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OLE CHRISTIAN HALLESBY
Johannes Volkelts Erkenntnistheorie
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"Da unsere Selbstbeobachtung uns unwiderlegbar belehrt, daß wir keinen Sinneseindruck bekommen können, ohne daß die Denktätigkeit dieses Bild gleich in ihren Rahmen setzt unddurch ihre Einschaltung und ihr Hinzudenken die notwendige Ordnung hervorbringt, so ist es schwer zu verstehen, wie man Sinneseindrücke bekommen kann, ohne zugleich ein durch das Denken postuliertes, mehr oder weniger wohlgeordnetes Weltbild zu haben."

"Durch die Kritik der reinen Erfahrung hat Volkelt die Notwendigkeit eines neuen Erkenntnisprinzips zur Erreichung eines objektiven Erkennens nachgewiesen. Und hier hat er mit bewunderswertem Mut gezeigt, daß dieses neue Prinzip ausschließlich in irgendeiner Form des Glaubens zu suchen ist. Damit hat er die neue Richtung der Erkenntnistheorie angegeben. Der subjektive Charakter des objektiven Erkennens ist nachgewiesen und die Bedürfnisse des Menschengeistes sind zum Maßstab des Wirklichen und Möglichen erhoben."

"Wenn wir von Dingen sprechen, die wir wahrzunehmen glauben, so ist das eine Täuschung. Dingvorstellungen entstehen erst, nachdem das Denken die Wahrnehmungen gruppiert und geordnet hat. Diese Bearbeitung nehmen wir aber nicht bewußt vor. Wir glauben vielmehr, das Gedachte mitzuerfahren. Dies gilt nicht nur von den Dingvorstellungen überhaupt, sondern auch von der Materie, der Kraft und der Kausalität."

"Die gewöhnliche positivistische Auffassung führt das Denken zurück auf der Aufsuchen von Ähnlichkeiten und Unterschieden - auf das Verallgemeinern. Aber mangelt der Verallgemeinerung ein leitendes Prinzip, dann ist es unmöglich, die nebensächlichen Ähnlichkeiten und Unterschiede von den förderlich zu trennen."


Das mittelbare Wissen

Bisher steht fest, daß wir mit unserem unmittelbaren, unbezweifelbaren Wissen niemals über das Bewußtsein hinaus kommen können. Was der Erkenntnistheoretiker sucht: ein objektives Erkennen, können wir nie mit unmittelbarer Gewißheit erreichen. Und die Art der zwei Gebiete, des Transsubjektiven und des Subjektiven, hat sich so verschieden gezeigt, ddaß ein direkter Übergang von der subjektiven zu einer objektiven ein Widerspruch ist.

Ist also ein direkter Übergang unmöglich, so fragt es sich: gibt es kein Erkenntnisprinzip, das uns indirekt in Verbindung mit dem Transsubjektiven setzen könnte. Auch dies müßte sich freilich als Erfahrungstatsache kundtun und zugleich die Gewißheit, das Transsubjektive zu erschließen, besitzen. Im Denken finden wir eben das Gesuchte: wir finden oft gewissen Vorstellungsverknüpfungen gegenüber einen eigentümlichen Zwang: indem ich diese Vorstellungen miteinander verknüpfe, haftet ihnen die unabweisliche Gewißheit an, sachlich zu gelten. Diese Gewißheit unterscheidet sich von der vorher besprochenen Selbstgewißheit des Bewußtseins, die eine individuelle auf Tatsachen in meinem eigenen Bewußtsein beruhende Gewißheit ist, während diese neue Gewißheit eine über der Person liegende Notwendigkeit enthält. Die Selbstgewißheit des Bewußtseins hat zuweilen den Inhalt: Gefühl sachlicher Notwendigkeit. Die neue Gewißheit dagegen betrifft eben dieses Gefühl, die zwingende, überpersönliche Notwendigkeit, die darin erlebt wird. Dieser Zwang ist von solcher Natur, daß ich überzeugt bin, Widersinniges zu begehen, wenn ich ihm nicht gehorche. Dies ist die Form dieser neuen Gewißheit. Was nun den Inhalt betrifft, so hat sie immer das Transsubjektive zum Gegenstand. Das Gebot, einer sachlichen Notwendigkeit zu folgen, ist ausnahmslos zugleich ein Gebot, das Erfahrene irgendwie durch Nichterfahrenes zu ergänzen. Meine Bewußtseinsvorgänge geben sich nur einfach als ein Tatsächliches; wo dagegen eine Erkenntnis aus dem Bewußtsein sachlicher Notwendigkeit erwächst, handelt es sich um ein Erschließen von Nichterfahrenem, um das Meinen und Treffen eines transsubjektiven Sachverhaltes.

Die verknüpfende Tätigkeit nun, die mit einem Bewußtsein logischer, sachlicher Notwendigkeit verbunden ist, heißt Denken. Dementsprechend darf man die neue Gewißheit die der Denknotwendigkeit nennen. - Damit ist die Sache einfacher geworden. Um nun eine Übersicht über die neue Gewißheit zu bekommen, brauchen wir bloß die Denkakte zu fixieren. Und weiter um die gemeinsamen Hauptzüge des Notwendigkeitsgefühls, das jeden Denkakt begleitet, zu untersuchen, können wir die einfachsten unter den Denkakten ins Auge fassen. Als solche einfache Denktätigkeiten ergeben sich die sogenannten formalen Urteile, d. h. Urteile, deren Inhalt mir aufgrund einer Selbstgewißheit des Bewußtseins gewiß ist und nur insofern Denkakte sind, als sie eine Anerkennung beanspruchen. Und bei jedem, selbst dem einfachsten Denkakt finden wir nun als gemeinsames Hinübergreifen in das Transsubjektive folgende vier Forderungen, die VOLKELT als das transsubjektive Minimum bezeichnet:
    1. eine Vielheit erkennender Subjekte,
    2. eine für alle diese Subjekte geltende Gesetzmäßigkeit
    3. eine transsubjektive Außenwelt, und
    4. die konstante Gesetzmäßigkeit im Verhältnis des Gegenstandes zum Erkennen aller Subjekte.
Bei allen vier Forderungen stellt das Bewußtsein sein Ultimatum: entweder Anerkennung der transsubjektiven Gültigkeit der Denknotwendigkeit oder heller Widersinn.

Was bisher festgestellt ist, beruth nicht auf Beweisen oder Schlüssen. Dem Ausgangspunkt getreu ist alles durch ein Aufzeigen des tatsächlich im Bewußtsein vorgefundenen erreicht. Aber eben dies ist auch der Sache wunder Punkt. Denn weil diese Gewißheit der Denknotwendigkeit nur ein Vorgang in meinem Bewußtsein ist, kann sie mir niemals eine unmittelbare Gewißheit von den Außendingen geben. Und fehlt die Unmittelbarkeit, dann fehlt auch die Unbezweifelbarkeit. Insofern muß gleich zugegeben werden, daß die Gewißheit der Denknotwendigkeit anderer Art ist als die Selbstgewißheit des Bewußtseins. Da Dinge und Denken getrennt sind un bleiben, so bleibt das Wissen, das ich durch Denken bekomme, immer eine bloße Forderung, deren Berechtigung ich nur durch Glauben innewerden kann.

Aber die Möglichkeit eines objektiven Erkennens ist erreicht. Der Übergang von den subjektiven Bewußtseinsvorgängen zum Transsubjektiven ist gefunden.

Damit ist auch für die bisherigen Resultate etwas Wertvolles gewonnen. Die erkenntnistheoretische Untersuchung mußte ja zunächst als ein Monolog gehalten werden, ohne Rücksicht auf Zustimmung nur als eine individuelle Fixierung des Bewußtseinsinhaltes. Steht es dagegen fest, daß alle die Denkergebnisse, die von einem Gefühl der Denknotwendigkeit begleitet sind, objektive, transsubjektive Wirklichkeit haben, so gilt dies natürlich auch den bisherigen erkenntnistheoretischen Ergebnissen. Was bisher mir unwidersprechlich war, wird durch den Umstand, daß nun die Existenz anderer denkender Subjekte garantiert ist, zu einer allgemeinen Unbezweifelbarkeit erhoben.

