ra-1Höhere Mysterien zweiter KlasseWilliam JamesGeschichte des Teufels    
 
ADAM WEISHAUPT
(1748 - 1830)
Materialismus und Idealismus
[ 2 / 2 ]

"Es ist wahr, unsere Sinne zeigen uns das Innere der Sache nicht: aber sie zeigen uns dieses Innere auf die einzige Art, welche unserer Empfänglichkeit entspricht. Hier ist also Übereinstimmung, Wahrheit - kein Betrug: denn die Wirkung ist ihrer Ursache vollkommen gemäß. Dann erst würden uns unsere Sinne betrügen, wenn sie uns mehr offenbarten, als ihr Bau und ihre Gesetze der Einwirkung erlauben."

"Indessen fühle ich die Schwierigkeit, einen Egoisten zu widerlegen, nur gar zu wohl; wo kann und soll ich mit ihm anfangen? Was kann ich mit dem Mann streiten, der meine Wirklichkeit leugnet, der mich für nichts, für seine bloße Idee hält? Alles, was ich ihm sagen kann oder will, sind seiner sonderbaren Meinung zufolge nicht meine, sondern seine eigenen Gedanken; was ich ihm sage, das glaubt er sich selbst zu sagen."

Nach dem Sinn der Scholastiker ist nichts im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war. Nach LOCKE gibt es keine angeborenen Begriffe; und nach der Meinung eines DESCARTES und LEIBNIZ, liegen zwar alle Begriffe, insofern sie allgemein und unbestimmt sind, schon in jeder Seele, sie können nicht erst durch die Sinne hineingebracht werden: aber doch die Einschränkung; die nähere Bestimmung, das Individuelle dieser Ideen, das, was sie erweckt und entwickelt, hängt von der Lage unseres Körpers in der Welt ab, von den Eindrücken, die ein solcher erhält. Alle diese so verschiedenen Systeme so verschiedener Schulen vereinigen sich am Ende in dem Hauptsatz, daß es insofern keine angeborenen Ideen gebe, als man unter solchen wirkliche, bestimmte, individuelle, der Seele allzeit gegenwärtige, schon ihrem Körper auf die Welt gebrachte Begriffe versteht. Ich kann also diesen Satz, daß es keine angeborenen Ideen gebe, als einen von den wichtigsten Schulen anerkannten ausgemachten Grundsatz annehmen; davon ausgehen, und aus solchen meine Folgerungen ziehen.

Aber woher wissen wir denn, fragen vielleicht einige meiner Leser, daß dieser Satz, von welchem ich hier ausgehe, so ausgemacht sei, wenn alles menschliche Wissen so ungewiß, eine Täuschung der Sinne ist? Wie kann das ganze folgende System auf einen so schwankenden Grundsatz gebaut werden? Woher wissen wir, wenn als so trüglich ist, daß dieses System und dieses System ganz allein unter den tausend übrigen das wahre sei? Wo sind bei dieser so allgemeinen Ungewißheit die zuverlässigen Kriterien um seine Wahrheit zu prüfen? - Dieser Zweifel ist sehr natürlich und gerecht, und ich verspreche unten, wo der eigentliche Ort dazu ist, eine vollständige Beantwortung. Aber hier muß man mir bereits erlauben, mich auf Grundsätze zu berufen, die jeder Gegner, jeder Nicht-Idealist annimmt. Man muß mir erlauben, mich an seine Begriffe zu schließen, und von solchen auszugehen. Diese Forderung ist umso billiger, als meine Leser diese Sätze später als wahr erkennen werden. Kraft dessen bediene ich mich mit ihnen desselbigen Rechts. Auch ich nehme sie mit ihnen bis auf nähere Beweise, als wahr an. Es ist ihre Sprache, die ich spreche; es sind ihre Grundsätze, die ich anführe; ich rede diese Sprache, und ich führe diese Grundsätze, um sie dahin zu bringen, wo ich sie erwarte. Aus ihren Prämissen folgere ich, daß meine Leser mit diesen Vordersätzen, welche sie bisher gehabt, welche sie noch haben, wenn sie anders konsequent denken und schließen wollen, auf meine folgenden Schlüsse von selbst verfallen müssen.

Wenn nun also den Menschen keine Begriffe angeboren sind, so bleibt nichts übrig, als geradehin ohne Ausnahme zu behaupten, daß er sie sämtlich späterhin erworben habe. Es mögen nun mehrere oder nur eine einzige dieser Erwerbungsarten möglich sein, so lehrt uns in jedem dieser Fälle die unleugbarste Erfahrung, daß wir Menschen unsere ersten Begriffe durch keinen anderen Weg, als mittels unserer Sinne erhalten: sie richten sich vollkommen nach dem Maß dieser Sinne selbst, diese Begriffe werden umso richtiger, vollständiger, mehr oder weniger, besser, oder mangelhafter sein, als unsere Sinne selbst weniger, oder mehr besser, oder schlechter sind. Die Begriffe eines Menschen, der von Geburt aus blind oder taub, oder beides zugleich wäre, müßten äußerst unvollkommen, eingeschränkt, oder beinahe gar keine sein. - So wenig sich diese Erfahrung leugnen läßt, so werde ich doch einen neuen Wurf gewahr, der früher erscheint als der Ort dazu ist: also gibt es Sinne, könnten meine Leser aufrufen und fragen; und wenn es Sinne gibt, so gibt es eine Materie, denn die Sinne selbst sind Materie. Wie ist es also möglich, aus solchen Vordersätzen das Dasein einer Materie zu leugnen.

Ich antworte nur soviel, als ich bis jetzt ausführen kann. Jeder Teil der Welt hat in diesem Zusammenhang andere Weltteile, welche ihm die nächsten sind, welche unmittelbar in ihm wirken, durch welche er die Einwirkungen anderer entfernterer Weltteile erhält. Nach dem System der Idealisten sind alle Sinne nichts weiter, als eben diese Weltteile, deren Einwirkungen unmittelbar geschehen, mittels welcher die Einwirkungen aller entfernten Weltteile zustande gebracht werden. Selbst im physischem System haben unsere Sinne keine andere Verrichtung. In dieser Bedeutung hat also, wenn wir wollen, selbst nach dem idealistischen System jedes Wesen seine Sinne, seinen Körper; und wenn der Idealist behauptet, daß in uns alle Veränderungen durch die Sinne geschehen, so will er damit sagen, daß in uns keine Veränderung ohne Einwirkung äußerer nächster, und unmittelbarer Gegenstände könne hervorgebracht werden, daß diese Einwirkung von einigen Teilen der Welt unmittelbar von anderen entfernteren mittelbar durch diese erstere, die er Sinne nennt, bewirkt werde. Der Idealist, indem er annimmt, daß wir alle unsere Begriffe durch Einwirkung erhalten, kann also gar wohl von Sinnen sprechen. Die Media der Einwirkung können sehr verschieden sein, und nach der Rezeptivität des Wesens, auf welches sie wirken, von diesem sehr verschiedentlich vorgestellt werden. Wir Menschen stellen uns solche kraft der uns eigenen Rezeptivität, als Augen, Ohren etc. vor, und nur diese allein benennen wir mit dem Namen der Sinne, alle übrigen Mittel der Einwirkung bei anderen Wesen gehen wir gänzlich vorbei, weil wir sie weniger, oder gar nicht gewahr werden. Dem Idealisten heißen als Sinne, Organisation, organisierter Körper soviel als die Lage, welche jedes Wesen in der Welt hat, durch welche unsere gegenwärtige Vorstellungsart hervorgebracht wird: sie sind also im Grunde diese unsere innere Rezeptivität selbst, die eine Folge dieser Lage ist. Sinne heißen ihm soviel, als Medium, durch welches alle Einwirkung geschieht. Der Idealist leugnet also auf keine Art die Wirklichkeit der Sinne; nur gibt er diesem Wort diejenige Bedeutung, welche auf alle möglichen Arten der Einwirkung paßt, die aus dem Grund und dem Wesen der Sache selbst hergenommen ist. Nach dieser Erklärung ist es also falsch, daß die Wirklichkeit der Sinne die Wirklichkeit der Materie beweisen soll.

