p-4ra-1H. HöffdingA. BrunswigA. MeinongTh. Lippsvon Wiesevon Kries    
 
JOHN LOCKE
(1632-1704)

Von den Beziehungen
[Versuch über den menschlichen Verstand - Zweites Buch, Kapitel 25]

    2. Buch / Kap. 25 - Von den Beziehungen
2. Buch / Kap. 26 - Über Ursache und Wirkung
2. Buch / Kap. 27 - Über Identität und Verschiedenheit
3. Buch / Kap. 1   - Über die Wörter im allgemeinen
3. Buch / Kap. 3   - Über allgemeine Ausdrücke
4. Buch / Kap. 11   - Unser Wissen vom Dasein anderer Dinge

"Es gibt es kein Ding, sei es eine einfache Vorstellung, Substanz, Eigenschaft oder Beziehung oder ein Wort davon, was nicht unzähliger Auffassungen im Bezug zu anderen Dingen fähig wäre. So kann ein einzelner Mensch bei allen folgenden Beziehungen und noch mehreren beteiligt sein, wie: Vater, Bruder, Sohn, Großvater, Enkel, Schwiegervater, Schwiegersohn, Gatte, Freund, Feind, Subjekt, General, Richter, Beschützer, Professor, Europäer, Engländer, Insulaner, Diener, Herr, Besitzer, Kapitän, Vorgesetzter, Unterbeamter, stärker, schwächer, älter, jünger, Zeitgenosse, gleich, ungleich usw. beinahe ohne Ende; da er so vieler Beziehungen fähig ist, als Anlaß zum Vergleich seiner selbst mit anderen Dingen nach Übereinstimmung oder Unterschied oder sonst einer Hinsicht vorhanden ist."

§ 1. (Was Beziehung ist.) Außer den einfachen und zusammengesetzten Vorstellungen, welche die Seele von den Dingen ansich hat, gibt es andere, welche sie aus deren Vergleichung miteinander erlangt. Der Verstand ist bei der Betrachtung eines Dings nicht auf dasselbe beschränkt; er kann jede Vorstellung gleichsam über sie hinausführen oder er kann zumindest über sie hinausblicken, um zu sehen, wie sie mit anderen übereinkommt. Wenn die Seele in dieser Weise ein Ding betrachtet und dasselbe gleichsam zu einem andern trägt und daneben stellt und ihren Blick vom einen zum andern wendet, so ist dies, wie das Wort andeutet, das  Beziehen  oder Berücksichtigen, und die Worte, die man den seienden Dingen gibt, um diese Hinsicht anzuzeigen und als Mittel zu dienen, was die Gedanken über das eine hinaus zu einem andern leitet, heißen  Beziehungen  und die so behandelten Dinge  bezogene.  Wenn die Seele z. B. den  Cajus  als ein solches seiendes Ding nimmt, so nimmt sie nichts in ihrer Vorstellung, was nicht in  Cajus  wirklich besteht; wenn ich ihn z. B. als einen Menschen betrachte, so habe ich nur die zusammengesetzte Vorstellung von der Gattung:  Mensch;  und wenn ich den  Cajus  einen weißen Menschen nenne, so denke ich nur an einen Menschen mit einer solchen weißen Farbe. Gebe ich aber dem  Cajus  den Namen:  Gatte,  so deute ich auf eine andere Person, und nenne ich ihn weißer, so deute ich auf ein anderes Ding; in beiden Fällen geht das Denken zu Etwas über  Cajus  hinaus und es werden  zwei  Dinge dabei in Betracht gezogen. Jede Vorstellung, die einfachen wie die zusammengesetzten, kann die Seele veranlassen, so zwei Dinge zusammenzubringen und sie gleichsam in  einem  zu überblicken, obgleich sie als verschieden gelten; deshalb kann jede Vorstellung die Grundlage zu einer Beziehung abgeben. So ist in dem obigen Beispiel der Heiratsvertrag und die Trauung mit der  Sempronia  der Anlaß, den  Cajus  Gatte zu nennen und so zu beziehen, und die weiße Farbe der Anlaß, daß er weißer als Sandstein genannt wird.

