cr-2 WindelbandH.MaierB.ErdmannRiehlCohenDrobischDrieschLotze     
 
WILHELM WUNDT
L o g i k
[10/12]
    Einleitung
Von der Entwicklung des Denkens
Die logischen Verbindungen der Vorstellungen
Die Entwicklung des Gedankenverlaufs
Die Entwicklung der logischen Normen
Von den Begriffen
Die Arten der Begriffe
Die Verhältnisse der Begriffe
Die Beziehungsformen der Begriffe
Von den Urteilen
Die Formen der Urteile
Die Relationsform des Urteils

"Was sich in unserer sinnlichen Vorstellung in Bestandteile trennt, das zerlegen wir auch in unserem Urteil. Wir unterscheiden die Gegenstände von ihren Eigenschaften und diese wieder als ein relativ dauerndes von den wechselnden Ereignissen."


D r i t t e r  A b s c h n i t t
V o n   d e n   U r t e i l e n

Erstes Kapitel
Das Wesen und die Eigenschaften des Urteils

1. Die Entstehung des Urteils

Man pflegt das Urteil bald als die Form der Verbindung oder Trennung der Begriffe, bald als die Vorstellung einer Einheit oder eines Verhältnisses zwischen zwei verschiedenen Begriffen zu bezeichnen. (1) Aber keine dieser allgemeinen Definitionen ist zureichend, um das Urteil von anderen Begriffsverbindungen zu unterscheiden. Auch wird die Unbestimmtheit nicht gehoben, wenn man hinzufügt, bei dieser Verbindung werde notwendig der eine Begriff zuerst aufgestellt, während der andere zu ihm hinzutrete. (2) Wer hier nicht von vornherein an das Subjekt und Prädikat denkt, wird schwerlich in einer solchen Beschreibung das Urteil wiedererkennen. So hat man sich denn häufig begnügt, dasselbe einfach eine Aussage zu nennen, in welcher ein Begriff von einem anderen affirmiert [bekräftigt - wp] oder negiert werde, (3) - eine Bestimmung, die freilich, da die Aussage nur ein synonymer Ausdruck für das Urteil ist, ungefähr so viel sagt wie: "das Urteil ist ein Urteil."

Da es nicht glücken wollte, die subjektive Natur der Urteilens durch hinreichend sichere Kennzeichen festzustellen, so lag es nahe zu versuchen, ob sich nicht etwa objektive Merkmale gewinnen ließen. In diesem Sinne wurde es als eine Denkform bezeichnet, welche der realen Verbindung der Dinge entspreche, (4) oder man verlegt das Wesen desselben in das Bewußtsein der objektiven Gültigkeit einer subjektiven Verbindung von Vorstellungen. (5) Aber so richtig der Gedanke ist, daß wir durch die wirklichen Beziehungen der Dinge angeregt werden zur Ausübung der Urteilsfunktion, so ist damit doch für die Auffassung dieser letzteren selbst noch nichts gewonnen. Gibt man ferner zu, wie es denn doch wohl geschehen muß, daß nicht jeder Urteilsverbindung objektive Wahrheit zukommt, so bleibt man auch hier lediglich bei der alten aristotelischen Definition stehen, das Urteil sei eine Aussage, welche falsch oder wahr sein könne, (6) - womit denn abermals nur eine Tautologie vorgebracht ist, der außerdem die oberflächlichste aller Einteilungen, nämlich diejenige in wahre und falsche Urteile beigefügt wird.

So ist denn die Auffassung des Urteils als einer subjektiven Vorstellungsverbindung zwar im Allgemeinen richtig, aber zu unbestimmt, um damit etwas anfangen zu können; und die Zurückführung der Urteilsfunktion auf objektive Verhältnisse ist zwar berechtigt, da die Bedingungen der objektiven Wahrnehmung bei der Entwicklung unseres Denkens beteiligt sind; aber daß die Verbindungen des Urteils den Verbindungen der  wirklichen  Dinge entsprechen sollen, bleibt eine grundlose metaphysische Annahme. Vielleicht werden wir darum der richtigen Begriffsbestimmung nahe kommen, wenn wir zunächst beide Auffassungen, die subjektive wie die objektive, zu ergänzen und zu berichtigen suchen.

Hier ist nun vor allem hervorzuheben, daß es mindestens in Bezug auf die ursprünglichen Äußerungen der Urteilsfunktion ein nicht völlig unzutreffender Ausdruck ist, wenn gesagt wird, das Urteil  verbinde  Begriffe oder Vorstellungen. Schon bei der Schilderung der Entwicklung des Denkens haben wir hervorgehoben und bei der Erörterung der Begriffe sind wir wieder darauf zurückgekommen daß einfachere wie zusammengesetztere Denkakte aus der Zerlegung von  Gesamtvorstellungen  in ihre Bestandteile hervorgehen. (7) Demnach bringt das Urteil nicht Begriffe zusammen, die getrennt entstanden waren, sondern es scheidet aus einer einheitlichen Vorstellung Begriffe aus. In solch primitiven Urteilsakten, wie "ich gehe", "ich gebe", "ich denke", die ja vielfach auch in der Sprache noch in einer Worteinheit ihren Ausdruck finden, sind nicht die Begriffe des Ich und des Gehens, des Gebens, des Denkens voneinander unabhängig entstanden und erst nachträglich aneinander herangebracht worden, sondern die Verbindung in  eine  Vorstellung ist das frühere, die Trennung das spätere. Aber auch in jenen Urteilen, in denen das Subjekt ein selbständiger Gegenstandsbegriff ist oder in einen solchen und sein Attribut zerfällt und in denen sich weiterhin selbst das Prädikat scheidet in Verbum und adverbiale Bestimmungen, Verbum und Objekt usw., wird immerhin die Zerlegung einer einzigen Gesamtvorstellung in ihre Bestandteile der Ausgangspunkt des Urteilens sein. Denn nur unter dieser Voraussetzung wird es begreiflich, daß das Urteil ein  geschlossener Denkakt  ist und niemals durch fortwährende Apposition [das Attribug wird zum Nomen - wp] neuer Vorstellungen, gleich einer Assoziationsreihe, ins Unbegrenzte verlaufen kann. Treffender, als durch die Formel einer Verbindung von Vorstellungen zur Einheit wird also das Urteil definiert werden als eine  Zerlegung einer zusammengesetzten Vorstellung in ihre Bestandteile. 

