas ganz ähnliches als die Mathematik und doch ist er ihr in gewisser Art entgegengesetzt. Darin sind sich beide gleich, daß sie die Differenz zwischen unserer Fassungskraft und den komplizierten Erscheinungen aufzuheben suchen, allein die Mathematik tut diese, indem sie unseren Begriffen eine größere Tragweite gibt, nämlich indem sie Verhältnisse vereinfacht und überschaulicher macht, von einem zum andern fortsteigt und eben dadurch Kombinationen begünstigt, welche ohne dies künstliche Mittel unsere Fähigkeit übersteigen würden; der Versuch dagegen vermittelt diese selbe Differenz im Gegenteil dadurch, daß er die Natur zwingt, einfacher als sonst zu reden und sich so auszudrücken als es unsere Fassungskraft erfordert und wie es dem einfachen Akt unseres Erkennens entspricht. Beide Arten nun unterstützen sich gegenseitig und geben in ihrer vereinten Anwendung erst das, wodurch die Naturwissenschaften ihre Höhe erreicht haben, welche jetzt nichts unerklärliches mehr zu haben scheint, weil allein dies Verfahren dem wahren Akt des Urteilens, Auffassens und Erkennens angemessen ist.

Das letztere wird noch mehr einleuchten, wenn man von hier ab an das Wesen der Abstraktion und der sprachlichen Ausdrucksweise, woran alles Denken so wesentlich geknüpft ist, und worin es sich so unmittelbar abspiegelt, zurückdenken will. Die abstrakten Begriffe sind im Wesentlichen entweder Merkmale oder Gattungen; die Merkmale sind in Folge des Vergleichs aufgefaßte einseitige Beziehungen, die eben zufolge dieser Einseitigkeit bei der kurzen menschlichen Fassungskraft allein Deutlichkeit des Denkens besitzen und insofern dem Versuch entsprechen. Die Gattungen dagegen sind zwar Zusammenfassungen, allein auch nur in Bezug auf gewisse einseitige Ähnlichkeiten, welche der Vergleich ergeben hat, sie sind das Produkt aufgefaßter Merkmale und entsprechen in den Naturwissenschaften den aufgefundenen Zusammenhängen unter den Erscheinungen, um hier lieber nicht Gesetze zu sagen. Was endlich die ganzen Organismen geregelter und ausgebildeter Sprachen betrifft, so lassen diese einen wahren und innerlichen Vergleich mit der Mathematik zu, und ihre praktische Brauchbarkeit für das Denken beruht ganz auf demselben Grunde. Sie erleichtern nämlich den Mechanismus des Denkens dadurch, daß sie ganze Reihen von Operationen, die sonst einzeln gemacht werden müßten, als Einheiten in gewisse geläufige Formeln sogleich zusammenzufassen, und eben hierdurch dem Denken eine größere Schnelligkeit und Tragweite zu geben.

