cr-3Mauthner - O. F. Gruppe    
 
OTTO FRIEDRICH GRUPPE
(1804-1876)
Der empirische Ausweg
I I

Antäus
Begriff 'Abstraktum'
Gefahr der Sprachen
Kein System
Wendepunkt
"Das Allgemeine bekommt nur Inhalt durch das Besondere, aber wir können uns nicht immer mit dem Besondern schleppen, wir müssen es zusammenfassen unter Allgemeinerem. "   Relativität der Begriffe
Allgemeinheit
Falsche Logik
Spekulativer Irrtum
Neue Methode

Man will die natürlichen Ordnungen finden, man will hinter die eigentlichen Zusammenhänge kommen; nur das, dessen überwiegende Analogie mit früher gesonderten Gegenständen oder Erscheinungen nicht mehr zu leugnen steht, wird mit ihnen unter demselben Namen begriffen, diesen Namen dadurch zu erweitern hat man nicht im Sinne, es ist nur eben unausbleiblich. So geht denn Denken und Sprache hier Hand in Hand, und die sprachliche Namengebung hat mit der Wissenschaft durchaus nur ein und dasselbe Interesse: für beide bilden sich so Gattungen und Merkmale. Die Erweiterungen und Übertragungen sind dabei nicht nur gelinde und allmählich, sondern sie sind auch unwillkürlich und unmerklich. Hierdurch entgeht man denn auch zunächst jener Gefahr, welche den Urteilen ihre Bedeutung zu nehmen drohte, daß nämlich durch zu schnelle Übertragungen auf ganz Entgegengesetztes jene  contradictio in adjecto  (Widerspruch insich, wp) entstehe: freilich ein Umstand, welcher ganz vorzüglich mit Schuld sein mag, daß vielen die empirische Wissenschaft zu langweilig, zu trocken, zu geistlos erscheint. Bei diesem Urteil ist wenigstens soviel ganz richtig, daß schnelle Sprünge das eigentümliche Feld des Witzes sind, der auf seinem Standpunkt, wo es sich gar nicht um soliden Gedankengehalt handelt, selbst die  contradictio in adjecto  keineswegs zu scheuen hat. Eine gewisse geistreiche, besser gesagt pikante und modische Art sich auszudrücken hat sogar diese Weise ganz besonders in Beschlag genommen, aber wenn sie von da in die neuern Philosophien übergegangen ist, so ändert sich der Maßstab zu ihrer Beurteilung sogleich, und wird jetzt erst ganz erhellen, daß wir es hier eigentlich nur mit einer Art von Spiel zu tun haben. Wie nun in diesen neuesten Spekulationen die Worte und Begriffe alle wahre und ernste Bedeutung verlieren, so ist schon wegen dieses Gegensatzes bei der empirischen Methode, welche nur das Naheliegende vergleicht, nichts Ähnliches vor der Hand zu befürchten: ein Vorteil, den man auch über die Naturwissenschaften hinaus ganz allgemein haben kann, so lange man nur das gezeigte Verhältnis respektieren will.

Augenscheinlich Disparates zu vergleichen, hat nur das Interesse der Laune und des Spiels, allein das Analoge in näherer Zusammenstellung gegeneinander zu examinieren führt auf charakteristische Unterschiede und lehrt wirklich das Wesen der Dinge kennen: alles dies aber könnte ich weder auffassen noch mitteilen, wollte ich die Dinge bloß einzeln betrachten. Das Resultat und Glück der Untersuchungen wird immer abhängen von der Fruchtbarkeit der gewählten Vergleiche. Nur Vergleiche des innerlich Verwandten können Ertrag geben: aber was ist innerlich verwandt? Dies wird freilich eben gesucht. Aber ein glücklicher Blick, welcher schonn im Halben das Ganze zu erkennen weiß, und besonders nachher nicht ermüdet, das Geahnte unbefangen zu prüfen, gelangt dennoch zum Ziel. Von alle dem nun hat die Spekulation neuester Zeit das Gegenteil getan, z.B. wenn sie die Psychologie in unmittelbaren Vergleich mit der Geognosie und Mineralogie stellt, um Seelenzustände aus dem Granit zu studieren, und Ähnliches gilt von allen den sanguinischen Parallelismen der Naturphilosphen. Dergleich läuft gegen alle Vernunft und der erste Grundsatz, der sich freilich von selbst zu verstehen scheinen sollte, ist, daß man jede Erscheinung auf ihrem eigenen Gebiet, in ihren eigenen Verhältnissen und Gesetzen studiere, nicht aber in dem ganz Unähnlichen, Unverwandten. Aber ebenso fehlen auch wieder diejenigen unter den neueren Gegnern der Metaphysik, welche, während sie sich schlechthin auf Beobachtung, zumal des Selbstbewußtseins berufen, solcher Vergleiche dazu gar nicht zu bedürfen glauben. Gesetzt, daß es auf diesem Wege Beobachtung und Erfahrung geben könnte, so würde es doch an einem Ausdruck fehlen, das Beobachtete festzuhalten und mitzuteilen, ein Fall, welcher bei dem Vergleich nie eintreten kann, denn mit der Klarheit des Wahrgenommenen, sei es Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit des Verglichenen, wird auch sogleich immer der deutlichste Ausdruck zur Hand sein.