§ 2. (Beziehungen werden ohne bezügliche Worte nicht leicht bemerkt.) Wenn diese und andere Beziehungen durch bezügliche Worte ausgedrückt werden, denen andere Worte entsprechen, und die so gegenseitig aufeinander deuten, wie z. B.: Vater und Sohn, dicker und dünner, Ursache und Wirkung, so sind sie jedermann verständlich, und man bemerkt sogleich die Beziehung. Vater und Sohn, Mann und Frau und andere dergleichen Beziehungen gehören so eng zueinander, harmonieren und entsprechen durch Gewohnheit so leicht einander im Gedächtnis, daß bei dem einen Wort das Denken sofort über das bezeichnete Ding hinausgeht und daß niemand die Beziehung übersieht oder bezweifelt, wenn sie so deutlich angedeutet wird. Wo aber die Sprache keine solche bezüglichen Namen gebildet hat, wird die Beziehung nicht immer so leicht bemerkt. Die Beischläferin ist ebenso wie die Gattin ein bezügliches Wort, allein wo in der Sprache das entsprechede andere fehlt, wird es nicht leicht so aufgefaßt, weil ihm das klare Zeichen der zwischen den bezüglichen Dingen bestehenden Beziehung fehlt, wo eins das andere erklärt und beide nur gemeinsam bestehen zu können scheinen. Deshalb sind manche Worte, die näher betrachtet offenbar Beziehungen enthalten, als äußerliche Bezeichnungen genommen worden. Allein jedes Wort, das mehr als ein leerer Schall ist, muß eine Vorstellung bezeichnen, die entweder in dem betreffenden ding ist, wo sie dann als bejahend und als verbunden und in dem Ding enthalten gilt, oder das Wort entspringt aus einer Beziehung, welche die Seele zwischen diesem und einem andern Ding bemerkt, und dann schließt es eine Beziehung ein.

§ 3. (Manche anscheinend selbständigen Worte enthalten Beziehungen.) Andere bezügliche Worte nimmt man weder als Beziehungen noch als äußerliche Benennungen; allein unter dem Schein, als bezeichneten sie etwas Selbständiges in einem Gegenstand, verhüllen sie doch stillschweigend eine, wenn auch weniger bemerkbare Beziehung. Der Art sind die anscheinend bejahenden Worte:  alt, groß, unvollkommen  usw., von denen ich im folgenden Kapitel mehr sagen werden.

§ 4. (Die Beziehungen sind von den bezogenen Dingen verschieden.) Man beachte weiter, daß zwei Menschen dieselbe Beziehungsvorstellung und doch sehr verschiedene Vorstellungen von den so bezogenen oder verglichenen Dingen haben können; so können sie trotz verschiedener Vorstellungen über den Menschen, doch im Begriff des Vaters übereinstimmen, da diser Begriff der Substanz oder dem Menschen nur übergezogen wird und sich nur auf eine Handlung des "Mensch" genannten Dings bezieht, wodurch er ein Wesen seines Gleichen hervorbringen hilft, mag der Mensch ansich sein, was er will.

§ 5. (Man kann die Beziehungen wechseln, ohne die bezogenen Dinge zu wechseln.) Das Wesen der Beziehung liegt also in einem Berücksichtigen und Vergleichen zweier Dinge, wobei das eine oder beide nach diesem Vergleich benannt werden. Hört eines dieser beiden auf oder wird es entfernt, so hört die Beziehung auf und ebenso auch die entsprechende Benennung, wenn auch das andere Ding ansich keine Veränderung erleidet. So hört der heute als Vater geltende  Cajus  morgen als Vater auf, wenn sein Sohn stirbt, obgleich er selbst keine Veränderung erlitten hat. Deshalb kann durch die bloße Veränderung des Gegenstandes, mit dem im Denken ein Vergleich geschieht, dasselbe Ding entgegengesetzte Bezeichnungen gleichzeitig erhalten; wird z. B.  Cajus  mit mehreren Personen verglichen, so kann er in Wahrheit jünger und älter, stärker und auch schwächer usw. genannt werden.

§ 6. (Die Beziehung besteht nur zwischen zwei Dingen.) Alles, was als  ein  Ding bestehen oder aufgefaßt werden kann, ist bejahend; deshalb sind nicht bloß einfache Vorstellungen und Substanzen, sondern auch Eigenschaften bejahende Dinge, wenn auch ihre Teile sich oft aufeinander beziehen; allein das Ganze als  ein  Ding aufgefaßt, erweckt in uns die zusammengesetzte Vorstellung  eines  Dinges, welche Vorstellung gleich einem Gemälde in der Seele besteht und trotz seiner Ansammlung vieler Teile doch  ein,  mit  einem  Namen bezeichnetes bejahtes und selbständiges Ding oder eine solche Vorstellung ist. So ist das Dreieck als Ganzes eine bejahte und beziehungslose Vorstellung, wenn auch seine Teile durch die Vergleichung untereinander bezüglich werden. Dasselbe gilt von der "Familie", dem "Ton" usw.; den nur wo zwei Dinge  als zwei  betrachtet werden, ist eine Beziehung möglich. Es müssen immer zwei Vorstellungen oder Dinge zu einer Beziehung gehören, die entweder wirklich besondere sind oder als solche vorgestellt werden, und daneben ein Grund oder ein Anlaß zu ihrem Vergleich.

