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OSWALD KÜLPE
Besprechung
"Die Erkenntnis der Außenwelt"
von Willy Freytag


"Die Gesetze der Physik gelten von den transzendenten Gegenständen unseres Denkens, nicht von den Bewußtseinsinhalten, die keine allgemeingültigen und notwendigen Beziehungen aufweisen und vieldeutige Zusammenhänge bilden und deren Mannigfaltigkeit für die Einheit der Gesetze irrelevant ist."

Eine frühere Schrift desselben Verfassers "Der Realismus und das Transzendenzproblem" ist von mir in diesen Blättern ausführlich besprochen worden (Gött. gel. Anz., 1904, Seite 89f). Sie beschäftigte sich, wie der Verfasser jetzt schärfer betont, nicht sowohl mit dem Realismus als vielmehr mit dem allgemeinen Problem einer Transzendenz des Denkens. Er gibt jetzt mit voller Rückhaltlosigkeit zu, daß "aus einer allgemeinen Eigentümlichkeit des Denkens, wie sie in der Transzendenz vorliegt, unmittelbar" nichts über die Existenz besonderer Gegenstände des Denkens, über die Außenwelt folgt. Damit erledigt sich prinzipiell ein Haupteinwand, den wir gegen das frühere Buch des Verfassers erhoben haben. Aber tatsächlich ist es leider so ziemlich beim Alten geblieben. Der Gedankengang der früheren Arbeit wird im Wesentlichen aufrecht erhalten, er soll nur nach der spezifisch-realistischen Seite etwas ergänzt und ausgebaut werden. Noch immer wird die Frage des Realismus mit der Frage nach der Existenz und Erkennbarkeit der Außenwelt identifiziert. Noch immer wird das Problem des Realismus, sogar in der speziellen Fassung: Sind Innen- und Außenwelt gleich oder verschieden? in das Gebiet der Logik verwiesen. Noch immer wird, wenn auch in etwas veränderter Form, zwischen Induktion und Realismus ein Zusammenhang behauptet. Wir wollen auf diese bereits zur Genüge behandelten Punkte nicht wieder zurückkommen, sondern uns sofort zu dem neuen Inhalt der hier zu besprechenden Abhandlung wenden.

Dazu gehört zunächst eine nicht gerade übersichtliche und einheitliche Zusammenstellung der erkenntnistheoretischen Standpunkte, die der Frage des Realismus gegenüber eingenommen werden können. Hiernach schränken der Positivismus, Agnostizismus und Konszientialismus die Erkenntnis auf das Gegebene, auf Bewußtseinsinhalte oder auf Psychisches ein, während der Phänomenalismus die absolute oder unmittelbare oder adäquate Erkennbarkeit der Außenwelt leugnet und der monistische Realismus Innen- und Außenwelt für identisch erklärt und nur verschiedene Gesichtspunkte der Betrachtung für ihre Unterscheidung verantwortlich macht. Die Abbildtheorie setzt beide einander inhaltlich gleich, der dualistische Realismus dagegen behauptet ihre gänzliche Verschiedenheit, ohne daß die Erkenntnis der Außenwelt darunter zu leiden hätte. "Es handelt sich für uns um den Beweis des letzten Standpunktes", der in der hier kondensierten Aufzählung des Verfassers der zehnte ist. Was wir gegen diese Einteilung der erkenntnistheoretischen Richtungen hauptsächlich einzuwenden haben, kommt auf bereits früher Bemerktes zurück. Wie unzweckmäßig es ist, den Realismus und die Annahme einer Außenwelt zu identifizieren, zeigt sich z. B. mit besonderer Deutlichkeit am sogenannten monistischen Realismus, der nur deshalb ein Realismus genannt wird, weil er von einer Außenwelt redet. Tatsächlich fällt er mit dem Positivismus, Agnostizismus, Konszientialismus zusammen, die ja auch von einer Außenwelt sprechen können. Ferner ist die Bestimmung des Phänomenalismus aus demselben Grund so geraten, daß der typische Vertreter dieses Standpunktes, KANT, gar nicht untergebracht werden kann. Denn wenn es unter V. heißt: nur die Bewußtseinswelt ist vollständig zu erkennen, von der Körperwelt im Wesenlichen nur, daß sie existiert - so trifft diese Behauptung aus naheliegenden Gründen für KANT nicht zu. Man könnte auch finden, daß die Abbildungstheorie, wenn es überhaupt eine solche gibt, keine inhaltliche Gleichheit, sondern nur eine Ähnlichkeit zwischen unseren Vorstellungen und der Außenwelt annimmt. Aber wir wollen uns auf Randglossen zu einem bloßen Schema nicht näher einlassen und lieber sofort den eigentlichen Kern unserer Schrift aufdecken und würdigen.

