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ROBERT SCHELLWIEN
Kritik des Materialismus
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"Für Herrn  Büchner  gibt es etwas besonderes Gedankenerzeugendes, was er Geist oder Seele nennen könnte, durchaus nicht, sondern das Gedankenerzeugende ist lediglich das Gehirn, und das, wovon hier gesprochen werden kann, ist allein der Gedanke, und zwar der Gedanke als Erzeugnis des Gehirns."

"Es ist ein vollkommen leeres Vorgeben des Materialismus, daß er sich auf Tatsachen gründet. Er hat auch nicht eine Tatsache für sich und ist nichts als eine Hypothese, die dadurch ganz und gar entwertet wird, daß sie auf einer einzigen Scheinwahrheit beruth, mit welcher das ganze System steht und fällt. Diese Scheinwahrheit ist, daß die  Erscheinung ein Ding-ansich  ist, von dem, als einem Prinzip, ausgegangen werden kann."

"Ohne Freiheit gibt es kein Bewußtsein."

"Eine solche Weisheit, wie der Materialismus zu Markte bringt, wird immer ein großes Publikum finden. Die Macht des sinnlichen Eindrucks, welche die Propheten befangen hält, beherrscht ja nicht minder eine große Menge ihrer Hörer und Leser. Und dann ist ja alles, was der Materialismus bringt, so klar, mit Händen zu greifen, und, je weniger man dabei denkt, umso besser versteht man es."


Das Bewußtsein

Ehe wir in Bezug auf das Bewußtsein bis zur reinen Lehre des Materialismus gelangen, ist es erforderlich, wenigstens bei Herrn BÜCHNER eine ganze Reihe von Vorstellungen zu prüfen, die bloß geeignet sind, den richtigen Gesichtspunkt zu verschieben, und für nichts weniger, als für Konsequenzen der materialistischen Auffassung, gelten können.

Wir lesen bei Herrn BÜCHNER, daß Gehirn und Seele sich gegenseitig bedingen, daß Gehirn und Seele in einem untrennbaren Kausalverhältnis stehen, daß die Seele ein Produkt stofflicher Komplexe ist, ja sogar, daß Leib und Seele ein Produkt stofflicher Komplexe sind, ja sogar, daß Leib und Seele verschiedene Naturen sind, indem Seite 136 gesagt wird:
    "Das Verhältnis von Seele und Leib ist im Ganzen (?) ein ziemlich (?) festbestimmtes, und, wenn es einmal scheint, als überwiege der Geist, ein andermal, als überwiege die Materie, so sind solche Unterschiede hauptsächlich nur als individuelle anzusehen. Bei dem einen Menschen überwiegt die geistige, beim andern die leibliche Natur, den Einen könnte man mit den Göttern, den andern mit den Tieren vergleichen. Vom Tier bis zum höchstgebildeten Menschen zieht sich eine ununterbrochene Stufenleiter von geistigen Qualitäten. Stets aber bedingen sich diese beiden Naturen dergestalt, daß ein direkter Vergleich zwischen beiden eigentlich nicht vorgenommen werden kann."
Bei diesen Worten können wir nicht zweifeln, daß dabei die Seele als etwas vom Gehirn verschiedenes, etwas für sich bestehendes gedacht ist, denn wie könnte sie anders das Gehirn bedingen, die Materie überwiegen und schließlich gar ihrer Natur nach etwas vom Leib verschiedenes sein sollen.

Wenn die Seele nun aber etwas Besonderes für sich sein soll, so kann sie doch wieder nichts Übersinnliches, Immaterielles sein, weil sonst ein offener Widerspruch gegen den Hauptgrundsatz des materialistischen Systems, nach welchem es ein Übersinnliches nicht gibt, und der Stoff das Ein und Alles ist, zutage treten würde. So müßte sie dann etwas Materielles, also noch etwas außer den bekannten Teilen des Leibes, uns insbesondere außer dem Gehirn vorhandenes Stoffliches sein, d. h. man müßte an der Grenze der sinnlichen Wahrnehmung noch etwas Sinnlichwahrnehmbares annehmen. Das ist jedoch nicht die Meinung des Herrn BÜCHNER, er zieht den offenen Bruch mit seinem eigenen System vor, und sagt uns Seite 137, daß die Seele nichts Materielles ist. (1)

Wir überlassen es Herrn BÜCHNER diese Widersprüche zusammenzureimen und konstatieren hier nur, daß im Materialismus eine Seele als etwas besonderes, vom Leib verschiedenes, nicht vorkommen kann. Im Grunde aber denkt Herr BÜCHNER am Ende ebenso und wir haben ihn bloß mißverstanden - was denn freilich nach den von ihm beliebten Ausdrücken unsere Schuld nicht ist - denn, wenn er Seite 115 von dem das Gehirn schichtweise abtragenden Messer des Anatomen die Seele stückweise herunterschneiden läßt, wenn er Seite 139 sagt, daß das Gehirn die alleinige Ursache des Gedankens, und Seite 141 daß die Seelentätigkeit eine Funktion der Gehirnsubstanz sei, so sind wir wieder beim Materialismus zuhause, und haben Sätze vor uns, die wir als materialistische gelten lassen können. Wenn Herr BÜCHNER nun aber daran geht zu sagen, was der Gedanke ist und wie er entsteht, so hat er wieder bedenkliche Anwandlungen von Übersinnlichkeit.

Zuerst wirft er hier beständig "Seele, Geist und Gedanke" zusammen, als ob diese drei Dinge einerlei wären. Bekanntlich versteht man aber unter Gedanken die Produkte der Seele oder des Geistes, und unter Geist oder Seele das Gedankenerzeugende. Für Herrn BÜCHNER gibt es nun aber etwas besonderes Gedankenerzeugendes, was er Geist oder Seele nennen könnte, durchaus nicht, sondern das Gedankenerzeugende ist lediglich das Gehirn, und das, wovon hier gesprochen werden kann, ist allein der Gedanke, und zwar der Gedanke als Erzeugnis des Gehirns. Hierüber bekommen wir dann nun aber höchst seltsame Dinge zu hören, die wir viel eher bei der Seherin von Prevorst oder bei irgend sonst jemandem, der mit dem Unterleib denkt, vermutet hätten, als bei Herrn BÜCHNER.

