p-3ra-1W. BetzH. M. Gauger    
 
CARL GRUBE
Mensch und Sprache
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"Die ursprüngliche Benennungsursache der meisten Dinge wurde vergessen und die Bedeutung der Wörter wurde rein kommerziell."

§ 30. Nachdem wir die Hauptvertreter des neueren englischen und französischen Nominalismus dargestellt und beurteilt haben, erübrigt sich nur noch, daß wir die Ansichten, welche unsere Kritik begründet gefunden hat, mit einigen notwendigen Ergänzungen zusammenfassen, um eine einheitliche Übersicht zu gewinnen. Und da es sich schon öfter gezeigt hat, daß unsere Frage eng mit den Theorien über den Ursprung und die Entwicklung der Sprache zusammenhängt, so müssen auch wir zunächst kurz auf diese Probleme eingehen, umso durch eine aus der Sprache erschlossene, historische Entwicklung des Denkens unsere Darstellung des Verhältnisses der Allgemeinbegriffe zum Denken zu unterstützen.

Die Menschen haben sich ihre Sprache selbst gebildet, teils indem sie unwillkürliche Ausdrücke innerer Vorgänge zu willkürlichen Zeichen machten und weiter entwickelten, teils indem sie durch Nachahmung oder irgendwelche zufälligen Umstände sich bietende Zeichen zur Verständigung benutzten; denn Verständigung war der erste Zweck der Sprachbildung. Dabei stand anfänglich die Gebärdensprache neben der Lautsprache und beide ergänzten sich gegenseitig: wenige Laute und wenige Gebärden zusammen bezeichneten den Inhalt eines, ja selbst mehrerer Sätze. Da man jedoch aus praktischen Gründen allmählich die Lautsprache der Gebärdensprache vorzog, so bildete sich die Lautsprache allmählich vollständiger und selbständiger heran. (1)

In dieser Lautsprache waren schon sehr früh Namen für ganz allgemeine Qualitäten vorhanden, und die Dinge wurden meist nach dem Erscheinen einer dieser Qualitäten an ihnen benannt; doch belegte man auch oft dasselbe Ding mit mehreren, verschiedenen Namen, je nachdem, auf welche der ihm anhaftenden man gerade sah.

Nachdem die ersten Schritte auf dem Wege der Sprachbildung geschehen waren, spornten der aus der Verständigung erwachsende Vorteil und die Lust an der Mitteilung die Menschen an, das einmal bewährte Hilfsmittel der Verständigung weiter zu verwenden und mit Bewußtsein und Absicht für ihre Vorstellungen Zeichen zu suchen.

Diese Weiterbildung der Sprache geschah weniger durch Neubildung von Wörtern, welche vielmehr schon frühzeitig aufhörte, sondern meist durch Umgestaltung und Zusammensetzung oder übertragene Verwendung des vorhandenen Wortschatzes. Die Stadien dieses Fortschrittes anzugeben ist natürlich unmöglich, nur gewisse geistige Entwicklungsstufen, welche in der Sprache ihren Ausdruck fanden, mögen hier konstatiert werden.

Indem man verschiedene Wahrnehmungen resp. Vorstellungen und deren Teile beobachtete, stellte man vielerlei Beziehungen zwischen ihnen her, welche man allmählich auch in der Sprache kund zu geben suchte durch Veränderung der die Hauptvorstellungen beziehenden Wörter. So bildete man durch Umformung und Zusammensetzung von Wörtern die Flexionen aus, welche dann, einmal durch die Macht des Gedankens ins Leben gerufen, ihrerseits hinwiederum die Formun und den Lauf der Gedanken ungeheuer beeinflußten, und indem sie das Denken zu stets schärferer Anschauung und Unterscheidung des Vorgestellten anhielten, zugleich selbst noch feiner ausgebildet wurden.

Andererseits erhielt das vorhandene Sprachmaterial vielfach eine andere und übertragene Bedeutung. Geschah dies anfangs wohl, wie noch heute bei den Kindern häufig zu beobachten ist, weil man nicht scharf genug aufmerkend manche unwesentlichen Unterschiede zwischen ähnlichen Vorstellungen leichter übersah, so mußte doch auch bei weiterer Ausbildung das Vergleichen und Bemerken von Ähnlichkeiten absichtliche Übertragung einmal vorhandener Namen auf andere, den ursprünglich bezeichneten Vorstellungen ähnliche herbeiführen.

