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OSWALD KÜLPE
Besprechung
"Der Realismus und das Transzendenzproblem"
von Willy Freytag


"Wie kann ein Gedanke oder eine Vorstellung etwas denken oder vorstellen, das von diesem Gedanken oder dieser Vorstellung verschieden ist? Eine solche Frage ist für die Wissenschaft vom Denken, die Logik, von grundlegender Bedeutung, und ihre Beantwortung entscheidet zugleich über die Setzung einer von unserem Denken unabhängig existierenden, von ihm verschiedenen Realität."

"Realitäten sind ihrer Natur nach nur für das Denken vorhanden. Sie lassen sich überhaupt nicht empfinden, vorstellen, wahrnehmen oder fühlen."

"Angesichts dessen, daß Mach gerade eine reale Beziehung namens Kausalität verwirft und bloß von Funktionszusammenhängen redet, daß Hans Cornelius das Ursächliche in ein Subsumtionverhältnis auflöst, wird man sich durch die Kausalität nicht so ohne Weiteres den Zugang zur Realität eröffnen."

Es ist sehr erfreulich zu beobachten, daß die positivistische Hochflut, deren antimetaphysische Tendenz allen Realwissenschaften das Recht zur Annahme und Bestimmung von Realitäten untergraben hat, abzuebben beginnt. Ein Zeichen, und zwar ein recht beachtenswertes, für das Bestreben, eine realistisch gerichtete Erkenntnistheorie zu begründen und damit der Metaphysik in den Einzelwissenschaften und in der Philosophie wieder freie Bahn zu schaffen, ist das hier zu besprechende Buch von WILLY FREYTAG. Lebhaft, klar und fesselnd geschrieben, von frischer Hoffnung auf den Sieg des Realismus erfüllt, den alten Problemen neue Seiten abgewinnend und bei aller Schärfe und Nachdrücklichkeit der Kritik immer sachlich und objektiv verfahrend, verdient es eine eingehendere Darlegung seines wesentlichen Inhaltes und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit seinem Standpunkt.

Der Doppeltitel des Buches weist auf den eigentümlichen Versuch des Verfassers hin, den Realismus zu einer Angelegenheit der Logik zu machen. In der Tat beabsichtigt FREYTAG nichts Geringeres, als einen engen Zusammenhang des erkenntnistheoretischen Realismus, d. h. der Annahme einer bestimmbaren realen Außenwelt, mit der Induktion als logischem Schluß aufzuzeigen. Das unterscheidende Merkmal der letzteren gegenüber dem Syllogismus besteht nach ihm nicht in der Form, sondern vielmehr im Inhalt des allgemeinen Vordersatzes, nach dem aus einem bestimmten Verhalten einiger nach gewissen Regeln untersuchten Fälle anzunehmen ist, daß dasselbe Verhalten sich auch in den übrigen nicht untersuchten Fällen finden wird. Diese Prämisse ist ebensowenig wie ihre Teilsätze, deren wichtigster das Kausalprinzip ist, ein selbstevidenter, notwendiger Satz, sondern eine Hypothese, deren Rechtfertigung in der vollkommenen Erfüllung des Erklärungszwecks, dem sie dient, und in der Verträglichkeit mit anderen anerkannten Grundsätzen zu suchen ist. Bei der Prüfung des allgemeinen Obersatzes der Induktion unter dem Gesichtspunkt des eben angegebenen zweiten Kriteriums glaubt nun FREYTAG feststellen zu können, daß sich von den verschiedenen möglichen erkenntnistheoretischen Standpunkten nur der Realismus mit jenem Satz widerspruchslos vereinigen läßt. Denn nur bei Annahme einer erkennbaren Außenwelt kann ein kausaler Zusammenhang, der im Induktionsobersatz mit gefordert wird, als herrschend gedacht werden. In der Welt des Bewußtseins gibt es unendlich viele Vorgänge, wie z. B. die äußeren Wahrnehmungen, die ihre Ursache nicht wieder in einem Bewußtseinsinhalt haben können, ja es sei Grund zu der Annahme vorhanden, daß überhaupt kein Kausalzusammenhang die Bewußtseinsvorgänge unter sich verknüpft. Der Zweifel an der Existenz einer Außenwelt, in der allein ein strenger Nexus von Ursachen und Wirkungen gilt, führt somit notwendig zum Zweifel an der Kausalität und an der Möglichkeit einer Induktion. Man kann sogar noch weiter gehen und erklären, daß die sich auf die Außenwelt beziehenden Annahmen nahezu mit den induktiven Ergebnissen zusammenfallen. Somit wird die Untersuchung des Realismus zu einer Aufgabe der Logik.

Diese im ersten Abschnitt des Buches entwickelte Ansicht findet ihre Ergänzung im vierten. Hier wird das allgemeine Transzendenzproblem für die Logik ebenso wie für die Erkenntnistheorie in Anspruch genommen. Wie kann, so etwa läßt sich dieses Problem formulieren, ein Gedanke oder eine Vorstellung etwas denken oder vorstellen, das von diesem Gedanken oder dieser Vorstellung verschieden ist? Eine solche Frage ist für die Wissenschaft vom Denken, die Logik, von grundlegender Bedeutung, und ihre Beantwortung entscheidet zugleich über die Setzung einer von unserem Denken unabhängig existierenden, von ihm verschiedenen Realität. So hängt der Realismus nach FREYTAG mit der Logik auf das Engste zusammen, und eine Begründung des Realismus darf sich daher zugleich als eine Grundlegung der Logik bezeichnen.

Neben den bisher geschilderten Ausführungen, die es auf eine positive Ableitung und Rechtfertigung des Realismus abgesehen haben, wird der Anti-Realismus, und zwar nicht nur der Idealismus, sondern angeblich auch der Phänomenalismus einer eingehenden und scharfsinnigen Kritik unterzogen. Die Immanenz aller Gegenstände der Erkenntnis, die von diesen anti-realistischen Standpunkten behauptet wird, ergibt sich aus zwei prinzipiellen Beweisen gegen die Möglichkeit einer Transzendenz. Der erste von ihnen, der apriorische Beweis, findet sich im Begriff eines Seins außerhalb des Bewußtseins, eines Dings-ansich, also eines transzendenten Gegenstandes des Denkens den logischen Widerspruch, daß etwas zugleich gedacht werden und damit Bewußtseinsinhalt sein und zugleich außerhalb des Bewußtseins sein soll. Der andere, positivistische Beweis behauptet, daß nichts als wirklich gesetzt werden darf, was nicht gegeben, vorgefunden, d. h. Bewußtseinsinhalt ist. Die so umschriebene Lehre von der Beschränkung allen Denkens und Erkennens auf immanente Gegenstände oder Bewußtseinsinhalte nennt FREYTAG Konszientialismus (1). Die Kritik dieser beiden Beweise sichert das Recht der Transzendenz und des Realismus. Darüber handeln die Abschnitte V bis VIII des Buches.