Wie mag es nun aber nur kommen, daß die empirischen Wissenschaften, die sich doch großenteils auch der Sprache bedienen müssen, und ihre Untersuchungen und Resultate nur in dieser niederlegen können, von dem gleichen Schicksal verschont geblieben sind? Ohne uns näher zu besinnen, läßt sich hierauf antworten: weil sie die Sprache nicht für etwas gebraucht haben werden, was sie nicht ist und nicht leisten kann, wie es die Metaphysik tat, sondern weil sie dieselbe für das genommen haben, was sie wirklich ist. Und so verhält sichs denn auch in der Tat. Alle abstrakten Begriffe und überhaupt alle Begriffe sind Hilfsbegriffe, welche nur so lange Sinn behalten und ohne Trug sind, als sie im Angesicht von Tatsachen und Anschauungen bleiben, auf welche sie sich beziehen. In diesem Falle nämlich, wo die Dinge, von denen man spricht und die man vergleicht, vor Augen liegen, werden die wahren Vergleichungspunkte, welche bei abstraktem Ausdruck meist verschwiegen bleiben, leicht und richtig ergänzt und ganz ist man vollends geschützt gegen jene grobe Umkehrung, das Gedachte für das Angeschaute, den Hilfsbegriff für das Reale zu nehmen, was doch eben jene endlose Verwirrung in die Metaphysik brachte. Unter solchen Umständen werden denn auch sogar Definitionen nichts schaden, sondern können zur Deutlichkeit mit das ihrige beitragen. Sie sind nur gefährlich und unzulässig, wo man aus ihnen folgern will, d.h. wo man das Angeschaute und Erfahrene nach dem bloßen Hilfsbegriff modelt, und dies muß man freilich tun, sobald man Verdacht in die Erfahrung setzt, oder einer solchen Begriffsspekulation größere Allgemeinheit und Notwendigkeit zutraut. Definitionen und Hilfsbegriffe werden in den empirischen Wissenschaften nicht schädlich, sondern sogar förderlich sein, falls man nur weiß, was man an ihnen hat; weiß man dies nicht, so folgt ihnen ihr Irrtum auch bis hierher. Zu diesem Wissen nun aber gehört hauptsächlich die Einsicht in die relative Natur der Begriffe, welche sich fortwährend ändern und zwar erweitern müssen, also daß man schon darum weder an Definitionen festhalten noch viel weniger daraus irgend etwas darf herleiten wollen. Auch hat man sich weder zu wundern, noch zu grämen, daß die Wissenschaft in ihrem Fortschritt auf Punkte geführt wird, wo ihr gleichsam der sprachliche Ausdruck nicht mehr folgen kann, wie z.B. diser Fall für die Chemie so deutlich eingetreten ist; wir erinnern an den früheren Abschnitt zurück. Wort sind ja Hilfsbegriffe, nur Mittel des vorläufigen Verständnisses, nur Abdrücke unserer schwachen Fassungskraft, welche der Natur, deren unendlich Einfachheit in so unendlicher Mannigfaltigkeit erscheint, so wenig gewachsen ist; Worte sind nicht die Sache, sondern nur das Mittel, wir wollen nicht Worte zum Resultat, sondern Verhältnisse, Gesetze, und um selbst diese Metapher zu vermeiden, wir wollen die Erscheinungen der Natur in ihrem wahren Zusammenhange, in ihrer wahren Abhängigkeit von einander kennen lernen. Diese Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander ist überhaupt und überall in der Wissenschaft Zweck und Mittel und wiederum Mittel und Zweck, und sie enthält somit in sich selbst die Verheißung und das Element des Fortschritts. Nämlich wie wir auf der einen Seite nie etwas anderes und noch viel weniger etwas mehr zu wissen verlangen können, denn selbst das Wort Kraft ist nur eben das  x  im Ansatz eines Exempels, nicht aber dessen Wert, so kann auf der andern Seite, wie wir schon vorhin berührten, eben nur diese bereits gefundene Abhängigkeit der Erscheinungen voneinander, das rechte und beste Mittel werden, neue bisher unzugängliche Erscheinungen zugänglich zu machen, um so mehr, je fruchtbarer man sie zu benutzen weiß. Wohl hier der Mathematik, da ganz neuerlich ein durchdringender Geist einer tiefer gehenden geometrischen Arbeit den Titel gab: "systematische Darstellung der geometrischen Figuren in ihrer Abhängigkeit voneinander."

