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RAYMUND SCHMIDT
Kants Lehre von der
Einbildungskraft

[mit besonderer Rücksicht auf die
"Kritik der Urteilskraft"]
[2/2]

"Das Assimilieren des Gegebenen, die Auseinandersetzung der Seele mit dem Chaos der Empfindungen, ihre Ordnung und Vereinheitlichung geschieht nicht lediglich aus einem rein theoretischen Grund, nicht lediglich aus dem Grund einer intellektuellen Selbstbehauptung, sondern darüber hinaus aus dem Grund der moralischen Selbstbehauptung und moralischen Selbstentfaltung des Subjekts."


Die kopernikanische Wendung

Die sogenannte kopernikanische Wendung der Kritik der reinen Vernunft bedeutete den metaphysischen Spekulationen vorkritischer Zeiten gegenüber insofern eine tiefe Revolution der Denkart, als sie das alte Fundament aller Philosophie, den Grundsatz: Das Erkennen richtet sich nach der Beschaffenheit der Dinge, in sein Gegenteil verkehrt hat. Unser Weltbild richtet sich nach unserer Art zu erkennen, zu urteilen, zu wollen, zu fühlen. Unsere Erkenntnis verdankt die ihr eigentümlichen Züge der Ordnung und Gesetzmäßigkeit nicht einer schon in der Welt ansich vorgebildete Einheit und Gesetzmäßigkeit, die wir nur konstatieren, nur abbilden, sondern den vor aller Erfahrung schon im Subjekt bereit liegenden Tendenzen zur Einheit und Form, den Anschauungs- und Verstandesformen des Bewußtseins. Das Bewußtsein schreibt den Erscheinungen die Gesetze vor, die in seiner eigenen Struktur las Erkennendes überhaupt liegen. - Was die Welt ansich ist, ob Ordnung in ihr unabhängig vom menschlichen Erkennen ist oder nicht, darüber etwas auszumachen, steht uns nicht zu. Wir können nur feststellen, daß diejenige Gesetzmäßigkeit und Ordnung, welche wir an den Erscheinungen bemerken, aus der Struktur des Erkennens selbst stammen und sind infolgedessen zu der Annahme gezwungen, daß, ungeachtet einer doch vielleicht in der Welt ansich gegebenen Ordnung und Gesetzmäßigkeit die Erscheinungen ohne Spontaneität des Subjekts, ohne räumliche und zeitliche Anschauungsformen, ohne Verstandesbegriffe, ohne regulative Prinzipien der Vernunft, wenigstens für uns als eine chaotische Gegebenheit, ewig ohne Einheit, zeitlos und raumlos, als ein "Gewühl", als eine "Rhapsodie" [auf Fragmenten bestehend - wp] an unserem Bewußtsein vorübergleiten würden, wenn das Subjekt in untätiger Passivität verharrt. Allein der Spontaneität des Bewußtseins, seinen produktiven Fähigkeiten und seiner eigenartigen Struktur ist es zuzuschreiben, daß es uns gelingt, das Chaos zu lichten, Gruppen aus der fließenden Mannigfaltigkeit zu Einheiten zusammenzufassen, in ein zeitliches Nacheinander und räumliches Nebeneinander zu ordnen, Überflüssiges auszuscheiden, Fehlendes zu ergänzen, analytisch zu zergliedern und synthetisch zu immer höheren Einheiten zu verschmelzen, um so schließlich das Mannigfache in einer Erkenntnis zu begreifen. -

Es ist nur zu natürlich, daß eine solche "Wendung" zu einer höheren Einschätzung der produktiven Fähigkeiten und Vermögen der Seele führen mußte. Am vorteilhaftesten mußte die Betonung der Produktivität und Spontaneität für dasjenige Vermögen ausfallen, das auch die empirische Psychologie bereits für die Produktivität in der Erinnerung, in der Dichtung, im Traum verantwortlich gemacht hatte, für die Einbildungskraft. Hatte die vorkantische Psychologie ihre Wirksamkeit lediglich im Reproduktiven, in der Hervorbringung des Scheins, in Hirngespinsten, Erdichtungen, Fieberträumen gesehen, hatte die kantische Psychologie, wie ich gezeigt habe, ihre Wirksamkeit schon sehr weit in den normalen Wahrnehmungs- und Vorstellungsprozeß hinein verlegt, KANTs Transzendentalphilosophie mußte ihre Wirkung noch weiter ausdehnen und die Einbildungskraft am Werk sehen, wo nur immer es auf Produktivität innerhalb des transzendentalen Aktes der "Weltkomposition" ankommt. Die Einbildungskraft, die in dieser Form mit dem empirischen Vermögen nur noch den Charakter der Produktivität (auch im Reproduktiven) gemeinsam hat, wurde also, da sich die übrigen Vermögen in der Einschränkung auf bloße Rezeptivität (z. B. Sinnlichkeit) oder auf reine Begrifflichkeit (z. B. Verstand) für die neue "Wendung" als zu spröde erwiesen haben, in alle Tätigkeiten der Psyche mehr oder weniger offen hineingelegt; sie wurde zur (wenn auch ungekrönten) Königin der Vermögen.

So ist die Lehre von den drei Synthesen, in der die Einbildungskraft zum Rang eines Weltschlüssels aufsteigt, aufzufassen als eine Erörterung über die Produktivität des Subjekts. Wenn die Kritik es als ihre Hauptaufgabe angesehen hatte, die wirklich stattfindende Erkenntnis bis zu ihren logischen Bedingungen (Zeit, Raum, Verstandes- und Vernunftbegriffe) zu zergliedernund deren Gültigkeit zu beweisen, so ist die Lehre von den drei Synthesen (die "psychologische Deduktion") der Versuch, den transzendentalen Akt der "Weltkomposition" mit den Mitteln der zeitgenössischen Psychologie als Akt anschaulich zu machen.


Die Lehre von den Synthesen (20)

Der Empiriker vermag psychologisch den Aufbau der Erfahrung durch drei Stadien hindurch zu verfolgen: Apprehension, Reproduktion und Rekognition.

1. Die Apprehension. Gegeben ist ein Mannigfaltiges, bestehend aus vielen im Gemüt zerstreuten, einzelnen Wahrnehmungen. Wir verdanken ihr Auftauchen in unserem Bewußtsein der Rezeptivität der Sinnlichkeit. In einem Akt, den KANT die Apprehension durch die Einbildungskraft (die wir ja auch in den anthropologischen Schriften als dasjenige Vermögen kennen gelernt haben, welches bei der Aneignung des Gegebenen durch den Sinn die aktive Rolle spielt) nennt, werden die Einzeldaten ergriffen.

2. Die Reproduktion (oder Assoziation). Dieses sporadische Aufnehmen von Einzelheiten in unserem Bewußtsein würde jedoch nie zu einer geschlossenen Wahrnehmung (zu "einem Bild") führen, wenn es nicht im Subjekt eine Fähigkeit gäbe, diese Einzeldaten sukzessiv zu durchlaufen, sie zu Reihen assoziieren, das zeitlich Frühere solange festzuhalten, bis es mit dem zeitlich Späteren in einem simultanen Akt zusammengefaßt, komprehendiert werden kann. - Die fragliche Fähigkeit ist abermals die Einbildungskraft und zwar in ihrer reproduktiven und assoziativen Funktion. KANT nennt diesen Teil des Wahrnehmungsaktes die Synthesis der Reproduktion durch die Einbildungskraft.

3. Die Rekognition. Schließlich würde alle Reproduktion in der Reihe der Vorstellungen vergeblich sein, ohne das Bewußtsein, "daß das, was wir denken, eben dasselbe ist, was wir im Augenblick zuvor gedacht haben", ohne "das empirische Bewußtsein der Identität dieser reproduktiven Vorstellungen mit den Erscheinungen". KANT nennt diesen Akt die Rekognition. Auch sie wird möglich, durch die Einbildungskraft.