Die Natur schließt uns unmittelbar kein Gesetz auf, sie spricht nie allgemein, sondern es sind immer nur spezielle Erscheinungen die sie vorführt, und die Allgemeinheit beruht nur auf unserer Auffassung, die freilich oft irren kann und nur selten unmittelbar das richtige treffen wird. Die Natur antwortet immer nur einsilbig, sie spricht nur Ja oder Nein, und ihre Sprache ist uns ganz unvernehmlich, wenn wir sie nicht sehr bestimmmt und speziell fragen. Dahin führen nun eben Vergleichungspunkte, zumal ganze Reihen schon aufgefaßter Zusammenhänge und vollends Gesetze. Hier sind wir auf dem Punkt, die Wahrheit und Wichtigkeit jenes newtonischen Ausspruchs in ihrem Wesen und ihrem Grunde zu fassen, daß nämlich die schon entdeckten Gesetze zu Auffindung und Beobachtung immer neuer Erscheinungen führen müssen. Dies geschieht nun zweifach, und zwar nach einem Unterschiede, der volle Aufmerksamkeit verdient.

Schon mit dem bloßen Sinne finden wir etwas leichter, wenn wir erst wissen, wo und wie wir es zu suchen haben, und in noch viel höherem Grade gilt dies von dem geistigen Auffassen. Erscheinungen werden gewöhnlich erst dann bemerklich, wenn ein Phänomen einmal in besonderer Stärke und Selbständigkeit irgendwo hervortritt; wir sehen es hier anfangs für etwas Besonderes und Isoliertes an, sobald wir seine Natur und sein Wesen aber erst genauer erkennen, lernen wir es auch noch an vielen anderen Stellen wiederfinden, wo wir es nur bisher nicht gesehen hatten, weil wir nicht darauf aufmerksam waren. Aus diesem Verhältnis nun hat sich die Forschung sogleich eine Maxime zu entnehmen, daß sie nämlich Erscheinungen zunächst da aufsuche und studiere, wo sie am kenntlichsten, am selbständigsten, am ausgesprochensten hervortreten. Hat man hier ihr Wesen, ihre Erscheinungsart, uhre Bedingungen und Abhängigkeiten kennengelernt, so wird man befähigt sein, dieselbe Erscheinung oder Entsprechendes auch noch in anderen Dingen wieder zu finden, wo sie schwächer beleuchtet, oder mit Erscheinungen anderer Art verwachsen sind; kennt man ein Phänomen erst in seiner Stärke, so wird man es auch verstehn, wo es schwächer auftritt, kennt man es erst einzeln, so wird man es auch noch wiedererkennen, wo es nur die Rolle eines Faktors unter anderen Faktoren hat: überall aber kennt man eine Erscheinung erst dann, wenn man ihren Umfang und die Kombinationen, welche sie eingeht, übersehen kann.

