p-4UphuesRehmkeBullatyThyrenWirthMFK     
 
JULIUS BERGMANN
Grundlinien einer Theorie
des Bewußtseins

[2/3]

"Die Frage nach dem Ursprung unseres Bewußtseinsinhaltes, ob und in wie weit überhaupt ein solcher außerhalb des Bewußtseinis angenommen werden muß und wie sich der Inhalt als solcher zu seinem Ursprung verhält, ist einer der wichtigsten Streitpunkte der Philosophie. Nach der gewöhnlichen Auffassung ist es eine außerhalb von uns wirkliche, ansich seiende Welt, welche in unser Bewußtsein hineintretend, ohne sich zu ändern, für uns zum Gegebenen, zum ersten Inhalt der Erkenntnis wird."


Erster, psychologischer Teil
Erster Abschnitt
Das Wahrnehmen

Erstes Kapitel
Die Empfindung, die äußere und
die innere Wahrnehmung

Die unterste Stufe des Bewußtseins oder den Anfang des Erkenntnisprozesses bildet nach dem in der Einleitung Entwickelten die unmittelbare und direkte Erkenntnis. Unmittelbar heißt dieselbe, weil sie noch kein Wissen über ihre Gegenstände enthält, sondern in dem einfachen Haben derselben als der Voraussetzung für alle weitere Beschäftigung mit ihnen besteh, direkt, weil die in ihr gegenwärtigen Gegenstände sich nicht auf die Gegenstände früherer Erkenntnis zurückbeziehen, weil sie also ihre Gegenstände ausschließlich in der Form der Gegenständlichkeit und damit wirklichen Anwesenheit auffaßt. Wir nennen aber diese einfache Auffassung der Gegenstände die Wahrnehmung. Das Wahrgenommene wird passend als Gegebenes bezeichnet (wobei nicht an ein dem Bewußtsein von außen her zufließendes im Gegensatz zu einem ihm ursprünglich eigenen oder reinen Inhalt zu denken ist).

Nach der gewöhnlichen Auffassung ist es eine außerhalb von uns wirkliche, ansich seiende Welt, welche in unser Bewußtsein hineintretend, ohne sich zu ändern, für uns zum Gegebenen, zum ersten Inhalt der Erkenntnis wird. Die Frage nach dem Ursprung unseres Bewußtseinsinhaltes, ob und in wie weit überhaupt ein solcher außerhalb des Bewußtseinis angenommen werden muß und wie sich der Inhalt als solcher zu seinem Ursprung verhält, ist aber einer der wichtigsten Streitpunkte der Philosophie, und es hat sich längst allgemein fühlbar gemacht, daß zu ihrer Beantwortung bereits eine nicht geringe Einsicht in die Natur des Erkenntnisprozesses erforderlich ist. Auch ist die Beantwortung für unseren nächsten Zweck, die Bildung eines allgemeinen Begriffs des Bewußtseins, überflüssig. Meine Untersuchung soll darum das Gegebene zunächst nur in der Bedeutung der Grundlage unseres gesamten Erkenntniskomplexes nehmen, die Beziehung desselben zu einem Gebenden aber, und überhaupt den Zusammenhang des Bewußtseins mit dem Bewußtlosen, vorderhand außer Acht lassen. Die Dinge sind Gegenstände unseres Bewußtseins; was sie abgesehen von dieser Verknüpfung mit dem Bewußtsein sind, ist mir gleichgültig. Infolge dieser vorläufigen Beschränkung unserer Betrachtung müssen wir den Begriff der Wahrnehmung in einem Umfang gelten lassen, wie ihn der gewöhnliche wie auch der wissenschaftliche Sprachgebrauch im Allgemeinen nicht billigt: wir müssen wahrgenommen alles einfach Gegenständliche in unserem Bewußtsein nennen, wenn auch weitere Erkenntnis uns sagen wollte, daß wir dasselbe nicht in den Zusammenhang der als unabhängig vom Bewußtsein existierend gedachten Welt einreihen dürfen, sondern seinen Anspruch auf eine solche Stelle für eine Täuschung halten müssen. Den Begriff der Sinnestäuschung, mit anderen Worten, darf unsere Betrachtung hier noch nicht kennen.