Außerdem wird im zweiten Abschnitt gezeigt, wie sich realistische Gedanken unbemerkt in anti-realistische Systeme einschleichen, im dritten Abschnitt das allgemeine Transzendenzproblem aufgestellt und historisch beleuchtet und im letzten, neunten Abschnitt den Einzelfragen des Realismus, seiner spezielleren Durchführung näher getreten.

Unsere Stellung zum in allgemeinen Zügen bestimmten Standpunkt des Verfassers können wir in Kürze dahin ausdrücken, daß wir mit seinem Ziel, nicht aber mit dem von ihm eingeschlagenen Weg einverstanden sind. Auch habe ich den Konszientialismus oder Wirklichkeitsstandpunkt bekämpft (vgl. "Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland", Seite 20f und Seite 102f; "Einleitung in die Philosophie", §§ 17, 20 und 27) und mich zu einem kritischen Realismus bekannt. ich habe dabei die Begriffe dieser Standpunkte insofern weiter als FREYTAG gefaßt, als ich nicht nur eine reale Außenwelt, sondern auch eine reale Innenwelt der Wirklichkeit des Bewußtseins gegenüberstellt, und für sämtliche Realwissenschaften im Unterschied von den Formalwissenschaften der Logik und der reinen Mathematik den Realismus in Anspruch genommen habe. Meiner Auffassung von Erkenntnistheorie als einer Wissenschaft von den materialen Prinzipien der Wissenschaften entspricht es, wenn ich das Problem der Realität im Sinne einer Voraussetzung der Realwissenschaften behandle. Darin liegt bereits eine Ablehnung von FREYTAGs Bestreben, den Realismus, die Anerkennung und Rechtfertigung der Annahme und Bestimmung von Realitäten, zu einer Angelegenheit der Logik zu machen. Es gilt daher zunächst zu prüfen, ob FREYTAGs Gründe für die Beteiligung der Logik an der Lösung dieses erkenntnistheoretischen Problems zutreffend sind.

Der allgemeine Induktionsobersatz soll den Realismus fordern - das ist der erste von diesen Gründen. Er veranlaßt uns, etwas näher auf die Natur des viel behandelten Induktionsschlusses einzugehen. Die vorherrschende Auffassung, wonach die Induktion die Umkehrung des Syllogismus ist, hat besonders BENNO ERDMANN in seiner Logik bestritten. Aber an seinen Ausführungen ist, wie ich glaube, erstens zu beanstanden, daß sie das Kausalprinzip zur Voraussetzung der Induktion überhaupt machen. Dadurch verliert diese den Charakter eines ganz allgemeinen logischen Verfahrens, das z. B. auch in der Mathematik, wo die Kausalität keine Rolle spielt, anwendbar ist. Sodann aber scheint mir ERDMANN den eigentlichen Nerv der Induktion nicht getroffen zu haben, wenn er deren Schluß selbst einen problematischen nennt. Problematisch ist nicht der Schluß, sondern eine ihn erst ermöglichende Annahme über den Zusammenhang der S untereinander und mit P (der Einfachheit halber ist hier der von ERDMANN sogenannte verallgemeinernde Induktionsschluß zugrunde gelegt). Diese Annahme läßt sich durch zwei Aussagen charakterisieren:
    1) die S₁, S₂ usw. sind Glieder ein und derselben Reihe, gehören zu derselben Gruppe, haben wesentliche Merkmale miteinander gemein;

    2) das P-Verhalten ist keine zufällige, sondern eine typische Erscheinung, nicht etwas Akzessorisches [Beigabe - wp], sondern etwas Substantielles, das mit S₁, S₂ usw. fundamental zusammenhängt, also jedem Glied der ganzen Reihe zukommt (2).
Unter dieser Voraussetzung ist der Schluß nicht mehr problematisch, sondern notwendig. Ich kann mich in der Anwendung der bezeichneten Annahme auf bestimmte Fälle irren, aber ich schließe mit logischer Konsequenz von ihr aus auf das P-Verhalten aller zu dieser Gruppe gehörenden S. Ist P ein fundamentales Verhalten, sind S₁, S₂ Glieder derselben Reihe, die sich zu einem Inbegriff S aufgrund gemeinsamer wesentlicher Merkmale zusammenfassen lassen, so gilt in der Tat streng der Schlußsatz der Induktion. Ob sie das in einem besonderen Fall sind, kann ich freilich nur vermutungsweise, mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit behaupten. Speziellere, empirisch begründete Regeln haben daher die Anwendung der Induktion zu erleichtern und zu sichern. Aber prinzipiell ist diese Schwierigkeit keine andere, als sie beim Syllogismus vorliegt, bei dem doch auch feststehen muß, daß die für einen speziellen Fall vorgenommene Subsumtion berechtigt ist, wenn der Schluß überhaupt ein gültiger sein soll.

Nach dieser Darlegung ist die Kausalität nur eine Art der bei der Induktion vorauszusetzenden Zusammenhänge. Die Regelmäßigkeit, welche für die Beziehung der S untereinander und zu P angenommen wird, läßt die Beschaffenheit des Regelmäßigen ebenso wie die Art des Zusammenhangs und den Umfang ihrer Geltung unbestimmt. Es ist darum von vornherein nicht zu erwarten, daß ein so bestimmter Standpunkt, wie der realistische, von der Induktion gefordert wird. Und diese Voraussetzung bestätigt sich, sobald wir uns die Darlegung FREYTAGs im Einzelnen genauer ansehen. Da wird die Regelmäßigkeit für die Welt des Bewußtseins bestritten, und zwar mit Beispielen, die möglichst ungünstig gewählt sind. FREYTAG übersieht dabei ganz, daß, wenn es überhaupt eine Regelmäßigkeit in der Außenwelt gibt, sie allein aus dem Verhalten der äußeren Wahrnehmung, also von Bewußtseinsinhalten, erschlossen werden kann. Würden die Beobachtungen des Naturforschers gar keine Gesetzmäßigkeit zeigen, so gäbe es auch keine gesetzmäßige Außenwelt. Gewisse Phänomene im Bewußtsein sind somit zweifellos von der Art, daß aman von einer gesetzmäßigen Verknüpfung bei ihnen sprechen kann. Das gilt aber auch für andere. Die moderne Psychologie hat für das Gebiet der Sinneswahrnehmung und des Gedächtnisses, um nur diese herauszugreifen, bereits eine größere Anzahl von Gesetzen ermittelt. Daß Jedes mit Jedem sich gesetzlich verknüpfen lassen muß, gilt jedoch weder für die Außenwelt noch für die Innwelt. Wenn in dunkler Nacht an einer Stelle des Himmels plötzlich ein Meteor aufleuchtet, so fehlt es in der sichtbaren Umgebung dieser Stelle ebenfalls an einem Anknüpfungspunkt für eine gesetzmäßige Erklärung. Wir haben es hier mit einem ähnlichen Mangel an Zusammenhang zu tun, wie in dem von FREYTAG herangezogenen Fall eines plötzlichen Hereinschallens von Straßenlärm in einen philosophischen Gedankengang. Tatsächlich sind uns verschiedene, relativ voneinander unabhängige Zusammenhänge in der Welt des Bewußtseins gegeben, und darauf stützt sich z. B. die Unterscheidung des Ich von der Außenwelt.