Soweit vermag also Empirie dem Geheimnis der wahrnehmenden Erkenntnis nachzugehen. Damit befinden wir uns jedoch an der Grenze des emprischen Bewußtseins. Das Fragebedürfnis des Erkenntnistheoretikers ist jedoch nicht erschöpft. Die auf Reproduktion gestellte Assoziation nämlich würde unmöglich etwas anderes ergeben als "regellose Haufen", würde niemals zu einer einheitlichen Verbindung in einer mit allen anderen verträglichen Anschauung führen, wenn nicht bereits vor jenen Synthesen der objektive Grund für die Assoziabilität (und zwar nicht einer beliebigen, sondern der auf die Möglichkeit einer einheitlichen Erkenntnis gerichteten Assoziabilität) in einer gewissen Affinität der Erscheinungen gegeben wäre. Mit dieser Affinitiät muß es eine ganz besondere Bewandtnis deshalb haben, weil in ihr zugleich die Lösung des Geheimnisses ruhen muß der Gültigkeit unserer Urteile, der Anwendbarkeit unserer in sich schlüssigen Denkoperationen auf die Erscheinungen.

Diese Affinität kann nicht ihren Grund haben in der Beschaffenheit einer Welt der Dinge-ansich, wie die alte dogmatische Philosophie meinte (denn sonst wäre eine Lösung des Problems der Urteilsgültigkeit ausgeschlossen), sondern - und darin offenbart sich die "kopernikanische Wendung" - sie muß dem chaotischen Material der Sinne durch einen vorbewußten Akt von allgemein verbindlicher Bedeutung erteilt werden. Auch sie muß ein freilich vorbewußtes Produkt des erkennenden Subjekts sein. In einer transzendentalen Synthesis, die all jenen empirischen Synthesen vorangeht, wird den "Gegebenheiten" diejenige Form erteilt, die ihre Assoziabilität zu einer Erfahrung ermöglicht und zugleich die Gültigkeit der Denkoperationen garantiert.

Auch diese oberste Synthese, dieser Schlüssel zu allem, was wir wahrnehmend erkennen, wird von KANT der Einbildungskraft, dem "Vermögen der Synthesis" zugeschrieben. Sie ist es, welche vorbewußt allen Erscheinungen jene besondere Nuance gibt, die ihre Affinität heißt.
    "Die Einbildungskraft ist also auch ein Vermögen einer Synthesis a priori, weswegen wir ihr den Namen der produktiven Einbildungskraft geben, und sofern sie in Anbetracht alles Mannigfaltigen der Erscheinung nichts weiter als die notwendige Einheit in der Synthesis derselben zur Absicht hat, kann diese die transzendentale Funktion der Einbildungskraft genannt werden. Es ist daher befremdlich, allein ... doch einleuchtend, daß nur mittels dieser transzendentalen Funktionen der Einbildungskraft sogar die Affinität der Erscheinungen, mit ihr die Assoziationen und durch diese endlich die Reproduktionen nach Gesetzen, folglich die Erfahrung selbst, möglich werden, weil ohne sie gar keine Begriffe von Gegenständen in eine Erfahrung zusammenfließen würden." (Kr. d. r. V. 123)
Wie denkt sich nun KANT den Akt der Assoziablisierung der Erscheinungen? Keine Introspektion kann ihm Auskunft geben über Vorgänge, die allem Bewußtsein vorhergehen. Die transzendentale Funktion ist bei ihrer Tätigkeit nicht zu belauschen. Er erdenkt etwas "einer Hypothese Ähnliches", wie er sich ausdrückt, er stattet diese Hypothese aus per analogiam (21) zu den bewußten Prozessen (den oben angeführten drei empirischen Synthesen); sein Leitgedanke dabei ist, und dadurch bekommt die Hypothese ihre besondere Färbung: seine Lehre von der Zeit, vom Raum und von den Kategorien, also vom objektiv logischen Apriori in den psychologischen Zusammenhang hineinzuverweben und so neben der transzendental-philosophischen Rechtfertigung zugleich eine transzendental-psychologische Jllustration seiner Lehre von der Gültigkeit der Denkoperationen zu liefern.

Auch im Transzendentalen handelt es sich also ganz analog dem Empirischen um Apprehension, Reproduktion und Rekognition, freilich um Synthesen, die völlig vom Empirischen gereinigt sind. "Wir haben also eine reine Synthesis der Apprehension" (Seite 100), auch die "reproduktive Synthesis der Einbildungskraft gehört zu den transzendentalen Handlungen des Gemüts" (Seite 102), und der empirischen Apperzeption (der Rekognition) liegt eine "ursprüngliche, transzendentale Apperzeption zugrunde (Seite 107). Hatte es die empirische Apprehension mit den empirischen Sinnesdaten zu tun, so wendet sich die transzendentale nur auf die reine Anschauungsform, die Zeit. Verlief die empirsche Reproduktion nach den Gesetzen des Assoziationsverlaufs, so ist die transzendentale davon frei, sie unterliegt Gesetzen, die sie gewissermaßen vom Verstand "leiht"; bezog sich die empirische Apperzeption auf das Bewußtsein von Gegenständen, so bezieht sich die reine Apperzeption lediglich auf das reine Ich, auf das Selbstbewußtsein.

Wie im Empirischen die Einbildungskraft der Motor war, der die Synthesen ermöglichte, so ist es im Transzendentalen das gleiche Vermögen, welches hinter den Synthesen steht. Was bei dieser transzendentalen Synthesis erzeugt wird, ist keine fertige Erfahrung, nicht Empirie, sondern die "bloße Form einer möglichen Erfahrung".