Eines jedoch müssen wir aus der gewöhnlichen Vorstellungsweise von der Entstehung der Wahrnehmung festhalten, wodurch zwar die angegebene Bedeutung des Begriffs des Gegebenen nicht überschritten, in derselben aber ein Punkt hervorgehoben wird, in welchem sich das Gebiet des Bewußtseins mit dem der Bewußtlosigkeit, das Gebiet der Erkenntnis mit anderen Gebieten des Seelenlebens berührt: die Verknüpfung der Wahrnehmung mit der Empfindung. Wie es sich auch mit dem gemeinhin angenommenen geheimnisvollen Übergang der Außenwelt ins Bewußtsein durch die Sinne, welche als leibliche Organe selbst der Außenwelt und als Organe der Seele der Innenwelt des Bewußtsein angehören sollen, und mit der Rückbeziehung des auf diese Weise ins Bewußtsein Eingetretenen auf ein Außerhalb des Bewußtseins verhalten mag: wir finden in allen auf die Außenwelt bezogenen Wahrnehmungen ein letztes Element, welches ansich kein bewußtes mehr ist. Wie aber die Geometrie das ansich Unräumliche, welches in allem Räumlichen enthalten ist, den Punkt, zu ihren Gegenständen zählt, so hat meine Untersuchung das ansich Unbewußte, welches in allem ursprünglichen Bewußtsein enthalten ist und zwar, wie näher ausgeführt werden wird, nur im Bewußtsein enthalten ist, zu betrachten. Ein solches aber ist die Empfindung.

Die Empfindung ist Bestandteil der Wahrnehmung und enthält als solcher weniger als diese. Versuchen wir aber, von all demjenigen, was die Wahrnehmung außer der Empfindung enthält, zu abstrahieren, um diese rein zu erfassen wie sie ansich ist, so finden wir, daß mit der Wahrnehmung auch das Empfundene verschwindet, daß also die Empfindung nur in der Wahrnehmung existiert, wie der Punkt in der Linie. Die Empfindung ist - zumindest in dem Sinn, in welchem ich hier davon rede und welcher allein als der eigentliche anerkannt werden kann, im Sinne eines letzten Elements, welches die Analyse im Bewußtsein vorfindet - eine bewußte, dennoch ist das Bewußtsein mehr als die bloße Empfindung: es ist Wahrnehmung. Das Bewußtsein ist mit anderen Worten nicht analytisch in der Empfindung enthalten (etwa wie das Allgemeine im Besonderen), sondern synthetisch mit ihr verknüpft. Wie ein solches Verhältnis möglich ist, wie der Empfindung etwas wesentlich sein kann, was nicht ansich in ihr enthalten ist, müssen wir hier dahingestellt sein lassen. Es ist bekannt, wie man in allen solchen synthetischen Verhältnissen Widersprüche entdeckt haben will, und in der Tat erfordert es eine gründliche Einsicht in die Natur des Erkennens, um dem Nachweis solcher Widersprüche mit Erfolg entgegentreten zu können. Auf eine solche Einsicht kann sich aber eine erst beginnende Untersuchung über das Bewußtsein nicht berufen. Jedoch hat sie sich das Problem anzumerken.

Ich werde auf den Satz, daß alle Empfindung eine bewußte ist, zurückkommen. Zunächst wenden wir uns der Frage zu, wie die Empfindung sich dem Bewußtsein darstellt. Da zeigt sich dann, daß dieselbe in zweifacher Weise Bestandteil der Wahrnehmung ist. Während sie ansich ein subjektiver Zustand, eine Daseinsweise des empfindenden Subjekts ist, findet durch das Bewußtsein gleichsam eine Zersetzung dieses Zustandes statt; der Inhalt der Empfindung, oder das Empfundene, wird aus dem Zustand als solchem ausgeschieden und als ein selbständiges Wesen dem empfindenden Subjekt gegenüber gestellt. Das wahrnehmende Bewußtsein hat also zum Gegenstand auf der einen Seite das empfindende Subjekt im Zustand der Empfindung, auf der anderen ein Objekt als das Empfundene. Wir haben demnach eine zweifache Wahrnehmung zu unterscheiden, die innere, welche das empfindende Subjekt im Zustand der Empfindung zum Gegenstand hat, und die äußere, welche die Empfindung auf eine Außenwelt als das Empfundene bezieht.

Die innere Wahrnehmung hat mit der äußeren gemeinsam, daß sie ihren Inhalt als Gegenstand setzt, d. h. daß das wahrnehmende Subjekt den Zustand der Empfindung sowohl als auch das Empfundene von sich selbst als dem wahrnehmenden Subjekt unterscheidet. Dieser Akt der Unterscheidung ist aber bezüglich der inneren Wahrnehmung zugleich ein Akt der Identifizierung. Das wahrnehmende Subjekt, d. h. das Ich, identifiziert sich mit dem empfindenden, indem es zugleich sein Wahrnehmen von seinem Empfinden unterscheidet. Dieser Akt der Unterscheidung ist aber bezüglich der inneren Wahrnehmung zugleich ein Akt der Identifizierung. Das wahrnehmende Subjekt, d. h. das Ich, identifiziert sich mit dem empfindenden, indem es zugleich sein Wahrnehmen von seinem Empfinden unterscheidet. Die innere Wahrnehmung der Empfindung kann demnach als eine synthetische Selbstbestimmung des Ich durch einen bestimmten Empfindungszustand bezeichnet werden.