Außerdem ist zu betonen, daß der Induktionsobersatz über den Umfang der Anwendbarkeit einer Induktion gar nichts ausmacht. Wenn daher innerhalb der Bewußtseinswelt dieser Umfang auch erheblich geringer wäre, als er wirklich ist, so würde damit gegen die Anwendbarkeit der Induktion auf diesen Gebiet oder überhaupt noch nichts gesagt sein. Auch ist nicht zu vergessen, daß Regel und Gesetz erst von uns in die Welt der Erscheinungen hineingetragen werden. Falls wir Alles, was in der Erfahrung folgt und sofern es folgt, als regel- und gesetzmäßig folgend betrachten würden, so käme ein seltsames Weltbild zustande. Wenn Beobachten gleichbedeutend wäre mit Sehen und Hören, so gliche die Welt einer Stickerei, die von hinten betrachtet wird, einen Gewiss von Fäden, deren zahllose Anfänge und Enden jeden Glauben an einen allgemeinen gesetzmäßigen Zusammenhang Lügen strafen müßten. Die animistisch-mythologische Naturauffassung in primitiven Stadien menschlicher Entwicklung ist gewissermaßen ein Ausdruck für das, was bei bloßer Öffnung der Sinne an Welterkenntnis zutage gefördert wird.

Wir haben bisher angenommen, daß die Induktion eine Regelmäßigkeit des Zusammenhangs voraussetzt. Diese Annahme bedarf eines doppelten Zusatzes, um nicht mißverstanden zu werden, bzw. das Gebiet der Induktion immer noch zu sehr einzuengen. Einmal müssen wir im Anschluß an die vorstehenden Erörterungen daran festhalten, daß der allgemeine Induktionsobersatz keineswegs mit vorhandener, tatsächlicher Unregelmäßigkeit oder Gesetzlosigkeit im Widerspruch steht. Sie erschwert nur seine Anwendung. Jener Satz ist mit anderen Worten ein ideales Prinzip, das durch Tatsachen, die ihm nicht entsprechen, niemals aufgehoben oder widerlegt werden kann. Wir gestalten aber in seinem Sinn eine gesetzliche Welt. Ferner kann jener Obersatz, da er über die besondere Art des P-Verhaltens bzw. der S nichts bestimmt, getrost auch für Ungesetzmäßiges in Anspruch genommen werden. Schließen wir z. B.:
    - Grün ist eine zufällige Eigenschaft der Pflanzen,
    - Rot ist eine zufällige Eigenschaft des Blutes,
    - die Farben sind zufällige Eigenschaften der Gegenstände.
so erhalten wir eine Induktion, bei der die Regelmäßigkeit sich auf ein unwesentliches P-Verhalten erstreckt. Man könnte eine derartige Induktion negativ nennen und sie zu den negativen Syllogismen in Parallele setzen. Daraus geht hervor, daß selbst der Bestand von lauter gesetzlosen Zusammenhängen eine Induktion nicht unmöglich machen würde.

Endlich müßte die von FREYTAG angenommene enge Beziehung zwischen Realismus und Induktion zu der Folgerung führen, daß sich realistische Annahmen nur auf induktivem Weg gewinnen lassen, und daß Induktion stets realistische Annahmen einschließt. Davon kann aber keine Rede sein. Realitäten, wie das fremde Seelenleben oder geschichtliche Personen und Ereignisse, werden gesetzt und bestimmt, ohne daß die Induktion dabei eine Rolle spielt. Andererseits ist es im Hinblick auf die Geisteswissenschaften und die Mathematik durchaus nicht richtig zu sagen, daß die induktiven Ergebnisse "fast sämtlich" auf die Außenwelt bezogen sind. (3) Ich komme daher zu dem Resultat, daß das erste Argument von FREYTAG für den Zusammenhang von Logik und Realismus unhaltbar ist.

Mit dem zweiten, auf das allgemeine Transzendenzproblem gestützten, ist es nicht besser bestellt. Ob der Gegenstand des Denkens diesem immanent oder transzendent ist, diese Frage hat für die Logik und das Denken in den Realwissenschaften einen wesentlich verschiedenen Sinn. In den letzteren handelt es sich um die Annahme von Realitäten im Unterschied von Fiktionen, also nicht um Gegenstände des Denkens überhaupt, sondern um ganz bestimmte Gegenstände. Das Recht, solche zu setzen und qualitativ näher zu charakterisieren, kann durch eine allgemeine logische Erörterung über die Immanenz oder Transzendenz der Objekte des Denkens nicht begründet werden. Es ist ja auch von vornherein höchst unwahrscheinlich, daß die Transzendenz, die ich etwa dem Begriff des Begriffs oder dem der Zahl 5 zuspreche, gleichbedeutend ist mit derjenigen, die ich meine, wenn ich von einer realen Außenwelt oder einer realen Innenwelt oder realen historischen Ereignissen rede. Die erste Transzendenz könnte vielmehr bestehen ohne die zweite und diese ohne jene. Wenn daher FREYTAG mit besonderem Nachdruck für die Transzendenz der Gegenstände des Denkens schlechthin eintritt und damit den Realismus sichergestellt zu haben glaubt, so hat er seinen Scharfsinn an eine aussichtslose Aufgabe verschwendet. Wir können sogar zeigen, daß die von ihm behauptete logische Transzendenz gar nicht allgemein besteht, ohne damit von unserem Standpunkt aus den Realismus preisgeben zu müssen.

