cr-3Mauthner - O. F. Gruppe    
 
OTTO FRIEDRICH GRUPPE
(1804-1876)
Die falsche Logik

Antäus
Begriff 'Abstraktum'
Gefahr der Sprachen
Kein System
Wendepunkt
"Wie? Die Logik des ARISTOTELES soll falsch sein! aus ihr hat ja alle Logik geschöpft, und alle Logik soll falsch sein!"   Relativität der Begriffe
Allgemeinheit
Spekulativer Irrtum
Neue Methode
Empirischer Ausweg

Die Dialektik des SOKRATES und PLATON ist wesentlich dialogisch, allein noch wesentlicher ist in diesem Dialog ein sehr bestimmtes Verhältnis zwischen Frage und Antwort: die Fragen sind nämlich alle bloß auf Ja und Nein gestellt.

Nur durch die Beschaffenheit seiner Fragen hatte SOKRATES es in seiner Gewalt, den Dialog so zu leiten, als dies das Charakteristische seiner Lehrart ausmacht. Aber was PLATONs mehr künstlerische Darstellung anlangt, so läßt sich gar nicht leugnen, daß eine solche Art des Dialogs derselben höchst ungünstig war: denn, wie man weiß, so fragt immer nur der Eine und der andere antwortet nur, ja er antwortet immer nur mit Ja oder Nein, sodaß PLATON alle mögliche Mühe hatte nur Abwechslung in diesen Ausdruck der Zustimmung zu bringen. Auf der anderen Seite sah er sich zu lebendigeren Einleitungen und in diesen zu wirklich dialogischem und darstellungsvollem Dialog genötigt, weil nämlich jener Dialog, welcher die dialektische Methode ausmacht, jene ermüdende, monotone Art der abfragenden Deduktion, in welcher die ganze philosophische Erörterung verhandelt wird, ihm selbst lästig und unerträglich sein mußte.

Ein anderes ist nun die philosophische Gründlichkeit, und sehr nahe liegt die Frage, ob diese in jener Methode groß genug sei, um so erhebliche Übelstände zu überwiegen.