Die fragliche Assoziabilisierung der Erscheinungen durch die Einbildungskraft erfolgt also nicht nach den empirischen Regeln der Phantasieverknüpfung, sondern "gemäß" jenen apriorischen Regeln, die unsere logische Analyse aus aller fertigen Erfahrung herauslösen kann. Die rein formale Einheit der Erfahrung gründet sich auf die Anschauungsformen der Zeit und des Raumes und auf die Formen der kategorialen Verknüpfung, und diese sind es also, welche die Einbildungskraft im Akt der transzendentalen Synthesis den Gegenständen verleiht, zwar nicht direkt, aber doch in schematischer Form.
    "Nach diesen müssen durchaus alle Erscheinungen so ins Gemüt kommen oder apprehendiert werden, daß sie zur Einheit der Apperzeption zusammenstimmen, welches ohne synthetische Einheit in ihrer Verknüpfung, die folglich auch objektiv notwendig ist, unmöglich sein würde." (Seite 122)
Das ist nun freilich nicht so zu verstehen, als ob die Einbildungskraft sich wie der Verstand unmittelbar der Kategorien bedient; sie ist kein Vermögen der Begriffe, aber ihr Vorgehen ist dennoch kategorial. Sie schafft sich in unbegrenzter Zahl Schemata, das sind allgemeine, unbestimmte Gemeinbilder möglicher bestimmter Anschauungsbilder, eine Art anschauliches Gegenstück zu den rein begrifflichen Kategorien. Sie subsumiert also nicht, wie der Verstand es tut, die Erscheinungen unter die bestimmten Begriffe der Quantität, Qualität, Relation und Modalität, sondern unter ein diesen Begriffen entsprechendes "anschauliches" Schema. So entspricht der Quantität das allgemeine Schema der Zeitreihe, der Qualität das allgemeine Schema des Zeitinhalts, der Relation das allgemeine Schema der Zeitordnung und der Modalität das allgemeine Schema des Zeitinbegriffs usw. Der Verstand wirkt beim transzendentalen Akt, bei der "produktiven Synthesis der Einbildungskraft" mit, nicht aktiv, als das "Vermögen zu denken", sondern, wie KANT es ausdrückt, als das "Vermögen der Regeln", er bietet in seinen Kategorien der Einbildungskraft gewissermaßen die Muster, nach denen sie die Schemata zu schaffen hat, welche die Erscheinungen im Sinn der Einheit des Ich "assoziabilisierbar" machen; er gibt ihr gewissermaßen den Ton an, auf den sie die Erscheinungen stimmen muß, damit die kategorialen Denkoperationen des Verstandes auch nachträglich für sie "gelten". Die Einbildungskraft verfährt als gewissermaßen "verständig", den Regeln des Verstandes "gemäß". Und so kommt es, daß, obwohl er aktiv an dieser Operation nicht beteiligt ist,
    "der reine Verstand mittels der Kategorien ein formales und synthetisches Prinzipium aller Erfahrungen ist, und die Erscheinungen eine notwendige Beziehung auf den Verstand haben." (Seite 119)
Ich will nicht tiefer in die Labyrinthe der transzendentalen Deduktion eindringen. Aus meiner Aufstellung ist jedenfalls soviel ersichtlich, daß die Einbildungskraft im Akt der transzendentalen Synthesis, den man so, wie ihn KANT schildert, den Schöpfungsakt der ganzen und bewußten (unbegrifflichen) inneren und äußeren Erfahrungswelt nennen könnte, den übrigen Vermögen gegenüber eine überragende Rolle spielt. Die Sinnlichkeit steht ohne sie da ohne Fähigkeit, selbständig einen Eindruck festzuhalten (in der Synopsis durch den Sinn ist die Einbildungskraft der Motor); ihr bleibt die bloße Rezeptivität des Spiegels, an welchem kein Bild haftet. Der Verstand steht wenigstens in diesem Akt neben ihr als bloßes richtunggebendes Prinzip, ein Organon, dem "gemäß" die Einbildungskraft verfährt. Diese allein wird zum Träger der ganzen geordneten Wahrnehmungswelt, soweit sie nicht "begrifflich" ist, und auf diese Weise zum Träger unserer gesamten Erkenntnis, soweit sie sich auf Wahrnehmungen des inneren und äußeren Sinnes bezieht.
    "Wir haben also eine reine Einbildungskraft als ein Grundvermögen der menschlichen Seele, das aller Erkenntnis a priori zugrunde liegt."

    "Beide äußersten Enden, nämlich Sinnlichkeit und Verstand, müssen mittels dieser transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen." (Seite 125)
Die Kritik der reinen Vernunft ist also weit davon entfernt die Einbildungskraft im Sinne der Phantasie der alten Schule aufzufassen, gewissermaßen als ein Vermögen der Träume und Hirngespinste. Sie nimmt sie vielmehr als ein in ihrer Wirkungsweise dem Verstand zumindest verwandtes Vermögen. Man hat deshalb nicht ohne gewisse Berechtigung die Einbildungskraft den in der Sinnlichkeit wirkenden "unbewußten" Verstand (22) genannt (KANT selbst benutzt häufig die Wendung: die Einbildungskraft sei eine Wirkung des Verstandes auf die Sinnlichkeit). Dazu stimmt die seltsam anmutende Definition, welche KANT in der Kritik von ihr gibt: sie sei ein Grundvermögen der menschlichen Seele,
    "eine blinde, obgleich unentbehrliche Funktion, ohne die wir überall gar keine Erkenntnis haben würden, der wir uns aber selten einmal bewußt sind."
Wir befinden uns hier auf dem Höhepunkt der Entwicklung des kantischen Begriffs der Einbildungskraft. In vorhergehenden Ausführungen hatten wir gezeigt, wie in der empirisch-psychologischen Auffassung KANTs gegenüber der bescheideneren Formulierung BAUMGARTENs eine starke Expansionskraft lag; wir hatten gesehen, wie die Einbildungskraft dominierend in die ganze Sphäre der Sinne eingedrungen ist. Hier tritt uns nun die Einbildungskraft entgegen in idealer Konkurrenz mit dem obersten Erkenntnisvermögen, dem Verstand selbst. Zwar hat KANT den letzten Schritt der restlosen Identifikation von Verstand und transzendentaler Einbildungskraft offen nie vollzogen. Es bleibt bei seinem "gemäß", bei seinem "gestimmt auf", ich aber sehe, daß sich die Grenzen verwischen und die einzige schwache Nuance bleibt die Differenz zwischen "bewußt" und "unbewußt". Warum aber KANT die Trennung zumindest im Terminus aufrecht erhalten hat, warum er selbst nicht Verstand und Einbildungskraft identifizierte, wird einleuchtend, wenn man sich klar macht, daß damit seine ganze Position in Frage gestellt wäre. Er hätte sein System mit einer solchen Identifikation dem absoluten Idealismus ausgeliefert, dem FICHTE später verfallen ist, als er glaubte, in KANTs Bahnen zu wandeln. Das kopernikanische Prinzip, welches - grob gesprochen - den Unterschied zwischen der Subjekt- und der Objektseite der Welt aufrecht erhalten hat, dadurch, daß einmal (auf der Seite des Objekts) die transzendentale Einbildungskraft die Erscheinungen dem Verstand gemäß präparierte, das andere Mal (auf der Seite des Subjekts) der denkende und urteilende Verstand zu den so präparierten Erscheinungen begrifflich Stellung genommen hat, wäre bei einer solchen Identifikation nicht aufrecht zu erhalten. Dennoch schimmert die Einheit aller Vermögen in der produktiven Fähigkeit der Seele, deren Abarten die einzelnen Vermögen nur sein können, und mit der KANT aus Gründen vermeintlicher intellektueller Sauberkeit (23) nichts zu tun haben wollte, durch den Schleier dieser Transzendentalpsychologie hindurch. Es ist ein- und dieselbe Seele, die einmal "unbewußt" den Kategorien gemäß Einheit stiftet im Chaos des Gegebenen (und dann Einbildungskraft genannt wird), das andere Mal "bewußt" Begriffe und Erscheinungen anwendet und sie kategorial verknüpft (und dann Verstand genannt wird) durch beide hindurch wirkt die Spontaneität des Ich. -
    "Es ist ein- und dieselbe Spontaneität, welche dort unter dem Namen der Einbildungskraft, hier unter dem Namen des Verstandes Verbindung in das Mannigfaltige der Anschauungen hineinbringt",
heißt es in einer von der Darstellung der ersten Auflage etwas abweichende Version (Kr. d. r. V., B 162 Anm.).

Das nahe Verwandtschaftsverhältnis, in welchem die transzendentale Einbildungskraft und der Verstand in der Kritik der reinen Vernunft zueinander stehen, kommt nicht allein zum Ausdruck durch die Wendung; die Einbildungskraft verfahre "gemäß" dem Verstand, sondern auch durch Wendungen, die von einer "Proportion" beider Vermögen zur bestimmten Erkenntnis, von einer "Einhelligkeit im Spiel" der Vermögen reden. - Diese Version wird uns im Zusammenhang mit dem ästhetischen Problem noch näher beschäftigen. Gemeint ist natürlich nicht, daß beide Vermögen im transzendentalen Akt "tätig" sind. Tätig, d. h. "im Spiel" ist eigentlich nur ein Vermögen, das zugleich der Inbegriff aller seelischen Tätigkeit ist, die Einbildungskraft, sie richtet sich nach dem Verstand, um eine bequemere Formel zu gebrauchen, sie verfährt so, als ob sie der Verstand selbst ist. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß der Verstand überhaupt nie und nirgends tätig ist. Die Domäne des Verstandes ist die nachträgliche begriffliche Verarbeitung der Welt. Der Komposition dieser Welt jedoch, die Assimilierung einer unserer Sinnlichkeit gegebenen "Welt ansich", die unseren Sinne ewig chaotisch und unserem Verstand ewig unzugänglich bleibt, ohne den unbestimmten vorbereitenden Akt der Schematisierung "gemäß" dem Verstand, verdanken wir allein unserer auf den Verstand abgestimmten transzedentalen Einbildungskraft.


