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FRIEDRICH MAX MÜLLER
(1823-1900)
Das Denken im Lichte der Sprache
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Denken und Sprache
"Zwei ist in jeder Hinsicht der erste Begriff."

Vorrede
Dieses Buch ist für mich selbst geschrieben worden und für einige Freunde, mit denen ich viele Jahre dieselben Pfade gewandelt bin. ... Die Gegenstände, von denen es handelt, erregen gegenwärtig in der Öffentlichkeit keine Sympathie, weder in England, noch auf dem Kontinente. Es gibt für philosophische wie für politische und soziale Fragen eine Höhe der Zeit. Wie der erfolgreiche Staatsmann sein Auge auf die Sphäre praktischer Politik gerichtet halten muß, wie der ausführende Reformator sein Segel so setzen muß, daß er den von der rechten Seite wehenden Wind auffängt, so sollte ein Schriftsteller, welcher ein zeitgemäßes und wirksames Buch schreiben will, nicht einen Gegenstand wählen, der seinen Tag gehabt hat und wenig Wahrscheinlichkeit für sich hat, bald wieder über dem Horizonte aufzusteigen.

Und nicht nur sind die in diesem Buche abgehandelten Gegenstände jetzt aus der Mode, sondern die darin vertretenen Ansichten laufen der Strömung der öffentlichen Meinung entgegen, sodaß ich fürchte, mein gewagter Versuch wird, wenn überhaupt beachtet, hart von den Wellen gegnerischer Kritik getroffen, oder erbarmungslos vom Malstrom allgemeiner Gleichgültigkeit herabgezogen werden. ...

... Ich weiß natürlich, daß das philosophische System, welches es vertritt,  Nominalismus  genannt werden kann und wahrscheinlich genannt werden wird, und zwar Nominalismus im strengsten Sinne. Ich habe die höchste Achtung für den Nominalismus. Ich glaube, er hat die philosophische Atmosphäre Europas besser geklärt, als irgend welches andere System. Aber nichts leitet so sehr irre, als der Gebrauch alter Namen, als ob Jedermann wüßte, was sie bedeuteten.

Die, welche die Schriften WILHELMs von OCKHAM kennen, würden nie daran denken, denselben Namen seinem und meinem Systeme beizulegen. Kein Zweifel, in gewissem Sinne kann mein System Nominalismus genannt werden, weil es den Ursprung und die wahre Natur der Namen zu bestimmen strebt. Aber das ist nicht die historische Bedeutung des Nominalismus, und die Resultate, zu denen uns das Studium der Sprachen in unserem neunzehnten Jahrhundert geführt hat, sind sehr verschieden von denen, die im Bereiche selbst der tiefsten Denker vom elften bis vierzehnten Jahrhunderte zu finden waren. Will man die vereinigten Wissenschaften der Sprache und des Denkens mit einem Namen benennen, so möge es ein unterscheidender Name sein, nämlich nicht Nominalismus, sondern Nominismus.

Weiter würde es sehr leicht sein, mein System Materialismus zunennen und in schwarzen Farben auszumalen, ws nicht mit Unrecht als eine Folgerung bezeichnet werden kann, nämlich, daß es gar nichts derartiges wie Intellekt, Verstand, Geist und Vernunft gebe, sondern daß alles dies nur verschiedene Phasen der Sprache seien. Ich vertrete bestimmt diese Ansicht und zwar nach sorgfältiger Abwägung und Prüfung aller Einwürfe, die dagegen vorgebracht worden sind oder vorgebracht werden können.

Meine eigene Meinung mag richtig oder falsch sein - aber gesetzt, sie erwiese sich am Ende als richtig, so würden die Folgen keineswegs so schrecklich sein, als es scheint. Wir würden in jeder Hinsicht genau wie vorher dieselben bleiben, wir würden nur unser Innenleben unter neuen, und wie ich glaube, genaueren Namen verstehen. Wenn ich sage: "Keine Vernunft ohne Sprache", so sage ich auch: "Keine Sprache ohne Vernunft" ...


Die Grundelemente des Denkens

Die Bedeutung des Wortes Denken. Wenige Worte werden in so vielen verschiedenen Bedeutungen gebraucht wie das Wort  Denken . Das Denken d.h. der Akt des Denkens bedeutet für mich nichts Anderes als kombinieren d.h. verbinden. Ich spreche Anderen durchaus nicht das Recht ab, Denken in einem anderen Sinne, der ihnen besser gefällt, zu gebrauchen, wofern sie ihn nur klar definieren wollen. Ich will nur die Bedeutung erklären, in welcher ich das Wort zu gebrauchen beabsichtige und in welcher es nach meiner Meinung gebraucht werden sollte.