Die äußere Wahrnehmung hat die innere zur Voraussetzung. Denn sie ist ein Bewußtsein des Empfundenen als Empfundenen (wie könnte sonst die Empfindung als letztes Element durch ihre Analyse gefunden werden?), das Empfundene aber kann nicht als solches gewußt werden ohne daß auch die Empfindung gewußt wird (da es nur als Inhalt der Empfindung ein Empfundenes ist). Es ist z. B. unmöglich, einen Gegenstand zu sehen, ohne die entsprechende Gesichtsempfindung zu haben, und zwar bewußter Weise.

Umgekehrt werden wir uns keiner Empfindung bewußt, ohne ihren Inhalt, das Empfundene, auszuscheiden und zu objektivieren. Alle bewußten Sinneserregungen finden wir mit einer Unterscheidung unserer selbst als des wahrnehmenden und empfindenden Ich von einem Fremden, einem Nicht-Ich, d. h. mit einer Hindeutung auf die Außenwelt verbunden. Dieses scheint uns so sehr dem Begriff der Empfindung wesentlich zu sein, daß wir dieselbe dadurch allein positiv von anderen bewußten Seelenzuständen unterscheiden können. Die entgegengesetzte Ansicht, der man allerdings häufig genug begegnet, beruth wohl auf einer Verwechslung des Begriffs der Außenwelt mit demjenigen der Ursache unserer Sinneserregungen. Zur Außenwelt ist nämlich auch der eigene Leib zu rechnen, und daß alle Sinnesempfindungen in ihrer Wahrnehmung zumindest auf die entsprechenden Organe, also auf das leibliche Dasein bezogen werden, scheint mir unzweifelhaft. So empfinden wir den Geschmack auf der Zunge, den Geruch in der Nase, ein Jucken auf der Haut, es flimmert vor unseren Augen usw. Selbst mit den Empfindungen des Gehörs, die man am häufigsten als mögliche Gegenstände einer isolierten inneren Wahrnehmung dargestellt findet, (so z. B. wenn LOTZE in seiner medizinischen Psychologie bisweilen ein noch nicht auf die Außenwelt ausgedehntes Bewußtsein bildlich als ein musikalisches bezeichnet, oder wenn gar ROSENKRANZ in seiner "Geschichte der kantischen Philosophie (Seite 160) KANTs Begriff des inneren Sinnes auf das Gehör deutet, während Gefühl und Gesicht den äußeren Sinn ausmachen sollen), verhält es sich nicht anders; wir sind uns ihrer stets als solcher Ereignisse in der Seele bewußt, durch welche dieselbe mit einem Außerhalb, wenn auch nicht mit einem räumlich Gesetzten, in Zusammenhang steht.

Die innere Wahrnehmung der Empfindung führt also stets die äußere Wahrnehmung des Empfundenen mit sich. Doch ist das Verhältnis beider ein sehr schwankendes. Ursprünglich überwiegt die Wahrnehmung des subjektiven Zustandes diejenige des objektivierten Inhaltes bei weitem. Ich werde darauf zurückkommen, wenn ich von der Ausbildung des Wahrnehmens zu reden werde haben. Sodann unterscheiden sich die einzelnen Sinne sehr in dieser Hinsicht. Man vergleiche z. B. die Geschmacksempfindung mit der Tastempfindung. Wie dürftig ist der Inhalt, den die erstere der äußeren Wahrnehmung bietet (es ist dabei von der Tastempfindung, die der geschmeckte Gegenstand auf der Zunge erregt, zu abstrahieren), während die andere umgekehrt als subjektiver Zustand fast verschwindet vor der Beziehung auf die Außenwelt. Oder wie anders verwerten wir die Gesichtsempfindungen zur Erkenntnis der Außenwelt als die Gehörsempfindungen, welche der Versenkung in uns selbst einen so ungleich mächtigeren Anlaß bieten. Von der größten Bedeutung ist endlich für das Verhältnis der inneren und äußeren Empfindung das Interesse, welches wir am subjektiven Zustand der Empfindung und dem objektiven Inhalt derselben nehmen. Je lebhafter z. B. das mit einer Empfindung verbundene Lust- oder Schmerzgefühl ist, desto weniger trägt dieselbe zur Wahrnehmung der Außenwelt bei, und je mehr wir unsere Aufmerksamkeit auf die äußere Wahrnehmung richten, umso weniger wird sich der subjektive Zustand der Empfindung geltend machen.