Nebenbei fällt durch diese Bestimmung sofort eine Verlegenheit weg, unter welcher die entgegenstehende Auffassung leidet. Nicht eine unbestimmte Zahl von Vorstellungen kann durch das Urteil aneinander gereiht werden, sondern die Verbindung geschieht nach einem beschränkenden Gesetz, welches zunächst im Verhältnis von Subjekt und Prädikat seinen Ausdruck findet. Demgemäß definiert man auch gewöhnlich das Urteil als eine Verbindung  zweier  Begriffe oder Vorstellungen zur Einheit. Aber dieser Bestimmung widersprechen alle Urteile, in denen das Subjekt oder Prädikat oder beide aus mehreren Begriffen bestehen. Man gibt also stillschweigend zu, daß trotz der äußerlichen Zerlegung in mehrere Teile Subjekt und Prädikat nur je  eine  Vorstellung konstituieren, d. h. daß jene Gliederungen nachträgliche sind, denen die einheitliche Existenz der Subjekts- und der Prädikatsvorstellung vorangeht. Nun ist es aber augenfällig, daß sich hier die Bestandteile zum Ganzen nicht anders verhalten, als beim Urteil selbst. Nehmen doch Nomen und Attribut, Verbum und Objekt usw. immer, wenn sie in ihrer Verbindung als isolierte Denkakte dargestellt werden, die Form des prädikativen Verhältnisses an und in vielen Fällen ist es überdies deutlich genug, daß geradezu im Interesse der Verkürzung des Denkens ein ursprünglich selbständiges Urteil in der Form eines attibutiven Verhältnisses in ein zusammengesetztes Urteil eingefügt worden ist.

Mit dieser Entstehung des Urteils aus der Zerlegung einer zusammengesetzten Vorstellung in ihre Bestandteile steht nun zugleich die  objektive  Begründung der Urteilsfunktion in unmittelbarem Zusammenhang. Was sich in unserer sinnlichen Vorstellung in Bestandteile trennt, das zerlegen wir auch in unserem Urteil. Wir unterscheiden die Gegenstände von ihren Eigenschaften und diese wieder als ein relativ dauerndes von den wechselnden Ereignissen. So finden jene drei Kategorien, in die unsere Begriffe auseinandertreten, an den Unterschieden des Wahrgenommenen ihren äußeren Halt. Indem die Gegenstände sich verändern und indem verschiedene Gegenstände, die Teile  einer  Wahrnehmung ausmachen, in Beziehung zueinander treten, findet dieser Vorgang sein Abbild in jener Gliederung der Vorstellungen, die das Urteil ausführt. Das Einfachere unter jenen Formen der Wahrnehmung ist natürlich die Auffassung  eines  Gegenstandes und seiner Veränderung; ein Verwickelteres ist schon die Beziehung verschiedener Gegenstände zueinander. Die ursprüngliche Form des Urteilens ist darum zweifellos die, daß ein wirklicher Gegenstandsbegriff, dem zuweilen noch eine bestimmte Eigenschaft als Attribug beigelegt wird, als Subjekt auftritt und daß das Prädikat ein Geschehen oder einen vorübergehenden Zustand schildert. Ein einfacheres Denken, wie es sich in der Sprache des Kindes oder selbst in frühen Erzeugnisse der Literatur ausprägt, kennt darum kaum andere Subjekte des Urteilens als Personen oder Dinge und ein Verbum mit konkreter Bedeutung ist das vorherrschende Prädikat. Infolge jener Verschiebung der Kategorien, in welcher das abstrakter werdende Denken immer geübter wird, ändert sich erst dieses Verhältnis. Wie die anderen Begriffsformn ohne Schwierigkeit in Gegenstandsbegriffe umgewandelt werden können, so kann nun auch jeder beliebige Begriff als Subjekt eines Urteils funktionieren. Indem ferner Gegenstände und ihre Eigenschaften zueinander in Beziehung gesetzt werden, wird auch das Verbum aus seiner herrschenden Stellung als Prädikat verdrängt.

So entfernt sich denn die Urteilsfunktion allmählich von ihren ursprünglichen objektiven Bedingungen. Bei Urteilen wie "Gerechtigkeit ist eine Tugend" oder "gute Handlungen machen glücklich" kann von einer Wahrnehmung, die sich in Bestandteile sondert, nicht mehr die Rede sein. Gleichwohl werden hier ebensowenig wie bei den ursprünglichen Wahrnehmungsurteilen die Begriffe äußerlich aneinander herangebracht. Nicht ziellos stelle ich den Begriff "Gerechtigkeit" hin, um nachher den zufällig aufgefundenen Begriff "Tugend" daran zu heften, sondern zunächst ist der Gedanke ein Ganzes und dann erst tritt die Trennung in seine Bestandteile ein. Die oben für die ursprünglichen Wahrnehmungsurteile gegebene Formel bedarf also nur insofern einer Berichtigung, als es erforderlich wird, sie auch auf solche Urteilsinhalte auszudehnen, die erst durch die Entwicklung des abstrakten Denkens entstanden sind und das alles geschieht, wenn wir das Urteil allgemein als  die Zerlegung eines Gedankens in seine begrifflichen Bestandteile  bezeichnen. Die Grundlage, von welcher diese Begriffsbestimmung ausgeht, besteht in der aus dem Prinzip der Zweigliederung abgeleiteten Voraussetzung, daß der Inhalt des Urteils, wenn auch in unbestimmter Form, als Ganzes gesehen ist, ehe er sich in seine Teile trennt. In diesem Sinne kann man alles Urteilen eine  analytische  Funktion nennen. Das Urteil ist  Darstellung  des Gedankens und zum Zweck dieser Darstellung zerlegt es den Gedanken in seine Elemente, die Begriffe. Nicht aus Begriffen setzt demnach das Urteil Gedanken zusammen, sondern Gedanken löst es in Begriffe auf.

Sind nun aber die Bedingungen der objektiven Wahrnehmung, die sich in unseren primitiven Urteilen spiegeln, nicht unerläßlich für jedes Urteil, so kann man überhaupt aus ihnen nicht erklären wollen, daß unser Denken die Form des Urteils annimmt. Hierzu kommt, daß uns die Bedingungen der Wahrnehmung zwar im allgemeinen eine Gliederung des Gedankens, der die Wahrnehmung spiegelt, nahe legen, nicht erklären. Denn niemals wird aus dem objektiven Inhalt der Wahrnehmung begreiflich, warum der Gegenstand als Subjekt des Urteils die veränderliche Erscheinung als Prädikat zu sich nehmen soll, um, wenn etwa am Gegenstand auch noch eine andauernde Eigenschaft, an der Handlung eine nähere Bestimmung oder ein Objekt zu unterscheiden ist, diese Unterscheidungen erst als sekundäre Gliederungen zulassen. Mit  einem  Wort: die Zerlegung des Urteils nach dem Prinzip der Zweigliederung wird nicht aus objektiven, sondern nur aus jenen subjektiven Bedingungen des Denkens verständlich, die wir früher als  diskursive  Beschaffenheit desselben bezeichnet haben. (8) Dieselbe entspringt aus der simultanen Einheit der Apperzeption auf der einen und dem stetigen Zusammenhang der sukzessiven Apperzeptionsakte auf der anderen Seite.  Diskursiv  nennt man das Denken eben deshalb, weil es nie gleichzeitig mehrere Verbindungen vollzieht, sondern in einem einzigen Akt immer nur von einer bestimmten Vorstellung zu einer einzigen anderen fortschreiten kann. So stellt es das Netz seiner Beziehungen immer nur von  einem  Punkt zum andern hin- und herlaufend her.

