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Johannes Volkelts Erkenntnistheorie [ 3 / 3 ]
Die Ungewißheit des Erkennens VOLKELT hat nun die prinzipielle Untersuchung des Erkennens zu Ende geführt. Er hat die zwei Erkenntnisprinzipien nachgewiesen, ihre gegenseitige Abhängigkeit geprüft, die Formen und Funktionen des Erkennens nach ihren kleinsten und inneresten Vorgängen beleuchtet und die Folgen des Dualismus des Erkennens in jeden Denkakt hinein verfolgt. Was er nun im Abschnitt von der Ungewißheit gibt, ist nur eine Verlängerung der schon gezogenen Grundlinien in das konkrete Erkenntnisgebiet hinein. Er zeigt hier in scharfsinniger Weise, welchen Einfluß der Dualismus des Erkennens auf die konkreten Erkenntnisresultate ausüben muß. Und gibt dazu eine eingehende Übersicht über die verschiedenen Formen der Ungewißheit, die als notwendige Folge des Dualismus nachgewiesen wird. Die allgemeine Eigentümlichkeit der Ungewißheit sieht er darin, daß die Ergebnisse des Erkennens nur als wahrscheinlich richtig ausgesprochen werden dürfen, daß nicht mit absoluter Sicherheit angegeben werden kann, ob und inwieweit den Ergebnissen des Erkennens eine objektive Gültigkeit oder bloß eine subjektive Bedeutung zukommt. Diese Ungewißheit tritt jedoch sehr verschieden auf. Eine Form der Ungewißheit rührt davon her, daß die Erfahrung als Grundlage des Denkens in einem gewissen Mißverhältnis zum transsubjektiven Gebiet steht. Und dieses Mißverhältnis kann wieder ein doppeltes sein: entweder liegt eine zu geringe Anzahl von Erfahrungstatsachen vor, oder es bietet die vorliegende Erfahrung nicht genug eindeutige Anhaltspunkte für ihre Verknüpfung und Anordnung. In beiden Fällen ist die Vieldeutigkeit der Erfahrungsgrundlage der Grund der Ungewißheit. Im ersten Fall ist sie eine begleitende Folge der Dürftigkeit des Erfahrungsstoffes, während sie im zweiten Fall für sich allein und selbständig als Mangel auftritt, ja oft gerade an einem in Fülle vorhandenen Erfahrungsstoff vorkommt. Die in diesen zwei Formen auftretenden Ungewißheit muß einfach als Unsicherheit bezeichnet werden; damit wird die Tatsache ausgedrückt, daß das Denken außerstande ist, zwingende Gründe und Beweise aufzustellen und so zu sicheren Ergebnissen zu gelangen. Noch in anderer Hinsicht kann die Erfahrungsgrundlage eine Ungewißheit des Erkennens herbeiführen. Es gibt je eine große Menge Vorgänge, die sich in meinem Bewußtsein abspielen und sich dennoch einer genauen Beobachtung entziehen. Doch diese Tatsache braucht nicht immer Ungewißheit hervorzubringen. Denn oft brauche ich nur meine Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Punkt zu lenken, um ein präzises Wissen davon zu bekommen. Erst dann wird das Erkennen unsicher, wenn das Fixieren der Erfahrungstatsachen trotz einem Hinlenken der Aufmerksamkeit schwierig oder unmöglich ist. Diese Ungewißheit kann nun drei Ursprünge haben:
Zweitens lassen sich die Erfahrungstatsachen nicht beobachten, wenn die Geschwindigkeit, mit der die Vorgänge vor meinem Bewußtsein vorübergehen, ein gewisses Maß übersteigt. Diese Form kann als Flüchtigkeit des Bewußtseinsinhaltes bezeichnet werden. Drittens entziehen sich die Erfahrungstatsachen der scharfen Beobachtung, wenn zu gleicher Zeit die Anzahl der im Bewußtsein stattfindenden Sukzessionen ein gewisses Maß überschreitet. Hier kann also jede einzelne Sukzession [Nacheinander - wp] für sich wohl beobachtbar sein. Die Schwierigkeit liegt hier in der Gleichzeitigkeit vieler verschiedener Vorgänge und kann als Häufung gleichzeitiger Sukzessionen bezeichnet werden. Diese zwei Arten der Ungewißheit, die Unsicherheit und die Unbestimmtheit, stammen beide aus einer gewissen Beschaffenheit der Erfahrung als Grundlage des Erkennens. Die beiden folgenden Arten dagegen lassen sich aus der Erfahrung als Stoff des Erkennens erklären und verstehen. Diese neue Form der Ungewißheit können wir nicht betrachten, ohne zuerst die verschiedenen Arten der Umformung des Erfahrungsstoffes zu fixieren. - Der prinzipiellste Unterschied läßt sich auf die Begriffe der Ähnlichkeit und der Analogie zurückführen. Im ersten Fall besteht die Umformung in einem einfachen Hinwegtun von Elementen und Hinzutun von anderen dergestalt, daß das Resultat trotz seiner Unerfahrbarkeit doch klar vorstellbar ist. Im zweiten