Unabhängig von der bisher behandelten Auffassung des Verfassers über den Zusammenhang des Realismus mit der Logik würdigen wir im Folgenden seinen Kampf gegen den Anti-Realismus. Indem er seine Angriffe dabei nur gegen den Konszientialismus richtet, übersieht er, daß auch der Phänomenalismus mit seiner Annahme unerkennbarer Realitäten an diesem Kampf beteiligt ist. Darum reichen die Ausführungen von FREYTAG nicht aus, um das Recht des Realismus im engeren und eigentlichen Sinn zu erweisen (4). Aber sie sind auch selbst im Interesse des Phänomenalismus nicht erfolgreich.

Als allgemeine Schwierigkeit des Realismus hat FREYTAG, wie ich oben mitgeteilt habe, das Transzendenzproblem, d. h. die Frage bezeichnet, wie ein Gedanke oder eine Vorstellung etwas denken oder vorstellen kann, was von ihnen verschieden ist. Wenn hierbei Denken und Vorstellen unterschiedslos auf eine Stufe gestellt werden, so ist das zumindest unzweckmäßig. Denn in der Vorstellung, soweit der gegenwärtig geltende psychologische Begriff dieses Namens in Betracht kommt, wird über sie selbst nicht hinausgegangen. Die Empfindungen von Farben, Tönen usw. enthalten keinen Hinweis auf etwas von ihnen Verschiedenes, und die Trennung von Vorstellung und Objekt, von Empfindung und Empfundenem ist nicht ursprünglich gegeben, sondern erst aufgrund einer reflektierenden Untersuchung entstanden. Darum empfiehlt es sich, ein Transzendenzproblem nur für das Denken aufzurichten. Dazu kommt noch etwas anderes. Realitäten sind ihrer Natur nach nur für das Denken vorhanden. Sie lassen sich überhaupt nicht empfinden, vorstellen, wahrnehmen oder fühlen. Auch für FREYTAG verhält es sich offenbar so, da er die Subjektivität der Sinnesqualitäten anerkennt und somit von Eigenschaften, die zur Vorstellung der Gegenstände notwendig gehören, abstrahiert. Durch eine solche Beschränkung der Grundfrage auf das Denken und die Berücksichtigung der Tatsache, daß sich Realitäten überhaupt nicht innerhalb der vorgefundenen Bewußtseinswirklichkeit antreffen lassen, wird aber zugleich das Problem aus der rein logischen Sphäre in eine speziellere versetzt und erhält nun die Fassung: wie und mit welchem Recht läßt sich etwas denken, was nicht zur Bewußtseinswirklichkeit gehört und gehören kann? Da ferner dieses Etwas nicht den Charakter eines Realen zu tragen braucht, sondern auch eine Fiktion sein kann, so erhebt sich die wichtige Aufgabe, Kriterien der Realität aufzustellen. Dieser Aufgabe ist FREYTAG gar nicht gerecht geworden, sie wird von ihm nicht einmal angedeutet. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir die Verquickung des Realismus mit der Logik für diese Lücke verantwortlich machen.

In der besonderen Aufstellung der anti-realistischen Argumente läßt übrigens FREYTAG bereits stillschweigend das Denken in seine ihm gebührenden Vorrechte treten. Bei der Formulierung derselben ist FREYTAG insofern nicht glücklich gewesen, als er dem positivistischen "Beweis" nicht die entsprechende logische Fassung gegeben hat. Ein Verbot, etwas als wirklich zu setzen, was nicht Bewußtseinsinhalt ist, darf doch nicht als ein Argument gelten. Sobald man aber dasselbe in der Umformung bringt: es ist unmöglich etwas zu erkennen, bzw. zu denken, was nicht zur Bewußtseinswirklichkeit gehört, so entsteht daraus nur eine Konsequenz aus dem ersten, apriorischen Beweis. Ein neues Argument läge nur vor, wenn die tatsächliche Einschränkung allen Denkens auf das zur Bewußtseinswirklichkeit Gehörige behauptet würde. Dann müßte man sagen: Denken läßt sich tatsächlich nur, was zur Bewußtseinswirklichkeit gehört. Erinnern wir uns nun an den oben betonten Unterschied zwischen Denken und Vorstellen, so können wir mit dem Argument auch die Fassung geben: Denken und Vorstellen sind nicht verschieden voneinander, das Denkbare ist zugleich das Vorstellbare. So hat BERKELEY seine Bekämpfung der Annahme abstrakter Ideen dazu benutzt, die naturwissenschaftlichen Realitäten von Körpern, die sich nicht in concreto vorstellen lassen, abzulehnen.

Beide Beweise, so wie sie von FREYTAG aufgestellt und zurückgewiesen werden, richten sich zunächst nur gegen den Phänomenalismus. Für den apriorischen ist das ohne Weiteres klar. Denn der Begriff eines Dings-ansich hat eine spezielle Bedeutung für diesen, zwischen dem Konszientialismus und dem Realismus vermittelnden Standpunkt. Ob das Ding-ansich erkennbar ist oder nicht, spielt weder im Beweis noch in seiner Widerlegung eine Rolle. Aber auch für das positivistische Argument gilt dasselbe. Denn es ist hier nur von der Setzung, nicht aber von der Bestimmung einer Realität die Rede. Die Tragweite von FREYTAGs Ausführungen ist daher eine viel geringere, als er selbst annimmt. Es wäre methodisch richtiger und sachlich fruchtbarer gewesen, wenn FREYTAG zuerst den Konszientialismus zugunsten des Phänomenalismus und danach diesen zugunsten des Realismus bekämpft hätte. Allerdings wäre bei einem solchen Verfahren die Auseinandersetzung alsbald auf den Boden der Wissenschaft, ihrer Bedürfnisse, Theorien, Methoden und Ziele verlegt worden. Denn nur auf diesem Boden ist der Realismus ernsthaft zu begründen.