So benannte man die inneren Vorgänge des Seelenlebens bildlich nach äußeren ähnlichen Wahrnehmungen, so breitete man den größten Teil aller Namen über viele ähnliche Dinge aus und gelangte zu den Gattungsnamen. Denn die Wahrnehmung von Ähnlichkeiten und die Neigung des menschlichen Geschlechtes zu verallgemeinern veranlaßten die Ausdehnung des Namens eines Dinges auf viele dem erstbenannten ähnlichen Dinge.

Und infolge der zahlreicheren Aufnahme ähnlicher, doch im Unwesentlichen vielfach von einander abweichenden Dinge und ihrer Vorstellungen unter denselben Namen änderte sich nun auch die von anfang an hinter dem Namen stehende Einzelvorstellung so, daß die allen jenen ähnlichen Dingen gemeinsamen Eigenschaften in der Vorstellung stets vorhanden waren und stark hervortraten, während unwesentliche Merkmale zwar stets mit vorgestellt, doch nur wenig beachtet und auch je nach den zufälligen Umständen nicht stets dieselben waren.

Ein besonderes Hilfsmittel der Verständigung, welches vielfach zur Bildung von neuen Namen führte, war die Benennung mittels des Etymons, d.h. vermittels einer Vorstellung, die als Band der Assoziation diente zwischen dem äußerlich wahrnehmbaren Zeichen und seiner Bedeutung, d.h. dem physischen Inhalt, den es in dem Angeredeten erwecken sollte. Das Etymon ruft zunächst gewisse Nebenvorstellungen hervor, welche nicht selbst gemeint sind, sondern nur das Verständnis vermitteln, z.B. "Gepflügtes" als Nebenvorstellung zum Behufe der Bezeichnung von "Erde".

Hier rechnet der Redende auf Verständnis infolge derselben Assoziationen im Hörenden und, um eine Vorstellung zu bezeichnen, deren Assoziation mit der durch das Etymon hervorgerufenen Vorstellung feststeht, verwendet er das Etymon an Stelle des Namens für die eigentlich zu bezeichnende Vorstellung. Dieses Hilfsmittel kann uns vielleicht schwierig erscheinen, doch bot es sich in jenem früheren Zeiten sicherlich oft von selbst und konnte mit gutem Erfolge benutzt werden, weil die Gemeinschaftlichkeit des Lebens und der Interessen aller Menschen, sowie die geringere und gleichmäßigere Erfahrung bei allen Mitgliedern desselben Volkes auch ähnliche Assoziationen hatte entstehen lassen; daher mußte in einem ackerbautreibenden Volk jeder bei dem Namen "Gepflügtes" an die "Erde" denken.

So sehen wir überall den Geist, die Fortschritte, welche er uns selber macht, auch in der Sprache ausdrücken, indem er sich ihm unwillkürlich bietenden Hilfsmittel geschickt benutzt. Dabei konnte es natürlich nicht ausbleiben, daß das Wort, welches anfangs nur ein Verständigungszeichen war, sich im Denken immer enger mit der entsprechenden Vorstellung verknüpfte, ein Vorgang, der um so nützlicher war als durch die mannigfache Zusammensetzung der Wörter und die Abschließung ihrer Laute, sowie durch die Grundprinzipien des Bedeutungswandels, die Bedeutungsverengerung und die Bedeutungsübertragung, die ursprüngliche Benennungsursache der meisten Dinge vergessen und somit die Bedeutung der Wörter rein kommerziell wurde.

Endlich wurde die Weiterentwicklung der Sprache noch wesentlich von den Einflüssen der umgebenden Natur und der entstehenden Kultur sowie den sich allmählich ausbildenden Volkscharakteren beeinflußt.

Bei manchen Völkern entwickelte sich der Geist eher zu logischer Schärfe und zur Abstraktionsfähigkeit, andere Völker mehr ihrer Phantasie folgend dachten mehr in konkreten, lebhaften Bildern und demgemäß wurde die Sprache bei ersteren zu größerer Einfachheit und Klarheit, bei letzteren zu mannigfaltigerer Verschiedenheit und Bildlichkeit entfaltet.

Der ganze Gang des Denkens war jedenfalls lange Zeit ein sehr unregelmäßiger, sprunghafter, vielfach durch zufällige Assoziationen abgelenkt, und die Trennung der Vorstellungen von einander erfolgte nur langsam und unsicher.