Fall dagegen wird eine derartige Umformung gefordert, daß wir außerstande sind, diese Umwandlung wirklich zu vollziehen; sobald wir es versuchen, geraten wir in ein unauflösliches Dunkel hinein. Hier vermag das Denken nur die Richtung, in der der Erfahrungsstoff umgewandelt werden soll, anzugeben. Das zu erkennende Transsubjektive steht also hier in einem doppelten Verhältnis zu derjenigen Erfahrung, die den Erkenntnisstoff liefern soll: erstens müssen wir uns das Transsubjektive als ein fundamental andersartiges Sein, als der Erfahrungsstoff ist, vorstellen und bleiben mit unserem Vorstellen ebendarum im Dunkel; sodann aber muß das Transsubjektive trotz seiner Unvergleichlichkeit doch als zum betreffenden Erfahrungsstoff in Beziehung stehend vorgestellt werden, sonst wäre es ja keine Umformung. Dieses Zugleichbestehen von Unvergleichbarkeit und Ähnlichkeit wird gewöhnlich als Analogie bezeichnet. Betrachten wir die Sache konkret, so sehen wir, daß z. B. der Physiker seinen Erfahrungsstoff immer umbilden muß teils durch Subtraktion teils durch Addition. Er zieht selbstverständlich nicht nur das bewußte Wahrgenommenwerden stillschweigend ab, sondern auch die Empfindungsqualitäten. Diese Umformung nun bereitet keine Schwierigkeit. Zwar ist sie unerfahrbar, aber doch im Bereich des klar Vorstellbaren. Die Schwierigkeit kommt erst, wenn der Erfahrungsstoff nach Analogie umgebildet werden soll. Die individuellen Bewußtseinszustände anderer bewußter Subjekte ist es nur möglich zu erkennen durch Schließen von unseren eigenen Bewußtseinsvorgängen aus. Ferner das Unbewußt-Psychische können wir uns nur durch Subtraktion unseres Bewußtseins, was doch unvollziehbar ist, vorstellen. Hier kann nur die Richtung, nach der der Erfahrungsstoff unseres eigenen Inneren umzubilden ist, mehr oder weniger ungefähr angegeben werden. - Damit ist noch ein subjektiver Zug des Erkennens nachgewiesen: im Erkennen nach Analogie tritt die Forderung eines unvollziehbaren Bewußtseinsvorgangs auf. Wir sind gänzlich außerstande, diese Umformung zu Ende zu denken. Schließlich läßt sich diese Dunkelheit lediglich auf das Erkennen nach Analogie zurückführen und tritt demnach in folgenden Wissensgebieten auf: Die Bewußtseinsvorgänge anderer menschlicher Individuen, das Bewußtseinsleben der Tiere, das Unbewußt-Psychische, das endliche Wesen der Erscheinungen und das unendliche Wesen derselben. Noch eine Art von Ungewißheit entspringt aus der Umformung des Erfahrungsstoffes, nämlich die mit den Antinomien zusammenhängende Ungewißheit. Das Gebiet dieser Art läßt sich scharf abgrenzen. Nur derjenige Teil des Unerfahrbaren, der als das Wesen der Dinge bezeichnet wird, führt unser Denken in Antinomien hinein, mit anderen Worten: nur die metaphysischen Bemühungen sind von diesen Widersprüchen gefährdet. - Will man nun dieses Gebiet genauer abgrenzen, so muß man sich klar machen, wie wir eine Kenntnis von den Dingen bekommen. Wir wissen dann schon, daß das Denken auf Anlaß der Erfahrung den Stoff derselben so umbildet, daß aus den zusammenhanglosen Erfahrungsbruchstücken kontinuierliche und kausal verknüpfte Reihen werden. Diese Reihen lassen sich in zwei Arten teilen: eine Reihe von teils menschlichen teils tierischen Bewußtseinssphären und eine Reihe von unbewußten Vorgängen. Dieses transsubjektiv-psychophysische Gebiet setzt sich zusammen aus dem unmittelbar Erfahrenen, das mir mein eigenes Bewußtsein darbietet, und einer Anzahl unerfahrbarer Daseinsgebiete. Hiermit hat nun das Denken die Bruchstücke der Erfahrung in geordnete Reihen gebracht. Wäre nun unser Erkennen damit zufrieden, so würde es keinen Unterschied zwischen Erscheinung und Wesen geben. Aber unser Denken fühlt sich gedrängt, die gefundenen Reihen auch zu ordnen, ihren inneren Zusammenhang zu finden, sie als ein Ganzes zu überschauen, d. h. es muß, um seiner inneren Forderung Genüge zu leisten, diese abgeleiteten Reihen auf ihre ursprüngliche einheitliche Kausalität zurückbringen. Damit ist nun die Frage nach dem Wesen der Dinge gestellt. Und da die Untersuchung dieses Gebietes Metaphysik genannt wird, so ist damit auch die Berechtigung dieser viel umstrittenen Wissenschaft prinzipiell behauptet. Diese Behauptung wird einfach dadurch begründet, daß der Unterschied zwischen dieser Wissenschaft und den übrigen