Der Gedanke eines nicht gedachten Dings ist nach dem apriorischen Argument ein undenkbarer Gedanke. Dagegen erklärt FREYTAG, daß es zum Inhalt eines Gegenstanes des Denkens nicht zu gehören braucht, daß er gedacht wird, und daß es überhaupt nicht im Begriff eines Inhalts liegt, Gegenstand eines Gedankens zu sein. Vielmehr könne man von der Eigenschaft des Gedachtwerdens ebenso wie von anderen Eigenschaften abstrahieren. Aber diese Gründe wollen nicht recht ziehen. Denn wenn wirklich alle Gegenstände des Denkens nichts anderes als Gedanken wären, so ließe sich davon ebensowenig abstrahieren, wie bei einem Körper von der Körperlichkeit oder bei der Farbe von der Farbigkeit. Auch würde eine solche Abstraktion, selbst wenn sie gelänge, nichts helfen. Denn für die Realität und ihre Setzung verlangen wir kein gelegentliches, psychologisch mögliches Abstrahieren, sondern ein Abstrahierenmüssen. Ferner liegt im Begriff eines Inhalts doch auf jeden Fall, daß er gedacht wird. Die Unterscheidung von Subjekt und Objekt, die FREYTAG für seine Auffassung vorbringt, ändert nichts daran. Denn warum sollen nicht innerhalb des Denkens speziellere Gedanken voneinander gesondert werden können? Daß derselbe Inhalt, wie FREYTAG bemerkt, in verschiedenen Gedanken auftreten kann, beweis ebenfalls nur, daß er in verschiedener Form gedacht werden kann, nicht daß er überhaupt kein Gedanke ist. Denn ob und inwiefern das Denken seine Inhalte ändert oder nicht, ist eine hier ganz belanglose Frage, die übrigens prinzipiell nicht zu entscheiden ist, wenn man über den Gedanken und das Denken nicht hinauskann. Durch FREYTAGs Argumente wird also gegen den apriorischen Beweis nichts ausgerichtet.

Ohne micht auf die positive Ergänzung dieser Kritik von FREYTAG hier einzulassen, will ich mich mit seiner Behauptung, daß der Gedanke stets sich selbst transzendent ist, noch etwas auseinandersetzen. Versuchen wir es einmal, so sagt FREYTAG, einen Gedanken zu denken, der sich selbst zum Gegenstand hat. Etwa: "der Gedanke, den ich jetzt denke, ist richtig". Dann ergibt sich, daß in dieser Aussage kein Sinn ist. Denn der Gedanke, den ich jetzt denke, ist eben, daß der Gedanke, den ich jetzt denke, richtig ist. Ich müßte also bei der Beziehung des Gedankens auf sich selbst mich so ausdrücken: "der Gedanke, daß der Gedanke, die ich jetzt denke, richtig ist, ist richtig". Daraus geht hervor, daß einem Gedanken, der sich selbst zu denken versucht, der Gegenstand der Aussage fehlt. Vollends absurd wird dieser Versuch in Fällen, wo das Prädikat "falsch" ist, wie z. B.: "das Urteil, das ich jetzt fälle, ist falsch." Behandelt man diese Aussage nach dem obigen Schema, so erhält man: "das Urteile, daß das Urteil, das ich jetzt fälle, falsch ist, ist falsch." Kein Urteil kann sich selber denken, weil es sonst sich auch selbst aufheben können müßte. Der Gegenstand des Denkens ist also stets in Bezug auf den ihn denkenden Gedanken als Ding-ansich gedacht.

Eine vollständige Theorie des Denkens wäre erforderlich, um das Berechtigte vom Unberechtigten in dieser Argumentation mit voller Deutlichkeit sondern zu können. Da FREYTAG selbst eine nähere Erklärung über das Wesen und die Gesetze des Denkens nicht geliefert hat, was gerade für den Realismus von besonderer Bedeutung gewesen wäre, so dürfen wir uns auf folgende Behauptungen und Erwägungen beschränken. Nach meiner Ansicht kann ein Gedanke auf sich selbst bezogen werden, sind Urteile möglich, in denen das Prädikat vom Subjekt aussagt, was dieses enthält (vgl. die Formel des Identitätsprinzips: A = A). In jeder mathematischen Gleichung, etwa der Parabel y² = 2 px, kann der Inhalt des Subjekts für den Prädikats eingesetzt werden. Dann kann aber der Widersinn in FREYTAGs Beispiel kaum auf einer Beziehung des Gedankens auf sich selbst beruhen. Sage ich: "der Gedanke, den ich jetzt meine, ist richtig, so ist offenbar diese Behauptung des Richtigseins nicht zugleich der jetzt gemeinte Gedanke. Subjekt und Prädikat sind hier verschieden voneinander und werden fälschlich einander gleichgesetzt, wenn jene von FREYTAG vorgenommene Erweiterung des Urteils eintritt. Aber der Widersinn beruth auch nicht auf dieser Gleichsetzung, sondern darauf, daß sie wieder aufgehoben wird. Indem es heißt: "der Gedanke, daß der Gedanke ... richtig ist, ist richtig", wird nicht mehr das Richtigsein des Gedankens, sondern das Richtigsein des Richtigseins behauptet. Der Widersinn und die unendliche Reihe, zu der sich dieses Verfahren auswächst, verschwinden sofort, wenn ich bloß sage: "das Richtigseins des Gedankens ... ist ein Richtigsein" und damit die falsche Gleichsetzung von Subjekt und Prädikat beibehalte. Die unenliche Reihe beruth daher nicht darauf, daß der Gedanke auf sich selbst bezogen wird, sondern nur darauf, daß die vermeintliche Gleichsetzung von Subjekt und Prädikat tatsächlich eine Verschiedenheit involviert. Selbstverständlich fällt auch die Absurdität bei der Anwendung des Prädikats "falsch" fort, sobald man in der hier angegebenen Weise bei der einmal vorgenommenen Zurückbeziehung des Gedankens auf sich selbst bleibt. Vollends aber hat der von FREYTAG zum Vergleich herangezogene Trugschluß vom Kreter gar nichts mit der Immanenz des Gedankens zu tun. Sein Irrtum beruth vielmehr auf der durch die Form des Urteils: die Kreter lügen, scheinbar gerechtfertigten Annahme, daß es sich ier um ein schlechthin allgemeines, notwendig in jedem Fall geltendes Urteil handelt, und auf der dadurch bedingten unzulässigen Subsumtion eines Einzelfalls unter dasselbe.

Es scheint so naheliegend von einem Gedanken zu sagen, daß er nie sich selbst denkt, stets sich selbst transzendent ist. Aber genauer besehen ist diese Ausdrucksweise weder klar noch schlechthin richtig. Wenn sie meint: das im Subjekt Bezeichnete darf nicht zugleich das im Prädikat bezeichnete sein, so ist sie falsch. Wenn sie meint: das im Subjekt Bezeichnete ist nicht identisch mit der Bezeichnung, so ist sie richtig, wird aber nirgends bestritten. Wenn sie endlich meint: das im Subjekt Bezeichnete ist nicht der Begriff der Bezeichnung, so kann sie sowohl richtig als auch falsch sein. Der Name Säugetier kann sowohl für den Begriff desselben als auch für eine Realität dieser Art gebraucht werden. Die Möglichkeit dieses letzteren, allein für den Realismus charakteristischen Denkens zu demonstrieren, ist FREYTAG nicht gelungen, weil er sich von vornherein eine zu allgemeine Aufgabe gestellt hat.