Hieraus erhellt sich, daß die äußere und die innere Wahrnehmung einander nicht als Arten nebengeordnet sind. Die äußere Wahrnehmung ist gleichsam eine Abzweigung aus der inneren. Wesentlich ist nämlich der Wahrnehmung überhaupt, daß sie das Bewußtsein eines subjektiven Zustandes ist und als solches denselben von sich selbst unterscheidet und zugleich mit sich in der Identität des Subjekts, des Ich, verknüpft. Daß zugleich eine Ausscheidung und Verselbständigung des Inhaltes dieses subjektiven Zustandes stattfindet, ist eine besondere Eigenschaft der Wahrnehmung, welche eine Empfindung zum Gegenstand hat; der subjektive Zustand der Empfindung, durch welchen das wahrnehmende Ich sich synthetisch bestimmt, ist eben ein solcher, daß das Ich sich durch denselben in Gemeinschaft mit einem Nicht-Ich findet. Die übrigen subjektiven Zustände, die wir bald als Gegenstände der Wahrnehmung werden kennen lernen, nämlich die Gefühle und die Willenstätigkeiten, haben diese Eigentümlichkeit der Empfindung nicht. Die Wahrnehmung derselben ist ansich noch keine Wahrnehmung der Außenwelt.

Verstehen wir unter Empfindung das letzte Element, welches die Analyse im wahrnehmenden Bewußtsein findet, insofern dasselbe auf die Außenwelt bezogen ist, so ist es, wie gezeigt, kein analytisches Prädikat derselben, Gegenstand des Bewußtseins zu sein, obwohl sie nur als solcher existieren kann. Durch das Bewußtsein wird die Empfindung erst ein subjektiver Zustand, indem sie dem bewußten Subjekt zugeschrieben wird; durch das Bewußtsein ferner wird sie erst das Bindeglied zwischen der Innenwelt der Seele und der Außenwelt. Das Bewußtsein findet also seinen Gegenstand (die Empfindung) nicht einfach vor, sondern durch das Bewußtsein ist der Gegenstand erst das, was er ist. Das Bewußtsein verdankt also seinen ursprünglichen Inhalt keineswegs einzig der Funktion der Sinne. Diese Bemerkung hat, indem man besonders die Ausscheidung und Verselbständigung des Empfundenen in der äußeren Wahrnehmung ins Auge faßte, zu der Behauptung Anlaß gegeben, daß der Verstand bereits in der sinnlichen Wahrnehmung tätig ist.
    "Erst wenn der Verstand", sagt Schopenhauer, - "eine Funktion, nicht einzelner zarter Nervenenden, sondern des so künstlich und rätselhaft gebauten, drei, ausnahmsweise aber fünf Pfund wiegenden Gehirns, - in Tätigkeit gerät und seine einzige und alleinige Form, das Gesetz der Kausalität, in Anwendung bringt, geht eine mächtige Verwandlung vor, indem aus der subjektiven Empfindung die objektive Anschauung wird. Er faßt nämlich, vermöge seiner selbsteigenen Form, also apriori, d. h. vor aller Erfahrung (denn diese ist bis dahin noch nicht möglich), die gegebene Empfindung des Leibes als eine Wirkung auf (ein Wort, welches er allein versteht), die als solche notwendig eine Ursache haben muß. Zugleich nimmt er die ebenfalls im Intellekt, d. h. im Gehirn prädisponiert liegende Form des äußeren Sinnes zu Hilfe, den Raum, um jene Ursache außerhalb des Organismus zu verlegen: denn dadurch erst entsteht ihm das Außerhalb, dessen Möglichkeit eben der Raum ist; so daß die reine Anschauung a priori die Grundlage der empirischen abgeben muß ... Demnach hat der Verstand die objektive Welt erst selbst zu erschaffen: nicht aber kann sie, schon vorher fertig, durch die Sinne und die Öffnungen ihrer Organe, bloß in den Kopf hineinspazieren. Die Sinne liefern nichts weiter, als den rohen Stoff, welchen allererst der Verstand, mittels der angegebenen einfachen Formen - Raum, Zeit und Kausalität - in die objektive Auffassung einer gesetzmäßig geregelten Körperwelt umarbeitet. Demnach ist unsere alltägliche, empirische Anschauung eine intellektuelle." (Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, Seite 52f)
Soll unter Verstand ein nicht sinnlicher Faktor der Erkenntnis verstanden werden, so bin ich mit SCHOPENHAUER der Ansicht, daß der Verstand bereits in der sinnlichen Wahrnehmung tätig ist (und nicht weniger in der inneren); um indessen die empirische Anschauung eine intellektuelle nennen zu dürfen, muß die Einheit dieses in der Wahrnehmung tätigen nicht sinnlichen Faktors mit der eigentlich intellektuellen Tätigkeit, dem logischen Denken, nachgewiesen werden. Ich werde später (im logisch-ontologischen Teil meiner Untersuchung) ausführlich darauf zurückkommen.

