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GOSWIN KARL UPHUES
Das Bewußtsein der
Transzendenz


"Die Frage, wie uns die Vorstellung etwas von ihr Verschiedenes kund tun kann, wird dahin beantwortet, daß die Vorstellung das von ihr Verschiedene, an dessen Unerkennbarkeit festgehalten werden muß, vertritt, darstellt und abbildet. Diese Beziehung der den Gegenstand vertretenden Vorstellung auf den Gegenstand, ist das Gegenstandsbewußtsein oder das Bewußtsein der Transzendenz."

"Versteht man unter einem Hören, Schmecken, Riechen das bloße Empfinden, so kommen die den vorausgesetzten Inhalten beigelegten Eigenschaften auch dem Hören, Riechen und Schmecken zu. Das Wissen um die besondere Beschaffenheit dieser Empfindungen ist nach meiner Auffassung durch Wortvorstellungen vermittelt, deren Bedeutung wir kennen, oder, was dasselbe ist, die ein ruhendes Wissen von den Gegenstände desselben enthalten. Diese Wortvorstellungen sind selbstverständlich nicht die Inhalte des Empfindens."

"Wir haben das Unstatthafte der Unterscheidung von Vorgang und Inhalt für alle Arten der Empfindungen nachgewiesen und damit den schwankenden Begriff des Inhaltes als eines Etwas, das von den Bewußtseinsvorgängen verschieden und doch nicht von ihnen unabhängig ist, wie der Gegenstand auch, aus dem Empfindungsgebiet beseitigt. Was aber von den Empfindungen gilt, das gilt auch von den Vorstellungen. Denn sie sind nichts anderes als Empfindungen, die uns Gegenstände vertreten."


Vorbemerkung

Im ersten Band meiner 1893 erschienenen "Psychologie des Erkennens" wurde der Versuch gemacht, die Bildertheorie, durch welche ARISTOTELES die Wahrnehmung und das Erkennen zu erklären sucht, soweit das bei unseren fortgeschrittenen naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen möglich ist, aufrecht zu erhalten und mit ihnen in Einklang zu bringen. Das Ergebnis war: Das Ergebnis war: Die Bildertheorie kann nicht entbehrt werden, die jetzt herrschende Objektivationstheorie ist zu verwerfen, da sich der vorausgesetzte Objektivationsvorgang weder nachweisen, noch überhaupt verständlich machen läßt. Die Gedankengänge dieses ersten Bandes wurden in einer Reihe von Vorträgen und Abhandlungen weiter entwickelt (Über die verschiedenen Richtungen der psychologischen Forschung der Gegenwart, Neue Pädagogische Zeitung, 1894, Nr. 19; Was ist Wahrheit, ebd. 1894, Nr. 27; Über die Existenz der Außenwelt, ebd. 1894, Nr. 31; Die psychologische Grundfrage, März-Aprilheft der Monatsblätter der Comeniusgesellschaft, 1895. Rehmkes Allgemeine Psychologie, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 106) In allen diesen Darlegungen wird die Gegenstands(Bilder)theorie der Vergegenständlichungs(Objektivations)theorie gegenübergestellt und verteidigt. Ein neuer Gesichtspunkt für die Behandlung der gleichen Fragen, nach dem das Gegenstandsbewußtsein nicht ursprünglich in der Wahrnehmung, sondern im Urteil auftritt, - der Grundgedanke des im ersten Entwurf ausgearbeiteten zweiten Bandes der "Psychologie des Erkennens", welcher die Lehre vom Urteil enthält - wurde in einer Reihe von weiteren Abhandlungen geltend gemacht (TWARDOWSKI, Über Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen, Neue Bahnen 1896, Oktoberheft. KOCH, Das Bewußtsein der Transzendenz, Neue Pädagogische Zeitung, Nr. 20, 1896. JERUSALEM, Die Urteilsfunktion, Göttinger Gelehrte Anzeigen 1897, Nr. 4) Die folgende Abhandlung soll diesen Gesichtspunkt in positiver, alle Polemik beiseite lassender Weise vorläufig abschließend darstellen.

1. Das Wort Transzendenz hat eine mannigfache Bedeutung. In der christlichen Theologie und theologischen Metaphysik versteht man darunter die Überweltlichkeit der Gottheit, transzendent ist hier id quod transcendit mundum [Das ist jenseits der Welt. - wp] Unter der Welt wird die Natur und Menschenwelt gedacht und die Gottheit als nicht zu ihr gehörend, nicht ihr Wesen ausmachend betrachtet. Sie bildet insofern das Jenseits der Welt. Wie die Gottheit nach dieser Auffassung das Jenseits von Natur und Menschenwelt ist, so ist wiederum die Natur das Jenseits für das menschliche Bewußtsein - id quod transcendit conscientam - eine weitere Bedeutung des Wortes Transzendenz. Aber auch die Bewußtseine der einzelnen menschlichen Individuen sind für einander transzendent, ja sogar die Bestandteile dieser einzelnen Bewußtseins können als gegenseitig im Verhältnis der Transzendenz stehend betrachtet werden, die Gefühle für die Vorstellungen z. B. und umgekehrt, die vergangenen und zukünftigen Bewußtseinsvorgänge für die gegenwärtigen. Damit scheinen die Bedeutungen des Wortes Transzendenz in der gegenwärtigen Philosophie erschöpfend dargestellt zu sein.

2. Unter dem Bewußtsein der Transzendenz verstehen wir einen Bewußtseinsvorgang, in dem wir uns das, was für ihn transzendent ist, vergegenwärtigen. Das kann nach dem Vorstehenden erstens die Gottheit, zweitens die Natur und alles was zu ihr gehört, drittens das Bewußtsein eines anderen menschlichen Individuums, viertens ein gegenwärtiger, vergangener und zukünftiger Bewußtseinsvorgang sein, der von dem zuerst genannten verschieden ist, aber mit ihm zum selben Bewußtsein gehört.