 Ich denke  bedeutet für mich dasselbe wie das lat.  cogito , nämlich  co-agito , ich bringe zusammen, nur mit dem Vorbehalt, daß Zusammenbringen oder Verbinden das Trennen in sich schließt, daß wir zwei oder mehrere Dinge nicht verbinden können, ohne zu gleicher Zeit sie von allen übrigen zu trennen d.h. zu unterscheiden.

HOBBES sprache dieselbe Wahrheit schon vor langer Zeit aus, indem er sagte: all unser Denken besteht in Addition und Subtraktion.

So demütigend dies auch auf den ersten Blick erscheinen mag, so ist es doch nicht demütigender als daß die subtilsten und verwickeltsten mathematischen Operationen, welche dem Uneingeweihten über allen Begriff zu gehen scheinen, schließlich auf Addition und Subtraktion zurückgeführt werden können. Mag also das Denken auch nicht als eine so wunderbare Gabe erscheinen, wie wir uns ehedem einbildeten, wenn wir mit staunender Bewunderung zu den mathematischen Berechnungen NEWTONs oder zu den metaphysischen Spekulationen KANTs aufblickten: gleichwohl ist das Werk dieser Denker, wenn sie das, was sie vollbrachten, durch so einfache Operationen wie Addition und Subtraktion, Verbinden und Trennen vollbracht haben, in Wirklichkeit ein weit größeres Wunder, als es auf den ersten Blick erscheint.

Die Materialien des Denkens. Viel kommt indessen darauf an, festzustellen, was wir verbinden und trennen. Wir haben deshalb zu betrachten, was im Denken den Zahlen, mit welchen der Mathematiker operiert, entspricht, was die bekannten Größen, die den Grundstoff unserer Gedanken bilden, in Wirklichkeit sind, was die Grundelemente sind, die wir zusammenbringen oder in Denken verbinden (co-agitamus).

Wir können in unserer Erkenntnis vier Dinge unterscheiden
    Empfindungen (sensations)
    Vorstellungen (percepts)
    Begriffe (concepts)
    und Namen.
Aber obgleich wir sie auseinanderhalten können, dürfen wir uns nicht einbilden, daß diese vier je eine gesonderte Existenz führen könnten. Worte sind nicht möglich ohne Begriffe, Begriffe nicht ohne Vorstellungen, Vorstellungen nicht ohne Empfindungen. Dies ist ziemlich bereitwillig von den meisten Philosophen eingeräumt worden. Aber wenn wir selbst Empfindungen als die Voraussetzung von Vorstellungen, Vorstellungen als die Voraussetzung von Begriffen und Begriffe als die Voraussetzung von Namen fordern, so dürfte es als ein ganz natürlicher Schluß erscheinen, daß Empfindungen vor den Vorstellungen und deshalb unabhängig von ihnen, Vorstellungen unabhängig vor den Begriffen, Begriffe unabhängig vor den Worten existierten.

Und doch brauchen wir nur den Versuch zu machen, um uns von der Tatsachen zu überzeugen, daß ohne gleichzeitige Wirksamkeit von Empfindungen, Vorstellungen, Begriffen und Namen Denken im gebräuchlichen Sinne des Wortes ganz unmöglich ist, daß in Wirklichkeit die vier Dinge untrennbar sind.

Reichtum an philosophischen Kunstausdrücken. Wir haben also bei dem eigentlichen Beginne unserer Analyse des Menschengeistes gesehen, wie viel Verwirrung der Reichtum und Überfluß an philosophischen Kunstausdrücken verursachen kann. Weil wir für  Eindruck  und  Empfindung  besondere Wörter neben einander haben, werden wir zu der Meinung verleitet, daß wirklich Eindrücke und Empfindungen getrennt neben einander existieren. Was aber ursprünglich unter Eindruck verstanden wurde, ging nicht neben der Empfindung her, sondern war vielmehr nur eine Seite der Empfindung, nämlich die passive, von der man für sich ja sprechen kann, die aber bei jeder wirklichen Empfindung von der aktiven Seite untrennbar ist.