Wir erhalten also selbst nach dem idealistischen System alle unsere Ideen und Begriffe mittels der Sinne. Diese Begriffe sind nach ihrem ersten Ursprung bloße Empfindungen; allgemeine und abgezogene Begriffe entstehen erst aus wiederholten Empfindungen; sie sind die Vorstellung ein und derselben Eigenschaft, insofern sie an mehreren Gegenständen bemerkt wird; wir denken uns unter jedem abstrakten Begriff alle Individua, an welchen wir diese Eigenschaft bemerkt haben. Die jeweiligen Schranken unserer Erkenntniskraft nötigen uns, alle diese an so vielen Wesen sichtbare Eigenschaften in ein einziges allgemeines Bild zusammenzufassen, um nicht alle einzelnen Individua zu nennen und zu wiederholen; sie sind jedem Menschen im gemeinen Leben das, was dem Mathematiker die algebraischen Formeln sind. Abstrakte Begriffe sind Vorstellungen einer scheinbaren Ähnlichkeit, Verdunklung und Absonderung aller Individualität und Verschiedenheit: sie können ohne vorhergehende Empfindungen der Individuen von welchen sie abgesondert werden, folglich ohne einen vorhergehenden Gebrauch der Sinne nie gedacht, bei gar keinen Menschen gedacht werden. Unser ganzer Verstand und Vernunft, alle unsere höhere Kenntnis gründet sich also ebenfalls auf die Empfindungen, auf den Gebrauch der Sinne. Ohne diesen Gebrauch ist kein Verstand, keine Vernunft möglich; die Empfindungen und die Sinne sind die Vorratskammer, aus welcher der Verstand schöpft; diese liefern ihm alle rohe Materialien, welche sein Fleiß noch weiter bearbeiten soll. Kurz! es kann nichts im Verstand sein, was nicht vorher in den Sinnen war. -

Die soeben vorgetragenen Sätze scheinen mir von der Art zu sein, daß sie von keinem Menschen, der mit philosophischen Gegenständen bekannt ist, angefochten, oder widersprochen werden, wenn anders dieser Widerspruch einigen Grund für sich haben soll. Da ich auf sie allein bauen, und den Grund meines Systems legen werde, um daraus meine weiteren Schlüsse mit aller logischen Genauigkeit zu ziehen: so kann ich nicht einsehen, wie dieses System den Namen einer Hypothese, die kraft ihrer Natur sich auf willkürliche, unerwiesene bedingte Sätze und Voraussetzungen gründet, verdienen soll.

Vorausgesetzt also, daß diese Sätze jedem anderen so wahr und gewiß sein, als sie es mir sind, so schließe ich auf folgende Art:

Wenn wir keinen einzigen angeborenen Begriff haben; wenn wir alle unsere jeweiligen Begriffe bloß allein durch die uns bekannten fünf Sinne erhalten; wenn diese fünf Sinne einer Vermehrung und Verminderung, einer Erhöhung und Erniedrigung fähig sind; wenn noch anbei eine allgemeine unleugbare Erfahrung zeigt, daß mit jeder Veränderung und Modifikation der Sinne sich unsere Vorstellung von der Welt und ihren Teilen verändert; wenn sich diese Vorstellung durchaus auf das genaueste nach dieser Modifikation der Sinne richtet und verändert; wenn uns die Welt, samt ihren Teilen notwendig ganz anders erscheinen müßte, sobald der Bau unserer Augen von unseren gegenwärtigen verschieden, sobald dieser Bau z. B. mikroskopisch wäre; wenn ein Bewohner des Monds, des Merkur oder Uranus ganz andere Sinne, folglich von allen Gegenständen ganz andere Vorstellungen haben muß; wenn sodann mit der Abänderung dieser Empfindungen sich auch die abstrakten Begriffe, alles, was sich darauf gründet, Verstand und Vernunft nach Abänderung seines Grundes verändern muß; - wenn, sage ich, diese Vordersätze ausgemacht und wahr sind: so frage und fordere ich jeden auf, welcher jemals über ähnliche Gegenstände gedacht hat, hier still zu halten und sich selbst zu fragen, welche für jeden, der schließen kann, die Folgen dieser Vordersätze sein müßten. - Kann die Erde, kann die Welt, kann jedes einzelne Ding das in sich selbst sein, wofür es uns erscheint? Und wenn diese Dinge das nicht sind, was ist unsere ganze Erkenntnis mehr als relativ? Warum suchen und vermuten wir sodann unsere Begriffe, unsere Vorstellungsart, wo sie nicht sind, bei Wesen von ganz verschiedener Empfänglichkeit und Art? - Mir scheinen folgende Schlüsse eine notwendige logische Folge meiner obigen Voraussetzugen zu sein. Ich folgere und schließe also daraus: daß diese Erde sowohl, als alle übrigen Teile der Welt an und für sich nicht sind, was sie uns erscheinen; daß aber mit dem allen unser meistes Wissen auf diese Voraussetzung gebaut, und insofern irrig sei; daß alle unsere darauf gebauten Begriffe und Erfahrungen auf keine Art in das Innere der Sache führen; daß eben daher das unauflösliche der meisten dahin eingeschlagenen Aufgaben komme; (2) Daß es also der Philosophien so viele und mancherlei gebe, als verschiedentlich organisierte Wesen zur Wirklichkeit gelangen; daß die uns bekannten fünf Sinne noch lange nicht die letzten, und einzigen seien, durch welche man sich die Welt vorstellen kann, durch welche sich uns diese inneren Kräften offenbaren; daß also dieser noch weiteren Vorstellungsarten der WElt, die von der unsrigen ganz verschieden sind, noch sehr viele nicht bloß möglich, sondern wirklich und notwendig seien.

Ich denke, alle diese Schlüsse folgen in logischer Ordnung, und sie berechtigen mich, noch weiter zu schließen,


1)

es unmöglich sei, jetzt schon in das Innere der Wesen einzudringen, die Entstehungsart der Welt und ihrer Grundteile zu entdecken; daß wir von diesen aus den Gesetzen ihrer gleichförmigen Einwirkung nur soviel erkennen, als unsere gegenwärtige Rezeptivität gestattet, als wir nötig haben, unserer physischen und moralischen Zustand zu verbessern.