3. Fragen wir uns, worin denn dieses Bewußtsein der Transzendenz, vorausgesetzt, daß es so etwas wirklich gibt, besteht oder bestehen kann, so ist es natürlich seinen vier verschiedenen Gegenständen entsprechend ein verschiedenes, und die nächstliegende, vielleicht einzig mögliche Beantwortung dieser Frage für die vier verschiedenen Arten des Bewußtseins der Transzendenz scheint die folgende zu sein: Ein Bewußtsein der Transzendenz im Sinne einer Überweltlichkeit Gottes scheint nur durch eine Negation dessen, was Natur und Menschenwelt umfaßt, ein Bewußtsein vom Transzendenten, das wir Natur nennen, die wir im Gegensatz zum Geist vor allem als das Unbeseelte, Bewußtlose fassen, scheint nur durch eine Negation all dessen, was zum Bewußtsein gehört, möglich zu sein; ein Bewußtsein ferner vom Transzendenten, das die Menschenwelt umfaßt, von den fremden Bewußtseinen, insbesondere nur durch die Auffassung anderer Menschen nach Analogie des eigenen Selbst, der fremden Bewußtseine nach Analogie des eigenen. Aber gibt es ein Bewußtsein von den gegenwärtigen Bewußtseinsvorgängen des eigenen Bewußtseins, eine Vorstellung von der Vorstellung, eine Vorstellung vom Gefühl, vom Wollen als Bewußtsein der Transzendenz? Alle Bewußtseinsvorgänge sind durch das Merkmal der Bewußtheit charakterisiert, und man könnte dies als eine Art Selbstgegenwart, als etwas, worin sie sich selbst gegenwärtig sind, als ein Wissen um sich selbst auffassen. Ein solches Wissen würde natürlich nicht dem Bewußtsein der Transzendenz entsprechen. Aber vielleicht gibt es noch eine andere Art des Wissens um unsere gegenwärtigen Bewußtseinsvorgänge. Manchmal taucht mit ihnen eine Wortvorstellung, z. B. mit den Vorstellungen die Wortvorstellung Vorstellung, mit dem Gefühl und Wollen die Wortvorstellung Gefühl, Wollen, auf; in diesen Wortvorstellungen ist gleichsam unser ganzes Wissen von den Bewußtseinsvorgängen, unser Begriff von ihnen verkörpert, wir wissen, was diese Wortvorstellungen bedeuten und sind imstande, dieses in uns ruhende Wissen jederzeit lebendig zu machen. Das ist dann freilich ein Wissen, das wir als Bewußtsein der Transzendenz bezeichnen können. Von dieser Art scheint auch das Wissen zu sein, das wir von unseren vergangenen und zukünftigen Bewußtseinsvorgängen haben. In dieser Weise scheint sowohl die Reflexion im engeren Sinne, welche unsere gegenwärtigen Bewußtseinsvorgänge zu ihrem Gegenstand hat, wie diejenige im weiteren Sinne, welche auch die vergangenen, und unter Umständen auch die zukünftigen Bewußtseinsvorgänge umfaß, zustande zu kommen. Bei der Erinnerung tritt zur Wortvorstellung der vergangenen Bewußtseinsvorgänge, mit der diese Bewußtseinsvorgänge aufs Neue gewöhnlich in abgeblaßter Form entstehen, die Wortvorstellung unseres Ich und seiner Tätigkeit in der Vergangenheit oder als vergangene oder auch die anschauliche Vorstellung unseres Leibes, seiner Organe und ihrer Stellung zu den Gegenständen der Erinnerung verbunden mit der Wortvorstellung "früher", "damals". In allen diesen Vorstellungen, einschließlich der anschaulichen Vorstellung unseres Körpers (wie sich später zeigen wird), ist sozusagen ein Wissen verkörpert, das wir jeden Augenblick in uns lebendig machen können. Bei der Wahrnehmung, der ersten vermeintlichen oder wirklichen Kenntnisnahme der Natur, auf die wir zumindest bei all unserer Erkenntnis der Natur in letzter Instanz immer wieder zurückgreifen, tritt zu den Empfindungen ebenfalls eine anschauliche und meistens auch eine Wortvorstellung (außer bei der Wahrnehmung uns ganz vertrauter Objekte), von denen das gleiche gilt.

4. Die vier Arten des Transzendenten umfassen, wie leicht ersichtlich ist, alle Gegenstände des Erkennens; man kann ferner sagen, daß das Gegenstandsbewußtsein, welches das Erkennen charakterisiert, nach allgemeiner Annahme wenigstens der nicht philosophisch Gebildeten, eben im Bewußtsein der Transzendenz oder des Transzendenten im erörterten Sinn besteht. Nach der gewöhnlichen Annahme hat das Erkennen einen von ihm unabhängigen Gegenstand oder ist doch auf einen solchen gerichtet und d. h., daß dieser Gegenstand dem Erkenntnisvorgang gegenüber, in dem wir von ihm ein Bewußtsein gewinnen, transzendent ist. Natürlich kann das, was wir erkennen, nur mit Bezug auf dieses Erkennen von ihm: Gegenstand, unabhängig, transzendent genannt werden; es sind das Bezeichnungen, die von der Beziehung dessen, was erkannt wird, auf das Erkennen hergenommen sind. Insofern gilt der Satz: kein Objekt ohne Subjekt, bzw. "Objekt und Subjekt sind relative Begriffe". Aber das hindert nicht daran, daß das, was erkannt wird, schon vorher vorhanden ist, ehe es erkannt wird, und bestehen bleibt, nachdem es erkannt ist, oder doch durch das Erkennen in keiner Weise verändert, geschweige denn erzeugt wird. Und das ist es, was nach Annahme zumindest aller nicht philosophisch Gebildeten die Ausdrücke: Gegenstand, unabhängig, transzendent in ihrer Anwendung auf das, was erkannt wird, bedeuten.

