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Vorlesungen über Kant [3/7]
Vierte Vorlesung Die Funktion der Objektivität, daß sie nur das Subjektive als ein zuverlässig Gleichmäßiges, notwendig Eintretendes feststellt - wodurch einerseits die Zweideutigkeit und Zufälligkeit am Sensualismus überwunden, andererseits alles Erkennen doch am Gegebenen festgehalten wird -, diese Funktion würde ganz befriedigend erscheinen, wenn nicht jetzt eine neue Schwierigkeit auftaucht. KANT schärft ausdrücklich ein: alle Erfahrungsurteile, keineswegs nur die Formulierungen bloßer Sinneseindrücke, sondern die echten, unter Wirksamkeit der Verstandeskategorien entstandenen Erfahrungsurteile haben nur relative Gültigkeit: was Erfahrung gelehrt hat, kann Erfahrung jederzeit widerrufen. Wie ist dies nun mit der eben charakterisierten Zuverlässigkeit und Notwendigkeit der Erfahrungsurteile zu vereinen, mit der sie sich aus den bloß sensuellen Urteilen heraus über diese hinweg bilden? Dies ist ersichtlich keine bloße kantphilologische Spezialfrage, sondern es handelt sich darum, in dem Weltbild, das uns hier allmählich aus dem kantischen Denken erwachsen soll, dem eigentlichen Träger aller Erkenntnis, dem Erfahrungsurteil, seinen Doppelwert zu retten; einerseits die Sicherheit und Gültigkeit jenseits der bloßen Sinnesempfindung, andererseits die Biegsamkeit und jederzeitige Korrekturfähigkeit, die doch keineswegs ein bloßes Manko ist, sondern das Verhälnis des Geistes zur Wirklichkeit, als eine ins Unendliche gehende Entwicklung, unentbehrlich ausdrückt. Zur Vereinigung dieser widerspruchsvollen Forderungen sehe ich nur den folgenden Weg, der über eine nochmalige Ansicht der apriorischen Sätze führt. Nachdem KANT, wie ich gezeigt habe, alle Erkenntnis auf ihnen erbaut hat, fährt er mit scheinbarer Paradoxie fort: weder der Satz der Kausalität, noch die Geometrie, noch die über alle Einzelerfahrung hinaus gültigen Verhältnisse der Zahlen, noch was es sonst an apriorischem Besitz geben mag, ist an und für sich schon eine Erkenntnis. All das sind leere Schemata, abstrakte Formeln, die eine Bedeutung erst in der Erfüllung mit Wahrnehmungsstoff gewinnen. Sie sind zwar dasjenige an der Erfahrung, wodurch sie eine Erkenntnis wird, was aber, für sich allein herausgezogen, keine Erkenntnis ist, sondern gleichsam nur der blutlose Schatten eines solchen, der freilich dessen Umrisse genau darstellt. Dies vorausgesetzt, bewegen sich alle für uns möglichen Erkenntnisse zwischen zwei Grenzen. Zu unterst steht das Wahrnehmungsurteil, das weder über das Objekt etwas aussagt, noch eine über den Einzelfall hinausgehende Geltung besitzt, sondern nur die Empfindungszustände des Subjekt in ihrer Reihenfolge konstatiert. Zu oberst stehen die apriorischen, unseren Verstand ausmachenden Sätze, die allgemein und deshalb für alle Objekte gelten, dafür aber die bloße leere Form von Erkenntnissen der Wirklichkeit sind. Das Erfahrungsurteil ist nun offenbar eine Zwischenstufe, ein Entwicklungsstadium zwischen jenen beiden Grenzfällen; es muß, nach der Konsequenz der kantischen Voraussetzungen, unzählige Abstufungen der Urteile geben, vom Wahrnehmungsurteil an, das noch nicht Erfahrung ist, bis zum apriorischen Satz, der es nicht mehr ist. Welche der Verstandeskategorien in Wirksamkeit treten soll, vor allem welchen Gewißheitsgrad das einzelne Urteil auf jener Skala einnehmen soll, - darüber entscheidet jedesmal die Art, die Häufigkeit, die Intensität der