Vorerst will ich nur auf einen Irrtum hinweisen, der der Theorie SCHOPENHAUERs zumindest sehr nahe liegt, in anderen verwandten Lehren aber unverhüllt hervortritt. SCHOPENHAUER lehrt zwar ausdrücklich, daß die Konstruktion der Außenwelt durch den Verstand kein diskursives Denken gemäß dem Kausalitätsgesetz ist (vgl. seine Schrift: "Über das Sehen und die Farben", dritte Auflage, Seite 7), ebensowenig aber erkennt er an, daß die äußere Wahrnehmung ein bloßes Haben des Wahrgenommenen im Bewußtsein ist; er redet von einem Schaffen des Verstandes, von einem intellektuellen Prozeß (Satz vom Grunde, Seite 57), von einem Übergehen des Verstandes von der Empfindung als dem bloßen Anlaß seiner Tätigkeit zur Ursache der Empfindung, und erweckt so die Vorstellung von einer sich innerhalb einer gewissen Zeit vollendenden Erzeugung des Bewußtseinsinhaltes. Andere bezeichnen die intellektuelle Seite der Wahrnehmung geradezu als ein Schließen. So drückt sich LANGE in seiner "Geschichte des Materialismus" über ein optisches Experiment folgendermaßen aus (Seite 494):
    "Das Auge macht gleichsam einen Wahrscheinlichkeitsschluß, einen Schluß aus der Erfahrung, eine unvollständige Induktion. Wir sagen das Auge macht diesen Schluß. Der Ausdruck ist absichtlich nicht bestimmter, weil wir damit nur jenen gesamten Kreis der Einrichtungen und Vorgänge vom Zentralorgan bis zur Netzhaut kurz bezeichnen wollen, dem man auch die Tätigkeit des Sehens zuschreibt. Wir halten es für methodisch unzulässig, in diesem Fall das Schließen und das Sehen als zwei gesonderte Akte voneinander zu trennen. Dies kann man nur in der Abstraktion tun. Wenn man am natürlichen Vorgang nichts künstlich deutet, so ist in diesem Fall das Sehen selbst ein Schließen und der Schluß vollzieht sich in Form einer Gesichtsvorstellung, wie er sich in anderen Fällen in der Form sprachlich ausgedrückter Begriffe vollzieht."
Ein Gleiches lehrt HELMHOLTZ in seiner "Physiologischen Optik" (Seite 430). So wie wir behaupten, meint er, daß jeder einzelne jetzt lebende Mensch sterben wird, weil bisher die Erfahrung ergeben hat, daß alle früher lebenden Menschen gestorben sind, so beziehen wir unsere Empfindungen nach der Analogie früherer Erfahrungen auf äußere Objekte. Die Nötigung überhaupt aber, unsere Empfindungen auf äußere Objekte zu beziehen, liegt im angeborenen Kausalitätsgesetz. Ähnlich äußert sich OTTO LIEBMANN in seiner Schrift "Über den objektiven Augenblick" und meint dabei völlig die Ansicht SCHOPENHAUERs zu vertreten.

