cr-2 WindelbandH.MaierB.ErdmannRiehlCohenDrobischDrieschLotze     
 
WILHELM WUNDT
L o g i k
[3/12]
    Einleitung
Von der Entwicklung des Denkens
Die logischen Verbindungen der Vorstellungen
Die Entwicklung des Gedankenverlaufs
Die Entwicklung der logischen Normen
Von den Begriffen
Die Arten der Begriffe
Die Verhältnisse der Begriffe
Die Beziehungsformen der Begriffe
Von den Urteilen
Die Formen der Urteile
Die Relationsform des Urteils

"Wir sind überall geneigt, aufeinanderfolgende Vorstellungen zu Vorstellungsgruppen zu vereinigen und uns dadurch ihre Zusammenfassung zu erleichtern."

"Überall weisen uns die Urformen der Sprache auf ein langsameres und schwerfälligeres Denken hin, das allmählich erst leichtere und kürzere Formen gewann."


II. Die logischen Verbindungen
der Vorstellungen


1. Die Formen der aktiven Apperzeption

Das logische Denken bildet einen Bestandteil des willkürlichen Gedankenverlaufs. Dieser selbst tritt uns aber in zwei Gestaltungen entgegen, die, in der Wirklichkeit stets ineinander greifend, für die Zwecke der psychologischen Analyse eine Trennung erheischen. Die erst und zugleich ursprünglichere dieser Gestaltungen ist die der  willkürlichen Phantasietätigkeit.  Sie ist dadurch der Assoziation noch näher verwandt, daß sich alle ihre Verbindungen auf  einzelne  Vorstellungen beziehen. Die Schöpfungen der Phantasie sind Ebenbilder der Wirklichkeit, von der in der Wahrnehmung gegebenen Wirklichkeit nur dadurch verschieden, daß bei ihnen das Denken nach willkürlich bevorzugten Motiven das Einzelne verbindet. Die zweite jener Gestaltungen ist die des  logischen Denkens.  Sein Unterschied von der Phantasietätigkeit liegt darin, daß es die Wechselbeziehungen der einzelnen Vorstellungen zu neuen Vorstellungen verarbeitet, mittels deren es eine Erkenntnis des Zusammenhangs der Wirklichkeit sowei jeder der Wirklichkeit nachgebildeten Phantasieschöpfung zu gewinnen bestrebt. Beide Stufen der Gedankenverbindungen fassen wir zur Unterscheidung von den Assoziationen, auf denen sie ruhen, unter dem psychologischen Begriff der  apperzeptiven Verbindungen von Vorstellungen  oder der  aktiven Apperzeptionsformen  zusammen. Die nähere Betrachtung der in der willkürlichen Phantasietätigkeit und insbesondere in den Schöpfungen des künstlerischen Denkens zur Erscheinung kommenen Apperzeptionsformen fällt der  Aestethik  zu. Diejenigen Apperzeptionsformen aber, die dem  logischen  Denken zugrunde liegen, bedürfen hier einer kurzen Betrachtung.

Die psychologische Unterscheidung und Einteilung dieser logischen Apperzeptionsformen wird vom nämlichen Gesichtspunkt auszugehen haben, den wir bei der Betrachtung der Assoziationsformen zugrunde legten. Entweder kann ein resultierendes Produkt in Gestalt einer  simultanen  Gesamtvorstellung entstehen oder es kann eine Reine  aufeinanderfolgender  Vorstellungen zu einem Ganzen verknüpft werden. Hierbei kommt aber zugleich ein fortwährenden Übergang des Gleichzeitigen in das Aufeinanderfolgende und des letzteren in das erstere vor. Bald vereinigt sich eine Anzahl zeitlich getrennter Denkakte zu einer Gesamtvorstellung, die in den meisten Fällen auch dadurch noch an ihre sukzessive Entstehung erinnert, daß zu ihrer sprachlichen Bezeichnung eine zusammengesetzte Wortform erforderlich ist; bald zerlegt sich wiederum eine simultane Gesamtvorstellung in mehrere sukzessiv apperzipierte Bestandteile. Weiterhin lasse dann diese beiden Hauptklassen apperzeptiver Verbindung, die simultane und die sukzessive, wieder in mehrere Unterformen sich trennen. Wenn wir auf die verschiedenen Grade der Innigkeit Rücksicht nehmen, mit der ursprünglich getrennte Vorstellungen zu einer Gesamtvorstellung sich vereinigen, so sind zunächst  zwei  Stufen simultaner Verbindung zu unterscheiden: die erste, losere Form mag als  Agglutination  [Bedeutungserklärung - wp], die zweite, festere als  Synthese der Vorstellungen  bezeichnet werden. Die letztere ist der assoziativen Verschmelzung insofern verwandt, als in beiden Fällen die entstehenden Produkte einzelne der ursprünglichen Elemente nur noch als modifizierende Bestandteile enthalten. Daß aber die apperzeptive Synthese ein verschiedener innerer Vorgang ist, verrät sich schon an ihrer allmählichen Entwicklung aus ihrer Vorstufe, der Agglutination. Diese steht ihrerseits mit der sukzessiven Assoziation in nächster Beziehung; sie unterscheidet sich von ihr jedoch nicht nur durch die begrenzte Zahl ihrer Glieder, sondern vor allem dadurch, daß aus den agglutinativ verbundenen Vorstellungen eine neue Vorstellung resultiert, die in den einzelnen Bestandteilen noch nicht enthalten war. Diese neue Vorstellung, die nach der sukzessiven Entwicklung der sie bildenden Glieder im Bewußtsein auftaucht, ist es zugleich, wegen deren wir die Agglutionation als eine erste Stufe simultaner Verbindung ansehen müssen. Sind auch ihre Teilvorstellungen sukzessive gegeben, so kann doch die neue Vorstellung nur entstehen, wenn jene nach ihrem Abfluß zu einem simultanen Ganzen zusammengefaßt werden.

Als eigentümliche Produkte der Synthese, die nich tnur ihrer logischen Wichtigkeit, sondern auch ihrer psychologischen Entwicklung wegen eine besondere Betrachtung erheischen, bleiben endlich die  Begriffe  übrig. Wir schließen sie als eine dritte Form simultaner Verbindung an, die sich darin unterscheidet, daß aus den in die Verbindung eingehenden Vorstellungen beim Begriff eine einzelne als  herrschende  sich aussondert, welche zu Stellvertreterin des ganzen Produktes der Synthese wird. Diese Eigenschaft ist es, der die Begriffe ihre logische Bedeutung verdanken.

Alle simultanen Verbindungen der Apperzeption führen auf diese Weise zur Entwicklung von  Gesamtvorstellungen . Mit diesem Namen belegen wir aber solche Erzeugnisse, in denen sich mehrere Vorstellungen zu einer neuen vereinigen, die von zusammengesetzter Beschaffenheit ist. Die Produkte der Agglutination und Synthese sowohl wie die Begriffe sind Gesamtvorstellungen von verschiedener Beschaffenheit. Die Gesamtvorstellungenen sind jedesmal zugleich  einzelnen  Denkakte, also  simultane  Verbindungen, die jedoch unter Umständen, wie bei den Agglutinationen, erst nach dem Durchlaufen einer Mehrheit einzelner Vorstellungen zustande kommen.

Wenn gewisse Hauptformen der simultanen Apperzeption, wie zu erwarten stand, an solche der simultanen Assoziation zurückerinnern und sich teilweise auf sie stützen, so stehen naturgemäß die  sukzessiven Apperzeptionsverbindungen  zur sukzessiven Assoziation in näherer Beziehung. In doppelter Weise wird die letztere für das sukzessive oder diskursive Denken von Bedeutung: teils in dem sie demselben vorangeht, teils indem sie ihm nachfolgt. Ist auch die Assoziation der Vorstellungen noch keine logische Ordnung, so kann sie doch auf eine solche hinweisen. Die Assoziation nach Ähnlichkeit bildet so die Vorbereitung zur apperzeptiven Verknüpfung verwandter Vorstellungen und was in Zeit und Raum regelmäßig verbunden ist, wird vorzugsweise leicht auch in der Funktion des Urteils vereinigt. Nicht minder wichtig ist die nachträgliche Hilfe, welche die Assoziation dem Denken gewährt. Alle sukzessiven Apperzeptionsverbindungen werden, nachdem sie einmal vollzogen sind, zu Objekten der Berührungsassoziation. Sie befestigen sich als solche umso mehr, je häufiger in übereinstimmender Weise sie abliefen; daher ist das Gedächtnis ein so unentbehrlicher Schatz für das logische Denken. Schließlich können sukzessive Assoziationen unmittelbar selbst in den apperzeptiven Gedankenverlauf eingehen, hiervon werden wir unten mannigfache Beispiele kennen lernen. Trotzdem bleibt auch hier die apperzeptive von der assoziativen Verbindung wesentlich verschiedn. Vor allem unterscheidet beide  ein  fundamentales Merkmal. Die sukzessive Assoziation verläuft ohne bestimmte Begrenzung: kein festes Gesetz regelt die Zahl der Glieder einer Assoziationsreihe. Die sukzessive Apperzeption dagegen geschieht stets in der Form einer  Zweiteilung:  sie folgt dem  Gesetz der binären Gliederung der Gedanken. 

