ra-2F. EulenburgR. LiefmannW. SombartR. Liefmann    
 
GUSTAV CASSEL
(1866-1945)
Theoretische Sozialökonomie
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    Vorwort zur ersten Auflage
§ 1. Wesen der Wirtschaft
§ 2. Die Mittel der Bedürfnisbefriedigung
§ 3. Die Produktion
§ 4. Der fortdauernde Produktionsprozeß
§ 5. Die stationäre Wirtschaft
§ 6. Die gleichmäßig fortschreitende Wirtschaft

"Die Abschaffung der Wertlehre und der direkte Aufbau der theoretischen Ökonomie auf einer Preisbildungslehre setzte mit Notwendigkeit eine neue Darstellung der Theorie des Geldes voraus."


Vorwort zur ersten Auflage

Die unaufhörlichen Fortschritte der modernen Wissenschaft, die stetige Ausdehnung ihres Gebietes und die Anhäufung des neuen Materials machen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit, daß veraltete Teile ausgesondert und Auseinandersetzungen, die nun keine wirkliche Bedeutung mehr haben, beiseite gelassen werden. Müßten wir für immer den ganzen alten und stets wachsenden Ballast mitschleppen, so würden uns die Schwierigkeiten bald aüber den Kopf wachsen, wir würden den Überblick verlieren und die neuschaffende wissenschaftliche Arbeit würde darunter zu leiden haben. Dies gilt nicht am wenigsten für die ökonomische Wissenschaft. Bei meinen volkswirtschaftlichen Studien bin ich schon früh zu der Überzeugung gekommen, daß die ganze alte sogenannte Wertlehre mit ihren unendlichen Wortstreitereien und ihrer unfruchtbaren Scholastik zu dem auszumusternden Ballast der theoretischen Ökonomie gehört.

Die ganze Theorie der Sozialwirtschaft muß nach dieser Auffassung direkt auf eine grundlegende Theorie der Preisbildung aufgebaut werden können. Einen ersten Versuch in dieser Richtung machte ich in meiner Abhandlung "Grundriß einer elementaren Preislehre", welche von SCHÄFFLE mit einem Verständnis und einer Anerkennung, deren ich mich noch mit größter Dankbarkeit erinnere, entgegengenommen und in seiner Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft veröffentlicht wurde.

Das Programm, das in dieser Arbeit enthalten war, habe ich seitdem unausgesetzt verfolgt. Erst eine abgeschlossene und in der Hauptsache vollständige Theorie der Sozialwirtschaft konnte den Beweis für die Richtigkeit dieses grundlegenden Programms liefern. Wenn ich jetzt mit dem vorliegenden Werk nach zwei Dezennien eine solche Theorie vorlege, bin ich mir wohl bewußt, wie sehr mangelhaft sie noch in Einzelheiten ist, wage aber zu glauben, daß sie in ihren großen Linien eine befriedigende Lösung der Aufgabe, die ich mir gestellt habe, gitb und daß sie damit nicht nur den Studierenden der ökonomischen Wissenschaft einen ganz erheblich vereinfachten Zutritt zu den zentralen Fragen dieser Wissenschaft gewähren, sondern auch zur größeren Festigkeit und Klarheit in der Wissenschaft selber beitragen wird.

Die konsequente Auffassung aller ökonomischen Fragen als Probleme der Preisbildung führte u. a. dazu, daß auch der Kapitalzins als Preis aufgefaßt und daß auf dieser Grundlage eine Theorie des Kapitalzinses ausgearbeitet werden mußte. Das Ergebnis meiner Bemühungen in dieser Beziehung lag 1903 in meinem in London veröffentlichten Buch "The Nature and Necessity of Interest" vor.

Das Studium des Zinsfußes und der Ursachen seiner Schwankungen führte mich dann zu einer Untersuchung der Konjunkturbewegungen, wobei ich meine Bemühungen direkt auf eine Erforschung der realen Vorgänge besonders auf dem Gebiet der Kapitalbildung richtete. Die ersten Früchte dieser Arbeit sind in der Abhandlung: "Goda och daliga tider", Ekonomisk Tidskrift, Uppsala 1904, niedergelegt.

Die Abschaffung der Wertlehre und der direkte Aufbau der theoretischen Ökonomie auf einer Preisbildungslehre setzte mit Notwendigkeit eine neue Darstellung der Theorie des Geldes voraus. Die Rechnung in Geld muß in der Preislehre vorausgesetzt werden. Dabei werden dei Preise nur relativ zueinander, also bis auf einen multiplikativen Faktor bestimmt, während die absolute Höhe der Preise oder des allgemeinen Preisniveaus noch unbestimmt bleibt. Diese Unbestimmtheit des Problems wird erst durch Festlegung einer Geldeinheit aufgehoben. Wie dies durch Herstellung einer gewissen Knappheit der in der gegebenen Geldskala geltenden Zahlungsmittel gelingt, hat jetzt die Theorie des Geldes zu zeigen und hierin liegt in der Tat die ganze Aufgabe dieser Theorie. Schon früh wurde ich von meiner Preisbildungstheorie zu einer solchen Auffassung des Geldproblems geführt. In "The Nature and Necessity of Interest" ist diese Auffassung schon in ihren ersten Grundzügen vorgeführt. Auf dieser theoretischen Grundlage habe ich später eine empirische Untersuchung der Ursachen der Veränderungen des allgemeinen Preisniveaus unternommen und die Bedeutung der Geldversorgung der modernen Weltwirtschaft für die Geldpreise festgestellt ("Orsakerna till förändringar i den allmänna prisnivan, Ekonomisk, Tidskrift, Uppsala 1905).