Herr BÜCHNER opponiert sich zuvörderst gegen die bekannte Äußerung von VOGT: "die Gedanken stehen in demselben Verhältnis zum Gehirn, wie die Galle zur Leber oder der Urin zu den Nieren." Daran tut er aber sehr Unrecht, denn diese Auffassung ist vom materialistischen Standpunkt aus ebensogut wie irgendeine andere. Irgendeine stoffliche, d. h. sinnlich wahrnehmbare Veränderung an den leiblichen Erscheinungen kann es doch nur sein, was das Gehirn mit der Gedankenerzeugung hervorbringt, denn wie könnte das Gehirn, als etwas Sinnlichwahrnehmbares, etwas anderes hervorrufen, als wieder ein Sinnlichwahrnehmbares, da ja doch in der sinnlichen Welt - und eine andere kennt der Materialismus nicht - Übersinnliches nicht vorkommen kann, und außerdem jede Kraftäußerung nur insofern vorhanden gedacht wird, als sie eine sinnlich wahrnehmbare Veränderung hervorruft. Also eine stoffliche, d. h. sinnlich wahrnehmbare Veränderung an einer sinnlichen Erscheinung müßte nach materialistischer Lehre notwendig der Effekt sein, den das Gehirn mit der Gedankenerzeugung hervorbrächte, und nur der besonderen Ungunst der Umstände, welche in diesem Fall die Beobachtung fast unmöglich macht, oder einer so großen Feinheit dieser Veränderungen, daß ihnen auch mit dem Mikroskop nicht zu folgen wäre, könnte es zugeschrieben werden, daß sie in der Tat noch nicht wahrgenommen wurden. Da nun ferner die Materialisten in Ermangelung jeder tatsächlichen Grundlage in dieser Beziehung durchaus nicht zu sagen wissen, welcher Art die gedachten Veränderungen sind, und wie sie vor sich gehen, so haben sie einstweilen zwischen den verschiedenen im Körper möglichen physikalischen und chemischen Prozessen als Ursache der Gedankenerzeugung die Wahl, und wir wüßten nicht zu sagen, worin der Prozeß der Absonderung irgendeinem anderen physikalischen oder chemischen Prozeß in dieser Beziehung nachstände. Warum könnten die abgesonderten Gedanken nicht anderweitig im leiblichen Haushalt gut zu verwertende Stoffe sein, oder, sofern sie dies nicht wären, mit anderen Auswurfstoffen daraus entfernt werden, womit überdies vielen von ihnen nur ganz nach Verdienst geschähe? Oder, warum könnten sie nicht zum Beispiel ausgeschwitzt werden?

Jedenfalls befindet sich die VOGTsche Auffassung ganz im Einklang mit dem System, und man versteht doch, was er sagen will. Dagegen gibt uns Herr BÜCHNER folgende Orakelsprüche.
    "Der Gedanke, der Geist, die Seele dagegen" (nämlich im Gegensatz zu Urin und Galle) "ist nichts Materielles, nicht selbst Stoff, sondern der zu einer Einheit verwachsene Komplex verschiedenartiger Kräfte, der Effekt eines Zusammenwirkens vieler mit Kräften oder Eigenschaften begabter Stoffe."

    "Das Gehirn gibt, um den Gedanken zu sezernieren [absondern - wp], keinen Stoff ab."

    "Das Gehirn produziert ein Etwas, das nicht abgeworfen wird, nicht materielle bleibend ist, sondern das sich im Moment der Produktion selbst wieder verzehrt."

    "Die Sekretion der Leber, der Nieren, geht unbewußt, ungekannt, unbeaufsichtigt von der höheren Nerventätigkeit vor sich; sie erzeugt einen greifbaren Stoff; die Tätigkeit des Gehirns ist ohne Bewußtsein, ohne volles Bewußtsein unmöglich, sie sezerniert nicht Stoffe sondern Kräfte."
Wir fragen Herrn BÜCHNER nur:

Wie kann er den Gedanken etwas Immaterielles, d. h. Übersinnliches nennen, nachdem er mit so großer Zuversicht dekretiert hat, daß nie etwas Übersinnliches entdeckt, erfaßt, gewußt worden ist und daß dies nie wird geschehen können?

Wie kann er sich den Gedanken als einen Komplex von Kräften denken, da doch nach der materialistischen Theorie die Kräfte lediglich Eigenschaften der Stoffe sind, und also nur als diesen angehörig, nicht aber zugleich als etwas anderes gedacht werden können? Wie kann das Gehirn etwas sezernieren, d. h. von sich abgeben, was kein Stoff ist, da doch für ihn Gehirn unmöglich noch etwas anderes als Stoff sein kann? Wie kann das Gehirn etwas produzieren, was keine Dauer hat, da doch alles, was als etwas erkannt werden soll, eine gewisse Dauer haben muß? Was soll damit gesagt sein, daß die Gehirntätigkeit nicht ohne Bewußtsein vor sich geht, da es sich ja eben darum handelt, wie das Bewußtsein, das Denken, durch das Gehirn erzeugt wird, das Bewußtsein nicht also schon vorausgesetzt sein kann?

Was soll das heißen, daß die Gehirntätigkeit Kräfte absondert?

Wie kann die Kraft, die doch bloß Eigenschaft des Stoffes sein soll, abgesondert von diesem existieren? Wie kann sich der Stoff seiner Eigneschaft entäußern, die ihm doch von Ewigkeit beiwohnt und von ihm unzertrennlich ist? Und wo bleibt da der große Grundsatz: "Keine Kraft ohne Stoff - kein Stoff ohne Kraft!" mitsamt dem Ausrufungszeichen?