Es bedarf keiner genaueren Darlegung, um zu zeigen, daß das andere positivistische Argument durch die bisherigen Erörterungen nicht berührt wird. FREYTAG glaubt zur Entkräftung dieses "Beweises" seine Lehre von der Transzendenz des Gedankens dahin erweitern zu können, daß jeder Gedanke sich auch als psychischem Inhalt transzendent ist. Darin liegt zunächst nichts anderes ausgesprochen, als daß ein Gedanke etwas anderes meint, als seine Bewußtseinsrepräsentation enthält. Er bedeutet etwas von den ihn darstellenden Bewußtseinsinhalten Verschiedenes, die letzteren haben nur eine symbolische Funktion für ihn. So richtig das ist, so wenig leistet es für die Widerlegung des positivistischen Beweises. Diese Transzendenz hat für den Realismus nur den Sinn einer ganz allgemeinen Bestimmung über die Art, wie Realitäten im Bewußtsein repräsentiert sein können. Man kann hiernach das Reale auch nur meinen, nicht als einen Bewußtseinsinhalt erleben. Aber ob es ein Reales gibt oder ob wir zu seiner Annahme, zu seiner Setzung und Bestimmung berechtigt sind, ist damit natürlich noch nicht ausgemacht. Wenn daher der Positivismus sagt, daß man erkennend nicht über das Gegebene hinauskommen kann, so wird er durch den Nachweis, daß wir ein Nicht-Gegebenes meinen können, nicht widerlegt. Denn ob dieses Nicht-Gegebene eine erkennbare Realität ist, wird durch eine solche psychologische Feststellung nicht entschieden.

Im letzten Abschnitt seines Buches hat FREYTAG noch ein weiteres Argument gegen den Realismus, das auf HUME zurückgeht, angeführt. Alle unsere Begriffe sind nur auf Bewußtseinsinhalte anwendbar, weil sie aus ihnen herstammen. Dagegen wendet FREYTAG ein, daß selbständige, im Gegebenen gar nicht realisierbare Kombinationen und Abstraktionen vorkommen, die bei der denkenden Bearbeitung des Gegebenen entstehen. Aber dieser Einwand trifft nur eine Wissenschaftstheorie wie diejenige von MACH, wonach die Wissenschaft eine Nachbildung von Tatsachen in Gedanken sein soll. Gegen sie spricht allerdings die Selbständigkeit gedanklicher Bildungen innerhalb der Wissenschaft. Aber gegen die konszientialistische Bedeutung des Arguments genügt dieser Hinweis nicht. Mögen auch unsere Begriffe sich vom Gegebenen inhaltlich mehr oder weniger weit entfernen; ob sie nur auf das Gegebene anwendbar sind oder nicht, kann damit nicht entschieden werden. Wenn man zugibt, daß das Gedachte stets im Bewußtsein nur eine symbolische Vertretung findet, so geht daraus allein schon hervor, daß sich die Gebilde unseres Denkens von ihrer Grundlage im Bewußtsein unterscheiden müssen. Aber mit dieser Feststellung steht die Behauptung nicht im Widerspruch, daß unsere Gedanken im Interesse der Erkenntnis nur Gegebenes meinen und meinen dürfen.

Fragen wir uns nun, wie sich der Realismus zu diesem Argument, das von FREYTAG nicht entkräftet worden ist, zu stellen hat, so werden wir zunächst darauf verweisen müssen, daß die Herkunft aus dem Gegebenen ein sehr unbestimmter Begriff ist. Gewiß habe alle Begriffe der Realwissenschaften eine Beziehung zum Gegebenen, Vorgefundenen, aber diese Beziehung ist eine sehr mannigfaltige und komplizierte. FREYTAG selbst hat gezeigt, daß die verbreitete moderne Bildertheorie dieser Beziehung nicht gerecht wird. Wir werden darum zunächst nur ganz allgemein sagen dürfen, daß das Gegebene den Ausgangspunkt zur Gewinnung und Bestimmung realwissenschaftlicher Begriffe bildet, ohne damit erklären zu wollen, daß dabei stets dasselbe Verfahren und die gleiche Beziehung eingehalten wird. Ferner ist nachdrücklich hervorzuheben, daß die Begriffe nicht bloß eine Anwendung auf dasjenige Gegebene finden und finden dürfen, aus dem oder mit Rücksicht auf das sie gewonnen und bestimmt worden sind. Der Ursprung eines Begriffs kann ein ganz zufälliger sein, wie das bei den Zahlbegriffen angenommen wird. Niemand wird behaupten wollen, daß diese, weil sie zunächst an der Hand von Fingern und Zehen gebildet worden sind, auch nur auf diese Gegenstände angewandt werden dürfen. Die Herkunft eines Begriffs kann somit für sein Anwendungsgebiet nicht maßgebend sein. Endlich läßt sich die Forderung, daß die Begriffe auf das Gegebene eingeschränkt sind, nur soweit durchführen, als sie Gegebenes meinen. Wo aber Realitäten in Frage stehen, da ist jene Forderung eben nicht zu realisieren. Infolge davon werden die Begriffe in solchen Fällen von den Konszientialisten umgedeutet, um sich eine Anwendung auf Gegebenes abringen zu lassen. So hat HUME die Notwendigkeit der Verknüpfung von Ursache und Wirkung auf eine subjektive Nötigung der Gewohnheit und Assoziation zurückzuführen gesucht. Statt die Tatsache, daß gewisse Begriffe Realitäten und nicht Bewußtseinsinhalte meinen, zu würdigen, hat er die Realitäten ohne Weiteres für unmögliche Gegenstände der Erkenntnis erklärt. Daraus geht aber unzweideutig hervor, daß jenes Argument nur dann gilt, wenn bereits feststeht, was erst bewiesen werden soll, daß nämlich das Gegebene allein Objekt des Denkens sein darf. Und so erweist sich das Argument aus der Herkunft der Begriffe als eine petitio principii [Es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist. - wp]