Und hierbei haben wir denn den Schlüssel zur Lösung der oben aufgeworfenen Fragen bereits großenteils in Händen. Jetzt da wir erst wissen, was eigentlich die Seele der empirischen Methode ausmacht, ja noch mehr, da wir wissen, welcher Beziehung zu dem einfachsten Akt des menschlichen Erkennens sie ihre Sicherheit und Fruchtbarkeit dankt, kann die Schwierigkeit ihrer Verallgemeinerung nicht mehr groß sein, ja ganz unwillkürlich ist diese Verallgemeinerung eben hierdurch bereits ausgesprochen und vollzogen. Ganz roh und äußerlich aufgefaßt, würde allerdings nicht leicht abzusehn sein, wie man in mehr psychischen Gebieten Versuche machen solle, allein jetzt wird es nicht mehr schwer sein anzunehmen, was hier nach der verschiedenen Lage der Dinge den Versuch vertritt und ihn ersetzen muß. Eben weil man bis zu diesem innern Wesen noch nicht vorzudringen wußte, sind Irrtümer der seltsamsten Art entstanden, welche den Gegnern nur Vorschub gaben. Geradezu und ungeändert wollte man die emprische Methode auf andere Gebiete anwenden, welche mehr in den Bereich des Seelenlebens falle. Die spezielle Methode des einen Feldes ohne Modifikation auf ein anderes Feld übertragen, konnte zu nichts führen, überhaupt konnte hier die spezielle empirische Methode nichts leisten, sondern nur die allgemeinere, d.h. die in ihrem Grunde, in ihrem Verhältnis zum Erkenntnisakt durchschaute.

Und bevor ich dazu übergehe, wäre vielleicht noch interessant, einige der vornehmsten Beispiele von mißverstandener unmittelbarer Anwendung der empirischen Methode auf psychische Gebiete zu durchmustern. Die Betrachtung der wesentlichen Dienste, welche die Mathematik den physischen Wissenschaften geleistet, ganz besonders aber, wie sie oft aus geringen gegebenen Daten bis zu den allgemeinsten Kombinationen fortführen kann, hat allerdings etwas blendendes - blendend genug, um sogar den großen Unterschied zwischen Physik und Psychologie vergessen zu machen. Schon NEWTON sprach unbestimmte Hoffnungen aus, als werde sich auf ähnlichem Wege als für die Astronomie auch dereinst ein Gravitationsgesetz für die Erscheinungen der moralischen Welt finden lassen, und es hat später nicht an solchen gefehlt, welche hier mancherlei versuchten: aber alles vergriffen und in sich nichtig! Nicht das mindeste hat sich aufweisen lassen, was einem Gesetz oder auch nur Resultat ähnlich sieht: aber man bedachte auch nicht, daß das Verfahren gerade dadurch ein ganz anderes war als in den Naturwissenschaftefn, weil man dei dem großen Abstande dieser Erscheinungen glaubte ganz gleich verfahren zu können. Unter vielen verunglückten, ja abenteuerlichen Unternehhmungen verdient die von HERBART vielleicht die meiste Aufmerksamkeit. Er, den wir in anderen Punkten metaphysischen Irrtümern so stark unterworfen fanden, will jetzt auf einmal durch unzeitige Anwendung der Mathematik die Unfruchtbarkeit seiner Metaphysik und Methode einbringen: er glaubt den mathematischen Kalkül auf Erscheinungen des Lebens nicht bloß anwenden zu können, sondern sogar zu müssen. Ich bemerke zunächst, daß sogar COMTE, der Schüler der polytechnischen Schule, der doch gern gemocht hätte, schon vor der Anwendung der Mathematik auf vitale Kräfte warnte, eine Warnung die gewiß jedem unmittelbar einleuchtet. Aber woher das? woher kann die Mathematik, die in der Physik so große Dinge tut, nur hier nichts ähnliches leisten? Weil man ihr erst sichere Beobachtungen und Fakta muß zugrunde legen können, woran es gerade hier fehlt, und vollends weil sie von Maß und Zahl ausgehen muß, wovon doch im Psychischen durchaus nichts festes gegeben ist. Die Mathematik kann auch nur in den Teilen der Physik ihre Wunder tun, die dem Maß und der Zahl unmittelbar zugänglich sind, z.B. in der Optik und Mechanik, in allen anderen muß ihr der Versuch erst vorausgehen, um die Erscheinungen aufzudecken; ohne den Versuch würde die Mathematik hier nicht das geringste ausrichten: wieviel weniger denn in der