Wie aus den simultanen Apperzeptionen die Entwicklung von Gesamtvorstellungen hervorgeht, so führen die sukzessiven zur  Entwicklung des Gedankenverlaufs.  Jeder Gedankenverlauf ist - darin besteht sein wesentlicher Unterschied von der Assoziation - ein in sich geschlossenes Ganzes, insofern alle Teile desselben in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen, der durch das Gesetz der bimären Gliederung beherrscht wird. Durch diesen Zusammenhang weist jeder sukzessive Denkakt, mag er einfach oder verwickelt sein, auf den Ursprung aus einer Gesamtvorstellung hin, durch deren Teilung er entstanden ist. Infolge einer einmaligen Wirksamkeit des genannten Gesetzes entsteht der  einfache Gedankenverlauf,  in welchem eine Gesamtvorstellung sich in nur  zwei  auf einanander bezogene Teile gliedert. Die wiederholte Anwendung desselben auf die durch eine erste Gliederung entstandenen Teile führt dann zum  zusammengesetzten Gedankenverlauf,  der weiterhin teils durch die Verknüpfung und Verwebung mit anderen sukzessiven Denkakten, teils durch die Aufnahme assoziativer Verbindungen mannigfache Verwicklungen erfahren kann.

Demnach lassen sich die Hauptformen apperzeptiver Verbindung in folgende Ordnung bringen:

1.  Die simultanen Denkverbindungen: 
a) die Agglutination der Vorstellungen,
b) die Synthese der Vorstellungen,
c) die Begriffsbildung

2.  Die sukzessiven Denkverbindungen: 
a) der einfache Gedankenverlauf,
b) der zusammengesetzte Gedankenverlauf


2. Die Entwicklung apperzeptiver Gesamtvorstellungen
(Simultane Verbindungen des Denkens)

a)  Die Agglutination der Vorstellungen 
Wenn aufeinanderfolgende Vorstellungen sich so verbinden, daß dadurch eine neue entsteht, welche die ersteren als ihre Elemente enthält, so bezeichnen wir diesen Fall als  Agglutination.  Wir sind überall geneigt, aufeinanderfolgende Vorstellungen zu Vorstellungsgruppen zu vereinigen und uns dadurch ihre Zusammenfassung zu erleichtern. Das einfachste Beispiel einer solche Agglutination bietet die rhythmische Verbindung einer Reihe gleichförmiger und einfacher Vorstellungen, z. B. aufeinanderfolgender Pendelschläge. Wenn wir zu einer Reihe gehörter Taktschläge den nächstfolgenden, noch ehe er eingetreten ist, vorstellen, so liegt der Fall einer einfachen zeitlichen Assoziation vor. Wenn wir aber die unmittelbar gehörten oder reproduzierten Takte dadurch in der Vorstellung gliedern, daß wir etwa jeden zweiten oder vierten betonen oder aber jeden vierten stärker und jeden zweiten schwächer gehoben denken, so haben wir es mit einer apperzeptiven Verbindung der Vorstellungen und zwar mit einer Agglutination zu tun. Die Taktschläge selbst sind von gleicher Stärke. Es geschieht also lediglich durch die Tätigkeit der Aufmerksamkeit, daß wir einzelne derselben, die sich in bestimmten Intervallen befinden, stärker gehoben denken. Wir sind bekanntlich sehr geneigt, eine solche rhythmische Gliederung bei gleichförmig aufeinander folgenden Vorstellungen, wie einfachen Schalleindrücken, Zahlen, Buchstaben und dgl., anzubringen, auch wenn sie objektiv nicht vorhanden ist. Denn wir erleichtern die Zusammenfassung der Vorstellungen, indem wir sie in Gruppen ordnen, die wir manchmal wieder durch die Unterscheidung von Hebungen verschiedenen Grades in Untergruppen zerfallen lassen. Es handelt sich jedoch hier um eine bloße Zusammenfügung oder Agglutination, da zwar die rhythmischen Gebilde, die Takte und Perioden welche entstehen, neue, zusammengesetztere Vorstellungen sind, die einfacheren Vorstellungen aber, aus denen sie aufgebaut werden, vollständig erhalten bleiben.

Ein weiteres Gebiet, auf welchem sich zahlreiche Beispiele für die Entwicklung der Agglutionation darbieten, ist dasjenige der Sprache. Jede Wortzusammensetzung, in welcher die verbunden Worteinheiten ihre selbständige, uns bewußt werdende Bedeutung noch bewahrt haben, weist auf diesen psychologischen Vorgang hin. Wörter wie "Heerführer, Dienstmann, Schreibfeder" und dgl. bedeuten einheitliche Vorstellungen; jeder, der in ihnen enthaltenen Bestandteile ist aber eine selbständige Vorstellung geblieben, die uns innerhalb der Gesamtvorstellung deutlich zu Bewußtsein kommt. Auf früheren Entwicklungsstufen ist die Sprache, wie es scheint, erfüllt von solchen Agglutinationen, die später in den Wortzusammensetzungen nur noch ein spärlicheres Dasein fristen. Denn alle jene Verbindungen, welche sich in der entwickelteren Sprachform als feste Synthesen darstellen, weisen, wie wir sogleich sehen werden, auf einen Zustand loserer Verbindung zurück, welcher der bloßen Agglutination entspricht. Ob übrigens in denjenigen Sprachen, welche die Sprachwissenschaft als agglutinative bezeichnet, also z. B. in den tatarischen und finnischen Idiomen, die Flexionsformen noch heute auch im psychologischen Sinn als Agglutinationen zu betrachten sind, d. h. als Gesamtvorstellungen innerhalb deren man sich der Bedeutung der einzelnen Bestandteile deutlich bewußt wird, mag immerhin zweifelhaft sein. Was wir psychologisch Agglutination der Vorstellungen nennen, darf daher nicht ohne weiteres mit der Agglutination im linguistischen Sinn zusammengeworfen werden. Die sprachliche Agglutination  kann  zugleich eine psychologische bedeuten, sie muß es aber nicht; denn der Sprachforscher wird leicht geneigt sein, eine zusammengesetzte sprachliche Form als unmittelbar zerlegbar in ihre Bestandteile anzusehen, wenn sie nur für ihn selbst leicht zerlegbar ist, ohne daß sich deshalb die Menschen, welche die Sprache reden, der Bedeutung der Wortelemente bewußt werden müssen. Überhaupt aber sieht man schon aus diesen Bemerkungen, daß die Grenze zwischen Agglutination und Synthese auch psychologisch eine fließende ist, da zwischen dem deutlichen Bewußtsein der Elemente einer zusammengesetzten Vorstellung und ihrem völligen Verschwinden alle möglichen Übergangsstufen der allmählichen Verdunkelung gelegen sind.


b)  Die Synthese der Vorstellungen 

Mit dem Namen der  apperzeptiven Synthese  bezeichnen wir die Verbindung aufeinander folgender Vorstellungen, wenn die letzteren in der neuen Vorstellung, die sie hervorgebracht haben, nicht mehr fortbestehen. In dieser Beziehung bietet die Synthese eine gewisse Analogie dar mit jenen Vorgängen assoziativer Verschmelzung, die bei der sinnlichen Wahrnehmung wirksam sind. Auch bei den letzteren werden uns die Elemente, die zur Erzeugung eines bestimmten Produktes zusammenwirken, nicht bewußt. Der große Unterschied besteht aber darin, daß sich bei der Synthese immer mehr oder weniger sicher eine vorausgegangene Entwicklung nachweisen läßt, während deren eine bewußte Unterscheidung der Elemente stattgefunden hat. Das beruth eben darauf, daß sich die Synthese immer aus einer Agglutination allmählich entwickelt.