Alle Untersuchungen über die ersten Grundursachen der Dinge liegen ganz außer dem Kreis unserer Erfahrungen und Begriffe. Sie sind vorhanden; Gott ist ihr Urheber, sie offenbaren sich uns durch ihre Wirkungen kraft der uns eigenen Rezeptivität: das ist alles, was wir davon mit Gewißheit erkennen. Was noch weiter darüber gesagt worden ist, oder noch gesagt werden kann, ist eine bloße Hypothese; Es beruth auf ganz willkürlichen Voraussetzungen, welche im Mangel des Wahren den menschlichen Stolz und seiner grenzenlosen Wißbegierde so ungemein schmeicheln. Man durchgehe doch mit unbefangener Vernunft Satz für Satz, alle älteren und neueren Kosmogonien; man frage bei jedem nach den dazu nötigen Beweisen: ich bin versichert, man wird keine einzige Tatsache, keinen einzigen unleugbaren Grundsatz finden, von welchem sie ausgehen. Auf diese Art werden sie dem kalten Forscher, dessen Einbildungskraft sich weniger in das Spiel mischt, als bloße Romane oder Gedichte über den Ursprung der Welt erscheinen. Man untersuche doch ohne Vorliebe die Vordersätze des so berufenen Emanationssystems. [Ursprungs- / wp]. Haben wohl die Verteidiger dieses so sonderbaren Systems bedacht, ob es möglich sei, daß aus einer unteilbaren Gottheit Ausflüsse geschehen? daß sie Gefahr laufen im pantheistische oder atheistische Irrtümer zu verfallen? daß diese Erklärungsart mehr eine bildliche Vorstellung, als eine befriedigende Erklärung sei? Haben sie bedacht, wie sehr alle Folgen dieses Systems gänzlich hinwegfallen, wenn der Hauptsatz von den Ausflüssen der Gottheit auf keine Art erwiesen werden kann? - Diese Erklärungssucht unerklärbarer Gegenstände hat bei so vielen Menschen so mannigfaltige Irrtümer veranlaßt. Der Idealist allein ist demütig, er fühlt und gesteht seine Unwissenheit und Schwäche, weil er sich von der Unmöglichkeit weiterer Aufschlüsse in diesem Leben überzeugt. Aber das ist auch zugleich, was den Idealismus so vielen Menschen von einer feurigen Einbildungskraft und einem großen Dichtungsvermögen so gehässig macht; er reißt ganze Systeme nieder, auf welche wir stolz waren; er erschüttert unsere ganze Erkenntnis, auf welche wir uns soviel zu gute halten; er verursacht ungeheure Lücken in der Erkenntniskraft unserer Seele, die er nicht ausfüllt und zu diesem Ende den Dichtern überläßt: er zeigt, was wir nicht wissen, was wir in diesem Leben nie wissen werden, und wir sind so geneigt alles zu wissen, alles zu entscheiden; darum behelfen wir uns lieber mit Träumen und verkaufen sie als Wahrheit.


2)

Daß jede Empfindung bei diesem oder bei jenem, gleich oder verschiedentlich organisierten Wesen im Grund nichts weiter sei, als die Wirkung äußerer Gegenstände, auf so und nicht anders empfängliche Wesen.


3)

Daß mit jeder noch so unmerkbaren Abänderung dieser Organisation auch notwendig eine eben so wahre, ihrer Ursache proportionierte Veränderung im Erkenntnisvermögen der vorstellenden und empfindenden Kräfte vorgehen müsse.

Wenn dieser Satz richtig und ausgemacht ist, kann es möglich sein, daß ein Bewohner des Saturn mit uns einerlei Begriffe über dieselben Gegenstände habe? Kann es möglich sein, daß nach dem Tod, wo wir alle unsere Sinne verlieren, unsere Vorstellungsart samt unseren gegenwärtigen Begriffen noch die nämlichen seien?


4)

Daß jeder Mensch kraft seiner natürlichen oder künstlichen, vermehrten oder verminderten, erhöhten oder geschwächten Sinne allzeit recht empfinde; daß keiner bei aller auch noch so großen Verschiedenheit hintergangen werde, wenn er gleich anders als alle übrigen Menschen empfinde; denn er sieht die Gegenstände, wie es seine Organisation oder Rezeptivität leidet, und andere sehen sie ebenfalls nach der ihnen eigenen Art. Daß es also falsch sei, daß uns unsere Sinne betrügen oder hintergehen.

Es ist wahr, unsere Sinne zeigen uns das Innere der Sache nicht: aber sie zeigen uns dieses Innere auf die einzige Art, welche unserer Empfänglichkeit entspricht. Hier ist also Übereinstimmung, Wahrheit - kein Betrug: denn die Wirkung ist ihrer Ursache vollkommen gemäß. Dann erst würden uns unsere Sinne betrügen, wenn sie uns mehr offenbarten, als ihr Bau und ihre Gesetze der Einwirkung erlauben.


5)

Daß wir also andere nur insofern eines Mangels und Irrtums im Empfinden beschuldigen, weil wir als Partei den Richter machen; weil wir schon als ausgemacht voraussetzen, daß unsere Art zu empfinden die einzige und wahre sei; weil ihre Art zu sehen und zu empfinden nicht die unsrige, nicht die allgemeine ist, so wie es auch ihre Organisation nicht ist; weil wir nicht bedenken, daß verschiedene Ursachen verschiedene Wirkungen hervorbringen.


6)

Daß es aber auch noch außer uns Wesen und Kräfte gebe, die uns zwar in sich unbekannt sind, doch aber durch ihre Wirkungen erscheinen, und nach Verschiedenheit der Rezeptivität des empfindenden Subjekts sich verschiedentlich offenbaren. Daß also die Gegenstände außer uns, auf keine Art unsere bloßen Gedanken seien. Und eben dadurch ist es, wodurch sich das gegenwärtige System von anderen idealistischen Systemen unterscheidet. Es gibt deren einige, welche die Wirklichkeiten aller Gegenstände außer uns verwerfen. Beinahe führt der Idealismus, wenn er ein wenig mißverstanden wird, sehr gerne auf diese Folge, und man läuft Gefahr von einem Pluralisten zum Egoisten zu werden. Aber der Fehler liegt sodann in der Schlußart; die Folge, die man zieht, enthält mehr als die Prämissen, aus welchen sie folgt. Der Idealismus entsteht und gründet sich auf den unleugbaren Vordersatz: Mit veränderten Sinnen empfinde ich denselbigen Gegenstand auf eine andere Art. Wenn ich nun daraus schließe: also sind gar keine Gegenstände außer mir: so folgere ich zuviel; die logische Folge ist: also ist der Gegenstand das nicht an sich selbst, wofür er mir erscheint. Man merke sich daher ein für allemal: der Idealist bezweifelt nicht die Dinge außer ihm, sondern bloß allein die Eigenschaften, die er an ihnen gewahr wird; diese  als solche  hält er für seine Gedanken; weil Wesen von verschiedenen Sinne und Empfänglichkeit, sie verschiedentlich auf die ihnen eigene Art erkennen. Alle Wesen, deren Eigenschaften er gewahr wird, hält er für real: aber er glaubt sich aus Mangel an Erfahrungen und Tatsachen außerstande, über ihre Natur etwas Näheres und Bestimmtes zu sagen: er weiß nur, was sie ansich nicht sind. Aber sogar die Eigenschaften dieser Dinge hält er für real, insofern sie Wirkungen dieser Kräfte sind. Insofern diese Wirkungen durch seine eigene Kraft modifiziert und zu dem werden, was sie ihm erscheinen; nur insofern sind sie ihm seine eigenen Gedanken.

Indessen fühle ich die Schwierigkeit, einen Egoisten zu widerlegen, nur gar zu wohl; wo kann und soll ich mit ihm anfangen? Was kann ich mit dem Mann streiten, der meine Wirklichkeit leugnet, der mich für nichts, für seine bloße Idee hält? Alles, was ich ihm sagen kann oder will, sind seiner sonderbaren Meinung zufolge nicht meine, sondern seine eigenen Gedanken; was ich ihm sage, das glaubt er sich selbst zu sagen. - Dies macht, daß man das Ungereimte des egoistischen Systems besser fühlen, als sagen, oder mit Worten erklären kann. Vielleicht können doch folgene Gedanken als ein Versuch zur Widerlegung des egoistischen Systems angesehen werden.
    1) Der Egoist folgert zuviel, er folgert mehr, als in den Vordersätzen enthalten ist: er schließt, daß gar keine Gegenstände außer ihm wirklich seien, weil die Dinge das nicht sind, wofür sie ihm erscheinen.

    2) Wenn nichts außer mir ist, wenn ich das einzige wirkliche Wesen bin, wie kann ich mich unterscheiden, wie erhalte ich das Bewußtsein meiner selbst? Und wenn ich dies nicht kann, woher weiß ich, daß ich bin?

    3) Wenn ich das einzige Wesen bin, so gibt es kein Ganzes, denn es gibt keine Teile: so gibt es keinen Zusammenhang, keine Ordnung, keine Übereinstimmung, keinen Ort, keinen Einfluß, keine Veränderung, keine Zeit.