Bevor VOLKELT die zwei gefundenen Erkenntnisprinzipien näher zusammenstellt, bestimmt er das Wesen des Denkens etwas genauer. - Er findet, daß die Natur des Denkens ihren erschöpfenden Ausdruck im "Satz vom Grunde" findet. Jedes Urteil behauptet, indem es gedacht wird, ebendamit einen logischen Grund zu haben, will als logisch gerechtfertigt angesehen sein. Der logische Grund antwortet zuerst auf die Frage: Warum urteile ich so? Was berechtigt mich gerade diesem und nicht dem entgegengesetzten Urteil Wahrheit zuzusprechen? Der logische Grund ist sonach der Erkenntnisgrund. Aber das Denken begnügt sich nicht mit der bloßen Begründung der Verknüpfung, es fordert auch eine Begründung des Inhalts der Verknüpfung. Zwar gibt es viele Denkakte, welche die Kausalität nur als Erkenntnisgrund und nicht als Erkenntnisgegenstand haben. Aber sein Ziel und seine Befriedigung findet das Denken nur in einem Erkennen der Ursachen und Wirkungen. - Und die durch das Denken konstatierte Kausalität läßt sich nicht als eine bloß subjektive Abstraktion infolge des Wahrnehmens der regelmäßigen Aufeinanderfolge erklären. Die Gewißheit der Denknotwendigkeit vergewissert uns, daß wir hier eine transsubjektive Kraft beobachten.

Werfen wir von hier aus unseren Blick ein wenig zurück. Nachdem VOLKELT gleich anfangs einen festen Punkt für die weitere Untersuchung im unbezweifelbaren Wissen von den eigenen Bewußtseinsvorgängen gefunden hatte, sehen wir ihn mit diesem zweischneidigen Schwert in der Hand eine ernste Tempelreinigung halten. Die unerbittliche Konsequenz, womit er die Grenze des unmittelbaren Wissens, d. h. die Grenze zwischen Erscheinung und Ding-ansich gezogen hat, ist - soweit ich die Sache beurteilen kann - seine eigentliche Großtat. Mehrere Forscher vor VOLKELT wie SCHOPENHAUER, HARTMANN und BAUMANN haben als berechtigten Ausgangspunkt der Erkenntnistheorie ausschließlich die Selbstgewißheit des Bewußtseins anerkannt. Aber trotzdem haben sie einen Übergang in das Transsubjektive finden wollen, ohne ein neues Erkenntnisprinzip für notwendig zu halten. Und wenn sie auch von einem indirekten Beweis für die Realität der Außendinge sprechen können, so zeigt ja dies, daß der Ausgangspunkt nicht klar gefaßt worden war. Denn hat man erst ausschließlich dem Innewerden der eigenen Bewußtseinsvorgänge die Gewißheit zugesprochen, dann ist und bleibt das Transsubjektive der unmittelbaren Gewißheit unzugänglich. Dies hat VOLKELT nach den verschiedenen Seiten hin nachgewiesen, ohne sich erschrecken zu lassen von den erkenntnisnihilistischen Konsequenzen, die notwendig damit zu folgen scheinen. Und dieses Verdienst VOLKELTs wird nicht vergessen werden, selbst wenn auch sein positiver Versuch, das Transsubjektive zu erreichen, veralten wird. Denn hier ist eine erkenntnistheoretische Generalabrechnung gehalten, die von bleibender Bedeutung ist. Der menschliche Geist hat endlich die Beschränkung des Wissens nicht nur mehr oder weniger dogmatisch postuliert, wie so oft früher in der Geschichte der Philosophie, sondern durch scharfsinnige Selbstbeobachtung und Fixierung der Bewußtseinsvorgänge und Bewußtseinsfunktionen klargelegt. Die Kritik der reinen Vernunft ist nun am wichtigsten Punkt ergänzt. Nun ist gezeigt, was KANT zeigen wollte: was in unserer Erkenntnis aus Wissen und was aus Postulieren stammt. - Und wenn hier nachgewiesen ist, daß unser objektives Erkennen nur eine Forderung ist, deren Berechtigung allein in den unabweislichen Bedürfnissen des Menschengeistes zu suchen ist, so darf man vielleicht darin ein Zeichen sehen, daß die Epoche der naturwissenschaftlichen Forschung, die von den Tagen der Renaissance bis heute allen Wissenschaftszweigen ihre Richtung gegeben hat, mit der Zeit einer geisteswissenschaftlichen Forschung weichen muß, die, mit voller Anerkennung der naturwissenschaftlichen Methode auf ihrem eigenen Gebiet, doch zum Maßstab des Wirklichen und Möglichen nicht nur das kahle intellektuelle Bedürfnis des Menschengeistes macht, sondern auch die anderen Bedürfnisse, die doch in der bisherigen uns bekannten Menschengeschichte tatsächlich die produktive auch auf dem Gebiet des Intellekts befruchtetende Rolle gespielt haben, zu ihrem Recht - auch erkenntnistheoretisch - kommen läßt. Allerdigs ist ein überaus wichtiger Schritt getan, sobald nachgewiesen ist, daß wir nichts als uns selbst wissen und daß ein Erkennen mit dem Anspruch auf allgemeine Anerkennung von Seiten fremder Bewußtseine nur eine Forderung ist, deren Berechtigung ich nur durch den Glauben des Notwendigkeitsgefühls innewerden kann.

Machen wir uns nun klar, was hier eigentlich geschehen ist. Eine intrasubjektive Notwendigkeit ist zum Maßstab der transsubjektiven Notwendigkeit gemacht. Wir können die Denktätigkeit unmöglich vollziehen ohne die Voraussetzung einer transsubjektiven, kausalgeordneten Welt. Daraus zieht nun VOLKELT den Schluß: wenn die Welt nicht existiert, so ist alles Denken unmöglich, dann ist unser Bewußtsein ein Schauplatz geworden, wo absurder Zufall und albernes Wunder ihre spukhaften Vorstellungen aufführen. Aber ich frage nun: ist dieser Schluß korrekt? Zwar kann das Denken seine Tätigkeit nicht üben, ohne die transsubjektive Welt zu fordern und vorauszusetzen. Aber damit ist doch lange nicht die Existenz gegeben. Wir können durch das Ohr keinen Eindruck bekommen, ohne ihn als Laut oder Ton zu fassen, und doch existiert der Laut nicht außerhalb meines Ohrs. Wir können überhaupt keinen Sinneseindruck bekommen, ohne ihn als Eindruck von einer Außenwelt vorauszusetzen. Und doch will VOLKELT gar nicht daraus schließen, daß eine solche Welt existiert, sondern - seinem zweifelnden Ausgangspunkt getreu - setzt er einfach voraus, daß diese Forderung nur eine Eigentümlichkeit unserer psychischen Organisation ist. Wir können nicht denken, ohne eine transsubjektive Welt zu fordern. Aber statt auch hier einfach eine intrasubjektive psychische Eigentümlichkeit zu sehen, behauptet VOLKELT: die verlangte Welt muß existieren. Denn das Denken würde, wenn seiner Forderung nicht Gehorsam geleistet wird, gar nicht funktionieren können. Das gebe ich völlig zu. Aber wer will ihm diese Forderung versagen? Gestatten wir den Sinnen die Freiheit, nach ihren Gesetzen transsubjektive Gegenstände zu konstruieren, ohne daß wir diese Gegenstände anders als intrasubjektive Konstruktionen ansehen, warum darf nicht auch das Denken nach seinen Gesetzen diese Gegenstände kausal und gesetzmäßig verbinden, verknüpfen und ordnen, ohne daß wir die Existenz dieser geordneten Welt mehr als die der ungeordneten der Sinneswahrnehmungen annehmen. VOLKELT antwortet: diese theoretische Betrachtungsweise ist nicht praktisch durchführbar. Gibt es keine Sonne, kein Haus usw., dann wird das Auftauchen dieser Bilder in meinem Bewußtsein ganz sinnlos und rätselhaft; denn dann muß angenommen werden, daß die Gegenstände immer neu auftreten, so oft sie neu in meinem Bewußtsein vorkommen usw. - Diese Einwände springen doch deutlich aus der Voraussetzung heraus, daß unsere Bewußtseinsvorgänge Abbilder einer existierenden Außenwelt sind. Sobald man dagegen - und dies soll man nach VOLKELTs Ausgangspunkt doch erst versuchen - konsequenz nur eine intrasubjektive Welt mit allerlei Bildern und Vorgängen voraussetzt, dann besorgt das Denken, die Ordnung und den Zusammenhang, der nach unseren Denkgesetzen als notwendig gefühlt wird. - Wenn nun VOLKELT behauptet, ohne die Existenz der Außenwelt haben wir "nur die unzusammenhängenden, jeder kausalen Verbindung baren, ja jede Regelmäßigkeit entbehrenden Bruchstücke meines Bewußtseins (8), so beruth dies auf einer merkwürdigen Verwechslung der Notwendigkeit der Forderung mit der Notwendigkeit der Existenz der Außenwelt.