Die Funktion der Einbildungskraft in
der Kritik der ästhetischen Urteilskraft


a) Einbildungskraft und Verstand

Diesen psychologisierenden Ausführungen in der "Kritik der reinen Vernunft" liegen nun entsprechende Vorstellungen in der "Kritik der Urteilskraft" parallel. Obwohl die Kritik der Urteilskraft sich bemüht, beide Erkenntnisarten, die begriffliche des Intellekts und die ganz begriffslose der ästhetischen Kontemplation auf das Schärfste voneinander zu trennen, läßt sie doch eine wesentliche Gemeinsamkeit für beide verstehen: dasjenige, was ich im Anschluß an die Kr. d. r. V. die Assoziabilisierung der Erscheinungen genannt habe, die transzendentale Synthesis, die vorbewußte rein formale Erschaffung einer zwar begriffslosen, aber doch einheitlich anschaulichen Welt durch die Einbildungskraft. Offenbar liegt die Entscheidung, ob der Beschauer eines Objekts an seine Wahrnehmung des Gegenstandes, an den Eintritt einer Vorstellung in sein empirisches Bewußtsein ein kategoriales oder ein ästhetisches Urteil knüpfen wird, a posteriori. Der transzendentale Akt ist also für den Gegenstand des ästhetischen Verhaltens genauso verbindlich, wie er für den Gegenstand einer intellektuellen Handlung verbindlich ist, und das Geheimnis der Gültigkeit des ästhetischen Urteils schlummert kraft der kopernikanischen Wendung KANTs im gleichen transzendentalen Akt wie das Geheimnis der Gültigkeit des Verstandesurteils.

So scharf also auch die Kritik der Urteilskraft ihr Gebiet abgrenzt von den begrifflichen Deduktionen der Kr. d. r. V., so wenig verläßt sie doch die gemeinsame Basis, die Lehre von der transzendentalen Synthesis. Und wie es dort eine psychologische Version gab, welche die Aufgabe hatte, die transzendentale Deduktion zu illustrieren, so gibt es auch hier eine solche psychologische Jllustration, die sich unmittelbar an jene anschließt und sie nach derjenigen Seite fortzubilden trachtet, nach der überhaupt die Kritik der Urteilskraft die Kr. d. r. V. fortbilden möchte, nach der Seite des Gefühls.

Die "psychologischen Deduktionen" der Kr. d. r. V. schildert uns die vorbewußte Entstehung unserer Anschauungswelt, die Kritik der Urteilskraft, die sich im Übrigen nur auf jene zu berufen braucht, schildert uns die Gefühlsseite dieser Entstehung.

Die Antwort auf die Frage: Welche Momente innerhalb der Assoziabilisierung der Erscheinungen durch transzendentale Akte der Einbildungskraft machen das ästhetische Urteil möglich? wird bereits in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft (Seite XLIIf) gegeben.

Es ist dort die Rede von der Gefühlsseite des Apprehensionsvorganges. Wir hatten diesen Vorgang nur kennengelernt in seiner "Beziehung auf einen Begriff zu einer bestimmten Erkenntnis". Hier erfahren wir nun, daß die Apprehension überhaupt (mit oder ohne jene Beziehung), mit dem Gefühl der Lust oder Unlust verbunden sein kann, d. h. eine Beziehung zur apprehendierenden Subjekt haben kann. Während die Kritik der Urteilskraft die Frage nach der Struktur des Gegebenen, Mannigfaltigen völlig offen läßt und nur von derjenigen Struktur redet, die ihm durch vorbewußte Akte erteilt wird, erfahren wir hier, daß das Gegebene so etwas wie eine Struktur auch unabhängig vom Akt der transzendentalen Synthese schon hat. Zar wird auch hier nicht gesagt, worin diese transzendente (?) Struktur des Gegebenen besteht, es wird jedoch gezeigt, daß eine zufällige besondere Form des Gegebenen seine Apprehension erleichtern oder erschweren kann, daß eine Form des Gegebenen also von sich aus dem Apprehensionsvorgang (der ja, wie wir gesehen haben, auf Reproduktion und Rekognition beruth) gemäßer sein kann als eine andere Form. In dieser zufälligen formalen Angemessenheit des Gegenstandes, in dieser bloß formalen subjektiven Zweckmäßigkeit für die apprehendierende Syntheses, die "vor aller Erkenntnis eines Objekts vorhergeht", liegt nun nach KANT der Grund für die Gültigkeit und Allgemeinverbindlichkeit des ästhetischen Urteils. Denn, eine solche Erleichterung bzw. Erschwerung der Apprehension kommt - das liegt in der psychologischen Struktur des Apprehensionsvorgangs überhaupt begründet - dem Subjekt als Lust, bzw. Unlust zum Bewußtsein, und zwar jedem Subjekt, sofern es überhaupt apprehendiert; ist also allgemein.
    "Wenn mit der bloßen Auffassung (Apprehension) der Form eines Gegenstandes der Anschauung, ohne Beziehung derselben auf einen Begriff zu einer bestimmten Erkenntnis Lust verbunden ist, so wird die Vorstellung dadurch nicht auf das Objekt, sondern lediglich auf das Subjekt bezogen, und die Lust kann nichts anderes als die Angemessenheit desselben zu den Erkenntnisvermögen, die in der reflektierten Urteilskraft im Spiel sind und sofern sie darin sind, also bloß eine subjektive formale Zweckmäßigkeit des Objektes ausdrücken." (Seite XLVI)
Bei der Schilderung der Entstehung jenes ästhetischen Lustgefühls im Apprehensionsvorgang bedient sich nun KANT einer eigentümlichen Formel:
    "Jene Auffassung der Formen in die Einbildungskraft kann niemals geschehen, ohne daß die reflektierende Urteilskraft, auch unabsichtlich, sie wenigstens mit ihrem Vermögen, Anschauungen auf Begriffe zu beziehen, vergleicht. Wenn nun in dieser Vergleichung die Einbildungskraft (als Vermögen der Anschauungen apriori) zum Verstand, als Vermögen der Begriffe, durch eine gegebene Vorstellung unabsichtlich in Einstimmung versetzt wird und dadurch das Gefühl der Lust erweckt wird; so muß der Gegenstand alsdann als zweckmäßig für die reflektierende Urteilskraft angesehen werden." (Seite XLIV).
Was hat nun diese seltsame Formulierung, aus der meines Erachtens eine deutliche Parallelbeziehung zur Kr. d. r. V. spricht, zu besagen? Inwiefern vor allen Dingen ist der Verstand an der Entstehung des Lustgefühls beteiligt? - Ich muß zur Erläuterung dieser Stelle zurückverweisen auf das im Zusammenhang mit der Lehre von den Synthesen Gesagte. Auch dort war von einer Beziehung der Einbildungskraft zum Verstand, von einer Proportion der beiden Vermögen die Rede, die ich glaubte, so interpretieren zu müssen, daß ich die Einbildungskraft als den "blind" wirkenden Verstand gekennzeichnet habe, als die spontane, produktive, vorbewußte Urkraft, welche das Gegebene "verstandesgemäß" bearbeitet, indem ich aber die direkte Mitwirkung des Verstandes abgelehnt habe. Hier nun verhält es sich ähnlich. Die Einbildungskraft (hier ausdrücklich als das transzendentale Vermögen der Anschauungen a priori kenntlich gemacht) ist auch im ästhetischen Akt darauf eingestellt, das Gegebene "verstandesgemäß", d. h. schematisch, in das Stadium überzuführen, das KANT die Affinität oder Assoziabilität der Erscheinungen nannte. Ist nun ein Gegebenes von sich aus formal so beschaffen, daß dieser Akt auf besonders wenige Hindernisse stößt, so entsteht das Gefühl der Lust. Welches Gefühl von der Reflexion nachträglich als ein Symptom für die formale Angemessenheit eines Gegenstandes zum verstandes"gemäßen" Akt der Synthesis interpretiert wird. -

Die Tatsache, daß bei der Apprehension eines Gegenstandes Lust empfunden wird, besagt etwas über die Leichtigkeit dieser "verstandesgemäßen" Apprehension, und diese wiederum etwas über die
    "Übereinstimmung der Form des Gegenstandes vor allem Begriff mit dem Erkenntnisvermögen, um die Anschauung mit Begriffen zu einer Erkenntnis überhaupt zu vereinigen." (Seite XLVIII),
d. h. über die Eignung seiner Form für die verstandes"gemäße" (d. h. nicht einbegriffliche, sondern einbildliche) transzendentale Synthesis durch die Einbildungskraft, über seine Eignung zu "einem Bild".

