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Kants Lehre von der Einbildungskraft [mit besonderer Rücksicht auf die "Kritik der Urteilskraft"] [2/2]
Die kopernikanische Wendung Die sogenannte kopernikanische Wendung der Kritik der reinen Vernunft bedeutete den metaphysischen Spekulationen vorkritischer Zeiten gegenüber insofern eine tiefe Revolution der Denkart, als sie das alte Fundament aller Philosophie, den Grundsatz: Das Erkennen richtet sich nach der Beschaffenheit der Dinge, in sein Gegenteil verkehrt hat. Unser Weltbild richtet sich nach unserer Art zu erkennen, zu urteilen, zu wollen, zu fühlen. Unsere Erkenntnis verdankt die ihr eigentümlichen Züge der Ordnung und Gesetzmäßigkeit nicht einer schon in der Welt ansich vorgebildete Einheit und Gesetzmäßigkeit, die wir nur konstatieren, nur abbilden, sondern den vor aller Erfahrung schon im Subjekt bereit liegenden Tendenzen zur Einheit und Form, den Anschauungs- und Verstandesformen des Bewußtseins. Das Bewußtsein schreibt den Erscheinungen die Gesetze vor, die in seiner eigenen Struktur las Erkennendes überhaupt liegen. - Was die Welt ansich ist, ob Ordnung in ihr unabhängig vom menschlichen Erkennen ist oder nicht, darüber etwas auszumachen, steht uns nicht zu. Wir können nur feststellen, daß diejenige Gesetzmäßigkeit und Ordnung, welche wir an den Erscheinungen bemerken, aus der Struktur des Erkennens selbst stammen und sind infolgedessen zu der Annahme gezwungen, daß, ungeachtet einer doch vielleicht in der Welt ansich gegebenen Ordnung und Gesetzmäßigkeit die Erscheinungen ohne Spontaneität des Subjekts, ohne räumliche und zeitliche Anschauungsformen, ohne Verstandesbegriffe, ohne regulative Prinzipien der Vernunft, wenigstens für uns als eine chaotische Gegebenheit, ewig ohne Einheit, zeitlos und raumlos, als ein "Gewühl", als eine "Rhapsodie" [auf Fragmenten bestehend - wp] an unserem Bewußtsein vorübergleiten würden, wenn das Subjekt in untätiger Passivität verharrt. Allein der Spontaneität des Bewußtseins, seinen produktiven Fähigkeiten und seiner eigenartigen Struktur ist es zuzuschreiben, daß es uns gelingt, das Chaos zu lichten, Gruppen aus der fließenden Mannigfaltigkeit zu Einheiten zusammenzufassen, in ein zeitliches Nacheinander und räumliches Nebeneinander zu ordnen, Überflüssiges auszuscheiden, Fehlendes zu ergänzen, analytisch zu zergliedern und synthetisch zu immer höheren Einheiten zu verschmelzen, um so schließlich das Mannigfache in einer Erkenntnis zu begreifen. - Es ist nur zu natürlich, daß eine solche "Wendung" zu einer höheren Einschätzung der produktiven Fähigkeiten und Vermögen der Seele führen mußte. Am vorteilhaftesten mußte die Betonung der Produktivität und Spontaneität für dasjenige Vermögen ausfallen, das auch die empirische Psychologie bereits für die Produktivität in der Erinnerung, in der Dichtung, im Traum verantwortlich gemacht hatte, für die Einbildungskraft. Hatte die vorkantische Psychologie ihre Wirksamkeit lediglich im Reproduktiven, in der Hervorbringung des Scheins, in Hirngespinsten, Erdichtungen, Fieberträumen gesehen, hatte die kantische Psychologie, wie ich gezeigt habe, ihre Wirksamkeit schon sehr weit in den normalen Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozeß hinein verlegt, KANTs Transzendentalphilosophie mußte ihre Wirkung noch weiter ausdehnen und die Einbildungskraft am Werk sehen, wo nur immer es auf Produktivität innerhalb des transzendentalen Aktes der "Weltkomposition" ankommt. Die Einbildungskraft, die in dieser Form mit dem empirischen Vermögen nur noch den Charakter der Produktivität (auch im Reproduktiven) gemeinsam hat, wurde also, da sich die übrigen Vermögen in der Einschränkung auf bloße Rezeptivität (z. B. Sinnlichkeit) oder auf reine Begrifflichkeit (z. B. Verstand) für die neue "Wendung" als zu spröde erwiesen haben, in alle Tätigkeiten der Psyche mehr oder weniger offen hineingelegt; sie wurde zur (wenn auch ungekrönten) Königin der Vermögen. So ist die Lehre von den drei Synthesen, in der die Einbildungskraft zum Rang eines Weltschlüssels aufsteigt, aufzufassen als eine Erörterung über die Produktivität des Subjekts. Wenn die Kritik es als ihre Hauptaufgabe angesehen hatte, die wirklich stattfindende Erkenntnis bis zu ihren logischen Bedingungen (Zeit, Raum, Verstandes- und Vernunftbegriffe) zu zergliedernund deren Gültigkeit zu beweisen, so ist die Lehre von den drei Synthesen (die "psychologische Deduktion") der Versuch, den transzendentalen Akt der "Weltkomposition" mit den Mitteln der zeitgenössischen Psychologie als Akt anschaulich zu machen. Der Empiriker vermag psychologisch den Aufbau der Erfahrung durch drei Stadien hindurch zu verfolgen: Apprehension, Reproduktion und Rekognition. 