Doch dieser ungeteilte Verlauf gilt für alle Apperzeptionsakte, für eine Assoziationsreihe so gut, wie für das logische Denken. Der Verlauf der letzteren gewinnt erst seine nähere Bestimmung,  indem zum einheitlichen Fortschritt der Apperzeption noch die fundamentalen Unterscheidungen der Gegenstände und ihrer Veränderungen hinzutreten, welche ebenfalls in der Apperzeption ihre Quelle haben.  Das Selbstbewußtsein sondert sich von den wechselnden Vorgängen, die sich in ihm ereignen. Diese Handlung vollzieht sich aber nicht etwa so, daß zuerst das Ich vorhanden wäre, welchem dann die Vorstellung als ein Äußerliches gegenübergestellt würde, sondern das Selbstbewußtsein und sein Inhalt ist zunächst als ein Ganzes gegeben, das sich dann erst in seine Glieder trennt.

Die nämliche Gegenüberstellung, die sich vermöge der Unterscheidung des Aktes der Apperzeption von ihrem Inhalt in unserem Selbstbewußtsein vollzieht, erneuert sich nun fortwährend an diesem Inhalt selbst. Denn, wie sich die Apperzeption als eine  konstante  Tätigkeit abhebt vom wechselnden Inhalt des Apperzipierten, so sondert sich an unseren Vorstellungen von den wechselnden Vorgängen der bleibende Gegenstand, auf den wir diese Vorgänge beziehen. Und hier kommt nun jene Beschaffenheit der Wahrnehmung zu ihrer Geltung, vermöge deren diese zwar nicht zwingender Grund, aber äußerer Anlaß zu einer Unterscheidung wird, in der sich fortsetzt, was in unserem Selbstbewußtsein begonnen hat. Von den wechselnden Bestandteilen der Wahrnehmung hebt sich fortwährend ein konstanterer Hintergrund ab, der zwar dem Wechsel nicht völlig entzogen ist, aber sich doch als ein relativ beharrendes der Veränderung gegenüberstellt. Wie sich die kategorialen Begriffsformen wechselseitig bedingen, so bedingen sich daher andererseit auch Urteilsfunktionen und kategoriale Unterscheidung. Von den  drei  Kategorien stehen aber die zweite und dritte, die der Eigenschafts- und Zustandsbegriffe, in näherem Zusammenhang. Sie entsprechen dem veränderlichen Inhalt der Wahrnehmung oder, wenn wir auf den inneren Grund der Urteilsfunktion zurückgehen, dem einzelnen Vorstellungsinhalt des Selbstbewußtseins. Von ihnen stehen die Eigenschaftsbegriffe der ersten Kategorie insofern wiederum näher, als die Unterscheidung bleibender Eigenschaften und wechselnder Vorgänge zweifellos den äußeren Anlaß zur Bildung der Gegenstandsbegriffe geboten hat. Hieraus wird es erklärlich, daß sich ein primitives Urteilen vorzugsweise zwischen Gegenständen und den Veränderungen bewegt, die sich an ihnen ereignen oder, grammatisch ausgedrückt, zu Subjekten Substantive von gegenständlicher Bedeutung und zu Prädikaten Verben wählt. Hieraus schließen zu wollen, daß die Eigenschaftsbegriffe selbst sich erst allmählich aus Verbalbegriffe entwickelt hätten, würde jedoch übereilt sein. Einem Denken, das Gegenstände und Ereignisse unterscheidet, kann auch die dauernde Eigenschaft nicht verborgen bleiben, denn sie ist es eben, welche überhaupt erst jene Unterscheidung veranlaßt. Aber in der sprachlichen Äußerung verbirgt sich begreiflicherweise die Eigenschaft hinter dem Gegenstand; sie wird als ein selbstverständliches zu ihm hingedacht, während die momentane Veränderung dazu herausfordert, sie in ihrer Beziehung auf Gegenstände aufzufassen. Im entwickelteren Denken funktionieren dann aber gleicherweise Eigenschafts- und Zustandsbegriffe als Prädikate des Urteils, während der Gegenstandsbegriff seine abweichende Bedeutung darin zu erkennen gibt, daß ihm von Anfang an die Stellung des Subjekts. Erst nachdem infolge jener Verschiebung der Kategorien, welche das abstrakter werdende Denken ausführt, mannigfach Eigenschafts- und Zustandsbegriffe in Gegenstandsbegriffe umgewandelt sind, um als solche Subjekte des Urteils zu bilden, gehen umgekehrt auch Gegenstandsbegriffe in das Prädikat über. So vor allem in jenen Urteilen, in denen ein speziellerer einem umfassenderen Gattungsbegriff subsumiert wird. Diese Form des Urteils, welche die formale Logik als die regelmäßige hinstellt, in welche sie alle anderen umzuwandeln sucht, ist daher in der wirklichen Entwicklung der Urteilsfunktion die späteste, und es ist hieraus schon ersichtlich, daß sie nur einen kleinen Teil der Bedürfnisse decken kann, die das Urteil befriedigen soll.


2. Die Bestandteil des Urteils

a) Die Verschmelzung

Indem das Urteil hervorgeht aus der Gliederung einer Gesamtvorstellung, zerlegt der einheitliche Apperzeptionsakt jene Gesamtvorstellung zunächst in  zwei Hälften:  in die Vorstellung des Gegenstandes und in die Vorstellung irgendeiner Eigenschaft oder eines Vorganges, die an ihm wahrgenommen werden. Der Gegenstand ist das  Subjekt;  die Eigenschaft oder der Vorgang bilden das  Prädikat. 

Am Gegenstandsbegriff, welcher das Subjekt des Urteils ist, kann nun unter Umständen eine einzelne Eigenschaft noch besonders hervorgehoben werden. So entstehen jene determinativen Begriffsverbindungen, welche dann die Unterglieder des Urteils bilden. Die Grundbestandteile des Wahrnehmungsurteils bleiben aber immer der als Subjekt hingestellte Gegenstand und der ihm als Prädikat beigelegte Zustand. Mit Rücksicht hierauf lassen sich die Kategorien der Gegenstands- und der Zustandsbegriffe als die beiden  Hauptkategorien  des  Urteils  bezeichnen. Der ersten gehört in den ursprünglichen Wahrnehmungsurteilen das Subjekt, der zweiten das Prädikat an. Die Kategorie der Eigenschaftsbegriffe kommt erst bei den Untergliederungen zur Geltung, indem sie hier für das allgemeinste Determinationsverhältnis der Begriffe, für das attributive, in bevorzugter Weise eintritt.