Die Tatsache, daß beim Akt der Synthesis die Einbildungskraft "verstandesgemäß" wirksam ist, in einer "Proportion" zum Verstand steht, seinen Regeln entsprechend verfährt, pflegt uns sond nicht bewußt zu werden, nur im Falle des schönen Gegenstandes, d. h. eines Gegenstandes, der diese "verstandesgemäße" Synthesis durch eine zufällige Besonderheit seiner Form besonders begünstigt, kommt uns die durchgängige Beziehung der transzendentalen Einbildungskraft auf den Verstand, in Form eines Lustgefühls zu Bewußtsein. Eines Lustgefühls, das deshalb zum Träger allgemeinverbindlicher Urteile gemacht werden kann, weil es zwar auf einer Zufälligkeit, aber doch auf einer für alle gleichartig apprehendierenden Geschöpfe verbindlichen Zufälligkeit beruth.

Das ist mit jener sonderbaren Formel von der "Vergleichung des Verstandes mit der Einbildungskraft" im ästhetischen Urteil gemeint.

Mit dieser Darstellung hoffe ich zwei Vorwürfen zu begegnen, die der kantischen Ästhetik häufig gemacht werden und die einander widersprechen. Die eine besagt: KANT habe den Prozeß der "Erschaffung des Schönen" auf das Spiel der freien Phantasie, der Jllusion gestellt. - KANTs transzendentale Einbildungskraft hat mit der frei assoziierenden Einbildungskraft nichts als den Namen gemeinsam, sie ist der Inbegriff der höchsten Spontaneität und Produktivität der Seele, die nicht willkürlich, sondern im höchsten Grad diszipliniert bei der Ausübung ihrer weltschöpfenden Akte verfährt, die nicht nur die ganze Welt unserer Anschauungen in ihrer "verstandesgemäßen" synthetischen Geschlossenheit (in der Form, in welcher erst bestimmte Begriffe auf sie anwendbar sind), vor unser Bewußtsein stellt, sondern auch die besondere formale Eignung eines Gegebenen zu einer solchen Verbindung unserem Gefühl anzeigt. Die Schönheit eines Gegenstandes entsteht nicht unabhängig von der Entstehung des Gegenstandes durch einen besonderen Akt der Phantasie, sondern kommt zum Bewußtsein gelegentlich des alles Sinnliche verpflichtenden und verbindenden Aktes der transzendentalen Synthesis. Die Apprehension eines "schönen" Gegenstandes nur dadurch, daß im Fall des ersten die Apprehension durch eine zufällige formale Zweckmäßigkeit des Gegenstandes erleichtert wird.

Ein zweiter Vorwurf, der KANT oft gemacht wird, ist der, daß er den Prozeß der "Schöpfung des Schönen" intellektualisiert hat. Verkannte jener Vorwurf den Charakter der Einbildungskraft in der Formel von der Proportion der im ästhetischen Akt beteiligten Vermögen, so überschätzt dieser die Beteiligung des Verstandes am Akt der Synthesis. Was die transzendentale Synthesis hervorbringt, ist nicht fertige, begrifflich (d. h. mit Kategorien) durchsetzte Erkenntnis, sondern lediglich synthetische Einheit, das ist Zusammenstimmung der Elemente zur Einheit, also anschauliche, rein formale Eignung zu einer möglichen begrifflichen Verarbeitung. Der Verstand ist bei diesem Akt selbst überhaupt nicht beteiligt. Die Einbildungskraft allein ist der Schöpfer aller Anschauung, sie bedient sich dabei, wie gesagt, unbestimmter anschaulicher Schemata, die den Verstandeskategorien "gemäß" sind, nicht aber bestimmter Kategorien.

Die Wahrheit liegt also in der Mitte.

Ich hatte in der Einleitung zu dieser Abhandlung den schönen Gegenstand als ein Grenzprodukt bezeichnet, das bei der Auseinandersetzung der Seele mit den Empfindungen entsteht, und das man folglich außerhalb einer erkenntnistheoretischen Fragestellung mit gutem Recht sowohl behandeln kann als ob es "gegeben", wie auch als ob es rein subjektiven Ursprungs ist. Jetzt sehen wir, daß diese Auffassung derjenigen KANTs gar nicht so fern steht. Die ästhetische Beschaffenheit des Gegenstandes, seine Zweckmäßigkeit für die Apprehension hat seine subjektive und seine objektive Komponente. Beide sind streng genommen untrennbar. Zufällige Angemessenheit des Gegenstandes an die "verstandesmäßige" Apprehension einerseits und die "verstandesmäßige" Apprehension selbst andererseits ergeben zusammenwirkend das Gefühl der Lust. Und auch KANT sieht die Möglichkeit, dieses Gefühl der Lust bzw. sein Korrelat, die subjektive Zweckmäßigkeit des Gegenstandes, anzusehen, "gleich als ob es ein mit den Erkenntnissen des Objekts verbundenes Produkt wäre." (Seite XLVI)

Besonders erschwert wird meine Auffassung von der Einbildungskraft als eines "diszipliniert" verfahrenden Vermögens durch die kantische Terminologie, welche gern vom "Spiel" der Erkenntnisvermögen, sogar vom "freien" Spiel der Gemütskräfte in diesem Zusammenhang redet.
    "Die Erkenntniskräfte, die durch diese (gegebene) Vorstellung ins Spiel gesetzt werden, sind hierbei in einem freien Spiel, weil kein bestimmter Begriff sie auf eine besondere Erkenntnisregel einschränkt. Also muß der Gemütszustand in dieser Vorstellung der eines Gefühles des freien Spiels der Vorstellungskräfte an einer gegebenen Vorstellung zu einer Erkenntnis überhaupt sein. Nun gehören zu einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird, damit überhaupt daraus Erkenntnis wird, Einbildungskraft für die Zusammensetzung des Mannigfaltigen der Anschauung und Verstand für die Einheit des Begriffs, der die Vorstellungen vereinigt. Dieser Zustand eines freien Spiels der Erkenntnisvermögen bei einer Vorstellung, wodurch ein Gegenstand gegeben wird usw." (Seite 28)
Was es mit diesem "freien Spiel" auf sich hat, und daß damit auf keinen Fall jene freie Assoziation der empirischen Einbildungskraft, nicht Träume und Hirngespinste, gemeint sind, geht auf Folgendem hervor. Im gleichen Zusammenhang wird der Gemütszustand des freien Spiels als ein "Zusammenstimmen" der Vermögen, "soweit es zu einer Erkenntnis überhaupt erforderlich ist" als das "zur Erkenntnis überhaupt schickliche subjektive Verhältnis" charakterisiert.
    "Eine Vorstellung, die einzeln und ohne Vergleichung mit andern dennoch eine Zusammenstimmung zu den Bedingungen der Allgemeinheit hat, bringt die Erkenntnisvermögen in die proportionierte Stimmung, die wir zu aller Erkenntnis fordern." (Seite 31)
Ein Spiel wird die Tätigkeit der Einbildungskraft also in der transzendentalen Synthesis genannt, nicht, weil es sich um ein freies beliebiges Assoziieren handelt. "Spiel" ist vielmehr nur ein anderer Ausdruck für "Tätigkeit", spontane Aktivität, Entfaltung in der Zeit. "Frei" aber wird dieses Spiel genannt, nicht im Sinne der absoluten Freiheit von allen Bindungen, sondern im Sinne der relativen Freiheit von den Bindungen der bestimmten begrifflichen Erkenntnis (Einschränkung auf die Kategorie), die eine Sache bloß des Verstandes ist. In der Beziehung auf die Ermöglichung einer "Erkenntnis überhaupt", auf die synthetische Vorbereitung des Gegebenen durch die Schemata, die verstandes"gemäße" Einheitsfunktion der Einbildungskraft, ist der Spiel vielmehr gebunden.