    4) Wenn ich allein bin, so sind Wirkungen vorhanden ohne Ursache; es gibt Vorstellungen ohne einen Gegenstand: Ein Bild ohne Sache, einen abstrakten Begriff ohne einzelne Dinge, wovon ich ihn abziehe.

    5) Welche Bestimmung habe ich im System des Egoisten? Wozu erfahre ich das alles, welche Pflichten, welche Gründe der Sittlichkeit kann ich haben? Warum fliehe oder suche ich, was in mir selbst ist? Warum muß mir alles so scheinen, als ob es so wäre? Und wenn mir dies nötig ist, um zu sein, warum sind die Sachen nicht lieber wirklich, die mir nur in Gedanken erscheinen?

    6) Endlich die Analogie. Ich glaube Wesen außer mir zu sehen: diese scheinen mir gebaut, wie ich es bin; sie scheinen mir zu handeln und zu denken, gerade so, wie ich handle, oder denke: durch eben diese Handlungen schließe ich auf meine Wirklichkeit. Warum soll ich anderen bei dieser anscheinenden Ähnlichkeit der Wirkungen die Ähnlichkeit der Ursachen verneinen? Andere scheinen mir dasselbig mit derselbigen Gewißheit, aus denselbigen Gründen, ganz auf dieselbige Art zu versichern; sie scheinen mir aus derselbigen Quelle zu schöpfen: warum sollen sie weniger sein als ich?
Es gibt also nach dem System des Idealismus noch andere Gegenstände und Kräfte außer uns; aber was sind sodann diese Kräfte außer mir? Sind alle Kräfte Geister, oder gibt es außer diesen noch andere Wesen? - ich weiß es nicht - Soll ich zurückdenken auf das, was ich war, auf das, was ich geworden bin, von welchem Zustand ich ausging, um mich zu dieser gegenwärtigen Stufen von Vollkommenheit zu entwickeln? so gab es wenigstens vor einiger Zeit eine einzige Kraft, die sich in einem Zustand befunden hat, wo sie ohne deutliche Vorstellung war: und diese Kraft war  Ich:  und dieser Zustand war der Zustand meiner Geburt. Freilich werde ich auch außer mir noch andere Wesen z. B. Tiere oder leblose Dinge gewahr, an welchen alle Spuren des Verstandes noch schwächer und unkennbarer sind. Aber doch von keinem derselben weiß ich mit dem Grad der Gewißheit, was sie sind, als ich es von mir weiß. - Kurz! ich weiß es nicht. Es gehört mit zu den Geheimnissen der Vorsicht; indessen scheint es mir nicht unmöglich zu sein, daß dereinst, wenn die Reihe sie treffen wird, alle Naturkräfte vorstellende und denkende, oder diesem ähnliche Kräften werden. - Der, so behauptet, daß es jetzt schon außer den Geistern keine andere Wesen gebe, ist der Idealist in der engsten Bedeutung des Wortes.


7)

Daß Scheinursachen auch Scheinwirkungen hervorbringen; so wie die von den meisten anerkannte Jllusion und Nichtigkeit der Farben nicht hindert, daß sich nicht ganze Künste und Wissenschaften als z. B. die Chemie, Färberkunst und Malerei damit beschäftigen, Farben hervorzubringen und gehörig zu verteilen und anzuwenden.


8)

Daß Körper, Materie und Ausdehnung  als solche  betrachtet, Erscheinungen seien, hinter welchen uns diese unbekannte Naturkräfte fühlbar werden; daß wir uns vielleicht nur eine ungeheure Menge dieser im verborgenen auf uns wirkenden Kräfte als ein Ganzes unter einem einzigen Bild denken und vorstellen; daß wir sodann dieses Bild mit dem Namen eines Körpers, Materie oder Ausdehnung belegen.

Hier stoße ich auf einen der wichtigsten Einwürfe, der gegen dieses System vorgebracht werden kann; der, wenn er nicht beantwortet werden könnte, den Grund meines ganzen Gebäudes, und mit diesen alle daraus abgeleitete Folgen gänzlich zernichten würde. Der Leser könnte sagen: (3) Ich gestehe ein, daß wir mit veränderten Organen alle Gegenstände auf eine ganz verschiedene und entsprechende Art erkennen; daß also alles, was wir durch die Sinne erkennen, das Innere der Sache nicht sei. Aber wie folgt daraus, daß es keine Materie, keinen Körper gebe? Alle angeführten Gründe scheinen sich bloß auf die Form der Materie zu beschränken. Es folgt nicht mehr daraus, als daß diese Form der Materie. Bei veränderter Organisation kann zwar die Form der Materie mehreren Subjekten auf eine andere Art erscheinen: aber dadurch wird das Wesen, und die Wirklichkeit der Materie auf keine Art aufgehoben; sie bleibt, was sie ansich ist, das, was an ihr Erscheinung ist, tangiert nur ihre Form, ihr Äußerliches, nicht ihr Wesen selbst. Daß sich die Materie dereinst, wenn wir die höchste Stufe geistiger Vollkommenheit werden erstiegen haben, vor uns in nichts, oder vielmehr in ein einfaches Wesen auflösen werde, darüber können wir jetzt noch nicht urteilen, sondern wir müssen sie als etwas körperliches annehmen, wir müssen vom irdischen menschlich urteilen.

Ich antworte:
    1) ich gestehe ein, daß alle unsere bisherigen Erfahrungen bloß allein die Form der Materie betreffen; daß wir noch keine einzige Erfahrung gemacht haben, durch welche das Dasein der Materie gänzlich verschwunden wäre. Wir müssen aber nicht minder bedenken, daß wir uns bei keiner einzigen dieser Erfahrungen von unseren bisherigen Sinnen ganz entfernen, oder losmachen konnten; daß also die Folge zum Teil bleiben mußte, weil der Grund zum Teil geblieben ist. Dies macht, daß in diesem Leben der Schluß auf die gänzliche Verneinung der Materie niemals ein bloßer unmittelbarer Erfahrungssatz werden kann; daß statt dessen dieser Satz von der Nicht-Wirklichkeit der Materie nur durch eine Reihe von Vernunftschlüssen herausgebracht werden kann. Dahin rechne ich folgende Sätze:

    Mit teilweise veränderter Organisation verändert sich allzeit die Form äußerer Gegenstände, und unter diesen die Form der Materie. Wenn nun diese Organisation gänzlich verändert wird, warum soll es nicht geschehen, daß selbst die Vorstellung der Materie gänzlich hinwegfällt? Dies scheint eine umso gewissere Folge zu sein, als jetzt schon durch die Vernunft erwiesen werden kann, daß die Materie ein Gedanke, eine Vorstellungsart der Geister ist; als die Fälle nicht unmöglich sind, wo wir unsere ganze jetzige Organisation verlieren können und werden. Dies geschieht durch den Tod, durch welchen wir alle unsere gegenwärtige Sinne und mit diesen die ganze gegenwärtige Vorstellung der Welt verlieren. Es ist unmöglich, daß wir in einen Zustand, wo wir keine Augen, sehen, daß wir hören oder fühlen sollen, wo uns die Sinne des Gehörs und des Gefühls mangeln; daß wir uns die Gegenstände außer uns bei einer ganz veränderten Rezeptivität noch auf die vorige Art vorstellen sollen. Nun ist die Vorstellungen von Materie und Ausdehnung eine Idee, welche wir vorzüglich durch das Gesicht in Verbindung mit dem Gefühl erhalten: sie muß also mit diesen beiden aufhören und verloren gehen, und wir müssen annehmen, daß wir nach dem Tod entweder gar keine Vorstellungen haben, oder daß sie von der gegenwärtigen total verschieden sind, weil unsere Rezeptivität gänzlich verschieden ist. Daß aber

    2) die Materie schon in diesem Leben nichts weiter als ein Gedanke der Geister sei, habe ich zum Teil schon oben in der Einleitung gegen den Materialismus weitläufig erwiesen. Ich kann aber diesen Beweis auch auf folgende Art noch einmal kürzer fassen und vortragen.
Offenbar ist jede Materie ein zusammengesetztes Wesen; sie besteht also aus Teilen, sie ist folglich ein Ganzes, und wir stellen uns in jeder Materie mehrere einzelne Teile als ein sinnliches Ganzes vor; sobald wir diese Teile denken, verliert sich der Begriff des Ganzen der Materie: nur insofern wir diese Teile wieder zusammenfassen; erhalten wir diesen Begriff. Nun aber muß jeder eingestehen, daß alles Zusammenfassen oder Zusammendenken getrennter Teile ein Aktus unserer Seele sei; daß es nicht sei, was außer ihr in der ganzen Natur wirklich wäre: es ist also eine Vorstellung, ein Gedanke der Geister, die sich Teile, die in der Natur auseinander sind, vereinigt vorstellen. So ist ein Sandhaufen ansich betrachtet ein Aggregat aller einzelnen Teile, aus welchen er besteht; eine Idee des Verstandes, der sich diese Sandteile als eins denkt.