Sinneseindrücke; bestimmte Qualitäten und Quantitäten dieser lösen sozusagen das Funktionieren bestimmter Verstandeskategorien aus und bringen damit das Erfahrungsurteil zustande. Je reiner und reicher das Sinnenmaterial gegeben ist, desto unzweideutiger und beherrschender tritt die apriorische Verstandesform in Kraft, desto mehr also nähert sich das Urteil dem Geltungswert des apriorischen Satzes, den es freilich wegen des unvermeidlich mitwirksamen Sinnenstoffes nie ganz erreichen kann. Die apriorischen Sätze gleichen dem Typus von Idealen, mit deren Erreichung eine Entwicklung denjenigen Charakter völlig ändern würde, den sie durch die Richtung auf jene Ideale gewonnen hat. Die Versöhnung der beiden Ansprüche an das Erfahrungsurteil, daß es einerseits korrigierbar, andererseits notwendig, daß es einerseits sinnlich subjektiv, andererseits objektiv allgemein ist, erfolgt so, daß sowohl das einzelne Erfahrungsurteil wie ihre Gesamtheit sich auf dem Weg vom einen Extrem zum andern befindet, daß es in seiner Einheit einen relativen Anteil an jedem von beiden einschließt. Schon das flüchtigste Wahrnehmungsurteil dürfte mit einem ersten Ansatz an den Erfahrungsformen teilhaben, und das gefestigste empirische Urteil, dem mathematischen sich ins Unendliche nähernd, ist gegen eine Umänderung durch neue Wahrnehmungen nie absolut gesichert. Ein Erfahrungsurteil von absoluter Vollendung seiner objektiven Gültigkeit wäre keines mehr, sondern nur dessen abstrakt leere Form, gerade wie die Reduktion aus sein anderes Extrem, die Wahrnehmungsfolge, seine Bedeutung vernichten würde. Die geistesgeschichtliche Situation, in der, in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, die Renaissance der kantischen Lehre erfolgte, brachte es mit sich, daß man an ihr vor allem die Opposition gegen den gewöhnlichen Empirismus empfunden und nicht recht hervorgehoben hat, daß sie ja für die Praxis des Erkennens sich von diesem gar nicht so sehr weit entfernt. Gewiß lehnt KANT auf das Stärkste alle Versuche ab, die Mathematik und alle Sätze der gleichen Stufe empirisch zu begründen; allein ebenso stark - wenn auch nicht ebenso häufig - betont er doch auch, daß diese Sätze "für sich nicht Erkenntnisse sind"! Nur seinem reinen Begriff nach - d. h. in seiner nie erreichbaren Vollendung - hat ein Erfhahrungsurteil jene Objektivität und Notwendigkeit, wie KANT sie ihm zum Unterschied gegen das Wahrnehmungsurteil zuspricht. Der Inhalt eines wirklich vorliegenden Erfahrungsurteils deckt immer nur einen Teil der überempirischen Kategorie, der es seine mehr als subjektiv-momentane Gültigkeit verdankt. KANT äußert einmal in Bezug auf die metaphysische Bedeutung der Moral: den Sinn der Welt könne man nur in einem Menschen unter moralischen Gesetzen finden, - wenngleich nicht in einem Menschen nach moralischen Gesetzen. Das heißt: der Endzweck der Schöpfung, wenn man sich einen solchen denken will, ist nicht der sittlich vollendete Mensch, sondern der Mensch, der unter sittlichen Normen und Forderungen steht, wenngleich er sie immer nur in sehr verschiedenen Graden und nie in einem vollkommenem realisiert. Eben dies ist nun die innere Form des Erkenntnisprozesses: sein Wert hängt durchaus nicht davon ab, daß er jene Allgemeinheit und Notwendigkeit auch wirklich erreicht, von welcher, als seiner Norm und seinem Ziel, er dennoch allen Wert seiner einzelnen Stadien entlehnt. Die ganze Ratlosigkeit der modernen Intellektualität, ja der modernen Existenz, ihr