Wie sehr SOKRATES und PLATON auch den Unfug der Sophisten bekämpfen, so haben sie doch in der Methode nicht vor ihnen voraus, ihre Deduktion beruth auf keinen besseren Prinzipien. Auch SOKRATES richtet immer seine Fragen so ein, daß der Gegner genötigt ist, zuzugestehen und erst wenn er das Ja erhalten hat, geht er fort und baut auf dem Zugestandenen weiter: hierin glaubte man eine besondere Bündigkeit des deduktiven Verfahrens enthalten, allein man täuschte sich darin sehr. Denn da alle Ausdrücke relativ sind, so kann niemals eine Frage schlechthin und ohne Vorbehalt mit Ja oder Nein beantwortet werden, so daß der Gegner das Recht erhielte auf dies gegebene Ja nun fortzubauen und mich unwiderruflich für die Schlußfolgen verbindlich zu machen. Ganz im Gegenteil muß der Gefragte erst wissen, was aus einem Satz gefolgert werden soll, weil er erst hiernach seine Zustimmung abzumessen hat, nämlich wie weit es auf eine gewisse Ungenauigkeit und auf verschwiegene Voraussetzungen nicht ankommt. In tausend Fällen hat diese Ungenauigkeit nichts zu bedeuten und ohne sie, so wie ohne die Relativität, gibt es gar kein Verständnis und gar keine Sprache. Fragt mich jemand auf Ja und Nein und ich antworte ihm arglos, ohne zu wissen, wohin er will, vielmehr um dies erst zu sehen, so ist nichts unbilliger, als daß man nicht gestattet, hinterher das schon Zugegebene wieder zurückzunehmen, weil es nämlich nicht in solchem Sinn zugegeben worden. Man sieht jetzt, warum die Sophisten so sehr darauf halten mußten, daß bloß mit Ja und Nein und ohne Bedingung geantwortet werde und daß man hinterdrein nicht zurücknehme. Aber wenn dem so ist, so muß auch jene sokratische und platonische Dialektik sogleich allen Wert verlieren, sie ist allem Irrtum bloßgestellt, und wenn sie ihm entgeht, so ist dies nur reiner Zufall. Nicht bloß jene wunderlichen Fragen des EUBULIDES, sondern alle, die schlechthin mit Ja oder Nein beantwortet werden sollen, damit darauf fußend weiteres gefolgert werde, alle diese gehören jetzt zur Klasse der captiösen (Verfänglichkeiten, wp) und bleibt nur noch der Unterschied, ob man mit Bewußtsein täuschen wolle, oder ob man unbewußt selbst getäuscht werde. Jenes gilt von den Sophisten, dies von PLATON; fragt sich aber, was schlimmer sei und was der Wissenschaft mehr geschadet, so muß man offenbar sagen, das letztere, denn die Sophisten und Megariker übten ihre Virtuosität nur zum Scherz, sie konnten unmöglich selbst Glauben haben an der Bündigkeit und Folgerichtigkeit ihrer fein ausgeklügelten Fragen. Desto mehr aber mußten sie auffordern, über die Natur des Denkens oder der Sprache besser zu untersuchen. Sehr deutlich legen jene Fehlschlüsse und besonders noch der SORITES die Relativität der Begriffe an den Tag, aber vergeblich für PLATON und ARISTOTELES, denn wir wissen daß die Dialektik des erstern und die Logik des letztern durchaus nicht darauf gerechnet hat. Man glaubte vielmehr, der Relativität entfliehen zu können und zu müssen, und ebendies hat denn auch offenbar nur jener falschen dialektischen Methode das Dasein gegeben. Gleichwie in der Geometrie wollte man nur aus schon Zugestandenem, scharf und unbedingt, folgern, nun schien aber die Genauigkeit der Zugeständnisse nicht besser erreicht werden zu können, als wenn man die Fragen so einrichtete, daß der Gefragte nur zwischen Ja und Nein die Wahl hatte. Es hatte hiermit den Anschein, als könne ebenso einfach als klar der unendlichen Vieldeutigkeit der Begriffe und dem Schwanken der Meinungen vorgebaut und Notwendigkeit in die Methode gebracht werden. Doch sind wir belehrt, daß diese scheinbare Abhülfe dessen, was freilich zum innersten Wesen der Sprache und des Denkens selbst gehört, nur auf Irrtum führen kann, wie denn auch durch die Sophisten augenscheinlich an den Tag gekommen. Allein die Dialektik des PLATON erliegt dem gleichen Irrtum, und sofern ARISTOTELES eigentlich nur die letztere in  formam artis  (in eine kunstvolle Form, wp) gebracht hat, kann auch er davon nicht ausgenommen werden.