Ohne Zweifel hat die Erinnerung an frühere Wahrnehmungen, so wie sie aus denselben durch Denken abgeleitete Kenntnis der Außenwelt, großen Einfluß auf die gegenwärtige Wahrnehmung. Physiologische und psychologische Beobachtungen beweisen, daß in der frühesten Periode der Bewußtseinsentwicklung die Empfindungen selbst derjenigen Sinne, welche später vorzugsweise der Erkenntnis der Außenwelt dienen, überwiegend der inneren Wahrnehmung zufallen. Von der ersten Reizung des Sehnerven fühlt sich das neugeborene Kind gewiß innerlich lebhaft berührt, von der Deutung desselben auf eine räumliche Außenwelt wird kaum mehr als eine Spur vorkommen. Die Operatonen blind Geborener zeigen ein Gleiches von Erwachsenen. Wir selbst können täglich an uns beobachten, wie sehr die Sicherheit des Wahrnehmens von der Kenntnis der betreffenden Gegenstände bedingt ist; wir können z. B. etwas, das wir auswendig wissen, in größerer Entfernung lesen, als anderes. Ein anderes Beispiel ist das stereoskopische Sehen, welches nachgewiesenermaßen auf Schlüssen aus der Erfahrung beruth. Gleichwohl können wir die Lehre nicht billigen, daß der intellektuelle Faktor der sinnlichen Wahrnehmung ein Schließen oder auch nur eine analoge Tätigkeit ist. Wir müssen den Unterschied zwischen unmittelbarer oder intuitiver und abgeleiteter oder diskursiver Erkenntnis festhalten: Das diskursive Denken kann kein Gegenständliches der Erkenntnis erzeugen und umgekehrt ist die unmittelbare Erkenntnis oder die Wahrnehmung ganz in die Form der Gegenständlichkeit gebannt. Das Gegenständliche der Wahrnehmung ist keine abgeleitete Erkenntnis, keine consecutio [Folge - wp] eines Schlusses. Durch das Schließen kann kein Gegenständliches der Erkenntnis erzeugt werden, alles Gegenständliche ist ein unmittelbar im Bewußtsein Vorhandenes. Ein "Schluß in der Form einer Gesichtsvorstellung" ist ein Wort, um die Begriffslosigkeit zu verbergen. Die Theorie von der schließenden Wahrnehmung oder dem wahrnehmenden Schließen beruth auf einer Verwechslung des logischen Resultates eines Schlusses, der consecutio, mit dem psychischen Effekt desselben. Wenn mir Jemand aufgrund von Tatsachen demonstriert, daß ich mich in eine unkluge Finanzspekulation eingelassen habe, welche mir sicherlich mein Vermögen kosten wird, so ist nicht der Schrecken, der mich ergreift, sondern die Einsicht: Dein Vermögen ist verloren, das Geschlossene. Analog aber einem solchen Schrecken wird die Disposition des wahrnehmenden Bewußtseins erzeugt, die dem Inhalt desselben eine andere Gestalt gibt, als sie in der bloßen Wahrnehmung sich würde vorgefunden haben. Ich sehe die Gegenstände wirklich stereoskopisch, daß ich sie aber stereoskopisch sehen kann, verdanke ich den Einflüssen der Erfahrung auf die Organisation meines Bewußtsein. Das Wahrnehmen ist eine der Ausbildung fähige Tätigkeit, es ist zwar der Anfang des Erkenntnisprozesses, aber wir lernen immer besser anfangen. Das äußere Wahrnehmen selbst wird in keiner Weise durch diese Tatsache der Ausbildungsfähigkeit erklärt, wie es nach der eben erwähnten Ansicht der Fall sein müßte; sie ist dasjenige, was ausgebildet wird, aber sie entsteht nicht durch Ausbildung; alle Erkenntnisoperationen, welche auf das äußerlich wahrnehmende Bewußtsein zurückwirken, setzen selbst bereits äußere Wahrnehmungen voraus.


Die Erfahrung lehrt uns, daß die Empfindung keineswegs der einzige Gegenstand der inneren Wahrnehmung ist (wenn wir unter innerer Wahrnehmung allgemein die auf psychische Zustände gerichtete verstehen), daß sie aber unentbehrlich für die Anregung des bewußten Seelenlebens überhaupt ist und mit allen Erscheinungen desselben in einem wenn auch häufig nur entfernten Zusammenhang steht. Die zunächst sich an die Empfindung knüpfenden subjektiven Zustände können als ein auf dieselbe bezügliches Interesse, als eine über die bloße Wahrnehmung hinausgehende Teilnahme an derselben bezeichnet werden. Es sind die Gefühle der sinnlichen Lust und des sinnlichen Schmerzes und die auf eine Verminderung und Beseitigung dieser und auf Erhaltung oder Erhöhung jener gerichteten Bestrebungen. Bei Wesen, die keiner höheren Erkenntnisweise, als der Wahrnehmung fähig sind (wenn es deren überhaupt gibt), mag das bewußte psychische Leben hiermit erschöpft sein, bei höher organisierten aber, insbesondere beim Menschen nach Ablauf der frühesten Kindheit, treffen wir unter den Gegenständen der inneren Wahrnehmung auch solche Zustände an, welche sich zumindest nicht direkt an sinnliche Empfindungen knüpfen: die Stimmungen der Freude und der Trauer, die Affekte, die ästhetischen, ethischen und religiösen Gefühle, die damit verbundenenk Willensregungen und das höheren Zwecken, als dem sinnlichen Zustand zugewandte Wollen überhaupt. Mit der Empfindung sind dieselben im Allgemeinen durch zwei Wege verbunden, deren einer sich durch eine Reihe subjektiver Zustände hindurchzieht und deren anderer durch das Gebiet der äußeren Wahrnehmung führt. Die Untersuchung dieser Beziehungen ist für die hier erstrebte Erkenntnis des Bewußtseins ohne Bedeutung, weshalb wir sie der systematischen Psychologie überlassen. Aus demselben Grund lassen wir die Frage dahingestellt, ob sich an Empfindungen notwendig Gefühle und Strebungen anschließen und welche Unterschiede in dieser Hinsicht zwischen den verschiedenen Empfindungen stattfinden. Eine Ansich jedoch über den Zusammenhang des gesamten Seelenlebens mit der Empfindung haben wir zu prüfen.