Und hier schließt sich denn die zweite Art an, welche der ersten zur steten Begleiterin dienen muß, um sie vor Irrtum zu sichern und welche erst in Verbindung mit jener die bessere Methode von der falschen unterscheidet. Nämlich nur allzugeneigt ist die kurzsichtige Auffassung des Menschen bei ihrem natürlichen Wunsch nach Gesetzmäßigkeit, eine jede geahnte oder teilweise nachgewiesene gleich soweit als möglich und weiter auszudehnen, als ihr eine prüfende Bestätigung folgen kann. Vermögen wir Leidenschaften dieser Art nicht zu unterdrücken, dann freilich sind wir auch unmittelbar den Erscheinungen gegenüber nur dem Irrtum unterworfen, und leicht könnte man in solchem Sinn RAMONDs Spruch die Auslegung geben: Wir sehen nur was wir wollen, wir sehen nur unsere Vorurteile. Leider ist dies oft geschehn, allein die Schuld fällt so sehr einer Geistesstimmung zur Last, welche mit der wissenschaftlichen Forschung nichts gemein hat, daß die Bekämpfung solcher Irrtümer eigentlich ganz außerhalb unseres gegenwärtigen Gesichtspunktes liegt. Wer forscht, muß ein für allemal die Gesinnung haben, zu eigener Kontrolle alle erdenklichen Mittel anwenden zu wollen und tut er dies, so werden jene allgemeinern Versehen bei einigem Scharfsinn von selbst wegbleiben. Man hütet sich davor besonders durch den steten Gedanken, daß nicht alle Erscheinungen nach  einem  Gesetz zu erfolgen brauchen, und daß man, statt ihnen fremde Regeln aufzuzwingen, vielmehr nach den ihnen innewohnenden zu suchen habe. Und hier ergibt sich dennoch eine ganz besondere Anwendung jener newtonschen Richtschnur, welche gerad das Gegenteil der übereilten Ausdehnung von Gesetzen ist. Bekannte Gesetze müssen uns dienen, fernere noch unbekannte und unberücksichtigte zu finden, und weit entfernt, daß man sich begnügt, wenn ein Gesetz nur ungefähr paßt, müssen uns gerade die gefundenen Differenzen zu Entdeckung neuer Erscheinungen führen. Darum eben ist hier Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit alles wert: Es waren nur unbedeutende Differenzen in den Bewegungen der Jupitertrabanten beim Verschwinden und Hervortreten hinter ihrem Planeten, und doch hat RÖMERs sorgfältige Aufmerksamkeit uns die Geschwindigkeit ergeben, mit welcher sich das Licht bewegt, wodurch denn das Licht in nahe Analogie mit dem Schall getreten und ein großer Schritt zur besseren Natureinsicht getan ist. Noch feinere Differenzen waren es, welche nur die Aberration (Abweichung) des Lichts lehren konnten. Wir haben hier ein Verhältnis, welches überall eintritt, und was auch über die Naturwissenschaften hinaus auf Disziplinen eine fruchtbare Anwendung leidet, welche bisher noch keine geregelte Behandlung genossen. Jede gefundene, in ihrem Wesen, in ihrem Grunde und Gesetz erkannte Regelmäßigkeit von Erscheinungen muß gerade durch die Ausnahmen und Modifikationen, die sie erfährt, wieder Wege zur genaueren Erforschung anderer Erscheinungen und ihrer Gesetze eröffnen, und die Kunst des Untersuchens besteht nun, gleich wie bei der Algebra, eben darin, durch Absonderung bekannter Faktoren die unbekannten immer klarer hinzustellen, bis zuletzt auch ihre Abhängigkeiten und Werte vor Augen liegen. Ein solches Verfahren ist nun leicht begreiflich das reine Gegenteil von der Konstruktion, ja ich behaupte, daß gerade dieser Gegensatz erst uns das wahre Wesen jener falschen Methode in seiner Allgemeinheit eröffnen werde. Die Konstruktion drängt den Erscheinungen Regeln auf, die nicht in ihnen selbst liegen, sie will Gesetzmäßigkeiten weiter ausdehnen als ihr wahres Gebiet ist, und um dies zu können, muß sie alles ungenau nehmen und sich mit Halbheiten und ungefähren Anklängen begnügen. Sie hat den seltsamen Glauben, alles über einen Leisten schlagen, alles nach  einem  Gesetz erklären zu müssen, was denn seiner Natur nach nur eine Einseitigkeit sein kann. Indem sie nun dies tut, gebietet sie eigenmächtig und despotisch, aber sie forscht nicht. Die Forschung hat zwar auch in weiter unerreichter Ferne das Ziel, alles je mehr sie es erkennt, je mehr es nach einem und demselben einfachen Gesetz aufzufassen, allein sie weiß, daß dies Gesetz sich nicht voreilig herbeiführen läßt, und sie hält sich stets den Spruch vor, daß nur die genaue Ergründung vorerst noch getrennter Gesetze und danach zu sondernder Erscheinungsgebiete nach und nach ein Zusammenfallen unter  einen  umfassenden Gesichtspunkt möglich mache. Diese Möglichkeit verscherzt sich der, welcher hier mit kindischer Ungeduld, berauscht und betört durch metaphysischen Irrtum, vorgreifen will: gerade dies aber tut die Konstruktion. Allein es tun es auch noch viele andere, welche nicht zugeben wollen, daß wir sie den konstruierenden Metaphysikern beirechnen, ja welche sogar selbst vermeinen, als deren Gegner ihnen das Gleichgewicht halten zu können. Sie sind ihn.en darin ganz gleich und konstruieren gar nicht minder, sofern sie glauben nach gewissen ganz einseitigen Formeln den gesetzmäßigen Gang aller Erscheinungen durchschauen und wohl gar danach die Zukunft weissagen zu können. Es ist dabei ganz gleich, woher diese bestimmenden Formeln entnommen sind, man konstruiert nach ihnen, sobald man ihnen auf Gebieten Geltung verschaffen will, deren Erscheinungen nach ganz anderen eigentümlichen Verhältnissen erfolgen; man konstruiert nach ihnen, sobald man nicht daneben noch vielen anderen Verhältnissen bestimmenden Einfluß einräumt, ja man tut es schon, sobald man nicht auf genaue Abwägung dieser Einflüsse ein besonderes Auge gerichtet hat, und man muß diesem Fehler anheim fallen, sobald man, nicht mit stetem Mißtrauen gegen sich selbst erfüllt, nach dem eben entwickelten Grundsatz die eigentümlichen Gesetze aufsucht und deren immer neue ausspaltet. Man muß die Erscheinungen in ihrem eigenen Wesen, in ihren eigenen Verhältnissen studieren, statt sie oberflächlich und ungenau seinen vorschnellen Einbildungen anzupassen, man braucht sich Ausnahmen nicht zu verschweigen, denn diese stören und widerlegen ein Gesetz nicht, sondern enthalten nur die Äußerung anderer noch unbekannter Gesetze, welche zu finden eben die Aufgabe ist. Dergleichen Aufgaben zu lösen ist gewiß nicht leicht, und außer dem Wissen, wie man es im Allgemeinen anzufangen habe, wird es noch aller außerordentlichen Geistesgaben bedürfen, um unzugänglichen Erscheinungen beizukommen, um voraus zu ahnen, von welcher Seite sie sich mit Erfolg würden studieren lassen, dann besonders aber um das Gefundene stets zu kontrollieren und sich selbst gegen Irrtum und Täuschung zu bewahren. Einige Maximen und Mittel, soweit es denn hier im Allgemeinen geschehen kann, wollen wir noch andeuten.