Daher bestand die zusammenhängende Rede nur aus Angabe der Hauptvorstellungen und bald auch der rohesten Beziehungen zwischen denselben, wobei die Gebärden der Erläuterung noch lange mit dienen mußten, und die regelmäßigen Satzkonstruktionen oft durch Anakoluths, durch mehr sinngemäße als grammatikalisch richtige Verbindungen, durch Hinüberziehen und Verschmelzung mehrerer Sätze u.a.m. gestört wurden.

Eine weitere, wichtige Entwicklungsstufe nun ist die Ausbildung des abstrakten Denkens, welche wir zum Teil noch in der historischen Zeit in der Sprache sich widerspiegeln sehen. Die fortschreitende Übung der Geisteskräfte, des Beobachtens, Vergleichens, Urteilens, zum Teil auch die wechselnden Umstände der Außenwelt, das zufällige Fehlen resp. Ausschalten von sonst meist verbundenen Sinneseindrücken, besonders aber die allmählich wachsende Macht der Aufmerksamkeit führten ein schärferes ins Auge Fassen einzelner Vorstellungsteile und ein fast völliges Unbeachtetlassen anderer herbei.

Bis zu einem gewissen Grade hatte sich nun ja schon bei den Gattungsvorstellungen früher ein ähnlicher Vorgang eingestellt; dadurch ermuntert begann der Geist einzelne Qualitäten zum Hauptgegenstande seiner Betrachtung und seiner Operationen zu machen und übte sich, die übrigen im selben Komplex vereinten Qualitäten mehr und mehr unbeachtet zu lassen.

Dabei bot die Sprache einen großen Vorteil, denn sie ermöglichte es durch Analogiebildungen zu vorhandenen Formen von Adjektiven neue Substantive zu bilden, denen nicht - wie es anfangs allgemein war - Gegenstandsvorstellungen, sondern nur einzeln für sich besonders hervorgehobene Eigenschaften der Gegenstände entsprachen. Dies ist der geistige Fortschritt, der sich in der Bildung der abstrakten Substantive, z.B. 'rot, Röte, lang, Länge' u.a.m. ausspricht.

Anfangs waren es nur die hervorragendsten Köpfe, welche diese Betrachtungsweise der Vorstellungen übten, und wie schwer dieselbe war, sehen wir noch deutlich an der Entwicklung des abstrakten Denkens bei den Griechen. Die alte griechische Philosophie denkt und redet meist noch vollkommen in Bildern von konkreten Vorstellungen; selbst der geistesstarke HERAKLIT weiß seine abstrakten Gedanken noch nicht anders als in Bildern auszudrücken, welche oft das Verständnis seiner Lehre für uns erschweren; wie sehr spürt man nicht das Ringen des Geistes mit dem abstrakten Denken und dem Ausdrucke desselben bei THUKYDIDES!

Selbst bei PLATO gerät noch oft die konkret vorstellende Phantasie in Streit mit der abstrahierenden Vernunft und verursacht manche Unklarheiten und Fehlschlüsse; erst ARISTOTELES dringt zum reinen abstrakten Denken durch und zeigt glänzend die Priorität und relative Unabhängigkeit des Denkens von der Sprache in der Art, wie er teils durch Bildung neuer Ausdrücke, teils durch inhaltlich Umprägung vorhandener den errungenen abstrakten Gedanken benennt. Wie schwer sie errungen sind, sieht man noch manchen Ausdrücken an und in manchen Fällen wurden erst im weiteren Verlaufe der Sprache die betreffenden Beziehungen gebildet.

Im allgemeinen sehen wir noch heute ganz ähnliche Stufen und Entwicklungen im Denken des Volkes, des Kindes und des heranwachsenden Geschlechtes auftreten, wenn auch die Denkarbeit, welche zum ersten abstrakten Denken führte, eine ungleich schwierigere war als diejenige des modernen Menschen, welchem der geistige Unterricht und die überlieferte, logisch fein durchgebildete Sprache die mühsamen Errungenschaften der früheren Jahrhunderte leicht zuteil werden lassen. Doch weiß jeder von uns sich aus seiner Jugend zu erinnern, wie spät sich erst die Fähigkeit abstrakt zu denken entwickelt, und wie viele Schwierigkeiten beim Eintritt in die Vorhallen der Philosophie zu überwinden sind.