Dieser Kern ist - wie wissen es bereits - der Beweis des Realismus, und der nervus probandi [wichtigste Beweisgrund - wp] ist, zu einem guten Teil zumindest, das Unbewußte. Faßt man nämlich, wie das schon in der früheren Arbeit geschah, das Unbewußte als das Nicht-Psychische, das Physische, Körperliche, indem man das im Bewußtsein Gegebene mit dem Psychischen identifiziert, so ergibt offenbar der Nachweis des Unbewußten zugleich den Nachweis der Körperwelt. In diesem Sinne wird die Tatsache unbewußter Urteile, d. h. solcher Urteile, denen Vorstellungen und Meinungsbewußtsein, die einzigen Bewußtseinsmerkmale des Urteils, fehlen, für den Realismus verwertet. Das unbewußte Urteil ist, wie wir an anderer Stelle erfahren, ein Gehirnvorgang
    "der sich von einem sonstigen Urteil nur dadurch unterscheidet, daß ihm der gewöhnlich oder oft vorhandene psychische Begleitvorgang fehlt".
Ganz allgemein heißt es auch, daß der Gedanke stets ein Gehirnvorgang ist, der nur in vielen Fällen von einem psychischen Vorgang begleitet wird. Da nun Gehirnvorgang und Bewußtseinsinhalt gänzlich verschieden voneinander sind, so ist ein dualistischer Realismus das Ergebnis der Wissenschaft.

Aber der einfache Gegensatz von Bewußtem und Körperlichem wird auch in einer anderen Richtung für den Realismus ergiebig. Indem die Sinneswahrnehmung nicht auf Bewußtseinsinhalte, sondern auf äußere Gegenstände gerichtet ist, beweist sie, wenn sie nicht überhaupt ausnahmslos als sinnlos gelten soll, die Annahme einer Außenwelt. Der von der Wissenschaft akzeptierte Grundsatz einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit kann im Bewußtseinsreich nicht zur vollen Anerkennung und Durchführung gelagen und fordert somit die Existenz und Bestimmbarkeit einer Körperwelt. Die Gesetze der Physik gelten von den transzendenten Gegenständen unseres Denkens, nicht von den Bewußtseinsinhalten, die keine allgemeingültigen und notwendigen Beziehungen aufweisen und vieldeutige Zusammenhänge bilden und deren Mannigfaltigkeit für die Einheit der Gesetze irrelevant ist. Die von idealistischer Seite eingeführten Möglichkeiten von Sensationen oder Reduktionsvorstellungen sind kein Bestandstück der Bewußtseinswelt, sondern enthalten tatsächlich bereits das Zugeständnis einer Außenwelt.