1. Die Apprehension. Gegeben ist ein Mannigfaltiges, bestehend aus vielen im Gemüt zerstreuten, einzelnen Wahrnehmungen. Wir verdanken ihr Auftauchen in unserem Bewußtsein der Rezeptivität der Sinnlichkeit. In einem Akt, den KANT die Apprehension durch die Einbildungskraft (die wir ja auch in den anthropologischen Schriften als dasjenige Vermögen kennen gelernt haben, welches bei der Aneignung des Gegebenen durch den Sinn die aktive Rolle spielt) nennt, werden die Einzeldaten ergriffen. 2. Die Reproduktion (oder Assoziation). Dieses sporadische Aufnehmen von Einzelheiten in unserem Bewußtsein würde jedoch nie zu einer geschlossenen Wahrnehmung (zu "einem Bild") führen, wenn es nicht im Subjekt eine Fähigkeit gäbe, diese Einzeldaten sukzessiv zu durchlaufen, sie zu Reihen assoziieren, das zeitlich Frühere solange festzuhalten, bis es mit dem zeitlich Späteren in einem simultanen Akt zusammengefaßt, komprehendiert werden kann. - Die fragliche Fähigkeit ist abermals die Einbildungskraft und zwar in ihrer reproduktiven und assoziativen Funktion. KANT nennt diesen Teil des Wahrnehmungsaktes die Synthesis der Reproduktion durch die Einbildungskraft. 3. Die Rekognition. Schließlich würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein, ohne das Bewußtsein, "daß das, was wir denken, eben dasselbe ist, was wir im Augenblick zuvor gedacht haben", ohne "das empirische Bewußtsein der Identität dieser reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen". KANT nennt diesen Akt die Rekognition. Auch sie wird möglich, durch die Einbildungskraft. Soweit vermag also Empirie dem Geheimnis der wahrnehmenden Erkenntnis nachzugehen. Damit befinden wir uns jedoch an der Grenze des emprischen Bewußtseins. Das Fragebedürfnis des Erkenntnistheoretikers ist jedoch nicht erschöpft. Die auf Reproduktion gestellte Assoziation nämlich würde unmöglich etwas anderes ergeben als "regellose Haufen", würde niemals zu einer einheitlichen Verbindung in einer mit allen anderen verträglichen Anschauung führen, wenn nicht bereits vor jenen Synthesen der objektive Grund für die Assoziabilität (und zwar nicht einer beliebigen, sondern der auf die Möglichkeit einer einheitlichen Erkenntnis gerichteten Assoziabilität) in einer gewissen Affinität der Erscheinungen gegeben wäre. Mit dieser Affinitiät muß es eine ganz besondere Bewandtnis deshalb haben, weil in ihr zugleich die Lösung des Geheimnisses ruhen muß der Gültigkeit unserer Urteile, der Anwendbarkeit unserer in sich schlüssigen Denkoperationen auf die Erscheinungen. Diese Affinität kann nicht ihren Grund haben in der Beschaffenheit einer Welt der Dinge-ansich, wie die alte dogmatische Philosophie meinte (denn sonst wäre eine Lösung des Problems der Urteilsgültigkeit ausgeschlossen), sondern - und darin offenbart sich die "kopernikanische Wendung" - sie muß dem chaotischen Material der Sinne durch einen vorbewußten Akt von allgemein verbindlicher Bedeutung erteilt werden. Auch sie muß ein freilich vorbewußtes Produkt des erkennenden Subjekts sein. In einer transzendentalen Synthesis, die all jenen empirischen Synthesen vorangeht, wird den "Gegebenheiten" diejenige Form erteilt, die ihre Assoziabilität zu einer Erfahrung ermöglicht und zugleich die Gültigkeit der Denkoperationen garantiert. Auch diese oberste Synthese, dieser Schlüssel zu allem, was wir wahrnehmend erkennen, wird von KANT der Einbildungskraft, dem "Vermögen der Synthesis" zugeschrieben. Sie ist es, welche vorbewußt allen Erscheinungen jene besondere Nuance gibt, die ihre Affinität heißt.