Auch hier bieten sich vorzugsweise auf dem Gebiet der Sprache charakteristische Beispiele an. In verhältnismäßig neueren Wortbildungen kann man zuweilen unmittelbar den Übergang von Agglutination und Synthese verfolgen. Während wir in einem Wort wie "Heerführer" noch deutlich die beiden Elemente  Heer  und  Führer  als gesonderte Vorstellungen auffassen, daher auch das Bewußtsein sich zunächst die Elemente vergegenwärtigt, ehe es die aus ihnen resultierende zusammengesetzte Vorstellung bildet, sind in Wörtern wie "Herzog", "Marschall" (für ursprüngliche Mar-Schall, Pferdediener) u. a. diese Elemente vollkommen unselbständig geworden sind; nur das Wort als Ganzes hat noch eine Bedeutung, so daß hier in  einem  Akt die Gesamtvorstellung vor unser Bewußtsein treten kann, ohne daß wir vorher die Elemente zu apperzipieren brauchen, aus denen sie ursprünglich hervorgegangen ist. Und doch wissen wir, daß vor wenig Jahrhunderten für das Bewußtsein der deutsch Redenden jene Elemente noch ebenso lebendig gewesen sind, wie für uns heute im Wort "Heerführer".

Die Sprache folgt diesem Übergang von der Zusammenfügung sukzessiver Vorstellungen zu ihrer Verschmelzung in ihrer äußeren Form, indem sie die unselbständig gewordenen Elemente auch lautlich inniger zusammenfaßt. Der Verschmelzung der Vorstellungen entspricht so die Kontraktion [Zusammenziehung - wp] der Laute. Dieser Prozeß läßt sich namentlich auf den weiter zurückliegenden Stufen der Sprachentwicklung nachweisen, wo er, mehr aus der linguistischen Analyse als aus der unmittelbaren Beobachtung erschlossen, den Übergang aus der agglutinativen in die flektierende Sprachform bezeichnet. In den älteren Formen indogermanischer Sprachen bestand, wie man annehmen darf, jede verbale oder nominale Form aus einer Anzahl aufeinander folgender Wurzeln von selbständiger Bedeutung: sie entsprach so, als agglutinierende Wortform, auch psychologisch einer bloßen Agglutination der Vorstellungen. So bringen die altindischen Verbalformen "bhara-ma-si" tragen-ich-du (wir tragen), "bhar-an-ti" tragen-dieser-jener (sie trugen), "bhar-an-t-an-ti" tragen-dieser-jener-dieser-jener (sie tragen einander), zuerst die sukzessiven Vorstellungen zum Bewußtsein, um sie dann in eine Einheit zusammenzufassen, während in nahe stehenden lateinischen Formen wie "ferimus, ferunt" nicht bloß das  ich  und  du,  das dieser und jener in eine simultane Vorstellung vereinigt sind, sondern auch das  wir  und  sie  von der Vorstellung des Tragens nicht mehr gelöst werden können, ohne daß zugleich der das letztere ausdrückende Stamm in der lebendigen Sprache seine Bedeutung verlöre. Denn wenn es auch dem Sprachgefühl deutlich bewußt ist, daß in jenen verbalen Flexionsformen die Vorstellung des Tragens immer am Laut  fer  haftet, so geschieht das nicht mehr, weil dieser noch als ein selbständiges Element empfunden wird, sondern weil er in einer Reihe von Wortformen, welche die gleiche Vorstellung in sich tragen, als der konstante Bestandteil wiederkehrt. Begünstigt wird dieser Verbindungsprozeß durch die Bedeutungsänderung, die teils die Wortelemente, teils die Wörter selbst im Laufe der Entwicklung der Sprache erfahren. In  ferimus, ferunt  sind an die Stelle des "ich und du", des "dieser und jener", der ursprünglichen Bedeutung der Flexionsendung, die allgemeineren Kollektiv-Vorstellungen "wir" und "sie" getreten.

Daß diese Synthese der Vorstellungen einer der mächtigsten Hebel der fortschreitenden Entwicklung des Bewußtseins ist, bedarf nicht des näheren Nachweises. Die Resultate treten an der Sprache, die uns das objektive Spiegelbild dieses Prozesses entgegenhält, deutlich zutage. Aus einem geringen Vorrat ursprünglicher Vorstellungen, die in den Wurzeln der Sprache ausgedrückt sind, geht das reiche Begriffssystem hervor, über welches unsere entwickelten Sprachen verfügen. Die Wurzeln werden zuerst zusammengefügt, dann zu untrennbaren Wortganzen verschmolzen. Notwendig müssen wir annehmen, daß in diesem äußeren Prozeß ein innerer psychologischer Vorgang zur Erscheinung kommt: daß die Sprache hier der Gesetzmäßigkeit Ausdruck gibt, nach der das Bewußtsein bei der Entwicklung seiner Vorstellungen verfährt. Auf eine Anzahl relativ einfacher Vorstellungen, welche die Sinne ihm zuführen, ist das Bewußtsein anfänglich beschränkt. Sein Horizont ist schon darum ein enger, weil es sich diese Vorstellungen immer nacheinander vergegenwärtigen muß, um sie zu Totalbildern zusammenzufügen. Aber je häufiger sich bestimmte Vorstellungen vereinigt finden, umso rascher überfliegt die Apperzeption dieselben, bis sie endlich in einem simultanen Vorstellungsakt erfaß, was vorher in eine größere Zahl sukzessiver Vorstellungen getrennt war. Überall weisen uns die Urformen der Sprache auf ein langsameres und schwerfälligeres Denken hin, das allmählich erst leichtere und kürzere Formen gewann. Was man vom rein lautlichen Standpunkt aus Korruption und Verfall nennt, das ist darum meist zugleich ein Sympton der fortschreitenden Entwicklung des Denkens.

Dieser psychologische Vorgang zeigt sich aber nicht bloß auf dem Gebiet der sprachlichen Formen. Letztere bringen denselben nur nach einer bestimmten Richtung zum Ausdruck und sie bilden allerdings das wertvollste Zeugnis, weil sich in ihnen jener Prozeß am deutlichsten objektiviert hat. Aber auch ohne daß der sprachliche Ausdruck eine wesentliche Änderung erfährt, kann sich die durch ihn bezeichnete Vorstellung ändern. Das geschieht dann in solcher Weise, daß zunächst durch Assoziationen weitere Vorstellungen zu der ursprünglichen hinzutreten, von denen einzelne Elemente wiederum mit dieser zu einer neuen Gesamtvorstellung verschmelzen. Auch diese Vorgänge spiegeln sich in der Geschichte der Sprache. Die sämtlichen Erscheinungen des  Bedeutungswechsels der Wörter  sind hierher zu zählen.

Auf die mannigfach wechselnden Prozesse der Assoziation und Apperzeption, die dem Bedeutungswandel zugrunde liegen, näher einzugehen, muß der Psychologie überlassen bleiben. Hier genügt es, auf jene Seiten des Vorgangs hinzuweisen, die für die Entwicklung des logischen Denkens maßgebend sind. In letzterer Hinsicht ist aber namentlich die allgemeine psychologische Bedingung, aus der die sämtlichen Formen des Bedeutungswandels hervorgehen, von entscheidendem Wert: die eine Bedeutung eines Wortes entwickelt sich stets, indem zur ursprünglichen Vorstellung neue Vorstellungen hinzutreten, die mit jener zusammenwachsen und die schließliche Bedeutung ist so das Erzeugnis unbestimmt vieler Synthese, in deren Fortschritt zugleich Elemente, die in den früheren Produkten der Reihe enthalten waren, eliminiert werden. Auf diese Weise können usprüngliche und endliche Wortbedeutung unter Umständen bald mehr oder weniger miteinander verwandt sein, bald aber auch gar nichts mehr miteinander gemein haben. So war sicherlich dem Römer im Wort "Moneta", Münze anfänglich noch die Vorstellung des Tempels der Juno Moneta, in dem die erste römische Münzwerkstätte eingerichtet worden war, erhalten geblieben. Als aber das Wort mehr und mehr auf das Erzeugnis dieser Werkstätte, die Geldmünze, übertragen wurde, kam dem so entstandenen Verbindungsprodukt allmählich sein erster Bestandteil völlig abhanden. Ein aus  a  und  b  entstandenes Produkt  a b  kann so durch  a b c  in  b c,  durch  b c d  in  c d  übergehen usw.