Durch die Entwicklung des Denkens treten nun aber in der kategorialen Bedeutung der Hauptbestandteile des Urteils Veränderungen ein, obgleich der Grundcharakter des ursprünglichen Urteils darin immer erhalten bleibt, daß das Objekt irgendeinen  Gegenstand des Denkens  bezeichnet, dem im Prädikat ein  variablerer Bestandteil des Gedankens  gegenübertritt. In solchen Urteilen wie "FRIEDRICH II. war der größter Feldherr seiner Zeit" oder "die Tugend ist das höchste Gut" kann freilich nicht mehr davon die Rede sein, daß ich von einem Gegenstand einen Zustand oder Vorgang, den ich wahrnehme, aussage. Gleichwohl ist auch hier das Subjekt der konstanter gedachte Begriff und das Prädikat bleibt, wenigstens für mein Denken, eine veränderliche Vorstellung. Bin ich mir doch bewußt, daß ich von FRIEDRICH II. noch viele andere Eigenschaften aussagen könnte und daß ich die Tugen nur von einer bestimmten Seite aufgefaßt habe, wenn ich sie das höchste Gut nenne. Diese größere Konstanz, die der Subjektbegriff fortan behauptet und vermöge deren immer seine Verbindung noch mit anderen Prädikaten als dem gegenwärtigen vollziehbar erscheint, bestätigt sich außerdem darin, daß der sprachliche Ausdruck dem Ursprung der Urteilsfunktion treu bleibt, indem er dem Objekt die substantivische, dem Prädikat aber die verbale Form gibt, wenn auch die letztere ganz in das verbum substantivum "sein" verlegt sein sollte, in welchem jeder konkrete Inhalt des Verbalbegriffs verloren gegangen ist.

Zwei Hand in Hand gehende Prozesse sind es, welche das Urteil von jener Stufe, wo es einen Wahrnehmungsinhalt in einen gedachten Gegenstand und seinen veränderlichen Zustand zerlegte, allmählich erheben und es schließlich geeignet machen, jeden beliebigen Gedankeninhalt in seine Teile zu trennen. Der  eine  dieser Prozesse besteht in der früher geschilderten kategorialen Verschiebung, vermöge deren namentlich Eigenschafts- und Zustands- in Gegenstandsbegriffe umgewandelt und damit befähigt werden, als Subjekte des Urteils zu dienen. Unschwer erkennen wir nun gerade in der Urteilsfunktion den treibenden Grund, welcher als die vorherrschende Richtung jener Verschiebung die Umwandlung in Gegenstandsbegriffe herbeiführt. Schon oben wurde als der Zweck dieser Veränderung die Erhebung beliebiger Gedankeninhalte zu Objekten des Denkens bezeichnet. (9) Die  Objekte  des Denkens sind aber die  Subjekte  des Urteilens.

Der  zweite  Prozeß besteht darin, daß die prädikativen Zustandsbegriffe in Bestandteile zerlegt werden, deren einer ein Gegenstands- oder Eigenschaftsbegriff ist, während im anderen allein der Verbalbegriff erhalten bliebt. Es vollzieht sich also dieser Prozeß in der Form von Untergliederungen des Urteils. Je abstrakter das Denken wird, umso geneigter wird es zu solchen Untergliederungen, welche teils dem Subjekt ein Attribut zugesellen. Die Sprache auf einer anschaulichen Stufe drückt daher nicht selten durch einen einzigen Verbalbegriff aus, was ein abstrakteres Denken in der angegebenen Weise zerlegt. Wenn wir den griechischen Satz "Kyros ebasileue" [Kyros herrschte als König. - wp] mit "Kyros war König" übersetzen, so ist zwar der Gedankeninhalt derselbe geblieben, aber im Griechischen ist als ein einziger Zustandsbegriff gedacht, was im Deutschen in einen Gegenstandsbegriff und in eine Verbalform zerlegt wird, die vom ganzen Inhalt des ursprünglichen Verbalbegriffs nur noch die Andeutung enthält, daß der hinzugefügte Begriff Prädikat und daß er in der Vergangenheit zu denken sei. Nur  ein  Schritt könnte noch geschehen, um das Verbum, welches hier die ursprünglich verbale Natur des Prädikats vertritt, noch mehr allen Inhalts zu entleeren. Dies würde dann der Fall sein, wenn sogar die Beziehung auf die Vergangenheit daraus entfernt würde, wenn wir also dem Satz "Kyros war König" den anderen "Kyros ist gewesener König" substituierten. Hier ist die Beziehung auf die Vergangenheit als eine attributive Bestimmung zum prädikativen Gegenstandsbegriff hinübergewandert und die Verbalform "ist" hat einzig und allein die Funktion behalten auszusagen, daß der hinzugefügte Begriff Prädikat sei. In diesem Sinne bezeichnet die Logik das verbum substantivum "sein" in seinen Präsensformen als die Kopula des Urteils.


b) Die Kopula

Manche Logiker bezeichnen die Kopula neben Subjekt und Prädikat als einen  dritten  Bestandteil des Urteils. Das ist in doppelter Hinsicht falsch. Erstens ist die Kopula keineswegs ein notwendiger Bestandteil des Urteils, ja sie ist ein ziemlich spätes Produkt unseres Denkens, wie schon der Umstand bezeugt, daß die sprachlichen Formen der Kopula ursprünglich eine inhaltvollere Bedeutung besessen haben. Zweitens aber gehört die Kopula ihrer ganzen Entwicklung nach dem Prädikat an. Sie bleibt als der letzte Rest jener verbalen Bedeutung zurück, welche ursprünglich das ganze Prädikat besessen hat; sie gehört aber auch insofern schon zum Prädikat, als sie es eben ist, welche anzeigt, daß der mit ihr verbundene Begriff in prädikativem Sinn gedacht werden soll.

Nachdem sich die Kopula in ihrer abstrakten Bedeutung losgelöst hat, wird sie nun ein wichtiges Hilfsmittel unseres Denkens. Sie ermöglicht es uns, mit gegebenen Subjekten des Urteils auch solche Begriffe in Verbindung zu bringen, die an sich zu einem prädikativen Gebrauch nicht geeignet wären. Die Tempora und Modi des verbum substantivum "sein", die in dieser Beziehung alle der Präsensform oder eigentlichen Kopula gleichwertig sind, gestatten es uns beliebig zwischen zwei Gegenstandsbegriffen oder zwischen einem Gegenstands- und Eigenschaftsbegriff die Urteilsverbindung herzustellen. Hierauf beschränkt sich aber auch ganz die Bedeutung, welche für das natürliche Denken die Entwicklung dieser abstrakten Verbalform besitzt. Für die Logik dagegen kommt noch als ein zweiter Gesichtspunkt, der sie veranlaßte, speziell der Präsensform den Vorzug einzuräumen, der in Rücksicht, daß die so reduzierte Verbalform nunmehr nur noch die Funktion des Prädizierens besitzt. Die Kopula in dieser reduzierten Bedeutung kommt in den Urteilen unseres natürlichen Denkens verhältnismäßig selten vor. Gleichwohl hat die Logik, seit ihrer wissenschaftlichen Begründung durch ARISTOTELES, immer dahin gestrebt, möglichst alle Urteile in einer Form darzustellen, in welcher die Kopula aus dem Prädikat abgesondert ist. Wenn auch ARISTOTELES selbst noch  zwei  Arten der Urteile unterschied, solche, die nur aus Subjekt und Prädikat bestehen und solche, bei denen als dritter Bestandteil noch die Kopula hinzutrete, (10) so hat doch die Schullogik mindesten seit BOETIUS begonnen, Subjekt, Prädikat und Kopula als die  drei  wesentlichen Bestandteile des Urteils hinzustellen. (11)