Auch im Transzendentalen handelt es sich also ganz analog dem Empirischen um Apprehension, Reproduktion und Rekognition, freilich um Synthesen, die völlig vom Empirischen gereinigt sind. "Wir haben also eine reine Synthesis der Apprehension" (Seite 100), auch die "reproduktive Synthesis der Einbildungskraft gehört zu den transzendentalen Handlungen des Gemüts" (Seite 102), und der empirischen Apperzeption (der Rekognition) liegt eine "ursprüngliche, transzendentale Apperzeption zugrunde (Seite 107). Hatte es die empirische Apprehension mit den empirischen Sinnesdaten zu tun, so wendet sich die transzendentale nur auf die reine Anschauungsform, die Zeit. Verlief die empirsche Reproduktion nach den Gesetzen des Assoziationsverlaufs, so ist die transzendentale davon frei, sie unterliegt Gesetzen, die sie gewissermaßen vom Verstand "leiht"; bezog sich die empirische Apperzeption auf das Bewußtsein von Gegenständen, so bezieht sich die reine Apperzeption lediglich auf das reine Ich, auf das Selbstbewußtsein. Wie im Empirischen die Einbildungskraft der Motor war, der die Synthesen ermöglichte, so ist es im Transzendentalen das gleiche Vermögen, welches hinter den Synthesen steht. Was bei dieser transzendentalen Synthesis erzeugt wird, ist keine fertige Erfahrung, nicht Empirie, sondern die "bloße Form einer möglichen Erfahrung". Die fragliche Assoziabilisierung der Erscheinungen durch die Einbildungskraft erfolgt also nicht nach den empirischen Regeln der Phantasieverknüpfung, sondern "gemäß" jenen apriorischen Regeln, die unsere logische Analyse aus aller fertigen Erfahrung herauslösen kann. Die rein formale Einheit der Erfahrung gründet sich auf die Anschauungsformen der Zeit und des Raumes und auf die Formen der kategorialen Verknüpfung, und diese sind es also, welche die Einbildungskraft im Akt der transzendentalen Synthesis den Gegenständen verleiht, zwar nicht direkt, aber doch in schematischer Form.
"Beide äußersten Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen mittels dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen." (Seite 125)
Das nahe Verwandtschaftsverhältnis, in welchem die transzendentale Einbildungskraft und der Verstand in der Kritik der reinen Vernunft zueinander stehen, kommt nicht allein zum Ausdruck durch die Wendung; die Einbildungskraft verfahre "gemäß" dem Verstand, sondern auch durch Wendungen, die von einer "Proportion" beider Vermögen zur bestimmten Erkenntnis, von einer "Einhelligkeit im Spiel" der Vermögen reden. - Diese Version wird uns im Zusammenhang mit dem ästhetischen Problem noch näher beschäftigen. Gemeint ist natürlich nicht, daß beide Vermögen im transzendentalen Akt "tätig" sind. Tätig, d. h. "im Spiel" ist eigentlich nur ein Vermögen, das zugleich der Inbegriff aller seelischen Tätigkeit ist, die Einbildungskraft, sie richtet sich nach dem Verstand, um eine bequemere Formel zu gebrauchen, sie verfährt so, als ob sie der Verstand selbst ist. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß der Verstand überhaupt nie und nirgends tätig ist. Die Domäne des Verstandes ist die nachträgliche begriffliche Verarbeitung der Welt. Der Komposition dieser Welt jedoch, die Assimilierung einer unserer Sinnlichkeit gegebenen "Welt ansich", die unseren Sinne ewig chaotisch und unserem Verstand ewig unzugänglich bleibt, ohne den unbestimmten vorbereitenden Akt der Schematisierung "gemäß" dem Verstand, verdanken wir allein unserer auf den Verstand abgestimmten transzedentalen Einbildungskraft. der Kritik der ästhetischen Urteilskraft a) Einbildungskraft und Verstand Diesen psychologisierenden Ausführungen in der "Kritik der reinen Vernunft" liegen nun entsprechende Vorstellungen in der "Kritik der Urteilskraft" parallel. Obwohl die Kritik der Urteilskraft sich bemüht, beide Erkenntnisarten, die begriffliche des Intellekts und die ganz begriffslose der