Nach dieser eingehenden Besprechung des Hauptinhalts und Hauptziels von FREYTAGs Buch müssen wir uns mit einigen Bemerkungen über andere Ausführungen begnügen. Als Vertreter des Phänomenalismus in der Gegenwart werden BENNO ERDMANN und HEINRICH MAIER behandelt. Für beide ist ELSE WENTSCHER in ihrem schon zitierten Aufsatz eingetreten. Sie faßt den Phänomenalismus im Sinne ERDMANNs als die Annahme einer gesetzmäßig wirkenden transzendenten Ursache der Innenwelt, von deren Wesen und Wirken wir nichts erkennen können. Zu dieser Annahme gelangt man durch die Beobachtung, daß die Inhalte der Sinneswahrnehmung stets allen unter denselben raumzeitlichen Bedingungen stehenden normalsinnigen Menschen gegeben sind (5), und daß sie gesetzmäßig in das Bewußtsein treten. Wie man sieht, ist ein strenger Phänomenalismus, der jede positive Aussage über das Ding-ansich für unmöglich erklärt, damit nicht eingenommen. Die Frage, ob nicht das Denken innerhalb der Realwissenschaften fähig ist, über das Reale weitere Bestimmungen zu treffen, wird nicht beantwortet. Daß die Vorstellung der Außenwelt auch für den Naturforscher phänomenal bleibt, ist kein Argument dagegen, und daß wir in die Art des Wirkens von Körpern nicht eindringen können, beweist nicht die Unerkennbarkeit schlechthin. Die von ELSE WENTSCHER angegebene Begründung des Phänomenalismus aber setzt bereits Realitäten in weitem Umfang voraus, und zwar Realitäten, die nicht etwa nur als unerkennbaren gesetzmäßig wirkenden transzendente Ursachen zu gelten haben. So entsteht ein auf den Realismus gestützter Phänomenalismus. Wenn es außerdem heißt, das Kriterium der Gültigkeit eines Urteils, d. h. der Gewißheit seines Gegenstandes und der Denknotwendigkeit seiner Aussage, sei von diesem Standpunkt aus immanent und dabei als Kriterium der Gewißheit eines Gegenstandes aufgestellt wird, daß ich selbst ihn in wiederholter Erkenntnis in gleicher Weise wahrgenommen oder daß er sich einer Reihe von beobachtenden Personen gleichmäßig darggestellt hat, so wird hier ein Vergleich von Bewußtseinsinhalten verschiedener Zeiten und Individuen vorausgesetzt und damit der streng immanente Standpunkt zugunsten eines realistischen aufgegeben. Zur Rechtfertigung derartiger realistischer Einschläge in das phänomenalistische Gewebe darf nicht gesagt werden, daß nur der Solipsismus, der durch die Absurdität seiner Konsequenzen verurteilt ist, auf die Voraussetzung einer Transzendenz verzichten kann. Denn eine solche Rechtfertigung ist außerstande, den Phänomenalismus, der sich realistisch zu begründen sucht, zu entlasten. FREYTAG hat also im Allgemeinen richtig gesehen, wenn er realistische Gedanken in der anti-realistischen Philosophie wirksam findet.

Unter den Realisten der Gegenwart wird EDUARD von HARTMANN von FREYTAG eine besondere Anerkennung gezollt. Die "transzendente Kausalität" bildet bekanntlich für diesen Philosophen das Eingangstor zum Realismus. So meint auch FREYTAG, daß wir mit Hilfe der Annahme kausaler Beziehungen zwischen Innenwelt und Außenwelt zwar noch nicht wüßten, welcher Art die Außenwelt ist, wohl aber, daß sie als hinreichende Ursache der Innenwelt deren Unterschiede und als notwendige Ursache der Innenwelt deren Gleichheiten ausprägen muß. Damit wird uns soviel Erkenntnis der Außenwelt zuteil, wie wir nur billig verlangen können.

Es ist jedoch zunächst nicht abzusehen, wie man durch den bloßen Begriff einer transzendenten Kausalität gerade auf die Annahme einer realen Außenwelt geführt werden soll. Es wäre ja, da über die Art der transzendenten Ursache a priori nichts feststeht, ebensowohl denkbar, daß ein reales Ich die Bewußtseinsinhalte produziert, wie JOHANN GOTTLIEB FICHTE in seiner Lehre von der unbewußten produktiven Einbildungskraft gemeint hat. Dazu kommt eine beträchtlichere Schwierigkeit. Wenn es keine immanente, sondern nur eine transzendente Kausalität gibt, so wird im Begriff der Kausalität bereits die Realität vorausgesetzt. Nicht das kausale Denken läßt uns dann Realitäten setzen, sondern diese sind in ihm ex definitione [wie definiert - wp] schon gedacht. Die Kausalität ist ansich zu einer realen Beziehung geworden. Wollte man also aufgrund einer transzendenten Kausalität die reale Welt erschließen, so beginge man eine petitio principii, denn man könnte keine Kausalität denken, ohne eine solche Realität gedacht zu haben. Angesichts dessen, daß HUME die Kausalität nicht als transzendentes Verhältnis gefaßt hat, daß MACH gerade eine reale Beziehung dieses Namens verwirft und bloß von Funktionszusammenhängen im Sinne der Mathematik redet, daß HANS CORNELIUS das Ursächliche in ein Subsumtionverhältnis auflöst, wird man sich durch die Kausalität nicht so ohne Weiteres den Zugang zur Realität eröffnen.

Der hier geschilderten Schwierigkeit entgeht man nicht, wenn man sich mit von HARTMANN darauf beruft, daß das eine Glied der transzendenten Kausalität im Bewußtsein, in der unmittelbaren Erfahrung liegt. Vielmehr werden die Mängel dieses Versuchs, mit Hilfe der Kausalität zu transzendieren, bei einer strengen Fassung einer solchen immanent-transzendenten Beziehung nur noch deutlicher. Das Wesen dieser halb immanenten, halb transzendenten Kausalität bleibt ganz problematisch, wenn sie der einzige Fall von Kausalität überhaupt ist. Wie soll man über die unbekannte reale Außenwelt etwas sagen können aufgrund einer Kausalität, die von diesem eigentümlichen Anwendungsgebit abgesehen überhaupt nicht besteht? Das hieße soviel wie Regeln für die Bestimmung der Realität unter Voraussetzung einer Kenntnis der Gesetze kausaler Beziehungen aufstellen und zugleich diese Kenntnis nur unter Annahme einer irgendwie bestimmbaren realen Welt gewinnen. Was kann ich über die Ursachen und ihr Wirken ausmachen, wenn solche sich nur im Transzendenten antreffen lassen, ohne daß ich mir vorher bereits eine gewisse Einsicht in dieses Gebiet verschafft habe? Diesem Einwand entgeht man nnur, wenn man diese Kausalität als eine angeborene Kategorie auffaßt oder sie in ein logisch allgemeineres, von einem bestimmten Anwendungsgebiet unabhängiges Verhältnis aufgehen läßt. Tut man das Erstere, so gerät man in einen Konflikt mit der Psychologie, die zwar angeborene Anlagen, Tendenzen, Dispositionen kennt, aber nicht fertige Begriffe oder Urteile als angeborenen Besitz des Geistes zugesteht (6). Tut man das Zweite, so stellt man sich etwa auf den MACHschen Standpunkt und hat damit den Zugang zur Realität verloren. Außerdem hat die Annahme einer derartigen immanent-transzendenten Beziehung eigentümliche Konsequenzen für die Welterkenntnis. Wir erhielten danach im Transzendenten lauter Ursachen, im Immanenten lauter Wirkungen. Wie sich aber jene Ursachen zu einander verhalten, wäre gänzlich unbestimmbar. Für eine solche Welterkenntnis würde und müßte sich der Naturforscher ebenso wie der Metaphysiker bedanken (7).

