p-4ra-1p-4p-4Ogden/RichardsEislerWindelbandMesserMauthner    
 
FELIX MARIA GOLDNER
Kritische Gedanken
zum Problem der Sprache

[zwei Versuche]

"Den Stoff der Erkenntnis liefert uns eine Welt der Dinge, die sich im Erkenntnisprozeß zwar den Energien unsernes Geistes fügen müssen, hinter deren vom Geist geformten Erscheinungen aber ein Etwas steht (das wir gewiß leicht entbehren, das wir vielleicht noch andeutend denken können) das sich aber in dem, wie es ansich ist, was es ansich ist unserem Denken auf immer verschließt. In allem Erkannten verbirgt sich ein Unbekanntes, nie zu Erkennendes, das in allen Erscheinungen nicht nur nicht restlos aufgeht, sondern in seiner Wesenheit zu erfassen sich uns prinzipiell versagt."

"Für Goethe, der die Scheidung in die Welt der Erscheinungen und ein ihnen völlig Inkommensurables, ihr ansich oder idealistisch gewendet, die Annahme der Welt als eines Relativen, in der der Begriff des Dings-ansich nur ein Grenzbegriff des Erkennens ist, abweist, - ist Natur ein Metaphysisches, ein geheimnisvolles Etwas, das in zahlreichen individuellen Ausgestaltungen in Erscheinung tritt, deren Wesen zu ergründen unsere hingebungsvolle Arbeit erfordert, deren Erkennen uns aber zugleich ins Innerste der Welt hineinführt, gibt es doch nichts, das zu wissen uns prinzipiell versagt wäre."

"Auch im Gedankenleben des individuellen Philosophen ist der eigentliche Sinn seiner sich oft durch die inneren Wandlungen des Systems gleichbleibenden Worte mannigfachen Schwankungen unterworfen, die wir in vielen Fällen mitzufühlen, nachzudenken imstande sind, deren letzter Sinn wahrscheinlich doch nur einem Jeden selber zu erschließen ist. Ich erinnere nur an die Begriffsveränderungen des Dings-ansich in der Kritik der reinen Vernunft. In der transzendentalen Ästhetik bedeutet es den Gegenstand, wie er uns niemals erscheint, wie wir ihn nie erfahren können, im weiteren Verlauf wird er zu einem Grenzbegriff des Erkennens, zum Gegenbild der objektivierenden Funktionen des reinen Verstandes. Ähnliches gilt für den Begriff der Sensation und Reflexion bei Locke, der Ausdehnung in der Physik und Metaphysik bei Descartes und der Erfahrung in der Vernunftkritik."

"Die Weltinterpretationen der großen Typen der scheinbar verschiedensten Geistesrichtungen sollen dieselben sein?; nicht nur Kant und Goethe, Leibniz und Hume, auch Kant und sein Vater, der Sattlermeister, Goethe und seine Waschfrau sollen dasselbe meinen, sofern sie überhaupt theoretisch Stellung nehmen zur Totalität der Welt? Die Ehrfurcht, die das Genie für sich fordert - das Pathos der Distanz soll ein Unsinn sein?"

"Was für eine Philosophie man hat, hängt davon ab, was für ein Mensch man ist", sagt FICHTE. Dieser Satz bedarf gewiß noch einer näheren Bestimmung, soll er eine den Tatsachen der Wirklichkeit gerecht werdende Gültigkeit besitzen. Sowie das Ich, aus dem FICHTE die Welt hervorgehen läßt, nicht identisch ist mit dem empirischen Ich des Einzelnen, individuellen Menschen, sondern den Grund bedeutet, aus dem das individuelle Ich wie die Welt gleicherweise als seine Geschöpfe, seine Taten zum Leben erblühen, so ist auch der Mensch, in dessen Sein die Grundstimmungen alles Weltbegreifens umschlossen sind, nicht der im engeren Sinne moralische. Dieses letzte Wesen seiner ist vielmehr aller in Worten anzudeutenden speziellen Eigenartigkeit, jedem das Dieses-Sein und darum das Andere-nicht-Sein entrückt, es ist weder das schlechthin Moralische, noch das Denkende oder Ästhetische, sondern all dies sind erst die möglichen Ausgestaltungen seiner viel tiefer gelegenen, sich aller besonderen Charakterisierung entziehenden Existenz, sind erst die Realisierungen seiner Sehnsucht, in deren einzelnen Geschöpfen es vielleicht niemals restlos aufgeht. In diesem Sinn ist die Philosophie eines Menschen der Ausdruck seines Wesens, projiziert auf die Ebene des Gedankes, ist ein Bekenntnis dessen, was ihm die Welt bedeutet.

So ist es gewiß naheliegend, die Differenzen der uns bekannten Seinsinterpretationen zurückzuführen auf die Verschiedenheiten der letzten geistigen Qualitäten ihrer Bekenner. Allein, so unbestreitbar die Wahrheit dieses Satzes in sich ist, so scheint doch seine Anwendbarkeit auf die Praxis des geisten Lebens keineswegs unbedingt berechtigt. Mag immerhin jede Philosophie der adäquate Ausdruck eines Denkers sein, so ist doch die Philosophie eines Menschen einzig sein Eigentum, in dessen Bereich wir andern keinen unmittelbaren Zugang haben. Niemals besitzen wir die Gedanken eines Fremden, was er uns geben kann, sind nichts als Zeichen, als Symbole, als Worte. Und selbst wenn wir annehmen, daß die in die Sprache übersetzte Philosophie für ihren Schöpfer noch immer den adäquaten Ausdruck seines Denkens bedeutet - eine Annahme, die eine große, wenn auch unkontrollierbare Wahrscheinlichkeit besitzt - so ist damit doch nicht das Wichtigste gesichert, daß auch uns die Sprache eines Andern, in den letzten sublimsten Spekulationen, den Sinn vermittelt, den dieser empfand. Wir unterscheiden deutlich z. B. die dem Fremden so unakzentuiert klingenden Laute eines Kindes, wenn wir sein Stammeln seit dem Entstehen miterlebt haben. Noch unmittelbarer erfaßt der Philosoph das Aussprechen seiner Gedanken und damit verbundenen Sinn. Er weiß, im gleichen Moment, in dem er zum erstenmal seine Ideen formuliert, daß diesen Worten dieser bestimmte Sinn zukommt.

Wir wissen es nicht. Im praktischen Leben allerdings herrscht kein Zweifel darüber, daß wir alle das Gleiche meinen mit den Worten: Gib mir die Hand. Die Erfahrung leistet uns hier eine Kontrolle. Im theoretischen aber, im philosophischen Welterfassen gibt es nichts, das uns die absolute Übereinstimmung des inneren Gehaltes der Philosophie eines Fremden und unserer durch die Sprache vermittelten Auffassung derselben versichern könnte. Der Andere weiß, was er meint, auch ohne Worte, diese können ihn nicht verwirren, können ihm nicht schaden und nicht nützen. Uns aber müßten sie nützen, sollen sie ihren Zweck erreichen. Ob sie aber diese ihre große Mission in Wahrheit erfüllen, das ist die Frage, die jeden ängstigen muß, dem sie sich einmal stellt.

So müssen wir also eine Unterscheidung vornehmen zwischen der Philosophie eines Menschen, wie sie einzig ihrem Schöpfer offenbar ist, zwischen seiner eigentlichen Weltanschauung, die wir - dies wollen wir vorläufig annehmen - niemals kennen und dem in gedruckten oder gesprochenen Worten festgelegten Bekenntnis, außer dem wir nichts besitzen und das wir gezwungen sind, in unser Gedankenleben umzudeuten, an dessen Worte wir den uns allein dabei denkbaren Sinn zu knüpfen haben; eine Übersetzung freilich, deren Ablauf gewiß keine Zeit in Anspruch nimmt, die sich beim Erwachsenen unmittelbar mit dem Hören oder Sehen der Wortzeichen vollzieht. So gesehen aber scheint es gewiß nicht mehr selbstverständlich, daß die Verschiedenheit der Weltanschauungen der Ausdruck wesentlich anders gearteter Seelen ist. Denn verschieden - dies allein können wir mit Sicherheit behaupten - sind die Formulierungen der Weltinterpretationen. Der Schluß aber von den Ausdrucksdifferenzen auf die ebenso diskrepante Verschiedenheit der inhaltlichen Bedeutung, was doch allein von einer wesentlichen Andersgeartetheit der Philosophen zu sprechen berechtigte, dieser Schluß ist bei der in theoretischen Fragen absoluten Unkontrollierbarkeit, wenn gewiß nicht falsch, so zumindest sehr gewagt, keineswegs aber notwendig.

Meine Behauptung, daß verschieden lautende, einander scheinbar sich widersprechende Aussagen sich innerlich, inhaltlich nicht auszuschließen brauchen, wird gewiß nichts Paradoxes mehr an sich haben, wenn ich sie durch ein Beispiel illustriere. Ich wähle hierzu die Kant-Interpretationen des kritischen Realismus und des logisch transzendentalen Idealismus.

Der an die "Kritik der reinen Vernunft" anknüpfende Realismus lehrt, daß unser Weltbild bestimmt ist durch die Kategorien und Anschauungsformen des auf dem Gebiet des Erkennens völlig souveränen Verstandes. Diese einem Kunstwerk zu vergleichende Selbstgenügsamkeit, dieses nicht aus sich Heraustretenmüssen, um zum Ziel zu gelangen, dieses ganz Aufsichgestelltsein und nicht aus fremden Zusammenhängen einer Bestätigung Bedürfen, gilt aber nur in formaler Hinsicht. Denn alles Erkennen verlangt einen Inhalt. Diesen Stoff der Erkenntnis aber liefert uns eine Welt der Dinge, die sich im Erkenntnisprozeß zwar den Energien unsernes Geistes fügen müssen, hinter deren vom Geist geformten Erscheinungen aber ein Etwas steht (das wir gewiß leicht entbehren, das wir vielleicht noch andeutend denken können) das sich aber in dem, wie es ansich ist, was es ansich ist unserem Denken auf immer verschließt. In allem Erkannten verbirgt sich ein Unbekanntes, nie zu Erkennendes, das in allen Erscheinungen nicht nur nicht restlos aufgeht, sondern in seiner Wesenheit zu erfassen sich uns prinzipiell versagt. Gelöst von allem Erkennen also lebt hier der Glaube an eine gegen alles Bewußtsein gleichgültige Realität der Dinge-ansich.