Welches Interesse hat nun die Logik daran, selbst da eine Kopula vom übrigen Prädikat abzusondern, wo das nur mit dem größten Zwang gegen Ausdruck und Gedanken geschehen kann? Gewöhnlich sieht man dieses Interesse darin, daß die Kopula der reine Ausdruck der Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat sei, losgelöst von allem materiellen Inhalt. Das "est" und "non est" ist, wie sich schon BOETIUS ausdrückt, die bloße "significatio qualitas" und selbst kein Terminus des Urteils und damit übereinstimmend bezeichnet KANT die Kopula als "die Form, durch welche das Verhältnis zwischen Subjekt und Prädikat ausgedrückt werde", (12) eine Definition, welche im Wesentlichen unverändert in die meisten neueren Darstellungen der Logik übergegangen ist. (13) Aber hinreichende Rechenschaft über den logischen Grund dieses Gebildes ist damit doch keineswegs gegeben. Man sollte meinen, daß es für unser Denken ziemlich gleichgültig sei, ob die Funktion des Prädizierens im verbalen Prädikat mit enthalten ist oder durch einen abgesonderten Bestandteil des Urteils ausgedrückt wird. Offenbar ist es auch ein anderer Gesichtspunkt, der die Logik, fast unbewußt dahin getrieben hat, möglichst alle Urteile auf die gleichförmige Verbindungsform durch die Kopula zurückzuführen. Regelmäßig nämlich wird durch die Herstellung dieser Form das Prädikat, wenn es nicht schon von selbst ein Gegenstands- oder Eigenschaftsbegriff ist, in einen solchen verwandelt; das verbale Prädikat wird zerstört, indem man die für das Urteil unerläßliche verbale Funktion desselben in die Kopula herüber nimmt. Nun sind aber die Gegenstands- und Eigenschaftsbegriffe einer übereinstimmenden Behandlung zugänglich, indem auch die letzteren, durch Hinzudenken eines bestimmten oder unbestimmten Gegenstands, an welchem die Eigenschaft haftet, in Gegenstandsbegriffe verwandelt werden. Meistens gesteht man dies zwar nicht ausdrücklich ein, da man im Satz, der das Urteil ausspricht, dem Eigenschaftsprädikat die adjektivische Form läßt, ohne auch im Prädikat ein Substantiv hinzuzufügen. Ohnehin liegt ja in der grammatischen Rückbeziehung des Adjektivs auf das Subjekt, wie sie in vielen Sprachen durch das übereinstimmende Geschlecht ausgedrückt wird, diese Ergänzung schon angedeutet. Im vielgebrauchten scholastischen Beispiel "homo est justus" brauchen wir freilich das Prädikat nicht zu einem "justus homo" zu ergänzen, da das  justus  von selbst schon darauf hinweist, es sei das Subjekt  homo  noch einmal zu ihm hinzuzudenken. Der eigentliche Grund jener Umwandlung, welche das Prädikat durch die Aussonderung der Kopula erfährt, liegt also darin,  daß der Prädikatbegriff jetzt stets als ein Gegenstandsbegriff gedacht werden kann und daher zur nämlichen Kategorie gehört, wie der Subjektbegriff.  Nun haben wir aber früher gesehen, daß an und für sich nur solche Begriffe, die derselben Kategorie angehören, vergleichbar sind und daß insbesondere die Kategorie der Gegenstandsbegriffe diejenige ist, in welche wir alle anderen Begriffe überführen müssen, wenn wir ein gemeinsames Maß der Vergleichung für dieselben herstellen wollen. Das war denn auch der latente Zweck, welchen die Logik bei jener Umwandlung der Urteile verfolgt hat. Sie wurde zur letzteren getrieben, indem sie sich, dem einseitigen Standpunkt der aristotelisch-scholastischen Logik gemäß, bestrebte, alles Urteilen auf das Schema der Subsumtion des Subjekts unter das Prädikat zurückzuführen. In das Verhältnis von Gattung und Art lassen sich aber selbstverständlich nur Begriffe der nämlichen Kategorie bringen und vor allem die Gegenstandsbegriffe sind es, die zu einer solchen Unterordnung herausfordern.

Da nun die Technik der Subsumtion mit den Verfahrungsweisen unseres Denkens sich nur zu einem kleinen Teil deckt, so könnte man fragen, ob denn die Logik jenes Streben, alle Urteile durch die Aussonderung der Kopula auf eine gleiche Form zurückzuführen, nicht überhaupt aufzugeben habe, um so mehr, da in solchen Fällen, wo es sich um eine wirkliche Unterordnung einer Art unter ihre Gattung handelt, uns der Prädikatbegriff an und für sich schon als ein Gegenstandsbegriff gegeben ist, die ganze Umwandlung also überflüssig wird. Aber die Regel, daß nur Begriffe gleicher Kategorie vergleichbar sind und daß die Gegenstandsbegriff umgewandelt werden können, nicht umgekehrt, - diese Regel gilt nicht bloß für die subsumierende Vergleichung, sondern für jedes der im vorigen Kapitel aufgeführten Begriffsverhältnisse. Wo es sich also darum handelt, verschiedene Urteile in dem Sinne zu vergleichen, daß man sie alle auf das Verhältnis prüft, in welchem in ihnen Subjekt- und Prädikatbegriff zueinander stehen, da wird auch die Reduktion auf eine gleiche Urteilsform und die Überführung der beiden Begriffe in die nämliche Kategorie fortan ihren Wert besitzen. Das ist aber vorzugsweise der Fall im Gebiet jener Urteile, bei denen es von Anfang an darauf abgesehen ist, das Verhältnis zweier Begriffe zueinander festzustellen. Es sind das vorzugsweise solche Urteile, in denen allgemeingültige Erkenntnisresultate niedergelegt sind. Unabhängig von zeitlichen Bedingungen, eignen sie sich unmittelbar zur Verknüpfung von Subjekt und Prädikat durch die Präsensform des verbum substantivum. Zahlreiche derartige Urteile nehmen daher von selbst schon in unserem Denken diese Form als die ihnen angemessenste an. So verwenden wir namentlich durchgängig die Kopula teils in definierenden Urteilen, in denen der im Subjekt aufgestellte Begriff im Prädikat in seine Elemente zergliedert wird, teils in subsumierenden Urteilen. Schon die Verhältnisse der Koordination und der Abhängigkeit bedürfen dagegen einer dem Prädikat hinzugefügten Bestimmung, welche eben die Tatsache, daß der eine Begriff dem anderen irgendwie koordiniert oder von ihm abhängig gedacht werden soll, ausdrückt. In allen Fällen endlich, in denen das Prädikat ein Geschehen enthält, besonders aber dann, wenn dieses Geschehen an bestimmte zeitliche Bedingungen geknüpft ist, z. B. als ein in der Vergangenheit oder Zukunft liegendes vorgestellt werden soll, - in allen diesen Fällen wird die Verbindung von Subjekt und Prädikat durch die Kopula zu einer gezwungenen Denkform. Kaum jemals wird sich aber auch hier das Bedürfnis fühlbar machen, das Urteil in jene Form umzuwandeln, weil es bei derartigen Urteilen auf eine Vergleichung des Subjekt- und Prädikatbegriffes gar nicht abgesehen wird.