niemals zielloses, aber immer zielfernes Streben konnte nicht kräftiger, ja - soweit KANT diesen Begriff gestattet - leidenschaftlicher ausgedrückt werden, als indem er, dessen ganzes Herz an den vollendeten Wahrheiten der Mathematik und der apriorischen Sätze hing, diesen dennoch den selbständigen Wert für die geistige Erfassung der vollen Wirklichkeit abgesprochen hat; und er überantwortete ihn ihren Vermählungen mit dem Wahrnehmungsubjektiv-zufälligen Sinnengebilde, deren Recht gleichsam "der ärgeren Hand" folgt und statt der Vollkommenheit die Entwickelbarkeit geerbt hat. Der moderne Entwicklungsgedanke ist in dieser Behauptung über das Wesen alles Erkennens überhaupt vorweggenommen, dem Erkennen ist für seine tiefste und allumfassende Form schon der Charakter erwachsen, dem seine Inhalte erst fast ein Jahrhundert später reif waren. - Noch einen weiteren Typus geistesgeschichtlicher Synthesen ordnet sich diese Lösung des Erkenntnisproblems ein. Gerade dasjenige, was aller Erkenntnis erst Inhalt und Bedeutung verschafft, die , hatte doch verhindert, daß sie zur unbedingten Gültigkeit und Objektivität aufsteigt; und andererseits: gerade dasjenige Erkenntniselement, das allen Wahrnehmungen erst Objektivität und übermomentane Gültigkeit verleiht, die Kategorien und Grundsätze des Verstandes, war an und für sich eine leere Formel, die erst Erkenntnis ermöglicht, wenn sie von ihrer Höhe herabsteigt und sich mit der Zufälligkeit des Empfindungsinhalts füllt. Und dies eben gehört jenem großen Typus an, den PLATO vorgezeichnet hat: keiner der Götter ergibt sich der Wissenschaft, - denn sie haben schon das Wissen; auch keiner der ganz Unwissenden tut es, - denn er trägt kein Begehr nach Wissen; wenn die Philosophen also weder die ganz Unwissenden sind noch die ganz Wissenden, so sind sie ersichtlich diejenigen, die zwischen diesen beiden vermitteln. Die tiefsten Probleme des Lebens gewinnen für uns diese typische Form. Die seelischen, schicksalsmäßigen, wertvollen Erscheinungen treten uns als Einheiten entgegen, mit denen als solchen unser Bewußtsein sozusagen nichts anzufangen weiß; um uns in sie einzufühlen, ihren Sinn nachbildend in uns erwachsen zu lassen, ziehen wir eine Zweiheit von Elementen aus jedem heraus, die, in einseitiger Absolutheit vorgestellt, durch gegenseitige Modifikationen die konkrete Erscheinung ergeben, so daß diese als Mischung oder Mittleres jener Extreme erscheint. So gilt die Entwicklung der Welt als der Kampf zwischen Gott und Teufel, ORMUZD und AHRIMAN; so deutet man das gesellschaftliche Dasein als die Resultante eines ansich nur individualistischen und eines ansich nur sozialen Triebes; so bringen wir die einheitlichen Gebilde der Kunst, der Lebensgestaltung, der Rede uns nur so nahe, daß wir ein Interesse an ihrer reinen Form neben ein Interesse an ihrem reinen Inhalt stellen und erst in der Synthese beider die Bedeutsamkeit des Ganzen erfassen. Mag dies ein Zirkel und eine Fiktion sein, die aus dem Einheitlichen und Beschränkten erst ein doppeltes Absolutes herausdichtet, um durch dessen gegenseitige Beschränkung jenes zurückzugewinnen, - so knüpft es sich doch wohl an die Grundtatsache des höheren organischen Lebens, daß nur aus der Vermischung zweier entgegengesetzter Potenzen eine neue Lebenseinheit entspringt; und jedenfalls scheint es die unvermeidliche Formel für unsere Geistesart zu sein, um die Einheit der Dinge, zu der wir keinen direkten Zugang haben, uns intellektuell zu