Der mit gleicher Entschiedenheit sich auf KANT berufende logische Idealismus leugnet nun keineswegs die Realität dieser Dinge.

Es gibt überhaupt keine Erkenntnistheorie, die nicht das Vorhandensein der vom naiven Menschen behaupteten sogenannten Außenwelt anerkennt. Spiritualisten und Materialisten, Idealisten und Realisten haben sich mit der Existenz der Planeten oder der historischen Ereignisse abzufinden. Und nicht der Grad ihrer Realität, sondern die Art ihrer Wirklichkeit, die Art der Wirklichkeit als solcher ist es, welche so verschiedenartigen Auffassungen - vielleicht nur Formulierungen - unterworfen ist.

So bestreitet auch die genialere Kant-Interpretation nicht das Dasein der Dinge, sondern nur die Annahme, daß unsere Erkenntnis auf die Bestimmung einer vom Bewußtsein unabhängig existierenden Wirklichkeit gerichtet ist, bestreitet, daß die Dinge gegeben sind und daß sich sich Aufgabe des Bewußtseins darin erschöpft, sie zu erkennen. Wohl sind die Dinge aller Willkür des individuellen Geistes entrückt, ihre Existenz aber unabhängig von einem Bewußtsein überhaupt zu setzen, scheint hier sinnlos und abstrus. So sagt COHEN: "Das Sein ruht nicht in sich selbst, das Denken erst läßt es entstehen . . . Nur das Denken kann erzeugen, was als Sein gelten darf."

Vom Standpunkt des logischen Idealismus ist dem Verstand also keine Welt der Dinge gegeben, die er im Erkenntnisprozeß zu bearbeiten hätte, ohne es verhindern zu können, daß sie sich in der Berührung seiner Kategorien und Anschauungsformen sofort verwandeln, sich in dem, wie sie ansich sind" verschließen, verkriechen wie eine Schnecke in ihr Gehäuse; die Dinge, die Gegenstände, die zusammenfallen mit den Erscheinungen für ein logisches Bewußtsein, sind überhaupt nicht gegeben. Denn der Begriff des Gegenstandes - so faßt man hier das Ergebnis der Entwicklung der exakten Wissenschaft - kann schlechterdings nichts anderes mehr bedeuten als eine Notwendigkeit der Verknüpfung, die aufzudecken, nachzuweisen erst im Verlauf der Forschung möglich ist. In diesem Sinn zu bestimmen ist Aufgabe des sie denkenden und somit als "Dinge" erst schaffenden Verstandes.

So stehen zwei Aufassungen unvermittelt einander gegenüber. Der kritische Realismus gesteht dem Verstand die volle Souveränität in der Formung des Erkenntnisbildes zu und lehrt eine von allem Verstandesbewußtsein unabhängige Welt der Dinge. Dem Idealismus bedeutet die Welt der Dinge ein Geschöpf des Geistes, er lehrt die Existenz eines Sein setzenden Verstandes.

Auf den ersten Blick, was Divergenteres läßt sich von einem Verstand sagen? Hier der Verstand der Grund allen Seins, das Allumgreifende, Allerschaffende, dort, vielleicht selber ein Geschaffenes, dessen Wirken fruchtlos ist, unterläßt er es, den Blick zu wenden auf die Inhaltlichkeit der ihm gegebenen Phänomene. Allein, so gewaltig der Abgrund zwischen jenen Aussagen zu gähnen scheint, so erstaunt man sein mag über eine solche Differenz, die sich uns zeigt in der Lehre zweier Richtungen, die den gleichen Ausgangspunkt genommen haben, die "Kritik der reinen Vernunft", so scheint mir doch gerade die Unermeßlichkeit dieser Diskrepanz das Problem zu lösen. Zwei Dinge, deren Totalität ihrer Eigenschaften und Bestimmungen völlig unvergleichbar ist, sind einfach nicht mehr dieselben. Der Verstand, von dem der Idealismus redet, ist gar nicht identisch mit dem Verstand des Realismus, ist ein anderer, hat mit diesem nichts als den Namen gemein.

Bringen wir also den Inhalt dieser beiden Theorien noch einmal auf die kürzeste, ihren scheinbar unüberbrückbaren Gegensatz am pointiertesten ausdrückende Formel: "Der Verstand erzeugt die Welt" und "der Verstand erzeugt nicht die Welt", so ist doch ihre Gegensätzlichkeit vernichtet, als eine bloß nominelle entlarvt für uns, die wir die Unvergleichbarkeit der beiden grammatischen Subjekte durchschauen.

Wenn also, wie wir sahen, die radikalste Verschiedenheit zweier Behauptungen nicht einer kontradiktorischen Bedeutung gleich zu kommen braucht, so ist es umgekehrt in manchen Fällen erweislich, daß auch die wörtliche Gleichheit nicht für eine gleiche Bedeutung gewährleistet.

HALLERs Worte: "Ins Innere der Natur dringt kein erschaffener Geist" haben gleicherweise die Gegnerschaft GOETHEs wie KANTs hervorgerufen. "Der Geist dringt ins Innere der Natur", diesen Satz hätten beide Denker anerkannt, und doch ist ihre Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des Naturerkennens nicht geringer als der Gegensatz, in dem sie sich zu HALLER befinden. Natur ist für KANT der Inbegriff der Erscheinungen (das Dasein der Dinge, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist) wobei es hier belanglos ist, ob ihnen ein "ansich" zugrunde liegt. Die Natur ist dem Verstand kein Rätsel mehr - sobald sie ihm überhaupt erst "Natur" geworden ist, d. h. sobald er den gesetzlichen Zusammenhang der Erscheinungen erkannt hat. Natur-Erkenntnis, für diese Betrachtungsweise eine Tautologie, denn Natur ist Erkenntnis, und das Wesen des Erkennens ist das Innere der Natur.

Für GOETHE, der die Scheidung in die Welt der Erscheinungen und ein ihnen völlig Inkommensurables, ihr "ansich" oder idealistisch gewendet, die Annahme der Welt als eines Relativen, in der der Begriff des "Dings-ansich" nur ein Grenzbegriff des Erkennens ist, abweist, - ist Natur ein Metaphysisches, ein geheimnisvolles Etwas, das in zahlreichen individuellen Ausgestaltungen in Erscheinung tritt, deren Wesen zu ergründen unsere hingebungsvolle Arbeit erfordert, deren Erkennen uns aber zugleich ins Innerste der Welt hineinführt, gibt es doch nichts, das zu wissen uns prinzipiell versagt wäre: Ist der Kern der Natur Menschen im Herzen.

So glauben KANT und GOETHE fest an die Möglichkeit der Naturerkenntnis, und doch kann man dies nicht als Gesinnungsgleichheit bezeichnen, da die Natur des Einen nicht die Natur des Andern ist.

So vereinigen sich in den Anfängen der neueren Philosophie so verschiedene Geister wie BACON und LEONARDO da VINCI, GALILEI, PARACELSUS und CAMPANELLA gleicherweise in der Anerkenntnis des Empirismus. Und doch ist der Begriff der Erfahrung, für den alle diese Denker eintreten, nur eine Scheineinheit, hinter der sich die schärfsten prinzipiellen Gegensätze verbergen, welche die Entwicklung des Erkenntnisproblems kennt. Einem jeden bedeutet "Erfahrung" etwas völlig anderes.

Also selbst die wörtliche Übereinstimmung garantiert nicht immer eine von mehreren Individuen angestrebte inhaltliche Bedeutungsgleichheit. Diese Fälle, wird man vielleicht sagen, sind gewiß geeignet, zu warnen vor einem leichtsinnigen nur auf einige gleich - oder verschieden formulierte Sätze zu achten, zu warnen, aus gelegentlichen Übereinstimmungen oder Abweichungen im Wortlaut auf inhaltliche Diskrepanzen, im Sinne des sich Ausschließens zu folgern. Eine ernsthafte Gefahr aber liegt hier für die Erkenntnis nicht vor. Ist es uns doch, wie gerade aus diesen Ausführungen hervorgeht, wenigstens nicht prinzipiell versagt, Irrtümer sprachlicher Art zu korrigieren.

Allein dies setzt doch wieder ein Vertrauen auf die Verständigungsmöglichkeit der Individuen untereinander voraus, die aus oben genannten Gründen, im Theoretischen in Zweifel gezogen wurde. Daß wir einander dauernd widersprechen, korrigieren und übereinstimmen, oder übereinzustimmen, zu widersprechen und zu korrigieren glauben, ist zweifellos; der mündliche Meinungsaustausch namentlich läßt im Mienenspiel den Ausdruck der Zustimmung oder Ablehnung deutlich erkennen, wenn wir uns einmal auf den Standpunkt stellen, daß Worte in eigener Sache allein schlechterdings nicht Richter sein dürfen. Setzen wir die Verständigungsmöglichkeit in den letzten Spekulationen nicht, wie es gewöhnlich geschieht, voraus, so wird die Problematik der geistigen Situation durch eine Tatsache des Selbstbewußtseins noch unendlich verschärft. Es ist eine feinsinnige Tat BERGSONs in neuester Zeit darauf hingewiesen zu haben, daß selbst innerhalb des individuellen Ideenkomplexes unsere Vorstellungen einem kontinuierlichen Wandel unterworfen sind, daß es also Vorstellungen gleicher Gegenstände, aber nicht gleiche Vorstellungen gibt.
    "Nehmen wir das einfachste Gefühl und setzen wir es als beständig, lassen wir die ganze Persönlichkeit völlig darin aufgesogen sein, das Bewußtsein, das dieses Gefühl begleitet, wird nicht zwei einander folgende Augenblicke sich gleich bleiben können, weil der folgende Augenblick immer über den vorhergehenden hinaus die Erinnerung enthält, die dieser ihm gelassen hat."
Und was BERGSON von den Vorstellungen sagt, gilt gleicherweise von den diese repräsentierenden Worten. Wie das Weib nicht im Moment des Gebärens Mutter ist, in dem für sie selber einst gültigen letzten Sinn des Wortes, wie sie erst im Heranwachsen des Kindes, an seinen Bedürfnissen und ihren Erfüllungen, sich immer mehr jener ihr selber neuen Energien bewußt wird, die ihr so zum notwendigen Bestandteil des Mutterbegriffs werden, wie ihr die Bedeutung dieses Begriffs am Ende ihres Lebens eine völlig andere ist, als in der Brautzeit, so ist auch im Gedankenleben des individuellen Philosophen (und somit auch in seinem Sprachschatz) der eigentliche Sinn seiner sich oft durch die inneren Wandlungen des Systems gleichbleibenden Worte mannigfachen Schwankungen unterworfen, die wir in vielen Fällen mitzufühlen, nachzudenken imstande sind, deren letzter Sinn wahrscheinlich doch nur einem Jeden selber zu erschließen ist.