Je komplizierter und unzugänglicher Erscheinungen sind, je mehr sie sich von unmittelbarer Übersichtlichkeit und der davon abhängigen Evidenz entfernen, um so wichtiger ist es, sich nach mancherlei Kontrollen umzusehen. Dies werden nun im Wesentlichen keine andern sein können, als welche schon in den Wissenschaften mit Erfolg angewendet werden, nur etwas allgemeiner gefaßt. Zuerst: Vervielfältigung der Beobachtungen. Fehler, welche das  eine  Mal begangen wurden, wird man nicht immer begehen, wenigstens nicht immer dieselben, und die verschiedenartigen werden sich gewissermaßen ausgleichen. Dann aber besonders Vervielfältigung der Bedingungen. Sehr leicht tritt der Fall ein, daß man da, wo man irgend eine Erscheinung einzeln und allein zu haben glaubt, sie vielmehr nur in Verbindung mit irgend einer andern fremdartigen, wohl gar überwiegenden hat: dieser Mißlichkeit nun entgeht man dadurch, daß man unter wesentlich geänderten Bedingungen dieselben Erscheinungen aufsucht: was dann unter allen Verhältnissen gleich bleibt, was sich nicht ändert und umgekehrt, sondern was nur äußere Modifikationen annimmt, welche proportional sind mit der Verschiedenheit der äußeren Verhältnisse, dies wird immer und überall das wahre Wesen der fraglichen Erscheinung sein und besondere Aufmerksamkeit hat man eben auf die berührte Proportionalität der Abweichungen mit den geänderten Bedingungen zu wenden. Eine ganz vorzügliche Kontrolle aufgefaßter Zusammenhänge und Gesetze liegt denn auch darin, daß man sie immerfort mit neuen Erscheinungen, zumal mit solchen Erscheinungen zusammenhält, von denen sie nicht zunächst abstrahiert sind. Und dieses Verfahren bekommt dann eine noch größere Bedeutung, wenn es gelingt, gleich von vorn herein bei der Forschung sich mehrere Erscheinungsfelder eines und desselben mutmaßlichen Gesetzes sich so auszusuchen und abzugrenzen, daß jedes vom anderen in Bezug auf das Fragliche unabhängig bleibt, also eine Probe für das andere abgeben kann. Zum Glück haben wir für dies schon komplizierte Verhältnis innerhalb gegenwärtiger Untersuchung ein Beispiel, welches es vollkommen ins Licht stellen kann. Nämlich wenn es galt, den eigentlichen Akt des Erkennens zu finden, so suchten wir unsere Beobachtungen auf zwei von einander zunächst unabhängigen Feldern zu machen, in der Sprachentwicklung und in den Resultaten der empirischen Wissenschaften, und wenn wir uns eines Erfolges zu freuen hatten, so verdanken wir ihn gewiß nur diesem Kunstgriff. Mit dem Gefundenem gingen wir in die Geschichte der Philosophie: und es fand hier seine Bestätigung, freilich nicht unmittelbar und direkt, aber gerade das Indirekte schien hier ums so weniger trüglich: es gelang den Irrtum als solchen in seinem Grunde zu zeigen und den wahren Zusammenhang in der Geschichte der Philosophie nachzuweisen, ja es gelang zur sichern Gewißheit zu erheben, was allezeit gefühlt worden, und was die größten Philosophen indirekt selbst haben gestehen müssen. Man denke nur an jenes Geständnis des ARISTOTELES bei Gelegenheit seiner Bekämpfung der sophistischen Fehlschlüsse, bei denen er selbst einräumt, daß sie nicht gegen seine Regeln, sondern gegen ganz andere verstoßen.