§ 7. (Alles kann bezogen werden.) Hinsichtlich der Beziehung überhaupt ist Folgendes zu bemerken:

Erstens  gibt es kein Ding, sei es eine einfache Vorstellung, Substanz, Eigenschaft oder Beziehung oder ein Wort davon, was nicht unzähliger Auffassungen im Bezug zu anderen Dingen fähig wäre; deshalb bilden die Beziehungen einen großen Teil der Gedanken und Reden der Menschen. So kann ein einzelner Mensch bei allen folgenden Beziehungen und noch mehreren beteiligt sein, wie: Vater, Bruder, Sohn, Großvater, Enkel, Schwiegervater, Schwiegersohn, Gatte, Freund, Feind, Subjekt, General, Richter, Beschützer, Professor, Europäer, Engländer, Insulaner, Diener, Herr, Besitzer, Kapitän, Vorgesetzter, Unterbeamter, stärker, schwächer, älter, jünger, Zeitgenosse, gleich, ungleich usw. beinahe ohne Ende; da er so vieler Beziehungen fähig ist, als Anlaß zum Vergleich seiner selbst mit anderen Dingen nach Übereinstimmung oder Unterschied oder sonst einer Hinsicht vorhanden ist. Denn das Beziehen ist, wie gesagt, nur eine Art Vergleichen und Betrachten von zwei Dingen zusammen, wo beide oder eines danach benannt werden und auch die Beziehung selbst oft einen Namen erhält.

§ 8. (Die Beziehungsvorstellung ist oft klarer als die der Dinge selbst.)  Zweitens  sind zwar die Beziehungen nicht im wirklichen Sein der Dinge enthalten, sondern etwas von außen Kommendes und darüber Gezogenes; aber dennoch sind die Beziehungsvorstellungen oft klarer und bestimmter, als die damit bezogenen Substanzen. So ist der Begriff des Vaters oder des Bruders viel klarer und bestimmter als der des Menschen, und von der Vaterschaft kann man leichter eine klare Vorstellung erlangen als von der Menschennatur, und ich begreife viel eher, was ein Freund, als was Gott ist; denn oft genügt die Kenntnis  einer  Tätigkeit oder  einer  einfachen Vorstellung, um die Beziehungsvorstellung zu gewähren, während zur Kenntnis einer Substanz eine sorgfältige Sammlung verschiedener Vorstellungen nötig ist. Vergleicht man zwei Dinge, so muß man das, worin man sie vergleicht, kennen, und deshalb muß man bei einer solchen Vergleichung eine klare Vorstellung dieser Beziehung haben. Deshalb können zumindest die Beziehungsvorstellungen vollkommener und klarer als die der Substanzen sein. Es ist meist schwer, alle in einer Substanz wirklich enthaltenen einzelnen Vorstellungen zu kennen, aber wohl kann man in der Regel die einfache Vorstellung kennen, welche zu einer Beziehung gehört oder danach benannt ist. Wenn ich so zwei Menschen auf ihren gemeinsamen Vater beziehe, so kann ich leicht die Vorstellung der Brüder bilden, ohne daß ich noch die volle Vorstellung des Menschen habe. Denn die bezüglichen Worte drücken ebenso, wie alle anderen, nur Vorstellungen aus, und da diese entweder einfach oder aus einfachen gebildet sind, so genügt zur genauen Kenntnis der Vorstellung, welche das beziehende Wort bezeichnet, die klare Vorstellung von der Grundlage der Beziehung. Dies kann stattfinden, ohne daß man eine klare und vollkommene Vorstellung vom Ding selbst hat, dem sie beigelegt wird. Wenn ich so den Begriff habe, daß das eine Ding das Ei gelegt hat, woraus das andere Ding ausgekrochen ist, so habe ich eine klare Vorstellung von der Beziehung zwischen der Henne und ihren Hühnchen in Bezug auf die beiden Kakadus im St. James Park, obgleicht ich von diesen Vögeln selbst nur eine dunkle und unvollständige Vorstellung habe.