ästhetischen Kontemplation auf das Schärfste voneinander zu trennen, läßt sie doch eine wesentliche Gemeinsamkeit für beide verstehen: dasjenige, was ich im Anschluß an die Kr. d. r. V. die Assoziabilisierung der Erscheinungen genannt habe, die transzendentale Synthesis, die vorbewußte rein formale Erschaffung einer zwar begriffslosen, aber doch einheitlich anschaulichen Welt durch die Einbildungskraft. Offenbar liegt die Entscheidung, ob der Beschauer eines Objekts an seine Wahrnehmung des Gegenstandes, an den Eintritt einer Vorstellung in sein empirisches Bewußtsein ein kategoriales oder ein ästhetisches Urteil knüpfen wird, a posteriori. Der transzendentale Akt ist also für den Gegenstand des ästhetischen Verhaltens genauso verbindlich, wie er für den Gegenstand einer intellektuellen Handlung verbindlich ist, und das Geheimnis der Gültigkeit des ästhetischen Urteils schlummert kraft der kopernikanischen Wendung KANTs im gleichen transzendentalen Akt wie das Geheimnis der Gültigkeit des Verstandesurteils. So scharf also auch die Kritik der Urteilskraft ihr Gebiet abgrenzt von den begrifflichen Deduktionen der Kr. d. r. V., so wenig verläßt sie doch die gemeinsame Basis, die Lehre von der transzendentalen Synthesis. Und wie es dort eine psychologische Version gab, welche die Aufgabe hatte, die transzendentale Deduktion zu illustrieren, so gibt es auch hier eine solche psychologische Jllustration, die sich unmittelbar an jene anschließt und sie nach derjenigen Seite fortzubilden trachtet, nach der überhaupt die Kritik der Urteilskraft die Kr. d. r. V. fortbilden möchte, nach der Seite des Gefühls. Die "psychologischen Deduktionen" der Kr. d. r. V. schildert uns die vorbewußte Entstehung unserer Anschauungswelt, die Kritik der Urteilskraft, die sich im Übrigen nur auf jene zu berufen braucht, schildert uns die Gefühlsseite dieser Entstehung. Die Antwort auf die Frage: Welche Momente innerhalb der Assoziabilisierung der Erscheinungen durch transzendentale Akte der Einbildungskraft machen das ästhetische Urteil möglich? wird bereits in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft (Seite XLIIf) gegeben. Es ist dort die Rede von der Gefühlsseite des Apprehensionsvorganges. Wir hatten diesen Vorgang nur kennengelernt in seiner "Beziehung auf einen Begriff zu einer bestimmten Erkenntnis". Hier erfahren wir nun, daß die Apprehension überhaupt (mit oder ohne jene Beziehung), mit dem Gefühl der Lust oder Unlust verbunden sein kann, d. h. eine Beziehung zur apprehendierenden Subjekt haben kann. Während die Kritik der Urteilskraft die Frage nach der Struktur des Gegebenen, Mannigfaltigen völlig offen läßt und nur von derjenigen Struktur redet, die ihm durch vorbewußte Akte erteilt wird, erfahren wir hier, daß das Gegebene so etwas wie eine Struktur auch unabhängig vom Akt der transzendentalen Synthese schon hat. Zar wird auch hier nicht gesagt, worin diese transzendente (?) Struktur des Gegebenen besteht, es wird jedoch gezeigt, daß eine zufällige besondere Form des Gegebenen seine Apprehension erleichtern oder erschweren kann, daß eine Form des Gegebenen also von sich aus dem Apprehensionsvorgang (der ja, wie wir gesehen haben, auf Reproduktion und Rekognition beruth) gemäßer sein kann als eine andere Form. In dieser zufälligen formalen Angemessenheit des Gegenstandes, in dieser bloß formalen subjektiven Zweckmäßigkeit für die apprehendierende Syntheses, die "vor aller Erkenntnis eines Objekts vorhergeht", liegt nun nach KANT der Grund für die Gültigkeit und Allgemeinverbindlichkeit des ästhetischen Urteils. Denn, eine solche Erleichterung bzw. Erschwerung der Apprehension kommt - das liegt in der psychologischen Struktur des Apprehensionsvorgangs überhaupt begründet - dem Subjekt als Lust, bzw. Unlust zum Bewußtsein, und zwar jedem Subjekt, sofern es überhaupt apprehendiert; ist also allgemein.