VOLKELT hat ja selbst die Eigentümlichkeit der Denkfunktion so klar dargestellt: den anderswoher zusammengeworfenen Bewußtseinsbildern den mangelnden Zusammenhang einzuschalten, die Kausalität hinzuzudenken. Und da unsere Selbstbeobachtung uns unwiderlegbar belehrt, daß wir keinen Sinneseindruck bekommen können, ohne daß die Denktätigkeit dieses Bild gleich in ihren Rahmen setzt und durch ihre Einschaltung und ihr Hinzudenken die notwendige Ordnung hervorbringt, so ist es schwer zu verstehen, wie man Sinneseindrücke bekommen kann, ohne zugleich ein durch das Denken postuliertes, mehr oder weniger wohlgeordnetes Weltbild zu haben.

Sehe ich recht, so hängt VOLKELTs eigentümliche Auffassung an diesem Punkt genau zusammen mit seiner eigentümlichen Auffassung der reinen Erfahrung, die ich schon oben besprochen habe. Die schiefe Fragestellung dort beruhte auf einer Verwechslung der zwei Gegensatzpaare: "reine Erfahrung - Transsubjektives" und reine "Erfahrung - Denken." Auch hier scheint dieselbe Verschiebung eingetreten zu sein als die Folge einer unglücklichen Terminologie. Die Benennung der zwei Erkenntnisprinzipien, das der reinen Erfahrung und das des Denkens, führt leicht zu einer positivistischen Problemstellung, wo das Denken der Gegensatz der reinen Erfahrung ist, während nach VOLKELTs Ausgangspunkt das Denken und die Wahrnehmung als transsubjektive Vorgänge auf derselben Linie stehen und dieselbe Gewißheit für ihre intrasubjektiven Bilder verbürgen, beide werden unmittebar inne. - Nun scheint es, als ob die Bezeichnung "Denknotwendigkeit" für das eine Erkenntnisprinzip den Gedanken von der Notwendigkeit des Denkens auch auf den Standpunkt der reinen Erfahrung weggeführt hat. Das Denken hat immer, auch als Bewußtseinsvorgang der reinen Erfahrung seine Notwendigkeit. Das Neue, das hinsichtlich der Notwendigkeit des Denkens auf dem Standpunkt des zweiten Erkenntnisprinzips vorgenommen wird, ist einfach das Glauben seiner Forderung.

Dies hat auch VOLKELT selbst, wo er die Brücke vom subjektiven zum objektiven Erkennen schlägt, stillschweigend voraussetzen müssen. Wäre das vom Denken mit Notwendigkeit postulierte Weltbild nicht schon als Inhalt der reinen Erfahrung aufzuzeigen, dann würde der Brücke auf der Seite des subjektiven Erkennens ihr Fundament fehlen. Sollen wir die Forderung des Denkens glauben, so muß es doch erst etwas postuliert haben, und eben dieses postulierte kausal geordnete Bild ist in der reinen Erfahrung enthalten. Durch Glauben nehmen wir nun an, daß die Außenwelt so aussieht wie dieses Bild, nicht umgekehrt. - Auch bei seiem Ausgangspunkt hat VOLKELT vorausgesetzt, daß es möglich ist ein geordnetes Gedankenbild zu haben, ohne die Existenz der Außenwelt vorauszusetzen. Sein Gedanke vom "Monolog" ruht ja eben auf dieser Voraussetzung.

Aber steht die Sache so, dann ist VOLKELTs System in ein merkwürdiges Dilemma geraten: ist - wie VOLKELT geradezu behauptet - die Denktätigkeit ohne die Existenz der Außenwelt unmöglich, ist unser Bewußtsein ohne die Existenz der Außenwelt ein Chaos usw., dann ist das System VOLKELTs insofern durchbrochen, als man im subjektiven Erkennen nicht das aufzeigen kann, was durch das Glauben einer Denknotwendigkeit zum objektiven Erkennen erhoben wird, nämlich ein kausal geordnetes Weltbild, und damit fehlt, wie gesagt, der Brücke ihr Fundament auf der Seite des subjektiven Erkennens. Andererseits: ist es so, wie VOLKELT anderswo stillschweigend voraussetzt, daß das Denken, schon ehe die Existenz der Außenwelt geglaubt ist, seine Tätigkeit geübt und sein Weltbild fertiggemacht hat, ja selbst der Außenwelt ihre Existenz und Form gibt, dann steht das System VOLKELTs gar nicht besser als im ersten Fall. Der Eckstein des erkenntnistheoretischen Baus von VOLKELT ist doch die Unmöglichkeit des Denkens ohne die Existenz der Außenwelt. Birst nun dieser Stein, hat VOLKELT selbst am entscheidenden Punkt die Möglichkeit des Denkens ohne die Existenz der Außenwelt annehmen müssen, und darauf ruht ja seine ganze erkenntnistheoretische Untersuchung, dann sinkt unerbittlich der Grund unter seinem System.

Schon aus meiner bisherigen Erörterung dieses Problems läßt sich verstehen, auf welcher Seite dieses Dilemmas wir stehen. Ich habe es als eine Inkonsequenz VOLKELTs nachgewiesen, daß er die sogenannte "reine Erfahrung" so auffaßt, als ob da kein geordnetes, kausal zusammenhängendes Bewußtseinsbild zu finden wäre. Und ist das so, dann ist VOLKELTs Versuch, eine Brücke vom subjektiven zum objektiven Erkennen zu bauen, verfehlt oder genauer ausgedrückt: das Fundament ist auf einen verkehrten Platz gelegt.

Wenn ich nun dies als Ergebnis meiner bisherigen Untersuchungen von VOLKELTs System bezeichnen muß, so liegt darin nicht soviel, wie jemand vielleicht beim ersten Blick denken könnte. Wie schon oben angedeutet, liegt das Hauptverdienst der erkenntnistheoretischen Forschung VOLKELTs nicht so sehr in seiner positiven Systembildung, als in seiner einschneidenden Nivellierungsfreiheit. Durch seine Kritik des Erkenntnisprinzips der reinen Erfahrung hat er den Bauplatz für ein späteres Systembauen radikal geräumt. Zweitens hat er durch die Kritik der reinen Erfahrung die Notwendigkeit eines neuen Erkenntnisprinzips zur Erreichung eines objektiven Erkennens nachgewiesen. Und hier hat er mit bewunderswertem Mut gezeigt, daß dieses neue Prinzip ausschließlich in irgendeiner Form des Glaubens zu suchen ist. Damit hat VOLKELT die neue Richtung der Erkenntnistheorie angegeben. Der subjektive Charakter des objektiven Erkennens ist nachgewiesen und die Bedürfnisse des Menschengeistes sind zum Maßstab des Wirklichen und Möglichen erhoben. - Nach dieser grundlegenden Tätigkeit versucht nun VOLKELT einen solchen Glaubensübergang vom Subjektiven zum Objektiven zu finden. Und schon seine vorläufige Bestimmung der notwendigen Merkmale eines zweiten Erkenntnisprinzips ist von grundlegender Bedeutung für jeden erkenntnistheoretischen Versuch, der von einem absoluten Zweifel augehen will. Er hat hier die Schwierigkeit gefühlt und gezeigt: das neue Erkenntnisprinzip muß seinen Ausgangspunkt in unserem unbezweifelbaren Wissen nehmen, um nicht in der Luft zu schweben. Das neue Wissen muß seiner Form nach dem unmittelbaren Wissen gehören, seiner Form nach schon durch das erste Erkenntnisprinzip gewonnen werden. Andererseits muß ihm, seinem intrasubjektiven Inhalt nach die Gewißheit folgen, daß hier etwas außerhalb des Bewußtseins erkannt wird. - Hier sind die Grundbedingungen der Möglichkeit eines Übergangs vom subjektiven zum objektiven Erkennen sicher und klar dargestellt.

Nach diesen grundlegenden Entwürfen und Zeichnungen des erkenntnistheoretischen Baus versucht nun VOLKELT die Brücke zu schlagen und den Übergang zu machen vom subjektiven zum objektiven Erkennen. Wenn ich nun durch meine Untersuchung zu dem Resultat gekommen bin, daß dieser Versuch über einem inneren Widerspruch gebaut ist, der ihn unerbittlich vernichten muß, so gilt dieses Urteil nur einer Konsequenz, die er in verkehrter Weise von einem scharfsinnig gewählten und vielseitig verteidigten Ausgangspunkt gezogen hat. Nicht die Notwendigkeit eines neuen Erkenntnisprinzips wird von jenem Widerspruch berührt. Auch nicht der Glaubenscharakter des zweiten Erkenntnisprinzips. Der Widerspruch trifft nur seine Grundlegung des objektiven Erkennens auf die Denknotwendigkeit und die Begründung, die er dafür gibt.