Ich erinnere nur an die Begriffsveränderungen des "Dings-ansich" in der Kritik der reinen Vernunft. In der transzendentalen Ästhetik bedeutet es den Gegenstand, wie er uns niemals erscheint, wie wir ihn nie erfahren können, im weiteren Verlauf wird er zu einem Grenzbegriff des Erkennens, zum Gegenbild der objektivierenden Funktionen des reinen Verstandes. (CASSIRER: "Der Begriff des Dings-ansich bedeutet gleichsam die kritische Demarkationslinie des Wissens, die indessen für das Wissen von Anfang an nicht fest steht, sondern die es selber erst im Fortgang der Analyse selber bezeichnet.") Ähnliches gilt für den Begriff der Sensationvund Reflexion bei LOCKE, der "Ausdehnung" in der Physik und Metaphysik bei DESCARTES und der "Erfahrung" in der Vernunftkritik.

Sollte noch immer jemand in der Möglichkeit, die Bedeutungswandlung eines Begriffs zu verfolgen, einen Beweis dafür zu erblicken, daß die Schwierigkeiten des sich in den Sinn einer fremden Philosophie Einfühlens in der Tat sehr große sind, daß meine Beispiele mit Recht auf diese Komplikationen aufmerksam machen, daß ich aber selbst durch ihren Hinweis alle prinzipiellen Bedenken vernichte, so setzt auch dies wieder alles voraus, was gerade in Frage steht. Ich möchte aus meinen Beispielen einen ganz anderen Schluß ziehen. Die Fälle in denen wir eine solche Begriffswandlung verfolgen können, sind selten, vor allem aber von einer solchen Offensichtlichkeit, daß meine Bedenken, die viel tiefer gehen und sich gegen etwas richten, das sich jeden möglichen Nachweises prinzipiell entzieht, dadurch nicht beschwichtigt, ja nicht einmal berührt werden können. Wir haben am Beispiel des kantischen Dingbegriffs das Problem nur etwas weiter hinausgeschoben. Und unsere Verfolgung der Begriffsveränderung besagt nichts anderes, als, was ich schon einmal konstatierte, daß wir unsere Gedanken zu kritisieren glauben und uns einbilden, mit denen eines Dritten übereinzustimmen oder von ihnen abzuweichen. Für den, der aber wahrhaft zweifelt - und hier zu zweifeln ist gewiß nicht in sich widersprechend - erhebt sich nun von Neuem die Frage, ob er denn hier mit andern, welche die gleiche Wandlung des Dingbegriffs bei KANT anerkennen, in letzter Instanz unbedingt übereinstimmt. Das ganze Beispiel ist also eigentlich gar nichts anderes, als eine plumpe Übersetzung, eine ganz offensichtliche und darum, worauf es ankommt fälschende Übertragung, eine nach außen-Projizierung der im Anschluß an BERGSON von mir angedeuteten, in Wahrheit einzig nur einem Menschen sich darbietenden Bedeutungswandlung, Sinnesbereicherung eines Wortbegriffs.

Ich sagte vorhin, ich möchte aus der Tatsache, daß wir die Bedeutungswandlung im System einzelner Denker verfolgen können einen ganz anderen Schluß ziehen, als die, welche darin einen neuen Aufruf zum Vertrauen auf die Verständigungsmöglichkeit erblicken. Dieser Satz mag die Richtung meines Skeptizismus charakterisieren. Ich zweifle nicht an der Möglichkeit des Wissens, am Wahrheitswert vernunftgemäßer Schlußfolgerungen, noch weniger vermeine ich gar die Möglichkeit einer uns bewußt werdenden überpsycho-biologischen, in sich selbst gefestigten, von allem individuellen Anerkanntsein gelösten Wahrheit. Ist es doch gar nicht möglich, dies ernsthaft zu bezweifeln, ohne seine eigenen Gedanken ebenfalls allen, mehr als psychologischen Erkenntniswert zu entziehen. So ziehe ich also die Gültigkeit jener berühmten, in aller gegen sie gerichteten Kritik vorausgesetzten Axiome, des Satzes der Identität und Widerspruchs, nicht im Geringsten in Frage. Es darf logisch kein Bedenken dagegen erhoben werden, daß jeder, der etwas behauptet, eben das behauptet, was er behauptet, es kann gar nicht angetastet werden, daß seine Rede einen festen Sinn haben muß, weil er sonst in der Tat nichts denkt, nichts sagt, wenn sich ihm, während er denkt und spricht ein anderer Sinn unterschiebt. Ich behaupte mit SIGWART
    "daß alles Denken und Urteilen nur möglich ist, wenn die einzelnen Vorstellungsobjekte festgehalten, als dieselben reproduziert und wiedererkannt werden können",
behaupte also, daß ich die Fähigkeit haben sollte, mir zu vergegenwärtigen, was ich vor einer bestimmten Untersuchung unter den Begriff eines Dings meinte, dessen Bedeutung durch ihr Resultat verändert wird, da wir zwischen fortwährend Schwankendem und Zerfließenden keine bestimmte Beziehung herzustellen vermögen. Aber dieses Gefestigtsein der sich im Moment des Denkens gleichbleibenden Bedeutung meines Begriffs hindert doch nicht, daß im zeitlichen Verlauf unseres Vorstellens der feinste Sinn unserer Worte ungeachtet, unbeschadet ihres in jedem wirklichen und vor allem in jedem idealen Augenblick Sichgleichbleibens, Schwankungen unterworfen ist, die wir selber entweder kaum bemerken oder doch nicht für bedeutend genug halten, um ein anderes Wort dafür zu wählen, da wir ja die inhaltliche Abweichung an nichts für alle denkenden, hörenden und sprechenden Wesen Objektivem zu messen imstande sind. Denn wählten wir ein anderes Wort, so hätten wir nach all dem Gesagten, in der völligen Unkontrollierbarkeit des Theoretischen, wieder keine Gewähr für die absolute oder auch nur wesentliche Allgemeinheit und Gleichheit der Auffassung.

Ohne also mit den Axiomen unseres Denkens in Konflikt zu geraten, kann man ernsthaft an die Möglichkeit des Sichverstehens der einzelnen Individuen im Theoretischen zweifeln, kann man im Hinblick auf das, was ich bisher entwickelte geradezu behaupten, daß in allem nicht nur für uns allein Philosophieren, in allen philosophischen Mitteilungen ein entsetzlicher Fluch, eine durch keine Energie der Seele zu besiegende Unfruchtbarkeit auf uns lastet, daß wir verurteilt sind, aneinander vorbei zu laufen, ohne uns jemals zu finden, daß wir alle, die wir das gleiche Ziel, die Wahrheit so leidenschaftlich zu erstreben trachten, kein Mittel haben, den Bereich der eigensten Gedanken zu übergreifen, nicht das Kriterium nur besitzen, die letzte Gleichheit und Verschiedenheit unserer Ideen zu konstatieren - ein Aspekt, wie er dem Philosophen niederschmetternder nicht zu denken ist.

Als ich diesen Gedanken zum ersten Mal aussprach - nicht weil ich hoffte verstanden zu werden, - als ich ihn aussprach, da ich mich seiner nicht mehr erwehren konnte, um die Stille der Einsamkeit, in die er den solches Glaubenden treibt, zu übertönen - sagte mir jemand es wäre unmöglich dies wahrhaft zu denken, denn es hebt die Gattungseinheit auf. Ein Wesen, dem ich mich prinzipiell nicht begreiflich machen könnte, wäre kein Mensch wie ich; ich wäre der einzige Mensch unter allen Wesen. Mit gleichem Recht könnte ich mich als das einzige Wesen überhaupt betrachten . . . . ich wäre beim Solipsismus angelangt, den ich gewiß nicht anerkenne (des es übrigens gar nicht gibt, wie man ihn meistens darstellt).

Hebt mein Gedanke wirklich die Gattungseinheit auf? Leugne ich wirklich das, was man, wenn ich recht verstehe, die Einheit der menschlichen Gattung nennt, deren bloße Existenz ich nicht antaste, die auch kein Solipsist jemals bezweifelt hat?

Gewiß nicht. Ich glaube an jene Einheit, die gerade im System dieser Gedanken eine unvergleichliche, unerhörte, alle Differenzen besiegende Festigkeit gewinnt, die mit souveränder Gleichgültigeit über dem Getriebe philosophischer Reden und Gegenreden waltet. Was war es doch, das so unendlich trostlos all unsere Bemühungen in eine Todesstarrheit zu bannen schien, was den Gedanken der Verneinung der Gattungseinheit aufkommen ließ?

Daß wir niemals Gewißheit darüber gewinnen, ob der andere den Sinn unserer Worte in der nur uns allein faßbaren Nuance begreift, noch mehr, daß diese bisher so selbstverständliche Voraussetzung nichts als ein unerfülltes, vielleicht sogar unerfüllbares Desiderat [Lückenfüller - wp] bedeutet, dessen Erreichen oder Verfehlen uns gleicherweise jemals auch nur zu konstatieren völlig versagt ist.