Wie man sieht hat die Bekämpfung des Konszientialismus eine eigentümliche Wendung genommen. Für den erkenntnistheoretischen Gegensatz des Gegebenen und des Nichtgegebenen ist der psychologische Gegensatz des Bewußten und des Unbewußten und für diesen der reale Gegensatz des Psychischen und des Physischen eingeschoben. Und so ist ein Standpunkt herausgekommen, der mit dem psychophysischen Materialismus, wie ihn früher etwa MÜNSTERBERG vertreten hat, eine unverkennbare Ähnlichkeit hat und von der Terminologie des Verfassers aus mit Unrecht dualistischer Realismus genannt wird. Denn Realismus heißt nach ihm, wie wir wissen, die Annahme einer Außenwelt. Dualistisch könnte daher ein Realismus nur dann sein, wenn es eine zweifache Art von Außenwelt gibt. Die Innenwelt, die mit den unmittelbar gegenwärtigen Bewußtseinsinhalten zusammenfällt, gilt dem Verfasser sonst durchaus nicht als etwas Reales, und sicherlich kann diese in entbehrlichen und unbegreiflichen Begleiterscheinungen gesetzlos und zufällig auftretende Innenwelt nicht Realität heißen, die man der Außenwelt der Naturwissenschaft dualistisch gegenüberstellen dürfte. Da die Gehirnprozesse auch ohne nebenher erlebte Bewußtseinsvorgänge Gdanken und dergleichen sind und sich nur durch den Fortfall dieser Begleitung von den bewußten Erscheinungen dieses Namens unterscheiden, so kann diese Begleitung nicht nur fehlen, ohne daß in der Realität des Geschehens etwas vermißt wird, sondern es mangelt auch jede gesetzliche Grundlage für das Auftreten derselben. Derselbe Gehirnvorgang ist bald mit einer Vorstellung verbunden, bald nicht. In ihm kann somit, obwohl der Verfasser das nicht zugesteht, die Bedingung für das Erscheinen der Vorstellung nicht gefunden werden. Einen gesetzmäßigen Bewußtseinszusammenhang aber gibt es nicht. So ist in der Tat die Innenwelt nach FREYTAG eine Summe von zufälligen und entbehrlichen Tatsachen, mit denen die Wissenschaft nichts anzufangen weiß. Eigentlich gibt es nur eine Außenwelt - so etwa könnte man das Resultat dieses Realisten in paradoxer Form ausdrücken.

Es ist nicht schwer, den Punkt zu bezeichnen, von dem aus FREYTAG in diese sonderbare Stellung hineingeraten ist. Als das definitorische Merkmal eines Urteils gilt ihm die Möglichkeit der Falschheit. Demgemäß spricht er selbst alsbald von einer falschen Straße, in die man in Gedanken versunken einbiegt, und bezeichnet diese Handlung als ein Urteil.
    "Alles, was falsch sein kann, ist ein Urteil; die Wahnehmung kann uns täuschen, kann falsch sein, also ist sie ein Urteil."
Nach dieser Anweisung sollte man, da es falsche Schlüssel, falsche Haare, falschgehende Uhren geben kann, auch alle diese Dinge als Urteile ansehen dürfen. Jedenfalls aber begreift man von hier aus, daß Gehirnprozesse trotz der längst gerügten Sinnlosigkeit des äquivativen Materialismus bei FREYTAG zu Gedanken werden. Aus solchen Konsequenzen hätte ein anderer geschlossen, daß die oben aufgestellte Definition des Urteils zu weit sein möchte. Jede Art von Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung, mag sie subjektiv oder objektiv oder beides sein, kann ja hiernach wahr oder falsch genannt werden. FREYTAG hat sich durch diese Konsquenz nicht beirren lassen und ist damit geradenwegs zum Materialismus gekommen. Dem gegenüber ist daran festzuhalten, daß Urteile Denkakte sind, die sich irgendwie im Bewußtsein ausdrücken, und daß es demgemäß keinen Sinn hat, auf Gegenstände der Außenwelt, seien es auch Gehirnprozesse, den Namen "Urteil" anzuwenden. Tatsächlich meint auch FREYTAG diesen engeren Begriff, wenn er schlechthin den Ausdruck Urteil gebraucht (Urteil über die Außenwelt). Ist demnach ein unbewußtes, d. h. nach FREYTAG körperliches Urteil eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp], so entfallen auch alle realistischen Konstruktionen, die auf diesen Begriff gebaut werden.