Seelenlehre! Es ist wahr, daß die Anwendung einer einfachen Arithmetik in statistischen Verhältnissen große Früchte getragen und Gesetze ergeben hat, allein hier kann man von Zahlenwerten ausgehn und die Resultate wieder an der Erfahrung prüfen. Auf dem Felde der Psychologie nun schien in der Aufmerksamkeit noch zunächst etwas Meßbares zu liegen, und diese faßt HERBART besonders auf. Er spricht von Einheiten der Vorstellung, bringt diese in Rechnung, will ausrechnen, in welchem Maß sich Vorstellungen hemmen und stören - aber soll dabei die unendlich verschiedene Qualität der Vorstellungen gar nicht mit in Betracht kommen? Man kann doch nur Gleichartiges zählen und messen! Und was ist denn die Einheit? Es gibt nichts mannigfaltigeres und vieldeutigeres als den Begriff der Vorstellung und es gibt nichts schwankenderes und unbestimmteres als den Begriff der Einheit. Man müßte mindestens die einfachen Akte der Seelentätigkeiten ermittelt haben. Aber HERBART entschuldigt sich nur, man könne auch schon rechnen, wo man noch nichts bestimmt Gegebenes habe:
    "Jedes hypothetisch angenommene, ja selbst jedes anerkannt unrichtige Gesetz läßt sich berechnen; und man  muß  bei tief verborgenen, aber wichtigen Gegenständen sich solange in Hypothesen versuchen, und die Folgen, welche aus denselben fließen würden, so genau durch Rechnung untersuchen, bis man findet, welche von den verschiedenen Hypothesen mit der Erfahrung zusammentrifft. So  versuchten  die ältern Astronomen exzentrische Kreise und KEPLER  versuchte  die Ellipse - desgleichen  versuchte  NEWTON, ob eine Gravitation, umgekehrt das Quadrat der Entfernungen, hinreiche u.s.w."
So nun will HERBART auch versuchen, aber er vergißt dabei zweierlei sehr Wesentliches: Wenn die Physiker auch dies oder jenes versuchten, so hatten sie doch wenigstens etwas festes, denn sie wußten, daß sie es mit Verhältnissen des Raums, der Linien, der Flächen, daß sie es mit Geschwindigkeiten und Körpern zu tun hatten, auf welche allerdings Zahl und Maß zupassen, aber bei der Seele ist dies oder ähnliches keineswegs ausgemacht und wenn man ihre Erscheinungen schon Größen nennen will, so ist doch ganz unbekannt, welcherlei Art Größen wir hier haben; aber daß Vorstellungen, wie HERBART will, der Wärme gleichen, daß in jedem Augenblick nur wenige  frei  und die andern  latent  sind, - das ist gewiß ein anerkannt unrichtiges Gesetz, das sich als solches freilich berechnen läßt. Nun sagt aber HERBART selbst:
    "Man mache sich demnach darauf gefaßt, nur einen allgemeinen und sehr vereinfachten Typus des Begehrens und ebenso allgemeine Typen gewisser Hauptklassen von Gefühlen, Imaginationen und dergleichen wissenschaftlich nachgewiesen zu sehn; während die individuelle Wirklichkeit sehr sicher ist, sich der mathematischen Begrenzung und Bestimmung auf immer entziehn zu können."
Das heißt ja mit anderen Worten, was ich auch ausrechne, davon verlangt nicht, daß es jemals durch irgend einen speziellen Fall, d.h. überhaupt durch die Wirklichkeit kontrolliert werde. Wozu nun Hypothesen berechnen, die immer Hypothesen bleiben, die man nie kontrollieren kann? KEPLER und NEWTON hätten wahrlich nichts versucht, wenn nicht die Kontrolle so nahe vor Augen gelegen hätte durch zugängliche, sichere, nach Zahl und Maß bestimmte Beobachtungen. Da diese bei der Seele fehlen, was HERBART ja oben selbst eingestand, wozu das Vergebliche? In der Tat ist diese Sache nach allen Seiten mißverstanden und es bleibt noch viel darüber zu sagen. Hätte HERBART nur gewußt, was der deutliche Akt des Erkennens und Urteilens ist! Dies konnte er auf seine Weise freilich nicht finden, aber daraus erklärt sich ganz anders, weshalb jedesmal nur wenige Vorstellungen beisammen sind und daß keineswegs je zwei Vorstellungen sich entgegenwirken und sich hemmen und stören, vielmehr daß erst die Anwesenheit zweier und mehrerer durch den Vergleich unter einander zu klarer Auffassung und klarem Denken führen kann.