§ 31. Eine Schilderung nun des abstrakten Denkens auf seiner modernen Höhe würde nichtnur unsere Kräfte weit übersteigen, sondern ist auch schon vielfach geliefert worden; wir begnügen uns damit auf die betreffenden Abschnitte in SIGWARTs Logik zu verweisen und hier nur die aus der vorliegenden Arbeit gewonnenen Ansichten zusammenzustellen.

Unser Denken ist eng mit der Sprache verknüpft und wird wesentlich durch dieselbe gefördert, doch eilt es ihr nicht nur meist voraus, sondern vermag auch bisweilen allein in konkreten Bildern stattzufinden; gewöhnlich aber geht neben einer Reihe von Vorstellungen nur wenig zurückbleibend eine Reihe von Worten her, welche ihrerseits zwar gewisse Teile der Vorstellungen stärkt, aber auch manche Teile des Gedankeninhalts gar nicht ausdrückt.

Nun ist jedoch keineswegs jedes Wort einer solchen Reihe Zeichen einer selbständigen Vorstellung, die nach Belieben allein vorgestellt werden könnte, sondern erstens bezeichnen viele Wörter (wie Adjektiva) nur besondere Merkmale der Hauptvorstellung oder Beziehungen derselben zu andern Vorstellungen, sodann stellen wir keineswegs bei allen konkreten Substantiven, ja nicht einmal bei allen Eigennamen stets die entsprechende Vorstellung klar und deutlich mit allen wesentlichen und unwesentlichen Zügen vor; vielmehr erinnern wir uns selbst bei Eigennamen nur der wesentlichsten Eigenschaften und vermögen nur mit Mühe uns die Vorstellung eines Einzeldinges bis in alle Einzelheiten zu vergegenwärtigen.

Endlich kann überhaupt der Mehrzahl der Namen, den allgemeinen Namen, niemals eine unveränderliche Einzelvorstellung, die nur die logisch wesentlichen Merkmale enthielte, direkt entsprechen, weil alle unsre Vorstellungen Bilder mit wesentlichen und unwesentlichen Zügen sind.

§ 32. Wir denken meist in Bildern und so bedarf auch der abstrakte Name einer konkreten Vorstellung, um wirkliche Bedeutung zu haben, andererseits bedarf aber auch, so zu sagen, die konkrete Vorstellung der abstrakten Betrachtungsweise, um wirklich von dem abstrakten Namen bezeichnet zu werden.

Am einfachsten zeigt sich noch dieser Zusammenhang zwischen abstrakten Namen und konkreter Vorstellung in den Fällen, wo der abstrakte Name nicht selbständig im Satze steht, sondern in Beziehung gesetzt zu einem konkreten; dann ist also die konkrete Vorstellung fest bestimmt und der abstrakte Name bezeichnet nur, daß in dieser gegebenen Vorstellung einzelne, abstrakte Merkmale stärker beachtet werden.

Sage ich z.B. "ich sehe mit Bewunderung die Größe des Kölner Doms", so bezeichnet hier "Größe" nur das Hervortreten einer Eigenschaft der konkreten Vorstellung: "Kölner Dom." Oder: "Aristides war ein Mann voll Tugend", hier nehme ich die abstrakten Merkmale, welchen der Name "Tugend" zukommt, in der Vorstellung "Aristides" wahr.

Zweitens aber können diese Abstrakten selbständig sein; ich kann sagen: "Jede Größe ist teilbar" oder "Tugend belohnt sich selbst" oder "Jedes Tier bedarf der Nahrung"; in diesen Fällen steht wirklich eine selbständige Vorstellung eines einzelnen Dinges oder Ereignisses, welches neben den unwesentlichen auch die wesentlichen Eigenschaften enthält, die der Name bezeichnet.

Diese Ansicht ist ausführlicher bei BERKELEY und HUME besprochen worden; da in der Tat alle einfachen, abstrakten Begriffe einmal in der äußeren resp. inneren Wahrnehmung angeschaut werden oder doch werden können, so ist kein Grund zu zweifeln, daß dieselben beim Denken in den entsprechenden Vorstellungen angeschaut werden können, wofern der Geist nur auf die logisch wesentlichen Merkmale zu achten vermag. So hat die bei den abstrakten Namen vorgestellte Einzelvorstellung folgende besonderen Eigenschaften:

  1. Daß sie nicht stets ein für allemal bei demselben Namen vorhanden ist, sondern von besonderen, oft zufälligen Umständen bestimmt wird;
  2. daß jedoch stets ein gewisses Merkmal oder eine Gruppe von Merkmalen in ihr vorgestellt wird;
  3. daß das, was man von ihr aussagt, sich nur auf jenes oder jene mehreren stets vorgestellten Merkmale bezieht.