Eine sehr interessante Erläuterung erfährt meine Auffassung durch KANTs Definition des Geschmacks als "Beurteilungsvermögen eines Gegenstandes in Beziehung auf die freie Gesetzmäßigkeit der Einbildungskraft" (Seite 69). Dort heißt es ausdrücklich, daß, wenn im Geschmacksurteil die Einbildungskraft in ihrer Freiheit betrachtet wird, sie
    "erstens nicht reproduktiv, weil sie den Assoziationsgesetzen unterworfen ist, sondern als produktiv und selbsttätig (als Urheberin der Formen möglicher Anschauungen) angenommen wird; und obgleich sie bei der Auffassung eines gegebenen Gegenstandes der Sinne an eine bestimmte Form dieses Objekts gebunden ist, und sofern kein freies Spiel (wie im Dichten) hat, so läßt sich doch wohl begreifen: daß der Gegenstand ihr gerade eine solche Form an die Hand geben kann, die eine Zusammensetzung des Mannigfaltigen enthält, wie sie die Einbildungskraft, wenn sie sich selbst frei überlassen wäre, in Einstimmung mit der Verstandesgesetzmäßigkeit überhaupt entwerfen würde."
Den in dieser Formulierung enthaltenen scheinbaren Widerspruch, der dadurch entsteht, daß man im freien Spiel der Vermögen beide, Einbildungskraft und Verstand, tätig denkt, und der verschwindet, wenn man die Einbildungskraft allein als "verstandesgemäß" wirksam denkt, den Widerspruch also, "daß die Einbildungskraft frei und doch von selbst gesetzmäßig" ist (während doch allein der Verstand Gesetze gibt), löst KANT in meinem Sinn, indem er von einer "Gesetzmäßigkeit ohne Gesetz", von einer "bloß subjektiven Übereinstimmung der Einbildungskraft zum Verstand, ohne eine objektive" redet (Seite 69).

Die Einbildungskraft verfährt also im vorästhetischen Verhalten genau wie im vorlogischen, gleichsam nur als ob sie der Verstand selbst ist, in Wahrheit aber handelt es sich auch hier um ein und dasselbe Gestimmtsein der Einbildungskraft auf den Verstand als das Vermögen der Regeln. Es ist dies ein Gestimmtsein nicht auf die Zwölfzahl der Kategorien, sondern auf alle Möglichkeiten, rein formale Einheit in der Mannigfaltigkeit zu stiften.


b) Einbildungskraft und Vernunft

KANT hatte das Gefühl der ästhetischen Lust geschildert als hervorgerufen durch eine formale subjektive Zweckmäßigkeit des Gegenstandes für den Akt der transzendentalen Synthesis. Schön ist ein Gegenstand, dessen Anschauung (d. h. Synthesis) von dieser Lust begleitet ist. Nun kann sich aber seiner Meinung nach im Akt der Synthesis noch ein anderes Gefühl offenbaren, ein "Geistesgefühl", wie er es nennt (Seite XLVIII), in welchem die Befähigung unseres Vermögens der Synthesis für die Erledigung seiner Aufgabe im höchsten Sinn zum Bewußtsein kommt. Wir können im Akt der Synthesis eines Gegenstandes die Eignung bzw. die Mängel unseres Vermögens nicht nur für die verstandesgemäße, sondern auch für die "vernunftgemäße" Apprehension dieses Gegenstandes fühlen.

"Das Schöne kommt darin mit dem Erhabenen überein, daß beides für sich selbst gefällt." Ferner darin,
    "daß das Wohlgefallen an die bloße Darstellung oder das Vermögen derselben geknüpft ist, wodurch das Vermögen der Darstellung oder die Einbildungskraft bei einer gegebenen Anschauung mit dem Vermögen der Begriffe des Verstandes oder der Vernunft, als Beförderung der letzteren in Einstimmung betrachtet wird."

    "Allein es sind auch namhafte Unterschiede zwischen beiden in die Augen fallend. Das Schöne der Natur betrifft die Form des Gegenstandes, die in der Begrenzung besteht; das Erhabene ist dagegen auch an einem formlosen Gegenstand zu finden, sofern Unbegrenztheit an ihm oder durch dessen Veranlassung vorgestellt und durch Totalität derselben hinzugedacht wird: so daß das Schöne für die Darstellung eines unbestimmten Verstandesbegriffs genommen zu werden scheint."

    "Auch ist das letztere der Art nach von dem ersteren Wohlgefallen gar sehr verschieden, indem diese (das Schöne) direkt ein Gefühl der Beförderung des Lebens bei sich führt, jenes aber (das Gefühl des Erhabenen) eine Lust ist, welche indirekt entspringt, nämlich so, daß sie durch das Gefühl einer augenblicklichen Hemmung der Lebenskräfte und darauf sogleich folgenden desto stärkeren Ergießung derselben erzeugt wird." (Seite 75)
Wir sehen hier die Betätigung der Einbildungskraft in eine Verbindung gerückt mit unseren Lebenskräften, die gehemmt oder gefördert werden. - Alles synthetische Zusammenfassen des Mannigfaltigen zu einer möglichen Erkenntnis, das "verstandesgemäße", ja darüber hinaus das "vernunftgemäße" Verfahren der Einbildungskraft in der "Synthesis" hat demnach eine Beziehung zum Leben, ist nicht Selbstzweck, sondern steht im Dienst der Lebensentfaltung. (Es kommt hier das Primat des Praktischen vor dem Theoretischen zum Durchbruch.) Das Assimilieren des Gegebenen, die Auseinandersetzung der Seele mit dem Chaos der Empfindungen, ihre Ordnung und Vereinheitlichung geschieht nicht lediglich aus einem rein theoretischen Grund, nicht lediglich aus dem Grund einer intellektuellen Selbstbehauptung, sondern darüber hinaus aus dem Grund der moralischen Selbstbehauptung und moralischen Selbstentfaltung des Subjekts.

Es entpuppt sich also die transzendentale Einbildungskraft, wenn auch in diesem Zusammenhang nur andeutungsweise, als diejenige Funktion, welche im Ernstfall die Erscheinungen, wie VAIHINGER (24) es formuliert, nicht abbildet, sonderm in intellektuellen und im höchsten moralischen Sinn assimiliert, welche aber auch im Ästhetischen, d. h. in jenem nichtintellektuellen, aber doch verstandesgemäßen Spiel, diese ihre Beziehungen zum geistigen und moralischen Leben des Menschen nicht verleugnet, sondern überhaupt erst im Gefühl zum Bewußtsein bringt.

Diese Beziehung zum Leben ist also nicht so gemeint, als haben wir etwa im Gefühl für das Schöne ein Kontrollorgan für die niederen lebensfördernden und hemmenden Gegebenheiten, welche unmittelbar an die Befriedigung unserer animalischen Bedürfnisse appellieren (für das "Nützliche" und "Angenehme"). Der Trieb der seelischen Selbsterhaltung im Chaos der Empfindungen ist vielmehr höherer und besonderer Art, das Gefühl der Lust, welches uns die Betätigung dieses Triebes beim "interesselosen" Akt der ästhetischen Apprehension gewährt, wird auf das Schärfste vom Nützlichen und Angenehmen abgegrenzt.