Diejenigen, welche gegen sie verstoßen, sind es nun, worauf sich unsere gegenwärtig entwickelte Methode baut und gewiß sehr bemerkenswert bleibt, daß wir auf dem Weg solcher Entwicklung durchaus gar keinem Fall begegnet sind, welcher bestimmten Zusammenhang mit der aristotelischen Logik hätte, zum deutlichsten Beweise, wie sehr dieselbe ganz außerhalb des Erkenntnisaktes liegt. Weder solche Urteile, noch weniger solche Schlüsse werden bei wahrer Forschung gemacht, es bedarf also auch aller solcher Regeln gar nicht, als der Philosoph sie aufstellt. Aber welcher bedarf es denn? Der Akt des Fortschreitens ist ja ein ganz anderer, man schreitet nicht an Worten und Begriffen fort, sondern durch Beobachtung und Verbindung der Erscheinungen und alles was noch zur Sicherheit des Wortgebrauchs gesagt zu werden braucht, ist, daß man die Relativität der Begriffe richtig in Anschlag bringe, was sich freilich von selbst versteht, wenn man sich an Erscheinungen und nicht an Worte hält. Es ist kein logischer Irrtum mehr möglich, sobald man sich immer speziell besinnt, welche Erscheinungen denn unter einem Wort begriffen sind, mit dem Bewußtsein, daß das Wort an sich vieldeutig und nur ein Hilfsausdruck ist. Aber alle Aufmerksamkeit hat man jeden Augenblick auf den Unterschied dessen zu richten, was Gegebenes, und was bloß Mittel und Hilfsvorstellung, was Faktum und was Hypothese ist. Hypothesen können allerdings der Wissenschaft nutzen, nur nicht als solche, sondern sofern sie uns irgend einen Plan zur Beobachtung entwerfen lassen, wobei sich denn bald finden wird, ob sie einen Grund haben oder nicht. In solcher Rücksicht leisten sogar falsche Theorien ganz das nämliche, und zwar leisten sie eben das was die sogenannte  Regula falsi,  oder jene Art von Rechnung wo man vorzugsweise einen bestimmten Wert annimmt, um zuzusehn ob die Folgerungen daraus mit den Erscheinungen stimmen, oder nach welcher Richtung hin sie eine Änderung erleiden müssen. Andererseits haben allerlei Abstraktionen und mathematische Hilfsvorstellungen in den physischen Wissenschaften gute Dienste getan, und ums so mehr, als sie Verhältnisse vereinfachen oder irgendwie überschaulicher und faßlicher machen. Dahin gehört eigentlich die ganze Mathematik, dahin gehören selbst mancherlei räumliche Darstellungen, welche verwickelte Verhältnisse auf  einen  Blick anschaulich darstellen, z.B. die thermometrischen und barometrischen Kurven, die isothermen Linien u.s.w. Dahin gehören auch ganz vornehmlich angenommene Hilfslinien, Hilfsebenen u.s.w., dahin der Horizont, die Himmelskugel, der Schwerpunkt, dahin die Linien der Lichtstrahlen, welche an sich die Wellentheorie noch gar nicht ausschließen.