Ist es uns aber versagt, die in die Sprache übersetzten Ideen meiner und der Andern zu vergleichen, so schließe ich - diesem Gedanken plötzlich eine ungeahnte, beglückende Wendung gebend - daß wir alle, ungeachtet aller Gleichheit oder Verschiedenheit der Formulierungen unserer Weltinterpretation, das Gleiche meinen, sofern wir auf die Totalität des Daseins reagieren, wenn wir den Gehalt unserer Weltdeutungen auszusprechen versuchen. Und dies schein mir nicht einmal eine Folge meiner letzten pessimistischen Formulierung des Mitteilungsskeptizismus zu sein, die im Früheren zwar enthalten ist, aber erst eines weiteren Schlusses bedarf, um zur Realität zu werden; es ist dies nicht eine, wenn auch noch so logische Richtungsänderung, die der Skeptizismus erleidet, es ist der gleiche Gedanke im gleichen Stadium seines Gedachtseins, nur von einer anderen Seite gesehen.

Und der Optimismus, der aus der Skepsis der früheren Erwägungen wächst, tritt in der Tat mit dem Cachet [Stempel - wp] der denkbar größten Wahrscheinlichkeit auf. Zwar ließe sich aus der gegenseitigen Unkontrollierbarkeit all unserer Spekulationen auch die Möglichkeit einer inneren Bedeutungsdivergenz folgern, allein, der Hinweis auf die Gleichheit des einen Seins, der Glaube an die Selbigkeit der einen Welt, die allen unseren Interpretationen zugrunde liegt und das Objekt all unserer Betrachtungen und Aussagen über sie bildet, vernichtet diese Bedenken.

Wie unendlich die das Sein repräsentierenden Vorstellungsbilder der verschiedenen Lebewesen voneinander abweichen mögen - argumentiert eine eigenartige Richtung des Pragmatismus - sie müssen insoweit untereinander gleich sein, müssen insoweit die eigentliche Beschaffenheit der Außenwelt widerspiegeln, daß die, die aufgrund dieser Vorstellungen handeln, nicht daran vergehen. An einem Beispiel: Wie sehr auch immer die Vorstellungen einer Treppe etwa durch meine individuellen, subjektiven Kategorien geformt sind, es muß etwas Wahres dran sein, wenn ich die Schritte, die Stufen richtig bemesse und nicht herabstürze. Dieser Vergleich wäre nicht schlecht, wenn hier nicht dogmatisch die Existenz einer Treppe ansich, einer von allem Bewußtsein unabhängigen Außenwelt vorausgesetzt wäre, allein er leitet dennoch zu einer die Möglichkeit einer Identität unserer divergentesten Weltanschauungen wahrscheinlich gestaltenden Betrachtung hin.

Ich sagte anfangs, daß in keiner einzigen Erkenntnistheorie ein Streit, ein Zweifel über die Realität anderer Wesen oder der sogenannten Außenwelt herrschen könnte und herrscht, ist es doch - dies setze ich voraus - die gleiche Welt, deren Charakter ich nicht näher beschreiben will, um Idealisten, Realisten, Materialisten, Spiritualisten in der Anerkennung dieser unleugbaren Behauptung zu vereinen, die gleiche Welt der Sonne, des Mondes, der Erde, der historischen Ereignisse, der Bildergalerien und Bibliotheken, mit deren Vorhandensein wir uns abzufinden haben. Daß ein Stein der vom Dach eines Hauses einem Vorübergehenden auf den Kopf fällt, ihm schwere Verletzungen zufügen kann, daß ein Messer, das mich schneidet, mir Schmerzen schafft, daß meine Wunde blutet, und mich brennt, das wird niemand in Frage stellen. Nur über die Art, die nähere Bestimmung des Charakters der Realität gehen die Meinungen auseinander. Von der gleichen Sonne behauptet der eine, daß sie gegen alles Vorgestelltwerden gleichgültig, unabhängig von allen Gedanken existiert, dem andern scheint es abstrus, ihr ein Sein zuzusprechen, das unabhängig von irgendeinem Bewußtsein überhaupt zu denken wäre, ein Dritter glaubt, daß der Gehalt ihrer Realität (wie der der ganzen übrigen Welt, die er anerkennt, in der er sich genau so sicher wie der Realist zu orientieren vermag) sich erschöpft im Vorstellen seiner individuellen Seele. Nehmen wir einmal an, daß einem Jeden von ihnen seine Weltanschauung eine völlig befriedigende, einwandfreie, lückenlose, in sich keinen Widerspruch bildende Interpretation der einen Wirklichkeit bedeutet - ich kann dies gewiß nicht exakt beweisen, und die Aussagen anderer dürfen uns hier weder ermutigen noch beirren, da unser Vertrauen auf die sprachliche Mitteilung erschüttert ist, - so hat dieser Glaube doch eine übergroße Wahrscheinlichkeit, da man um die Behauptung der gleichen, wie immer gearteten oder zu definierenden Welt aufzustellen, nicht im Geringsten über den Bereich seiner eigenen Gedanken, seines eigenen Sprachschatzes hinauszugehen braucht. Ist es aber die gleiche Welt, die wir meinen, die gleiche Welt, deren Struktur zu zeichnen eines jeden Philosophie gelingen mag, was könnte naheliegender sein, als von der Identität der Welt, die das Objekt aller Aussagen bildet, auf die hinter allen Worten sich bergende Gleichheit des Gehaltes aller Aussagen zu schließen, sind wir doch Menschen, Glieder derselben Gattung, deren Einheit wahrhaft bedroht wäre, wollten wir die Diskrepanzen der philosophischen Bekenntnisse wörtlich nehmen, die zu retten gerade die Hypothese der Verständigungsmöglichkeit taugt. Nur wenn der Raum nicht die Form der Dinge, sondern die Art meines Anschauens der Dinge ist, sagt KANT, kann ich von ihnen etwas a priori erkennen. So behaupte ich: Nur wenn die so erstaunlichen Abweichungen unserer Weltinterpretationen nichts als wesentlich verschiedene Formulierungen desselben Gedankens sind, wenn wir nicht nur die gleiche Welt meinen, sondern auch, was wir über sie meinen, das Gleiche ist, gerade dann, wenn uns alle eine den eigenen Sinn adäquat ausdrückende Mitteilungsmöglichkeit versagt ist, wäre uns die durch nichts zu erschütternde Einheit der menschlichen Gattung begreiflich, die - so gesehen schwindet alle Paradoxie - es allerdings nicht hindert, daß ein jeder sein eigenes, nur ihm allein zugängliches Vokabularium besitzt, mit dessen Hilfe jeder Denker seine wiederum nur ihm selber völlig verständliche Philosophie formuliert, deren Wortgewand allerdings von den Interpretationen anderer oft in einer Weise abweicht, die die bloß nominelle Differenz nicht mehr erkennen läßt, hinter deren etymologischen Arabesken jedoch eine inhaltliche Gleichheit lebt.

So hätte uns dieser Skeptizismus, der darum eine Beachtung verdient, weil er nicht die Wahrheit überhaupt oder die Gültigkeit der logischen Axiome in Frage zieht, in seinen Konsequenzen zu Gedanken geführt hat, wie sie beglückender der sonnigste Optimismus uns nicht zu bieten vermag.

Es gibt keine inhaltlichen Verschiedenheiten in allem Philosophieren. Dies wäre das Ende.

So war auch für LEIBNIZ alles Erkennen analytisch, folgt doch in allem Wissen, in allem vérités de raison [Wahrheiten des Verstandes - wp] eines mit logischer Notwendigkeit aus dem anderen, was nur denkbar ist unter der Bedingung, daß es schon darin irgendwie enthalten war. Nur eine Unzulänglichkeit des endlichen Menschengeistes macht es erforderlich, die Wahrheit in allmählichen, schrittweisen Entwicklungen gewisser Prämissen zu erkennen, in einem zeitlichen Nacheinander zu erschließen. Der Sinn aller Schlüsse aber ruht in der allem empirischen Nacheinander entrückten zeitlosen Immer-Gültigkeit, für die Wahrheit ist es unwesentlich, in welcher Reihenfolge der logischen Analyse sie erschlossen ist. Die Skala der Prämissen und Konklusionen nimmt an dem nicht einmal, nicht zugleich in das Bewußtsein-Treten des Menschengeistes nicht teil. Dem vollkommenen göttlichen Verstand ist die Summe aller vorhandenen und wie auch immer möglichen Schlüsse gegenwärtig, die der Wissenschaft im Verfolgen ihrer Arbeit erst allmählich zu gewinnen obliegt. Keiner der Unwissenden ergibt sich der Wissenschaft, sagt PLATON, denn er verlangt nicht danach, aber auch keiner der Götter, denn sie haben das Wissen. So ist es klar, das im letzten Satz eines philosophischen Systems, sofern in ihm keine logischen Fehler sind, nichts gesagt wird, was nicht mit seiner ersten Voraussetzung notwendig mitgedacht werden muß. Mit der Geltung des einen ist die Wahrheit des anderen unmittelbar gegeben. Und was hier von der Wissenschaft im allgemeinen und allen ihren Systemen behauptet wird, kann ohne Bedenken auf ihre einzelnen Bestandteile übertragen werden, gilt notwendig für die Struktur eines jeden Urteils. Auch hier wird im Prädikat nichts gesagt, was für den Wahrheitwissenden nicht schon durch das Subjekt allein völlig ausgedrückt ist. Subjekt und Prädikat sind identisch. So erfahren wir, alles menschliche Erkennen ist nicht nur analytisch, alles Wissen ist geradezu eine Tautologie.