Noch in einem Punkt haben wir uns bei diesem Gegenstand mit Herrn BÜCHNER auseinanderzusetzen. Herr BÜCHNER hält sich für berechtigt, den Gedanken, als eine Kräftesumme - was er seiner Meinung nach ist - für etwas Immaterielles zu erklären, weil diese Kräftesumme ebenso wie jede andere einfache Kraft, Magnetismus, Elektrizität usw., nicht unmittelbar durch die Sinne wahrgenommen, sondern aus ihren Äußerungen erschlossen wird. Da ist aber nichts, als ein den Standpunkt verrückendes Spiel mit Worten. Der Materialismus erklärt die Kraft für eine Eigenschaft der Materie. Mithin muß sie etwas Materielles sein, denn die Materie mit einer Eigenschaft zu denken, welche immateriell, also ihrem Wesen nach der Materie gerade entgegengesetzt wäre, wäre offenbar eine  contradicto in adjecto  [Widerspruch insich - wp]. Soll aber die Kraft als etwas Immaterielles von der Materie Unabhängiges und nur an ihr zur Erscheinung Kommendes gedacht werden, so ist das System vollständig durchbrochen und es gibt keinen Materialismus mehr.

Wir haben gesehen, daß die konsequente Lehre des Materialismus über das Bewußtsein keine andere ist, noch sein kann, als, daß der Gedanke in einer Veränderung der Materie, insbesondere des Gehirns, besteht, sei es nun, daß diese Veränderung durch einen physikalischen oder chemischen Prozeß, oder eine Reihe solcher Prozesse bewirkt wird. Wir tragen hier nur zuerst den Tatsachen Rechnung, auf welche der Materialismus seinen Satz gründet, und wie wir meinen in so umfassender Weise, daß auch von materialistischer Seit nichts dabei vermißt werden wird.

Wir halten nämlich in dieser Beziehung folgende Sätze für durchaus festgestellt:

Wir kennen das Bewußtsein zunächst bloß als eine Lebensäußerung des Menschen, zum Menschen gehört wesentlich und, insofern wir bloß die sinnliche Erfahrung fragen, allein die sinnliche Erscheinung, der Leib, so daß selbstverständlich ohne diesen das Bewußtsein nicht erscheinen kann. Ein normales Bewußtsein findet nur statt, wenn gleichzeitig ein normaler Leib und insbesondere ein normales Gehirn vorhanden ist, wesentliche Verschiedenheiten des Gehirns sind begleitet von wesentlichen Verschiedenheiten des Bewußtseins und wesentliche Veränderungen des einen treten nicht auf ohne wesentliche Veränderungen des anderen. Zugleich bemerken wir dieselbe Zusammenstimmung und Gegenseitigkeit in allen Teilen und allen übrigen Lebensäußerungen des menschlichen Organismus in ihrer Wirkung aufeinander und auf das Ganze, nur dem Grad nach verschieden, je nach ihrer mehreren oder minderen Wichtigkeit für die Lebensfunktionen und ihrer größeren oder geringeren Entfernung von den Zentralorganen.

Wenn wir diese Sätze nach ihrem wahren Gehalt wägen, so werden wir daraus unzweifelhaft folgern: der ganze Mensch ist eine Individualität, d. h. eine harmonische Einheit, in der nicht zusammenhanglose oder einander widerstrebende Elemente ihr Wesen treiben, sondern alle Teile und alle Lebensäußerungen unter der Herrschaft einer unbedingten Gesetzmäßigkeit, einer sie alle ineinander zusammenhaltenden Einheit stehen, dergestalt, daß jedes von ihnen nur in einem normalen Zusammenhang mit den anderen, nur in dem an keiner Stelle gestörten Organismus seiner Bestimmung voll genügen kann. Das aber werden wir andererseits ebensowenig verkennen, daß damit darüber, worin denn nun dieses Wesen des menschlichen Organismus besteht, und welches der Prozeß des Lebens ist, er äußere sich nun in sinnlich wahrnehmbaren Objekten oder den nur der inneren Erfahrung zugänglichen Tatsachen des Bewußtseins, noch gar nichts ausgemacht ist, da wir doch eben bisher nur wissen, daß dieses Wesen harmonisch wirkt und daß darum die Störung an irgendeiner Stelle eine mehr oder weniger tiefgreifende Störung im ganzen zur Folge hat. Wenn also der Materialismus - ohne irgendwelche weitere Tatsachen für sich zu haben - behauptet, daß das Bewußtsein in einer auf chemischem oder physikalischem Weg entstehenden Veränderung der Materie des Gehirns oder einzelner Teile desselben seinen Grund habe, so ist das eine bloße Dreistigkeit.

Sehr dreist ist diese Behauptung aus einem doppelten Grund. Erstens weiß der Materialismus von solchen Veränderungen des Gehirns, die er als Ursachen des Bewußtseins ansieht, nicht das Mindeste, es ist niemals darüber etwas beobachtet, oder in irgendeiner Weise wahrgenommen worden, dann aber weiß er ebensowenig darüber zu sagen, in welcher Art diese sinnlichen Veränderungen die Ursache des Bewußtseins sind, das wir doch allein durch die innere Erfahrung kennen, und zwar nicht als eine Veränderung des Gehirns, sondern als etwas durchaus anderes, indem nicht sinnliche Objekte, sondern Vorstellungen und Begriff seinen Inhalt bilden. Hier möchte nun vielleicht der Materialismus, eine Hypothese durch die andere ergänzend, sagen können, daß das Bewußtsein in einer durch die entsprechenden Veränderungen des Gehirns hervorgerufenen Empfindung desselben oder besonderer dazu bestimmter Nerven besteht, diese Empfindung aber die innere Erfahrung ist. Indessen auch das ist unhaltbar. Die Empfindung ist, wie wir früher gezeigt haben, nicht zu erklären, ohne einen Widerstand, welchen das empfindende Subjekt der äußeren Einwirkung entgegenstellt, nicht also ohne eine Tätigkeit, die im Subjekt selbst ihren Ausgangspunkt hat. Das Bewußtsein ist mithin von vornherein ebensosehr durch das Subjekt, wie durch eine äußere Einwirkung bedingt, und es wird dies nur verkannt, weil die im Akt der Empfindung wirksame Tätigkeit des Subjekts der Beachtung entgeht. Dies geschieht allerdings leicht, weil der Mensch, wenn er erst zum Denken gelangt ist - und dann kann er doch auch erst die Empfindung begreifen - das Stadium der der Empfindung mit dem wach gewordenen Bewußtsein gleichsam verdeckt. Allerdings ist die unvermischte Empfindung das Erste und die freie Tätigkeit des Vorstellens folgt ihr nach. Wenn aber der Mensch dieser Tätigkeit und damit seiner selbst sich einmal bewußt geworden ist, so begleitet dieses Bewußtsein auch die Akte der Empfindung dergestalt, daß dabei das Empfundene zugleich vorgestellt, oder doch die Möglichkeit, es frei vorzustellen, gewußt wird. So wird duch die bewußte Tätigkeit die ursprüngliche, die allerdings nur a posteriori aus der freien Tätigkeit erkannt werden kann, in den Schatten gestellt, und es entsteht der Schein, als ob die Empfindung allein durch die äußere Einwirkung hervorgebracht wird, und also ob in dieser ein Prinzip gegeben sei, von welchem alle Erkenntnis hergeleitet werden kann. Indessen selbst wenn das Wesen der Empfindung verkannt wird, so stellt doch die innere Erfahrung in allen Akten des Bewußtseins und von vornherein so entschieden einen Gegensatz zwischen Subjekt und Objekt, und die Wirksamkeit einer vom Subjekt ausgehenden Tätigkeit ins Licht, daß eine vollständige Verkennung dieser Tatsachen dazu gehört, um das Bewußtsein lediglich aus einer äußeren Einwirkung erklären zu wollen. Die materialistischen Philosophen tun, wenn sie von solchen Resultaten der inneren Erfahrung sprechen, als ob es sich um ein Ammenmärchen handelte, die sich weit von der Wirklichkeit entfernten, und nicht um Tatsachen, die sich ein jeder durch die einfache Beobachtung des inneren Vorgangs, wie er in allen Akten des Bewußtseins vorkommt, über allen Zweifel erheben kann.