5. Aber was ist der Gegenstand, das Transzendente anderes als das verrufene Ding-ansich? Wissen wir nicht alle seit KANT, daß so etwas gar nicht erkannt werden kann? Ja müssen wir nicht weiter gehen und sagen, es existiert überhaupt nicht, kann nicht existieren? Müssen wir es nicht für in sich widersprüchlich erklären? Was ist denn das Ding-ansich und ebenso der Gegenstand, unabhängig, transzendent anders als ein Gedanke, also doch ein Erzeugnis unseres Denkens? Wenn nun das alles unabhängig von unserem Denken als durch dasselbe in keiner Weise erzeugt betrachtet wird, so ist das doch ein Widerspruch in sich. Und ferner, wenn wir die einzelnen Arten des Transzendenten ins Auge fassen, ist es nicht in sich widersprüchlich, daß wir uns in einem Bewußtseinsvorgang etwas vergegenwärtigen sollen, das weder Natur noch Mensch ist und ein Jenseits von beiden bildet, da wir doch nur über ein menschliches Bewußtsein verfügen und seine Erzeugnisse doch ihm selbst gleichen müssen, nicht ebenso in sich widersprüchlich, daß wir uns in einem Bewußtseinsvorgang etwas vergegenwärtigen sollen, das Nichtbewußtsein oder bewußtlos ist wie die Natur, daß wir uns ein einem Bewußtseinsvorgang etwas vergegenwärtigen sollen, das nicht dieser Bewußtseinsvorgang selbst oder sein Erzeugnis, sondern etwas von ihm Verschiedenes ist, seien es nun fremde Bewußtseinsvorgänge oder die eigenen gegenwärtigen, vergangenen oder zukünftigen? Wir nennen das, worin wir uns etwas vergegenwärtigen, eine Vorstellung, und es ist klar, daß die Vorstellung vermöge der ihr eigentümlichen Bewußtheit sich nur selbst kund tut, wie soll die Vorstellung nun sozusagen im Widerspruch mit sich selbst etwas von ihr Verschiedenes, das nicht sie selbst ist, uns kund tun können, sei dies nun wie beim dritten und vierten Transzendenten ihr verwandt, d. h. als Bewußtseinsvorgang ebenso wie sie selbst durch das Merkmal der Bewußtheit charakterisiert, sei es wie biem zweiten und ersten Transzendenten etwas Bewußtloses oder über das des Bewußtseins Ermangelnde und mit Bewußtsein Ausgestattete erhaben?

6. Es scheint das nur unter einer Voraussetzung denkbar, unter der Voraussetzung nämlich, daß die Vorstellung das von ihr Verschiedene, ihr Entgegengesetzte, über sie Erhabene bildet, darstellt oder, falls es sich bloß um eine unbestimmte Erkenntnis handelt, zumindest einen Hinweis darauf enthält, ein Zeichen dafür ist, und der weiteren, daß die Vorstellung ganz darin aufgeht, Darstellung, Zeichen zu sein, etwa wie ein Spiegel, der nicht größer ist als das in ihm wiedergegebene Bild und sich darum selbst dem Blick entzieht. Die Schwierigkeit dieser Annahme kann, wie ersichtlich, nicht überschätzt werden. Abgesehen davon lernen wir durch Bilder und Zeichen, sofern wir das Abgebildete und Bezeichnete nicht schon anderweitig kennen, dasselbe nur mittels der die Bilder und Zeichen deutenden Mitteilungen, die in letzter Instanz nicht auf Bildern und Zeichen beruhen können.

7. So lehrt die Erfahrung. Freilich scheint trotz all dem an der Möglichkeit festgehalten werden zu müssen, daß, wenn auch nicht die Vorstellungen je für sich genommen, so doch das aus ihnen sich zusammensetzende Denken irgendwie als Darstellung der von ihm unabhängigen transzendenten Gegenstände betrachtet werden kann, wenn nicht der gewöhnliche, bei den nicht philosophisch Gebildeten allgemein herrschende Begriff des Erkennens aufgegeben werden soll. Aber, gesetzt den Fall, die Vorstellungen oder das Denken wären wirklich Darstellungen solcher Gegenstände, was ist damit gewonnen? Da uns diese Gegenstände nur in diesen Darstellungen und auf keine andere Weise zum Bewußtsein kommen können, so sind wir auch niemals in der Lage, die Übereinstimmung der Gegenstände mit den Darstellungen, oder der Darstellungen mit den Gegenständen prüfen und uns auf diese Weise vergewissern zu können, daß die Gegenstände so sind, wie wir sie uns vorstellen oder denken, ja nicht einmal davon können wir uns auf diese Weise vergewissern, daß unseren Vorstellungen oder unserem Denken Gegenstände, die von ihnen unabhängig sind, entsprechen, daß solche Gegenstände existieren. In diesem Sinn müssen wir an der völligen Erkennbarkeit der Dinge-ansich, des Transzendenten, oder einfacher, der Gegenstände des Erkennens, wie es gewöhnlich aufgefaßt wird, festhalten. Diese Unerkennbarkeit muß für alle Arten des Transzendenten in Anspruch genommen werden für die eigenen, sei es gegenwärtigen, sei es nicht gegenwärtigen Bewußtseinsvorgänge, nicht weniger wie für die fremden Bewußtseinsvorgänge, für die Natur und Gottheit.