Es kann jedoch eine Reihe aufeinander folgender Synthesen sich auch dergestalt vollziehen, daß die ursprünglichen Elemente bestehen bleiben, während neue hinzutreten. Sukzessiv geht dann eine Vorstellung  a  in  ab, abc, abcd  usw. über, wobei die Produkte immer zusammengesetzter werden, indem sie zahlreiche Einzelvorstellungen in sich aufnehmen. So bezeichnet die "Universitas" zuerst schlechthin die Allgemeinheit, das Ganze. Sie wird dann in einer ihrer Bedeutungen auf die menschliche Gesellschaft übertragen und bezeichnet ein geschlossenes Ganzes innerhalb derselben, eine Gilde, ein Kollegium; in unserer "Universität" endlich wird es zum Namen einer speziellen historisch entwickelten Form wissenschaftlicher Genossenschaft.

Auf solche Weise trennen sich die Erscheinungen sukzessiver Synthese der Vorstellungen, die den verschiedenen Fällen des Bedeutungswechsels zugrund liegen, in  zwei  Reihen von Vorgängen: in die  Verschiebung  der  Vorstellungen  und in die  Verdichtung  der  Vorstellungen.  Bei der ersteren werden in der fortschreitenden Synthese jedesmal bei der Aufnahme neuer Elemente frühere eliminiert; bei der letzteren bleiben die früheren Elemente erhalten, wenn neue hinzutreten. Natürlich ist in den meisten Fällen der Vorgang aus beiden Erscheinungen gemischt. Insbesondere werden wahrscheinlich immer neue Elemente aufgenommen, ehe frührer eliminiert werden, so daß der Verschiebung regelmäßig eine Verdichtung vorangeht. Die Verschiebung findet vorzugsweise da statt, wo sich die allgemeinen Bedingungen des Denkens ändern. Da es auf primitiven Kulturstufen noch kein Metallgeld als Tauschmittel gibt, so begreifen wir z. B. leicht, daß der neu entstandene Begriff zu seiner Bezeichnung der Anlehnung an andere, ursprünglich nur in äußerer Beziehung stehende Vorstellungen bedarf, die ihm durch eine Verschiebung ihres Inhalts allmählich angepaßt werden. Die Verdichtungen finden dagegen dort ihre Stelle, wo sich an einen festen Mittelpunkt fortwährend neue Beziehungen anknüpfen. So sind insbesondere unsere wissenschaftlichen Begriffe Produkte einer fast unabsehbaren Reihe von Verdichtungen, so daß in einem gegebenen Moment immer nur diese oder jene ihrer Elemente, auf die es etwa im Lauf der Gedanken gerade ankommt, in unserem Bewußtsein stehen. In Wörtern wie "Differential", "Potential", "Organismus", "Verfassung" und dgl. hat sich die Geschichte ganzer Gebiete des Wissens verdichtet. Wo wir uns ihrer bedienen, da berühren wir immer nur einen kleinen Teil der unzähligen Faktoren, die in ihnen enthalten sind.

An die Verdichtung der Vorstellungen, die so aus dem Prozeß der Synthese hervorgeht, schließt sich nun aber sehr häufig ein umgekehrter Vorgang an, die Zerlegung nämlich der entstandenen Gesamtvorstellung in eine Reihe von Einzelvorstellungen. Wir wollen dieser Prozeß als das  Zerfließen  der  Vorstellungen  bezeichnen. Das Zerfließen eines Verbindungsproduktes in seine Elemente kann vollständig oder unvollständig sein, es kann sich in derselben Ordnung, in der sich die Synthese gebildet hat oder in einer beliebigen anderen vollziehen. Deuten wir das vollständige Aufgehen in der Verbindung durch eine die Elemente umschließende Klammer an, während alle außerhalb der letzteren stehenden, aber ebenfalls multiplikativ verbundenen Elemente andeuten sollen, daß sie gesondert zu Bewußtsein gelangen, so läßt offenbar ein Produkt  (a b c)  im allgemeinen, sofern nämlich nicht besondere Anordnungen durch die Natur des Falls ausgeschlossen sein sollen, ebenso viele Arten vollständiger Zerfließung zu, als Permutationen [Vertauschung - wp] seiner Elemente möglich sind: also die Formen  abc, acb, bac, cab, cba  und mit Rücksicht darauf, daß innerhalb der Klammer die Stellung der Elemente gleichgültig ist, ebenso viele Formen unvollständiger Zerfließung, nämlich  (ab)c, a(bc), (ac)b, b(ac), (bc)a, c(ab). 

Auch diese Erscheinung spiegelt sich objektiv in gewissen Ereignissen der Sprachentwicklung. In der Zerlegung der Flexionsformen tritt der Zerfließungsprozeß in dem Moment, wie es scheint, hervor, wo die Synthese der ursprünglich bloß agglutinierten Vorstellungselemente so innige geworden ist, daß keines derselben mehr deutlich empfunden wird. Nun regt sich das Bedürfnis, jene Elemente wieder klarer zu vergegenwärtigen. So kommt es, daß in einer späteren Periode, in welcher der Höhepunkt der Wortbildung überschritten ist, die Wortkomplexe wieder in gesonderte Wörter sich auflösen können, deren jedes einen Teil der Gesamtvorstellung ausdrückt, die im ganzen Wort enthalten war. Wie früher die lautliche Kontraktion ein äußeres Symptom der Synthese war, so bezeichnet nun der Zerfall des Wortes das Zerfließen der Vorstellung, das sukzessive Bewußtwerden der zuvor simultan in ihr enthaltenen Elemente. Präpositionen, hinweisende und persönliche Pronomina, Hilfszeitwörter erweisen bei diesem Vorgang der Sprache ihre Dienste. Wenn der Römer im Wort "amavi" die drei Vorstellungen des Liebens, der vergangenen Zeit und des Ich vereinigte, so waren ihm damit diese drei Vorstellungen vollständig zu  einer  Gesamtvorstellung geworden. Wenn dagegen der Romane das nämliche Wort in drei selbständige Wörter auseinander legt:  ego habeo amatum  (j'ai aimé), so ist das ein äußeres Zeugnis darüf, daß bei ihm jene Bestandteile sich wieder in sukzessive Vorstellungen gesondert haben. Zugleich ist hierbei das Verbindungsprodukt  (abc)  in die zerfließende Reihe  cba  mit umgekehrter Anordnung der Elemente übergegangen. Wenn gegenüber der früheren Agglutination eine derartige Veränderung in der Reihenfolge der Vorstellungen eintritt, so muß das natürlich immer seinen besonderen psychologischen Grund haben. Im vorliegenden Fall hängt derselbe ohne Zweifel mit der allgemeinen Veränderung zusammen, welche die syntaktische Stellung der Wörter im Satz in den modernen Dialekten indogermanischer Sprachen im Vergleich mit den älteren Formen derselben erfahren hat, auf deren psychologische Ursachen wir an einem anderen Ort zurückkommen werden.

Wie in dem angegebenen und vielen ihm ähnlichen Beispielen die Sprache objektiv den Prozeß des Zerfließens der Vorstellungen zum Ausdruck bringt, so kann sich aber auch hier ein ähnlicher Vorgang rein innerlich ereignen. Insbesondere schließt sich derselbe an all jene Vorstellungen an, in denen durch Synthese zahlreiche Einzelvorstellungen in verdichtetem Zustand erhalten geblieben sind. In der Regel ist hier der Zerfließungsprozeß kein vollständiger, sondern er läuft nur durch diejenigen Glieder der Vorstellungsreihe, welche mit der gerade vorhandenen Gedankenrichtung in Beziehung stehen. Ein Wort wie "Universität" kann sehr verschiedene Vorstellungen sukzessiv in uns anklingen lassen, die nach dem individuellen Erfahrungskreis und nach dem einzelnen Fall, in wlechem wir uns des Wortes bedienen, mannigfach wechseln werden. Übrigens kann, wie dieses Beispiel erkennen läßt, die aktive Apperzeption beim Zerfließungsprozeß vollständige zurücktreten, um der passiven Assoziation das Feld zu räumen und nur in einzelnen Momenten noch regulierend in den Verlauf der Vorstellungen einzugreifen.