mehr von quantitativer als von qualitativer Art ist. In jeder selbst in der exaktesten Wissenschaft - werden die Resultate gewonnen durch eine logische Umbildung des Erfahrungsstoffes. Also muß jede Wissenschaft das Gebiet des Unerfahrbaren betreten. Dies ist folglich keine Eigentümlichkeit der Metaphysik. Auch nicht der Mangel an Erfahrungsbestätigung ist der Metaphysik eigentümlich. Der Unterschied liegt vielmehr in der weiteren Entfernung von den Erfahrungstatsachen, und dieser Umstand ist der Grund des Antinomischen, das immer die metaphysischen Ergebnisse begleitet. Jede Unbegreiflichkeit führt sich stets auf einen Widerspruch zurück. Das Denken vermag gewisse Gedanken, die in einer metaphysischen Auffassung enthalten sind, nicht zusammenzudenken: so entsteht Unbegreiflichkeit. Eine jede von zwei entgegengesetzten metaphysischen Auffassungen führt bei dem Versuch sie zu durchdenken ins Unbegreifliche oder zu Widersprüchen. - Wäre es nun, wie KANT und SPENCER behaupten, daß sowohl Thesis wie Antithesis in vollkommen zwingender Weise bewiesen werden können, so stünde das Denken ratlos. Aber die Sache steht nicht so. Es gibt Widersprüchef von zerstörender und solche von erträglicher Natur. Im ersten Fall urteilen wir: die mit einer Auffassung verknüpften Widersprüche machen diese Auffassung zu einer falschen, es ist unmöglich, daß etwas dieser Auffassung Entsprechendesf in Wirklichkeit bestehen kann. Im zweiten Fall finden wir auch Widersprüche, aber sie treffen nur das nähere Ausdenken der logischen Forderung, vernichtet jedoch nicht diese selbst. Die Sache stellt sich uns so dar: es ist wahrscheinlicher anzunehmen, daß der Widerspruch, den wir nicht wegzuschaffen vermögen, von einem vollkommeneren Denken aufgelöst werden kann, als die gegenteilige Lösung für wahr zu halten. Auf diese Weise verlangt das Übervernünftige in der Metaphysik sein Recht. Dasselbe gilt vom Irrationalen. Denknotwendig werden wir genötigt zur Annahme eines Seienden, das für alle Denknotwendigkeit unzugänglich ist. Dazu gehören beispielsweise die Tatsachen des Endlichen, des Schmerzes, des Bösen. Die Denknotwendigkeit zwingt us, wenn wir diese Tatsachen logisch bearbeiten wollen, zu der Annahme, daß ihne etwas allem Denken schlechthin Fremdes, ein Jenseits aller Vernunft zugrunde liegt. Das Irrationale läßt sich deshalb nicht positiv denken, nur negativ in ein Verhältnis zum Denken und zur Vernunft als seinem Gegensatz bringen. - In einem dreifachen Sinn kann sich also das metaphysische Sein unserem Denken entziehen:
Zweitens in der Form des Übervernünftigen. Was unserer schrankenvollen Einsicht unmöglich ist zu durchdenken, nehmen wir für eine Übervernunft als möglich an. Drittens in der Form des Irrationalen. Durch das Denken werden wir zu der Forderung genötigt, daß die metaphysische Wirklichkeit in gewisser Hinsicht als ein schlechthin Andersartiges zu Denken und Vernunft anzunehmen ist. Die bisher erörterten Arten der Ungewißheit entsprangen alle aus dem Verhältnis des Denkens zur Erfahrung. Die nun behandelnde Ungewißheit dagegen entspringt aus der Abhängigkeit des unsinnlichen Vorstellungsinhalts vom sinnlichen. - Unser Vorstellungsinhalt zerfällt in drei Klassen: in einen räumlichen, unräumlichen aber sinnlichen und einen unsinnlichen. Die Selbstbeobachtung zeigt uns nun, daß wir imstande sind Unsinnliches direkt ohne Stellvertretung vorzustellen. Doch zeigt sich zugleich, daß die Vorstellungen an Deutlichkeit gewinnen, wenn auch ein sinnlicher Vorstellungsinhalt verwendet wird, um das Innerliche in bildlicher Weise vorzustellen. Die Frage ist nun, inwieweit das Bildliche beteiligt ist bei der bestimmten Fassung und Prägung der Gedanken selber. Die meisten unserer sprachlichen Ausdrücke zeigen uns eine solche Versinnlichung des Unsinnlichen. Und sehen wir näher zu, geht die Bedeutung des Sinnlichen in zwei Richtungen: es fixiert vor unserem Auge das Unsinnliche, läßt es greifbarer erscheinen. Aber auf der anderen Seite geht von diesem Bildlichen eine gewisse Unbestimmtheit aus; es geht eine Verdeutlichung und eine Verdunkelung Hand in Hand. Und mit dieser Verdunkelung folgt eine merkliche Abnahme des logischen Zwangs. Hier treffen wir ein neues Erkennen nach Analogie. Früher wurde das Transsubjektive nach Analogie des Intrasubjektiven, hier