8. Man kann sich für die Erkenntnis dieser Übereinstimmung nicht, wie oft geschieht, auf die Evidenz oder Einsicht berufen, die mit gewissen Urteilen verbunden ist. Das Urteil ist ein Dafürhalten, daß eine Übereinstimmung zwischen einem Gegenstand (dem Aussagegegenstand, Subjekt) und einer Vorstellung (dem Prädikat) besteht. Das gilt ganz allgemein. Sage ich: die Rose ist rot, so heißt das: die Rose ist so, wie ich sie mir denke, sie stimmt mit meinem Gedanken von ihr, mit meiner Vorstellung rot überein. Auch bei den Existentialurteilen ist das Prädikat Existenz das, was ich mir unter Existenz vorstelle, meine Vorstellung der Existenz; bei den impersonalen Urteilen: es blitzt, vertritt die räumliche Umgebung des Sprechenden, in der er wirklich oder in seinen Gedanken (es regnet im Salzburgischen) verweilt, den Satzgegenstand, bei den Beziehungsurteilen (a ist gleich b, a ist Ursache von b) wird er durch die beiden Beziehungsglieder gebildet (a und b sind gleich, stehen in einem kausalen Verhältnis). Freilich ist auch das im Urteil "Gegenstand" genannte, der "Aussagegegenstand", eine Vorstellung, aber in dieser Vorstellung, sei sie nun eine anschauliche oder Wortvorstellung, vom Gegenstand verkörpert, ein zunächst ruhendes Wissen, das wir aber jederzeit lebendig machen können. Insofern kann gesagt werden, daß diese Vorstellung den Gegenstand vertritt. Unter Einsicht verstehen wir die nicht auf Gefühl und Gewöhnung, sondern auf Wissen beruhende, jeden Zweifel ausschließende Gewißheit von der Übereinstimmung eines Gegenstandes (des Urteilssubjekts oder Aussagegegenstandes) mit einer Vorstellung (genauer: Gewißheit, daß etwas sicher wahrscheinlich, möglich oder zweifelhaft ist, und dieses Etwas ist die Übereinstimmung eines Gegenstandes mit seiner Vorstellung). Die Einsicht ist hiernach eine Art des Dafürhaltens, nämlich das jeden Zweifel ausschließliche Dafürhalten: da im Dafürhalten das Wesen des Urteils besteht, so ist die Einsicht eine Art des Urteils. Wenn von der Einsicht als subjektivem Zustand die Evidenz, das Einleuchten als objektiver Vorgang von manchen Seiten unterschieden wird, so ist darauf zu erwidern, daß das vermeintliche oder wirkliche Einleuchten uns nur in der Einsicht zu Bewußtsein kommt, für uns also auch nur in der Einsicht existiert. Das Wissen nun, auf dem die Einsicht beruth, ist entweder in unserer Vorstellung vom Gegenstand enthalten, sie es als ruhendes in ihr verkörpertes Wissen, sei es als lebendiges, sie begleitendes Wissen - wir sprechen dann von analytischen Urteilen -, oder es ist anderweitig durch Erfahrung, durch Mitteilung erworben - beim synthetischen Urteil. In keinem Fall wird es durch die Einsicht vermittelt, ist vielmehr von ihr vorausgesetzt. Es ergibt sich daraus, daß wir uns für die Erkenntnis der Übereinstimmung des Gegenstandes mit der Vorstellung nicht auf die Einsicht berufen können.

9. Unsere Auseinandersetzung über das Urteil zeigt, daß wir die Ansicht, die Vorstellungen seien Darstellungen von Gegenständen, nicht so leichthin abtun und preisgeben dürfen. Wie kann man von einer Übereinstimmung des Gegenstandes mit der Vorstellung reden, wenn die Vorstellung nicht irgendwie als Darstellung des Gegenstandes gefaßt werden kann. Freilich setzt das, wenn wir unter Gegenstand nicht eine bloße Vorstellung, sondern das Ding-ansich, das Transzendente verstehen, voraus, daß der Gegenstand in der Vorstellung dargestellt wird, wie er unvorgestellterweise ist. Ist das aber nicht ein offenkundiger Widerspruch? Wir antworten: Nein, so oft das auch behauptet worden ist und behauptet wird. Widersprechend wäre es nur, wenn wir sagen wollten: die Vorstellungen stellen die Gegenstände dar oder vor, ohne sie vorzustellen; aber damit ist keineswegs gesagt, daß Vorstellungen nicht etwas darstellen können, was sie nicht selbst sind, oder daß sie nur sich selbst darstellen können. Die Unterscheidung, daß uns die Gegenstände nicht als Vorstellungen, sondern in Vorstellungen gegeben sind, hat deshalb auch einen guten Sinn; zumindest ist das Letztere keineswegs in sich widersprechend. Es ist deshalb auch eine durch nichts begründete Übertreibung, nicht bloß die Unerkennbarkeit eines Dings-ansich, eines Transzendenten, eines Gegenstandes - ander wir festhalten -, sondern auch die Unmöglichkeit der Existenz von etwas derartigem behaupten zu wollen. So nachdrücklich wir für die Unerkennbarkeit der Dinge-ansich im bezeichneten Sinn und aus dem erörterten Grund eintreten, so entschieden lehnen wir die Annahme, daß Dinge ansich widersprechend sind oder unmöglich existieren können, ab.

10. Freilich ist damit noch sehr wenig gesagt. Es ist nur die bloße Möglichkeit zugegeben, daß die Vorstellungen Darstellungen von Gegenständen sein können. Ob sie es wirklich sind, das ist eine andere Frage. Fraglich ist ferner, ob wir es den Vorstellungen ansehen können, daß sie Darstellungen von Gegenständen sind. Die Stoiker haben das bekanntlich von einigen Vorstellungen behauptet, denen die zuerst von den Epikureern für die Wahrnehmungen in Anspruch genommene objektive Evidenz oder einleuchtende Kraft eignen sollte, und danach die Vorstellungen in: den Gegenstand erfassende und nicht erfassende unterschieden. ARKESILAUS hat diese Unterscheidung und ihre Grundlage geleugnet. Wir werden ihm beistimmen müssen. Die Vorstellungen vertreten im entwickelten Bewußtsein die Gegenstände und zwar ohne daß wir für gewöhnlich daran denken oder davon ein Bewußtsein haben, was umso eher begreiflich erscheint, da, wie oft gesagt, unser Wissen von den Gegenständen und zwar als ruhendes Wissen in ihnen verkörpert ist. Kommt uns nun zum Bewußtsein, daß wir eigentlich immer mit Vorstellungen operieren, so stellen wir der den Gegenstand vertretenden Vorstellung die Wortvorstellung Gegenstand gegenüber, die uns nun das unabhängig von jener Vorstellung Bestehende in ihr Dargestellte vertritt. Der gleiche Vorgang kann sich natürlich bei der Wortvorstellung "Gegenstand" wiederholen, sobald uns ihr Vorstellungscharakter zu Bewußtsein kommt. Freilich ist es ein Vorgang, der nur im philosophisch gebildeten Bewußtsein eine Rolle spielt. Das gewöhnliche naive Bewußtsein steht einfach auf dem Standpunkt des naiven Realismus, d. h. es verwechselt die den Gegenstand vertretende Vorstellung mit dem Gegenstand selbst, hält sie für das Ding, das unabhängig von dieser Vorstellung besteht. Diesem naiven Bewußtsein ist es deshalb natürlich, daß es der mit dem Gegenstand selbst identifizierten Vorstellung die Wortvorstellung Vorstellung als das ihm näherliegende voranstellt, die natürlich auch nichts anderes als eine Verkörperung des Wissens vom Gegenstand sein kann, aber sofort als Darstellung desselben gefaßt wird. Von einer Konstatierung der Vorstellung als Darstellung des Gegenstandes kann in diesem Fall ebensowenig die Rede sein, wie im ersten Fall. Im ersten Fall kommt uns die den Gegenstand vertretende Vorstellung als Vorstellung zum Bewußtsein und wir stellen ihr die Wortvorstellung "Gegenstand" gegenüber, im zweiten Fall kommt sie uns als Gegenstand zum Bewußtsein, und wir stellen ihr die Wortvorstellung "Vorstellung" voran - das ist alles. Zur Nebeneinanderstellung von Vorstellung und Gegenstand kommen wir nur auf dem einen oder anderen Weg wie es scheint, nicht dadurch, daß wir die Vorstellungen zunächst als Darstellungen von Gegenständen kennen lernen. Natürlich soll nicht geleugnet werden, daß Vorstellungen einander ähnlich sein und als ähnliche erkannt werden. Aber ähnlich und als ähnliche erkannte Vorstellungen sind noch nicht Darstellungen voneinander; das sind sie erst dann, wenn sie aufeinander hinweisen, oder die eine das Bewußtsein zur Erkenntnis der anderen führt. Man könnte denken, das müsse in der Erinnerung bei der gegenwärtigen Vorstellung, die der vergangenen ähnlich ist, der Fall sein. Aber wir sahen, daß die Erinnerung nicht durch eine derartige Darstellung der vergangenen Bewußtseinsvorgänge in gegenwärtigen Vorstellungen vermittelt wird, sondern durch die Wortvorstellung des vergangenen Ich oder die anschauliche und Wortvorstellung des eigenen Körpers in der Vergangenheit, verbunden mit den Wortvorstellungen der vergangenen Bewußtseinsvorgänge. (vgl. 3.)