Ebensowenig darf man bei zweckmäßiger Einschränkung der Urteilsdefinition die Sinneswahrnehmung als solche zu den Urteilen zählen. Nur von einer Deutung derselben, nicht von ihr selbst, würde man behaupten können, daß sie sinnlos wird, wenn man die Transzendenz über das Bewußtsein hinaus ausschließt, und daß sie deshalb den Realismus fordert. Das Sinnloswerden einer neben anderen möglichen und bestehenden Deutung ist aber offenbar kein Beweis für den Realismus. Übrigens haben über die Motive und Gründe, die für eine solche Deutung gelten, wie ich glaube, meine "Untersuchungen über die Subjektivierung und Objektivierung von Sinneseindrücken" (Philosophische Studien, Bd. 19) einiges Licht verbreitet. Es scheint mir, daß deren Kenntnis FREYTAG auch für seine Diskussion über die Gründe unserer Außenweltsurteile vorteilhaft hätte sein können. Er kommt hier nämlich zu dem auffälligen Ergebnis, daß der naive Mensch nichts von Gründen weiß, auf die sich seine Urteile über die Außenwelt stützen, daß diese aber tatsächlich auf der "Notwendigkeit einer Regel" beruhen, "um sich in der Welt zurechtzufinden". Hiernach erscheinen die Außenweltsurteils einfach als Produkte eines subjektiven Bedürfnisses!

Daß die Annahme einer allgemeinen Gesetzmäßigkeit mit ihrer Durchführbarkeit und deren Umfang nichts zu tun hat, ist bereits in meiner früheren Rezension hervorgehoben worden. Der Umstand, daß diese Annahme sich nur begrenzt innerhalb der Bewußtseinstatsachen verwirklicht oder bestätigt findet, kann darum kein Argument für die Behauptung der Existenz und Erkennbarkeit einer Außenwelt liefern. Man darf nur sagen, daß die Durchführung jener Annahme, wie sie in der Naturwissenschaft tatsächlich vorliegt, sich durch die Berufung auf Bewußtseinsinhalte nicht erklären läßt, oder daß die Gesetze der Physik, Chemie, Physiologie keine Bewußtseinsgesetze sind. Damit aber hat man zunächst nur den tatsächlichen Unterschied zwischen Naturwissenschaft und Phänomenologie festgestellt. Dagegen ist noch nicht gezeigt, daß eine Reduktion der Naturwissenschaft auf Phänomenologie unmöglich ist, oder daß der Realismus sich als die notwendige Konsequenz einer Durchführung der Annahme allgemeiner Gesetzmäßigkeit ergibt. Auch hier ist also kein "Beweis" für den Realismus geliefert.

Dasselbe gilt schließlich für die Erörterung der Wahrnehmungsmöglichkeiten bei JOHN STUART MILL und der Reduktionsvorstellungen bei THEODOR ZIEHEN. Gewiß enthalten diese, sofern sie nicht phänomenologisch, sondern ihrem Inhalt nach die Bewußtseinslücken ausfüllen sollen, eine Transzendenz über den Wirklichkeitsstandpunkt. Aber sie können ja bloße Hilfsbegriffe sein, wie sie vielfach in der mathematischen Physik zu Zwecken der wissenschaftlichen Lösung gewisser Aufgaben eingeführt werden, ohne eine Realität vorstellen zu sollen. Dann bieten sie keine Handhabe dar, um den Realismus in konszientialistischer Maske entlarven zu können, und dann wird auch die logische Kritik gegenstandslos, die FREYTAG am Begriff der Wahrnehmungsmöglichkeit übt.