wird das Unsinnliche nach Analogie des Sinnlichen erkannt. Dazu finden wir hier ein neues intuitives Moment des Erkennens. Die Vorstellung des Unsinnlichen ist in demselben Akt die des Sinnlichen. Die Vorstellung des Unsinnlichen setzt sich in das entgegengesetzte Element um. Und diese Doppelstellung läßt sich nur durch das Anschauen realisieren. Eine weitere Form der Ungewißheit entspringt aus den gefühlsmäßigen Elementen des Erkennens. - In welchen Beziehungen muß sich das Denken, um seine Zwecke erreichen zu können, des Fühlens bedienen? Wir sahen schon, daß das Erkennen nach Analogie und das bildliche Erkennen vom Gefühl abhängig ist. Das Gefühl tritt da als vermittelndes Glied zwischen Denken und Anschauen ein. Die Tätigkeit des Denkens wird nur dadurch möglich, daß das Denken selbst fühlend wird. Die Frage liegt dann nahe: ist nicht damit das Fühlen zu einer besonderen Erkenntnisquelle, zu einem dritten Erkenntnisprinzip erhoben worden? So ist es nun doch nicht. Das Denken ordnet sich nie der bloßen Gefühlsleitung unter, es erkennt den Inhalt des Fühlens nur insofern an, als es von sich aus denselben gutheißt. Das Denken muß die Leistung des Gefühls vom Standpunkt der logischen Notwendigkeit entweder noch einmal leisten oder sie korrigieren oder geradezu verwerfen. Was das Denken durch das Gefühl erfährt, ist also im besten Fall nur eine Erleichterung des eigenen Tuns. Doch nicht nur diese, den intuitiven Elementen des Denkens entsprechende Gefühlsfunktion des Denkens läßt sich beobachten. Es zeigt sich allzu oft, daß, wo die Operationen des Denkens unsicher zu werden anfangen, sich leicht moralische, ästhetische, religiöse Bedürfnisse in das Erkenntnisstreben hineinmischen, und doch glaubt der Forscher, daß er allein dem Zwang der empirisch-logischen Notwendigkeit gehorcht. Dies findet natürlich besonders da statt, wo das analogiemäßige und bildliche Erkennen gefordert ist. Zuletzt kommt nun die Ungewißheit, die aus der geschichtlichen Entwicklung des Erkennens fließt. Hier treffen wir die letzten und schicksalsschwersten Konsequenzen des Glaubenscharakters des Denkens: die Geschichte der Philosophie zeigt uns eine fast unüberblickbare Menge von philosophischen Anschauungen, die einander im Tiefsten widersprechen. Und alle berufen sich auf die logische Notwendigkeit. Mehrere Denknotwendigkeiten annehmen heißt selbstverständlich die Objektivität des Erkennens aufgeben. Also scheint zuletzt ein wirklich objektives Erkennen doch unerreichbar. So schlimm steht die Sache nun doch nicht. Die philosophischen Richtungen widersprechen einander, aber es zeigt sich doch immer ein Fortschritt in der Aufklärung und Zuspitzung, ja auch in der Lösung der Probleme. Und die einander widersprechenden Denknotwendigkeiten lassen sich als unentbehrliche Triebkräfte der Entwicklung des philosophischen Erkennens betrachten. Sie sind notwendige Durchgangspunkte. Der neue Gedanke muß zuerst für sich ausgebildet werden, bevor er in die gehörige Verkettung mit den übrigen berechtigten Momenten treten kann. Und es zeigt sich auch in der Geschichte der Philosophie überall, daß die einseitigen, abstrakten Systeme durch vermittelnde konkrete Systeme ergänzt werden. Damit sind diese einander widersprechenden Denknotwendigkeiten nicht mehr fremde, alogische Mächte, sondern die Organe, deren sich die eine echte Denknotwendigkeit bedient, um sich durch sie immer reiner hervorzutreiben. In diesem Zusammenhang erörtert nun VOLKELT zuletzt den Irrtum. Und von VOLKELTs Ausgangspunkt läßt sich diese Erscheinung erkenntnistheoretisch einfach erklären. Der Irrtum ist ja nur eine letzte Folge des Dualismus des Erkennens, eine allzu leicht mögliche Konsequenz der Subjektivität unserer Denkfunktionen. - Ein Problem dagegen wird der Irrtum, wenn man, wie HEGEL und die subjektiven Idealisten, das Denken mit dem Sein identifiziert. VOLKELTs vielseitige Untersuchung der Ungewißheit habe ich mit Absicht so breit und eingehend wiedergegeben. Was er in diesem Abschnitt gegeben hat, sozusagen "das System der Ungewißheit", ist eine Leistung von großer wissenschaftlicher Bedeutung und Tragweite. Er hat hier ein Problem erörtert, das heutzutage nicht so viele Forscher interessiert. Er hat die Frage durchgearbeitet, die vielen Denkern in unserer Zeit einen fast panischen Schrecken