Wenn es so ist, wie es auch VOLKELT hat voraussetzen müssen, daß das Denken nach seinen Gesetzen seine Tätigkeit ausüben kann, ohne daß wir die Existenz der von ihm postulierten Außenwelt mehr als die Existenz der von den Sinnen postulierten Außendinge annehmen müssen, dann ist es natürlich ein Widerspruch, die Existenz des Transsubjektiven auf die Unmöglichkeit des Denkens ohne die Existenz der Außenwelt zu gründen. - Aber hiermit habe ich gar nicht sagen wollen, daß es unerlaubt oder unmöglich ist, die Denknotwendigkeit als Grundlage des objektiven Erkennens zu verwenden. Wie oben angedeutet, gibt es keinen anderen Weg vom Intrasubjektiven zum Transsubjektiven als den inneren unabweislichen Bedürfnissen zu glauben, indem sie behaupten ein objektives Erkennen zu besitzen. Aber ich habe zeigen wollen, daß VOLKELT unmethodisch und deshalb widerspruchsvoll vorgeht, wenn er ein einzelnes Bedürfnis des Menschengeistes, die Forderung des Denkens, herausgreift, um aus diesem intrasubjektiven Bedürfnis die transsubjektive Welt zu erreichen. Kann das Denken seine Tätigkeit ebensowohl wie die Wahrhenhmung die ihrige ausüben ohne die Existenz der postulierten Außenwelt, dann darf man mit Recht fragen, warum soll dem Bedürfnis der Denktätigkeit, aber nicht dem der Sinneswahrnehmung, nicht dem der innneren, nicht dem der ethischen und religiösen Wahrnehmung Vertrauen zukommen? Sie stehen alle gleich, insofern sie alle die Forderung einer transsubjektiven Wirklichkeit erhebeb, ja erheben müssen, um überhaupt zu funktionieren. Sie stehen alle gleich, insofern sie intrasubjektive Vorgänge sind, die uns zwar einen tiefen Einblick in unsere subjektive Organisation geben, aber außer diesem uns nur ihre kategorischen Forderungen schenken. Und es führt nur ein Weg von diesen Intrasubjektiven Erscheinungen zum objektiven Erkennen: der Glaube. Entschließt man sich nun diesen Weg zu gehen, den Forderungen zu glauben, warum denn nur der einen von diesen und nicht den anderen? - VOLKELT antwortet: Das Bedürfnis des Denkens ist das stärkste. Dürften wir keine anderen Subjekte voraussetzen, dann ist jeder Denkakt unmöglich, denn er verlangt Zustimmung und Anerkennung der Anderen. Hierzu ist zu sagen: Zwar kann das Denken nicht verknüpfen, ohne allgemeine Anerkennung zu fordern; aber daraus dürfen wir nicht schließen, daß die Denktätigkeit unmöglich ist, wenn die geforderten Subjekte nicht existieren. Wie VOLKELT später mit großem Scharfsinn nachweist, daß der Begriff, der Schluß und die meisten Urteile nur eien subjektiven Denkapparat bilden, so könnte man ja auch die Forderung anderer Subjekte und einer Außenwelt nur als solche intrasubjektiver Orientierungspunte der subjektiven Denkentwicklung ansehen.

VOLKELTs Einwand, daß wir mit der reinen Erfahrung als ausschließlichem Erkenntnisprinzip im Wahsinn enden müssen, trifft erst zu, wo er den Solipsismus als notwendige Konsequenz dieses Erkenntnisprinzips nachweist. Mit dem Solipsismus wäre das menschlichste Bedürfnis, das sich sowohl in der Geschichte als im Leben des Einzelnen als das stärkste bezeugt, nämlich das gesellige Bedürfnis, im Tiefsten getroffen. Für immer wäre dann das Bewußtsei in das intrasubjektive, zwar mit unendlichen Bilderreihen ausgestattete, dazu logisch eingerichtete, aber ewig einsame Gefängnis verbannt.

Will man vom Standpunkt der reinen Erfahrung aus Umschau halten, um die Wucht und Kraft der verschiedenen transsubjektiven Forderungen zu untersuchen und zu vergleichen, dann scheint mir nicht das logische, sondern das gesellige Bedürfnis zur Annahme der Existenz einer Außenwelt am kräftigsten zu nötigen, und insofern das Glauben seiner Forderung am leichtesten zu vermitteln. Die Forderung der Sinne, transsubjektive Gegenstände zu erreichen, läßt sich als eine intrasubjektive Eigentümlichkeit festhalten, ohne daß dadurch diese Funktion in ihrer Tätigkeit zerstört oder vernichtet wird. Die Forderung des Denkens läßt sich ebenso als intrasubjektive Einrichtung vorstellen, ohne daß die Denktätigkeit dadurch unmöglich gemacht wird. Die gesellige, ethische und religiöse Forderung der Existenz anderer Subjekte läßt sich auch in die intrasubjektive Welt verbannen. Aber die gesellige, ethische und religiöse Betätigung wird dadurch in ihrem Grund vernichtet. Denn mit vorgestellten, durch die Sinne und die Denktätigkeit konstruierten Größen läßt sich wohl logisch operieren, dagegen nicht gesellig und ethisch, geschweige religiös verkehren. - Diesen Gedanken hat VOLKELT selbst mit aller Klarheit zum Ausdruck gebracht, wo er von der ethisch-religiösen Gewißheit handelt (9). Er drückt es so aus, daß es
    "eine Vernichtung der Sittlichkeit wäre, wenn wir glauben würden, daß es ein ansich Wertvolles, ein unbedingtes Sollen und dgl. gibt."
Aus dieser Untersuchung ergibt sich also, daß unsere geistige Organisation, nach ihren verschiedenen Seiten, mit einer Außenwelt zu verkehren behauptet und behaupten muß, um überhaupt ihre Tätigkeit verrichten zu können. Nachdem das Erkenntnisprinzip der reinen Erfahrung unser wirkliches Wissen auf das Intrasubjektive beschränkt hat, haben wir entweder unsere innere Organisation fortwährend zu bezweifeln, denn enden wir unerbittlich im Gefängnis des Solipsismus, oder unserer Organisation zu glauben, dann öffnet sich eine Welt, die unseren Geist nachd den verschiedenen Seiten hin befruchtet und fördert.

Auf das einstimmige Verlangen unserer geistigen Tätigkeiten und Bedürfnisse wäre damit die Existenz des Transsubjektiven angenommen. Die nächste erkenntnistheoretische Frage lautet: existiert eine Welt außerhalb meines Bewußtseins, wie ist dann das Verhältnis zwischen dieser Welt und dem Bild davon in meinem Bewußtsein? Die Antwort ist schon gegeben. Haben wir die Existenz des Transsubjektiven allein durch das Glauben unserer inneren Organisation feststellen können, dann sind wir auch hinsichtlich der Existenzweise dieser Außenwelt ganz auf das Vertrauen zu unserer Geistesorganisation hingewiesen. Wir haben nur dieses eine Bild, das und durch die transsubjektive Forderung der der Geistestätigkeiten vermittelt wird. Wir besitzen kein Mittel, die Reproduktionstätigkeit unseres Bewußtseins zu kontrollieren. Hier haben wir wieder entweder zu bezweifeln, dann ist die erkenntnistheoretische Arbeit zu Ende, oder zu glauben, dann ist die weitere erkenntnistheoretische Arbeit als eine Wissenschaft der Geistesorganisation zu bezeichnen.

Hat das Transsubjektive, nach dem oben Ausgeführten, die Existenzweise, die von den Forderungen meines inneren Geistesorganismus behauptet wird, dann hat die Erkenntnistheorie diese transsubjektiven Forderung nach ihrer Gewißheit hin zu untersuchen, um das allgemeine Prinzip des Gewißseins zu finden und zu fixieren. Ist dies getan, dann ist die Grenze des objektiven Erkennens theoretisch festgestellt. Denn nur so viel wissen wir vom Transsubjektiven, als unsere inneren Forderungen mit unmittelbarer Gewißheit enthalten. Aber diese Untersuchung wird zugleich gezeigt haben, daß diese Grenze praktisch sehr schwer festzustellen ist. Jede der verschiedenen Geistestätigkeiten hat ihre von Gewißheit begleitete Forderung hinsichtlich der transsubjektiven Wirklichkeit und oft stehen diese Forderungen im gegenseitigen Widerspruch.