Wenn diese Beobachtung angestellt wird, so zeigt sich, daß wir in jedem Akt des Bewußtseins zweierlei unterscheiden, das Ich, das Wissende, und ein Anderes, das Gewußte, daß sich dabei das Ich stets gleich bleibt, das Andere aber in mannigfaltiger Weise wechselt, daß das Ich sich immer als das Tätige, das Wissende, erweist, und daß nur auf  die  Art Bewußtsein zustande kommt, daß das Ich sich auf das Andere richtet, es zum Gegenstand seiner Tätigkeit, Aufmerksamkeit, zum Gewußten macht. Meine Augen können auf einen Gegenstand gerichtet sein in einer Art, welche alle physikalischen Bedingungen des Sehens erfüllt, wenn nicht aber auch mein Ich auf ihn gerichtet ist, d. h. wenn ich nicht dergestalt auf ihn achte, meine Tätigkeit auf ihn richte, daß ich zugleich von ihm und von mir weiß, und beide unterscheide, so weiß ich nicht von ihm und so kann es kommen, daß wenn gleichzeitig mein Auge auf  ein  Objekt, mein Ich auf ein anderes gerichtet ist, ich das Eine sehe, ohne davon zu wissen - sofern so ein bewußtloser Akt noch Sehen genannt werden kann - vom Anderen aber weiß, ohne es zu sehen.

Diese Sätze sind durchaus nicht weiter zu beweisen, denn sie stellen eine reine Tatsache der inneren Erfahrung dar, sind unmittelbare Ergebnisse einer einfachen Wahrnehmung mittels des inneren Sinnes. Mit demjenigen nun, der etwa sagt, er sehe das nicht, können wir so wenig rechten, wie mit einem, der sagte, er sehe in sinnliches Objekt nicht, das vor unseren Augen steht.

Das Ergebnis ist, daß kein Bewußtsein stattfindet, ohne daß zweierlei gleichzeitig, aber in gegensätzlicher Getrenntheit, gewußt wird, das Ich und ein Anderes, das Subjekt und Objekt, daß somit diese zwei sich dergestalt sich gegenseitig bedingen, daß das Eine nicht vor dem Anderen noch ohne das Andere und das Andere nicht vor dem Einen noch ohne das Eine gesetzt werden kann, und ferner, daß in einem geraden Gegensatz die Objekte, mannigfaltig und veränderlich, die verschiedensten Bestimmtheiten aufweisen, welche das Subjekt nicht hat; das Subjekt aber, asl das Eine und Unveränderliche, nur eine Bestimmtheit hat, die wiederum an keinem Objekt vorkommt, die nämlich, daß es das Wissende ist.

Dieser Dualismus von Subjekt und Objekt ist das absolut Erste, von dem das erkennende Subjekt ausgeht, denn es hat am Objekt, an der Erscheinung, keineswegs ein Prinzip, sondern nur das eine Glied eines Gegensatzes, dessen anderes es selbst ist.

Nun ist ferner gewiß, daß dieser Dualismus, der aller Erfahrung zugrunde liegt, un in jeder enthalten ist, nicht durch die Erfahrung, also durch sich selbst aufgelöst werden kann. Die Erfahrung kann daher wohl immer neue Objekte in den Bereich unseres Bewußtseins ziehen, uns aber auch nicht einen Schritt über das unmittelbare Auffassen der konkreten Objekte in ihrer Verschiedenheit untereinander und in ihrem reinen, unveränderlichen Gegensatz gegen das Ich hinausführen. Offenbar kann nur ein Weg zur Lösung des Dualismus und damit zu einer über das unmittelbare Bewußtsein hinausgehenden Erkenntnis führen, der nämlich, daß das Ich selber sich als ein in sich freies Prinzip findet, und in seiner freien Tätigkeit zugleich jne, die es bei der sinnlichen Erfahrung gebunden vornimmt, reproduziert, und somit nicht nur seinen Gegensatz gegen das Objekt, sondern auch seine Einheit mit demselben erkennt.