assimilieren. So hat KANT zuerst die Intellektualität ihrem eigenen Gesetz unterworfen. Er hat dem Erkenntnisprozeß die stärkste dem Intellekt zugängige Einheit verliehen, indem er die beiden Elemente, die ihn sonst abwechselnd für sich beanspruchen würden, als die ansich unwirklichen Extreme erkannte, deren Verschmelzung und Gegenwirkung die einzig legitime Erkenntnis erzeugt. Damit ist bei KANT mehr als bei irgendeinem anderen Philosophen die Intellektualität Herr im eigenen Haus geworden: in allein einseitig sensualistischen wie einseitig rationalistischen Theorien des Erkennens verraten sich praktischere, jenseits des Intellekts wurzelnde Impulse des Gefühls und Willens. Innerhalb seines souveränen Intellektualismus aber zeigt sich nun eine Vertiefung und Verlebendigung, die die anderen Weltanschauungen nur durch ein Verlassen des intellektualistischen Prinzips gewonnen haben. Wir sahen: die Gesetze, die das Erkennen als einen Vorgang im Subjekt beherrschen, müssen auch für alle Gegenstände der Erkenntnis gelten. An diesem Grundgedanken aber, der insoweit die konstatierbaren Eigenschaften der Objekte bestimmt, kann man nun fernerhin den Charakter des Erkennens als einer Tätigkeit betonen. Jene Gesetze gelten für den Geist als für ein lebendiges, funktionierendes, handelndes Wesen; seine Inhalte, die den apriorischen Gesetzen unterworfenen Gegenstände der Erfahrung, sind deshalb nichts außerhalb der Funktion des Geistes, sie sind seine Taten. So bleibt an ihnen nichts Starres, Unlebendiges, Ungeistiges, da sie nun völlig in den Prozeß des Erfahrens aufgelöst sind. In außerordentlich einfachen Sätzen begründet KANT diesen entscheidenden Gedanken, an dem die Theorie des Erkennens in eine Weltanschauung übergeht.
Wenn wir also einen räumlichen Gegenstand anschauen, so ist daran das Gegebene, das wir passiv von der Wirklichkeit hinnehmen müssen, eine Summe ansich unverbundener punktueller Sinnesaffektionen, die Farbigkeiten und Tastbarkeiten des Gegenstandes. Zu einem räumlichen aber wird er, indem diese sozusagen unlokalisierten Eindrucksatome innerhalb unseres Bewußtseins verbunden werden. Damit sie einen bestimmten geformten Gegenstand bilden, muß das Bewußtsein aus jedem von ihnen zu jedem hinübergleiten, aus jedem herausgehen, ohne ihn doch verschwinden zu lassen, also eine Verbindung zwischen ihnen vollziehen, die aus keinem derselben für sich herauszuholen ist: die Räumlichkeit der Dinge ist eben diese Synthese, die der Geist unter den einzelnen Empfindungselementen stiftet, oder auch: ein Verhältnis zwischen ihnen, das sich aber aus ihrem jeweiligen Fürsichsein noch nicht ergibt, sondern erst dadurch, daß ein Geist sie in seiner Einheit zu gegenseitiger Berührung bringt. Nicht anders verhält es sich mit der Zeitlichkeit wahrgenommener Ereignisse. Daß sie nacheinander stattfinden, ist eine Formung derselben, die in den Wahrnehmungsinhalten selbst nicht enthalten ist. Um das Nacheinander von ihnen auszusagen, muß der schon verschwundene im Bewußtsein festgehalten und mit dem gegenwärtigen konfrontiert werden. Sie müssen über das an ihnen Wahrnehmbare hinaus, aufeinander bezogen werden. Eindrücken, Ereignissen, Schicksalen gegenüber mögen wir uns passiv, bloß aufnehmend verhalten; daß sie aber zugleich oder nacheinander sind, ist eine Art von Vergleich, den der Geist an ihnen vornimmt, ein Rangieren ihrer auf einer nicht in ihnen, sondern ihm gelegenen Linie, - nichts Freiwilliges oder Willkürliches freilich, das