Wenn also jemand sagt: Einige Menschen sind gelb, so will er damit nicht behaupten, daß einige Menschen, also z. B. ALEXANDER der Große und IMMANUEL KANT so gelb sind, wie venetianisches Gold, sondern was er meist ist dies: Einige Menschen, die gelb sind, ebenso gelb wie die Hautfarbe derer ist, von denen ich sage, daß sie gelb sind, sind gelb, nicht etwa von jenem leuchtend warmen Schimmer Titanischer Gewänder, sondern so gelb, wie eben nur diese einigen Menschen sind, um die es sich hier handelt. Wenn, um ein ernsteres Beispiel zu geben, HUSSERL sagt: "das Wesen der Psychologie ist, das empirische Geistesleben unter Kausalgesetze von vager Allgemeinheit zu stellen", so scheint es unglaublich töricht, hiergegen streiten zu wollen. Was immer ein anderer für das Wesen dessen, was er Psychologie nennt, halten mag, so ist doch HUSSERLs Behauptung in sich völlig abgeschlossen und fehlerfrei. Es ist gewiß unnötig, den unantastbaren Sinn seiner These nach dem Schema des oberen Beispiels ausführlich zu entwickeln und es ist evident, daß sein Psychologiebegriff von der Kritik SIGWARTs nicht im Geringsten getroffen werden mag. Was jener dagegen einwendet, mag HUSSERL immerhin zugestehen, aber mit keinem logischen Recht kann man ihn hindern zu sagen: das mag eine dankenswerte Bemerkung sein, allein es ist nicht Psychologie, nicht das, was mir die Wissenschaft der Psychologie bedeutet.

Ist aber alles Wissen, alles Erkennen und Urteilen von einem höheren Standpunkt aus eine Tautologie, so kann nichts falsch sein, läßt sich doch allen Sätzen eine Deutung geben, deren logische Unanfechtbarkeit unmittelbar gewiß ist. Nun aber stehen im Geistesleben die schroffsten Gegensätze unvermittelt gegenüber. Wie ist es denkbar, daß sie alle richtig sind, zugleich richtig sind, ohne die axiomatische Gültigkeit des Satzes vom Widerspruch zu negieren, so muß nun gefragt werden. Und wir wissen die eine einzige Antwort. Es ist unabweislich, daß dasselbe demselben in gleicher Beziehung nicht zugleich zukommen und nicht zukommen kann. Wahrhafte Widersprüche dürfen nicht geduldet werden. Ist aber der Inhalt aller Aussagen in sich völlig fehlerlos, gibt es nur eine einzige Wahrheit über den gleichen Gegenstand, so müssen sie notwendig in einer tiefer gelegenen Schicht übereinstimmen, müssen innerlich identisch sein, - und ihre Verschiedenheit ist nur eine nominale.

Blicken wir von hieraus auf den Streit der Philosophen, so wird es uns verständlich, weshalb er bis auf den heutigen Tag nicht geschlichtet ist, noch nicht geschlichtet werden konnte. Sie haben alle recht, aber sie können dies nicht begreifen, da ein jeder von ihnen - dies ist die Konsequenz der Behauptung ihrer aller Wahrheit - eine andere Sprache redet, in der er, nur sich selber völlig verständlich, die allen gemeinsame eine Wahrheit kündet. So erscheinen auch in dieser Betrachtung alle Bedeutungsverschiedenheiten als Trugbilder des aller theoretischen sprachlichen Verständigungsmöglichkeit unfähigen, im Grunde doch so einheitlichen Menschengeschlechts.

Es gibt keine inhaltlichen Verschiedenheiten in allem Philosophieren.

Sollte dies wirklich das Ende aller Weisheit sein?

HEGEL war es, der so leidenschaftlich, nachdrücklich betonte, daß die Verschiedenheit der philosophischen Systeme kein Beweis ihrer Unsinnigkeit ist, wie das gewöhnliche Räsonnement des nüchternen Denkens behauptet. Es kam ihm alles darauf an, begreiflich zu machen, daß die Mannigfaltigkeit der vielen Philosophien nicht nur der Philosophie selbst, der logischen Möglichkeit und ihrer Berechtigung, keinen Eintrag tut, sondern daß eine solche Mannigfaltigkeit zur Existenz, zur Wissenschaft der Philosophie schlechterdings notwendig ist und gewesen ist, daß sie ihr wesentlich ist. So sind in den Taten der Geschichte der Philosophie keine romantischen Abenteuer, sondern selbst in der Bewegung des sich entgegenarbeitenden, denkenden Geistes erblickt er einen tiefen Zusammenhang. Keines der philosophischen Systeme war ihm völlig falsch, in jedem barg sich ihm ein Moment der sich entwickelnden Wahrheit, die in der folgenden aufgehoben ist. Aber wie sehr er von uns auch verlangt, mit diesem Glauben an den Weltgeist an die Geschichte der Philosophie zu treten, wie immer ihm die vielen historischen Philosophien nur Entwicklungsstufen in der Entfaltung der Wahrheit sind, so leugnet er doch niemals ihre tatsächliche, inhaltliche, mehr als nominelle Mannigfaltigkeit, hält er fest an der Verschiedenheit dessen, was sie meinen.

Nachdem die Konsequenzen des einmal aufgegriffenen Zweifels der philosophischen Mitteilbarkeit uns am Rand des trostlosesten, alles geistige Ringen lähmenden Nihilismus geführt haben, glauben wir etwas vom Glück derer zu empfinden, die nach langen Irrfahrten erkennen, daß das Reich der Seligkeit, das draußen zu finden ihnen alle Hoffnungen genommen ist, in ihrem eigenen Herzen wohnt. So war es uns wie eine Befreiung zu glauben, daß wir der philosophischen Mitteilung, die sich uns prinzipiell versagte, eigentlich gar nicht bedürfen, da unsere Gedanken stets die gleichen sind und keine Worte uns mehr beirren können, wo immer wir als Philosophen auf die Ganzheit des Daseins zu reagieren suchen. Endlich schienen wir erlöst von allen Mißverständnissen des Denkens.

Und doch ist der Gedanke nicht minder ängstigend, daß es keinen Unterschied gibt zwischen den Ideen PLATOs und CONDILLACs. Wir können, wenn wir die logische Wahrheit dieser Theorie auf die Praxis des geistigen Lebens anwenden wollen, nicht begreifen, wie der Wahrheitsbegriff SPINOZAs nichts anderes meint als der des Pragmatismus eines WILLIAM JAMES, so sehr haben wir uns abzufinden gelernt mit der Tatsache, daß wir Menschen, Wesen der gleichen Gattung, nebeneinander leben, miteinander streiten, uns begreifen und doch nicht begreifen. Allein ist dies nicht das Paradoxe aller großen philosophischen Wahrheiten, aller metaphysischen Behauptungen, daß sie eine Anwendung auf die in der Nahbetrachtung hervortretenden Einzelheiten versagen?

Wir sehen ein Gebirge in einem endlosen Nebeneinander zahlloser Gipfel am Horizont; wir nähern uns ihm - das Gebirge ist verschwunden, wir sehen nur einen Berg und bald nur einige Bäume, einen Baum; wir treten ganz dicht heran, kein Baum mehr, nur ein Stück Rinde ist vor uns, auf dem eine Raupe sitzt. Wo ist das Gebirge? War es nur eine Täuschung?

"Wohin ich meinen Geist schweifen lasse", sagt XENOPHANES, "alles löst sich mir in eine Einheit auf". Wir glauben mit ihm an die metaphysische Gleichheit dessen, was von der allumgreifenden Form des Seins umschlossen wird. Und doch kann es uns nicht gelingen, die Gemeinsamkeit von Tristans Liebe und einem Tintenfaß zu erkennen. So scheint es das Wesen der metaphysischen Allgemeinheit zu sein, scheint in der Struktur ihrer begründet zu liegen: "Nicht für die Besonderheiten zu gelten, als deren Allgemeines sie dennoch sich darbieten." (SIMMEL)

Die Unfähigkeit also, sich am Einzelnen zu realisieren ist keine unbedingte Widerlegung dieser Theorie. Aber sie begnügt sich nicht nur zu behaupten, daß die Weltinterpretationen der großen Typen der scheinbar verschiedensten Geistesrichtungen die gleichen wären; nicht nur KANT und GOETHE, LEIBNIZ und HUME, auch KANT und sein Vater, der Sattlermeister, GOETHE und seine Waschfrau sollen dasselbe meinen, sofern sie überhaupt theoretisch Stellung nehmen zur Totalität der Welt. Die Ehrfurcht, die das Genie für sich fordert - das Pathos der Distanz wäre ein Unsinn?

So unglaublich dies klingen mag, daran zweifeln, hieße das Problem mißverstehen. Daß SPINOZAs Offenbarungen und die kindischen Versuche eines HÄCKEL nicht identisch sind, ist ohne weiteres selbstverständlich, sobald wir wie gewöhnlich ihre Unvergleichbarkeit voraussetzen und sie durch die Epitheta [schmückende Beinamen - wp] der höchsten Offenbarung und der gräßlichsten Naivität charakterisieren. Allein ihre Distanz ist ja in diesem Zusammenhang fraglich geworden. Wir würden uns in einem Zirkel bewegen, wollten wir die Skepsis der philosophischen Mitteilbarkeit aufheben durch ein bereits gesichertes, dem entgegenstehendes Wissen, das doch auch nur durch eine Vermittlung der Sprache in unseren Besitz gelangt sein kann.

Gibt es also wirklich, so müssen wir uns noch einmal fragen, keine Tatsache des Selbstbewußtseins, eines Denkens, das zu seiner Realisierung keiner fremden Wortvermittlung bedarf - denn dies allein ist ja von aller Skepsis unberührt geblieben - die uns dennoch die Möglichkeit, die Wirklichkeit verschiedener Inhalt verbürgt?