c)   Die Entstehung der Begriffe

Bei der Untersuchung der psychologischen Entwicklung der Begriffe ist man meistens von Reflexionen über ihre logische Bedeutung ausgegangen. Indem man den Verstand der Sinnlichkeit gegenüberstellte, wurde dieser die Bildung der Vorstellungen, jenem die der Begriffe zugewiesen. Der Verstand sollte von dem durch die Sinnlichkeit dargebotenen Stoff das einer Reihe zusammengehöriger Einzelvorstellungen Gemeinsame zusammenfassen und auf solche Weise durch Abstraktion den Begriff erzeugen. Offenbar hatte man hier diesen als die Summe gemeinsamer oder wesentlicher Merkmale im Auge, die einer Klasse von Gegenständen zukomme. Freilich war es schwer, diese Definition auch da noch anzuwenden, wo von Gegenständen und Merkmalen eigentlich gar nicht mehr die Rede sein kann, wie bei den abstrakten Begriffen  Sein, Substanz, Qualität  und dgl. Hier half dann unter Umständen die Annahme, daß der Verstand jene allgemeinsten Begriffe entweder als ein ursprüngliches Besitztum in sich trage oder durch die selbständige Wirkung der Denkfunktionen hervorbringe. Zwar wurde die empirische Psychologie naturgemäß zu dem Versuch geführt, auch die Entwicklung der Begriffe aus der unmittelbaren Einwirkung der einzelnen Vorstellungen auf das Bewußtsein abzuleiten. Meistens stellte man daher nun die naheliegende Vermutung auf, von einer größeren Zahl ähnlicher Wahrnehmungen werde allmählich ein schematisches Bild zurückbleiben. Im Resultat trifft aber diese Anschauung mit der vorigen zusammen: was dort der spontan handelnde Verstand vollführt, das entsteht hier als ein zufälliges Ergebnis aus der passiven Aufnahme der Eindrücke. Immerhin ist die letztere Ansicht in neuerer Zeit die vorherrschende geworden, da es hier eher möglich scheint, die Bildung der Begriffe unmittelbar mit den bekannten Vorgängen der Reproduktion und Assoziation in Verbindung zu bringen. Demgemäß schildert man denn die Begriffe meistens als schematische und zugleich undeutliche Vorstellungen, da das Totalbild, welches in uns von einer Anzahl ähnlicher Eindrücke zurückbleibe, immer nur sehr unbestimmte Umrisse besitzen könne. Schon HERBART hat aber mit Recht darauf hingewiesen, daß solche unbestimmte Totalbilder den Forderungen, die wir an den logischen Begriff stellen, nicht entsprechen, daher dieser ein  logisches  Ideal sei, welches in unserem Vorstellen niemals verwirklicht werde. Immer strebe das letztere aus dem Inhalt in den Umfang des Begriffs hinabzugleiten, indem es in die Einzelvorstellungen übergehe, welche in dem jeweiligen Begriff enthalten sind. Indem HERBART außerdem das Wesen des Begriffs lediglich darin sieht, daß wir in ihm  nur das Vorgestellte  berücksichtigen und davon abstrahieren, wie sich die Vorstellungen in unserem Bewußtsein entwickeln, erkennt er im Einzelnen ebenso gut, wie im Allgemeinen einen Gegenstand des Begriffs an. (1) Da aber immerhin zur Bildung logischer Ideale schon im psychischen Mechanismus ein bestimmter Grund gelegen sein muß, so weist HERBART in dieser Beziehung auf die Hemmung ungleichartiger Vorstellungen hin, wodurch es geschehen werde, daß eine öfter reproduzierte Hauptvorstellung "beinahe isoliert" erscheine, weil das Ablaufen der ihr anhängenden, sich untereinander hemmenden Reihen nicht mehr merklich sei. (2) Wo jene Hauptvorstellung ein Gattungsbegriff ist, da werde nun der Hemmungsprozeß die psychologische Grundlage dessen sein, was wir logisch als Abstraktion bezeichnen; als das Ergebnis der Hemmungen werde sich aber in diesem Fall eine "unbestimmte Gesamtvorstellung" von dunkler und verworrener Beschaffenheit in unserem Bewußtsein befinden.

Wenn nun auch in diesen Ausführungen der alte Fehler zu vermeiden gesucht wird, daß man logischen Forderungen zu Liebe psychologische Gebilde konstruiert, die niemals in unserem Bewußtsein existieren, so läßt sich, wie man sieht, die Neigung dazu doch nicht ganz unterdrücken: der Hemmungsprozeß wird zum psychologischen Äquivalent des Abstraktionsverfahrens gestempelt und die unbestimmte Gesamtvorstellung, die aus den Hemmungen resultiert, erinnert noch immer an die schematischen Vorstellungen, di nach der herkömmlichen Ansicht den Begriffen entsprechen sollen. Hier erhebt sich aber vor allen Dingen die Frage, ob denn überhaupt derartige unbestimmte Gesamtvorstellungen jemals in unserem Bewußtsein zu finden sind? Es muß zugegeben werden, daß sich unsere innere Wahrnehmung dieser Frage gegenüber in einer schwierigen Lage befindet. Sobald wir einen Begriff denken, steht zunächst das ihn bezeichnende  Wort  im Vordergrund unseres Bewußtseins; eine Vorstellung, die als Bild der unter dem Begriff enthaltenen Dinge gelten könnte, fehlt entweder ganz oder sie ist so dunkel, daß wir etwas bestimmtes über sie nicht auszusagen imstande sind. Aber ursprünglich muß das notwendig anders gewesen sein, da, wie innig man sich auch die Verbindung zwischen Begriff und Wort denken mag, ein Anfang der Begriffsentwicklung gegeben sein mußte, bevor der bezeichnende Laut sich feststellte. Schon die zahlreichen Synonyma, die, wie die Geschichte der Sprache lehrt, in den Anfängen der Sprachentwicklung für jeden Begriff auftauchten und allmählich erst einem einzigen oder einigen wenigen Platz machten, weisen auf eine minder feste Verbindung zwischen Wort und Begriff hin, bei der zugleich das sprachliche Symbol im Verhältnis zur bezeichneten Vorstellung eine geringere Stärke besitzen mußte. Es gibt vielleicht nur einen einzigen Fall, wo sich unser Bewußtsein noch jetzt in dieser  einen  Beziehung in einem ähnlichen Zustand befinden kann, wie er  vor  der Sprache vorauszusetzen wäre: wenn wir uns nämlich an einen gegenständlichen Begriff erinnern, ohne uns auf das zugehörige Wort zu besinnen. Bei dem Wort  Lokomotive  z. B. steht dieses im Blickpunkt des Bewußtseins und nebenbei befindet sich in den dunkleren Regionen desselben ein Bild des Gegenstandes. Wenn wir uns jedoch den letzteren ins Gedächtnis rufen, ohne an das Wort zu denken, so steht jenes Bild in deutlicheren Umrissen vor uns. Aber nichts unterscheidet dieses auf den allgemeinen Erfahrungsbegriff bezogene Bild von irgendeiner anderen Erinnerungsvorstellung: weder bemerkt man eine besondere Unbestimmtheit der Umrisse, noch ein Zerfließen in eine Reihe einzelner Vorstellungen. Das Resultat bleibt das nämliche, auch wenn man solche Allgemeinvorstellungen wählt, deren sogenannte "gemeinsame Merkmale" noch ungleich dürftiger sind, als im gegenwärtigen Beispiel. Sucht man sich Begriffe wie  Mensch, Dreieck, Farbe  usw. zu vergegenwärtigen, indem man das gewöhnlich dominierende Wort möglichst zurückdrängt, so stellt man sich einen bestimmten einzelnen Menschen, ein bestimmtes einzelnes Dreieck und eine bestimmte einzelne Farbe vor und diese Bilder unterscheiden sich nicht im mindesten von anderen Vorstellungen. Wenn sie also im gewöhnlichen Lauf unseres Denkens dunkler und unbestimmter erscheinen, so werden wir solches mit größter Wahrscheinlichkeit darauf beziehen dürfen, daß hier die Vorstellung durch das sie bezeichnende Wort aus dem Blickpunkt des Bewußtseins verdrängt wurde. Es ist, wie ich glaube, ein großes Verdienst BERKELEYs, daß er sich zuerst von dem Irrum, den LOCKE noch in Bezug auf die Existenz allgemeiner Vorstellungen mit der rationalistischen Psychologie teilte, frei machte, indem er einsah, daß es solche Allgemeinvorstellungen in unserem Bewußtsein nicht gibt oder daß sie, wie er sich ironisch ausdrückte, "sich höchstens bei Gelehrten finden." Man wird ihm sicherlich recht geben müssen, daß es eine ungereimte Zumutung an unser Bewußtsein sei, dieses solle sich die Vorstellung eines Dreiecks bilden, "welches weder schiefwinklig noch rechtwinklig, weder gleichseitig noch gleichschenklig, sondern dieses alles und doch zugleich nichts von alledem ist." (3)