Übrigens ist bei denjenigen Urteilen, in welchen die Kopula das Gebiet ihrer rechtmäßigen Verwendung findet, wohl zu beachten, daß ihr gleichförmiger Ausdruck logische Verschiedenheiten verdeckt, die tatsächlich vorhanden sind. Wenn man es als einen Dienst preist, den die Kopula dem Denken leiste, daß sie weiter gar nichts als die Funktion des Prädizierens erfülle, allen Inhalt des Urteils aber in Subjekt und Prädikat verweise, so übersieht man, daß dieses Prädizieren selbst verschiedene Funktionen in sich schließt. Offenbar würde die Kopula bessere Dienste leisten, wenn sie diese Unterschiede erkennen ließe. Teils aber deckt in ihr der nämliche Ausdruck verschiedenes, teils nötigt sie, dem Prädikatbegriff beizufügen, was dem Akt des Prädizierens zugehört.  A  ist  B  kann bedeuten, daß  A  gleich  B,  daß es dem  B  untergeordnet, oder daß  B  ein Element des Begriffes  A  ist. Andere Verhältnisse müssen wir ausdrücken durch Urteile wie:  A  ist  B  koordiniert,  A  ist von  B  abhängig oder  A  ist eine Funktion von  B,  - Fälle, in denen wir dem Prädikat zuweisen, was der allgemeinen Beziehungsform zwischen Subjekt und Prädikat, deren Stelle die Kopula einnimmt, zuzurechnen wäre. Eine exaktere Untersuchung der Urteilsformen muß sich notwendig über diese Unterschiede Rechenschaft geben und eine wesentliche Aufgabe eines künstlichen Zeichensystems wird es sein, die in der Kopula verborgenen Unterschiede auch durch verschiedene Operationszeichen zum Ausdruck zu bringen.


3. Die zusammengesetzten Urteile

In den  einfachen  Urteilen sind Subjekt und Prädikat je ein einziger Begriff.  Zusammengesetzte Urteile  entstehen, wenn einer dieser Hauptbestandteile oder beide mehrere Begriffe enthalten. Dabei bilden diese Begriffe, die nach dem Gesetz der Zweigliederung sich zu je zweien verbinden, einen zusammengesetzten Begriff, dessen Bestandteile in irgendeinem der früher (Abschnitt II, Kap. IV) aufgeführten Determinationsverhältnisse zueinander stehen. So entstehen die Untergliederungen des Urteils, welchen die bekannten grammatischen Unterscheidungen von Nomen und Attribut, Verbum und Objekt usw. entsprechen. Alle diese Unterglieder bilden, wenn sie isoliert gedacht werden, einfache Urteile. Das zusammengesetzte Urteil läßt sich daher unter einem doppelten Gesichtspunkt betrachten: einerseits als ein Urteil, dessen Hauptglieder zusammengesetzte Begriffe sind, andererseits als ein Urteil, welches aus mehreren einfachen Urteilen besteht. Da aber diese einfachen Urteile in eine sie alle umfassende Urteilsverbindung gebracht sind, so werden sie nur in verkürzter Form gedacht, indem ihnen gerade derjenige Bestandteil fehlt, welchem die Funktion des Prädizierens im Urteil zukommt, die Kopula. Hieraus ist schon ersichtlich, daß sich die logische Bedeutung der Kopula unmittelbar den Beziehungsformen der Begriffe anschließt. Sie ist diejenige Beziehungsform, welche das Verhältnis zweier Begriffe zu einem  prädikativen  erhebt: die beiden Begriffe, die sie verbindet, sind nicht mehr Bestandteile eines zusammengesetzteren Begriffes, sondern eines selbständigen Denkaktes, eines Urteils. Alle übrigen Beziehungsformen können aber deshalb in die prädikative umgewandelt werden, weil die Glieder eines zusammengesetzten Begriffes immer in einer gegenseitigen Beziehung stehen, die zum Gegenstand einer besonderen Aussage gemacht werden kann, einer Aussage, die natürlich das Determinationisverhältnis, in welchem jene Begriffe in das zusammengesetzte Urteil eingehen, für sich isoliert darstellt.

Wie nun die Kopula zwar bei allen Urteilen vom übrigen Prädikat isoliert werden kann, dabei aber teils verschiedene Bedeutungen einschließt, teils ergänzende Bestimmungen fordert, die dem Prädikat beigefügt werden müssen, so sind denn auch die einzelnen Determinationsverhältnisse, welche in den Untergliedern des Urteils vorkommen, in sehr verschiedener Weise einer Verbindung durch die Kopula fähig. Am unmittelbarsten ist die  attributive  Beziehung der Umwandlung in die prädikative Form zugänglich. Zwischen Nomen und Attribut bedarf es daher nur der Interpolation [Auffrischung, Umgestaltung -wp] der Kopula, um sie herzustellen. Entstehen hierbei auch, wenn das Attribut ein substantivisches ist, unter Umständen sprachlich ungelenke Formen, so sind doch solche Urteile wie "das Haus ist des Vaters", die "Tugend ist des Bürgers" und dgl. an sich völlig unzweideutig und die Möglichkeit sie zu gebrauchen hält gleichen Schritt mit der sprachlichen Gewohnheit, die betreffende substantivische Form in attributiver Bedeutung zu benutzen. Ebenso genügt bei der attributiven Determination des Verbums die Einschaltung der Kopula; nur muß hier zuvor, um ein selbständiges Urteil möglich zu machen, das Verbum in eine substantivische und das Adverbium in die zugehörige adjektivische Form umgewandelt werden. Dagegen fordert schon das objektive Determinationsverhältnis zunächst die Umwandlung des Objektes in das Subjekt, grammatisch also in den Nominativ und sodann muß, soll die Kopula anwendbar sein, das Verbum in eine partizipiale, also eigentlich nominale Form umgestaltet werden. Wenn ich im Urteil "ich lese dieses Buch" die Objektsbeziehung verselbständigen und zugleich die Kopula anwenden will, so entsteht das Urteil: "dieses Buch ist das gelesene." Die äußeren Determinationsverhältnisse endlich fordern, wie nicht näher ausgeführt zu werden braucht, die Hinzufügung der äußeren Beziehungsform zum Prädikat. Auch bei ihnen läßt sich die Verbindung durch die Kopula darstellen, freilich, wie bei allen Urteilen, häufig nicht ohne dem Gedanken Zwang anzutun. Die Herstellung der übereinstimmenden Form kann überhaupt nur dazu dienen deutlich zu machen, wie alle Determinationsverhältnisse der Begriffe in das Urteil als untergeordnete Denkakte eingehen, die, sobald sie isoliert gedacht werden, notwendig die Form selbständiger Denkakte, d. h. die Urteilsform annehmen müssen.