Welche Form ist also der Materie eigen? könnte man ferner fragen. Welche Form ist die ursprüngliche und wahre? Ich antworte - keine. Jede Form ist eine Vorstellungsart relativ. Jede Form drückt nur die Veränderung aus, welche die immateriellen Grundteile der Materie kraft unserer jedesmaligen Rezeptivität in uns bewirken. Es ist eben soviel, als ob ich fragen wollte, welche Farbe der Materie eigen ist. Ich könnte eben so gut schließen, jede Materie müsse eine Grundfarbe haben, weil alle unsere bisherigen Erfahrungen sie mit und unter dieser Eigenschaft darstellt. Wenn also die Materie selbst keine Erscheinung ist, so können die Farben eben so wenig Erscheinung sein: denn wir werden durch alle bisherige Veränderung der Organisation keinen Gegenstand gewahr, welcher gar keine Farbe hätte; nur die Art der Farben wird verändert und wir müssen notwendig allzeit gefärbte Gegenstände gewahr werden, weil wir zu allen unserer Beobachtungen unsere Augen mit uns bringen, in welchen sich die Lichtstrahlen brechen. Soll es nun auch dort gefärbte Gegenstände geben, wo keine Augen sind, wo wir diese verlieren? Kann es dort noch eine Materie geben, wo wir aufhören werden, einzelne Teile in ein Ganzes zusammenzufassen? - Nur durch Vernunftschlüsse wissen wir, daß keine Farbe etwas reales ist; und durch eben diese Vernunftschlüsse wissen wir auch, daß die Materie nicht minder als die Farben eine Erscheinung, eine Vorstellungsart, ein Modus vivendi [Lebensart - wp], eine Idee sei.


9)

Daß man nach diesen Grundsätzen die Wahrheit oder Falschheit derjenigen Lehren prüfen und beurteilen könne, welche die Materie als tot, formlos, als den Ursprung des Übels, den Körper als den Kerker der Seele betrachten, die wegen den Urheber der Materie in Verlegenheit sind, oder diese mit Gott gleich ewig betrachten.

Wenn ich mich einmal überzeugt habe, daß es an und vor sich keine Materie gebe, daß alle Materie bloße Erscheinung sei, wie ist es möglich, daß man noch weiter über den Ursprung und die Eigenschaften einer Sache streiten könne, die außer unserer Vorstellungsart gar keine Wirklichkeit hat? Man weiß, welche Systeme die älteren und neueren Mystiker und Theosophen auf das reale Dasein der Materie gegründet, welche Folgen sie aus dieser Voraussetzung gefolgert haben. Diese Systeme sind durch obige Behauptungen bei ihrem Hauptgrund untergraben; ich denke, schon von dieser Seite allein sollte der Nutzen der idealistischen Systeme einleuchtend und bewiesen sein. Viele entgegenstehende Systeme beruhen ohnehin auf mehreren unerwiesenen, willkürlichen Voraussetzungen und zum Teil offenbaren Widersprüchen, wie z. B.  formlos Materie.  Soll die Materie etwas reales sein, so ist jede derselben wesentlich zusammengesetzt: sie hat also Teile außer Teile, folglich Form und Figur.


10)

Daß selbst unsere Körper so wie unsere Organisation als solche auch nur Erscheinungen seien; daß diese Wörter und Redensarten an und für sich nichts weiter ausdrücken, als die uns eben so unbekannte Rezeptivität unserer Vorstellungskraft; die Fähigkeit, die Wirkungen dieser außer uns auf uns wirkenden unbekannten Kräfte uns so, und nicht anders auf diese bestimmte Art vorzustellen; die Lage, welche unser denkendes Wesen unter den übrigen Weltteilen behauptet, durch welche es bestimmt wird, und seine Einwirkungen erhält; die Gegenstände außer ihm, welche ihm die nächste sind.


11)

Daß derselbige Gegenstand, wenn er auf tausend verschiedene Organisationen wirkt, ob er gleich mir, der ich so organisiert bin, nur unter dieser Gestalt z. B. eines Baums erscheint, doch für die übrige Organisationen nach Verschiedenheit ihrer Natur in tausendfach verschiedener Gestalt erscheinen müsse; für Wesen von ganz verschiedenem Sinnenbau sogar als etwas erscheinen müsse, wovon wir jetzt noch gar keinen Begriff haben; daß der Baum nicht für alle Wesen ein Baum oder ein jedes anderes Bild aus dieser Organisation sei; daß also jeder Gegenstand die Anlage habe, auf tausenderlei Art zu erscheinen, so wie unser Angesicht in einen Plan-, Hohl- oder Konvexspiegel freilich noch immer als Angesicht, (weil es noch immer ein Spiegel ist, in welchen wir uns beschauen) aber soch nach Verschiedenheit dieses Spiegels bald ordentlich, bald lang, bald breit, bald groß, bald klein, bald umgekehrt erscheint. Diese verschiedene Organisationen sind im figürlichen Ausdruck diese Plan-, Hohl- oder Konvexspiegel.