Und wer wüßte nicht, daß sich das Ich in der Tat solchergestalt als Prinzip einer von der unmittelbaren Erfahrung ganz verschiedenen inneren Welt setzt, indem es frei, ohne irgendeine äußere Anregung lediglich durch den inneren Impuls Vorstellungen und Begriffe bildet? Jedermann weiß es, nur die materialistischen Philosophen wissen es nicht, oder haben es vielmehr über der Menge ihrer wissenschaftlichen Errungenschaften vergessen, so ganz vergessen, daß sie nicht mehr unterscheiden können, wie wir bei der sinnlichen Erfahrung dem Gegenstand nach gebunden sind, und von einer äußeren Notwendigkeit bestimmt werden, im Vorstellen und Denken aber die Objekte lediglich nach inneren Impulsen bestimmen und wechseln lassen. So sehr haben sie sich von der Grundlage allen Wissens entfernt, daß ihnen diese als Kinderglauben erscheint, das aber, was sie allein erst dieser Grundlage verdanken und verdanken können, als Wissenschaft. So nennen sie Tatsache, was ein reines Denkresultat, und Grund, was Folge ist. Kein Wunder, daß ihre Resultate so abnorm sind, und so vollständig dem Bewußtsein widersprechen. So ergibt sich also, daß allerdings alles Wissen auf Erfahrung ruht, d. h. dem unmittelbaren Bewußtsein, welches ein reiner Lebensakt ist, daß aber diese Erfahrung kein Einfaches, kein Prinzip ist, aus dem sich etwas erklären läßt, sondern ein starrer Dualismus, in welchem Subjekt und Objekt ohne Vermittlung in strenger Gegensätzlichkeit verharren. So vermehrt dann die fortschreitende Erfahrung die Zahl der verschiedenen Objekte, aber gewährt durchaus keine weitergehende Erkenntnis. Weder das Objekt rückt aus seiner Stellung, in der es bloß das Gewußte, das dem Wissenden Gegenüberstehende ist, noch das Subjekt, das im unmittelbaren Bewußtsein ebensosehr das Andere, das Objekt, zur notwendigen Beziehung hat. Erst die freie Tätigkeit des Subjekts, die innere Erfahrung, findet ein Prinzip in ihm selber, hier erst beginnt das Reich der Erkenntnis. Auch der einfachste Begriff, auch das Sein, entspringt erst aus dieser Quellen.

Nach dieser Darlegung ist nun leicht zu erkennen, in welchem Widerspruch die materialistische Theorie mit den Tatsachen des Bewußtseins steht. die letzteren ergeben, daß der Anfang allen Wissens das Bewußtsein selber ist, als unmittelbare Tatsache, in welcher Subjekt und Objekt beide zugleich und keines ohne das andere von vornherein gegeben sind; der Materialismus macht das Objekt für sich zur ersten Tatsache. Das Bewußtsein zeigt Subjekt und Objekt in strenger Gegensätzlichkeit, der Materialismus löst das Subjekt in das Objekt auf. Die innere Erfahrung zeigt das Subjekt als das Prinzip einer von der unmittelbaren Erfahrung ganz verschiedenen Tätigkeit, der Materialismus setzt das Objekt als Prinzip, und stellt den Denkprozeß in die Reihe der lediglich an den Objekten betrachteten chemischen und physikalischen Vorgänge.

Dieser vollkommene Widerspruch der materialistischen Theorie mit den Tatsachen des Bewußtseins kann nicht Wunder nehmen. Denn es ist ein vollkommen leeres Vorgeben des Materialismus, daß er sich auf Tatsachen gründet. Er hat auch nicht eine Tatsache für sich und ist nichts als eine Hypothese, die dadurch ganz und gar entwertet wird, daß sie auf einer einzigen Scheinwahrheit beruth, mit welcher das ganze System steht und fällt.

Diese Scheinwahrheit ist, wie wir gezeigt haben, daß die Erscheinung ein Ding-ansich ist, von dem, als einem Prinzip, ausgegangen werden kann. Die Wahrheit aber ist, daß der Anfang für das erkennende Subjekt der an ihm selbst hervortretende Gegensatz von Tun und Leiden ist, und erst in weiterer Folge das Ding-ansich als der Grund der Erscheinungen erkannt wird. Wir unterscheiden hier Grund und Folge genau von Ursache und Wirkung und verstehen unter Grund und Folge nur dasjenige, was in Bezug auf das Denken als frühere und späteres zu betrachten ist. Dieses Ding-ansich, d. h. dasjenige was als die reale, durch die ihm immanente Bewegung vermittelte, Einheit von Ursache und Wirkung, Substanz und Mannigfaltigkeit, Unendlichkeit und Räumlichkeit, Ewigkeit und Zeitlichkeit - welches alles nur verschiedene Seiten ein und desselben Verhältnisses sind - aufzufassen ist, dieses Ding-ansich ist für das erkennende Subjekt nicht unmittelbar, sondern es wird geschlossen, indem zuerst das Subjekt im Begriff die Einheit des ursprünglich an ihm hervortretenden Gegensatzes zustande bringt, und dann den realen Gegenstand des Begriffs im Objekt erkennt. Dies geschieht dadurch, daß das Subjekt sich vom Objekt unterscheidet. Es unterscheidet sich von ihm, indem es sich in der freien Tätigkeit der Vorstellung für sich setzt, woraus unmittelbar folgt, daß auch das draußen Tätige, als der Grund des subjektiven Eindrucks, für sich gesetzt wird. Nun setzt damit allerdings das Subjekt das Objekt sich selbst identisch, indem jedes für sich, jedes tätig ist, und die Tätigkeiten beider insofern, als sie sich das Gleichgewicht halten, einander gleichartig sind; aber es setzt zugleich, indem es sich selbst erkennt, einen Unterschied zwischen beiden, denn es findet seine Tätigkeit als die reine allgemeine, die bloße Regel ausdrückende, alle Besonderheit aber empfängt es mittels des sinnlichen Eindrucks vom Objekt, dem also dieses Moment des Besonderen  ansich  zukommt, und das deshalb notwendig zwar nicht vor dem Subjekt, wohl aber vor der Empfindung, und damit vor aller Erkenntnis, welche ja erst aus der Empfindung hervorgeht, gesetzt wird. Das Subjekt erkennt sich also als dasjenige, welches in der Vorstellung das Besondere nicht neu schafft, sondern bloß, nachdem es dasselbe von außen empfangen, frei reproduziert, und es erkennt damit die Einheit der Momente des Gegensatzes, die es im Begriff herstellt, nicht als eine ursprüngliche, sondern als eine geschlossene, nicht als schöpferische, sondern als formale, nicht als a priori vorhanden, sondern  a posteriori  entstanden. Dasjenige aber, in welchem die beiden Momente, welche das Subjekt zuerst in der Form des Gegensatzes enthält, von vornherein vereinigt gesetzt werden müssen, das Objekt, das Ding-ansich, erkennt es deshalb als das  a priori,  d. h. vor dem subjektiven Erkennen Vorhandene, als das Reale, und als den Grund des Erkennens, insofern letzteres das Moment des Besonderen enthält.