Es wird darauf ankommen, wie schon hier erwähnt werden mag, ob im ersten Fall des philosophisch gebildeten Bewußtseins - dem einzigen Fall, der in Betracht kommen kann, die Wortvorstellung "Gegenstand", welche der den Gegenstand vertretenden Vorstellung gegenübergestellt wird, zu einem Wissen von Etwas, das von dieser Vorstellung verschieden und unabhängig ist, führen kann, bzw. ob ein solches Wissen nach der von uns angenommenen Ausdrucksweise in jener Wortvorstellung verkörpert ist.

11. Die Vorstellungen sind nicht die ersten ursprünglichen Bewußtseinsvorgänge. Empfindungen und Gefühle (Lust- und Unlustgefühle) gehen ihnen voran. Unter Vorstellungen können, nach unserer Ansicht, nur Empfindungen, wiederauflebende oder ursprüngliche verstanden werden, die uns Gegenstände vertreten, d. h. mit denen ein ruhendes Wissen um etwas von ihnen Verschiedenes, von ihnen Unabhängiges verbunden ist, das wir jederzeit in uns wieder lebendig machen können. Das gilt zunächst von den Wortvorstellungen, die eine so ungeheure Rolle in unserem Denken spielen. Sie sind, seien es ursprüngliche, seien es eine wiederauflebende Gehörsempfindungen von gesprochenen Worten (akustische Wortvorstellungen) oder Gesichtsempfindungen von geschriebenen Worten (optische Wortvorstellungen). Wir kennen ihre Bedeutung, d. h. wir sind jederzeit imstande, das in ihnen oder an sie gebundene ruhende Wissen um etwas von ihnen selbst Verschiedenes, von ihnen selbst Unabhängiges, um Gegenstände zu erneuern oder aufzufrischen. Das gilt auch von den anschaulichen Vorstellungen Farbe, Körper. Auch in ihnen ist ein derartiges Wissen verkörpert. Ich lasse dahingestellt sein, ob diese anschaulichen Vorstellungen den eigentlichen Vorstellungscharakter als Vertreter von Gegenständen erst durch die mit ihnen verbundenen Wortvorstellungen erhalten oder auch unabhängig von ihnen, wenn nicht gewinnen, so doch besitzen können. Ist das letztere nicht der Fall, so sind die manchmal ohne Wortvorstellungen auftretenden sogenannten Vorstellungen ganz vertrauter Objekte (unserer Bleifeder, Feder, Schlafrock usw.) streng genommen keine Vorstellungen in unserem Sinne, sondern nur Empfindungen. Die Gefühle unterscheiden sich von den Empfindungen dadurch, daß sie niemals zu Vorstellungen werden können wie die Empfindungen oder uns niemals im oben erörterten Sinn Gegenstände vertreten können. Wir haben von den Gefühlen Wortvorstellungen, deren Bedeutung wir kennen, oder in denen unser Wissen von ihnen verkörpert ist: mit diesen Vorstellungen werden auch die Gefühle in abgeblaßter Form selbst wieder erneuert oder angeregt: aber Vorstellungen können die Gefühle selbst nicht werden. Aber gilt das nicht von allen Bewußtseinsvorgängen, haben wir nicht von allen Bewußtseinsvorgängen derartige Wortvorstellungen, mit denen sie selbst in abgeblaßter Form wieder aufleben, sofern sie nicht gegenwärtig sind, sondern der Vergangenheit angehören? Gilt das nicht aber auch von den Empfindungen und Vorstellungen? Ganz gewiß! Und wenn derartige Wortvorstellungen, also die Wortvorstellungen Empfindung und Vorstellung ist, in denen unser Wissen von dem, was Empfindung und Vorstellung ist, sozusagen gebunden erscheint, sich zu den Empfindungen und Vorstellungen gesellen, so hören diese damit auf, uns Gegenstände zu vertreten oder Vorstellungen in unserem Sinn zu sein; sie üben die ihnen eigentümliche Funktion in unserem Bewußtsein nicht aus, sondern erscheinen lediglich als das, was sie sind, als Bewußtseinsvorgänge.