Aber wie finden wir nun das Entsprechende für die abstrakten Ausdrücke der Sprache, denn gleich wie alle andern Mittel der Forschung müssen nun auch die abstrakten Begriffe, richtig gehandhabt, derselben ebenso dienen können und wer von ihnen bei aller Sicherheit den freiesten und vorteilhaftesten Gebrauch zu machen weiß, wird offenbar am weitesten kommen. Die Schwierigkeit löst sich von selbst, sobald wir uns ihrer nur klar bewußt werden. Um große Gedankenkombinationen zu machen, um die allgemeinsten Zusammenhänge aufzufinden und aussprechen zu können, brauchen wir allgemeine Ausdrücke; aber diese sind an sich vage, vieldeutig, leer. Was ist also zu tun? das Allgemeine bekommt nur Inhalt durch das Besondere, aber wir können uns nicht immer mit dem Besondern schleppen, wir müssen es zusammenfassen unter Allgemeinerem: wir haben also nur eine solche Stellung der Dinge herbeizuführen, daß immer genau übersichtlich bleibt, welche besonderen Erscheinungen jedesmal das Allgemeine ausmachen: alsdann werden wir uns der abstrakten Ausdrücke mit Bequemlichkeit und Kürze bei den Kombinationen bedienen können, und werden doch immer genau wissen was wir an ihnen haben. Aber noch mehr: es kommt ganz besonders auch darauf an, die Relativität dieser Abstrakta zu kontrollieren, sich genau ihrer Erweiterung bewußt zu werden, d.h. immer wieder gruppenweise die neuen besonderen Fälle und Erscheinungen anzuordnen, welche in Folge gemachter Kombinationen und befundener Ähnlichkeiten nun fernerhin als gleichartig und als einem und demselben Gesetz unterworfen zusammentreten. Auf diesem Wege werden die Definitionen sich zwar fortwährend ändern, man wird daher aber davon strengste Rechenschaft zu geben wissen, und weit entfernt, daß diese Änderung und Erweiterung der Wissenschaft schadete, wird sie vielmehr mit der Fortbildung derselben, d.h. mit dem Aufsteigen zu immer allgemeineren Gesetzen und Zusammenhängen wesentlich eins sein. Man wird bei solcher Stellung überall zugleich das Speziellste im Allgemeinen haben, eins durch das andere verständlich, das Allgemeine inhaltsvoll durch diese aufsteigenden Reihen des Besonderen, und das Besondere bedeutsam in seinem Zusammenhange, in seinem Gesetz in seiner Ordnung zum Ganzen; man wird sich hier überall mit Geschmeidigkeit und Sicherheit auf und ab bewegen. So allein wird man, durch allmähliche immer inhaltsvolle Verallgemeinerung weiter und weiter aufwärts steigen und dabei immer im Angesicht der Erscheinungen bleiben, man wird mithin nie in dem Ausdruck auch leere Formeln, sondern wahre Gesetze besitzen: diese Gesetze sind aber nicht Vorschriften, welche wir der Natur aufgenötigt haben sondern sie sind weiter gar nichts als die Erscheinungen selbst in ihrem Wesen, d.h. in ihrem wahren Zusammenhange, in ihrer wahren Ordnung, in ihrer wahren Abhängigkeit, befreit von der Unordnung und Vereinzelung, mit der sie uns zunächst entgegen treten und entkleidet des Scheins und des Trugs, den sie eben deshalb für unsere unmittelbare Anschauung haben müssen. Und nun wird denn auch erst begreiflich werden, in welchem Sinne ich eben jenes Abbrechen des Wortwerks von dem fertigen Kerne meinte: die abstrakten Begriffe sind das Hilfsmittel, sie bleiben hier stets ein solches, sie sind bloßes Medium des Verständnisses, verbauen nicht die Erscheinungen, sondern lassen sie überall durchschaun und treten bescheiden zurück: der letzte Ertrag ist kein Wort, keine Formel, sondern der Zusammenhang der Erscheinungen, soweit es denn jedesmal gelingt denselben aufzufassen.

In jeder Rücksicht ist nun dies Verfahren das deutlichste Gegenteil von dem metaphysischen, und zwar leuchtet zunächst ein, wie es das Gegenteil ist von dem Folgern aus Definitionen, es ist der reinste Gegensatz der Konstruktion nach irgend einer Formel, welche den Schein ihrer Allgemeinheit nur ihrer abstrakten Natur, der Relativität, Vieldeutigkeit und Leerheit dankt, sei es nun, wie bei HEGEL, nach der Formel von der Einheit des Unterschiedes, oder, mit anderen, von der Polarität, oder von Kraft und Gegenkraft. Hier werden nicht so viel einzelne Hypothesen ersonnen, als es einzelne Schwierigkeiten zu geben scheint, sondern man strebt zur Erforschung allgemeiner Gesetze fort, die aber gerade in den scheinbaren Ausnahmen ihre tiefere Bestätigung finden. Die dargelegte Methode macht immerfort neue Erscheinungen zugänglich und fordert stets zu ihrem Studium auf, die metaphysische schreckt davon ab und meidet sie, oder verdreht sie gar; sie erkennt nichts, da sie auf einmal alles gleich unter  einem  Prinzip erkennen will. Dagegen ist in dem bezeichneten Verfahren das baconische Axiom, daß man nicht zu letzten Gesetzen springen, sondern allmählich aufsteigen müsse, wesentlich und in seiner größten Allgemeinheit enthalten, es sind überhaupt alle Axiome, welche der empirischen Wissenschaft an ihren Eroberungen geholfen haben, hier beisammen in ihrer möglichsten Steigerung. Wie die falsche metaphysische Methode sich auf eine falsche Ansicht vom Erkenntnisakt gründet, so gründet sich diese auf die Einsicht in den wahren Akt des Urteilens, und wie die metaphysische Methode nutzlos und unergiebig ist, so muß die unsrige auch außer den Naturwissenschaften, in denen sie die beste Probe bestanden hat, fruchtbar und ergiebig sein. Ja ich behaupte, daß sie noch überall, wenn auch unbewußt, im Spiele gewesen ist, wo man wirklich irgend etws von Naturgesetz erkannt hat, und daß sie es durch alle Zeiten sein wird, nach welcher allein der menschliche Geist von Erkenntnis zu Erkenntnis in gemessenem Schritt fortschreiten kann.