§ 9. (Alle Beziehungen laufen auf einfache Vorstellungen hinaus.)  Drittens  ist zwar die Zahl der Auffassungen, wonach Dinge miteinander verglichen werden können, groß, und deshalb gibt es eine Menge von Beziehungen; allein sie enden oder betreffen alle die einfachen Vorstellungen aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung, welche den ganzen Stoff unseres Wissens bilden. Um dies deutlicher zu machen, werde ich es an den wichtigsten Beziehungen, von denen wir einen Begriff haben, und ebenso an einigen, die von der Sinnes- und Selbstwahrnehmung scheinbar am meisten entfernt sind, darlegen. Dabei wird sich zeigen, daß auch diese Vorstellungen daher entspringen, und daß deren Begriffe nur gewisse einfache Vorstellungen und daher aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung abgeleitet sind.

§ 10. (Worte, welche die Seele über den bezeichneten Gegenstand hinausführen, sind bezügliche.)  Viertens  erhellt sich, daß, da das Beziehen nur das Betrachten eines Dings mit einem andern ist, das außerhalb seiner ist, alle Worte, welche die Seele zu anderen, als den im bezeichneten Ding wirklich enthaltenen Vorstellungen führen, bezügliche Worte sind. So sind z. B. die Worte:  ein lustiger, strenger, gedankenvoller, durstiger, zorniger, großer Mensch  alle beziehungslos; denn sie bezeichnen und deuten nur das an, was wirklich in dem so bezeichneten Menschen besteht; dagegen befassen die Worte:  Vater, Bruder, König, Gatte, schwärzer, lustiger  usw. neben dem bezeichneten Ding noch ein anderes Besonderes, was neben jenem besteht.

§ 11. (Schluß.) Nachdem ich so diese Grundsätze in Bezug auf die Beziehungen im Allgemeinen festgestellt habe, werde ich an einigen Beispielen zeigen, wie alle Vorstellungen von Beziehungen ebenso wie andere Vorstellungen aus einfachen Vorstellungen gebildet werden, und daß sie alle darauf hinauslaufen, wenn sie auch noch so fein und den Sinnen fern zu stehen scheinen. Ich beginne mit der umfassendsten Beziehung, unter welche alle vorhandenen und möglichen Dinge befaßt werden können, nämlich mit der Beziehung von  Ursache  und  Wirkung.  Ich werde im nächsten Kapitel darlegen, wie deren Vorstellung sich aus den beiden Quellen all unseres Wissens, aus der Sinnes- und Selbstwahrnehmung, ableitet.


Über Ursache und Wirkung und
andere Beziehungen

[Versuch über den menschlichen Verstand - Zweites Buch, Kapitel 26]

§ 1. (Woher deren Vorstellungen erlangt werden.) Bei den sinnlichen Wahrnehmungen des steten Wechsels der Dinge bemerkt man, daß Eigenschaften und Substanzen zu bestehen anfangen, und zwar durch die gehörige Anwendung und Wirksamkeit anderer Dinge. Davon rührt die Vorstellung der  Ursache  und  Wirkung.  Das, was eine einfache oder zusammengesetzte Vorstellung hervorbringt, heißt  Ursache,  und das hervorgebrachte  Wirkung.  So ist die Flüssigkeit des Wachses eine einfache Vorstellung, die vorher nicht da war, aber durch die Anwendung eines bestimmten Hitzegrades regelmäßig hervorgebracht wird. Die Flüssigkeit des Wachses ist also die Wirkung, und die Hitze ist die Ursache. So wird die Substanz  Holz,  womit eine Anzahl einfacher Vorstellungen bezeichnet wird, durch die Anwendung von Feuer in eine andere Substanz verwandelt, welche  Asche  heißt, d. h. in eine andere zusammengesetzte Vorstellung, die von der  Holz  genannten Vorstellung ganz verschieden ist; deshalb gilt Feuer mit Bezug auf die Asche als die Ursache und letztere als die Wirkung. Überhaupt gilt alles, was für uns eine einfache Vorstellung herbeiführt oder hervorbringt, sei es Substanz oder Eigenschaft, die vorher nicht bestand, in der Seele als eine Beziehung und Ursache, und wird so genannt.