Der Idealismus würde unendlich mehr an Wahrheit gewinnen, wenn es uns hierunten schon möglich wäre, das ganze Joch unserer Sinne abzuwerfen; wenn es möglich wäre, nur ein einziges Beispiel anzuführen, wie wir uns nur einen einzigen Gegenstand vorstellen würden, wenn alle unsere Sinne gänzlich verändert wären. Aber dieser Fall ist leider nicht möglich! Die Vernunft allein muß hier zu Hilfe kommen und diese Lücke füllen; denn alle mögliche Beispiele sind noch immer aus dieser Sinnenwelt genommen; immer sind es noch diese Sinne, mit welchen wir diese Gegenstände erkennen, freilich mit einiger Veränderung, aber diese Veränderung ist für die meisten Menschen noch zu wenig entscheidend. Dies macht, daß wir uns eine andere ganz verschiedene Gestalt dieser Dinge, die wir nach unserer gewohnten Art empfinden, so wenig vorstellen können, als es uns jetzt unmöglich ist, uns von einem sechsten ganz verschiedenen Sinn einen deutlich Begriff zu machen; dies macht, daß wir mit der hier möglichsten Veränderung der Sinne, mit der großen uns möglichen Anstrengung doch noch allzeit Materie, Figur, Ausdehnung, Farben gewahr werden; daß wir uns gar nicht vorstellen können, wie ein Gegenstand unter was immer für einer Organisation ohne diesen Eigenschaften könne gedacht oder vorgestellt werden. Kaum können wir uns in die Lage denken, mit welcher sich ein von Geburt aus blinder Mensch ein Quadrat oder Zirkel denkt, wie er diese beide voneinander unterscheidet, ob er sie nach erhaltenem Gesicht ohne vorhergehende Berührung noch kennen oder unterscheiden würde. Hier liegt die größte Täuschung; hier ist das größte Hindernis, sich lebhaft in diese so fremden Lagen zu denken. Die Vernunft in ihrer vollsten Reinheit ganz allein kann uns noch sehr unvollkommen auf solche Aussichten führen; denn es ist doch schlechterdings unmöglich, daß wir nach dem Tod, wo der ganze Grund unserer gegenwärtigen Vorstellungsart geändert ist, wo unsere Sinne, unser ganzer Körperbau zernichtet wird, noch die Begriffe des Gesichts, des Gehörs fernerhin behalten; daß wir uns Bäume, Menschen und Tiere noch als solche vorstellen sollen. Wenn wir behaupten wollen, daß diese Art zu sehen und zu empfinden auch nach unserem Ableben fortdauere, so sind wir nicht imstande, den gröbsten Materialisten auf eine befriedigende Art zu widerlegen; so ist die Sterblichkeit unserer Seele eine erwiesene Sache. Aber wenn wir durch den Tod nur die Rezeptivität verändern, wenn der Tod nichts weiter, als eine neue ganz verschiedene Vorstellungsart derselbigen Gegenstände ist, so sterben wir zwar für diese Sinne, für diese Rezeptivität, für diese Art, die Gegenstände zu sehen: aber wir sterben darum nicht für allen weiteren noch möglichen Vorstellungsarten; wir leben für eine neue, bessere, vollkommenere Art, diese Gegenstände zu erkennen. - Das einzige obgleich nicht minder unvollkommene Beispiel, um diese Lehre anschaulicher zu machen, wäre vielleicht das oben angeführte Beispiel eines Blindgeborenen, welcher späterhin den Gebrauch des Gesichts erhält. Man frage doch einen solchen, ob es ihm möglich war, die Dinge, die er vordem durch das bloße Gefühl, ohne Mitwirkung des Gesichts erkannt, sich in dieser Gestalt vorzustellen, wie er sie nun erkennt? ob es ihm möglich gewesen wäre, sie nur auf die entfernteste Art in dieser Gestalt zu vermuten? Und doch sieht er sie nun in dieser Gestalt; sein Unglauben ist durch die Tat selbst besiegt. Solche Blinde sind wir noch wirklich. Wie lang wollen wir, durch dieses Beispiel belehrt, noch säumen, unsere Kurzsichtigkeit zu besiegen, und nicht fernerhin die Macht Gottes in den Grenzen unserer Sinne zu beschränken? Ich möchte sagen, es werden zu diesem Ende Blinde geboren und hergestellt, damit sie uns durch ihre Erfahrungen belehren sollen, daß wir mit allen unseren Augen nicht weniger blind sind; daß wir ebensowenig vermuten, wo so viele Gründe zu dieser Vermutung führen, weil wir zu sehr an dieser bestimmten Art zu sehen hangen, die verratende Tatsachen zu wenig benutzen, um mittels der Analogie unserer Täuschung zu Hilfe zu kommen, und uns in entfernte, ganz verschiedene Welten zu denken. - Wo die Gründe ganz verschieden sind, da können es die Folgen nicht weniger sein. Soll denn dieser Satz so sehr über unsere Begriffe sein? Und wenn er es nicht ist, warum suchen wir in der Zukunft, was nur für dieses Leben, für diese Sinne ist?

Aber der Blindgeborene, so wie er den Gebrauch des Gesichts erhält, wird doch noch immer eine Materie gewahr werden? die Materie kann also unmöglich ein Scheinbegriff sein. Ich antworte: daraus folgere ich vielmehr, daß die Materie eine Gesichtsidee sei, daß dieser Begriff bei allen Wesen, welchen dieser Sinn mangelt, niemals entstehen könne, daß also die Materie nichts real für sich bestehendes sei. Daraus folgt vielmehr, daß mit jeder Modifikation eine eigene Vorstellungsart verbunden sei; daß es gar wohl möglich sei, daß wir dereinst eine Modifikation erhalten, kraft welcher wir einzelne Teile nicht mehr zusammenfassen, wie das sogar jetzt schon bei den Blinden wirklich geschieht. Und wo ist sodann unser Begriff von Materie?


12)

Daß dasjenige, was beständig und allgemein allen, oder doch den meisten Menschen, auf eine bestimmte Art erscheint, ob es im Grunde gleich nur eine bloße Erscheinung ist, für uns ebensoviel, als Wirklichkeit, folglich eine beständige gleichförmige Wirkung dieser unbekannten Kräfte sei; daß aber diese Verschiedenheit der uns bekannten Organisationen ihre teleologische Gründe, ihren sehr großen Nutzen und Zweck habe; daß sie uns diene, die höhere, oder jene Art von Wahrheit zu finden, welche nicht durch eine, sondern durch mehrere der uns bekannten Organisationen bestätigt wird.


13)

Daß also unser meistes Wissen, sowie auch unsere Sprache sich auf der Voraussetzung gründe: daß diese Welt samt ihren Teilen wirklich in sich selbst seien, was sie uns erscheinen; daß hiermit der Sprachgebrauch hierin wenig oder garnichts entscheide; daß unsere Philosophie größtenteils Philosophie der Erscheinungen sei; daß diese Lehre notwendig dem lächerlichsten Mißverstand müsse ausgesetzt bleiben, solang die Sprache nicht dazu eingerichtet ist.


14)

Daß es also auch für alle Wesen von ganz verschiedener Organisation, oder auch von merklich veränderter Rezeptivität, eine eigene Physik, Moral, Philosophie, Gesetzgebung, vielleicht für gewisse Wesen nichts von alledem, und statt dessen andere uns unbekannte, höhere, dieser neueren Organisation angemessene Wissenschaften gebe; wenn anders Wissenschaften sich bloß für Menschen und auf keine Art für solche Organisationen schicken.


15)

Daß also jede Organisation ihre individuelle, ihre nur allein eigene Wahrheit habe, die, wenn sie gleich nicht höchste allgemeine Wahrheit, doch nicht eben darum Falschheit, oder Irrtum ist, weil sich solche durch andere Organisationen nicht bestätigt; daß alle unsere gemeine Wahrheit sich nur auf diese von unseren Sinne abgezogene Prämissen gründe, und insofern Wahrheit sei. Ändert aber die Organe: so fällt das Eigene, Individuelle hinweg, ein neues Individuelles tritt an die Stelle des vorhergehenden, die Erfahrungen und Prämissen sind auf einmal geändert. - Und dann nichts von alledem, was vorher war: - eine andere Welt, andere Gegenstände, ein anderes System, eine andere Wahrheit, für uns in dieser Gestalt gar nicht denkbar und begreiflich. - VIelleicht Unmöglichkeiten möglich, vielleicht nur sehr wenig von dem allen, was wir wissen, was wir jetzt sind, - vielleicht unfähig Erfahrungen darüber zu machen. - Mangel an Worten und Sprache. - Oder was nutzen Worte, wo die Begriffe fehlen? wo die Worte nur ausdrücken, was wir jetzt sind und erfahren? Also gar nicht auf das können angewendet werden, was wir erst unter anderen Formen erfahren sollen? - Sagt dem Blindgeborenen nicht, daß es eine Sonne gebe, welche leuchtet, (denn die erwärmende Sonne kennt er durch sein Gefühl) und er hat sodann so wenig, als überhaupt von einem Licht einigen Begriffen davon. Aber öffnet ihm sodann auf einmal auf einmal und das erstemal die Augen, welche neue erstaunliche Szene betäubt ihn sodann? Dieser Blinde ist unser Bild. In uns. so wie in ihm, schlummert die Fähigkeit in dieser Weltform eine neue Welt, noch unendlich verborgene Schätze und Reichtümer der unerschöpflichen Natur, sowie ihres unendlichen Urhebers zu sehen und zu erkennen. Aber noch sind wir blind; noch liegt eine tiefe Nacht auf unseren Sinnen, auf den dazu erforderlichen Organen. Ob es also nicht auch bei uns wirklich diese Art von Blindheit gibt, die, ob sie uns gleich aus Mangel weiterer Aussichten Nachrichten und Erfahrungen unmerklich ist, doch anderen Wesen nicht unbemerkt bleibt? Ob uns der Tod nicht eins diesen Star sticht, um sodann auf einmal in eine neue, uns unbekannte Welt zu schauen? Ob nicht schon das, was uns bei diesen Sinnen, in dieser Gestalt, Fäulnis des Körpers scheint, dieses Schauen selbst ist? Ob nicht vielleicht das, was hier für unser bloßer toter Körper ist, das, was unter dieser Hülle verborgen liegt, schon wirklich dieses höhere, obgleich für uns unmerkbare Leben lebt?