Wir können niemals völlig passiv sein, wenn wir auffassen, d.h. wir erfassen, was sich uns darbietet. Selbst der leiseste Sinnenreiz ist von etwas uns Eigentümlichem durchdrungen, das wir geistig zu nennen uns gewöhnen müssen. Das Wort  Eindruck  mag für gewissen Fälle seinen Zweck erfüllen, aber es wird verhängnisvoll, sobald es etwas von uns ganz Unabhängiges bezeichnen soll. Dieser Schwierigkeit werden wir immer wieder begegnen und, wie ich glaube, zu dem Schlusse gelangen, daß es wirklich für die Philosophie die größte Wohltat wäre, wenn alle derartigen Ausdrücke wie  Eindruck, Empfindung, Wahrnehmung, Anschauung, Vorstellung, Vergegenwärtigung, Begriff, Idee, Gedanke, Erkenntnis ferner  Sinn, Geist, Gedächtnis, Intellekt, Verstand, Vernunft, Seele, Gemüt  usw. eine Zeit lang aus unseren philosophischen Wörterbüchern verbannt und nicht eher wieder aufgenommen würden, bis sie eine vollständige Klärung erfahren hätten.

Sprache und Denken untrennbar. Wir müssen uns jetzt zu der wichtigsten von allen Fragen wenden, ob nämlich Begriffe ohne Worte existieren können. Es ist merkwürdig zu beobachten, wie ungern man zugibt, daß Begriffe ohne Worte unmöglich sind, obwohl man gleichzeitig bereitwillig einräumt, daß Worte ohne Begriffe unmöglich seien. Es scheint fast, als ob man es als etwas Unwürdiges empfinde, daß das Geistigste in uns, unsere Gedanken, von solch armseligen Krücken, wie die Worte es sein sollen, abhängig sein.

Aber wie können Worte armselige Krücken genannt werden? Sie sind die eigentlichen Glieder, ja sie können die wahren Flügel des Gedankens werden. Wir beklagen nicht, daß wir uns nicht ohne unsere Beine bewegen können. Warum sollten wir es für demütigend halten, daß wir ohne Worte nicht denken können?

Daß Worte ohne Begriffe möglich sind, ist eine Ansicht, die unablässig von einer bestimmten Klasse von Gelehrten aufrecht erhalten wird, nämlich von denen, die den Ursprung der Sprache in der Nachahmung von Naturlauten oder einfachen Interjektionen sehen. Wir verstehen jedoch unter Sprache etwas anderes und brauchen deshalb die Argumente, die von den Vertretern dieser Ansicht vorgebracht und auch von einer Philosophenschule angenommen wurden, keiner Prüfung zu unterziehen.

Die andere Ansicht, daß Begriffe ohne Worte möglich seien, ist nicht nur von ausgesprochenen Konzeptualisten, sondern von vielen Philosophen, die sich in diesem Punkte weder nach der einen noch nach der anderen Richtung entscheiden können, aufrechterhalten worden, als ob es möglich wäre, selbst nur den ersten Schritt in der Philosophie zu tun, bevor man ganz klar gesehen hat, daß wir in Worten denken und in nichts anderem als in Worten.

Doch können wir ein Buch nach dem anderen über Logik, die Wissenschaft oder Kunst des Denkens, aufschlagen, und wir werden überall derselben Unbestimmtheit oder ich möchte fast sagen, demselben Mangel an intellektuellem Mute begegnen, der die Verfasser abhält, zu dieser wichtigsten aller philosophischen Fragen: "Ist Denken ohne Worte möglich"  ja  oder  nein  zu sagen.

Mill. MILL kann es in seinem großen Werk über Logik nicht über sich gewinnen, mehr zu sagen, als Folgendes:
    "Folgern oder Schließen, der Hauptgegenstand der Logik, ist eine Operation, welche  gewöhnlich  mittels der Worte stattfindet, und in allen verwickelten Fällen auf keine andere Weise stattfinden kann."
Aber er zeigt niemals, auf welche andere Weise, wenn auch nur ausnahmsweise, es ohne Sprache möglich wäre, Folgerungen zu ziehen. Wenn er von der Logik der Vorstellungen und Gefühle spricht, kann dies schwerlich mehr als ein metaphorischer Ausdruck sein. Er nennt Sprache eines der  hauptsächlichsten Elemente  oder  Hilfsmittel  des Denkens, aber niemals erwähnt er irgend ein anderes Werkzeug. Er kehrt zu demselben Problem immer wieder zurück. Aber immer entscheidet er es nur halb und unter zahlreichen Einschränkungen, die zeigen, daß er selbst nicht davon befriedigt ist.
    "Es gibt Denker", schreibt er, "welche der Ansicht sind, die Sprache sei nicht nur, nach einer allgemein gangbaren Phrase,  ein  Werkzeug, sondern  das  Werkzeug des Denkens; Namen, oder irgend etwas Äquivalentes, irgend eine Art künstlicher Zeichen, seien zum Urteilen notwendig, ohne sie könne kein Schluß und folglich auch kein Induktion zustande kommen. Wenn aber die Natur des Schließens vom Besonderen auf Besonderes darin besteht, eine Tatsache als ein Merkmal einer anderen, oder ein Merkmal von einem Merkmale einer anderen zu erkennen, so ist, um das Schließen möglich zu machen, nicht erforderlich als Sinne und Ideenassoziation; Sinne, um wahrzunehmen, daß zwei Tatsachen verbunden sind; Ideenassoziation, als das Gesetz, durch welches die eine dieser zwei Tatsachen die Idee der anderen erweckt.