Nehmen wir nun erst eine existierene Welt an, dann kann sie doch nur eine Existenzweise haben. Also kann bestenfalls nur eine der verschiedenen Forderungen berechtigt sein und die anderen müssen folglich trotz ihrer Gewißheit, trotz ihrer kategorischen Forderung geirrt haben. Diese Tatsache scheint nun die ganze Theorie umzustoßen. Enthält die Gewißheit nicht die Garantie der Wirklichkeit jener Forderungen, dann scheint der feste Boden einer Erkenntnistheorie verloren.

Das ist jedoch nicht der Fall. Eben die Tatsache, daß mehrere Forderungen mit ihren Gewißheiten nebeneinander stehen, ist ein Ausdruck des Organischen unseres Geistes. Und die Eigentümlichkeit des Organismus ist, daß die verschiedenen Organe, deren jedes, wenn allein tätig, sich selbst und den ganzen Organismus zersetzen müßte, gemeinschaftlich durch gegenseitiges Ergänzen sich selbst und das Ganze zur zweckmäßigen Tätigkeit instand setzen. - Unter diesem Gesichtspunkt müssen auch die Geistestätigkeiten gesehen werden. Lassen wir einseitig eine Tätigkeit auf Kosten der anderen hervortreten, dann ist es nur natürlich, daß die organische Einheit verscherzt wird.

Die nächste Aufgabe der Erkenntnistheorie ist dementsprechend das intra-organische Verhältnis zwischen den Gewißheitsinstanzen zu untersuchen. Es wird sich dann ein bestimmtes, organisches Zusammenarbeiten, wie ein bestimmtes Rangverhältnis zwischen den Funktionen ergeben. Sie lassen sich in zwei Gruppen ordnen. Die eine können wir als die Stoffgebende, die anderes als die Formgebende bezeichnen. Zur ersten Gruppe gehören die Tätigkeiten, die von Gewißheit begleitet sind nur insofern sie fordern, in einem ausschließlich leidenden Verhältnis zum Transsubjektiven zu stehen. Hierzu gehören die Sinnes-, die innere, die ethische und die religiöse Wahrnehmung. Diese sind alle von dem Gefühl begleitet, daß sie von einem transsubjektiven Stoff sozusagen überwältigt werden, daß dieser Stoff seine Abdrücke unwiderstehlich in uns hineinpreßt. Zur zweiten Gruppe gehört die Tätigkeit, die mit Gewißheit verbunden ist nur insofern sie die durch die anderen Tätigkeiten empfundenen Gegenstände und Zustände nach eigenen innewohnenden Gesetzen beurteilt, verknüpft, trennt und ordnet. Diese Tätigkeit nennen wir Denken.

Wie stehen nun diese zwei Gruppen zueinander? Koordiniert oder subordiniert? Die Selbstbeobachtung hat es gezeigt, daß dem Denken Gewißheit folgt nur wenn es die geforderte Begründung einer wahrgenommenen Tatsache finden kann. Dies gilt auch für seine Tätigkeit den anderen Gewißheitsinstanzen gegenüber. Auch diese will und muß die Denktätigkeit nach ihrem Grund untersuchen. Die Gewißheiten werden sozusagen vor die schiedsrichterliche Entscheidung der Gewißheit gestellt, die im Organismus überhaupt die Aufgabe hat, jeden vorgefundenen Zustand und Gegenstand nach seinem Grund zu prüfen. Hiermit ist schon unter den Gewißheitsinstanzen der Denknotwendigkeit die Hegemonie gegeben. Hier haben wir Gewißheit sozusagen in zweiter Potenz, entstanden durch das Zusammenwirken einer stoffgebenden und der formgebenden Gewißheitsinstanz. Und diese Gewißheit nun ist das Prinzip des objektiven Erkennens. - Von einem weiteren Verhältnis zwischen den stoffgebenden und den formgebenden Gewißheiten wird später die Rede sein.

Um meine Stellungnahme zu den folgenden Teilen von VOLKELTs System zu erklären, ist hier, im Anschluß an die Kritik, dieser dürftige Riß eines anderen Wegs zum selben Ziel eingeschoben.


Der Dualismus des Erkennens

Es sind zwei Erkenntnisprinzipien gefunden. Das erste gab uns ein unbezweifelbares Wissen, aber kein objektives Erkennen. Das letzte kann uns niemals ein absolut unbezweifelbares Wissen vermitteln, sondern ruht zuletzt auf einem Glauben. Dagegen gibt es uns ein objektives, allgemeingültiges Erkennen und setzt überall da ein, wo das erste Prinzip versagt.

Nun fragt es sich: Wie stehen diese zwei Erkenntnisprinzipien zueinander? Bedarf das Denken der Erfahrung, um ein objektives Erkennen zu erzeugen? Im bejahenden Fall: Wie ist das Verhältnis zwischen den beiden.

VOLKELT nimmt hier wie überall seinen Ausgangspunkt in der Selbstbeobachtung. Diese zeigt nun, daß die Denktätigkeiten überall von der Erfahrung ausgehen. Die Erfahrungstatsachen sind Reiz und Anlaß für das Denken, seine Fragen aufzuwerfen. Ja, wir würden uns der Denkverknüpfungen überhaupt nicht bewußt werden, wenn die Eindrücke der Erfahrung sie nicht zwänge, aus ihrem dem Bewußtsein verborgenen Zustand herauszutreten. - Die Erfahrung ist nicht nur der Reiz und Anlaß, sondern auch die ausschließliche Bedingung des Denkens. Das Denken ist immer ein Hinzudenken zur Erfahrung, eine Umgestaltung der Erfahrung. Aber dieses Hinzudenken, diese Umgestaltung ist durchweg bestimmt durch die Eigentümlichkeit der Erfahrungstatsachen. Andererseits ist festzuhalten: die Erfahrung kann niemals die Ursache der Denkverknüpfungen sein, niemals die Quelle bilden, aus der das Erkennen die Denkfunktionen gewinnt. Die Abhängigkeit zwischen den beiden Faktoren ist einseitig: für die jeweilige Verschiedenheit der Denkfunktionen sind die Veränderungen, die am Erfahrungsstoff hervortreten, maßgebend, wogegen der gegebene Erfahrungsstoff durch alle Veränderungen des Denkens in seiner Gegebenheit unberührt bleibt. Das Verhältnis läßt sich kurz so ausdrücken: das objektive Erkennen ist überall eine logische Bearbeitung von Erfahrungsgrundlagen.

Das Denken bezieht sich immer auf das Unerfahrbare. Mit welchen Mitteln sind wir imstande, das Unerfahrbare zu denken? Das Wissen von meinen Bewußtseinsvorgängen enthält sämtliche Bausteine, aus deren Zurichtung und Zusammenfügung die transsubjektive Welt aufgebaut wird. Die Formen und Prinzipien, nach denen sich diese Gestaltung vollzieht, enthalten das Unerfahrbare und Transsubjektive. Schon der Gedanke des Unerfahrbaren und Transsubjektiven ist selbst eine Forderung, in der uns das Unerfahrbare als ein notwendig Anzunehmendes zu Bewußtsein kommt. Ferner enthalten die Forderungen, die oben als das transsubjektive Minimum bezeichnet wurde, unerfahrbare Formen, wonach die Erfahrung umgestaltet wird. Diese Formen nennen wir Kategorien und scheiden sie damit von den Verknüpfungsweisen des Denkens, welche nicht direkt eine unerfahrbare Form angeben, sondern uns zunächst subjektive Formen bezeichnen, nach denen die Erfahrung anzufassen und zu behandeln ist. Hierher gehören der Verknüpfungsakt als solcher, ferner die speziellen Verknüpfungsweisen, also die Formen des Urteilens, Schließens, Begründens und des Begriffs.

Das Verhältnis zwischen Erfahrung und Denken ist noch etwas genauer zu bestimmen, nämlich hinsichtlich der Bestätigung des Erkannten durch die Erfahrung. Eine solche Bestätigung läßt sich in einem dreifachen Sinn aufzeigen:

1. Jedes logisch empirische Verfahren ist eo ipso [schlechthin - wp] ein Bestätigtwerden durch die Erfahrung. Denn "die Erfahrungsgrundlage logisch bearbeiten" heißt nichts anderes als die Erfahrung so umdenken, daß dabei lediglich der Stimme der Notwendigkeit gehorcht wird. Ist daher den Forderungen des Denkens Genüge geleistet, so ist ebendamit auch die Erfahrungsgrundlage so behandelt, daß allen ihren Eigentümlichkeiten entsprochen ist. Die denkende Bearbeitung der Erfahrungsgrundlage ist demnach, sofern sie nur in der richtigen Weise geschieht, immer zugleich ein Bestätigtwerden der Denkergebnisse durch die zur Grundlage genommene Erfahrung.