Die Tatsache, daß bei der Apprehension eines Gegenstandes Lust empfunden wird, besagt etwas über die Leichtigkeit dieser "verstandesgemäßen" Apprehension, und diese wiederum etwas über die
Die Tatsache, daß beim Akt der Synthesis die Einbildungskraft "verstandesgemäß" wirksam ist, in einer "Proportion" zum Verstand steht, seinen Regeln entsprechend verfährt, pflegt uns sond nicht bewußt zu werden, nur im Falle des schönen Gegenstandes, d. h. eines Gegenstandes, der diese "verstandesgemäße" Synthesis durch eine zufällige Besonderheit seiner Form besonders begünstigt, kommt uns die durchgängige Beziehung der transzendentalen Einbildungskraft auf den Verstand, in Form eines Lustgefühls zu Bewußtsein. Eines Lustgefühls, das deshalb zum Träger allgemeinverbindlicher Urteile gemacht werden kann, weil es zwar auf einer Zufälligkeit, aber doch auf einer für alle gleichartig apprehendierenden Geschöpfe verbindlichen Zufälligkeit beruth. Das ist mit jener sonderbaren Formel von der "Vergleichung des Verstandes mit der Einbildungskraft" im ästhetischen Urteil gemeint. Mit dieser Darstellung hoffe ich zwei Vorwürfen zu begegnen, die der kantischen Ästhetik häufig gemacht werden und die einander widersprechen. Die eine besagt: KANT habe den Prozeß der "Erschaffung des Schönen" auf das Spiel der freien Phantasie, der Jllusion gestellt. - KANTs transzendentale Einbildungskraft hat mit der frei assoziierenden Einbildungskraft nichts als den Namen gemeinsam, sie ist der Inbegriff der höchsten Spontaneität und Produktivität der Seele, die nicht willkürlich, sondern im höchsten Grad diszipliniert bei der Ausübung ihrer weltschöpfenden Akte verfährt, die nicht nur die ganze Welt unserer Anschauungen in ihrer "verstandesgemäßen" synthetischen Geschlossenheit (in der Form, in welcher erst bestimmte Begriffe auf sie anwendbar sind), vor unser Bewußtsein stellt, sondern auch die besondere formale Eignung eines Gegebenen zu einer solchen Verbindung unserem Gefühl anzeigt. Die Schönheit eines Gegenstandes entsteht nicht unabhängig von der Entstehung des Gegenstandes durch einen besonderen Akt der Phantasie, sondern kommt zum Bewußtsein gelegentlich des alles Sinnliche verpflichtenden und verbindenden Aktes der transzendentalen Synthesis. Die Apprehension eines "schönen" Gegenstandes nur dadurch, daß im Fall des ersten die Apprehension durch eine zufällige formale Zweckmäßigkeit des Gegenstandes erleichtert wird. Ein zweiter Vorwurf, der KANT oft gemacht wird, ist der, daß er den Prozeß der "Schöpfung des Schönen" intellektualisiert hat. Verkannte jener Vorwurf den Charakter der Einbildungskraft in der Formel von der Proportion der im ästhetischen Akt beteiligten Vermögen, so überschätzt dieser die Beteiligung des Verstandes am Akt der Synthesis. Was die transzendentale Synthesis hervorbringt, ist nicht fertige, begrifflich (d. h. mit Kategorien) durchsetzte Erkenntnis, sondern lediglich synthetische Einheit, das ist Zusammenstimmung der Elemente zur Einheit, also anschauliche, rein formale Eignung zu einer möglichen begrifflichen Verarbeitung. Der Verstand ist bei diesem Akt selbst überhaupt nicht beteiligt. Die Einbildungskraft allein ist der Schöpfer aller Anschauung, sie bedient sich dabei, wie gesagt, unbestimmter anschaulicher Schemata, die den Verstandeskategorien "gemäß" sind, nicht aber bestimmter Kategorien. Die Wahrheit liegt also in der Mitte. Ich hatte in der Einleitung zu dieser Abhandlung den schönen Gegenstand als ein Grenzprodukt bezeichnet, das bei der Auseinandersetzung der Seele mit den Empfindungen entsteht, und das man folglich außerhalb einer erkenntnistheoretischen Fragestellung mit gutem Recht sowohl behandeln kann als ob es "gegeben", wie auch als ob es rein subjektiven Ursprungs ist. Jetzt sehen wir, daß diese Auffassung derjenigen KANTs gar nicht so fern steht. Die ästhetische Beschaffenheit des Gegenstandes, seine Zweckmäßigkeit für die Apprehension hat seine subjektive und seine objektive Komponente. Beide sind streng genommen untrennbar. Zufällige Angemessenheit des Gegenstandes an die "verstandesmäßige" Apprehension einerseits und die "verstandesmäßige" Apprehension selbst andererseits ergeben zusammenwirkend das Gefühl der Lust. Und auch KANT sieht die Möglichkeit, dieses Gefühl der Lust bzw. sein Korrelat, die subjektive Zweckmäßigkeit des Gegenstandes, anzusehen, "gleich als ob es ein mit den Erkenntnissen des Objekts verbundenes Produkt wäre." (Seite XLVI) Besonders erschwert wird meine Auffassung von der Einbildungskraft als eines "diszipliniert" verfahrenden Vermögens durch die kantische Terminologie, welche gern vom "Spiel" der Erkenntnisvermögen, sogar vom "freien" Spiel der Gemütskräfte in diesem Zusammenhang redet.