    Die bei einem Allgemeinnamen vorhandene Einzelvorstellung ist weder bei allen Menschen noch in jedem Einzelnen stets dieselbe; sie wird vielmehr bestimmt:

    1. von der persönlichen Erfahrung und dem Leben des Denkenden; jeder stellt das seiner Person aus irgend welchem Grunde zunächst liegende Ding einer Gattung vor, z.B.: wenn ein Kutscher den Namen "Pferd" ausspricht oder hört, so wird er an sein eigenes Pferd denken; ebenso beim Namen "Tier"; und ein Kaufmann, der von "Tüchtigkeit" redet, stellt sich wohl meistens einen tüchtigen Mann mit kaufmännischen Eigenschaften vor.(2)
    2. von dem Zusammenhange der ganzen Rede und den sich in derselben bietenden konkreten Bildern, welche die Assoziationen beeinflussen: z.B. lese ich in einem Aufsatze über Afrika von "Bäumen", so stelle ich mir "Palmen" vor. Die Bedeutung vieler Wendungen und übertragener Ausdrücke ist oft nur in größeren Satzzusammenhängen, welche eine bestimmte Art der Assoziationen angeben, verständlich: z.B. höre ich in einer längeren Rede über Gebirge von einem "Kamm", so denke ich an einen "Gebirgskamm".
    3. von der jedesmal umgebenden Außenwelt; denn beim Denken nimmt man sofort die in der Umgebung sich bietenden Bilder als konkrete Unterlage der Gedanken. Wenn ich z.B. denke: "Alles Ausgedehnte ist teilbar", so stelle ich mir als Ausgedehntes eine ausgedehnte Figur, die ich zufällig wahrnehme, vor, z.B. einen langen Weg, eine große Mauer oder ein Stück des Horizontes.
Endlich kann die Einzelvorstellung auch nur symbolisch sein: man kann sich beim Begriff "Krieg" einen gewappneten Mann, bei "Freiheit" eine Freiheitsgöttin denken. (3)

In dieser also durch mancherlei Umstände bestimmten Einzelvorstellung tritt nun eine Gruppe von Merkmalen und zwar stets dieselbe bei demselben abstrakten Namen auf. Denn bei der Wahrnehmung vieler ähnlicher Dinge, welchen wir als Kinder dieselben Namen beilegen lernten, oder auf die wir selbst bei wachsender Erfahrung denselben Namen ausdehnten, haben sich in der Vorstellung unwillkürlich die gemeinsamen und darum wiederholt wahrgenommenen Merkmale sehr gestärkt.

Dazu trägt ebenfalls weiter direkte Belehrung durch eigene oder fremde Urteile und Definitionen bei, so daß bei steigender Bildung die Gruppe gemeinsamer Merkmale in der Vorstellung sich stets mehr zusammenschließt und stärker hervortritt.

Bei der Verwendung der so gearteten Einzelvorstellung einer unmöglichen, abstrakten Vorstellung sind allerdings beim Volke und überhaupt beim weniger scharfen Denken Irrtümer gar nicht selten, welche daraus hervorgehen, daß man die wesentlichen Merkmale nicht genügend hervorhebt und daher Eigenschaften, welche nur der jeweiligen Einzelvorstellung mit Recht zukommen, auch von der allgemeinen Vorstellung, welche jene vertritt, aussagt.

Aber eben die uns anhaftende Schwerfälligkeit alle Einzelheiten der Vorstellung deutlich vorzustellen, verbunden mit der nach Maßgabe der Erfahrung und Übung größeren Klarheit der wesentlichen Merkmale, bei deren Wahrnehmung er meistens gebraucht wurde, ferner das unmittelbar beim Auftreten der Vorstellung und des Namens oft auftretende Billigungs- und Mißbilligungsgefühl, endlich unsere strengere Aufmerksamkeit und größere Einheitlichkeit des Denkens - alles das zusammen gestattet den wahrhaft Gebildeten ein Operieren mit der Vorstellung eines Einzeldinges der Gattung an Stelle einer Gattungsvorstellung, ohne daß man in Fehler verfällt, und verschafft so den Menschen jene Schnelligkeit der Gedanken, jene Fähigkeit nach allgemeinen Gesichtspunkten zu ordnen, welchen der moderne Mensch die Fortschritte seiner Kultur verdankt.