Außer dem einen Beweis des Realismus gewidmeten Betrachtungen finden sich in dieser Schrift noch einige damit nur lose zusammenhängende Ausführungen, auf die ich noch kurz hinweisen und eingehen will. Die Gesetze der Naturwissenschaft werden in Erhaltungs-, Eigenschafts- und Veränderungsgesetze eingeteilt. Zu den ersten gehören die Gesetze von der Erhaltung der Materie und der Energie, zu den zweiten alle gesetzmäßigen Zusammenhänge der Eigenschaften eines Dings, zu den dritten alle Kausalbeziehungen, die nach FREYTAG (namentlich im Hinblick auf das Verhältnis der psychischen zu den Gehirnprozessen) nicht durch das Merkmal der Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] charakterisierbar sind, aber jederzeit einen räumlichen Zusammenhang einschließen. Hier erregt die Aufstellung besonderer Eigenschaftsgesetze Bedenken. Wenn damit die Tatsache gemeint sein soll, daß ein Mineral eine gewisse Spaltbarkeit, chemische Zusammensetzung, Doppelbrechung usw. aufweist, so ist hier zunächst nur eine empirische Vereinigung konstatiert, die den Namen eines Gesetzes nicht verdient. Erst wenn die Eigenschaften als zusammengehörig, als voneinander abhängig dargelegt werden, würde man von einem notwendigen Zusammenhang und damit von einer gesetzlichen Beziehung zwischen ihnen reden können. Ein solcher Nachweis ist, sofern man von einem Anschauungs- und dem logischen Zusammenhang absieht, nur dadurch zu erbringen, daß man zwischen den verbundenen Eigenschaften direkt oder indirekt Funktionsbeziehungen aufzeigt. Die sogenannten Eigenschaftsgesetze sind daher Funktionsgesetze und führen als solche auf Erhaltungs- oder Veränderungsgesetze zurück.

Nimmt man unter die Kausalbeziehungen auch jede Art von Simultanabhängigkeit auf, so wird ihnen ihre Eigentümlichkeit gänzlich geraubt. Dann gehen sie in die allgemeinen Funktionsbeziehungen auf, für welche die Frage nach der Gleichzeitigkeit oder Sukzession ihrer Glieder keine Rolle spielt. Wie man auf dem Boden des Realismus eine solche Verflüchtigung der Begriffe Ursache und Wirkung vornehmen kann, ist mir unverständlich. Daß die Gehirnvorgänge und die von ihnen abhängigen Bewußtseinsinhalte gleichzeitig stattfinden, dafür fehlt jeder empirische Nachweis. Der psychophysische Parallelismus ist eine vorsichtige allgemeine Formel, deren man sich in der Wissenschaft bedient, um dem Streit metaphysischer Sonderbestimmungen aus dem Weg zu gehen (1). FREYTAG setzt dafür ohne Weiteres eine simultane und einseitige Kausalität ein, indem nur die Gehirnprozesse als wirksam betrachtet werden. Dem bekannten Einwand gegen diese Deutung des Parallelismus aus dem Gesetz von der Erhaltung der Energie begegnet er dabei durch die einfache Annahme eines nicht-energetischen Geschehens und Wirkens. Aber da er die Möglichkeit desselben nicht plausibel gemacht hat (2) und wir andereseits wissen, daß der Gehirnprozeß nach ihm derselbe bleibt, mögen Bewußtseinserscheinungen sich mit ihm verknüpfen oder fehlen, so bleibt diese psychophysische Kausalität ganz unbegreiflich.

Nicht minder muß bei einem Erkenntnistheoretiker die Behauptung auffallen, daß die Ansicht von der physischen Natur des unbewußt Psychischen "oft genug" bewiesen und "weiterer Bestätigung zugänglich ist". Wie mag es zugehen, daß Psychologen wie LIPPS und EBBINGHAUS trotzdem an der Annahme eines unbewußten Seelenlebens festhalten? Ich gestehe, nichts von solchen "Beweisen" zu wissen und wäre FREYTAG dankbar gewesen, wenn er zumindest einen von ihnen zitiert hätte. Und es fehlt mir gleichfalls die Einsicht in die Möglichkeit einer weiteren Bestätigung für die psychophysische Theorie des Unbewußten. In derselben Lage befinde ich mich gegenüber der Erklärung, daß der Realismus eine "unendlich lange Prüfungszeit hinter sich" hat und in Leben und Wissenschaft ausnahmslos bestätigt worden ist. Die Hypothese von der Existenz eines Planeten ließ sich durch dessen Wahrnehmung, die Annahme von chemischen Elementen durch deren Entdeckung, die Rekonstruktion einer verloren gegangenen Geschichtsquelle durch deren Auffindung bestätigen. Daß aber unseren naturwissenschaftlichen Gedanken reale Existenzen entsprechen, kann auf keine Weise bestätigt und geprüft werden. Das ist und bleibt eine ewige Hypothese, ein Glaubenssatz der Realwissenschaften. In die gleiche Kategorie von merkwürdigen Erwartungen gehört endlich auch die Meinung von FREYTAG, daß uns das Studium des Gehirns über die Möglichkeit eines unmittelbaren Wissens von der Außenwelt einmal näheren Aufschluß geben wird.