2. Das Denken ist auf Grundlage gewisser Erfahrungen zu einem Resultat gekommen. Nun bietet sich weiteres Erfahrungsmaterial dar, das vielleicht von irgendeiner anderen Seite her das Denken doch zu denselben Ergebnissen hinführt. Diese zweite Form ist somit nur eine besondere Anwendung desselben Erkenntnisprinzips.

3. Diese letzte Form der Bestätigung ist die wichtigste. Es wird aufgrund der erwiesenen Sätze vorhergesagt, aß diese oder jene Erfahrung eintreten wird. Dies ist der erste Abschnitt dieses Erkenntnisprozesses, und ist nur eine Weiterführung derjenigen logisch-empirischen Operation, durch welche das zu bestätigende Ergebnis gewonnen wurde. Das Vorhersagen ist nur die besondere Art eines logisch-empirischen Verfahrens. Tritt nun die vorhergesagte Tatsache in oder trifft sie nicht ein, in jedem Fall erhält man eine neue Erfahrungsgrundlage, die der gewöhnlichen logischen Bearbeitung harrt. Und damit tritt der zweite Abschnitt dieses Erkenntnisprozesses ein. -

Auch hier ist also dasselbe Erkenntnisprinzip verwendet. Nur dadurch, daß die logische Bearbeitung der ersten Erfahrungstatsache mit einer Vorhersage endet, kann man hier von einer Bestätigung sprechen. - Also ohne das Denken wäre diese Bestätigung undenkbar.

Das objektive Erkennen ist nun nach seinen zwei Hauptstücken betrachtet. Wir wissen nun, wie die zwei Erkenntnisprinzipien zusammenwirken müssen, um ein objektives Erkennen hervorzubringen. Die weitere Frage der Erkenntnistheorie ist nun: wie verhält sich das Subjektive und das Objektive in der allgemeinen Natur des denkenden Erkennens? Mit anderen Worten: die prinzipiellen Schranken des denkenden Erkennens müssen abgehandelt werden. Erst dann wird man wissen, welche objektive Bedeutung dem Zusammenwirken der beiden Gewißheitsprinzipien zukommt.

Wird der Dualismus des Erkennens als die Getrenntheit des Denkens nicht nur von seinem transsubjektiven Gegenstand, sondern vom Transsubjektiven überhaupt gefaßt, so darf man gleich zusammenfassend die Sache so darstellen: die dualistische Natur des menschlichen Erkennens ist der Ursprung aller subjektiven Erkenntnisfaktoren. - Aus diesem Dualismus hat sich schon ergeben, aß wir der Wahrheit nur in der Form der Gewißheit innewerden. Weiter daß die Gewißheit des Denkens nur auf Glauben beruth und daß das Denken von seinen Bestimmungen eine Gültigkeit nur fordern kann. Ferner, daß das Denken ein unrealisierbarer Bewußtseinsvorgang ist, eine stellvertretende Funktion. Jetzt fragt es sich, ob und wie die konkreten Tätigkeiten des Denkens von jener subjektiven Grundbeschaffenheit desselben beeinflußt sind.

Zuerst läßt sich feststellen: das Verknüpfen als solches hat niemals den Anspruch etwas im Transsubjektiven zu entsprechen. Es ist nur eine subjektive Veranstaltung des menschlichen Bewußtseins zur Erzielung eines transsubjektiven Erkenntnisgehaltes, bezeichnet nur eine Zwischenstation zwischen dem Ausgangspunkt und bleibenden Schauplatz des Erkennens: dem Bewußtsein - und dem Ziel des Erkennens: der möglichst treuen Reproduktion des Transsubjektiven.

Die bisher genannten subjektiven Faktoren haben alle die dem Erkennen günstige Eigenschaft, daß sie sich von den objektiven Faktoren genau unterscheiden lassen. Sie können als der subjektive Apparat des Denkens bezeichnet werden.

Dazu treten die subjektiven Faktoren, die den Ergebnissen des Erkennens anhaften, und deshalb eine Ungewißheit im Erkennen hervorbringt. Wie oben gezeigt, wird ja das Erkennen normal vom Bewußtsein der Notwendigkeit begleitet. Die Ungewißheit nun drückt sich aus in einem allgemeinen Mangel an dieser Notwendigkeit und Unbezweifelbarkeit. - Die subjektiven Faktoren, die diese Ungewißheit hervorbringen, lassen sich in vier Gruppen ordnen, womit dann zugleich die vier entsprechenden Formen der Ungewißheit, die mit der Abhängigkeit des Denkens von der Erfahrung, zweitens die mit dem bildlichen Element des Denkens, drittens die mit dem persönlichen Element im Erkennen, viertens die mit der geschichtlichen Entwicklung des Denkens zusammenhängt.

Nicht nur das Verknüpfen überhaupt, sondern auch die besonderen Verknüpfungsweisen enthalten subjektive Faktoren, die ausschließlich als Funktionen, wodurch wir erst zur Erkenntnis gelangen, zu betrachten sind. Die verschiedenen Schlußformen lassen sich nur als subjektive Eigentümlichkeiten verstehen. Sobald wir uns die Wirklichkeit in derselben diskursiven Weise wie unser Erkennen denken, dann geraten wir ins Widersinnige.

Auch der Begriff enthält mehrere subjektive Faktoren:
    1. Die einigende Funktion des Begriffs oder die Form des Allgemeinen als solche, das In-Eins-Denken dessen, worin die Einzelvorstellungen übereinstimmen.

    2. Die stellvertretende Forderung, daß die individuelle Einzelanschauung des Allgemeinen eine unendliche Einzelgestaltung desselben repräsentieren soll. 3. Die Denkbewegungen, durch welche das Allgemeine als ein bestimmt hingestelltes, aber doch unerreichbares Ziel vorgestellt wird. -
Alle diese inneren Bewegungen bleiben subjektive Anstrengungen unseres Geistes, denen keine sachliche Bedeutung zukommt. In doppelter Hinsicht ist somit der Begriff ein unerreichbares Ideal: der Gedanke des Allgemeinen knüpft sich immer an eine bestimmte, einzelne Anschauung, sodann ist das Allgemeine auch nicht fertig ausgedacht, sondern uns nur in der Form gewissesr genau bestimmter Richtungen des Denkens gegenwärtig. Gerade am Begriff zeigt sich also die schrankenvolle, von ausschließlich subjektiven Elementen durchsetzte Natur des Denkens.
    "Der Begrifff erscheint wie ein Versuch des Bewußtseins, von seiner subjektiven Eingeschlossenheit aus verlangend und ringend des transsubjektiven Jenseits habhaft zu werden."
Nun erst läßt sich das Verhältnis zwischen Denken und Erfahrung bestimmen. Nun ist nämlich das Denken in seine einzelnen Funktionen aufgelöst und der Begriff als die einfachste, nicht weiter auflösbare Funktion gefunden. Wie verhalten sich nun Erfahrung und Denken im Begriff? Bezeichnet man das Innewerden des Einzelnen als Anschauen, so läßt sich alles Erfahrene als Anschauen betrachten. Die Frage kann dementsprechend auch so gestellt werden: Wie verhält sich im Begriff das Anschauen zum Denken? Wie gezeigt, enthält der Begriff das Anschauen. Die Vorstellung des Allgemeinen bedarf zu ihrer Anlehnung stets der mitvorgestellten Anschauung. Und dies in doppelter Hinsicht: Die Aufnahme der Anschauung in das Denken vollzieht sich teils neben dem Begriff, teils ist sie geradezu eine Aufnahme des Anschauens in den Begriff selbst: das Einzelne empfängt die Bedeutung des Allgemeinen und das Allgemeine wird lediglich am Einzelnen vorgestellt. Also in jedem gewöhnlichen Begriff findet sich ein intuitives Element vor.

Damit hat die frühere Bestimmung des Verhältnisses zwischen "Erfahrung" und "Denken" eine Ergänzung erreicht. Dort wurde die Erfahrung als Grundlage und Stoff des Denkens bezeichnet, hier nun auch in doppelter Beziehung als eine Funktion des Denkens selber.