Eine sehr interessante Erläuterung erfährt meine Auffassung durch KANTs Definition des Geschmacks als "Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes in Beziehung auf die freie Gesetzmäßigkeit der Einbildungskraft" (Seite 69). Dort heißt es ausdrücklich, daß, wenn im Geschmacksurteil die Einbildungskraft in ihrer Freiheit betrachtet wird, sie
Die Einbildungskraft verfährt also im vorästhetischen Verhalten genau wie im vorlogischen, gleichsam nur als ob sie der Verstand selbst ist, in Wahrheit aber handelt es sich auch hier um ein und dasselbe Gestimmtsein der Einbildungskraft auf den Verstand als das Vermögen der Regeln. Es ist dies ein Gestimmtsein nicht auf die Zwölfzahl der Kategorien, sondern auf alle Möglichkeiten, rein formale Einheit in der Mannigfaltigkeit zu stiften. KANT hatte das Gefühl der ästhetischen Lust geschildert als hervorgerufen durch eine formale subjektive Zweckmäßigkeit des Gegenstandes für den Akt der transzendentalen Synthesis. Schön ist ein Gegenstand, dessen Anschauung (d. h. Synthesis) von dieser Lust begleitet ist. Nun kann sich aber seiner Meinung nach im Akt der Synthesis noch ein anderes Gefühl offenbaren, ein "Geistesgefühl", wie er es nennt (Seite XLVIII), in welchem die Befähigung unseres Vermögens der Synthesis für die Erledigung seiner Aufgabe im höchsten Sinn zum Bewußtsein kommt. Wir können im Akt der Synthesis eines Gegenstandes die Eignung bzw. die Mängel unseres Vermögens nicht nur für die verstandesgemäße, sondern auch für die "vernunftgemäße" Apprehension dieses Gegenstandes fühlen. "Das Schöne kommt darin mit dem Erhabenen überein, daß beides für sich selbst gefällt." Ferner darin,
"Allein es sind auch namhafte Unterschiede zwischen beiden in die Augen fallend. Das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstand zu finden, sofern Unbegrenztheit an ihm oder durch dessen Veranlassung vorgestellt und durch Totalität derselben hinzugedacht wird: so daß das Schöne für die Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs genommen zu werden scheint." "Auch ist das letztere der Art nach von dem ersteren Wohlgefallen gar sehr verschieden, indem diese (das Schöne) direkt ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei sich führt, jenes aber (das Gefühl des Erhabenen) eine Lust ist, welche indirekt entspringt, nämlich so, daß sie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich folgenden desto stärkeren Ergießung derselben erzeugt wird." (Seite 75) Es entpuppt sich also die transzendentale Einbildungskraft, wenn auch in diesem Zusammenhang nur andeutungsweise, als diejenige Funktion, welche im Ernstfall die Erscheinungen, wie VAIHINGER (24) es formuliert, nicht abbildet, sonderm in intellektuellen und im höchsten moralischen Sinn assimiliert, welche aber auch im Ästhetischen, d. h. in jenem nichtintellektuellen, aber doch verstandesgemäßen Spiel, diese ihre Beziehungen zum geistigen und moralischen Leben des Menschen nicht verleugnet, sondern überhaupt erst im Gefühl zum Bewußtsein bringt. Diese Beziehung zum Leben ist also nicht so gemeint, als haben wir etwa im Gefühl für das Schöne ein Kontrollorgan für die niederen lebensfördernden und hemmenden Gegebenheiten, welche unmittelbar an die Befriedigung unserer animalischen Bedürfnisse appellieren (für das "Nützliche" und "Angenehme"). Der Trieb der seelischen Selbsterhaltung im Chaos der Empfindungen ist vielmehr höherer und