Wir werden also immer bestimmter auf eine solche Methode hingedrängt, welche für die moralischen Gebiete den Versuch ersetzt; falls es eine solche nicht geben könnte, würden wir von der Untersuchung aller psychischen Erscheinungen abstehen müssen. Bevor ich aber diese Methode zu entwickeln suche, kann ich es mir nicht versagen, von mir selbst und meinen Bestrebungen ein Wort zu reden. Ich habe mich, um daraus Ertrag für psychologische Wissenschaft zu ziehn, seit längerer Zeit dem Studium ästhetischer Probleme gewidmet und war schon vor einigen Jahren im Begriff, etwas von meinen Ergebnissen dem Urteil der Welt vorzulegen. Die Arbeit ist seitdem aus mancherlei inneren und äußeren Gründen liegen geblieben, ja meine Absicht, eine praktische Anwendung der Methode lieber ihrer theoretischen Entwickelung vorangehen zu lassen, wurde gerade verfehlt. Ich kann mir nur dadurch eine Genugtuung verschaffen, daß ich eine Stelle aus der Vorrede, womit ich damals meine Schrift einführen wollte, hier wörtlich mitteile.
    " - Hier nun will ich die Methode, um die es sich handelt, sogleich anwenden, ich will sie gleich praktisch zeigen, bevor ich sie noch theoretisch überliefere und begründe. Der Leser wird dabei den Vorteil haben, sie an ihren Früchten zu erkennen, er ist vollkommen sicher gestellt, daß man ihm nicht apriorisch plausibel macht, was nachher, wenn er selbst danach verfahren will, doch nicht aushält. Für mich hat sie hiermit die beste Prüfung überstanden, und wenn dies Werk gewisse Resultate und Erfolge enthält, so kann ich zur Beruhigung und Ehre meiner trefflichen Vorgänger sagen, daß sie bisher nicht wohl möglich waren, daß ich sie vielmehr nur meiner Methode verdanke, die Methode aber nur der neuen Zeit, welche schon im Stillen begonnen hat."

    "Erscheinungen in ihrem Zusammenhange, in dem was ihnen innerlich ist und sie bestimmt, in ihrer inwohnenden Regel, in ihrem Naturgesetz aufzufassen, und diese Gesetze wieder zur Auffassung immer neuer Erscheinungen zu benutzen: das ungefähr sind NEWTONs Worte, das im Allgemeinen ist auch das hier befolgte Verfahren; unsere Methode aber ist damit noch keineswegs verraten. Sie entspricht nur derjenigen, welche BACON proklamierte, welche die Naturwissenschaften aus der Kindheit riß und durch sie die Welt umgewandelt hat; sie  entspricht  ihr, aber sie ist nicht  dieselbe.  Mit jener hat sie vor allen Dingen das gemein, nicht, wie die Systeme, das Beobachtungsfeld zu verengen und zu verbaun, sondern es stets zu erweitern, immer neue Reihen von Zusammenhängen ans Licht zu fördern, und von jeder dieser Reihen aus, fortschreitend nach Potenzen, den Gesichtskreis erobernd auszudehnen, aber in gleichem Maß Deutlichkeit überall zu verbreiten, ja was dabei das größte Wunder ist, ohne jemals einschneidende Teilungen in die Natur zu ziehen, sondern vielmehr durch solche Entwicklung, daß nachher das ganze  Wortwerk  von dem fertigen Kern abgebrochen werden kann und muß, als ein bloßes Gerüst von dem Bauwerk selbst. Unsere Methode erst lehrt beobachten, sie gibt erst das Instrument dazu in die Hand, was die Erfahrung an sich nicht besitzt. Der Metaphysiker hingegen kann schon darum nichts leisten, weil sein Gerüst so fest eingebaut ist, daß er es nicht abnehmen darf, und daß er das Hilfsmittel nicht von der Sache trennen und loslösen kann, falls er denn überhaupt noch etwas hätte außer dem Gerüst als Hilfsmittel."