Und in der Tat, es gibt solche Fakta der Eigenerfahrung im Leben unserer Ideen, deren Verschiedenheit uns intuitiv gewiß ist. Wie wollte man leugnen, daß wir beim Verfolgen unserer Gedanken, in verschiedenen Stadien ihrer und unserer Entwicklung, wahrhaft verschiedener Ansicht über den gleichen Gegenstand sind, daß, wie innig die Verbindung des Subjekts und Prädikats im Urteil ist, wir mit aller Entschiedenheit ein anderes meinen mit den Worten: Psychologie ist Naturwissenschaft - Psychologie ist Geisteswissenschaft. Solange zwei isolierte Persönlichkeiten dies behaupten, ist uns zwar kein Mittel gegeben, die wahre Differenz dieser beiden Urteile zu konstatieren, wenn wir erst einmal an der absoluten Bedeutungseinheit der Sprache zweifeln. Sind wir aber selber das denkende Subjekt dieser Sätze, so müssen alle Bedenken verstummen. Hier, an der Quelle der Realität, ergreife ich den Sinn dieser Behauptungen unmittelbar, und wollte noch immer jemand sagen, daß der Sinn dieser Gedanken der gleiche wäre, daß ihre Verschiedenheit sich in der bloßen Namensgebung erschöpft, so könnte ich mit Recht entgegnen, daß dies eben nicht meine Gedanken sind, deren wahrhafte Divergenz er in Frage zieht.

Gibt es aber, wie ich hier mit unerschütterlicher Gewißheit erfahre, an einem Punkt der Realität eine Verschiedenheit des Wissens, so steht deren Übertragung in die Inhalte verschiedener Wesen keine prinzipielle Schwierigkeit mehr entgegen. Wieviel ernsthafte Hindernisse in der philosophischen Mitteilung der einzelnen Individuen zu überwinden sein mögen, die Radikalität der Skepsis, mit der sie zu Anfang auftrat, ist entkräftet.

Aber noch eine andere Betrachtungsweise leitet zu einer der gewöhnlichen ungeprüften Voraussetzung sich nähernden Auffassung. Dieser ganze Skeptizismus richtete sich doch nur gegen die Sprache, nicht gegen die Axiome der Logik. Auf welchem Weg aber, haben wir denn die Kenntnis jener Axiome gewonnen? Mögen dies immer als geistige Energien seit früher Kindheit in uns tätig sein, mag man die Fähigkeit, sie im Laufe des geistigen Wachstums unbewußt zu entwickeln, für angeboren erklären, so ist doch sicher, daß wir das Bewußtsein ihrer, die Formulierung, die die Wissenschaft ihnen gegeben hat, durch eine Vermittlung der Sprache erlangt haben. Die Behauptung, daß es eine Wahrheit geben muß, da sonst alles was ich sage, selber keinen Erkenntniswert besitzt, das Prinzip der Identität, daß einem Ding nicht zwei widersprechende Eigenschaften zugleich zukommen können - das alles sind auch Worte, die andere zu mir gesprochen haben, deren eigentlichen Sinn ich aber wahrhaftig verstanden zu haben behaupte, ohne die leiseste Nuance inhaltlicher Verschiedenheit, genau wie der Andere sie meinte.

Nachdem ich mit Hilfe dieser Sätze die Möglichkeit menschlich-sprachlicher Mitteilungen im Abstrakten bezweifelt habe, sehe ich, daß, so gewiß ihnen eine apodiktische Gewißheit eignet, meine Kenntnis ihrer selber nur möglich ist unter der Bedingung der nicht nur metaphysischen, nicht nur zutiefst inhaltlichen, sondern vor allem etymologischen Gemeinsamkeit der Menschen.

In den Worten der Philosophie ist der wahre Gehalt ihrer eingeschlossen, dessen tiefste eigenste Bedeutung zu fassen gewiß eine große Hingebung erfordert, dessen Sinn jedoch sich unserem Einfühlen schließlich erschließen muß, wenngleich er uns auch nicht unmittelbar gegeben, sondern, erkenntnistheoretisch gesprochen, aufgegeben ist. Nicht als eine Tatsache haben uns die Weltinterpretationen der verschiedenen Denker zu gelten, sondern als Aufgabe, deren Erfüllung wir uns im endlichen Verfolg unserer Arbeit mehr als asymptotisch nähern. Und glaubten wir am Anfang, daß die Differenz der Weltbilder nichts ist als eine stylistische Verschiedenheit der Formulierungen ihrer bedeutet, so ist uns jetzt die Überspannung dieses, im beschränkteren Maß gewiß richtigen Prinzips klar geworden. Was FRIEDRICH der Große einmal von der Zukunft sagte, daß sie nie so schön, aber auch nie so schrecklich wird, wie sie die Menschen erwarten, gilt mit einiger Variierung von der Einheit des Menschengeistes, von der Einheit der Menschengattung. Weder ist sie über alle ideenhafte Gespaltenheit so sehr erhaben, daß wir stets das Gleiche meinen, auch wenn unsere Worte dem offensichtlich widerstreiten, noch sind wir gebannt in die alles seelische Geschehen lähmende Trostlosigkeit des sich nie einander offenbaren Könnens.


Es ist gewiß richtig, wenn BERGSON darauf hinweist, daß jedes Problem eine ihm allein zukommende Art der Betrachtung erfordert; doch wie mannigfaltig variierend die Einstellung des Blicks auf eine Frage des Wissens und des Lebens sein mag, so gibt es doch wesentlich nur zwei Pole, zwischen denen jede Darstellung sich bewegen muß: Das wissenschaftlich exakt streng Systematische und das Künstlerische, das, von persönlicher Lebendigkeit getrieben, aus subjektiver Interessiertheit stammt. Die obige Untersuchung ist gewiß nur eine der möglichen Darstellungen, da selbstverständlich das Tendieren nach dem einen Pol die Eigentümlichkeiten der um den andern zentrierenden, typischen Perspektiven ausschließt. Aber sie ist auch nur eine der möglichen Darstellungen, insofern sie - und dies ist das Charakteristische aller, das intuitiver Erleben porträtierenden Darstellungen - in viel geringerem Maß den Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit erhebt, als jene andere Behandlungsweise strenger Wissenschaftlichkeit, die das Geschaute nicht wie es erlebt, nicht unter dem Gesichtspunkt der einen Seele, sondern unter den Kategorien des nach Objektivität ringenden Denkens entwickelt.

Eine umfassende wissenschaftliche Darstellung des Problems der Sprache würde sich zunächst etwa mit der naturwissenschaftlich-mathematischen Begriffsbildung auseinanderzusetzen haben. Ich ging daran vorüber, indem ich ohne weiteres auf mathematischem Gebiet jene ideale Kongruenz von Wort, Zeichen, Begriff, Gegenstand in allen Menschen voraussetzte, deren Gewinnung in allen Begriffen des geistig-metaphysisch-künstlerischen Lebens von solcher Problematik ist, daß die Frage auftauchen konnte, ob nicht vielleicht einem Gelingen auf diesem Gebiet prinzipiell unüberwindliche Hemmungen entgegenstehen, was für die Erkenntnisansprüche des Menschen von vitalster Bedeutsamkeit wäre.

Sodann würde geboten sein, eine möglicsht strenge Scheidung vorzunehmen zwischen den Faktoren (sprachlich psychischer Art), die im Vorstellen, Erkennen der einzelnen Menschen wirksam sind und denen, die erst beim Versuch der objektiven Mitteilung geistig-metaphysischer Leistungen in Kraft treten.

Die Darstellung des Ersteren zerfällt in drei Teile.

Wie vielfach beton, drohen dem Erkennen von Seiten der Sprache Vergewaltigungen, wo neue Gedanken notgedrungen in alter Terminologie ihren Ausdruck finden. Hier geschieht es häufig, daß, nachdem man den neuen Begriff mit einem, dem früheren Denk- und Sprachgebrauch entlehnten Wort etikettiert hat - wogegen nichts einzuwenden ist -, die alte Bedeutung assoziativ weiterwirkt und so dem Autor sein eigenes Denken unwillkürlich verunreinigt. So bedeutet z. B. bei DESCARTES der Begriff "Gott" ursprünglich nichts anderes, als den Ausdruck der Selbstgarantie des logischen Denkens, und doch läßt DESCARTES selber sich verleiten, durch die bloße Gleichheit des Wortes, dem, was er "Gott" nennt, schließlich all jene, dem "Gott" der Bibel attributierten, ethischen Qualitäten wie Vollkommenheit, Wahrheitsliebe, Güte zuzuerkennen. Allein, so sehr auch die Geschichte strotzt von solchen Irrungen, die aus Gewohnheit und didaktischer Absicht stammen, so ist dies keineswegs von prinzipieller Bedeutung für das erkenntnistheoretische Verhältnis der Sprache zum Denken des Menschen überhaupt.

Aber dem forschenden Blick zeigen sich bald Willkürlichkeiten, die zwar noch nicht prinzipiell Faktoren sprachlogischer Art als Erkenntnis vernichtend erscheinen lassen, wohl aber - und dies ist eine hochinteressante Nebenentdeckung - prinzipiell ganze Problemkomplexe von kulturell höchster Interessantheit, letzten Endes von der bloßen Möglichkeit einer rein logischen, sachlichen Diskussion ausschließen. Es muß betont werden, daß es Problemgruppen gibt, in denen sich die Tatsache, daß wir unsere Gedanken auch vor uns selber in Worten denken, in störendster Weise fühlbar macht, so daß, infolge des bloßen Beteiligtseins der Sprache, ein Teil, wenn auch nicht der wesentlichere, der Lösungen solcher Probleme von absolut unkorrigierbarer Willkürhaftigkeit ist. Und nur in Unkenntnis hiervon hat man gerade um dessentwillen die heftigsten, ungeschlichtetsten - weil eben (wegen des hierin waltenden Moments der Willkür) prinzipiell unschlichtbaren Kämpfe geführt. Wir meinen die zahllosen Streitigkeiten, die sich um das "Wesen" einer Sache, etwa des Christentums, der Philosophie, der Religion, der Wissenschaft, der Kunst und die "Aufgabe" von Institutionen oder Disziplinen erhoben haben.