Jene Vorstellungen, die in uns den Begriffen entsprechen, besitzen also in nicht anderer Weise eine schematische Beschaffenheit, als alle Erinnerungsvorstellungen. Diese sind nicht nur überhaupt blasser, als die unmittelbaren Sinnesvorstellungen, sondern es treten in ihnen auch mehr noch hinter einzelnen Bestandteilen, die zu vorwiegender Apperzeption gelangen, die übrigen zurück. Diese Beschaffenheit des Erinnerungsbildes mag es ursprünglich vorzugsweise geeignet machen, als Repräsentant eines Begriffes zu dienen. Leicht gewinnen daher im Verlauf der Vorstellungen gerade die Erinnerungsbilder eine Art begrifflicher Bedeutung. Wenn wir uns das Bild einer bekannten Person vergegenwärtigen, so stellen wir uns zwar dieselbe in einem bestimmten einzelnen Moment vor, aber wir verbinden damit doch, wenn auch nur dunkel, den Nebengedanken, dieses zufällige Bild solle jene Person überhaupt bedeuten, unabhängig von der besonderen Lage, in der wir sie uns vorstellen. In diesem Nebengedanken aber liegt schon der Anfang einer Begriffsbildung. Verfahren wir doch, wenn wir uns den Begriff eines Dreiecks vergegenwärtigen wollen, nicht anders, als der Geometer, wenn er die allgemeinen Eigenschaften des Dreiecks zu demonstrieren beabsichtigt. Wir stellen uns irgendein individuelles Dreieck vor, verbinden aber damit den Gedanken, daß wir nur auf die Existenz der drei Seiten und der drei Winkel Rücksicht nehmen, von allen anderen Eigenschaften aber absehen wollen.

Finden wir nun in unserem Bewußtsein immer nur eine  einfache  Vorstellung als Stellvertreterin des Begriffs, so kann nicht in der Vorstellung selbst, sondern nur in Eigenschaften, die an diese Funktion der Stellvertretung geknüpft sind, der Unterschied zwischen Begriff und Einzelvorstellung begründet sein. Natürlich kann der Gedanke der Stellvertretung selbst nicht sofort als solcher bei der Entwicklung eines Begriffs in unserem Bewußtsein stehen. Setzt derselbe doch eine Reflexion voraus, die erst spät der wirklichen Begriffsbildung nachfolgt. Aber wir werden uns nach psychologischen Äquivalenten umsehen müssen, die in der natürlichen Verfassung unseres Bewußtseins jenen Gedanken vorbereiten. Was kann uns veranlassen, irgendeiner Vorstellung, obgleich sie an sich nicht verschieden ist von anderen, dennoch einen anderen Wert für unser Denken beizulegen? Es ist klar, daß der Grund dieses Unterschieds, da er nicht in der Vorstellung selbst liegt, nur in ihren  Verbindungen  liegen kann. Die Tatsache, daß eine Vorstellung  A  Stellvertreterin einer Reihe mit ihr zusammenhängender  A1, A2, A3  ... ist, muß irgendwie in unserem Bewußtsein zur Geltung kommen. Der Annahme, daß jene Reihe selbst oder irgendwelche Glieder derselben im Bewußtsein stehen, widerspricht unsere innere Wahrnehmung. Wer sich von den Eigenschaften des Dreiecks im allgemeinen Rechenschaft geben will, fixiert ein bestimmtes Dreieck durch die Aufmerksamkeit, von anderen Dreiecken ist weder deutlich noch dunkel irgendetwas wahrzunehmen. Dagegen besteht  ein  charakteristischer Unterschied zwischen der Vorstellung, die einen einzigen Gegenstand bedeutet und jener, die Stellvertreterin eines Begriffs ist. Die Vorstellung eines einzelnen Gegenstandes setzt jeder willkürlichen Veränderung, die wir versuchen möchten, Hindernisse entgegen: so lange unsere Apperzeption beim Gegenstand verbleiben will, kann sie auch an der Vorstellung nichts wesentliches verändern. Die Vorstellung des Begriffs gestattet es, beliebig zu einer anderen abzuschweifen, ohne daß im Verlauf unserer Gedanken eine wesentliche Änderung eintreten muß, so lange wir nur innerhalb der Reihe zusammengehöriger Vorstellungen verbleiben. Nun beruth dieser Unterschied offenbar auf abweichenden Assoziationsbedingungen; die letzteren aber weisen ihrerseits wieder auf wesentliche Unterschide im Verhalten der Apperzeption hin. Wenn z. B. in einer Gedankenreihe der Begriff "Freund" vorkommt und wir uns denselben repräsentiert denken durch die Vorstellung eines bestimmten Freundes, so werden leichter die Erinnerungsbilder beliebiger anderer Freunde in das Bewußtsein eintreten können, als wenn jener Freund als einzelnes Individuum Gegenstand unserer Erinnerung war. Aber das ist nur deshalb der Fall, weil hier durch ein solches Abspringen auf andere Vorstellungen der Vorstellungsverlauf seine Richtung verändern würde, während diese Richtung, wo die Vorstellung einen Begriff repräsentiert, unverändert bleiben kann. Die bereit liegenden Assoziationen sind in beiden Fällen die nämlichen; doch bei der einzelnen Sinnesvorstellung ist die Apperzeption entweder durch den Zwang der Wahrnehmung oder durch den Zusammenhang des Vorstellungsverlaufes genötigt, das Abschweifen auf assoziierte Vorstellung zu vermeiden, eine Nötigung, die bei der repräsentativen Vorstellung wegfällt. Mit der Apperzeption der letzteren kann mehr oder minder deutlich das Bewußtsein verbunden sein, daß statt ihrer auch eine andere Vorstellung apperzipiert werden könnte. Der Unterschied zwischen der Auffassung einer individuellen und derjenigen einer repräsentativen Vorstellung ist daher gleichbedeutend mit dem zwischen dem einfachen Willensakt und dem  Wahlakt . Der einfache Willensakt erzeugt ohne weitere Nebenrücksichten eine Handlung, der Wahlakt bevorzugt aus einer Anzahl möglicher Handlungen eine einzelne, die aus bestimmten Ursachen den Vorzug gewinnt. Auch bei der Wahl ist es keineswegs erforderlich, daß die Vorstellungen anderer möglicher Handlungen in unserem Bewußtsein gegenwärtig bleiben, sondern wesentlich ist nur das begleitende Bewußtsein, das meist sich nur in der Form eines mehr oder minder intensiven Gefühls geltend macht, daß eine andere Handlung statt der vollzogenen möglich gewesen wäre. Dieses Gefühl hat lediglich im Gesamtzustand unseres Bewußtseins, wie er vor allem durch dunklere, unserer Apperzeption entgehende Nebenvorstellungen bestimmt wird, seine Grundlage. Wie das Denken überhaupt, so fallen demnach schon die Anfänge der Begriffsbildung in das Gebiet  willkürlicher  Geistestätigkeit, wobei freilich hier wie überall der Wille unter dem Einfluß des zufälligen Wechsels der Sinneseindrücke und der Assoziation steht. Doch wie schon in der Konzentration auf eine einzige Vorstellung, die als Stellvertreterin gewählt wird, sich die aktive Apperzeption betätigt, so kommt die eigentümliche Beschränkung der letzteren auch darin zur Geltung, daß sie die repräsentative Vorstellung keineswegs gleichmäßig auffaßt, sondern bestimmte Elemente derselben bevorzugt, welche nun als  herrschende Elemente  in größerer Klarheit apperzipiert werden. So mögen in der repräsentativen Vorstellung eines Dreiecks die drei Seiten und alle anderen Eigenschaften der Figur zurücktreten, um dem im Namen ausgedrückten Bild der drei Ecken den Vorrang zu lassen. Nicht, als ob wir uns nun diese Ecken allein vorstellten, getrennt von der Figur mit der sie notwendig verbunden zu denken sind, wenn der Begriff nicht überhaupt zerstört werden soll. Wohl aber wird ein bestimmter Teil des Bildes gleichsam heller beleuchtet sein, als die übrigen. Wir haben also zwei aufeinander folgende Stadien der apperzeptiven Auswahl zu unterscheiden: das erste besteht in der Auswahl der  repräsentativen Vorstellung,  das zweite in der Auswahl der  herrschenden Elemente  derselben.