Diese Worte waren dort natürlich nicht geschrieben um zu erschöpfen; und sie sollen auch hier nicht in dieser Absicht stehn, vielmehr wollen wir das Rätselhafte, das sie dort behielten, hier sogleich auflösen, und nun vielmehr umgekehrt den Leser auf jene, so Gott will, nachfolgende Anwendung der hier abgeleiteten Grundsätze verweisen.

Die Erläuterung wird uns Schritt für Schritt darauf führen, wie die Losungsworte der Empirie zugleich mit ihrer Begründung noch eine allgemeinere Wahrheit und Anwendbarkeit gewinnen können, welche sich denn überall als das reine Gegenteil der Metaphysik erweisen wird.

Was die Kunst des Beobachtens betrifft, so wird man schon abgemerkt haben, daß die Wahl fruchtbarer Vergleiche nicht bloß in den Naturwissenschaften, sondern auch überhaupt gelte, und zwar in den psychischen Disziplinen um so mehr, als hier die Beobachtung offenbar unzugänglicher ist. Der Vergleich ist ja im Allgemeinen so sehr Bedingung alles menschlichen Urteilens und Auffassens, daß darin die augenblicklichen Eingebungen eines spielenden Witzes mit den ernsteren Forschungen der Wissenschaft übereintreffen. Mehrmals im Verlauf unserer Untersuchungen sind wir darauf zurückgekommen, daß sogar der Irrtum diese Form noch mit der Wahrheit gemein behalte: wo ist nun die Grenze? Gewiß muß hier ein Unterschied sein, und zwar einer, auf den wir nicht genug Aufmerksamkeit wenden können.

Der Witz hat bei dem Aufsuchen von Ähnlichkeiten oder Unähnlichkeiten weiter nicht die Obliegenheit, immer Wesentliches und Innerliches zu treffen; ihm gilt das Oberflächliche, Äußerliche, Zufällige, womit er aber anderweitig größeres Gewicht zu verbinden weiß, ebenso sehr; oft begnügt er sich in seinem Interesse sogar mit dem bloß Scheinbaren, ja, je gelaunter er ist, mit bloßen Anklängen oder dem zufälligen Übereintreffen von Worten: Wortspiele darf und wird der Witz sich nie nehmen lassen. Sehr begreiflich gilt nun von alledem das Gegenteil bei jeder ernstgemeinten Betrachtung, und gewiß bei der Wissenschaft. Ähnlichkeiten, welche sich selbst bewußt sind, daß sie nur Zufälliges und Unerhebliches treffen und noch weniger aus verwandtem innerlichen Grund herfließen, können natürlich nicht in Betracht kommen, wo es gilt die Natur und deren Gesetze zu studieren; Vergleichungen, welche bloß auf subjektiver Willkür beruhen, haben kein Interesse mehr, wo es sich gerade um etwas Objektives handelt. Ob Ähnlichkeiten frappant und der ersten Schein nach glänzende sind, dies ist hier nicht, wie dort, die erste Forderung, sondern vielmehr daß sie wirklich, und innerlich begründet seien, daß solche bemerkte Analogien uns in das Verständnis der Natur näher einführen. Hieraus folgt, daß gerade das Allmähliche des Fortschritts, der Vergleich unter Verwandten und seiner Natur nach nahe Liegendem allein zum Ziele führen kann.
LITERATUR - O. F. Gruppe, Wendepunkt der Philosophie im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1834