Zuletzt wird nun der Begriff einer höheren Ordnung, der kausal gezogene Begriff und der Begriff vom Wesentlichen behandelt. Auch hier tritt die Subjektivität des Denkens hervor. Während die gesetzmäßige Verknüpfung, die jeder Begriff darstellt, eine entsprechende transsubjektive Gesetzmäßigkeit meint, so ist doch der Umstand von ausschließlich subjektiver Bedeutung, daß wir im Begriff die verschiedenen Faktoren der Gesetzmäßigkeit auseinanderhalten und die allgemeineren Faktoren durch die besonderen als fortschreitend determiniert denken. Was in der Wirklichkeit zusammen besteht, das erscheint im Begriff als auseinandergenommen, als Fortschritt vom Abstrakten zum Konkreten.

Ehe ich weiter in der Darstellung gehe, schiebe ich noch einige Bemerkungen ein. - Auch hier ist VOLKELTs Untersuchung nach dem Gegensatz: Subjektives - Transsubjektives orientiert. Und wenn er Erfahrung und Denken als den nur anderslautenden Ausdruck dieses Gegensatzes benutzt, so ist er damit in Übereinstimmung mit seiner früheren inkonsequenten Bestimmung der reinen Erfahrung. Hat er Erfahrung und Denken als Gegensätze dargestellt, hat er sogar damit zwei tief verschiedene Erkenntnisprinzipien benannt, dann ist es nur natürlich, daß er auch weiter untersucht, wie diese Gegensätze ein einheitliches Erkennen bilden können. - Aber ist es so wie oben gezeigt und wie VOLKELT selbst bei seinem Ausgangspunkt stillschweigend hat voraussetzen müssen, daß die sogenannte "reine Erfahrung" oder die "Selbstgewißheit des Bewußtseins" das ordnende, kausal verknüpfende Denken umfaßt, dann läßt sich VOLKELTs Ausführung hier methodisch nicht halten. VOLKELT will ja die zwei Erkenntnisprinzipien darstellen, insofern sie gemeinsam das Erkennen hervorbringen. Seine methodische Absicht ist keine Abrechnung zwischen Erfahrung und Denken überhaupt zu halten, sondern das unmittelbare Wissen und das durch Glauben der Denknotwendigkeit erreichte Wissen in ihrem Zusammenwirken zu betrachten. Steht es nun fest, daß die Erfahrung sich nicht mit dem unmittelbaren Wissen deckt und daß Denken nicht der Gegensatz des unmittelbaren Wissens ist, dann kann natürlich eine Untersuchung über das Verhältnis zwischen Erfahrung und Denken, wie interessant und vielseitig sie sein mag, nicht das Verhältnis zwischen den zwei Erkenntnisprinzipien darstellen. Hätte VOLKELT das unmittelbare Wissen oder das Erkenntnisprinzip der Selbstgewißheit des Bewußtseins konsequent durchgeführt, dann hätte er hier die Frage ganz anders stellen müssen, um das Zusammenwirken der zwei gefundenen Erkenntnisprinzipien zu untersuchen. Dann hätte er fragen müssen: wie verhält sich das intrasubjektive Wissen, mit Einschluß des das Bewußtsein ordnenden, kausal verknüpfenden Denkens zum transsubjektiven Wissen? Wie bringen sie gemeinsam das objektive Erkennen hervor? Damit wäre eine sehr schwierige Frage gestellt, die viel tiefer geht als die Frage nach dem Verhältnis zwischen Erfahrung und Denken. Er hätte dann untersuchen müssen, unter welchen Umständen dem intrasubjektiven Denken die Gewißheit, Transsubjektives zu erreichen, innewohnt, mit welchen anderen Gewißheitselementen im Bewußtsein sich das Denken verbinden um die Berechtigung seiner transsubjektiven Forderung subjektiv zu verbürgen. Und hier erst wäre dann die Erörterung über das Verhältnis zwischen Erfahrung und Denken eingetreten. Und dann auch in dem Sinne, wie es von VOLKELT getan ist. Abgesehen vom methodischen Mangel, der mit VOLKELTs früheren Erörterungen zusammenhängt, hat demnach der Abschnitt über Denken und Erfahrung samt den subjektiven Faktoren des Erkennens seine volle Gültigkeit auch unter dem Gesichtspunt, der von uns verfochten wird und der sich aus der konsequenten Auffassung des ersten Erkenntnisprinzips ergibt.

VOLKELT selbst sieht in den Analysen diese Abschnitts den Schwerpunkt seiner ganzen erkenntnistheoretische Untersuchung. Und so viel ist sicher, daß er hier die zwei Hauptfaktoren des objektiven Erkennens von einem neuen Gesichtspunkt aus beleuchtet hat und daß diese neue Fragestellung von großer Bedeutung für die Untersuchung sowohl des Wesens als auch der Grenzen und der Leistungsfähigkeit des Erkennens ist.

Er hat scharfsinnig und genau eine Abrechnung gehalten zwischen den zwei intrasubjektiven Vermögen: Anschauen und Denken, die zu den verschiedenen Zeiten in den verschiedensten Weisen aufgefaßt und zusammengestellt sind. Das Verdienst VOLKELTs hier ist besonders sein unwiderlegbarer Nachweis der Leistungsfähigkeit der reinen Erfahrung. Hier wo wir die Erfahrung im Verhältnis zum Denken betrachten, hat alles, was VOLKELT oben bei der Abrechnung mit den Positivisten darüber gesagt hat, seine volle Gültigkeit. Seine ganze Erörterung des Diskontinuierlichen, des Kausalitäts- und Regellosen der Bewußtseinsvorgänge der reinen Erfahrung läßt sich in diesem Zusammenhang nach allen Seiten verwerten. Er hat hier gezeigt, was übrig bleibt, wenn die Erfahrung von allem Denken rein ist. Er hat auch gezeigt, welche gewaltige Abstraktion eine solche "reine" Erfahrung ist, indem er die unbewußt-logische Bearbeitung der Erfahrung nachgewiesen hat. Und eben hier hat er eine Untersuchung vorgenommen, die dem erfahrungsphilosophischen Standpunkt gegenüber von entscheidender Bedeutung sein muß. Wenn wir von Dingen sprechen, die wir wahrzunehmen glauben, so ist das eine Täuschung. Dingvorstellungen entstehen erst, nachdem das Denken die Wahrnehmungen gruppiert und geordnet hat. Diese Bearbeitung nehmen wir aber nicht bewußt vor. Wir glauben vielmehr, das Gedachte mitzuerfahren. Dies gilt nicht nur von den Dingvorstellungen überhaupt, sondern auch von der Materie, der Kraft und der Kausalität. Damit ist jedoch der erfahrungsphilosophische Standpunkt, selbst vorausgesetzt, daß eine Außenwelt existiert, so reduziert, daß er sich als wissenschaftliches Prinzip kaum halten läßt. Denn erkennt man die denkmäßige Bearbeitung der Wahrnehmungen in diesem Punkt an, warum gibt man denn nicht dem Denken auch weiter das Recht, den Erfahrungsstoff zu bearbeiten?

Hiermit hat VOLKELT die Bedeutung des Denkens für die Erfahrung angegeben. Nun fragt es sich: welche Bedeutung hat die Erfahrung für das Denken? - Bei der Beantwortung dieser Frage ist VOLKELTs Orientierung von größter Bedeutung. Das Denken orientiert er nach seiner Gewißheit oder seinem Notwendigkeitsgefühl. Und bei der Untersuchung nun, welche Bedeutung die Erfahrung für das Denken hat, ist die Denknotwendigkeit der Maßstab. Er fragt einfach: unter welchen Umständen bekommt das Denken das Notwendigkeitsgefühl? Die Selbstbeobachtung gibt die Antwort: nur solange das Denken die Wahrnehmungstatsachen als Grundlage hat, nur solange die Erfahrung ihm den Stoff zu seiner Umgestaltung gibt, wohnt dem Denken die Gewißheit inne, werden seine Forderungen von einem Gefühl der Notwendigkeit begleitet. - Damit hat er erkenntnistheoretisch der Spekulation die Grenze gesetzt. HEGEL findet den Maßstab des Wirklichen im Denken, VOLKELT dagegen in der Denknotwendigkeit. Und da diese Notwendigkeit das Denken nur begleitet, wo es die Erfahrungstatsachen bearbeitet, so ist jede Denktätigkeit, die nicht als irgendeine Umgestaltung der Erfahrung betrachtet werden kann, ohne eine transsubjektive Gültigkeit, ohne objektiven Wert. Die Denknotwendigkeit ist also das zweischneidige Schwert, womit sich VOLKELT nicht nur aus dem Bann der schon etwas veralteten Spekulation loslöst, sondern auch aus dem Zauber des modernen Erfahrungs- oder Wahrnehmungsprinzips. Er selbst steht in der Mitte zwischen den beiden und behauptet, daß objektives Erkennen nur durch einen Dualismus, nur durch eine Verbindung ein Zusammenwirken der zwei Erkenntnisprinzipien möglich ist. - In dieser Verbindung mag auch sein scharfsinniger Nachweis bemerkt werden, daß die Bestätigung der Richtigkeit des Erkennens durch die Erfahrung, die oft als ein eigenes Erkenntnisprinzip angesehen wird, nur möglich ist durch ein Zusammenwirken der beiden Erkenntnisprinzipien, ja daß diese Bestätigung eigentlich nur eine erweiterte Form der gewöhnlichen logischen Bearbeitung der Erfahrung ist.