Da demnach jedes Determinationsverhältnis ein Urteil in sich schließt, so steht es unserem Denken frei, dieser Tatsache auch in der Form des Urteils Ausdruck zu geben. Nur muß, weil es sich hierbei nicht um selbständige Urteile handelt, gleichzeitig dem Zusammenhang mit anderen Denkakten, durch den erst ein selbständiges Urteil zustande kommt, Ausdruck gegeben werden. Hierzu bedienen wir uns in der Sprache teils der  Relativpronomina,  teils der  Konjunktionen.  Ihre Funktion ist es, eine Verbinung verschiedener voneinander abhängiger Urteile zu einem einzigen zusammengesetzten Urteil zu bewirken. Da aber die durch Relativpronomina und Konjunktionen hergestellten untergeordneten Urteile stets einer Verbindung zweier Begriffe mit hinzugedachtem Determinationsverhältnis gleichwertig sind, so lassen sich aus jedem zusammengesetzten Urteil die untergeordneten Urteile eliminieren, indem man das in ihnen ausgedrückte prädikative Verhältnis in ein Determinationsverhältnis umwandelt. Den Sätzen "wenn ein Körper sich bewegt, durchläuft er einen Raum", "wenn der Luftdruck zunimmt, steigt das Barometer", "als die Schlacht geschlagen war, zog sich das Heer zurück", sind vollständig gleichwertig den anderen: "ein sich bewegender Körper durchläuft einen Raum", "das Barometer steigt bei zunehmendem Luftdruck", "das Heer zoge sich nach geschlagener Schlacht zurück". Es ist darum auch nicht angemessen, wenn, wie es gewöhnlich geschieht, bloß jene Urteile, welche aus mehreren untergeordneten bestehen, als  zusammengesetzte  bezeichnet werden, da man in diesem Fall logisch völlig gleichwertige Urteile von einander trennt. Vielmehr werden alle diejenigen Urteile zusammengesetzte genannt werden können, in denen das Subjekt oder Prädikat oder beide aus zusammengesetzten Begriffen bestehen, zwischen deren Gliedern ein Determinationsverhältnis stattfindet, mag nun dieses letztere in die prädikative Form aufgelöst sein oder nicht. Natürlich verfolgt unser Denken bei dieser Auflösung stets einen bestimmten Zweck. Namentlich pflegen wir dann das Determinationsverhältnis in die prädikative Form zu überführen, wenn es sich darum handelt, die  Art der Determination  näher zu bezeichnen, als das durch die attributive oder äußere Beziehungsform an und für sich schon geschieht.


4. Analytische und synthetische Urteile

Die Auffassung des Urteils als einer durchgängig analytischen Funktion, zu welcher wir oben geführt worden sind, steht in keiner Beziehung zu der durch KANT eingeführten Unterscheidung aller Urteile in analytische und synthetische. Denn diese Unterscheidung bezieht sich überhaupt nicht auf die Entstehung des Urteils, sondern einzig und allein auf das Verhältnis des Prädikatbegriffs zum Subjektbegriff. Analytisch nennt KANT solche Urteile, bei denen das Prädikat im Subjekt versteckterweise schon enthalten sei, synthetisch jene, in denen der Subjektbegriff im Prädikat zu einem neuen Begriff, der in ihm noch nicht mitgedacht ist, in Beziehung gesetzt werde. Analytische Urteile sind darum nach ihm immer Urteile a priori: es bedarf nicht der Erfahrung, um das im Subjektbegriff versteckte Prädikat zu entwickeln. Erfahrungsurteile sind stets synthetisch; aber nicht alle synthetischen Urteile sind Erfahrungsurteile. Vielmehr sind nach KANT alle unmittelbar evidenten Sätze der reinen Anschauung synthetische Urteile a priori, so z. B. das Urteil, daß 7 + 5 = 12 oder der Satz, daß die gerade Linie der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten ist. (14)

Es ist klar, daß auf diese Unterscheidung die Frage, ob sich das Urteil im Bewußtsein erst zusammensetze oder ob uns zunächst sein Inhalt als ein Ganzes gegeben sei, das sich erst in unserem diskursiven Denken in seine Teile zerlegt, gar keinen Bezug hat. Auch das synthetische Urteil wird als die Entwicklung eines fertigen Gedankens angesehen werden können, denn es wird, wie schon von SIGWART mit Recht hervorgehoben wurde, vorauszusetzen sein, daß die Synthese der Begriffe früher ist als die Bildung des Urteils. (15) Dieses letztere will auch hier nur den Gedanken entwickeln, der sich gebildet haben muß, ehe das Urteil in Bewegung kommt.

Gegen KANTs Unterscheidung hat zuerst SCHLEIERMACHER eingewandt, daß sie sich als eine fließende und relative darstelle. (16) Wenn KANT dem Satz "alle Körper sind ausgedehnt", als einem analytischen Urteil, den andern "alle Körper sind schwer" als Beispiel eines synthetischen entgegenstelle, so bleibe dieser Gegensatz nur so lange wahr, als der Urteilende nicht auch schon die Schwere als eine Eigenschaft im Begriff des Körpers mitgedacht habe. SCHLEIERMACHER ist daher der Ansicht, daß sich vermöge der Entwicklungsfähigkeit der Begriffe schließlich alle unsere Urteile in analytische verwandeln müssen. Wenn es aber wirklich eine Stufe metaphysischer Erkenntnis gäbe, auf der es nur nötig wäre, einen Begriff zu denken, um sofort alle Prädikate, die ihm möglicherweise beigelegt werden können, mitzudenken, so würde jedes Motiv zur Urteilsbildung wegfallen. Denn auf diesem idealen Standpunkt metaphysischer Einsicht würden alle Urteile so selbstverständlich erscheinen, wie der Satz, daß alle Dreiecke drei Ecken haben.