Von dem ersteren ist manches in gegenwärtiger Schrift vorgekommen; was die Zukunft betrifft, so kann ich dafür freilich nichts beweisen; aber ich habe mir wenigstens erlaubt, anzudeuten, daß es besonders praktische Versuche sind, welche mir ein solches Zutrauen zu diesem Verfahren einflößen. Ich nächstens etwas davon dem öffentlichen Urteil darbieten zu können, wobei ich nur bemerke, daß auch diese Methode ebensowenig als die empirische schlechtweg alle Art von Irrtum ausschließt, daß sie aber in sich selbst bei immer erneuter und immer sorgfältiger Anwendung die Mittel enthält, sich dem wahren Stande der Dinge immer mehr zu nähern und deren Gesetze immer allgemeiner zu fassen. Gerade hierdurch wird sie denn im Stande sein, auch Disziplinen, welche bisher gänzlich der Willkür unterworfen waren, auf eine Bahn zu bringen, wo die Arbeiter sich verstehn, sich gegenseitig in die Hände arbeiten und einer den andern fördern und kontrollieren kann.

Aber wenn doch allein ein Beispiel dem Entwickelten Deutlichkeit verschaffen kan und wenn überhaupt das Neue ganz besonders den psychischen Disziplinen zu gute kommen muß, so ist es glücklich, daß auch schon in gegenwärtiger Schrift einige Resultate der Art enthalten sind, und daß gerade diese eben selbst nur ganz auf solche Weise gewonnen wurden, als ich hier zuletzt theoretisch erörtert habe. Nicht aus unmittelbarer Beobachtung des Selbstbewußtseins konnten diese Resultate geschöpft werden, sondern es bedurfte dazu ganz besonderer Kunstgriffe; auch haben wir nicht die geistigen Operationen in Erscheinungen des Steinreichs, in der Geognosie, studiert, vielmehr haben wir so, als die Geognosie ihrerseits studiert werden muß, auch hier,  mutatis mutandis  (mit den nötigen Abänderungen), unsern Weg der Forschung genommen. Wir sehen tätige Vulkane und wir haben die Produkte ähnlicher Erscheinungen in größerem Maßstab in den alten übereinandergeschütteten Laven, ja in ganzen Gebirgen; der Geognost studiert eins durch das andere und in vielen Fällen wird er die fertigen Produkte deutlicher, lehrreicher, zugänglicher finden. So auch in der Pychologie: wir haben hier nicht bloß den flüchtigen Akt gegenwärtiger Operation, sondern wir haben die Produkte tausendfältiger Wiederholung eben dieser Operation in fertigen zugänglichen Abdrücken, und zwar unwillkürlich unbewußter Operationen, wo also der Zwiespalt zwischen Subjekt und Objekt der Beobachtung mit aller daher entspringenden Täuschung wegfällt. Und was waren diese Abdrücke, welche uns das Unzugängliche zugänglich, das der Täuschung Unterworfene täuschungslos machten? Die Sprache und die empirische Naturwissenschaft; in jenem Mittel und Werkzeug des Denkens hat sich unaufhörlich der Akt des Denkens abgespielt, nicht minder wieder in dieser das Resultat unseres Denkens mit dem durch die Geschichte der Wissenschaft noch kenntlichen Wege, dessen es bedurft hat, um dahin zu gelangen. Die Naturgesetze sind deutlich und verständlich durch die immer zugänglichen Erscheinungen, die Geschichte der Entdeckungen zeigt uns aber überall die Natur unseres Erkennens; ebenso die Sprachen durch ihre Geschichte; die Gleichheit aller Sprachen bei aller sonstigen Verschiedenheit mußte um so sicherer den wahren Gedankenakt, von dem doch allein diese Gleichheit abhängt, ergeben. Nun waren aber empirische Wissenschaft und Sprache unabhängig voneinander, also ganz besonders geeignet sich zu kontrollieren, nicht die Abhängigkeit von einem und demselben Irrtum konnte hier, wie so oft, scheinbare Gleichheit zur Folge haben, sondern beides war und blieb ganz verschieden und ordnete sich erst dann unter  einen  Gesichtspunkt, als aus beiden selbständig der Akt des Denkens entwickelt wurde und dieser sich übereintreffend zeigte. Von dem so gefundenen Akt aus entwickelten wir alles, er half aus, das Wesen der Sprachen und deren Rolle beim Denken zu verstehen, und er ließ uns tiefere Blicke in das Wesen der empirischen Wissenschaft tun; er begleitete uns bei der Kritik der Systeme, half uns ihre Mängel aufdecken, wobei sich stets neue Reflexe boten, um seine Wahrheit mehr und mehr ins Licht zu stellen; er half uns endlich zur Entwickelung einer neuen Methode, und indem hier ganz zuletzt die Art, wie wir ihn gefunden, wieder als Beispiel von der Methode dient, kehrt unser Buch in sich selbst zurück.