eingeflößt hat, so daß sie meinten, das von Ungewißheit gefährdete Wissen muß schlechthin aufgegeben werden. VOLKELTs Verdienst ist nun, daß er die Ungewißheit nach ihrer Wurzel, ihrem Wesen, ihrer Erscheinung und ihrer verschiedenen Konsequenzen der Untersuchung gezogen hat. Von entscheidender Bedeutung scheint mir hier, was er vom Ursprung der Ungewißheit nachgewiesen hat. Die Orientierung nach dem Dualismus des Erkennens läßt uns die Ungewißheit kennen lernen nach ihrer inneren lebendigen Betätigung als einen Parasitenorganismus, der immer in der einen oder anderen Form an der Denktätigkeit klebt, ja er hat uns die Entwicklung dieses Organismus gezeigt von seiner Geburt bis zu dem Punkt, wo er dem Denken jede Kraft, seine transsubjektiven Forderungen auszudenken, genommen hat. Das Aufzeigen dieses verwickelten Verhältnisses der Ungewißheit zum Denken gehört sicher zu den bedeutendsten Untersuchungen VOLKELTs. Hier ist die Ungewißheit nach ihrem inneren Wesen gefaßt, und von hier aus werden nun ihre scheinbar zufälligen Erscheinungen in den verschiedenen Graden und in den verschiedenen Wissensgebieten geprüft und erklärt. Die folgenreichste Konsequenz, die VOLKELT aus diesem Tatbestand zieht, ist ohne Vergleich die Anerkennung der Metaphysik als Wissenschaft. Und wenn er die Sache so dargestellt hat, daß wir konsequenterweise keinen Grund und kein Recht haben, das Gebiet der Metaphysik aus der Wissenschaft auszuschließen, so hat er neue Gesichtspunkte aufgestellt, die zu einer Zuschärfung und einer tieferen Erklärung dieses Problems beitragen müssen. Wie man sich dazu stellen mag. VOLKELTs Gesichtspunkte und die Lösung dieses viel umstrittenen Problems müssen widerlegt werden, bevor man aufs Neue mit Achselzucken die Metaphysik als eine längst veraltete Sache beiseite schiebt. Und man darf es wohl als ein Zeichen der Einseitigkeit der modernen philosophischen Forschung ansehen, daß nun 20 Jahre, seitdem VOLKELTs System erschien, dahingegangen sind, ohne daß die Gegner einen wirklichen Versuch gemacht haben, es nach seinen Grundprinzipien zu widerlegen (10). Blicken wir ein wenig in die Einzelerörterungen hinein. Was VOLKELT in diesem Abschnitt näher nachgewiesen hat, daß jede Erkenntnis durch eine denkende Umbildung der Erfahrung gewonnen wird, ist der eigentlich neue Gesichtspunkt, von dem aus ein neues Licht über die einzelnen Erkenntnisfunktionen und die verschiedenen Erkenntnisgebiete fällt. Von hier aus läßt sich die merkwürdige Erscheinung, die wir Gewißheit nennen, erklären als das Resultat einer nach den Denkgesetzen vollziehbaren Umbildung eines bestimmt vorgefundenen Erfahrungsstoffesf. Von hier aus läßt sich weiter die subjektive Willkürlichkeit erklären, die immer auftritt, sobald das Denken auf eigene Hand ohne Rücksicht auf den Erfahrungsstoff vorgeht. Und von hier aus läßt sich auch die Ungewißheit erklären, die sich in den von der Erfahrung fernliegendsten Gebieten gewöhnlich in die Erkenntnis einmischt. Von hier aus fällt auch ein helles Licht auf die zwei Umbildungsarten, die des Erfahrungsstoffs wegen notwendig sind: die Umbildung nach Ähnlichkeit, die selten von Ungewißheit gefährdet ist, und die Umbildung nach Analogie, die wegen des Mangels an Erfahrungsstoff immer etwas Schwankendes haben muß. Hier finden wir zwei wichtige Gesichtspunkte: erstens wird gezeigt, daß sich die beiden Formen der Umbildung nicht qualitativ sondern nur quantitativ unterscheiden. Beide formen die Erfahrung um. Beide treten in den Bereich des Unerfahrbaren hinein. Er zeigt einfach und klar, daß in den alltäglichsten Denktätigkeiten diese Umformung der eigenen Erfahrung nach Analogie vollzogen werden muß, ja daß es uns unmöglich wäre die Bewußtseinsvorgänge anderer menschlicher Subjekte oder die der Tiere zu erkennen, wenn wir uns nicht ihre Bewußtseinsvorgänge nach den unsrigen vorstellen könnten. Damit ist also festgestellt, daß die Umbildung der Erfahrung, die fast immer den metaphysischen Ergebnissen den Charakter der Ungewißheit mitteilt, keine für dieses Gebiet eigentümliche Schwierigkeit des Erkennens ist, sondern sich auch in der Psychologie und der Geschichte findet. Die eine dieser Wissenschaften um der Ungewißheit willen zu verwerfen und die anderen nicht, ist also Willkür. In dieser Verbindung werfen wir auch einen