12. Die Vorstellungen (und Empfindungen im erörterten Sinn) haben also einen doppelten Charakter: einmal sind sie für unser Bewußtsein Vertreter von Gegenständen, dann erscheinen sie ihm als Bewußtseinsvorgänge. Da sie wegen des in ihnen ruhenden gebundenen, nicht lebendigen freien Wissens uns selbst unbewußt vertreter von Gegenständen sind, so schließt das Letztere das Erstere aus. In diesem doppelten Charakter der Vorstellungen (und Empfindungen) hat die Unterscheidung des Vorstellungs-Empfindungsvorgangs und des Vorstellungs-Empfindungsinhaltes des Empfindens, Vorstellens und des Empfundenen, Vorgestellten ihren Grund, oder ist zumindest durch ihn veranlaßt, obgleich er in dieser Unterscheidung keineswegs in entsprechender Weise zum Ausdruck kommt. Es fragt sich, ob diese Unterscheidung und dann die weitere von Inhalt und Gegenstand für die Vorstellungen und Empfindungen aufrecht erhalten werden kann. Beginnen wir mit den Geruchs-, Geschmacks-, Gehörsempfindungen, so wird niemand leugnen wollen, daß die Gerüche und Geschmäcke, wenn man darunter keine Eigenschaften von Dingen versteht, die in uns Geruchs- und Geschmacksempfindungen erzeugen, und die natürlich nicht Empfindungsinhalte sein können, die Geruchs- und Geschmacksempfindungen selbst und nicht von ihnen irgendwie verschiedene Inhalte sind. Aber gilt das Gleiche auch von den Tönen und Geräuschen? Man spricht natürlich auch vom Ton eines Instruments und versteht darunter die Eigenschaft desselben, bestimmte Tonempfindungen in uns zu erzeugen. Diese Eigenschaft kann selbstverständlich nicht Inhalt der Ton- oder Gehörsempfindung einerseits und den Tönen und Geräuschen andererseits unterschieden und müssen die Letzteren nicht als Inhalte der Ersteren in Anspruch genommen werden? Der Ton (und das Geräusch) ist doch hoch und niedrig, laut und leise und das läßt sich vom Hören nicht sagen. Ich sehe davon ab, daß man mit dem gleichen Recht auch von den Geschmacksempfindungen sagen könnte, sie seien nicht süß und sauer, das gelte nur von den Geschmäcken und von den Geruchsempfindungen, sie seien nicht wohl- und übelriechend, das gelte nur von den Gerüchen, und daß man somit auch für die Geschmacks- und Geruchsempfindungen, die Unterscheidung von Vorgang und Inhalt in Anspruch nehmen müßte. Um die auf alle drei Arten von Empfindungen gleicherweise anwendbare Beweisführung zu widerlegen, unterscheide ich ein Wissen von den Empfindungen als Empfindungen, das durch die Wortvorstellung "Empfindung" vermittelt wird, und ein Wissen um die besondere Beschaffenheit der Empfindung. Dieses letztere Wissen kann, wie man wohl nicht leugnen wird, ohne das erstere vorhanden sein; es hat die Töne im Unterschied von den Geräuschen, die hohen, niedrigen, leisen, lauten Töne, ferner die süßen und sauren Geschmäcke, die wohl- oder übelriechenden Gerüche zu seinem Gegenstand, und es ist selbstverständlich, daß es nicht hoch oder niedrig, laut oder leise, sauer oder süß, wohl- oder übelriechend ist, wie es dann auch weder Ton noch Geräusch, weder Geruch noch Geschmack sein kann. Von diesem Wissen lasse ich die Beweisführung gelten. Aber dieses Wissen ist kein Empfinden, obgleich es sich in einem aufmerksamen, gespannten Lauschen, in einem Probieren mittels des Geruchs- und Geschmackssinns auf das Engste mit den betreffenden Empfindungen verbindet. Durch eine Berufung auf dieses Wissen kann natürlich ein Beweis für das Vorhandensein von Empfindungsinhalten, die vom Empfinden verschieden sind, nicht geführt werden. Versteht man unter einem Hören, Schmecken, Riechen das bloße Empfinden, so kommen die den vorausgesetzten Inhalten beigelegten Eigenschaften auch dem Hören, Riechen und Schmecken zu. Das Wissen um die besondere Beschaffenheit dieser Empfindungen ist nach meiner Auffassung durch Wortvorstellungen vermittelt, deren Bedeutung wir kennen, oder, was dasselbe ist, die ein ruhendes Wissen von den Gegenstände desselben enthalten. Diese Wortvorstellungen sind selbstverständlich nicht die Inhalte des Empfindens.

13. Wie steht es mit den Druckempfindungen, mit denen ich die Spannungsempfindungen zusammenordne? Können wir bei ihnen den Vorgang vom Inhalt unterscheiden? Druck und Widerstand, den wir erleiden, erzeugt Druckempfindungen; wenn wir ihn ausüben, treten Spannungsempfindungen hinzu. Die Gelenkempfindungen sind nur Druckempfindungen, die Sehnenempfindungen nur Spannungsempfindungen, die Haut- und Muskelempfindungen sind sowohl Druck- als auch Spannungsempfindungen. Daß der Druck und der Widerstand, den wir erleiden und ausüben, der die Druck- und Spannungsempfindungen im letzteren Fall, die Druckempfindungen im ersteren Fall erzeugt, nicht Inhalt dieser Empfindungen sein kann, ist selbstverständlich: er ist ihre Ursache. Von der Härte, Weichheit, Rauheit, Glätte, die oft als Inhalt der Druck-, richtiger der Widerstandsempfindungen bezeichnet werden, gilt das Gleiche. Rauhheit ist der Widerstand, den wir bei der Bewegung über eine Fläche hin, erfahren, Glätte der Mangel dieses Widerstandes, Härte ist der Widerstand, den wir beim Eindringen in ein Ding erfahren, Weichheit der Mangel desselben. Sie sind Eigenschaften der Dinge, welche die besondere Beschaffenheit der entsprechenden Druckempfindungen erzeugen oder Ursache derselben sind. Als Inhalte dieser Empfindungen können sie darum ebensowenig wie Druck und Widerstand betrachtet werden. Es scheint, als ob wir die Körper, welche Druck und Widerstand auf uns ausüben, nach einer Analogie zu uns selbst begreifen, wenn Druck und Widerstand ausüben, auffassen und darum jenen Körpern nicht bloß Druck und Widerstand, Härte, Weichheit, Rauhheit, Glätte zuschreiben, sondern auch die besondere Beschaffenheit der durch diese Eigenschaften in uns erzeugten Empfindungen beilegen, ohne ihren Empfindungscharakter uns zu Bewußtsein zu bringen: wir sahen, daß es ein Wissen von der besonderen Beschaffenheit der Empfindungen geben kann, das nicht von einem Wissen um sie als Empfindungen begleitet wird. Auch die Spannung, das Dicker- und Dünnerwerden der Muskeln, das Straff- und Losewerden der Haut kann nicht als Inhalt der mit ihm verbundenen Spannungsempfindungen gelten. Wie mit den Druckempfindungen, so verhält es sich auch mit den Wärme- und Kälteempfindungen verschiedene Inhalte, sondern die Empfindungen selbst, wenn man nicht darunter die Wärme und Kälte erzeugenden oder ausstrahlenden Körper verstehen will. Diese Eigenschaft der Körper wird, so scheint es zumindest, als mit der besonderen Beschaffenheit der Kälte- und Wärmeempfindungen ohne ihren Empfindungscharakter verbunden betrachtet, offenbar aufgrund einer Analogie mit unserem eigenen Körper, der Kälte und Wärme ausstrahlt, welche zugleich in uns die entsprechenden Empfindungen erzeugt.