    Sowohl für die geistigen Phänomene wie für den Glauben oder die Erwartung, welche folgt, und wodurch wir erkennen, daß das, wovon wir ein Merkmal wahrgenommen haben, Statt gehabt hat oder im Begriffe steht, Statt zu finden, bedürfen wir augenscheinlich der Sprache nicht. Und diese Folgerung einer besonderen Tatsache aus einer anderen ist ein Fall von Induktion."
Dies ist nun durchaus alles richtig, und ich habe mich oft über diese Art von Urteilsvermögen, die dem Menschen und Tiere gemeinsam ist, ausgesprochen. Ob man aber klug daran tut, es Urteilsvermögen zu nennen, ist eine andere Frage; in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes mag man es immerhin so nennen. Andererseits aber hat niemand den ungeheuren Unterschied zwischen derartigen sinnlichen und dem begrifflichen Gedankenurteile klarer nachgewiesen als MILL selbst.

Er fährt dann fort: "Dieser Art von Schlußvermögen sind die Tiere fähig; in dieser Form machen ungebildete Geister fast alle ihre Schlüsse." Hier stimme ich, soweit es die Tiere betrifft wieder mit MILL überein, aber hinsichtlich der "ungebildeten Geister" bezweifle ich, ob sie jemals vollständig ohne Worte schließen, oder vielmehr ich bin überzeugt, daß sie es nicht tun.

Indessen kann diese Streitfrage nur durch das Experiment bestimmt entschieden werden; wie immer sie entschieden wird, die allgemeine und eigentlich wichtige Frage würde dadurch nicht berührt werden. MILL selbst ist ein viel zu ernster Denker, um dies nicht zu sehen, aber offenbar klebt er an einem alten Schiboleth [Erkennungszeichen - wp], mit dem er nicht ganz brechen will.

Indem er seine kleinen Einschränkungen macht, erkennt er freimütig an,
    "daß, obgleich ein derartiger Schluß von induktivem Charakter ohne den Gebrauch von Zeichen möglich ist, er doch ohne diese nie weit über die eben beschriebenen einfachen Fälle hinausgehen dürfte, die aller Wahrscheinlichkeit nach bei den Tieren, denen die konventionelle Sprache versagt ist, die Grenze des Schließens bilden."
Was heißt dies anders als zugeben, daß Denken und Schließen, womit wir allein uns beschäftigen, ohne allgemeine Zeichen, Universalien, Gemeinnamen und allgemeine Urteile nicht vor sich gehen kann; daß Denken in Wirklichkeit ebenso wenig von Sprache wie Sprache von Denken getrennt werden kann? Die Logik hat auf alle Fälle mit dem Schließen der Tiere nichts zu tun, und wenn die Menschen - einige imaginäre  Wilde  ausgenommen - nur mit Hilfe der Sprache Schlüsse bilden, welchen ungeheuren Vorteil hätte ein Logiker wie MILL daraus ziehen müssen, wenn er einmal mit den Vorurteilen gegen den sogenannten Nominalismus gebrochen und Denken da studiert hätte, wo es allein vollständig realisiert ist, - in der Sprache.

Ich habe frei und voll eingeräumt, daß Gedanken ohne Worte existieren können, da die Worte durch anderweitige Zeichen ersetzt werden können. Fünf Finger oder fünf LiniFen reichen zwischen Leuten, die verschiedene Sprachen sprechen, möglicherweise auch zwischen Taubstummen, die überhaupt keine Sprache sprechen, vollständig zur Mitteilung des Begriffes  Fünf  aus.

Die Hand kann also zum Zeichen für fünf werden, beide Hände können zehn, Hände und Füße zwanzig bedeuten. Drei Finger sind so gut wie drei Striche, drei Striche so gut wie der Laut  drei  oder  three  oder  trois  oder  schalosh  im Hebräischen oder  san  im Chinesischen. Nachdem Worte und Begriffe einmal gebildet sind, können sie auch ganz wohl in algebraischer Weise dargestellt werden. Alle diese Zugeständnisse können aber leicht gemacht werden, ohne im Mindesten den allgemeinen Satz zu berühren, daß Gedanken ohne Worte unmöglich sind, oder, wenn noch etwas vollständig Selbstverständliches hinzugefügt werden soll, ohne irgend welche anderen Zeichen, die demselben Zwecke wie die Worte entsprechen.