§ 2. (Schöpfung; Erzeugung; Veränderung.) Wenn man so durch die sinnlich-wahrgenommenen Wirksamkeiten der Körper aufeinander den Begriff von Ursache und Wirkung erlangt hat, nämlich daß Ursache das ist, was macht, daß etwas anderes, sei es eine einfache Vorstellung, Substanz oder Eigenschaft zu sein beginnt, und Wirkung, was seinen Anfang von etwas anderem hat, so findet die Seele es nicht schwer, den Ursprung der Dinge auf zwei Arten zurückzuführen:
    1) die, wo das Ding ganz neu entsteht, ohne daß ein Teil desselben schon vorher bestanden hat; wenn z. B. ein neuer Stoffteil,  in rerum natura [in Wirklichkeit - wp], zu sein beginnt, der vorher kein Dasein hatte. Dies nennt man  Schöpfung; 

    2) die, wo ein Ding aus Stücken gemacht wird, die schon vorher bestanden haben, wo aber dieses Ding, was so aus früheren Stücken besteht, als solche Sammlung einfacher Vorstellungen aufgefaßt, vorher nicht bestanden hat; wie dieser Mensch, dieses Ei, diese Rose oder Kirsche usw.
Diese letztere Art heißt in Bezug auf eine Substanz, die im gewöhnlichen Lauf der Natur durch innere Kräfte hervorgebracht wird, und nur den Anstoß von einem äußerlich Wirkenden oder einer Ursache empfängt und die auf unsichtbaren Wegen wirkt, die man nicht erfaßt,  Erzeugung.;  Ist dagegen die Ursache äußerlich und die Wirkung durch eine sichtbare Trennung, Anfügung erkennbarer Stücke erfolgt, so nennt man es  Machen;;  solcher Art sind alle Kunsterzeugnisse. Wird eine einfache Vorstellung hervorgebracht, die vorher in dem Unterliegenden nicht bestand, so nennt man es  Veränderung.;  Hernach wird ein Mensch erzuegt, ein Gemälde gemacht und eines von beiden geändert, wenn eine neue sinnliche Eigenschaft oder einfache Vorstellung daran hervorgebracht wird, die vorher nicht da war. Dinge, die so zum Dasein gelangen und vorher nicht waren, heißen Wirkungen, und die, welche dieses Dasein bewirken, Ursachen. Hier, wie bei allen anderen Ursachen entspringt der Begriff der Ursache und Wirkung von Vorstellungen der Sinnes- oder Selbstwahrnehmung, und deshalb schließt diese Beziehung, wie man sie auch auffaßt, zuletzt in solchen ab; denn für die Vorstellung der Ursache und Wirkung genügt die Auffassung einer einfachen Vorstellung oder Substanz, welche durch die Wirksamkeit einer anderen zu sein beginnt, ohne daß man die Art dieser Wirksamkeit kennt.

§ 3. (Die Beziehungen der Zeit.) Zeit und Raum sind ebenfalls Grundlagen sehr weiter Beziehungen, bei denen alle endlichen Wesen beteiligt sind. An einem anderen Ort ist schon gezeigt worden, wie man diese Vorstellungen erlangt; so genügt hier die Andeutung, daß die meisten von einer Zeit entlehnten Benennungen der Dinge nur Beziehungen sind. Sagt z. B. jemand, daß die Königin ELISABETH 69 Jahre gelebt und 45 Jahre regiert hat, so enthalten diese Worte nur die Beziehung dieser Dauer zu einer anderen, und sagen nur, daß die Dauer ihres Lebens 69 Umläufe der Sonne und die Dauer ihrer Regierung 45 solchen gleich gewesen ist. Dies gilt für alle eine Zeitlänge bezeichnenden Worte. Sagt man. WILHELM der Eroberer fiel in England um das Jahr 1066 ein, so wird damit, wenn man die Zeit von der Geburt unseres Erlösers bis jetzt als  eine;  auffaßt, nur gesagt, wie weit dieser Einfall von beiden Enden absteht. Dies gilt für alle Worte, die auf die Frage: Wann? Auskunft geben; sie zeigen nur den Abstand eines Zeitpunktes aus einer längere Zeitperiode, von dem aus man zählt und auf die man ihn bezieht.