Blick auf VOLKELTs Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wesen. Wie wir schon gesehen haben, bezeichnet VOLKELT den kantischen Gegensatz: "Erscheinung - Ding ansich" mit den Worten: "Subjektives - Transsubjektives". Mit Erscheinung meint er also nicht etwa die Erfahrung im Gegensatz zum Unerfahrbaren. "Erscheinung" ist nach VOLKELT das Unerfahrbare, insofern er als einfache Bearbeitung und Ordnung der Bruchstücke der Erfahrung betrachtet wird. "Wesen" dagegen ist das Unerfahrbare, insofern es selbständiger, mehr auf sich beruhend ist, insofern es dem Halt und Quell allen Erfahrungsdaseins näher liegt, oder als dieser selbst betrachtet werden kann. Er drückt es so aus, daß diese zwei Bereiche des Unerfahrbaren sich durch eine wesentlich verschiedene Art der Gesetzmäßigkeit unterscheiden lassen, und diese zwei Arten der Gesetzmäßigkeit verhalten sich wie Abhängiges und Ursprüngliches, wie äußerlich und innerlich Notwendiges, wie Oberfläche und tieferer Zusammenhalt. VOLKELT hat damit die Grenze zwischen Erscheinung und Wesen in Konsequenz mit seinem dualistischen Erkenntnisprinzip gezogen, und stellt fest, daß der Schritt von der Erscheinung zum Wesen unserem Erkennen möglich ist, selbst wenn die weitere Entfernung von der Erfahrung, die dieser Schritt mit sich bringt, dem Denken große Schwierigkeiten bereitet. - Der entscheidende Gesichtspunkt, den VOLKELT in das Verhältnis zwischen Erscheinung und Wesen eingeführt hat, ist der Gedanke vom Unerfahrbaren, das sowohl den Erscheinungen als auch dem Wesen gehört. Solange man wie KANT und die Neukantianer die Erscheinung als das Erfahrbare, das Wesen als das Unerfahrbare bestimmt, ist es ja natürlich, daß die Wissenschaft vom Wesen der Dinge, die Metaphysik, etwas problematisch erscheinen muß. Sieht man dagegen ein, daß jede Erscheinung das Unerfahrbare enthält und enthalten muß, um überhaupt ein vom Denken geordnetes und kausalverknüpftes "Ding" zu sein, dann läßt sich die gewöhnliche Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wesen nicht mehr halten. Dann muß innerhalb des Bereichs des Unerfahrbaren selbst der Unterschied gesucht werden. Und wie VOLKELT zeigt, ist es auch hier ganz notwendig einen Unterschied zwischen Erscheinung und Wesen zu machen. Die Beobachtung des Erkennens zeigt uns, daß das Denken selbst einen Unterschied macht zwischen zwei Arten Gesetzmäßigkeit, zwischen Ordnung in erster und Ordnung in zweiter Potenz. Zuerst werden die Erfahrungsbruchstücke in Reihen geordnet und kausal verknüpft. Sodann werden diese Reihen geordnet, nach ihrem innersten Wesen betrachtet und verknüpft, wie es immer dem Denken eigentümlich ist, nach dem Wesentlichen zu ordnen. Wenden wir uns nun weiter zu den Antinomien, so tritt uns besonders VOLKELTs Gabe nüchterner Beobachtung entgegen. Er hebt gar nicht die große Schwierigkeit auf, die der Metaphysik durch die Antinomien in den Weg gelegt wird. Aber er sieht auch, daß die verschiedenen Widersprüche, die uns auf diesem Gebiet begegnen, von sehr verschiedener Art sind. Er zeigt, daß KANT und SPENCER die Schwierigkeit übertrieben haben, wenn sie meinten, Thesis und Antithesis lassen sich gleich streng beweisen, und die Widersprüche der einen seien ebenso vernichtend wie die der anderen. Der Unterschied, den nun VOLKELT macht zwischen den unser Denken ganz verwirrenden Widersprüchen und denjenigen, die auf dem Unvermögen unseres Denkens sie zu Ende zu denken beruhen, ist eine wichtige und entscheidende Tatsache, die hoffentlich auf die fast epidemische Antinomienfurcht ein wenig beruhigend wirken wird. Die unvollziehbare Forderung, welche die Antinomien enthalten, ist von VOLKELT mit meisterhafter Konsequenz durch die ganze Denkbarkeit hindurch nachgewiesen als eine organische Schwachheit der Denktätigkeit, die insofern nicht nur in den Antinomien auftritt, sondern eine lange Entwicklungsgeschichte hat von der grundlegenden unvollziehbaren, transsubjektiven Forderung der Denknotwendigkeit an bis zur Unvollziehbarkeit in den Antinomien, die scheinbar jedes Denkergebnis vernichtet. Eben diese subjektive Seite unseres Erkennens, ja der kleinsten Funktion desselben macht die Unausdenkbarkeit der logischen Forderungen in den Antinomien erträglich. Was uns unausdenkbar erscheint, kann doch in Wirklichkeit irgendwie möglich