Damit waren nun die Grundsteine zu einer theoretischen Ökonomie nach dem erwähnten Programm vorhanden. Natürlich erübrigte noch viel zur Vervollständigung und Ausarbeitung der Theorie. Erst 1911 war ich soweit gekommen, daß ich an eine systematische Darstellung denken konnte. Selbstverständlich wollte ich dieselbe gern in einer der Weltsprachen veröffentlichen. Da traf ich im Sommer 1911 mit Herrn Professor POHLE zusammen und auf seinen Vorschlag hin teilten wir die Darstellung der allgemeinen Volkswirtschaftslehre, die er damals plante, so, daß er den entwicklungsgeschichtlich-soziologischen Teil übernehmen sollte, während die Behandlung der theoretischen Ökonomie im engeren Sinne auf mich fiel. Die Hilfe, die er mir damals versprach und ohne welche ich wohl kaum an die Abfassung eines größeren Werkes in einer fremden Sprache hätte denken können, hat er später in unerschütterlicher Treue geliefert. In den besonderen Schwierigkeiten, die der Kriegsausbruch mit sich führte, hat er keine Mühe gescheut, um die Fertigstellung meiner Arbeit zu fördern. Er hat sämtliche Korrekturen mit gelesen und selbstverständlich viel Arbeit auf Sprachverbesserungen verwenden müssen. Immer war er außerdem auch ein guter Ratgeber. Keine gewöhnliche Danksagung würde meine Verpflichtung und meine Dankbarkeit ihm gegenüber richtig ausdrücken.

Beim Kriegsausbruch lag das Manuskript fertig vor. Das erste Buch war schon im Juli 1914 nach Leipzig abgegangen und in den übrigen fehlten nur noch kleine Überarbeitungen. Ich hoffte damals, das Werk schon im selben Jahr veröffentlichen zu können. Der Satz des Werkes hat sich aber zufolge des Krieges sehr verschleppt und jetzt erst, vier Jahre später, kann endlich die Veröffentlichung erfolgen. Ich habe dabei keine nennenswerten Änderungen im ursprünglichen Text vorgenommen. Die Erfahrungen des Weltkrieges haben, soweit ich sehe, meine Darstellung in keinem Punkt veraltet gemacht. Das Wesentliche von dem vielen Neuen, das der Krieg auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet gebracht hat, berühre ich in zwei Nachträgen zum ersten und zum dritten Buch. Die Untersuchungen des vierten Buches, das die Konjunkturbewegungen behandelt, finden mit Erlaub mit dem Jahr 1913 ihre natürlichen, auch für die Zukunft gültigen Abschluß. Die frühere innerlich zusammenhängende Folge der Konjunkturbewegungen ist mit dem Weltkrieg abgebrochen und bildet einen ein für allemal abgeschlossenen Teil der Wirtschaftsgeschichte. Eine Weiterführung des statistischen Materials dieses Buches konnte deshalb nicht in Frage kommen.

Auseinandersetzungen mit anderen Verfassern habe ich in diesem Werk, soweit möglich, vermieden. Es lag mir vor allem daran, meine Theorie in einem Zusammenhang und in möglichster Übersichtlichkeit und Klarheit vorzuführen. Da die Theorie auf einer ganz anderen Grundlage als der gewöhnlichen aufgebaut ist, wäre die Erörterung anderer Meinungen wohl auch meistens ziemlich unfruchtbar gewesen und hätte diese in manchen Fällen kaum ohne unverhältnismäßig lange Abschweifungen vom eigentlichen Zusammenhang ins richtige Licht setzen können. Nur wo ich durch Vorführung einer entgegengesetzten Meinung den wesentlichen Kern meiner eigenen Darlegung besser beleuchten zu können glaubte, oder wo es mir angelegen war, an die früheren Entwicklungslinien des ökonomischen Denkens anzuknüpfen, schienen mir Hinweisungen auf die Literatur angemessen.

Der Privatdozent an der Stockholmer Hochschule, Dr. BAGGE, der aufgrund meiner Theorie ein ausgezeichnetes Buch über die Bestimmung des Arbeitslohns verfaßt hat und dadurch meinem Werk in einem wichtigen Punkt eine sehr wertvolle Vervollständigung gegeben hat, hat das ganze Manuskript gelesen und ich bin ihm viele Anregungen und Verbesserungen schuldig, für welche ich ihm hier meinen Dank aussprechen will.

Zum Schluß habe ich auch der Königlich schwedischen Akademie der Wissenschaften, die bedeutende Beiträge zur Deckung der Unkosten für die vorliegende Arbeit bewilligt hat, meinen ergebensten Dank zu sagen.
LITERATUR Gustav Cassel Theoretische Sozialökonomie, Erlangen/Leipzig 1923