Diese Resultate beruhen auf den Funktionen des Urteilens und Schließens. Schon der Begriff ist ein Schluß. Das Objekt setzt sich in der freien Tätigkeit des Vorstellens ein Besonderes gegenüber, unterscheidet es also von sich, und in der auf sich reflektierenden Bewegung verbindet es das Besondere mit sich, setzt es also als Eins mit sich. So hat es in dieser Tätigkeit unmittelbar zwei Urteile, ein identisches oder allgemeines, das aus der Reflexionsbewegung hervorgeht und jedem Akt des Denkens eigen ist, und ein besonders. Beide aber beruhen auf ein und demselben: seiner eigenen Tätigkeit, und in dieser schließt es die beiden Urteile zusammen, indem es sich als den Grund des Besonderen, und seine Tätigkeit als das den Gegensatz wie die Einheit Vermittelnde oder vielmehr Erzeugende setzt. Das Resultat ist der Begriff, d. h. nichts anderes, als das Subjekt in seiner Tätigkeit.

Durch ein weiteres Urteilen und Schließen gelangt das Subjekt zum Realen. Hier ist das allgemeine oder identische Urteil: das Ding ist dem Subjekt gleich, es ist Subjekt; das besondere: es ist von ihm verschieden, insofern es das Besondere nicht empfängt, sondern mitteilt. Der Schluß ist: das Ding ist die Einheit des Allgemeinen und Besonderen ansich, es ist ein reales Subjekt  a priori. 

Nun ist leicht einzusehen, daß hier eine neue Quelle eines leicht täuschenden dialektischen Scheins liegt, der darin seine Veranlassung hat, daß der Begriff des Grundes notwendig zwei verschiedene Seiten hat, insofern er als subjektiver und objektiver aufgefaßt wird.

Der subjektive Grund ist die Tätigkeit des Subjekts, die aus dem Gegensatz die Einheit folgert, der reale Grund ist die objektive Prozeß, der im Zusammentreffen mit der subjektiven Tätigkeit den Gegensatz am Subjekt hervorruft. Das Mittelglied zwischen beiden ist dieser Gegensatz, der für das Denken der Anfang ist. Der reale Grund wird dem subjektiven Grund der reale erst gefolgert. Der reale Grund ist also Grund, insofern er dem subjektiven Grund, vorangeht, er ist Folge, insofern er im Prozeß des Denkens erst aus dem subjektiven Grund geschlossen wird; und der subjektive Grund wiederum ist Grund, insofern aus ihm im Denkprozeß der reale erst gefolgert wird, und er ist Folge, insofern er den realen Prozeß zur Voraussetzung hat. Diese Amphibolie [Mehrdeutigkeit - wp] des Begriffs macht ihn schwer in seiner wahren Natur erkennbar, und die einseitige Auffassung dieses Begriffs ist es wesentlich, die einen hervorstechenden Charakterzug der kantischen Philosophie und des FICHTE'schen Idealismus ausmacht. Hier ist es nun der subjektive Grund, der  a priori  gesetzt wird, und zwar richtig insofern aus dem subjektiven Grund erst der reale gefolgert wird, aber einseitig, insofern verkannt wird, daß der subjektive Grund seinerseits wieder aus dem realen hervorgeht. Die konsequente Folge davon ist, daß bei FICHTE der subjektive Grund für den realen genommen und zum realen Prinzip gemacht wird.

Im Realismus dagegen macht sich die andere Seite des dialektischen Scheins geltend, indem der reale Grund, der allerdings als Prinzip, aber erst  a posteriori,  erkannt wird, von vornherein und ohne Herleitung aus dem subjektiven Grund, als der Ausgangspunkt des Philosophierens gilt, und dies ist die tiefere und eigentliche Quelle des Irrtums, welcher die Erscheinung mit dem Ding-ansich verwechselt.

Es bleibt uns an dieser Stelle noch übrig, zu betrachten, in welcher Art das Denken sich selbst in die Reihe der Dinge, in das reale Sein einfügt.

Das Subjekt findet in seiner körperlichen Erscheinung, die es von allen anderen körperlichen Erscheinungen durch die Empfindung unterscheidet, und vermöge des Willens, mit dem er sie unmittelbar regiert, als ihm zugehörig erkennt, sich selbst als ein Ding, wie die anderen Dinge, welches das Moment des Besonderen an sich selbst hat. Und nun erst setzt es sich selbst als seiend, als ein Wesen, das in die Sphäre des realen Seins mit eingeschlossen ist, und seine Tätigkeit, als Empfindendes, Vorstellendes und Denkendes, betrachtet es jetzt als eine besondere Lebensfunktion, die ihm, als diesem besonderen Subjekt, zukommt. Das Subjekt ist dasselbe, wenn es in der fortdauernden Bildung und Entwicklung seines Körpers nur seine eigene Besonderheit, seine spezielle Natur, in räumlicher Ausdehnung entfaltet, und zwar im Zusammenhang mit den übrigen Dingen, aber ohne bewußte Rücksicht auf sie, und dasselbe, wenn es in der geistigen Tätigkeit, aus seiner Besonderheit sich zum Allgemeinen, von allem besondern Befreiten, zusammen nehmend, bloß seine Beziehung zu Anderem als Zweck hat. Auch diese Beziehung zu Anderem ist in seinem einheitlichen Wesen begründet, und darum formiert es in der Bildung seines Körpers, der nichts als die äußere Entwicklung seines Wesens ist, in den Empfindungsorganen die Mittelglieder zwischen sich und der Außenwelt, gleichsam die Wege und Pfordten, auf denen es zu den äußeren Dingen gelangt und durch die es den Eindruck derselben empfängt. Die Tätigkeit aber, die es im Akt des Empfindens und Erkennens entwickelt, ist darin vom natürlichen Lebensprozeß verschieden, daß sie nicht die Besonderheit des eigenen Wesens ausdrückt, sondern die reine Beziehung auf anderes ist, die ansich nichts enthält, als die Regel des Lebens, der Tätigkeit, welche allem, was ist, eignet. Weil dieses Allgemeine jedem Ding zukommt, mithin auch dem Menschen, so kann es für ihn eine Tätigkeit geben, in der er es darstellt, denn er stellt damit nur dar, was in ihm selber ist. Das eben ist der Unterschied zwischen den reinen Naturdingen, die bewußtlos nur ihre Besonderheit ausdrücken, und den empfindenden Wesen, welche zugleicht die reine Beziehung auf etwas anderes haben; der Mensch aber ist mehr als ein empfindendes, er ist ein bewußtes, ein denkendes Wesen, weil er die Beziehung auf etwas anderes in freier Selbstbestimmung entwickelt. Ohne Freiheit gibt es kein Bewußtsein.