sein. Ebensowenig wie wir das Diskursive in unserem Denken auf die Wirklichkeit übertragen, ebensowenig braucht das, was uns unausdenkbar ist, in der Wirklichkeit existenzunmöglich zu sein. Von größtem Interesse scheint mir, was VOLKELT über das Übervernünftige und das Irrationale ausführt: die Denknotwendigkeit selbst nötigt uns zu der Annahme sowohl des Übervernünftigen wie auch des Vernunftlosen. Hier liegt eine scharfe Beobachtung des Denkvorgangs zugrunde, und es gehört zu den mutigsten Folgerungen, die VOLKELT aus der Denknotwendigkeit zieht, wenn er hier den alten Dualismus, der besonders vom Christentum hervorgehoben worden ist, wieder in die Philosophie einzuführen wagt. Hier treffen wir auch einen Zug, der zeitgeschichtlich sehr interessant ist. Während der Monismus seit HEGEL in verschiedener Weise - philosophisch, wie ethisch und religiös - die philosophische Forschung, mit einzelnen Ausnahmen, beherrscht hat, so hören wir hier die Stimme eines Menschen, der scharfhörend dem Seufzen der letzten Generationen gelauscht hat, die mehr als irgendwelche vorhergehende das undurchdringliche, schwere Rätsel des Lebens haben erfahren müssen. Hier hören wir in philosophischer Sprache, wovon uns die schöne Literatur schon längst mit herzzerreißendem Realismus erzählt hat: die Irrationalität der Welt und des Menschenlebens. - Zu jeder Zeit haben die faktischen Erlebnisse des Menschengeschlechts, mögen sie von politischer, sozialer, technischer oder ethisch-religiöser Art gewesen sein, die Fragestellung der Philosophie mehr oder weniger beeinflußt. Es wäre dann nur natürlich, daß auch die gegenwärtige Erfahrung des Menschengeschlechts in der Philosophie mitsprechen wollte und mußte. Und in dieser Hinsicht läßt sich VOLKELTs Stimme verstehen als eine der ersten, die der letzten großen Erfahrung des Menschengeistes einen philosophischen Ausdruck zu geben versucht haben. Wie dieser Versuch gelungen ist, wird wohl erst die kommende Zeit zeigen, aber soviel steht fest: die philosophische Problemstellung ist dadurch verschärft. Zuletzt ein paar kritische Bemerkungen. Ich habe oben hervorgehoben, wie VOLKELT das Verhältnis zwischen Erfahrung und Denken bestimmt hat als eine Umformung teils nach Ähnlichkeit teils nach Analogie. Trotz der scharfen Beobachtung und der meisterhaft klaren Darstellung, die uns eben dieser Abschnitt zeigt, vermisse ich doch etwas. Die eigentümliche Bedeutung der Erfahrung für die Denktätigkeit hätte genauer dargestellt werden können, ja müssen. Wenn es so ist, wie VOLKELT behauptet, daß das Denken immer eine Erfahrungsgrundlage haben muß, um denknotwendige Ergebnisse erzeugen zu können, dann ist der Erfahrung eine Stellung eingeräumt, die eine eingehende Behandlung verlangt. Zwar hat VOLKELT die Erfahrung etwas näher zu beleuchten versucht, z. B. wo er von der Erfahrung als Reiz, Grundlage und Bedingung des Denkens spricht. Aber auch hier vermißt man die Hauptsache: eine nähere Behandlung dessen, was der Erfahrung ein so maßgebliche Bedeutung für das Denken gibt. Was ist es für eine eigentümliche Macht in dem, was wir Erfahrungstatsache nennen? Wie läßt sich die Erfahrung erklären als eine solche dem Denken Gewißheit spendende Quelle? Selbst wenn es unmöglich ist diese Frage zu beantworten, so hätte VOLKELT doch das merkwürdige Geheimnis unserer Erfahrungsfunktion erörtern müssen. Denn hier liegt eine ganz eigentümliche Tatsache vor. Sowohl durch die Sinneswahrnehmung und die innere Wahrnehmung als auch durch die Denktätigkeiten bekommen wir Eindrücke oder Abdrücke in unserem Bewußtsein. Wir nennen sie Bewußtseinsvorgänge. Theoretische betrachtet ließe sich nun denken, daß alle diese Bewußtesinsvorgänge, da sie ja alle intrasubjektive Bilder sind, von gleichem Wert wären. Wir besitzen sie ja alle mit unmittelbarer Gewißheit, sie gehören alle zur Selbstgewißheit des Bewußtseins. Allein das Merkwürdige ist, ddaß ein so großer Unterschied zwischen diesen Bewußtseinsbildern vorhanden ist. Die Bilder, die unser Bewußtsein durch äußere oder innere Wahrnehmung bekommt, haben für das Denken einen ganz anderen Wert als die übrigen Bewußtseinsvorgänge. Nur in Verbindung mit den ersten, nur durch Ordnung und Verknüpfung der Bewußtseinsvorgänge, die durch Wahrnehmung in uns hervorgebracht sind, erhält die Denktätigkeit eine