In der äußeren Wahrnehmung finden wir, wie gezeigt, als letztes Element die Empfindung in dem Sinne, daß das Wahrgenommene das aus dem Zustand der Empfindung ausgeschiedene und verselbständigte Empfundene ist. Ein Gleiches gilt selbstverständlich von der inneren Wahrnehmung der Empfindung nicht. Denn wäre diese innere Wahrnehmung gleichfalls eine Objektivierung eines Empfundenen, so müßte die Empfindung selbst ein Empfundenes sein, wir müßten sie wie eine Farbe, einen Ton und dgl. empfinden. Und wäre dies der Fall, so müßte, wie zur äußeren Wahrnehmung die innere, so zu dieser eine noch mehr innere treten, eine solche nämlich, welche nicht bloß die (empfundene) Empfindung, sondern die Empfindung der Empfindung zum Objekt hätte, usw. bis ins Unendliche.

Wie mit der Empfindung verhält es sich aber mit allen Gegenständen der inneren Wahrnehmung. Angenommen, ein psychischer Zustand sei uns durch Empfindung zum Bewußtsein gekommen, so müßte in diesem Bewußtsein eine Scheidung dieser Empfindung nach Form und Inhalt stattfinden (da wir uns sonst bloß der Empfindung als solcher, nicht aber des empfundenen psychischen Zustandes bewußt wären). Wie jeder Empfindung wären wir uns ihrer als eines subjektiven Zustandes bewußt, zugleich aber würden wir den andern subjektiven Zustand, der uns nach der Annahme durch Empfindung vermittelt sein soll, als das Empfundene wahrnehmen. Nun ist aber gerade dieses der Begriff der äußeren Wahrnehmung, daß dieselbe in einer Ausscheidung des Empfundenen besteht und von der Wahrnehmung des subjektiven Zustandes der Empfindung begleitet ist. Der in Rede stehende Zustand wäre also nicht innerlich, sondern äußerlich wahrgenommen, er wäre folglich kein subjektiver, sondern ein den Dingen der Außenwelt inhärierender [innewohnender - wp] Zustand.