16)

Also mit jedem neuen Organ der Vorhang hinweggenommen, der bisher für diese Sinne undurchdringliche Schleier aufgehoben. - zugleich damit eine neue Welt in der vorhergehenden Welt - sozusagen, in einer einzigen Welt tausend und abertausend Welten für tausend und abertausend verschiedene Zuschauer. - Alle diese Welten ineinander gegründet, im engsten Zusammenhang - jede derselben durch die vorhergehende vorbereitet und herbeigeführt - eins, und doch dabei tausend und abertausende - und in jeder dieser tausend und abertausend Welten, deren jede beinahe unendlich ist, neue, vollkommenste Größe, Ordnung und Harmonie, immer wachsende Vollkommenheit. - Die Natur in neuer größerer Pracht, Gott in neuer Herrlichkeit - die erstaunlichste Mannigfaltigkeit in der möglichsten Einheit! - Welcher Begriff von der Hoheit Gottes, von der Größe der Natur ist mit diesem zu vergleichen? Welcher höhere ist gedenkbar? - und dieser Begriff ist Folge des Idealismus.


17)

Also in sich keine Sonne, Mond, Sterne, Menschen, Tiere, Erde, Feuer, Luft, Wasser. Nur für uns all dieses, und selbst für uns nur solang, als wir so organisiert sind, als wir diese Lage in der Welt, diese Rezeptivität haben. Selbst alle mathematische Wissenschaften haben nur insolang und insofern Gewißheit und Dauer, weil alle Ausdehnung und Größen Erscheinungen sind, weil sie diese Ausdehnung und Größen als wirklich voraussetzen.

Alle unsere Begriffe von Zahlen, von Unendlichkeit, von Zeit, von einer Dauer ohne Anfang und Ende von einem unbegrenzten Raum scheinen mir unter die Klasse von Scheinbegriffen zu gehören, welche nur menschliche Begriffe und Folgen dieser Organisation sind, welche sich also niemals über die Dauer und das Dasein dieser Organisation hinaus erstrecken können. Wer diese Begriffe als real annimmt, wer dabei die letzten Grundursachen der Dinge erforschen will, der muß ganz gewiß erfahren, daß er auf beiden Seiten in unauflösliche Schwierigkeiten verflochten werden, so z. B. erhalten sich, nach unserem jetztigen Begriff, die Gestirne des Himmels durch die Gesetze einer wechselweisen Attraktioni in diesem Abstand und in dieser Ferne; nun müssen wir entweder etwas, das gar nicht gedenkbar ist, annehmen, wir müssen behaupten, daß kein Gestirn das äußerste und letzte sei, oder wenn wir das nicht wollen, so müssen wir eingestehen, daß es einige Gestirne gibt, über welche hinaus keine weiteren sind. Davon würde die Folge sein, daß diese äußersten Gestirne nur von einer einzigen Seite angezogen und aus Mangel einer höheren zurückhaltenden Kraft auf das nächst anziehende Gestirn hinfallen, und das ganze Himmelssystem sich in eine einzige Masse vereinigen würde.


18)

Selbst alle bisher unauflöslichen Schwierigkeiten über Zeit und Raum, über die Teilbarkeit der Materie, über eine Kohäsion der Körper, über Bewegung und Ruh, über leeren und vollen Raum, über das Einfache und zusammengesetzte sind Streitigkeiten über Erscheinungen. - In und an sich selbst ist nichts zusammengesetzt, nichts einfach: nur in dieser Gestalt und nach unserer jetzigen darauf gebauten Logik gibt es hierin kein Mittel. Die unbekannte auf uns wirkenden Kräfte sind nicht zusammengesetzt, aber sie sind eben darum nicht notwendig einfach. - Sie sind keine Materie, sie sind immateriell: das ist alles, was wir wissen. Der Begriff des Einfachen ist ein sinnlicher menschlicher Begriff: wir erhalten ihn, indem wir bei jeder Teilung zusammengesetzter Dinge endlich auf solche Teile stoßen, wo unsere Kräfte nicht mehr zureichen, um sie noch weiter zu teilen. Der Begriff des Einfachen ist im Grund ein bejahender Begriff, denn er sagt, was eine Sache sei: aber der Begriff des immateriellen ist durchaus verneinend.


19)

Ebenso verhält es sich mit dem Streit von der Ewigkeit oder Anfang, sowie mit der unendlichen Ausdehnung oder Schranken der Welt. - Die Welt als solche mit dieser Form sinnlicher Gegenstände ist Erscheinung; sie hat also in dieser Gestalt mit dieser unserer Organisation angefangen, mit dieser Rezeptivität gewisser Wesen, mit der Fähigkeit, und die Teile der Welt auf diese uns eigene Art vorzustellen. Mit dem ersten Menschen ist im eigentlichen Verstand diese Weltform entstanden. Und für jeden Menschen entsteht nach seinem Tod die künftige Welt, sobald er die Fähigkeit erhält, sich die Welt auf die diesem Zustand eigene Art vorzustellen. Für den Blinden entsteht die Sonne, und die ganze Gesichtswelt, sobald diese seine ursprüngliche Blindheit gehoben wird. Aber die Kräfte die wir uns unter diesen gegenwärtigen sinnlichen Bildern vorstellen, waren unendlich lange vorher gewesen, ehe sie uns unter dem Phänomenon dieser Welt erschienen sind. Um eine Sonne zu sehen, sich als Sonne vorzustellen, mußte es Wesen mit Augen geben, in welchen die Fähigkeit war, sich diese Naturkräfte unter diesem Bild vorzustellen, und ein Wesen mit etwas mehr als Augen, erkennt in dem, was wir Sonne nennen, etwas das wir nicht sagen können, weil uns die Sinne mangeln, um so etwas zu empfinden, etwas, das wir erst empfinden werden, wenn wir dereinst diese Sinne erhalten, das erst dann für uns entstehen soll. Kurz, mit unserer jetztigen Rezeptivität ist zugleich diese Gestalt der Erde und der Welt entstanden.


20)

Vielleicht, so wie jedem Blindgeborenen die Nachricht von der Wirklichkeit einer leuchtenden Sonne, Offenbarung ist, konnte auch insofern alle übrige Offenbarung antizipierte, avancierte Erkenntnis gewisser, erst unter anderen Gestalten begreiflicher, denkbarer Wahrheiten sein. Diese Offenbarung konnte nebst anderen Ursachen dem Menschen gegeben sein, um ihn gegen seine jetztige Erkenntnis mißtrauisch zu machen, um seinen Forschergeist zu reizen, das geoffenbarte mit dem wirklich erkannten zu vergleichen, eine Vereinigung zu versuchen, die Unmöglichkeit dieser Vereinigung einsehen zu machen, und ihn eben dadurch noch weitere Wahrheiten einer höheren Art vermuten zu lassen; um den Zusammenhang zwischen dieser neuen künftigen und der gegenwärtigen zu gründen, und hier unten schon anzufangen.