In dieser Auffassung nun verschwindet der Unterschied zwischen Organischem und Unorganischem, nicht in der Art, daß alles unorganisch wäre, sondern dahin, daß alles organisch ist, es verschwindet der Unterschied von Körper und Geist, von Stoff und Kraft, in einem höheren Prinzip, dem subjektiven Lebensprozeß, und die Tatsachen, welche der Materialismus für die materielle Natur des Subjekts anführt, sind uns ebensoviele Belege für die subjektive Natur der sinnlichen Erscheinungen.

Wir bleiben hier bei diesem Resultat stehen, ohne zu erörtern, in welchem Zusammenhang die einzelnen Organismen untereinander stehen, inwiefern sie sich Widerstand leisten, und sich verbinden, indem höhere Organismen andere in den Kreis ihres Lebensprozesses bannen, ohne sie aufzulösen, schließlich, in welcher Art alle Organismen in Einem ihren Grund und ihr Leben haben. Das sind Fragen, die nur in einer vollständigen systematischen Darstellung eine Erledigung finden können.

Wir haben gesehen, daß das empfindende und erkennende Subjekt sein Wesen allein in der reinen, von allem Besnoderen freien, Tätigkeit hat.

Wer es aber so nicht denken kann, wer nicht imstande ist, es in seiner elementaren Reinheit zu fassen, ohne irgendeine Beimischung einer sinnlichen Vorstellung, der kann durch sein Mitreden die Frage nicht fördern. Wenn daher RUDOLPH WAGNER sich eine Seelensubstanz vorstellt, die er dem Lichtäther vergleicht, der er eine Ortsveränderung zuschreibt und ein Kleid anzieht, die teilbar ist, und von der etwas abgenommen und auf anderes übertragen werden kann, wie die Elektrizität von einer Elektrisiermaschine auf die Goldblättchen eines Elektroskops, so denkt er sich ein Ding, das mannigfaltige Bestimmtheiten nach Art der sinnlichen Objekte hat, und deshalb er reine Gegensatz des Objekts, das Subjekt, das nur eine Bestimmtheit, nicht sein kann. Dieses Zwitterding kann nun nach keiner Seite hin genügen, denn es hat Prädikate, die dem Subjekt nicht zukommen können, und es beansprucht andererseits objektive Bstimmtheiten, die sich nicht nachweisen lassen. So kann es dann weder auf dem Gebiet der inneren, noch in dem der sinnlichen Erfahrung eine Stelle finden, und wird mit vollem Recht hier wie dort an der Grenze zurückgewiesen, weil es ohne jede empirische Legitimation ist. Solchen Vorstellungen gegenüber hat dann der Materialismus ein leichtes Spiel, ja den Vorzug der Konsequenz, indem er wenigstens das Gebiet der sinnlichen Erfahrung von Phantasie-Erzeugnissen rein erhält, und es hat keine Schwierigkeit, den Kampf gegen die Seelensubstanz nach dem ergiebigen Thema von "Köhlerglaube und Wissenschaft" (2) durch eine Reihe wohlfeiler Pointen hindurch zu variieren. Was aber das Verständnis des Bewußtseins anlangt, so haben beide streitenden Teile davon gleichviel oder vielmehr gleich wenig, und in diesem Punkt haben sich Köhlerglaube und Wissenschaft nichts vorzuwerfen. RUDOLPH WAGNER irrt sehr, wenn er sich für berechtigt hält, den Inhalt seines Glaubens ohne weiteres in die Wissenschaft einzuführen, auf solchem Weg gelang man höchstens zur unklaren Vorstellung einer Seelensubstanz, die weder Fisch noch Fleisch ist; CARL VOGT aber befindet sich in einer gleich großen Selbsttäuschung, wenn er meint, daß seine Wissenschaft in Bezug auf das Bewußtsein etwas anderes ist, als eine bloße Unwissenheit.

Ein solcher Vorwurf darf ohne Not nicht gemacht, und muß, wenn er gemacht wird, motiviert werden. Wir motivieren ihn dadurch, daß eine Verwechslung der Erscheinung mit dem Ding-ansich, wie sie die Grundlage des Materialismus bildet, seit KANT, und eine Verkennung der Natur des Bewußtseins, wie diese Richtung sie zur Schau trägt, seit FICHTE bei niemandem, der die Arbeiten dieser großen Männer auch nur einigermaßen kennt, vorkommen kann.

Der Realismus eines BACO von VERULAM und LOCKE hatte seine gute Berechtigung, aber der Materialismus unserer Tage ist eine Geburt der Unkenntnis. Wir halten für nötig, dies zu sagen, weil die Philosophie so große und heilige Interessen der Menschheit vertritt, daß niemand ohne ernste Arbeit und vollends gar ohne alle Erkenntnis desjenigen, was die Heroen der Nation darin geleistet haben unternehmen soll, darin öffentlich zu sprechen, da er sonst das Urteil der Menge in unheilvoller Weise verwirren kann, und weil nicht geduldet werden darf, daß ein solches Tun dem Volk mit dem glänzendsten Gewand der Wissenschaftlichkeit, so wenig es ihm auch zukommt, ungehindert imponiert.