Endlich aber läßt sich die Kausalität als Brücke von der Bewußtseinswirklichkeit zur transzendenten Außenwelt doch nur dann benutzen, wenn die kausal zu erklärenden Tatsachen genau bezeichnet werden. Die "Innenwelt oder ein Teil derselben" ist eine gar zu unbestimmte Größe. Soll die Wahrnehmung schlechthin darunter verstanden werden, so müßte zunächst einmal das Nervensystem und das Sinnesorgan als deren Ursache gelten. Aber der Begriff einer psychophysischen Kausalität ist bekanntlich ein heiß umstrittener. Außerdem würde gerade diese Beziehung den Vorteil eines solchen Schlusses auf die Beschaffenheit der Außenwelt in eine sehr ungünstige Beleuchtung rücken. Denn wenn wir für die Erkenntnis von Nervensystem und Sinnesorgan lediglich auf die durch sie vermittelten Wahrnehmungen des erkennenden Subjekts angewiesen wären, so hätten wir sicherlich keine Anatomie und Physiologie von ihnen. Das Einzige, was als eine mögliche und berechtigte Anwendung der Kausalität für den naturwissenschaftlichen Realismus übrig bleibt, ist die Erklärung es in der Wahrnehmung vom psychophysischen Subjekt Unabhängigen, d. h. eines Tatbestandes, der auch vom Nervensystem und Sinnesorgan unabhängig ist. Zu diesem Tatbestand aber gehören, wie hier nicht ausgeführt werden soll, gesetzliche Beziehungen Wahrnehmungsinhalte zueinander.

FREYTAG unterscheidet, offenbar im Anschluß an die in der Mathematik längst übliche Angabe von notwendigen und hinreichenden Gründen, bzw. Ursachen. Ich finde diese Unterscheidung ganz zweckmäßig, während die Übertragung auf den realwissenschaftlichen Begriff der Ursache erst noch der Rechtfertigung bedarf. Die Außenwelt soll nun hinreichende und notwendige Ursache der Innenwelt sein. Aber hinreichende Ursache der Innenwelt ist sie zweifellos nicht, da das Subjekt bekanntlich einen wesentlichen Einfluß auf die Entstehung von psychischen Vorgängen hat. Nur für den Rest, d. h. eben für das vom Subjekt Unabhängige, kann die Außenwelt als Ursache herangezogen werden. Ob es einen Sinn und Zweck hat, sie mit Rücksicht darauf als eine notwendige Ursache der Innenwelt zu bezeichnen, verdient eine genauere Erwägung. Vielleicht würde sich dabei herausstellen, daß die Außenwelt einem auslösenden Reiz vergleichbar ist, der in keinem Verhältnis der Gleichheit oder Verschiedenheit zu den von ihm ausgehenden Bewußtseinswirkungen zu stehen braucht. Dann wäre der Schluß von der Gleichheit der Wirkungen auf die Gleichheit der notwendigen Ursachen unstatthaft, und dann fiele das realistische Gebäude von Kollege FREYTAG, soweit es in dieser Betrachtung sein Fundament hat, völlig zusammen.

Wir glauben somit gezeigt zu haben, daß weder die allgemeine noch die besondere Grundlegung des Realismus bei FREYTAG einwandfrei und befriedigend ausgefallen ist. Möglicherweise trägt dazu auch die Tatsache etwas bei, daß er die auf sein Problem bezüglichen Untersuchungen von RIEHL, WUNDT, LIEBMANN, VOLKELT, RICKERT (Gegenstand der Erkenntnis), ZELLER, um nur diese Denker zu nennen, gar nicht berücksichtigt hat. Aus ihnen wäre negativ und positiv mancherlei zu entnehmen gewesen. Ich glaube nach wie vor daran festhalten zu dürfen, daß die Logik eine Formalwissenschaft ist, für die ein Problem der Realität nicht besteht. Zugleich aber meine ich, daß der Realismus nur dann eine notwendige und hinreichende Begründung finden kann, wenn man sich an die Wissenschaften wendet und hält, die Reales setzen und bestimmen.
LITERATUR - Oswald Külpe, Besprechung "Der Realismus und das Transzendenzproblem" von Willy Freytag, Göttingische gelehrte Anzeigen, 166. Jahrgang, erster Band, Berlin 1904
    Anmerkungen
    1) vgl. Benno Erdmann, Logik I, Seite 78
    2) Die zweite Bedingung für die Zulässigkeit eines Induktionsschlusses ist auch in der scharfsinnigen Untersuchung von Karl Gneisse, Deduktion und Induktion, 1899 angegeben, deren Auffassung jedoch von der hier vorgetragenen sonst abweicht.
    3) Vgl. dazu Else Wentscher, "Phänomenalismus und Realismus", im Archiv für systematische Philosophie, Bd. IX, Seite 209f.
    4) Darauf hat auch Else Wentscher, a. a. O., Seite 223f hingewiesen.
    5) Diese Begründung hat Benno Erdmann an der von Wentscher angeführten Stelle (Logik I, Seite 83f) nicht gegeben. Dagegen ist sie bei Riehl (Kritizismus II, Seite 151, 170f) durchgeführt.
    6) Die Kenntnis der Außenwelt müßte dann auch bis zu einem gewissen Grad als mit auf die Welt gebracht gelten.
    7) Und wie würden erst die mit Hilfe einer solchen Kausalität gewonnenen Bestimmungen der Außenwelt aussehen! Riehl (Kritizismus II, Seite 196) bemerkt, daß die Ursache einer Blauempfindung auf diesem Weg als etwas Blaues bezeichnet werden müßte.