Vorausgesetzt, daß in allen Akten des Erkennens ein Etwas reinen Denkens ist, das durch alle Gefährdungen seinen eigenen Weg des Überpsychologischen zu gehen imstande ist - und ohne diese Voraussetzung in irgendeinem Sinn anzuerkennen, wäre es nicht der Mühe wert, erkenntnistheoretische Untersuchungen auch nur in Angriff zu nehmen - so ist es doch unvermeidlich, im Akt der Objektivierung sich von Willkürlichkeiten fern zu halten: die Benennung, die bloße Namensgebung, die in Worten der vorhandenen Sprache geschieht, untersteht nicht mehr den Gesetzen des reinen Denkens. Hiermit wird keineswegs alle sachliche Verschiedenheit prinzipiell geleugnet. Es soll nur darauf hingewiesen sein, wie ein Teil dessen, was man gewöhnlnich als zur Sachlichkeit der Diskussion gehörend empfindet, von dieser notwendig ausgeschlossen ist. Es ist in der Tat ein anderes, vom Zusichselberwollen der Seele zu sprechen, ein anderes, an das Nivellieren der edelsten Qualitäten des Menschen zu denken. Und doch muß es letzten Endes willkürlich sein, welche der beiden Gedanken man mit dem Etikett "Christentum" zu versehen wünscht, in welcher der beiden Lebenshaltungen man das Wesen des, mit dem Wort "Christentum" kenntlich zu machenden Gebildes erblickt. Das Gleiche gilt für die Diskussionen, die sich an die Bestimmung der Aufgabe einer Sache knüpfen. Ist eine Aufgabe doch eben die Aufgabe einer Disziplin, wie sie in dieser Weise zu fixieren, mit diesem Namen zu belegen (wodurch sie zur Aufgabe einer ebenso benannten Disziplin wird) Sache der Willkür bleibt.

Wie fern es der gewöhnlichen Denkweise liegen mag, die Diskussionen über Wesen und Aufgabe der Dinge unter diesen Gesichtspunkt gerückt zu wissen, so darf nicht übersehen werden, daß dergleichen Begriffsbestimmungen nicht prinzipiell eines Restes von Sachlichkeit zu entbehren brauchen. Es bleibt ein Etwas reinen Ideengehalts, um das die Diskussion sich weiterhin bewegen mag, die somit freilich streng auf Regionen zu beschränken ist, die nicht leicht zugänglich sind. Und mit voller Deutlichkeit läßt sich dieser Teil gegen den der bloßen Namengebung abgrenzen. Wo, in einem besonderen Fall, sich diese beiden Teile nicht mehr gegeneinander abheben, müßte auch dieser Rest von sachlicher Notwendigkeit schwinden.

Und diese scharfe Unterscheidung versagt völlig, wo der Mensch das Wesen des Erkennens zum Gegenstand seiner Forschung macht. Was auch immer es ist, dessen Wesen wir bestimmen wollen, so werden wir stets imstande sein, den unerläßlichen Rest reiner Gedanklichkeit aus der Vermischung mti willkürlichen Elementen bloßer Namensgebung zu lösen. Will der "Erkennende" aber Einsicht gewinnen in dasa "Wesen der Erkenntnis" selber, so ist es ihm, in diesem einzigartigen Fall, unmöglich, die Grenze der beiden Teile zu fixieren. Und doch ist die Frage nach dem Wesen des Erkennens der ältesten, umd die sich Menschen mühten, fällt sie doch zusammen mit der, die man in die Worte zu fassen pflecht: "Gibt es Erkenntnis? Hat der Mensch Erkenntnis?"

Daß diese Frage immer wieder mit einer solchen Rangigkeit gestellt werden konnte, muß von hier aus ein wenig primitiv erscheinen. Wer lange Zeit in vielleicht übertriebener Einseitigkeit die tiefsten Probleme der Metaphysik unter dem Gesichtspunkt der Sprachkritik betrachtet hat, wer nur allzu deutlich weiß, wie alles Gedankliche durchsetzt ist mit Nominaldefinitionen, dem fehlt gleichsam das Organ für die etwas biedere Ernsthaftigkeit, mit der man hier zu erkennen verlangt, was das "Wesen des Erkennens" ist. Eine tiefere Einsicht läßt ihn Wert und Wahrheitsgehalt dieser Fragen und Antworten wesentlich anders empfinden, als all die, welche das geistige Leben noch nicht in so mannigfach gebrochenem Licht sehen.

Es gab eine Zeit, die das Erkennen als Abbilden auffaßte. Als man nun einsah, wie ein solches Abbilden der Dinge unmöglich ist, fand man sich vor die Alternative gestellt, entweder dem Menschen die Fähigkeit des Erkennens abzusprechen, oder den Begriff der Erkenntnis zu modifizieren. Man entschied sich für das Letzere.
    "Wenn Erkenntnis lediglich ein Abbilden wäre, so stünde es schlimm um die Wissensprätentionen des Menschen", sagte man sich "aber der Begriff des Abbildens ist ein Unding. Wir brauchen unter Erkenntnis nur etwas ganz anderes zu verstehen, etwas - dessen wir teilhaftig sind, dann ist es klar, daß wir Menschen ein Erkennen besitzen."
Man sprach dies nicht mit dieser Offenheit aus, aber es ist unzweifelhaft, daß man im Innersten so dachte.

Und wir werden es rechtfertigen können, werden es rechtfertigen müssen. Wenn man hiergegen einwendet, daß es Verlogenheit und Willkür ist, den Begriff des Erkennens als ein Abbilden deshalb aufzugeben, weil er unseren Stolz nicht genügend befriedigt, so müssen wir dem entgegenhalten, daß es nicht weniger Willkür gewesen ist, gerade die Vorstellung des Abbildens mit dem Ehrenprädikat der "Erkenntnis" zu versehen. Es gibt keinen sachlichen Grund, der uns zwingen könnte, bei dieser Fassung des Erkenntnisbegriffs stehen zu bleiben. Und so mochte man wohl den Wertbegriff "Erkenntnis" zum Etikett eines Gedankengebildes wählen, das man sein eigen nennen kann. Nicht im Geringsten willkürlicher ist es deshalb, ein neues, gefälligeres Erkenntnisideal zu bilden, als, selbstquälerisch, bei jenem Abbildschema zu verharren. Freilich wird hiermit in erschreckender Weise deutlich, daß es willkürlich bleiben muß, was immer wir unter Erkenntnis verstehen mögen. Kein Mittel gibt es, dieser Willkür zu entgehen.

Wer von anderer Seite an das Problem der Erkenntnis herantritt, ist oft geneigt, zu glauben oder zu beweisen, daß der Mensch nur auf sehr wenigen Gebieten Erkenntnis zu gewinnn imstande ist; eine Aussicht, der man wegen ihrer Gemäßigtkeit vielfach einen besonders hohen Grad von Wahrscheinlichkeit zuerkennt. Und gerade diesen Standpunkt einzunehmen scheint eine Untersuchung sich, mit Unrecht, unmöglich zu machen, die von unseren Überlegungen ausgehend, unter "Erkenntnis" das versteht, was man darunter zu verstehen - wünscht (1). Aber diesen Einwand kann nur erheben, wer noch nicht ganz in den Sinn dieser Gedanken eingedrungen ist. Ist doch nach den obigen Ausführungen auch diese Position nicht im Geringsten weniger willkürlich als jede andere.

Ein nicht zu vernichtender Glaube läßt uns auch hier noch die alte, aller Sprachkritik voraufgehende Unterscheidung von Nominal- und Realdefinition aufrechterhalten. Unmöglich aber ist es, diese Unterscheidung empirisch zu vollziehen in der Untersuchung desjenigen Begriffs, dessen fundamentale Bedeutsamkeit dies wie bei keinem anderen wünschenswert macht, des Begriffs der Erkenntnis, ihres Wesens und ihrer Erreichbarkeit für den Menschen.

GOETHE hatte ein tiefes Gefühl für die Relativität, die sich aus solchen Gründen unvermeidlich auf viele Probleme, Fragen und Antworten legt, die deshalb gar nicht, wie der naive Mensch sich einbildet, mit einem definitiven Ja oder Nein ausgedrückt werden können; und wir alle erleben jene seltsame Verwirrung und Unbefriedigtheit, in der Gretchen sich befand, als Faust ihr zu antworten such auf die Frage: "Glaubst du an Gott?" Wir alle leiden an ihr und halten jede Sicherheit in Dingen des geistigen Seins für verloren, wenn wir dies zum ersten Mal ahnend erfassen.

Und doch ist aufgrund dieser, durch die willkürhaften Momente der Sprache in das Erkennen hineingetragenen Faktoren das Reich eines, von Namengebungen unabhängigen Denkens noch keineswegs vernichtet. Noch immer hat das Denken eine Selbständigkeit gegenüber sprachpsychologischen Eingriffen - und irgendeine Selbständigkeit, ein wie auch immer zu reduzierendes Fürsichsein muß es auch weiterhin bewahren, sollen diese und ähnlniche Einwände skeptischer Art einen Sinn behalten, will man nicht jene lächerliche Paradoxie begehen, innerhalb erkenntnistheoretischer Untersuchungen, die als solche unter der Annahme überpsychologischer Fähigkeiten des Menschen geführt werden, allmählich diese Annahme selbst für absolut verfehlt zu erklären. In irgendeinem Sinn scheint es, darf und kann die Skepsis unser Vorstellen nicht berühren, und es fragt sich nur, ob die Skepsis mit den obigen sprachpsychologischen Erwägungen schon bis ans Ende gedrungen ist.

Und eben das ist zu verneinen.