So ist es möglich, daß selbst beim abstraktesten Denken doch noch in flüchtigen Bildern gedacht wird, welche allerdings nur in ihren Hauptzügen blitzschnell auftreten. Dadurch beherrschen wir auch den Assoziationenzug unseres Denkens weit mehr, weil wir die unwesentlichen Einzelheiten der Bilder fast gar nicht bemerken; wir erreichen so zugleich eine größere Schnelligkeit und Sicherheit des Denkens.

§ 33. Dabei wollen wir der großen Dienste, welche die Namen dem Denken als Merkmale leisten nicht vergessen: jenes stärkere Hervortreten abstrakter Merkmale in der Einzelvorstellung, welches das abstrakte Denken erst ermöglicht, wird ja wesentlich durch die jenen Merkmalen eng assoziierten Namen gefördert, welche den vagen Vorstellungsbildern zugleich mehr Halt verleihen und eine leichtere Unterscheidbarkeit von anderen Vorstellungen herbeiführen. Bisweilen vertritt sogar die Wortvorstellung mit einigen allgemeinen Beziehungen des Vorstellens schwierige Vorstellungen, z.B. Zahlbegriffe oder sonst höchst abstrakte Gedanken.

Von früheren Erfahrungen, welche in allgemeinen Urteilen zusammengefaßt wurden, bleibt häufig nur dieses Urteil im Gedächtnis und dient direkt ohne erneuerte Vorstellungen aller früheren Erfahrungen, oft nur durch allgemeine Beziehungen herbeigeführt, als Grundlage oder als willkommenes Zwischenglied bei weiteren Schlüssen. Und nicht nur in der Erinnerung haften vage Vorstellungen infolge der ihnen beigelegten Namen besser, sondern auch bei jedem Denkprozeß erleichtern die Namen ein längeres Festhalten und genaueres Prüfen der Vorstellungen im Geiste.

Jedenfalls aber bleibt doch das den Worten vorausgehende Denken dasjenige, was denselben erst ihren Wert verleiht. Und wenn die Sprache dem menschlichen Geiste großartige Dienste leistet, so ist darum nicht die Sprache allein zu preisen, sondern noch mehr der Geist, welcher ein ihm gebotenes Werkzeug erfinderisch weiter ausbildend trotz der Mangelhaftigkeit des Werkzeuges sich selbst durch dasselbe höhere Vollkommenheit aneignete.

LITERATUR - Carl Grube, Über den Nominalismus in der neueren englischen und französischen Philosophie, Halle 1889
    Anmerkungen:
    1)  Anton Marty,  Über den Ursprung der Sprache, 1875
    1) Lehrreich sind hierfür auch die Bemerkungen  Hebbels  (Biographie von KUH 1877, S.34-35) über den ersten Ausgang des Kindes: "Es tritt, wenn es zum ersten Mal von der Mutter oder vom Vater mitgenommen wird, den Gang durch den Straßenknäuel gewiß nicht ohne Staunen an, es kehrt noch weniger ohne Schwindel von ihm zurück. Ja, es bringt von vielen Objekten vielleicht ewige Typen mit heim, ewig in dem Sinn, daß sie sich im Fortgang des Lebens eher unmerklich bis ins Unendliche erweitern als sich jemals wieder zerschlagen lassen; denn die primitiven Abdrücke der Dinge sind unzerstörbar und behaupten sich gegen alle späteren, wie weit diese sie auch an sich übertreffen mögen... Die Kirche, .... der Gottesacker, ... ein uraltes Haus,.. all diese Einzelheiten flossen für mich, zu einem ungeheuren Totalbild zusammen. ... Ich habe seitdem den Dom von St. Peter und jeden deutschen Münster gesehen, ich bin auf dem Pére la Chaise und an der Pyramide des Cestius gewandelt, aber wenn ich im Allgemeinen an Kirchen, Friedhöfen usw. denke, so schweben sie mir noch jetzt in der Gestalt vor, in der ich sie an jenem Abend erblickte."
    3) Salomon Stricker, Studien über die Bewegungsvorstellungen, 1882, Seite 42f