Ließe man nun diese metaphysische Entwicklungsfähigkeit der Begriffe aus sich beruhen, so legte die Erwägung, daß der Unterschied analytischer und synthetischer Urteile ein fließender sei, den Gedanken nahe, jedes Urteil könne ebensogut als ein analytisches wie als ein synthetisches betrachtet werden. (17) Diese Ansicht beruth aber auf einer Vermengung des kantischen Einteilungsgrundes mit dem Entstehungsgrund des Urteils. Das Urteil ist stets Gliederung eines Gedankens und läßt sich insofern freilich immer als ein analytischer Vorgang bezeichnen. Die kantische Frage lautet aber nicht, ob, bevor das Urteil vollzogen werden kann, Subjekt und Prädikat schon zusammen gedacht sein müssen, sondern sie geht dahin, ob  im  Subjekt das Prädikat bereits gedacht werde oder nicht. Auch KANT hat sicherlich nicht übersehen, daß gelegentlich ein Merkmal wie die Schwere im Begriff des Körpers ebenfalls mitgedacht werden könne. Als analytische Urteile wollte er aber nur solche betrachtet wissen, in deren Subjekt der Prädikatbegriff  notwendig  mitzudenken sei. Einen Körper ohne Ausdehnung vorzustellen ist unmöglich, dagegen brauche ich nicht notwendig bei der Vorstellung eines Körpers an seine Schwere zu denken. Wollte man also nach SIGWARTs Vorschlag solche Urteile analytische nennen, in denen das Prädikat den Inhalt des Subjektbegriffs expliziert, solche dagegen synthetische, in denen verschiedene Objekte der Anschauung in Relation zueinander gebracht werden, (18) so würde sich diese Unterscheidung mit der kantischen jedenfalls nicht decken. Im wesentlichsten zusammenfallend mit der Unterscheidung  erklärender  Urteile bezeichnet sie allerdings eine wichtige Richtung der Urteilsfunktion, ob es aber angemessen ist, dieselbe mit den Unterschieden des analytischen und synthetischen Verfahrens identisch zu setzen, dürfte zweifelhaft sein. Denn auch das erklärende Urteil kann immer dann synthetisch genannt werden, wenn es den zu erklärenden Begriff mit anderen selbständigen Begriffen in Beziehung bringt und jede Erklärung, die mehr sein will, als eine tautologische Umschreibung des Begriffs ist genötigt das zu tun. Wenn wir vom Quecksilber sagen, es sei von hohem spezifischem Gewicht und das einzige bei gewöhnlicher Temperatur flüssige Metall, so ist das gewiß ein erklärendes Urteil, aber es setzt den zu erklärenden Gegenstand in synthetische Beziehung zu anderen Objekten, zu anderen Körpern in der Aussage über sein spezifisches Gewicht, zu anderen Metallen in der Aussage über seinen Aggregatzustand. Die Unterscheidung SIGWARTs ist den zusammengesetzten wissenschaftlichen Verfahrungsweisen der Analyse und Synthese entnommen; eben darum ist aber diese Unterscheidung nicht geeignet für das einzelne Urteil, denn das analytische Verfahren operiert fortwährend mit solchen Urteilen, die für sich betrachtet synthetischer Natur sind. Bleiben wir nun beim ursprünglichen Sinn der kantischen Unterscheidung, verstehen wir also unter analytischen Urteilen nur solche, bei denen das Prädikat im Subjekt mitgedacht werden  muß,  so ist es klar, daß die analytischen Urteile völlig wertlos sein würden, wenn es sich in ihnen nur darum handelte, im Prädikat dasselbe noch einmal zu sagen, was im Subjekt schon ausgedrückt ist. Vielmehr wird es sich vernünftigerweise nur dann um die besondere Hervorhebung eines schon im Subjekt notwendig gelegenen Begriffselementes handeln können, wenn auf dieses letztere besonders hingewiesen werden soll, etwa als auf einen solchen Bestandteil des Begriffs, der in einer sich anschließenden Gedankenreihe von hervorragendem Wert ist. Ein tautologisches Urteil, wie "alle Dreiecke haben drei Ecken", würde in diesem Sinne kaum ein analytisches sein; der analytische Vorgang, der aus dem Subjektbegriff ein in ihm mitgedachtes etwa vorzugsweise zu betonendes Element aussondert, fehlt hier vollständig. Das Urteil "alle Körper sind ausgedehnt" ist dagegen ein analytisches, obgleich ich voraussetze, daß mit der räumlichen Ausdehnung die begriffliche Natur eines Körpers noch nicht zureichend bestimmt ist. Möglicherweise kann es gerade darauf ankommen, an die Ausdehnung als eine allgemeine Eigenschaft der Körper weitere Erörterungen anzuknüpfen. Auch hier darf übrigens wieder das objektive Verhältnis der zwei Hauptbegriffe des Urteils nicht mit der Entstehungsweise des Gedankens, aus welchem es entspringt, verwechselt werden. Wie das Urteil selbst eine analytische Funktion ist, so ist der Gedanke, in dessen Zergliederung es besteht, auch bei dem nach dem objektiven Verhältnis der Hauptbegriffe analytisch zu nennenden Urteil aus einem synthetischen Prozeß hervorgegangen. Wo selbst das Prädikat im Subjekt notwendig mitgedacht werden muß, da bedarf es doch einer gesonderten Auffassung und synthetischen Verknüpfung beider Begriffe, damit sich die analytische Urteilsfunktion in Bewegung setze. Fassen wir das Resultat dieser Erörterung zusammen, so können demnach allgemein die Ausdrücke analytisch und synthetisch in doppeltem Sinn verstanden werden. Wendet man sie auf die  Entstehung des Urteils  an, so ist der Gedanke, den das Urteil enthält, stets synthetisch entstanden, das Urteil selbst aber besteht in der analytischen Zerlegung dieses Gedankens. Wendet man sie auf das  Verhältnis von Subjekt und Prädikat im fertigen Urteil  an, so sind analytisch nur diejenigen Urteile, in denen ein Element oder einige Elemente, die im Subjekt notwendig schon mitgedacht werden müssen, zu irgendeinem Zweck im Prädikat besonders hervorgehoben worden; alle übrigen Urteile sind synthetisch. Daß wir uns im letzteren Sinne der analytischen Urteile selten bedienen und daß ihr logischer Wert ein geringer ist, bedarf übrigens kaum der Bemerkung.
LITERATUR: Wilhelm Wundt, Logik [Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung], Bd. I (Erkenntnislehre), Stuttgart 1893
    Anmerkungen
    1) Vgl. KANT, Logik, herausgegeben von ROSENKRANZ, Werke III, Seite 282; DROBISCH, Logik, 4. Auflage Seite 11; LOTZE, Logik Seite 57
    2) HERBART, Logik, Werke, Bd. I. Seite 92
    3) JOHN STUART MILL, Logik, übersetzt von SCHIEL, 2. Auflage, I, Seite 21
    4) SCHLEIERMACHER, Dialektik, § 190f; TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, 2. Auflage, II, Seite 210
    5) ÜBERWEG, Logik, 4. Auflage, Seite 154
    6) ARISTOTELES, de interpret., Cap. 4
    7) siehe Abschnitt I, Kap. II.
    8) siehe Abschnitt I, Kap. II
    9) siehe Abschnitt II, Kap. II
    10) ARISTOTELES, de interpret., Cap. 10
    11) Vgl. PRANTL, Geschichte der Logik I, Seite 96, Anmerkung 124; II, Seite 196 und 266
    12) KANT, Logik, Werke Bd. III, Seite 287
    13) Vgl z. B. HERMANN LOTZE, Logik, Seite 59
    14) KANT, Kritik der reinen Vernunft, 2. Auflage, Einleitung, Seite 10f
    15) SIGWART, Logik I, Seite 112
    16) SCHLEIERMACHER, Dialektik, Seite 264 und 563
    17) TRENDELENBURG, Logische Untersuchungen, 2. Auflage, II, Seite 241f; SIGWART, Logik, I, Seite 111
    18) SIGWART, Logik I, Seite 112