Wie? Die Logik des ARISTOTELES soll falsch sein! aus ihr hat ja alle Logik geschöpft, und alle Logik soll falsch sein! Ich berufe mich zunächst auf das Urteil vieler Männer mit gesunder Einsicht, daß diese Logik durchaus im mindesten nicht hilft, daß sie durchaus unfruchtbar ist, und dann auf die Erfahrung, daß sie nicht imstande gewesen ist, vor den schlimmsten Fehlschlüssen zu schützen. Dies kommt sehr einfach daher, weil sie wirklich den eigentlichen Akt des Denkens ganz verfehlt, und weil ihre anscheinende Richtigkeit gar nichts anderes ist, als bloße Tautologie, also daß sie alles Inhalts entbehrt und nie zu Erkenntnis führen kann. Den Akt der Synthesis läßt sie außerhalb liegen und beschäftigt sich statt dessen mit lauter Tautologien, mit Dingen in denen gar keine Erkenntnis, gar kein Fortschritt liegt: so ist die Logik des ARISTOTELES, und so alle bisherige. Wenn ich z.B. sage  alle,  so versteht sich von selbst, daß  einige, einzelne, wenige,  Einer und derselben Gattung, wovon ich den Ausdruck "alle" gebrauchte, mit darunter begriffen sind, dies versteht sich unmittelbar durch die angenommene Geltung jenes Worts von selbst und es bedarf nicht erst eines Schlusses dazu; der Schluß
    Alle Menschen sind sterblich,
    CAJUS ist ein Mensch,
    also ist CAJUS sterblich.
dies ist gar kein Schluß, ein solcher ist nie gemacht worden und kann nie gemacht werden, denn in dem Ausdruck  alle  Menschen ist CAJUS schon unmittelbar selbst begriffen, hier findet gar keine Synthesis statt, ich brauche keines vermittelnden Untersatzes um die Sterblichkeit des CAJUS erst zu folgern, diese weiß ich mit jenem Satze zugleich schon; daß CAJUS ein Mensch ist, wird mir unmittelbar gegenwärtig sein, ich werde hiermit weder etwas neues erfahren, noch mich sonderlich zu erinnern brauchen. Ein anderes wäre es, was freilich für dieses Beispiel gar nicht paßt, wenn ich erst als etwas neues auf einmal erführe, daß CAJUS wirklich ein Mensch ist; alsdann läge hierin die erwachsende Erkenntnis und ich müßte die Gründe und Rücksichten dieser neuen Annahme prüfen; allein sohald ich einmal weiß, daß er Mensch ist, weiß ich auch, daß er sterblich ist. Und mit welcher Gewißheit weiß ich dies? Aus keiner theoretischen, es folgt dies nicht aus der Definition des Menschen, aus seinem Begriff, sondern es ist eine Erfahrung.

Und nun zeigt sich auch, daß jene Schlußart ganz verkehrt und falsch ist, eine Falschheit, die sogleich ans Licht kommen muß, sobald ich nur weniger nichtssagende Beispiele nehme. Es hatte lange Zeit eine gewisse Definition der Metalle gegolten und nun fanden sich immer neue Körper, welche ein Recht hatten, dieser Gattung beizutreten, allein daraus folgte nicht, daß man nun durch eine solche Schlußfolgerung alle jene frühern Eigenschaften, welche die Definition auszumachen schienen, auf sie übertragen durfte, vielmehr hatten sie immer nur gewisse Eigenschaften mit jenen gemein, und mit andern Eigenschaften standen sie wieder außerhalb. Hieraus folgte nur, daß in dem Augenblick, wo ich sie den Metallen zuzählte, und dazu war Recht und Dringlichkeit genug, auch die Definition des Metalls eine andere werden mußte, und dies wiederholt sich bei jedem Körper, den man noch ferner Metall zu nennen Anlaß hatte. Es wiederholt sich aber auch bei jedem Urteil, es gilt nicht nur von Gattungen, sondern auch von Merkmalen und kurz von allem, was nur Gegenstand der Synthesis des Urteils und in der Sprache Mittel seiner Bezeichnung werden kann. Es fehlt bei wirklichen Urteilen alles daran, daß bloß ein Prädikat dem Subjekt beilege, sondern das Prädikat selbst wird dadurch, wie gezeigt worden, sogleich ein anderes. Hieraus sieht man also, was freilich schon aus allem Abgehandelten handgreiflich klar ist, daß sich mit Definitionen nichts ausmachen, daß sich kein Begriff damit halten läßt, aber noch weniger läßt sich aus ihnen irgendetwas herleiten, es läßt sich aus ihnen niemals Erkenntnis und Synthesis entwickeln. Ganz im Gegenteil, wo Synthesis stattfindet, da werden Definitionen verändert, erweitert oder verengert, Begriffe werden umgestaltet und eben dies allein ist der Akt der Synthesis und des Urteilens. Nur wo keine Synthesis ist, wo ich innerhalb dessen bleibe, was schon immer zu einem Begriff gehört hat, in dessen Bedeutung übergegangen ist und durch den feststehenden Sprachgebrauch dafür genommen wird, nur hier kann ich ohne Fehler solche Urteile und Schlüsse machen, als die Logik sie lehrt, womit denn freilich das Gericht über sie ausgesprochen ist: sie sind nur richtig wo sie tautologisch und leer sind, in allen übrigen Fällen falsch: also überhaupt unnütz und verkehrt. Und dies alles, weil die Sprache und die Begriffe wesentlich relativ sind, hier liegen die Fehlschlüsse, die Irrtümer, die Schleichwege, hier die falschen Methoden.