14. Man wird sagen, wenn nicht bei den übrigen Sinnesempfindungen, dann muß doch zumindest bei den Gesichtsempfindungen "Vorgang" und "Inhalt" unterschieden werden. Farben und Helligkeiten sind von den Gesichtsempfindungen verschieden und doch von ihnen abhängig, also ihre Inhalte, nicht ihre Gegenstände. Die Empfindungen sind doch weder rot noch grün, weder dunkel noch hell. Wir antworten wie früher: die einzelnen Farben- und Helligkeitsstufen sind besondere Beschaffenheiten der Gesichtsempfindungen, von denen wir ein Wissen gewinnen können, das nicht mit einem Wissen um die Empfindungen als Empfindungen verbunden ist. Von diesem Wissen gilt, daß es weder rot noch grün, weder hell noch dunkel ist, während diese Eigenschaften den Empfindungen ganz gewiß zukommen, allgemeiner die Farb- und Helligkeitsstufen ohne Zweifel Eigenschaften der Gesichtsempfindungen sind. Abgesehen davon können wir uns eine Farbe nicht ohne Ausdehnung vorstellen, und das Gleiche gilt von der Helligkeit. Die Vorstellung der Ausdehnung ist aber eine sehr verwickelte: die Vorstellung einer Vielheit völlig gleicher Teile, die gleichzeitig sind und einander berühren. Eine solche Vorstellung können wir nur durch eine Reihe von Urteilen gewinnen: sie ist eine Wortvorstellung, in der das durch diese Urteile gewonnene Wissen als ruhendes, gebundenes Wissen enthalten ist. Allerdings hat diese Wortvorstellung eine Empfindungsgrundlage, die vielen durch die Netzhaut des Auges (für die sichtbare Ausdehnung, für die tastbare Ausdehnung durch die Tastfläche der Hand) ermöglichten Empfindungen, die nicht, wie es bei den Gerüchen und Geschmäcken und bei den Tönen der Fall ist, in eine stärkere oder qualitativ andere Empfindung zusammenfließen und dann die Berührungs- oder Druckempfindung, welche dem Aneinandergrenzen der Teile entspricht. Aber diese Empfindungsgrundlage ist noch nicht die Vorstellung der Ausdehnung; zur Vorstellung wird sie erst durch den Hinzutritt dre Wortvorstellung "Ausdehnung" mit dem in ihr ruhenden Wissen von dem was Ausdehnung ist. Es ist nun selbstverständlich, daß weder die Empfindungsgrundlage der Vorstellung Ausdehnung noch die Wortvorstellung als Inhalt der Gesichtsempfindung bestrachtet werden kann; die Empfindungsgrundlage der sichtbaren Ausdehnung setzt sich, abgesehen von der dem Drucksinn entnommenen Berührungsempfindung aus den Gesichtsempfindungen, welche den einzelnen Punkten der Netzhaut entsprechen, wie die Empfindungsgrundlage der tastbaren Ausdehnung aus den Druckempfindungen, welche den einzelnen Punkten der Tastfläche der Hand entsprechen, zusammen; die Wortvorstellung ist im Grunde eine Gesichtsempfindung des geschriebenen oder eine Gehörsempfindung des gesprochenen Wortes und hat insofern mit den Gesichtsempfindungen und Druckempfindungen, welche die Empfindungsgrundlage der sichtbaren und tastbaren Ausdehnung bilden, nichts gemein. Das von der Ausdehnung Gesagte gilt natürlich auch von der sichtbaren und tastbaren Gestalt, ferner von der Undurchdringlichkeit einer besonderen Art des Widerstandes, nämlich des mit Erfolg uns entgegengesetzten Widerstandes, in der das Wesen der Körperlichkeit besteht und die vielfach als Inhalt der Druckempfindung betrachtet wird. Wir haben das Unstatthafte der Unterscheidung von Vorgang und Inhalt für alle Arten der Empfindungen nachgewiesen und damit den schwankenden Begriff des Inhaltes als eines Etwas, das von den Bewußtseinsvorgängen verschieden und doch nicht von ihnen unabhängig ist, wie der Gegenstand auch, aus dem Empfindungsgebiet beseitigt. Was aber von den Empfindungen gilt, das gilt auch von den Vorstellungen. Denn sie sind nichts anderes als Empfindungen, die uns Gegenstände vertreten.