Im "Schönen" kommt uns also nicht nur die rein formale Eignung einer gegebenen (transzendentalen) Struktur für den Akt der Apprehension, sondern auch die rein formale Eignung unseres Apprehensionsvermögens für seine hohe Aufgabe, der verstandesgemäßen, d. h. einheitlichen Assimilation des Gegebenen lustvoll zum Bewußtsein. Es ist eine Art höheren geistigen Lebensgefühls, welches uns der schöne Gegenstand vermittelt. KANT wegen dieser Beziehungen der transzendentalen Synthesis zum Intellekt, einen Intellektualismus in der Ästhetik bezichtigen zu wollen, würde dennoch zu weit gehen, denn die Einbildungskraft stiftet im fraglichen Akt nur die anschauliche Einheit, nicht die begriffliche des Verstandes (obwohl jene für diese die notwendige Vorbedingung abgibt). Wie steht es nun mit dem "Erhabenen"?

Die (Kritik der reinen Vernunft) hatte gezeigt, daß und wie die theoretische Bewältigung der Welt, nicht nur eine Beurteilung der Anschauungen durch Verstandesbegriffe ist, sondern daß sich diese Beurteilung unter der Regie oberster "Aufgaben", höchöster Vernunftprinzipien vollzieht. Die Beurteilung der Erscheinungen ist nicht nur ein gleichgültiges theoretisches Unternehmen, sondern eine moralische Tat. - Eine vorlogische transzendentale Synthesis durch die Einbildungskraft muß also nicht nur, wenn sie höchsten Anforderungen genügen soll, in der schon geschilderten Weise Beziehungen zum Verstand, muß nicht nur verstandes"gemäß" sein, sondern darüber hinaus Beziehungen zur Vernunft haben, sie muß "vernunftgemäß" sein. - Und auch für unsere Eignung zu dieser "vernunftgemäßen" Synthesis haben wir ein Organ. (Ich umgehe auch hier das Transzendental-Logische, was KANT zum "Erhabenen" ausführt, obwohl meiner Überzeugung nach auch hier der Schwerpunkt des Beweises KANTs beim Transzendental-Logischen zu suchen ist und halte mich an die psychologischen Ausführungen, also an diejenigen Ausführungen, welche den logischen Beweisgang psychologisch illustrieren sollen.)

Der Begriff des "Erhabenen" ist ein Begriff der Größenschätzung. Wir verbinden mit der Vorstellung eines großen Gegenstandes eine Art von Achtung, mit der des kleinen Gegenstandes eine Art von Verachtung.

Wie aber geht Größenschätzung zunächst im Empirischen vor sich?
    "Anschaulich ein Quantum in die Einbildungskraft aufzunehmen, ... dazu gehören zwei Handlungen dieses Vermögens: Auffassung (apprehensio) und Zusammenfassung (comprehensio aesthetica). Mit der Auffassung hat es keine Not, denn damit kann es ins Unendliche gehen, aber die Zusammenfassung wird immer schwerer, je weiter die Auffassung fortrückt, und sie gelangt bald zu ihrem Maximum ... Denn wenn die Auffassung so weit gelangt ist, daß die zuerst aufgefaßten Teilvorstellungen der Sinnesanschauung in der Einbildungskraft schon zu erlöschen anheben, indes, daß diese zur Auffassung mehrerer fortrückt, so verliert sie auf der einen Seite ebensoviel, als sie auf der anderen gewinnt, und in der Zusammenfassung ist ein Größtes, über welches sie nicht hinauskommen kann." (Seite 87)
Es gibt also für die Einbildungskraft ein Maximum ihrer Ausdehnungsfähigkeit, und es gibt andererseits "Gegenstände", deren Apprehension und Comprehension sie veranlassen, sich noch über dieses Maximum hinaus auszudehnen. Aus diesem Konflikt ergibt sich ein Gefühl der Überspannung, der "Unangemessenheit der Einbildungskraft für die Idee eines Ganzen", eine Art "Bestürzung", "Verlegenheit", "rührendes Wohlgefallen", ein seltsames Gemisch von Lust und Unlust.

Nach diesem empirischen Muster denkt sich KANT den transzendental-logischen Vorgang bei der Entstehung des Erhabenen. - Transzendental ist der Vorgang, denn hier handelt es sich um ganz unempirische Dinge, um Vorbewußtes, Apriorisches, um das Absolut-Große und sein Verhältnis zur Totalität.
    "Das Gefühl des Erhabenen ist also ein Gefühl der Unlust, aus der Unangemessenheit der Einbildungskraft in der ästhetischen Größenschätzung zu der Schätzung durch die Vernunft, und eine dabei zugleich erweckte Lust, aus der Übereinstimmung eben dieses Urteils der Unangemessenheit des größten sinnlichen Vermögens mit Vernunftideen, sofern die Bestrebung zu denselben doch für uns Gesetz ist. Es ist nämlich für uns Gesetz (der Vernunft) und gehört zu unserer Bestimmung, alles, was die Natur als Gegenstand der Sinne für uns Großes enthält, in Vergleichung mit Ideen der Vernunft für klein zu schätzen; und was das Gefühl dieser übersinnlichen Bestimmung in uns rege macht, stimmt zu jenen Gesetzen zusammen." (Seite 98)
KANT charakterisiert dieses Gefühl als ein "Bewegtsein", als eine "Erschütterung", gleichsam "schnellwechselndes Abstoßen und Anziehen des Objekts". Die Einbildungskraf wird zu einer "Überschwänglichkeit" veranlaßt bei dieser "Ausweitung" über ihre eigenen Grenzen. Als sinnliches Vermögen (der Apprehension) fühlt sie sich in Furcht gesetzt, in dem Bestreben, das Absolut-Große vorzustellen, als der Vernunft verwandtes Vermögen, fühlt sie sich angezogen durch die Aufgabe, das Absolut-Große als Einheit, als Totalität zu erfassen. Es ist eine Kontrastwirkung, ein lebenshemmendes und doch in überschwänglicher Weise lebensförderndes Gefühl.
    "Denn so wie Einbildungskraft und Verstand in der Beurteilung des Schönen durch ihre Einhelligkeit, so bringen Einbildungskraft und Vernunft hier durch ihren Widerstreit subjektive Zweckmäßigkeit der Gemütskräfte hervor: nämlich ein Gefühl, daß wir reine selbständige Vernunft haben, oder ein Vermögen der Größenschätzung, dessen Vorzüglichkeit durch nichts anschaulich gemacht werden kann als durch die Unzulänglichkeit desjenigen Vermögens, welches in Darstellung der Größen (sinnlicher Gegenstände) selbst unbegrenzt ist." (Seite 99)
Auch im "Erhabenen" besteht also eine Beziehung auf die Einhelligkeit der Gemütskräfte, auch hier ist die Rede von einer Proportion, nur daß es ich diesmal nicht um "Einbildungskraft und Verstand", sondern um "Einbildungskraft und Vernunft" handelt.