er durch den Willen gestalten oder umgestalten könnte, sondern eine gesetzmäßige Aktivität seiner, aber darum nicht weniger eine Aktivität. Nicht nur also die Kausalität, die Satzbildung, der Aufbau systematischer Gedanken gelingt durch ein aktives Schalten mit den geistigen Elementen, sondern schon die Wahrnehmung eines einzelnen Objekts, einer räumlichen Substanz, eines Geschehens in der Zeit bedarf einer zusammenfügenden Energie. Die formende Tätigkeit unseres Geistes enthüllt sich so als die Bedingung der elementarsten Vorstellungen, als die Bildnerin dessen, was wir unbefangenerweise als das schlechthin gegebene Material unserer Erkenntnisse hinzunehmen pflegen. Der hiermit skizzierte Gedanke: daß jegliche Form der Dinge - in der sie eben die tatsächlichen Gegenstände unserer Erfahrung sind - ein Tun des erkennenden Geistes, bildet den eigentlichen Kern des kantischen "Idealismus"; wir haben nun im Einzelnen zu untersuchen, wie sich unter seinem Einfluß die verschiedenen Schichten des Weltbildes gestalten. Die Deutung desselben, die KANT gibt, ruht durchaus auf dem Begriffspaar: Stoff und Form. Die Vorstellungswelt löst sich ihm auf in gegebene Materialien, die durch innere Energien geformt werden. Daß dies restlos geschehen kann, ist keineswegs selbstverständlich. Das Dasein gibt sich uns unmittelbar als eine bloße Wirklichkeit, die von sich aus die Zerlegung in Stoff und Formung nicht aufdrängt; wir zerspalten vielmehr das in seiner Einheit für uns nicht begreifbare Dasein in diese Kategorien, in denen wir es uns zuführen können. In ihrer praktischen Anwendung nun stellen sie sich sogleich als ein zweiter Gegensatz dar: Vielheit und Einheit. In jeglicher Formung wird eine Mehrheit von Elementen zur Einheit zusammengefaßt. Formen des Raumes, der gedanklichen Gebilde, des Erlebens, des Hör- und Fühlbaren bedeuten, daß das Verhältnis singulärer Elemente zueinander als eine Einheit ergriffen wird. Die bloße Summe solcher - zusammenhangloser - Elemente ist bloßer Stoff; er empfängt Form als Zusammenhang jener dadurch, daß aus der Gesamtheit aller Elemente überhaupt ein gewisser Teil ausgeschieden und als zusammengehörig allen anderen entgegengesetzt wird. Jede Formung ist Trennung: die Linie, durch die wir eine Form in eine Ebene hineingestalten, trennt eben einen Teil derselben vom anderen; und sie ist Vereinheitlichung: denn der eine Teil wird jetzt als eine Einheit dem anderen entgegengesetzt. Wenn wir einen Satz bilden, so fassen wir die Worte, deren keines für sich den Sinn trägt, als aufeinander bezogen, als zusammengehörig auf, und in dieser Einheit gewinnt der bloße Stoff der Worte, ohne eine quantitative Änderung, die Form des Satzes usw. Kurz: was wir Form nennen, ist, auf die Funktion hin angesehen, die es verwirklicht, die Vereinheitlichung des Stoffes: sie ist die Überwindung des isolierten Fürsichseins seiner Teile, deren Ganzheit nun, als eine Einheit aus den Teilen und über den Teilen, anderem, ungeformtem oder anders geformtem Stoff entgegengesetzt wird. Dies ist der sachliche - von KANT selbst nicht hervorgehobene - Zusammenhang, aus dem er, die Vorstellungswelt in Stoff und Form zerlegend, schließlich in den Einheiten die sich aus der Vielheit des Gegebenen bilden, den Drehpunkt seines Weltverständnisses erblicken kann. Ein gegebenes Mannigfaltiges der Sinnlichkeit, der Phantasie, des Denkens wird erst dadurch zu einer Erkenntnis, daß es geformt, d. h. vereinheitlicht wird, zu einem einheitlichen