§ 4. Es gibt jedoch andere auf die Zeit bezügliche Worte, die nach gewöhnlicher Ansicht bejahende Vorstellungen bezeichnen, die sich aber, näher betrachtet, nur als Beziehungen ergeben; solche sind z. B.:  jung, alt;  usw.; sie bezeichnen die Beziehung eines Dings zu einer gewissen Zeitlänge, deren Vorstellung man kennt. So hat man die gewöhnliche Lebensdauer des Menschen auf 70 Jahre angenommen, und wenn man jemand  jung;  nennt, so meint man, daß sein Alter nur erst ein kleiner Teil davon sei, und wird er  alt;  genannt, so meint man, daß seine Lebenszeit jener bereits ziemlich nahe kommt. So enthalten also diese Worte nur einen Vergleich des besonderen Alters oder der Lebenszeit dieses oder jenes Menschen mit der Lebensdauer, die man bei dieser Art von Geschöpfen als Regel annimmt; deshalb heißt ein Mensch von 20 Jahren  jung;  und von 7 Jahren sehr jung, während ein Pferd mit 20 Jahren und ein Hund mit 7 Jahren  alt;  heißen; überall wird die Vergleichung mit der als regelmäßig angenommenen Lebensdauer dieser Tiere vorgenommen. Dagegen nennt man die Sonne und die Sterne nicht alt, obgleich sie schon viele Geschlechter der Menschen überdauert haben, weil man die Daseinslänge dieser Art von Dingen, die Gott ihnen gesetzt hat, nicht kennt. Dieser Ausdruck paßt daher nur auf solche Dinge, die nach unseren Beobachtungen im gewöhnlichen Lauf der Natur durch die natürliche Abnahme in einer gewissen Zeit ein Ende nehmen; deshalb ist hier ein Maßstab vorhanden, mit dem man die verschiedenen Teile ihrer Dauer vergleichen und sie danach jung oder alt nennen kann. Bei einem Diamanten oder Rubin kann man das nicht, da man deren regelmäßige Zeitdauer nicht kennt.

§ 5. (Beziehungen des Orts und der Ausdehnung.) Auch die Beziehungen der Dinge aufeinander nach Ort und Abstand sind sehr augenfällig; wie z. B. bei dem Ausdruck: über eine Meile, oder unter einer Meile von Charing-Cross; oder: In England; in London. Wie bei der Zeit, so ist auch bei der Ausdehnung und der Masse manche Vorstellung bezüglich, obgleich sie anscheinend bejahend genannt wird; so sind Groß und Klein wahre Beziehungen. Denn auch hier sind nach den Beobachtungen bestimmte Größen für die verschiedenen Gattungen der Dinge, an die man am meisten gewöhnt ist, angenommen, welche als Maßstäbe gelten, nach denen man die Größe anderer bezeichnet. So heißt der Apfel groß, der die gewöhnliche Größe dieser Sorte übersteigt, und ein Pferd klein, wenn es nicht die gebräuchliche Größe der Pferde erreicht; so kann dasselbe Pferd für einen Walliser groß gelten, das bei einem Flamen nur klein ist, da beide von der in ihren Ländern bestehenden Pferderasse verschiedene Maßstäbe entnommen haben, nach denen sie das Große und Kleine bemessen.

§ 6. (Unbezügliche Ausdrücke werden oft für Beziehungen gebraucht.) Ebenso sind Schwach und Stark nur bezügliche Benennungen der Kraft, im Vergleich zu gewissen Vorstellungen, die man zu dieser Zeit von großer und kleiner Kraft hat. Nennt man z. B. einen Menschen schwach, so heißt das, daß er nicht so viel Kraft oder Gewalt zum Bewegen habe, wie die Menschen überhaupt oder die von seiner Größe meist haben; es wird also seine Stärke mit dieser verglichen. Ebenso gilt, wenn man sagt: "Alle Geschöpfe sind schwache Wesen", das "Schwach" nur als ein bezügliches Wort, was das Mißverhältnis der Macht der Geschöpfe zur Macht Gottes bezeichnet. So bezeichnen eine große Menge (vielleicht die meisten) Worte nur Beziehungen, während sie auf den ersten Blick keine solche Bedeutung zu haben seinen. Sagt man z. B.: das Schiff brauch Mundvorräte, so sind:  braucht;  und  Mundvorräte,;  beides bezügliche Worte; eines bezieht sich auf die Vollendung der beabsichtigten Fahrt, und das andere auf den zukünftigen Nutzen. Daß alle diese Beziehungen auf Vorstellungen, die sich aus der Sinnes- oder Selbstwahrnehmung ableiten, gehen und darin enden, ist so offenbar, daß es keiner Erläuterung bedarf.
LITERATUR - John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Philosophische Bibliothek (Hg. von Kirchmann), Bd. 50, Berlin 1872