Von diesem zweiten Stadium der Begriffsentwicklung an besitzen wir nun in der Entwicklung der  Sprache  ein unschätzbares äußeres Zeugnis für den psychologischen Vorgang. Hier gerade ist jene empiristische Erklärung, welche sich von den gewöhnlichen Fiktionen der Psychologie frei zu halten wußte, ihrerseits eine einseitige gewesen, insofern das Wort von seinem Ursprung an als ein  willkürlich  erfundenes Zeichen für den Begriff ansah. Ist auch in der entwickelten Sprache das Wort zu einer Gedankenmünze geworden, die eine innere Beziehung zur Vorstellung, die es ausdrückt, selten erkennen läßt, so kann doch unmöglich das nämliche für die Entwicklung selbst gelten. Denn wie ist ein geistiger Zustand denkbar, der reif genug wäre, die Sprache zu erfinden und sie doch noch nicht besäße? Die einzige psychologisch verständliche Annahme ist also die, daß sich Sprechen und Denken gleichzeitig entwickelten. Dann aber muß auch der psychologische Vorgang der Begriffsbildung in der Sprache seine Spuren zurückgelassen haben.

Nun drückt das Wort einen Begriff nicht etwa dadurch aus, daß es alle oder auch nur mehrere der konstanten Elemente desselben zusammenfaßt, sondern es hebt irgendein  einzelnes  Element hervor, das sich dem sprachbildenden Bewußtsein irgendeinmal mit vorherrschender Intensität einprägte. Dieses bevorzugte Element braucht nicht einmal zu den konstanten Bestandteilen des Begriffs zu gehören; vielmehr kommt es mindestens ebenso häufig nur in gewissen Einzelvorstellungen vor, während es in anderen fehlt. Nich also das Element  a  oder  b  wird aus den Verbindungen  abcd, abfg, abkl  usw. herausgegriffen, sondern irgendein variables  c,  das nur in einer oder in einzelnen der Vorstellungen enthalten war. So bezeichnet die Sprache den  Menschen  als den Sterblichen oder den Denkenden, die  Erde  als die Gepflügte, den  Mond  als den Messer der Zeit und dgl. Überall ergreift hier das Bewußtsein ein einzelnes und noch dazu veränderliches Merkmal, um es auf die gesamte Vorstellung zu übertragen; und durch dieses bevorzugte Element erst faßt es eine Reihe einzelner Vorstellungen zu einem Begriff zusammen. Offenbar ist aber dieses Element stets eine Vorstellung, die einen starken, lange nachwirkenden Eindruck hervorbrachte. So ist es z. B. wohl begreiflich, wie der Tode eines Menschen auf die Bildner der Sprache eine so gewaltige Wirkung üben konnte, daß sie dem Menschen den Namen des Sterblichen beilegten. Wird uns so in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes jenes Moment der Begriffsentwicklung, das wir als deren  zweites  Stadium bezeichneten, unmittelbar vor Augen geführt, so wird dadurch aber mittelbar auch das  erste  Stadium erleuchtet. Denn insofern es kein konstantes, sondern ein beliebiges, nur vereinzelten Vorstellungen zukommendes Element ist, das zur Bildung des bezeichnenden Lautes Veranlassung gibt, deutet eben dieser Vorgang auf die  einzelne  Vorstellung als die Stellvertreterin des Begriffs hin.

Jenes  herrschende  Element wird sich nun mit jeder einzelnen Vorstellung verbinden, die der zu einem Begriff vereinigten Gruppe angehört. Wenn die Sprache den Menschen den Sterblichen nennt, so hat sie hier einen Eindruck zum herrschenden erhoben, der nur selten mit der Vorstellung eines einzelnen Menschen verbunden war. Gleichwohl wird derselbe in den Urzeiten der Sprache, so lange das Wort noch seine lebendige Bedeutung bewahrt hatte, regelmäßig hinzugedacht worden sein; er mußte also selbständig erneuert und gleichzeitig mit den übrigen Elementen der Vorstellung apperzipiert werden. Nun beruht jede Erneuerung von Vorstellungen auf der Assoziation. Aber damit eine solche der Absicht der Beziehung eines gegebenen Eindrucks auf eine Gruppe anderer gleichartiger Vorstellungen dienstbar werde, dazu muß außerdem die  willkürliche  Bevorzugung dieser besonderen Assoziation vor anderen hinzukommen.

Demnach läßt sich der Begriff nach seiner psychologischen Entwicklung definieren als  die durch aktive Apperzeption vollzogene Synthese einer herrschenden Einzelvorstellung mit einer Reihe zusammengehöriger Vorstellungen.  Tritt zu irgendwelchen Vorstellungen der Reihe  A1, A2, A3  ... ein herrschendes Element  h  hinzu, so wird die Reihe als eine zusammengehörige aufgefaßt und irgendein  hA  gewinnt die Bedeutung einer für den Begriff  stellvertretenden Vorstellung. 

Diese Aussonderung eines oder mehrerer herrschenden Elemente bildet nun, so sehr sie bei der Sprachentwicklung zufälligen Eindrücken preisgegeben zu sein scheint, doch einen überaus wichtigen Bestandteil der Begriffsgenese überhaupt, - nicht bloß deshalb, weil durch sie die Entstehung der sprachlichen Begriffssymbole wohl überhaupt erst möglich wird, sondern vor allem, weil sie ein Ausdruck für die innere Natur des Begriffs selbst ist. Für diesen ist es durchaus wesentlich, daß er gewisse Element aus einer Vorstellung oder aus einer Reihe von Vorstellungen aussondert und für sich verbindet. Wo eine Sprache den Menschen als den Sterblichen bezeichnet, da kommt freilich in dem Wort zunächst nur ein Gefühl zum Ausdruck, das eine logische Bedeutung an sich nicht besitzt. Bestimmter deutet schon der Name des "Denkenden" auf eine Reflexion über die dem Menschen eigentümlichen und ihn von anderen lebenden Wesen unterscheidenden Eigenschaften hin. "Dreieck" aber nennt der Geometer eine bestimmte geschlossene Figur in der bewußten Absicht, die Existenz dreier Winkel an derselben als die wesentlichste Eigenschaft hervorzuheben. So spricht sich in der Auswahl der herrschenden Vorstellungen - mag sie nun logisch richtig ausgeführt worden sein oder nicht - die Eigenschaft des Begriffs aus, daß er nicht alles, was in der einzelnen Vorstellung enthalten ist, sondern nur bestimmte Elemente derselben umfassen will. Und hierauf - nicht aber auf der Eigenschaft ein gemeinsames Schema für viele Einzelne zu sein - beruth es,  daß der Begriff an sich selbst unvorstellbar ist.  Alle jene Elemente, die wir verbinden, um einen Begriff zu bilden, sind in der vorstellbaren Wirklichkeit immer noch an andere gekettet, die wir aus dem Begriff weglassen. In der Auswahl der herrschenden Vorstellungselement deutet die Sprache jenen Prozeß an, den die Logik als "Abstraktionsverfahren" bezeichnet, aber, verführt durch verkehrte Vorstellungen über die Natur der Begriffsbildung, in der Regel unzutreffend geschildert hat. (4) Schon der sprachliche Vorgang weist darauf hin, daß es sich hier nicht sowohl um eine absichtliche oder unabsichtliche Vernachlässigung der veränderlichen Merkmale einer Vorstellungsgruppe als vielmehr um die aktive Apperzeption bestimmter Elemente einer Vorstellung handelt. Daß diese Elemente vielen Vorstellungen gleichzeitig angehören, ist ein zwar meistens vorkommender, dennoch aber nebensächlicher Umstand, da weder psychologische noch logische Gründe es verhindern können, schon einer einzigen Vorstellung gegenüber eine solche auswählende Apperzeption auszuführen.