Ich hoffe dem eingehenden Leser deutlich geworden zu sein und fürchte vielmehr, mich oft schon einer zu großen Deutlichkeit beflissen zu haben, welche das Interesse wieder schmälert. Doch kam es hier nicht auf die Form, sondern die Sache an, und meine Pflicht war, dieser ihr Recht möglichst zu verschaffen. Ich scheute nicht, manches zu wiederholen, weil die Erfahrung lehrt, daß gewiße Dinge erst oft gesagt werden müssen, ehe man sie glaubt. Ich hätte über die neue Methode noch viel näheres, namentlich noch manche Kautel und Maxime beibringen können, doch konnte es sich hier nur um das Allgemeine, nicht um das Spezielle handeln. Überdies ist ja unsere Methode von der eignen Art, daß die bloße Wissenschaft dabei nicht hilft; sie auszuüben wird immer eine Kunst bleiben. Im Einzelnen ist die Subsumtion der Fälle und die Überwindung der immer andern Schwierigkeiten noch so schwer, daß es hier stets von neuem des wissenschaftlichen Genies und seiner divinatorischen Kraftäußerungen bedürfen wird, dahingegen nur in metaphysischer Schulphilosophie auch die beschränktesten Köpfe das Nachsprechen leicht haben. In solcher Art also muß ich verzichten, mir jemals Anhänger zu erwerben, sonst aber ruft eben diese Methode eine Schar gleichgesinnter Mitarbeiter ins Feld, die eben durch sie verbunden und orientiert mit vereinten Kräften wirken und sich durch ihre immer wiederholte und immer genauere Anwendung kontrollieren können, während den Anhängern der verschiedenen philosophischen Schulen nur übrig bleibt, mit gegenseitiger Geringschätzung und eigenem Hochmut aufeinander herabzuschauen.

Ich glaube hiermit im Wesentlichsten erfüllt zu haben, was ich eingangs versprach, und ich hoffe, daß der Leser eine meiner Versprechungen über die Sache selbst ebenso vergessen haben wird, als es mir begegnet ist. Ich hub nämlich davon an, mich auch mit meinen Gegnern, den Rezensenten meiner frühern Schrift, verständigen und ihnen antworten zu wollen. Ist dies jetzt noch nötig? Ich glaube, kaum. Denn wenn die Hauptdifferenz nach meiner Ansicht darin besteht, daß sie meine Bestrebungen falsch dargestellt, so habe ich jetzt Gelegenheit genug gehabt, mich auf allen Punkten deutlicher auszudrücken, ich will es aber gerne unbestimmt lassen, oder ihrem eigenen Nachdenken anheimstellen, an wem die Schuld unseres Mißverständnisses gelegen habe. Aber der Wahrheit gemäß und zu meiner eigenen Genugtuung muß ich versichern, daß alles hier Entwickelte bereits der Sache nach in meiner frühern Schrift enthalten war, wo es jetzt der wohlwollende und aufmerksame Leser um so mehr wiederfinden wird. Eine spezielle Erwiderung auf die mir gemachten Einwände mußte schon darum unterbleiben, weil der Ernst der Sache unmerklich einen Ton herbeigeführt hatte, der freilich weit von dem verschieden war, in welchem ihrer Natur nach jenen Entgegnungen nur billig geantwortet werden konnte. Ich versage mir dies hiermit nicht durchaus, sondern verschiebe es nur an einen andern Ort - aber ich hoffe vielmehr jenen und überlegeneren Urteilern diesmal in einer Art zu begegnen, welche besser geeignet ist, sei es beistimmend oder widersprechend, eine Sache von dieser Allgemeinheit und Dringlichkeit zu fördern.
LITERATUR - O. F. Gruppe, Wendepunkt der Philosophie im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1834