Wenn VOLKELT nun nach dieser grundlegenden Bestimmung des Verhältnisses zwischen Erfahrung und Denken im objektiven Erkennen, das Erkennen weiter nach seinen subjektiven Faktoren analysiert, so verfolgt er damit nur den Dualismus des Erkennens in seine kleinsten Bewegungen und Tätigkeiten hinein. Er zeigt uns Schritt für Schritt, wie jede Tätigkeit, aus der sich das objektive Erkennen zusammensetzt, die Merkmale des Dualismus in sich trägt. Und sein Nachweis hat zwei Zielpunkte: Erstens zeigt er das Postulative, das in jedem Denkakt liegt, das Ideal, das jede kleinste Bewegung des Denkens fordert, aber niemals erreichen kann, wie jede Begriffsbildung ein Postulat ist, das wir niemals so vollziehen können, wie wir es selbst verlangen, und verlangen müssen um überhaupt denken zu können. Zweitens zeigt er, wie das objektive Erkennen Faktoren enthält, die nichts Entsprechendes im Transsubjektiven haben können, sondern nur subjektive Eigentümlichkeiten unseres Denkens sind. Das diskursive in unserem Denken ist eine menschliche Unvollkommenheit, die wir nicht ohne Widerspruch in die transsubjektive Wirklichkeit hineindenken können.

Damit hat VOLKELT im Einzelnen gezeigt, wie beide Erkenntnisprinzipien in einer verwickelten Weise zusammenwirken müssen, um ein objektives Erkennen zu erzeugen, wie jede Denktätigkeit vom Dualismus des Erkennens beeinflußt ist, wie sich Subjektives und Objektives in den Denkakten selbst zusammenmischen. Die prinzipiellen Schranken des denkenden Erkennens hat er nachgewiesen. Die nächste Aufgabe ist nun zu untersuchen, wie diese dualistische Grundlage des Erkenntnisvermögens auf die Erkenntnisergebnisse wirkt, welchen Einfluß auf die Gewißheit des objektiven Erkennens diese subjektiven Erkenntnisfaktoren haben.

Ehe ich ihm zu dieser Untersuchung folge, verweile ich noch einen Augenblick bei seiner Stellung den modernen Versuchen gegenüber, das Denken aus der Erfahrung irgendwie abzuleiten. Die modernste Erkenntnistheorie ist von der darwinistischen Betrachtungsweise beeinflußt. Früher wurde von den Bekämpfern des Apriorismus und Rationalismus die Erfahrung schlechthin als alleinige Erzeugerin und Lehrmeisterin des Denkens hingestellt. Gegenwärtig scheint man sich mit der Berufung auf die Erfahrung überhaupt nicht begnügen zu wollen; man fühlt sich bei aller Richtigkeit doch auf einem noch zu unbestimmten Boden, als daß die Entstehung und Richtung der Denkvorgänge hieraus genauer verstanden werden könnte. Nun nimmt man den darwinistischen Gedanken von der Anpassung zu Hilfe und meint, daß das Denken als eine Anpassung an die Erfahrung entstanden ist. Die gewöhnliche positivistische Auffassung führt das Denken zurück auf der Aufsuchen von Ähnlichkeiten und Unterschieden - auf das Verallgemeinern. Aber mangelt der Verallgemeinerung ein leitendes Prinzip, dann ist es unmöglich, die nebensächlichen Ähnlichkeiten und Unterschiede von den förderlich zu trennen. Und hier tritt die Anpassung an die Erfahrung als leitendes Prinzip für die Verallgemeinerung ein. Es wird gewöhnlich in zwei verschiedenen Formen verwendet:
    1. Das Prinzip des kleinsten Kraftaufwandes - das wissenschaftliche Erkennen hat von Fall zu Fall diejenige Gedankenverknüpfung zu wählen, die es als die bequemste, als die lustvollste erfährt. Das Kriterium der wissenschaftlichen Wahrheit ist also das Maximum an Bequemlichkeit, an Kraftersparnis, an Lust.

    2. Das Prinzip des praktischen Erfolges - wissenschaftlich richtig sind die Sätze, die sich durch den praktischen Erfolg bewähren, durch die wir am besten die Natur beherrschen können. Also nicht nur der Wert des Wissens, sondern die Richtigkeit des Erkennens wird an der praktischen Zweckmäßigkeit gemessen.
VOLKELT zeigt nun zuerst, wie diese zwei ganz verschiedenen Prinzipien gewöhnlich verflochten sind, und zeigt auch verschiedene Abstufungen bei jedem Prinzip auf, die wir hier jedoch nicht weiter verfolgen können. - In unwiderleglicher Weise zeigt er dann, welche Unmöglichkeiten sogleich eintreten müßten, wenn bei der wissenschaftlichen Untersuchung jede sachliche Notwendigkeit ferngehalten würde und alle Ergebnisse nach dem Prinzip der Bequemlichkeit gesucht werden sollten. Für den einen wäre es vielleicht bequemer so, für einen anderen so zu denken, alles würde ein tolles Spiel oder zur völligen Ratlosigkeit werden. - Das Wahre in dieser Auffassung ist, daß das Denken in manchen Richtungen hin ein Vereinfachen ist. Jeder Begriff bedeutet eine ungeheure Erleichterung des Erkenntnisgeschäftes. Aber alles diese Vereinfachungen sind nur Folgeerscheinungen des von logisch-sachlicher Notwendigkeit geleiteten Denkens, nicht der Ausgangspunkt und das leitende Prinzip. - Will man andererseits den praktischen Erfolg als Kriterium der Wahrheit eines Erlebnisses aufstellen, dann meldet sich sogleich eine Schwierigkeit: die Ergebnisse sollen am praktischen Erfolg geprüft werden. Aber dann müssen sie erst als Ergebnisse da sein. Soll man nun zwischen den verschiedenen Alternativen, die vor der Prüfung natürlich alle gleich sind, auf gut Glück wählen? Oder soll man nach gewöhnlicher, logischer Bearbeitung der Erfahrung die eine oder andere Lösung wählen? Dann ist Denkarbeit geleistet, bevor der Erfolg als Maßstab des Denkens angewandt werden kann. - Dazu kommt noch: wie läßt sich der Erfolg beurteilen? Verschiedene Menschen urteilen darüber sehr verschieden. Ist nicht die sachliche Notwendigkeit hier als Maßstab anzuwenden, dann wird der Erfolg keine objektiv festzustellende Größe und das Denken damit natürlich ganz ratlos.

So haben wir gesehen, wie VOLKELT sowohl positiv als auch negativ das Verhältnis zwischen "Erfahrung" und "Denken" bestimmt. Und wenn hier die negative Seite, die Widerlegung der Gegner so verhältnismäßig eingehend erörtert ist, so soll es ein Ausdruck sein für unsere Beurteilung der kritischen Seite bei VOLKELT. Er hat - so weit ich sehe - auch hier nicht das Kleinste in negativer Richtung geleistet. Seine Widerlegung der in so vielen Gestalten auftretenden erfahrungsphilosophischen Erkenntnistheorie hat vielleicht mehr Bleibendes für die philosophische Forschung geleistet als sein eigenes positives System. Er hat in dieser Kritik Gesichtspunte aufgestellt, die früher oder später eine einschneidende Bedeutung für die erkenntnistheoretische Forschung bekommen werden, wenn auch erst, nachdem der gegenwärtige Bann der positivistischen Denkweis gebrochen sein wird.
LITERATUR: Ole Christian Hallesby, Johannes Volkelts Erkenntnistheorie, Inaugural-Dissertation, Erlangen 1909
    Anmerkungen
    8) Die Quellen der menschlichen Gewißheit, Seite 21.
    9) Erfahrung und Denken, Seite 507