Die bis jetzt erreichte Entwicklung überschreitet den Begriff schließlich noch durch zwei bedeutsame psychologische Veränderungen, die einander parallel gehen müssen, weil sie sich gegenseitig bedingen. Sie bestehen
    1) in der Verdunkelung der mit den herrschenden Elementen verschmolzenen repräsentativen Vorstellung und

    2) in der Verdunkelung der herrschenden Elemente selbst und ihrer Ersetzung durch ihr äußeres Zeichen, den Sprachlaut.
Da die herrschenden Elemente mit größerer Intensität vorgestellt werden, so muß, in dem Maße als sie sich befestigen, die übrige Vorstellung immer mehr in den dunklen Hintergurnd des Bewußtseins treten. Indessen hat aber die herrschende Vorstellung selbst eine innige Verbindung mit dem Sprachlaut, durch den sie bezeichnet wird, eingegangen. Welche Absicht man über den Vorgang der Sprachentwicklung auch haben möge, psychologisch begreiflich wird man die Symbole der Sprache nur dann finden, wenn man ihnen eine ursprüngliche innere Affinität zu den Vorstellungen, die sie ausdrücken zugesteht, so also daß es in den Urzeiten der Sprache den redenden Menschen der Sprachlaut irgendwie ein akustisches Bild der Vorstellung selbst war. Die herrschende Vorstellung wird demnach mit dem sie ausdrückenden Sprachlaut ein Verbindungsprodukt gebildet haben, in welchem der Sprachlaut nur als ein Teil der herrschenden Vorstellung empfunden wurde. Wenn diese etwa eine Gesichtsvorstellung war, so wird der Sprachlaut die ihr äquivalente Gehörsvorstellung gewesen sein und das Produkt  h l,  worin mit  l  der Sprachlaut bezeichnet sein soll, wird als eine einzige Gesamtvorstellung aufzufassen sein. Der psychologische Begriff auf dieser Stufe der Entwicklung wird also dann durch ein Produkt  h l A  symbolisiert werden können.

Nun erfährt aber die hierin enthaltene Verbindung  hl  noch weitere Veränderungen. Zunächst nimmt in ihr das Element  l  an Stärke zu, das ursprünglich herrschende Element  h  ab; wir deuten dies durch die veränderte Stellung der Zeichen an:  hl  geht allmählich über in  lh.  Endlich verschwindet  h  völlig, nur  l  allein bleibt als herrschende Vorstellung übrig. Der Begriff hat nun die Form  lA.  Er besteht aus einem mit irgendeiner stellvertretenden Einzelvorstellung  A  verbundenen Sprachlaut, welcher letztere zugleich die herrschende Vorstellung ist. Eine weitere Modifikation, welche hier noch eintreten kann, aber nicht eintreten muß, ist die, daß sich mit den Sprachlauten auch noch die sie ausdrückenden Schriftsymbole verbinden. Bezeichnen wir das zu  l  gehörige Schriftzeichen mit  s,  so nimmt nun das psychologische Begriffsgebilde die Form  lsA  an, wo  s  an die Stelle des früheren herrschenden Elementes  h  gerückt ist. Erwägen wir, daß dieses letztere wohl in den allermeisten Fällen eine Gesichtsvorstellung war, so wird schon hierdurch diese Ähnlichkeit der Form von Bedeutung sein. Wir suchen die Gehörsvorstellung durch ein Gesichtsbild zu ergänzen. Ist uns die herrschende Vorstellung, welche das innere Äquivalent des Lautes war, abhanden gekommen, so tritt nun das äußere Äquivalent des Schriftzeichens an ihre Stelle. Je mehr die auf diese Weise entstandene neue Form einer herrschenden Komplikation unseren beiden Hauptsinne gleichzeitig erregt, umso blasser wird die begleitende Vorstellung  A  und so kann es geschehen, daß der Begriff als einzelner psychologischer Akt außer dem Verschmelzungsprodukt  ls  keine weiteren Bestandteile unmittelbar mehr erkennen läßt. Dem Sprachlaut  l  für sich allein wird es offenbar viel weniger gelingen, alle anderen Elemente der Vorstellung zu verdrängen. Darin liegt eine gewöhnlich übersehene Bedeutung der Schrift für das Denken. In der Tat muß schon vermöge der Wichtigkeit, welche die Gesichtsvorstellungen besitzen, ein Bewußtsein, das der Gesichtszeichen für die Begriffe entbehrt, zum abstrakten Denken wenige geeignet sein. Freilich hat jenes Produkt  ls  nur dadurch die Funktion des Begriffs, daß es durch unser Denken mit mannigfachen Vorstellungsreihen in Verbindung gesetzt werden kann. Seine Bedeutung liegt aber darin, daß diese Reihen weder ganz noch auch nur teilweise durchlaufen werden müssen, sondern daß das Produkt  ls  für sich als Stellvertreter des Begriffs genügt.

Erst nachdem die Begriffsentwicklung hier angelangt ist, hat sich das Denken vollständig von den Schranken befreit, welche die sinnliche Natur der Vorstellungen ihm ursprünglich auferlegte. Wort und Schriftzeichen sind sinnliche Vorstellungen und sie entsprechen daher durchaus der psychologischen Forderung, daß jeder Denkakt in der Form bestimmter Einzelvorstellungen unserem Bewußtsein gegeben sein müsse. Aber ihre Bedeutung liegt nicht im unmittelbare Inhalt dieser Vorstellungen, sondern in den Beziehungen, in die sie durch das Denken gesetzt werden. Wie ein algebraisches Zeichen fügt sich das Wort jeder Anwendung, die man ihm geben mag. Durch die Klarhit und Bestimmtheit, die ihm zukommt, ist aber erst jene Konstanz der Bedeutung möglich, zu welcher sich die ursprüngliche repräsentative Vorstellung wegen ihrer schwankenden Beschaffenheit niemals erheben kann. Erst in der sprachlichen Form, die er gefunden, wird daher der Begriff zum logischen Gebrauch geeignet. Nachdem die herrschende Vorstellung im Sprachlaut zu einem bloßen Zeichen des Begriffs geworden ist, beginnt zugleich vermittels der früher besprochenen Vorgänge des Bedeutungswandels der Reichtum der Begriffszeichen zu wachsen und wird es auf solche Weise möglich, daß der Reichtum der Begriffe selber zunimmt. Der für das Denken wichtigste Erfolg, welchen diese Erweiterung des Reiches der Begriffe mit sich führt, liegt darin, daß erst der zum äußeren Symbol gewordene Sprachlaut in abstrakten Bedeutungen verwendet werden kann, für Begriffe, denen nicht mehr einzelne sinnliche Objekte, Eigenschaften und Handlungen, sondern nur noch allgemeine Beziehungen entsprechen, die wir zu den Gegenständen unseres Vorstellens hinzudenken und durch die sich uns die Ordnung vollendet, in die unser Denken alles zu bringen strebt, was in das Bewußtsein eingeht. Sein und Nichtsein, Qualität und Quantität, Ursache und Zweck, - solche Begriffe sind unmöglich, solange das Bewußtsein bei jedem Begriff noch einer herrschenden Vorstellung bedarf, die unmittelbar aus der sinnlichen Anschauung geschöpft ist. In der Tat bezeugt es die Geschichte der Sprache, daß die ursprüngliche Bedeutung des Wortes immer die iner konkreten sinnlichen Vorstellung ist, daß also die Sprache in den Anfängen ihrer Entwicklung das Abstrakte nicht kennt. Wenn demnach auch im Allgemeinen begriffliches Denken und Sprechen so aneinander gebunden sind, daß keines ohne das andere möglich ist, so gilt doch die hieraus erschlossene Gleichzeitigkeit der Entwicklung beider nur von einem begrifflichen Denken, das noch völlig in sinnlichen Bildern befangen ist. Diese sinnlichen Bilder äußern sich eben in den herrschenden Vorstellungen, deren Macht die Sprachlaute hervortreibt. Der abstrakte Begriff aber gehört einer späteren Stufe an, einer zeit, in welcher die Sprache zu erstarren begonnen und sich allmählich aus dem lebendigen Organ der Gedanken, das sie ursprünglich war, in ein äußeres Werkzeug derselben umgewandelt hat.

LITERATUR: Wilhelm Wundt, Logik [Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung], Bd. I (Erkenntnislehre), Stuttgart 1893
    Anmerkungen
    1) HERBART, Lehrbuch der Psychologie, Werke Bd. 5, Seite 126f
    2) HERBART, Psychologie als Wissenschaft, ebenda, Seite 498
    3) BERKELEY, Abhandlung über die Prinzipien der menschlichen Erkenntnis, Einleitung, Seite X und XIII
    4) Über den logischen Charakter des Abstraktionsverfahrens vgl. Abschnitt II. Kapitel I.