besonderer Art, das Gefühl der Lust, welches uns die Betätigung dieses Triebes beim "interesselosen" Akt der ästhetischen Apprehension gewährt, wird auf das Schärfste vom Nützlichen und Angenehmen abgegrenzt. Im "Schönen" kommt uns also nicht nur die rein formale Eignung einer gegebenen (transzendentalen) Struktur für den Akt der Apprehension, sondern auch die rein formale Eignung unseres Apprehensionsvermögens für seine hohe Aufgabe, der verstandesgemäßen, d. h. einheitlichen Assimilation des Gegebenen lustvoll zum Bewußtsein. Es ist eine Art höheren geistigen Lebensgefühls, welches uns der schöne Gegenstand vermittelt. KANT wegen dieser Beziehungen der transzendentalen Synthesis zum Intellekt, einen Intellektualismus in der Ästhetik bezichtigen zu wollen, würde dennoch zu weit gehen, denn die Einbildungskraft stiftet im fraglichen Akt nur die anschauliche Einheit, nicht die begriffliche des Verstandes (obwohl jene für diese die notwendige Vorbedingung abgibt). Wie steht es nun mit dem "Erhabenen"? Die (Kritik der reinen Vernunft) hatte gezeigt, daß und wie die theoretische Bewältigung der Welt, nicht nur eine Beurteilung der Anschauungen durch Verstandesbegriffe ist, sondern daß sich diese Beurteilung unter der Regie oberster "Aufgaben", höchöster Vernunftprinzipien vollzieht. Die Beurteilung der Erscheinungen ist nicht nur ein gleichgültiges theoretisches Unternehmen, sondern eine moralische Tat. - Eine vorlogische transzendentale Synthesis durch die Einbildungskraft muß also nicht nur, wenn sie höchsten Anforderungen genügen soll, in der schon geschilderten Weise Beziehungen zum Verstand, muß nicht nur verstandes"gemäß" sein, sondern darüber hinaus Beziehungen zur Vernunft haben, sie muß "vernunftgemäß" sein. - Und auch für unsere Eignung zu dieser "vernunftgemäßen" Synthesis haben wir ein Organ. (Ich umgehe auch hier das Transzendental-Logische, was KANT zum "Erhabenen" ausführt, obwohl meiner Überzeugung nach auch hier der Schwerpunkt des Beweises KANTs beim Transzendental-Logischen zu suchen ist und halte mich an die psychologischen Ausführungen, also an diejenigen Ausführungen, welche den logischen Beweisgang psychologisch illustrieren sollen.) Der Begriff des "Erhabenen" ist ein Begriff der Größenschätzung. Wir verbinden mit der Vorstellung eines großen Gegenstandes eine Art von Achtung, mit der des kleinen Gegenstandes eine Art von Verachtung. Wie aber geht Größenschätzung zunächst im Empirischen vor sich?
Nach diesem empirischen Muster denkt sich KANT den transzendental-logischen Vorgang bei der Entstehung des Erhabenen. - Transzendental ist der Vorgang, denn hier handelt es sich um ganz unempirische Dinge, um Vorbewußtes, Apriorisches, um das Absolut-Große und sein Verhältnis zur Totalität.
Nicht faktisch sind jedoch bei dem Versuch der Apprehension und Comprehension des "erhabenen" Gegenstandes beide Vermögen Vernunft und Einbildungskraft gleichmäßig im Spiel, sondern die Einbildungskraft allein übernimmt die Rolle der Vernunft, versucht "gemäß" der Vernunftidee (Totalität) zu operieren. Indem sie dabei ihr Maximum (als sinnliches Vermögen) überschreitet, verliert sie ihren Charakter der Einbildungskraft und wird gleichsam selbst "Vernunft". Aus ihrer Unzulänglichkeit zu diesem Unternehmen ergibt sich das lustvoll-unlustvolle Gefühl, in welchem uns der moralische Charakter der Synthesis, der Assimilation des Gegebenen zum Bewußtsein kommt.