21)

Welch trostreiche Aussicht für die Fortdauer unseres Ichs! Sterben heißt nach diesen Begriffe und Voraussetzungen aufhören, so zu sehen, zu erkennen, zu schließen, Menschen, Tiere, Bäume zu sehen. Sterben heißt sodann nicht gänzlich aufhören, ohne alle Vorstellung sein. Es heißt vielmehr, eine andere neue Organisation erhalten, seine Rezeptivität verändern, diese nämlichen Gegenstände auf eine Art sehen, erkennen, die Raupenhaut abstreifen, dem, was außer uns ist, die Maske abnehmen, näher in das Innere der Kräfte, obgleich auch dann noch sehr unvollständig, eindringen. Sterben heißt geboren werden, und geboren werden heißt für eine ältere Form sterben; unter einer Gestalt aufhören, um unter einer anderen zu wirken, zu erscheinen. - Nach dem Tod wird also freilich der Mensch nicht mehr denken, (das kann man den Materialisten sehr gern zugeben) denn denken setzt den Gebrauch dieser Sinne, dieser unserer jetztigen Vorstellungsart der Welt voraus. Denken ist also wie das Phänomenon  Mensch.  Aber dann wird die vorstellende Kraft nicht gänzlich aufhören. Unser Geist, unser Ich, das was bisher in uns gedacht wurde, wird eine neue höhere Modifikation erhalten, die mit unserem neuen Zustand ebenso wesentlich verbunden ist, als es das Denken mit dieser Organisation war. Es wird diese Modifikation kein Denken sein, aber in diesem Mangel aller Erfahrung und Worte haben wir keinen anderen Ausdruck. Wir werden also aufhören uns die Welt auf diese Art, die Kräfte, welche z. B. die Gestalt eines Baums für uns erscheinen machen, unter der Gestalt dieses Baums, so wie aller anderer uns schon bekannten Form zu sehen und vorzustellen; wir werden aber nicht aufhören, auf eine andere ganz verschiedene Art tätig zu sein. Der Tod ist der Übergang von einer Art die Gegenstände zu sehen, zu einer anderen ganz neuen. Er ist die Einweihung in höhere Weltkenntnisse; es ist das stufenweise Fortrücken zu einer höheren Einsicht in das Innere der Wesen. Es wird nötig sein, öfter und mehrmals zu sterben, seine Formen oft zu verändern, um diese Einsicht immer höher, heller, richtiger und allgemeiner zu erhalten.


22)

Auch unsere verstorbenen vorausgegangenen Freunde, ihr uns so wertes Ich, ist für uns nicht verloren, so wie wir es jetzt schon für sie nicht sind. Ich Ich bleibt allzeit noch ein Teil dieses Weltalls, daß außer uns ist und wirkt, so weit alles ohne Ausnahme aufeinander wirkt, obwohl diesen Sinnen nicht fühlbar, oder von uns erkennbar auf uns. Wir erscheinen ihnen zwar nicht auf diese Art unter dieser, aber doch allzeit auf eine ihrer neuen Organisation eigene Gestalten; so wird sie im Gegenteil, wenn sie uns sichtbar werden sollen, uns nie unter den uns bekannten Formen vernehmlich werden können. Hier wäre sogar für jeden, der Lust dazu hat, Gelegenheit, der Lehre von der Seelenwanderung einen natürlicheren philosophischeren Sinn zu geben, als sie selbst bei ihren Anhängern niemals gehabt. - Diese verstorbene erinnern sich unser nicht. Denn Erinnern ist nur für Menschen. Aber, obwohl wir nicht wissen, wie und was der Aktus ist, wodurch Verstorbene sich diejenigen vorstellen, die in dieser Hülle von uns so organisierten Menschen genannt werden, so sind wir doch allzeit ein Gegenstand ihrer Verstellungen. Tausend verschiedentlich organisierte werden mich, der ich nun allen, die um mich sind, so und nicht anders erscheine, unter tausendfacher Form und Gestalt, nach Verschiedenheit ihrer Rezeptivität erkennen: warum sollte also in Rücksicht der Verstorbenen eine Ausnahme sein?

Soll das nicht ein bloßes Wortspiel und eine unnütze Metaphysikation sein, zu behaupten, daß Menschen nach ihrem Tod nicht weiter denken und sich anderer erinnern, wo man doch von einer anderen Seite nicht leugnen kann, daß viele Seelen nicht ganz ohne Vorstellungen sind? - Ich antworte: unsere Worte können nichts weiter ausdrücken als die Erfahrungen welche wir gemacht haben: nun hat niemand eine Erfahrung gemacht, von dem, was nach unserem Tod geschehen wird: wir wissen bloß, daß wir von unseren Körpern sowohl als von unseren Sinnen Körpern sowohl als von unseren Sinnen, dieser so notwendigen Bedingung, zu derjenigen Äußerung des Geistes, welche wir denken und erinnern nennen, gänzlich entledigt werden; wir sehen offenbar, daß sodann die nämliche Folge nicht mehr erscheinen könne, sondern der Grund gänzlich verändert ist; wir können nach unserem Tod uns ebensowenig erinnern und denken, als es gewiß ist, daß wir dort nicht hören, sehen, riechen oder fühlen, essen oder trinken, meinen oder lachen werden. Alle diese Verrichtungen sind Resultate dieser Organisation, welche wir durch den Tod gänzlich verlieren. Wenn wir uns an den Tod anderer erinnern sollen, so müssen gehabte Vorstellungen durch neue Empfindungen erneuert werden können: wenn wir empfinden sollen, so muß solches mittels unserer gegenwärtigen Organe geschehen. Und wenn wir diese verloren haben, wie kann das bleiben und fortdauern, die Folge sichtbar werden, wo der Grund davon mangelt. Durch den Tod hören wir auf Menschen zu sein, und damit verlieren wir alle Eigenschaften welche Resultate der menschlichen Natur sind. Empfinden, erinnern und denken sind solche Eigenschaften; wir verliren sie also nicht minder, um sie gegen andere höhere zu vertauschen, die unserer neuen Rezeptivität angemessener sind, ganz verschiedene Dinge und Begriffe verdienen auch ganz verschiedene Namen; und wenn wir uns der albernen Namen bedienen, so zeigen wir unsere Schwäche, und verneinen Dinge und Begriffe, die ganz verschiedener Natur sind, nicht ohne große Folgen und Gefahr für die Wahrheit unserer Erkenntnis. Wir geben dem Materialisten ohne Not die Waffen in die Hand, indem wir Eigenschaften als fortdauernd anerkennen, die nur Folgen unserer gegenwärtigen hinfälligen Organisation sind.

Der Sinn, von dem ich oben sprach, den man der Metempsychose [Seelenwanderung - wp] geben könnte, wäre folgender: Die Seelen der Verstorbenen bleiben ein Teil der Welt, sie wirken auf uns, weil alles ineinander wirkt. Es ist nicht notwendig, daß diese Wirkung so entfernt sei; es kann geschehen, daß sie näher, meinen sinnlichen Organen gegenwärtiger sei, obgleich ich nicht weiß, daß es diese Seelen seien. Nun kann aber auf meine Sinne nichts näher wirken, als unter einer sinnlichen Gestalt. Diese Verstorbenen können also gar wohl eine Hülle, und folglich auch eine tierische Hülle haben. - Ich führe diese Erklärung nicht in der Absicht an, als ob sie meine eigentliche Meinung wäre; davon bin ich so entfernt, als ich überzeugt bin, daß sie auch niemals der wahre Sinn der Alten und der Morgenländer gewesen sind. Ich führe sie an, um zu zeigen, daß, wenn jemand träumen will, er überall Gelegenheit finden wird, seine Träume auf Rechnung anderer zu schreiben, und an jedem System so lan zu zerren, bis er Bestätigung davon findet oder wenigstens zu finden glaubt.
LITERATUR, Adam Weishaupt, Materialismus und Idealismus, Nürnberg 1787
    Anmerkungen
    3) Dieser beträchtliche Einwurf ist nur beinahe mit denselbigen Worten in der oben angeführten Gothaischen Rezension gemacht worden. Ich finde notwendig, mich darüber weitläufiger zu erklären.