Wie werden neue Objekte benannt? Der nächste Einwurf entstammt aus einem bloßen Mißbrauch der Sprache. Man sagt, daß, wenn wir zum ersten Male ein Tier sehen, dessen Namen wir noch nicht kennen, wir dennoch es denken, und daran erinnern, davon erzählen können, ohne doch einen Namen dafür zu haben. Aber ist "unbekanntes Tier" keine Name? Gesetzt auch wir hätten, wenn wir ein fremdes Tier zum ersten Male sehen, keinen eigenen Namen dafür, so wären wir nichts destoweniger im Stande, davon sogleich unter dem  proximum genus  zu denken und dieses  proximum genus  würde wahrscheinlich einen Namen haben. Das namenlose Objekt würde als ein Tier oder ein lebendes Ding, möglicherweise als ein Säugetier, ein Vogel, ein Fisch oder wiederum als etwas, was etwas anderem, das einen Namen hat, ähnlichist, begriffen und benannt werden.

Diesen Vorgang sehen wir in einer Geschichte, die Kapitän COOK berichtet, treffend beleuchtet. Er war, wie er sagt, über die unglaubliche Unwissenheit der Hervey-Insulaner sehr erstaunt, insofern sie infolge eines seltsamen Mißverständnisses die Schafe und Ziegen an Bord der "Resolution" Vögel nannten. Das Wort, welches sie tatsächlich gebrauchten, war  manu . Dieses bedeutet irgend ein lebendes Ding, das auf der Erde oder durch die Luft sich bewegt. Der Ausdruck kann sowohl menschliche Wesen als auch Vögel bezeichnen.

Wenn daher die Atiuaner Schafe und Ziegen Vögel nannten, taten sie eigentlich nichts Ungereimteres, als was wir alle auch tun würden, wenn wir ein neues Tier zu begreifen und benennen versuchten. Sie faßten es unter den nächsten  genus  auf, das einen Namen, nämlich  manu  hatte, was ein lebendes oder sich bewegendes Ding bedeutet, und fügten im Laufe der Zeit irgend ein unterscheidendes Merkmal hinzu. Das Delaware-Wort für Pferd bedeutet "das vierfüßige Tier,das auf seinem Rücken trägt". Die Indianer nennen ein Schulhaus mit einem Worte, welche "einen Aufenthaltsort bezeichnet, wo Zauberei getrieben wird", da das Lernen aus Büchern nach ihrer Vorstellung zu den Geheimkünsten gehört.

Unaussprechliche Gedanken. Was nun für die Fälle gilt, wo wir neue Objekte, die wir deutlich vor uns sehen, denken d.h. darüber zu uns selbst sprechen müssen, obgleich wir noch nicht wissen, wo wir sie unterbringen sollen, dasselbe gilt auch für die Fälle, wo unsere Gedanken ganz und gar unbestimmt und undeutlich zu sein scheinen. Wir selbst reden von unaussprechbaren Gedanken, worunter wir im Allgemeinen reine Gefühlszustände verstehen, die niemals in der Sprache anders als annähernd, metaphorisch oder dichterisch wiedergegeben werden können.

Bisweilen fühlen wir uns von der Unvollkommenheit der Sprache unbefriedigt, die uns nötigt, unter alten Wörtern, was sich für unsere neuen Zwecke zu eignen scheint, auszusuchen, oder zur Zusammensetzung zu greifen oder endlich zu versuchen, was wir durch Neubildung mit den in unserer eigenen oder in fremden Sprachen niedergelegten Materialien ausrichten können. Aber alles dies dient nur dazu, uns zu zeigen, daß Denken ohne Worte unmöglich ist.

Namen für Denken im Allgemeinen. Wir sahen vorher, daß Empfindungen, Vorstellungen, Begriffe und Namen die Grundelemente unserer Gedanken, die bekannten Größen, welche wir verbinden, die Zahlen, welche wir beim Rechnen oder Schließen addieren und subtrahieren, nicht unabhängige Elemente, sondern nur vier verschiedene Entwicklungsstufen in dem Wachstum dessen sind, was wir unseren  Geist  nennen.
LITERATUR - Philosophie als Sprachkritik im 19. Jahrhundert, Textauswahl, Hrsg. Siegfried J. Schmidt, Stuttgart - Bad Cannstatt 1971