Wie die transzendentale Einbildungskraft in der Lehre von den Synthesen (der Kr. d. r. V.) als diejenige biologische Funktion aufgefaßt werden kann, welche instinktartig die Mannigfaltigkeit des Gegebenen zu einer Bewußtseinswelt, der Struktur des Ich anähnelt, assimiliert, wie weiter in der Lehre vom Schönen diese Auffassung von der alles Gegebene umspannenden biologischen Funktion der Einbildungskraft ergänzt wird, dadurch, daß sie hier in Beziehung gesetzt erscheint zum Lebensgefühl (zur geistigen Selbstbehauptung), so zeigt uns die Lehre vom Erhabenen welcher Art diese Selbstbehauptung durch Aneignung eigentlich ist, daß es sich nämlich dabei um die "Aufgabe" einer Verarbeitung des Gegebenen "gemäß" den Vernunftideen, gemäß also den obersten moralischen Gesetzen handelt. Der reine Verstand ist also bloß das Reservoir der Regeln, die reine Vernunft bloß das Reservoir der Ideen, die transzendentale Einbildungskraft jedoch ist der Inbegriff aller seelischen Spontaneität, die das Gegebene nicht bloß ergreift und zu Reihen zusammenbindet, nicht bloß zeitlich und räumlich ordnet, sondern ihre eigene einheitliche Struktur hineinlegt, sie also verstandesgemäß gestaltet und schließlich die höchsten moralischen Anforderungen in ihnen zu verwirklichen sucht, sie erst macht die geordnete Anschauungswelt, in welcher wir bewußt leben, sie fühlt sich im Schönen ihren Aufgaben gewachsen und im Erhabenen fühlt sie die moralische Größe ihrer "Aufgabe". Damit endet unser Weg von der facultas imaginandi oder fingendi eines BAUMGARTEN durch die Dunkelheiten der transzendentalen Deduktion hindurch zu den Höhen der Lehre vom Schönen und Erhabenen. Es ist ein Weg, der den eigentlichen Bestand der Kritiken, die Beweiskraft der transzendentalen Deduktion nicht berührt; es steht, wie KANT sagt, jedem frei, hier zu "meinen", aber es ist doch ein konsequenter Weg, eine schöne psychologische Jllustration zu KANTs umfassender genialer Weltansicht, die aus der vorbewußten apriorischen Auseinandersetzung des Ich mit der - unbekannt wir strukturierten - Gegebenheit nicht nur eine schöne, d. h. verstandes"gemäße", sondern auch eine erhabene, d. h. vernunft"gemäße" Sinnenwelt entstehen läßt. Was ich im Einzelnen zu beweisen versuchte, ist, daß die Lehre von der Einbildungskraft in der Kritik der Urteilskraft eine gerade Fortsetzung der "psychologischen Deduktion" der Kr. d. r. V. ist (die Kritik der Urteilskraft schildert gewissermaßen die Gefühlsseite der transzendentalen Synthesis), genauso wie die "psychologische Deduktion" die Weiterbildung der Bemühungen der kantischen Psychologie um den Begriff der Einbildungskraft ist. Dem Terminus "Spiel" der Einbildungskraft habe ich dabei einen besonderen Sinn gegeben, der die transzendentale Einbildungskraft abgrenzt von der empirischen Phantasie. Wie ich mich überhaupt bemühte, das empirisch psychologische Vorbild in KANTs Gedankengängen von der transzendental psychologischen Konstruktion zu unterscheiden. In die kantische Wendung, welche von der "Proportion" der Vermögen redet, versuchte ich Licht zu bringen, indem ich die Selbständigkeit der transzendentalen Einbildungskraft gegenüber Verstand und Vernunft betonte, die ihrerseits bloße theoretische oder ideale Bezirke bezeichnen, während die Einbildungskraft als Inbegriff aller seelischen Spontaneität zu gelten hat. Schließlich suchte ich die Lehre von der transzendentalen Einbildungskraft KANTs locker mit derjenigen Anschauung zu verknüpfen, zu welcher ich mich in der Einleitung bekannt habe und welche besagt, daß der Gegenstand (auch der "schöne" Gegenstand) ein Grenzprodukt einer Auseinandersetzung unserer spontanen sinnlichen Funktion mit den Gegebenheiten der Sinne ist, eine Abbreviatur, welche unsere Möglichkeit zu handeln, bzw. zu fühlen zum Ausdruck bringt. ![]()
20) Ich gebe diese Zusammenhänge, da die 2. Auflage die psychologischen Ingredenzien zum größten Teil wieder ausgeschieden hat, nach der Ausgabe von 1781. Auch diese Ausscheidung muß als ein Beweis dafür gelten, daß Kant der sogenannten "psychologischen Deduktion" keinen Wert für sein eigentliches transzendental-logisches Geschäft beigemessen hat und stützt so meine Behauptung von der bloß illustrativen Bedeutung der pychologischen Partien in der Kritik. 21) Alfred Menzel, Kants Kritik der reinen Vernunft, Seite 71 22) Hölder, Darstellung der kantischen Erkenntnistheorie, Tübingen 1879, Seite 19; ebenso Vaihinger (Kommentar I, 486), sind der Ansicht, daß man diese vorbewußten Funktionen, den in der Sinnlichkeit wirkenden Verstand nennen, daß man "nichts anderes als den unbewußt arbeitenden Verstand" darunter verstehen kann. 23) Leibniz kannte noch diese eine Grundkraft der Seele, die vis representativa universi, auch Tetens hypostasierte [vergegenständlichte - wp] eine solche Grundkraft als "das Vermögen, Einwirkungen zu empfangen und daraufhin mit einer gewissen Selbsttätigkeit zu reagieren, Kant wird gestört durch den hypothetischen Charakter einer solchen Annahme; er bestreitet die "Erkennbarkeit" (vgl. Vorlesung über Metaphysik, Pölitz, Seite 193). 24) Hans Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob, Seite 3f. |