Nicht faktisch sind jedoch bei dem Versuch der Apprehension und Comprehension des "erhabenen" Gegenstandes beide Vermögen Vernunft und Einbildungskraft gleichmäßig im Spiel, sondern die Einbildungskraft allein übernimmt die Rolle der Vernunft, versucht "gemäß" der Vernunftidee (Totalität) zu operieren. Indem sie dabei ihr Maximum (als sinnliches Vermögen) überschreitet, verliert sie ihren Charakter der Einbildungskraft und wird gleichsam selbst "Vernunft". Aus ihrer Unzulänglichkeit zu diesem Unternehmen ergibt sich das lustvoll-unlustvolle Gefühl, in welchem uns der moralische Charakter der Synthesis, der Assimilation des Gegebenen zum Bewußtsein kommt.
    "Gleich wie die ästhetische Urteilskraft in Beurteilung des Schönen die Einbildungskraft in ihrem freien Spiel auf den Verstand bezieht, um mit dessen Begriffen überhaupt (ohne Bestimmung derselben) zusammenzustimmen, so bezieht sich dasselbe Vermögen in der Beurteilung eines Dings als erhaben auf die Vernunft, um zu deren Ideen (unbestimmt welche) subjektiv übereinzustimmen, d. h. eine Gemütsstimmung hervorzubringen, welche derjenigen gemäß und mit ihr verträglich ist, die der Einfluß bestimmter Ideen auf das Gefühl bewirken würde." (Seite 446)
Deutlicher kann es nicht ausgesprochen werden, daß es sich beim Schönen darum handelt, daß die Einbildungskraft in der Apprehension nur so verfährt, als ob sie der Verstand selbst und beim Erhabenen, als ob sie die Vernunft selbst wäre, und daß weder Verstand noch Vernunft selbst aktiv bei dieser Apprehension beteiligt sind. Sie sind vielmehr nur das Muster, auf welches die Einbildungskraft sich bei ihrem Verfahren einstellt. Einen anderen Sinn hat die Formel vom "Spiel" und der "Proportion" der Gemütskräfte nicht. Daß auch hier wiederum nicht das "Spiel" als jenes freie Assoziieren und Träumen der empirischen Einbildungskraft aufgefaßt werden darf, ist aus dem Zusammenhang wohl hinlänglich klar.

Wie die transzendentale Einbildungskraft in der Lehre von den Synthesen (der Kr. d. r. V.) als diejenige biologische Funktion aufgefaßt werden kann, welche instinktartig die Mannigfaltigkeit des Gegebenen zu einer Bewußtseinswelt, der Struktur des Ich anähnelt, assimiliert, wie weiter in der Lehre vom Schönen diese Auffassung von der alles Gegebene umspannenden biologischen Funktion der Einbildungskraft ergänzt wird, dadurch, daß sie hier in Beziehung gesetzt erscheint zum Lebensgefühl (zur geistigen Selbstbehauptung), so zeigt uns die Lehre vom Erhabenen welcher Art diese Selbstbehauptung durch Aneignung eigentlich ist, daß es sich nämlich dabei um die "Aufgabe" einer Verarbeitung des Gegebenen "gemäß" den Vernunftideen, gemäß also den obersten moralischen Gesetzen handelt.

Der reine Verstand ist also bloß das Reservoir der Regeln, die reine Vernunft bloß das Reservoir der Ideen, die transzendentale Einbildungskraft jedoch ist der Inbegriff aller seelischen Spontaneität, die das Gegebene nicht bloß ergreift und zu Reihen zusammenbindet, nicht bloß zeitlich und räumlich ordnet, sondern ihre eigene einheitliche Struktur hineinlegt, sie also verstandesgemäß gestaltet und schließlich die höchsten moralischen Anforderungen in ihnen zu verwirklichen sucht, sie erst macht die geordnete Anschauungswelt, in welcher wir bewußt leben, sie fühlt sich im Schönen ihren Aufgaben gewachsen und im Erhabenen fühlt sie die moralische Größe ihrer "Aufgabe".


Schlußwort

Damit endet unser Weg von der facultas imaginandi oder fingendi eines BAUMGARTEN durch die Dunkelheiten der transzendentalen Deduktion hindurch zu den Höhen der Lehre vom Schönen und Erhabenen. Es ist ein Weg, der den eigentlichen Bestand der Kritiken, die Beweiskraft der transzendentalen Deduktion nicht berührt; es steht, wie KANT sagt, jedem frei, hier zu "meinen", aber es ist doch ein konsequenter Weg, eine schöne psychologische Jllustration zu KANTs umfassender genialer Weltansicht, die aus der vorbewußten apriorischen Auseinandersetzung des Ich mit der - unbekannt wir strukturierten - Gegebenheit nicht nur eine schöne, d. h. verstandes"gemäße", sondern auch eine erhabene, d. h. vernunft"gemäße" Sinnenwelt entstehen läßt.

Was ich im Einzelnen zu beweisen versuchte, ist, daß die Lehre von der Einbildungskraft in der Kritik der Urteilskraft eine gerade Fortsetzung der "psychologischen Deduktion" der Kr. d. r. V. ist (die Kritik der Urteilskraft schildert gewissermaßen die Gefühlsseite der transzendentalen Synthesis), genauso wie die "psychologische Deduktion" die Weiterbildung der Bemühungen der kantischen Psychologie um den Begriff der Einbildungskraft ist.

Dem Terminus "Spiel" der Einbildungskraft habe ich dabei einen besonderen Sinn gegeben, der die transzendentale Einbildungskraft abgrenzt von der empirischen Phantasie. Wie ich mich überhaupt bemühte, das empirisch psychologische Vorbild in KANTs Gedankengängen von der transzendental psychologischen Konstruktion zu unterscheiden.

In die kantische Wendung, welche von der "Proportion" der Vermögen redet, versuchte ich Licht zu bringen, indem ich die Selbständigkeit der transzendentalen Einbildungskraft gegenüber Verstand und Vernunft betonte, die ihrerseits bloße theoretische oder ideale Bezirke bezeichnen, während die Einbildungskraft als Inbegriff aller seelischen Spontaneität zu gelten hat.

Schließlich suchte ich die Lehre von der transzendentalen Einbildungskraft KANTs locker mit derjenigen Anschauung zu verknüpfen, zu welcher ich mich in der Einleitung bekannt habe und welche besagt, daß der Gegenstand (auch der "schöne" Gegenstand) ein Grenzprodukt einer Auseinandersetzung unserer spontanen sinnlichen Funktion mit den Gegebenheiten der Sinne ist, eine Abbreviatur, welche unsere Möglichkeit zu handeln, bzw. zu fühlen zum Ausdruck bringt.

LITERATUR: Raymund Schmidt, Kants Lehre von der Einbildungskraft, Annalen der Philosophie und philosophischen Kritik, Bd. 4, Leipzig 1924/25
    Anmerkungen
    20) Ich gebe diese Zusammenhänge, da die 2. Auflage die psychologischen Ingredenzien zum größten Teil wieder ausgeschieden hat, nach der Ausgabe von 1781. Auch diese Ausscheidung muß als ein Beweis dafür gelten, daß Kant der sogenannten "psychologischen Deduktion" keinen Wert für sein eigentliches transzendental-logisches Geschäft beigemessen hat und stützt so meine Behauptung von der bloß illustrativen Bedeutung der pychologischen Partien in der Kritik.
    21) Alfred Menzel, Kants Kritik der reinen Vernunft, Seite 71
    22) Hölder, Darstellung der kantischen Erkenntnistheorie, Tübingen 1879, Seite 19; ebenso Vaihinger (Kommentar I, 486), sind der Ansicht, daß man diese vorbewußten Funktionen, den in der Sinnlichkeit wirkenden Verstand nennen, daß man "nichts anderes als den unbewußt arbeitenden Verstand" darunter verstehen kann.
    23) Leibniz kannte noch diese eine Grundkraft der Seele, die vis representativa universi, auch Tetens hypostasierte [vergegenständlichte - wp] eine solche Grundkraft als "das Vermögen, Einwirkungen zu empfangen und daraufhin mit einer gewissen Selbsttätigkeit zu reagieren, Kant wird gestört durch den hypothetischen Charakter einer solchen Annahme; er bestreitet die "Erkennbarkeit" (vgl. Vorlesung über Metaphysik, Pölitz, Seite 193).
    24) Hans Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob, Seite 3f.