Sinn zusammenwächst. Diese Vereinheitlichung nämlich erst schafft aus jenem Stoff ein objektives Gebilde. Wenn ich den Sonnenschein und dann ein Wärmegefühl empfinde, so sind dies Tatsachen, die nur in meinem subjektiven Bewußtsein aneinandergereiht sind und insofern noch keine Erkenntnis ergeben. Entsteht aber der Satz: "Der Sonnenschein ist die Ursache der Wärme", - so sind in ihm die beiden Begriffe aus dem bloßen Nacheinander in eine Einheit übergegangen, ein einheitlicher Prozeß faßt sie zusammen, - und eben damit sind sie objektiviert, an die Stelle der Zufälligkeit meiner Empfindungen ist ein sachliches Verhältnis der Elemente getreten, das von allem bloß Subjektiven unabhängig ist. Der objektive Gegenstand entsteht, indem die einzelnen Sinnesempfindungen zu einer Einheit, die sie aneinanderhält, kristallisieren; dadurch werden sie das, was man die Eigenschaften des Dings nennt. Wenn die Empfindungen süß, hart, weiß usw. eine unmittelbare Zusammengehörigkeit gewinnen, so werden sie zu dem Objekt Zucker, dessen Einheit nun jene Empfindungen als seine Qualitäten besitzt. Ebenso entsteht das objektive Urteil, indem Subjekt und Prädikat, statt durch bloße psychologische Assoziation in einem persönlichen Bewußtsein aneinanderzustoßen, durch das Wort "ist" verbunden werden. Denn dies bedeutet nun einerseits das einheitliche Ineinandersein der beiden Begriffe, eine Innigkeit der Verschmelzung zu einem Sinn, für die es in der Außenwelt gar keine Analogie gibt; und es bedeutet andererseits die Realität des Zusammenhangs, der nun von Subjekten wiederholt oder nicht wiederholt werden mag, ohne daß seine sachliche Gültigkeit hiervon noch irgendwie abhängen würde. So ist also die Einheit des Gegenstandes und die Objektivität seiner Erkenntnis ein und dasselbe, der Prozeß, der zu jener führt, erzeugt eben damit auch diese; wie KANT es ausdrückt: "Alsdann sagen wir, wir erkennen den Gegenstand, wenn wir in dem Mannigfaltigen seiner Anschauung Einheit bewirkt haben." Es ist ein grundlegender Gedanke von wunderbarer Tiefe: wir erkennen den Gegenstand, indem wir ihn als Gegenstand erzeugen. Wir entheben unsere Vorstellungsinhalte der fließenden Zufälligkeit des momentanen Bewußtseins und machen sie zu Gegenständen, zu einer Welt der Dinge, und eben damit haben wir sie erkannt; d. h. wir durchschauen sie als Objekte, finden unsere Forderungen an logische Harmonie und begreiflichen Zusammenhang an ihnen verwirklicht, weil sie eben durch die Anwendung dieser Normen zu Objekten geworden sind. Die früheren Erörterungen über das Apriori haben gezeigt, daß der Geist jeden möglichen Inhalt seiner Erfahrung in die ihm einwohnenden, ihn ausmachenden Formen aufnimmt, so daß alles, was wir erfahren, diese Formen zeigen muß, weil es nur durch deren Anwendung zur Erfahrung wird. Unter diesem Satz ist nun die tiefere Schicht aufgegraben: die Vereinheitlichung des Mannigfaltigen hat sich als die ganz allgemeine Funktion erwiesen, die, aus dem Subjekt hinausführend, das Objekt als solches überhaupt schafft und, in das Subjekt hineinführend, die Erkenntnis desselben bedeutet, - beides aber als ein und derselbe Akt, der von diesen beiden Seiten her betrachtet werden kann. Objektivierung bedeutet die Fixierung und Sicherung, die sich die diffusen Sinnesmaterialien vermöge ihrer Vereinheitlichung gegenseitig gewähren, während das Gelingen eben dieser Vereinheitlichung zugleich die Ansprüche befriedigt, die unser Erkenntnistrieb stellt. ![]() |