Der von mir schon in seiner früheren Arbeit hergestellte Zusammenhang von Transzendenz des Denkens und Realismus erfährt hier eine Erweiterung noch insofern, als er den Versuch macht, die Tatsache jener Transzendenz durch die Abhängigkeit des Denkens von der Außenwelt zu erklären. Jede realistische Erkenntnis hängt mit der Außenwelt kausal zusammen; diese ist nicht nur Gegenstand, sondern auch, wenngleich vielfach nur mittelbar, Ursache des auf sie beziehenden Denkens. Schon für diese engere Bedeutung der Transzendenz gilt das nicht allgemein, wie eine geringe Überlegung zeigt. Aber FREYTAG dehnt die Annahme eines solchen kausalen Zusammenhangs sogar auf die Fälle eines Denkens von Allgemeinem, von Imaginärem und Negativem aus. Die Außenwelt ist also selbst da Ursache der Transzendenz, wo sie nicht Gegenstand des Denkens ist. Wenn wir nun einen psychischen Vorgang, einen Bewußtseinsinhalt zum Gegenstand unseres Denkens machen, dann muß nicht der betreffende psychische Vorgang, sondern der ihm zugrunde liegende Gehirnprozeß die Ursache des Gedankens, bzw. seiner Transzendenz sein. Um diese Betrachtungen zu verstehen, genügt es daran zu erinnern, daß für FREYTAG nur eine wirkende Potenz vorhanden ist: die Außenwelt. Strebt man also überhaupt von diesem Standpunkt aus nach einer kausalen Erklärung für die Tatsache der Transzendenz des Denkens, so kann sie nur in der Außenwelt gefunden werden. Auch diese Konsequenz hätte an der Richtigkeit der Voraussetzung, am einseitigen Realismus irre machen und die Frage hervortreiben sollen, ob nicht die logischen Zusammenhänge oder die Mechanik des Gedächtnisses einen psychologischen Realismus fordern.

Ich erkenne gerne die Vorzüge einer gewandten und klaren Darstellung, dialektische Fertigkeit und kritischen Scharfsinn auch an diesem Buch an. Aber im Ganzen scheint es mir nicht zu erfüllen, was das frühere hoffen ließ. Eine wirkliche Grundlegung des Realismus hat es nicht geliefert, vielmehr durch speziellere Ausführungen die Unhaltbarkeit des vom Verfasser eingenommenen Standpunktes und die Unzweckmäßigkeit der von ihm befolgten Methode deutlicher hervortreten lassen. Das Verdienst wird ihm jedoch zweifellos zugesprochen werden müssen, daß er gegen den Idealismus, Konszientialismus, Phänomenalismus unserer Tage einen energischen und in eigenartiger Richtung geführten Kampf fortgesetzt und zu einer bestimmteren Formulierung einiger hierbei in Betracht zu ziehenden Fragen beigetragen hat.
LITERATUR - Oswald Külpe, Besprechung "Die Erkenntnis der Außenwelt" von Willy Freytag, Göttingische gelehrte Anzeigen, 167. Jahrgang, erster Band, Berlin 1905
    Anmerkungen
    1) Vgl. darüber meine Ausführungen "Über die Beziehung zwischen körperlichen und seelischen Vorgängen" in der "Zeitschrift für Hypnotismus", Bd. VII, Seite 98f.
    2) Wenn es heißt, daß die psychiatrische Physiologie tatsächlich Gesetze aufstellt, in denen kein Verhältnis des Energieumsatzes ausgesagt wird, so ist damit natürlich nicht gezeigt, daß diese "Gesetze" sich auf ein energetisches Geschehen gar nicht zurückführen lassen.