Noch ist das Maß dessen, was gegen das, nach Erkenntnis strebende Vorstellen des Menschen behauptet werden kann, nicht voll. Noch gibt es zwei Einwände furchtbarster Art, die dem Menschen - und damit ist die Grenze erreicht - in der Tat gerade nur soviel Erkenntnismöglichkeit zugestehen, als erfoderlich ist, um wenigstens ihrer eigenen Kritik das unerläßliche Maß an Dignität zu lassen, die aber auch nur dieses Minimum anerkennen, um ihm die Fähigkeit abzusprechen, sich in der Behandlung jedweden Einzelproblems geistesmetaphysischer Art in der notwendigen Reinheit des Sachlichen zu realisieren. Das Eine ist die bereits erwähnte, von BERGSON akzentuierte Tatsache der Selbstverständerung eines jeden Begriffs metaphysischen Inhalts im Geiste dessen, der ihn gedacht und doch nicht mehr imstande ist, im Laufe der Zeit den Begriff als identische Vorstellung zu reproduzieren, worüber man sich durch die Verwendung der, aller Veränderung entrückten gleichen Worte hinwegzutäuschen pflegt. Das Andere ist der Vorwurf der prinzipiellen Bildhaftigkeit des menschlichen Denkens, sobald es intensiv an die Behandlung eines Einzelproblems herangeht und sich nicht nur begnügt, wie in diesen Untersuchungen selber, Reflexionen über das Denken im allgemeinen anzustellen. Noch einmal sei es gesagt: Daß der Mensch über das Erkennen oder Nicht-Erkennen Erkenntnisse gewinnen kann, dies, aber auch nur dies, soll ihm zugestanden werden. Mit wie großer Deutlichkeit auch immer wir fühlen, daß in allem Denken geistiger Beziehungen das Bildhaft-Räumliche, das den Worten, mit denen wir es bezeichnen, anhaftet, durchaus abgestreift werden muß, so wird hier betont, daß die Ausführung dieses so notwendigen Entschlusses psychisch nicht möglich ist. Entweder birgt sich in unserem Denken Räumliches - oder es hat alle Deutlichkeit verloren (man prüfe sich selber), mit Ausnahme des Denkens dieser höchst wenig positiven, kritischen Gedanken über das Denken. Mit einem Wort: Es gibt kein Denken des Menschen, das anderer, reinerer unräumlicherer Art ist, als die bereits in die Sprache aufgenommenen, bildhaften Vorstellungselemente, es gibt in der Behandlung der wesentlichsten Probleme des Geistes kein Denken außerhalb der Sprache. Während also MAUTHNER das Denken zur Sprache werden läßt, ist für mich die Sprache selber ein Ausdruck des Denkens, ja vielleicht dessen einziger Niederschlag.

Was aber keineswegs eben dahin interpretiert werden darf, daß die Sprache bereits aller Vollkommenheiten des Denkens ansich teilhaftig ist, vielmehr ergab sich uns dies als die angemessene Deutung des Verhältnisses von Sprache und Denken des Menschen, daß sein reales, empirisches Vorstellen niemals - mit Ausnahme gewisser kritischer Spekulationen - den Grad eines an die Sprache nicht mehr gebundenen, rein ideenhaften Denkens in einem platonischen Sinn erreicht.

Sahen wir in diesem Teil, wie der Mensch bereits als Einzelner in seinen Erkenntnisversuchen denkfremden Einflüssen unterworfen ist, die teils zufällig, teils prinzipiell wirksam sind - in den beiden letzten Argumentationen von so vernichtender Gewalt, daß der Mensch, sofern sie richtig sind, jeden Anspruch auf ein überpsychologisches Erkennen aufzugeben hat, und sein tiefstes Sinnen zu ewiger Tantalusqual und Sisyphusarbeit verurteilt ist, so wächst das Problematische der Lage des metaphysizierenden Menschen, wenn wir uns vergegenwärtigen, welchen unüberwindlichen Schwierigkeiten - nicht nur das reine Denken - sondern die Mitteilung metaphysischer Gedanken ausgesetzt ist. Der Darstellung der philosophischen Mitteilbarkeit wäre der nächste Abschnitt zu widmen. Hierher gehörenden Einwände fanden zum großen Teil Erwähnung im oberen Essay, den man vielleicht treffend "Optimistische Gedanken zum Skeptizismus" betiteln könnte.

Ich begnüge mich an dieser Stelle nur noch an die Bemerkung SCHLEIERMACHERs zu erinnern, daß man zur Interpretation von philosophischen Mitteilungen entweder eine vollkommene Kenntnis "der" Sprache, oder eine vollständige Kenntnis des Autors haben müßte, um so das Eine aus dem Andern mit feinem Takt erschließen zu können, was empirisch freilich niemals erreichbar ist.

Somit hat uns die Untersuchung der Sprache und ihrer Beziehungen zum Denken, hinsichtlich jeglicher Erkenntnisansprüche, an den Rand eines überaus harten Skeptizismus geführt, der logisch völlig einwandfrei ist, und gewiß nicht deshalb zu widerlegen, weil er nicht dem Stolz des Menschen schmeichelt und seine tiefste, erhabenste Sehnsucht unbefriedigt läßt.

Vielleicht sind es diese halb edlen, halb unreinen Instinkte gewesen, die hinter dem Einwand lebten, der gegen mich einmal von idealistisch-kritizistischer Seite erhoben wurde: Daß das Problem der Sprache auf diesem Weg nicht gelöst werden kann, und daß es für seine Behandlung nur ein einziges Verfahren gibt, dasselbe, das der Neukantianismus mit solcher Fruchtbarkeit für das Problem der Erkenntnis überhaupt zur Anwendung bringt. Wollten wir den Grundzug des idealistischen Kritizismus in einer Formel ausdrücken, so besteht dieser in der, bis zur Unerträglichkeit wiederholten, einseitigen Betonung, daß eine jede erkenntnistheoretische Untersuchung auszugehen hat von der "Erkenntnis als Tatsache", und wie die ganze Arbeit der Philosophen sich nur darin erschöpft, nachträglich zu formulieren, unter welchen Bedingungen allein die Erkenntnis ein Faktum ist. Und dem völlig analog habe auch eine kritische Untersuchung der Sprache nicht an der Mitteilbarkeit zu zweifeln, oder die absolute Superiorität [Vorherrschaft - wp] des Denkens (des Menschen) über denkfremde Faktoren irgendwie sprachlicher Art in Frage zu stellen - tut man dies, so, gibt man mir zu, muß die Untersuchung in tiefer Skepsis enden - sondern auch sie habe den absoluten Sieg des Denkens über das Bildlich-Vorstellungshafte und die philosophische Mitteilbarkeit als zugestanden, als gegeben, als "Tatsache" zu setzen, um nunmehr zu entwickeln, "wie dieses Faktum möglich ist".

Gegen diesen Einwand erwidere ich, daß eine solche Behandlung, des Sprachproblems an dem gleichen Fehler leiden würde, der die ganze Erkenntnistheorie des Marburger Kritizismus durchzieht. Man hat dort einen sicheren Instinkt für unüberwindliche Gefahren, so geht man ihnen einfach aus dem Weg, stellt sich, als sähe man sie nicht, kurz: man nimmt dem Problem seine Problematik, man setzt das über alle Maßen Fragliche und wenig Wahrscheinliche als selbstverständliche Gegebenheit voraus und gelangt somit natürlich zu Resultaten, die an strahlender, Freude erregender Klarheit, Einfachheit, Schönheit nichts zu wünschen übrig lassen.

Um es noch einmal zu wiederholen, was ich selber als unerläßliche Bedingung jedes Denkens, jedes erkenntnistheoretischen Versuches anerkannte: wie immer auch die weitere Analyse die Erkenntnisansprüche herabmindern mag, es wäre sinnlos, sich selber mißverstehend, wollte man dem Menschen auch dieses Minimum von Erkenntnisbesitz, von Erkenntnismöglichkeit absprechen, das erforderlich ist, um wenigstens dieser Behauptung inhaltlich skeptizistischer Art Dignität und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Dieses Minimum ist unantastbar, ist in der Tat über jedes Bedenken erhaben und sich selber klar und verbürgt. Aber eben auch nur dieses Mininum, das möglicherweise, wie meine Untersuchung und die Gedankengänge vieler englischer Philosophen zeigen, all seine Dignität hergeben muß, um gerade dem Skeptizismus Festigkeit zu verschaffen, kann als außerhalb der Kritik, als Gegebenheit, als Tatsache gelten.

Dies ist es, was übersehen wird. Man begnügt sich nicht mit diesem Minimum, sondern man überträgt den Charakter der Selbstverständlichkeit, die ihm allein zukommt auf den Inhalt einer viel weiteren Behauptung, dessen Gültigkeit, Wahrheit sich eben gar nicht von selbst versteht. Es ist die These, daß wir im Besitz der Erkenntnis der Wirklichkeit überhaupt sind, daß wir in keiner Hinsicht so sehr Mensch sind, daß wir uns nicht mit dem "Denken überhaupt" identifizieren dürften, daß es kein Reich metaphysischer Geistigkeit gibt, in das einzudringen Widerstände unserer spezifisch menschlichen Seele uns hindern könnten. Ein Satz von unendlicher Kühnheit, der sich als Grundvoraussetzung, umgeben mit dem Nimbus des über alle Fragen Erhabenen, als Fundament eines, sich Kritizismus nennenden Systems mehr als sonderbar ausnimmt.

Und der gleiche Fehler, dieselbe Blindheit, die nämliche Naivität ist es, die sich äußert in dem Vorschlag, auch für die Lösung des Sprachproblems im Besonderen, Voraussetzungen von so märchenhafter Idealität zu machen, daß das Problem eigentlich schon auf der Schwelle verschwindet.

Hiermit habe ich meine Versuche zu einem vorläufigen Abschluß gebracht. Wenngleich auch dieser zweite Teil dem Vorwurf eines irgendwie unvermeidlich subjektiven Befangenseins ausgesetzt bleibt und in mehr als einem Sinn fragmentarisch ist, so tritt er doch mit dem Ansprucht auf, die Richtung und die Grundzüge einer jener objektiv möglichen, typisch notwendigen Lösungen angedeutet zu haben, deren weitere Darstellung zu geben ich mir in einem größeren Zusammenhang, im Ganzen einer historisch-systematischen Schrift über die Tragödie des Erkennens vorbehalte.
LITERATUR - Felix Maria Goldner, Kritische Gedanken zum Problem der Sprache, Archiv für systematische Philosophie, Bd. XIX, Berlin 1913
    Anmerkungen
    1) Wie wenig dies mit den rohesten Formen des Pragmatismus zu tun hat, denke ich in einer Arbeit über Nietzsche und seine Stellung in der objektiven Ideengeschichte zu zeigen.