15. Wir sagen, die Vorstellungen vertreten uns Gegenstände, weil in ihnen ein Wissen um ein von diesem Wissen und natürlich auch von den Vorstellungen verschiedenes, von beiden unabhängiges Etwas, d. h. also um Gegenstände ruhend und gebunden enthalten ist, das wir jederzeit wieder lebendig machen und auffrischen können, was wir kürzer auch so ausdrücken können, weil wir die Bedeutung der Vorstellungen kennen. Wie wir uns diese Bedeutungen nur in Urteilen zu Bewußtsein bringen oder darlegen können, so kann das mit den Vorstellungen verbundene Wissen auch nur in Urteilen bestehen. Wir können die Vorstellungen, weil sie uns Gegenstände vertreten, als Gegenstandsbewußtsein bezeichnen, aber wie sie selbst nur wegen des mit ihnen verbundenen, in Urteilen bestehenden Wissens um Gegenstände Vertreter von Gegenständen sind, so hat das Gegenstandsbewußtsein eigentlich auch nur in diesem Wissen, also in letzter Instanz in Urteilen, nicht in Vorstellungen seine Stelle. Das Gegenstandsbewußtsein ist ein Bewußtsein um etwas von diesem Bewußtsein Verschiedenes und von ihm Unabhängiges, also um das, was weder Bestandteil noch Erzeugnis dieses Bewußtseins, kürzer: was nicht dieses Bewußtsein selbst ist. Ein solches Bewußtsein oder Wissen gewinnen wir, wie ersichtlich, nur im negativen Urteil, dieses Wissen ist das Ergebnis eines negativen Urteils. In diesem Wissen haben wir eine negative Vorstellung vom Gegenstand. Wie das negative Urteil das bejahende, dessen Verneinung es eben ist, voraussetzt, so die negative Vorstellung des Gegenstandes eine, wenn auch noch so unbestimmte allgemeine positive Vorstellung desselben. Jedenfalls kann die negative Vorstellung des Gegenstandes nicht die ursprüngliche und erste von ihm sein. Den negativen Urteilen müssen positive vorangehen, in denen diese positive Vorstellung vom Gegenstand ihre Stelle hat. Im Urteil kommt eine doppelte Beziehung des einen auf das andere zum Ausdruck. Erstens die Beziehung des Subjekts, d. h. der den Gegenstand vertretenden Vorstellung, mittelbar also des Gegenstandes auf das Prädikat oder die Vorstellung, welche die Stelle des Prädikates einnimmt, eine Beziehung, die wir als Übereinstimmung des Gegenstandes mit der Vorstellung bezeichnet haben. Natürlich kann, da uns der Gegenstand, wenn überhaupt in irgendeiner Weise, so doch nur in Vorstellungen gegeben ist, hierunter nur die Übereinstimmung der zuletzt genannten (Prädikats-) Vorstellung mit den Vorstellungen, unter die oder in denen wir den Gegenstand befassen, verstanden werden, und auf diese Übereinstimmung von Vorstellungen mit Vorstellungen, auf nichts anderes bezieht sich das, was wir Einsicht oder Evidenz nennen. Es ist einleuchtend, daß für diese Übereinstimmung vollkommen genügend ist, wenn die Vorstellungen einander ähnlich sind, keineswegs aber erfordert wird, daß sie Darstellungen von einander sind, d. h. vermöge ihrer Ähnlichkeit das Bewußtsein voneinander wecken, die einen zur Erkenntnis der anderen führen. Zweitens kommt im Urteil auch die Beziehung der den Gegenstand vertretenden Vorstellungen auf den Gegenstand zum Ausdruck. Da diese Vorstellungen mit den die Stelle des Prädikats einnehmenden Vorstellungen übereinstimmen, so werden mittelbar mit den ersteren auch diese letzteren auf den Gegenstand bezogen. Diese Beziehung ist, wie einleuchtend, nicht möglich, wenn die den Gegenstand vertretende Vorstellung nicht einen Hinweis auf ihn enthält, ein Zeichen oder eine Darstellung derselben ist. Diese Eigentümlichkeit kommt der Vorstellung nicht für sich allein genommen, unabhängig vom Urteil und außerhalb des Zusammenhangs mit ihm zu, sondern entweder nur als Subjekt eines Urteils, oder, wenn wir sie für sich allein ins Auge fassen, vermöge des mit ihr verbundenen ruhenden Wissens vom Gegenstand, das nur in Urteilen entwickelt oder dargelegt und ebenso ursprünglich nur in Urteilen genommen werden kann. Gerade in dieser Beziehung der den Gegenstand vertretenden Vorstellung auf den Gegenstand besteht das eigentlich charakteristische des Urteils, das "Meinen von etwas", das Dafürhalten. Und in diesem Meinen, Dafürhalten des Urteils haben wir das eigentliche Gegenstandsbewußtsein, das mit dem Bewußtsein des Transzendenten dasselbe ist, zu suchen.

16. Wir haben wiederholt darauf aufmerksam gemacht, welch große Rolle die Wortvorstellungen in unserem Denken spielen. Empfindungen werden erst durch den Hinzutritt von Wortvorstellungen zu Vorstellungen, die uns Gegenstände vertreten. Urteile sind in unserem entwickelten Bewußtsein und wie es scheint auch ursprünglich ohne Wortvorstellungen nicht möglich. Auf dieser engen Beziehung der Wortvorstellungen zum Urteil beruth die dreifache Funktion des Wortes und die doppelte Wortvorstellung. Das Wort ist erstens Ausdruck einer Vorstellung des Sprechenden, es weckt zweitens in dem das Wort Hörenden und Verstehenden die gleiche Vorstellung, es ist drittens Name oder Bezeichnung des der Vorstellung entsprechenden und von ihr verschiedenen Gegenstandes. Das erste und dritte gilt auch von der Wortvorstellung. Vor allem im Urteil sind die Wortvorstellungen Ausdruck der Vorstellungen des Urteilenden und eine Bezeichnung des vom Urteil verschiedenen Gegenstandes. Man kann jene Vorstellungen ebensowohl als Bestandteile wie als Inhalt des Urteils bezeichnen, das seinem Wesen nach in einem Dafürhalten oder Meinen besteht, so daß die Unterscheidung von Inhalt und Gegenstand für die Urteile durchaus berechtigt ist und einen guten Sinn hat.
LITERATUR: Goswin K. Uphues, Das Bewußtsein der Transzendenz, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 21, Leipzig 1897