Dieser Streit zwischen WAGNER und VOGT, wie er auf beiden Seiten geführt wird, zeigt recht deutlich, wie unfähig die Naturwissenschaft als solche ist, über die Frage vom Bewußtsein zu entscheiden, wie sehr diejenigen, welche dabei einseitig von dieser Spezialwissenschaft ausgehen, sie mögen den Materialismus bekämpfen oder verteidigen, sich von der Sinnlichkeit imponieren lassen. Dieser beherrschende Einfluß des Sinnlichen ist es allein, der insbesondere die Materialisten verleitet, übereilte Urteile in Dingen auszusprechen, die für sich allein ein ernstes und umfassendes Studium erfordern, und von solcher Befangenheit kann es nicht Wunder nehmen, daß sie die Auflösung der Psychologie in die Naturwissenschaft als den nächsten Fortschritt der Zukunft bezeichnet.

Gewiß, so kann es jemandem vorkommen, der von Naturwissenschaft etwas und von Psychologie gar nichts versteht. Wer aber auch nur eine oberflächliche Kenntnis davon hat, mit welchen exakten Studien und welcher Energie des Denkens Männer wie KANT und FICHTE, durch ein ganzes von wissenschaftlichen Erfolgen gekröntes Leben die Operationen des Bewußtseins erforscht haben, wer nur eine Ahnung davon besitzt, daß es ein Sehen gibt, das weiter reicht als irgendein Fernrohr, indem es den Raum ganz und gar überwindet, und das Unterschiede zeigt, über die kein Mikroskop Aufschluß zu geben vermag, der kann nur die Armseligkeit beklagen, die sich mit ihren Kupfermünzen Wunder wie reich dünkt, weil sie - das Gold nicht kennt. Den reichsten Schätzen, den wertvollsten Errungenschaften des deutschen Geistes gegenüber befinden sich die materialistischen Philosophen durchaus im Stand der Unschuld, und von anderen Leuten, die sich im gleichen Fall befinden, unterscheiden sie sich nur durch die Unbefangenheit, mit der sie trotz einer solchen Blöße vor allem Volk als Propheten auftreten. Wagt doch selbst Herr BÜCHNER, dessen Logik sich eine gründliche Verbesserung durch ein ernstes philosophisches Studium sehr wohl gefallen lassen könnte, eine offene Verachtung der Philosophie zur Schau zu tragen, sie als Phrasentum und als etwas zu kennzeichnen, womit man nur seine Zeit vertrödetl (Vorwort, Seite 33). Dabei bildet er sich Gegensätze von Empirie und Abstraktion, Beobachtung und Spekulation, wie sie nur der seichtesten Auffassung gelingen, und nur im sandigen Boden der Unwissenheit fortkommen können, und hält sich gar für berechtigt, die wirren Reflexionen, die er selber zu Markte bringt, empirische Philosophie zu nennen. Wollte Gott, daß er nur überhaupt einmal erst wüßte, was Empirie ist und was die Philosophie zu leisten hat.

Was soll man nun aber gar sagen, wenn Herr BÜCHNER (Seite 162) bemerkt, daß die Sprache der Engländer und Franzosen nicht jene nichtssagende Spielerei mit Begriffen und Worten erlaubt, welche von den Deutschen häufig "Philosophie" genannt wird, wenn er sagt, daß ihm die sogenannte Tiefe des deutschen Geistes stets mehr eine Unklarheit des geistigen Wassers, als eine wirkliche Unergründlichkeit geschienen habe, wenn er den Rat gibt, "die philosophischen Werke der Deutschen" in eine "fremde" Sprache zu übersetzen, um sie von unnötigen und unverständlichen Anhängseln zu befreien, wenn er vermutet, daß bei dieser Feuerprobe das Meiste auf dem Sieg liegen bleiben möchte!

Es ist wenig daran gelegen, daß Herr BÜCHNER das gesagt hat - es paßt zum Übrigen - daber daran kann man nicht ohne Bewegung denken, daß eine Nation, welche einen LESSING und einen KANT und einen FICHTE zu den ihrigen zählt, so etwas erträgt, ja noch Lob und Anerkennung für einen Schriftsteller hat, der dergestalt ihre und seine Ehre in den Staub tritt! Schlimm genug, doch im Grunde nicht zu verwundern, denn eine solche Weisheit, wie der Materialismus zu Markte bringt, wird immer ein großes Publikum finden. Die Macht des sinnlichen Eindrucks, welche die Propheten befangen hält, beherrscht ja nicht minder eine große Menge ihrer Hörer und Leser. Und dann ist ja alles, was der Materialismus bringt, so klar, mit Händen zu greifen, und, je weniger man dabei denkt, umso besser versteht man es - das Denken aber ist eine so schwere Arbeit, und die Philosophie ein so mühsames Studium!
LITERATUR: Robert Schellwien, Kritik des Materialismus, Berlin 1858
    Anmerkungen
    1) Neuerdings hat Herr BÜCHNER, um einem solchen Widerspruch die Krone aufzusetzen, im Gegensatz gegen die endliche, konkrete Wirklichkeit noch eine allgemein oder absolute, die er "das Ding-ansich nennt, angenommen. Er fügt aber in demselben Atem hinzu, daß unser nur auf die sinnliche Erfahrung angewiesenes, in den Formen von Raum und Zeit beschränktes Denkvermögen, welches keine absoluten oder unendlichen Eigenschaften besitzt, die absolute Wirklichkeit nicht begreifen kann. damit ist er dann also wieder auf dem alten Standpunkt, aber reicher um einen widersprechenden Begriff, der sein ganzes System über den Haufen wirft, einmal, weil er durchaus metaphysisch ist, und zweitens, weil in keiner Weise abzusehen, wie es aus dem endlichen Denkvermögen hervorgehen können soll. Dessen ungeachtet philosophiert er mit seinem neuen Begriff, freilich ohne zu sagen, was wir uns denn nun darunter denken sollen, frisch drauf los und häuft Widerspruch auf Widerspruch. Man sieht, Herr BÜCHNER hat zu seinem großen Unglück etwas von KANT gehört. (LUDWIG BÜCHNER, Natur und Geist, Seite 159f)
    2) "Köhlerglaube und Wissenschaft" - eine Streitschrift gegen Hofrat RUDOLPH WAGNER in Göttingen von CARL VOGT.