Notwendigkeit und damit Gewißheit. Diese Tatsache liefert uns nun allerdings etwas zur Beleuchtung der oben gestellten schwierigen Frage. Auch VOLKELT meint, daß objektives, denknotwendiges Erkennen nur erzeugt werden kann, wo die zwei Erkenntnisprinzipien zusammenwirken. Aber wie ich eben gezeigt habe, kommt objektives Erkennen nicht überall zustande, wo die zwei Erkenntnisprinzipien zusammenwirken. Will das Denken seine eigenen Gedankenbilder verknüpfen, so wirken gewiß auch die zwei Erkenntnisprinzipien zusammen. Aber Denknotwendigkeit wird dadurch nicht erzeugt. Meine Behauptung geht nun dahin: erst wenn die zwei verschiedenen transsubjektiven Forderungen, die der Wahrnehmung und die des Denkens zusammenwirken, entsteht die Gewißheit, die wir Denknotwendigkeit nennen. - Wie ich oben gegen VOLKELT hervorgehoben habe, daß die verschiedenen transsubjektiven Forderungen und die ihnen entsprechenden Gewißheitsinstanzen zusammen als organische Einheit zur Bürgschaft der Existenz einer transsubjektiven Welt gemacht werden müssen, so finde ich, daß dasselbe organische Moment sich auch hier kundgibt, indem immer zwei verschiedene Gewißheitsinstanzen zusammenarbeiten müssen, wenn das Ergebnis mit dem Gefühl der Notwendigkeit in uns reagieren soll. Hier finde ich eine merkwürdige Kontrolleinrichtung unserer Organisation. Erfahrung allein gibt zwar Gewißheit, aber weder Notwendigkeit noch objektives Erkennen. Denken ebenso. Miteinander ausgefüllt und durcheinander kontrolliert, geben sie zusammen objektives Erkennen. Und von hier aus erhebt sich noch ein Einwand gegen VOLKELTs Erörterung des Verhältnisses zwischen Erfahrung und Denken. VOLKELT setzt voraus, daß, wo Erfahrung und Denken zusammenwirken, normal die Möglichkeit der Denknotwendigkeit gegeben ist. Aber dann ist es inkonsequenz, daß er bei der Behandlung der äußersten Grenzen unseres objektiven Erkennens nicht auch das ethische und religiöse Erkennen mit hereingezogen hat. Denn nach der Religionsforschung des letzten Jahrhunderts läßt sich die alte Auffassung der Religion als einer oberen oder unteren Tätigkeit der Vernunft oder des Denkens wohl nicht mehr so oft vernehmen. Und gibt man zu, daß das Religiöse wie das Ethische erlebt und nicht durch logische Denkarbeit erzeugt wird, dann sehe ich keinen formellen Unterschied zwischen diesen inneren Wahrnehmungen und den übrigen inneren Wahrnehmungen, die ohne Weiteres als gültige Grundlage und Stoff für die Denktätigkeit anerkannt werden. Insofern wäre also zu untersuchen, unter welchen Umständen, in welchem Grad und in welchem Umfang die Denktätigkeit mit den religiös-ethischen Erfahrungen als Grundlage und Stoff von Notwendigkeit und Gewißheit begleitet wird. Ebenso die sehr interessante Frage, wieviel unbewußt-logische Umformung wir bei den religiös-ethischen Erfahrungen voraussetzen müssen und dürfen. - Daß dieser Erfahrungsstoff dem Denken vielleicht schwieriger zu bearbeiten und zu ordnen ist, sollte uns nicht abhalten, die Grenzen des Erkennens auch in dieser Richtung hin zu untersuchen. Der Umstand nun, daß so viele Leute in unserer Zeit die religiösen und ethischen Erlebnisse gar nicht gemacht haben, sollte uns auch nicht erschrecken. Die Aufgabe der Erkenntnistheorie - allerdings so wie VOLKELT sie gestellt hat - ist doch das objektive Erkennen nach seinen inneren Gesetzen zu untersuchen um die typischen Fälle zu finden, wo die Ergebnisse der Erkenntnisfunktionen mit dem Gefühl der Denknotwendigkeit in uns reagieren. Wo dies faktisch geschieht, da fragen wir nicht, ob es vielleicht heutzutage viele oder wenige Leute sind, die sich in solche Verhältnisse nicht setzen, genauer setzen wollen, daß sie überhaupt das Zwingende erleben können. - Die antireligiöse oder areligiöse Welle, die besonders im letzten Jahrhundert über die Wissenschaft hereingerollt ist, als eine ganz natürliche Reaktion gegen die Vermischung der intellektuelle und der religiösen Funktion, sollte uns nicht vergessen lassen, daß es zu den Eigentümlichkeiten der Art des Menschen, soweit die Geschichte reicht, gehört hat, das Religiöse in der einen oder anderen Form zu erleben. ![]()
10) Die Einwände von Schuppe, Lasson und Dürr widersprechen nicht dem oben Behaupteten. Denn sie betreffen nur einzelne Probleme und sind überdies von wenig eingehender Art. |