Weil nämlich aller Ausdruck relativ ist, und notwendig relativ ist, so kann man keinen Satz unmittelbar zugestehen, so daß der, welcher die Schlußfolgerung macht, darauf in jeder Art fortbauen könnte, als auf ein absolutes Zugeständnis; sondern weil wir dies Zugeständnis erteilen, mssen wir immer erst zuvor fragen: wie meinst du das, in welcher Art nimmst du es, wo willst du hin, was willst du daraus herleiten, denn erst hiernach kann sich die Zustimmung richten. Wir müssen jedesmal eine gewisse Relativität und Unbestimmtheit gelten lassen, weil man ohne diese gar nicht sprechen könnte, allein nun kommt es darauf an, daß nicht gerade die Hauptsache, auf welche es abgesehen ist, innerhalb derselben falle und hier einen Schleichweg suche. Im gewöhnlichen Sprechen, wo man sich eben versteht, werden tausend Dinge verschwiegen und ebenso leicht ohne Irrung von selbst hinzugedacht, bald in dieser bald in jener Art; allein sobald es philosophische Untersuchung gilt und aus dem Zugestandenen etwas gefolgert werden soll, kann das nicht mehr gelten und wegen der beliebigen Relativität aller Ausdrücke kann schlechthin kein Anspruch zugestanden werden, ohne vorher den Sinn zu wissen, in dem man ihn brauchen will. Aber gerade hierauf beruthe die Kunst der Sophisten. Sie legten eine Frage vor und verlangten darauf eine Antwort mit Ja und Nein, also eine bestimmte, absolute Antwort; hatten sie diese, so benutzen sie die Relativität des Ausdrucks, um daraus etwas ganz anderes zu machen, als ihnen eigentlich zugestanden war, in dem der Gefragte die Frage nach ihrer gewöhnlichen unverfänglichen Bedeutung, die sie im praktischen Leben bei einer bestimmten unbewußten Voraussetzung hat, zu nehmen pflegt. Sich zu präcaviren (sich vorsehen, wp) beim Erteilen der Antwort ist auch nicht möglich, weil es nämlich unmöglich ist alle die Relationen, in denen man jenen Satz noch fassen kann, zu überschauen. Also ist ein solches Verfahren mit Frage und Antwort überhaupt unzulässig und irre leitend; hätte ARISTOTELES dies vollständig eingesehen, so hätte er freilich nicht nur jene dialogische Art der Sophisten durchaus verwerfen, sondern auch die platonische Dialektik für philosophische Untersuchungen durchaus ebenso ungeschickt finden müssen; allein auf dieser beruth vielmehr seine eigene Logik, welche alle Fehler der platonischen Dialektik in sich schließt. Jene wie diese ist allerorten dem Irrtum bloßgestellt, geht oft in ganz nichtssagenden Tautologien einher und fast nur der Zufall schützt sie vor Abwegen, denn selbst der gute Wille der Argumentierenden, einander nicht mit Fehlschlüssen zu überlisten, reicht nicht aus gegen unwillkürliche und unbewußte. Für ARISTOTELES blieb die Einsicht in die Relativität der Sprache eine ganz einzelne, ganz verlorene; hätte er sie mehr hervorgehoben, hätte er sie in ihrem Gewicht in ihrer Allgemeinheit gefaßt, dann hätte er seine übrigen Bücher freilich nicht schreiben können, und die Welt wäre nicht mehrere Jahrtausende mit jenem leeren und ganz unersprießlichen Kram belästigt worden, welcher nur dem Irrtum zum Schirm, nie aber als Förderung der Erkenntnis, nie als wahres Schutzmittel gegen Fehlschlüsse dienen kann.
LITERATUR - O. F. Gruppe, Wendepunkt der Philosophie im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1834