Nun versteht man unter Sinnlichkeit im Allgemeinen das Vermögen der Seele, Empfindungen zu empfangen, bestimmter, das Vermögen der bewußtlosen Seele, so erregt zu werden, daß dem Bewußtsein dadurch das Erregende (oder das als solches Gesetzte) zum Inhalt wird, und unter Sinnen die Organe, durch welche dieses Vermögen zur Wirksamkeit gelangt. Wir müssen demnach behaupten, daß die Gegenstände der inneren Wahrnehmung uns nicht durch die Sinne überliefert werden, daß es, mit anderen Worten: keinen inneren Sinn gibt. Bekanntlich spielt in der Philosophie KANTs die Lehre von einem inneren Sinn eine große Rolle. Insofern KANT unter Sinnlichkeit nur die Fähigkeit des Bewußtseins versteht, einen Inhalt zu empfangen (das rezeptive Vermögen der Seele gegenüber dem Verstand als dem spontanen) ist dagegen nur einzuwenden, daß der Name auf einer irrigen Analogie beruth. Denn daß die Gegenstände der inneren Wahrnehmung ebensowenig wie die der äußeren durch das bloße Bewußtsein hervorgebracht, sondern durch Erregungen der unbewußten Seele veranlaßt sind, wollen wir nicht bestreiten; aber was von jeher Sinn heißt, ist nicht die Fähigkeit des Bewußtseins, durch solche Erregungen der bewußtlosen Seele einen Inhalt zu empfangen (sonst könnte es keinen äußeren, sondern nur einen inneren Sinn geben), sondern die Fähigkeit der bewußtlosen Seele, in Erregungen derart versetzt zu werden, daß dadurch das Bewußtsein einen Inhalt empfängt, den es auf das Erregende deutet. Die falsche Analogie hat aber bei KANT nicht bloß zu einer falschen Benennung, sondern auch zu falschen Vorstellungen geführt, wie wir in der Folge sehen werden. Die Lehre vom inneren Sinn ist besonders von HERBART und seinen Anhängern (DROBISCH, VOLKMANN) bekämpft worden, jedoch in mißverständlicher und irriger Weise in mißverständlicher, weil sie den inneren Sinn mit dem Bewußtsein vom Wahrnehmen selbst, welches zu aller Wahrnehmung notwendig gehört, wie wir bald sehen werden, d. h. mit der im Begriff des wahrnehmenden Ich liegenden Selbsterfassung konfundierten, in irriger, weil sie ihre Argumente gegen die innere Wahrnehmung überhaupt oder doch gegen eine Seite derselben gerichtet haben. Gegen sie ist jüngst JÜRGEN BONA-MEYER (Kants Psychologie, Seite 268f) als Verteidiger des inneren Sinnes aufgetreten und hat die Schiefheit der Vorstellung HERBARTs, wenn auch nicht in ihrem ganzen Grad, überzeugend nachgewiesen. Aber auch BONA-MEYER weiß den inneren Sinn nur in der Bedeutung einer Fähigkeit des Bewußtseins, durch eine Erregung der bewußtlosen Seele einen Inhalt zu empfangen, zu retten. Daß, wie die Analogie erfordert, eine Selbsterregung der bewußtlosen Seele mittels eines besonderen Organs, wie bei den äußeren Sinnen eine Erregung derselben durch äußere Einflüsse, stattfindet, ist aus seinen Ausführungen nicht einzusehen.

Nach meiner Darstellung gibt es keine andere Wahrnehmung als eine solche, die durch die Erregung der bewußtlosen Region der Seele veranlaßt ist. Alle Erregungen aber derselben weisen zuletzt auf einen äußeren Anlaß zurück. Diejenigen, welche direkt von außen her hervorgebracht sind (d. h. aus der Wechselbeziehung der Seele mit anderen Wesen stammen) und dem Bewußtsein einen Inhalt von der Art liefern, daß es denselben nicht einfach als subjektiven Zustand setzt, sondern zugleich auf das äußere Erregende (das mit der Seele in Gemeinschaft stehende Wesen) bezieht, sind die Empfindungen, und wir nennen die Fähigkeit der Seele, zu Empfindungen erregt zu werden, Sinnlichkeit und die Organe, durch welche die Seele diese Erregungen von außen erleidet, gleichsam nach außen geöffnet ist, Sinne.

Ob die Erregungen der bewußtlosen Seele, aus welchen das Bewußtsein seinen Inhalt gewinnt, sich notwendig ins Bewußtsein fortpflanzen, oder ob sie auch auf die bewußtlose Region der Seele beschränkt bleiben können, wird schwer zu entscheiden sein. Gewiß aber ist, daß sie nicht so, wie sie in der bewußtlosen Seele sind, wahrgenommen werden. Denn sie werden wahrgenommen, als vom Zustand des Wahrnehmens verschiedene Zustände des wahrnehmenden Ichs und zwar so, daß nichts von dem, was sie als solche sind, festgehalten werden kann, wenn von dieser Verknüpfung mit dem wahrnehmenden Ich abstrahiert wird. Wird ein Erkenntnisinhalt, der so, wie er erkannt wird, nur innerhalb des Bewußtseins existiert, subjektiv genannt, so sind die Gegenstände der inneren Wahrnehmung also subjektiv; sie sind darum nicht weniger wirklich, wenn auch das Bewußtsein von ihnen die Bedingung ihrer Existenz ist. Sie sind ebenso wirkliche Zustände des Ichs, wie das Wahrnehmen selbst, welches, wie es Bedingung ihrer Existenz ist, so auch von ihnen in seiner Existenz bedingt ist, da es ohne sie keinen Inhalt hätte, ohne solchen aber nicht existieren kann. Es ist eine wirkliche Umwandlung, die mit den Erregungen der bewußtlosen Seele vorgeht, wenn sie zu Empfindungen, Gefühlen und Willenstätigkeiten werden. Über dieses Verhältnis werden wir im logisch-ontologischen Teil unserer Untersuchung näher zu handeln haben. Wir erwähnen hier seiner nur um der abweichenden Darstellung willen, welche ÜBERWEG, mit dem ich sonst bezüglich der inneren Wahrnehmung vielfach übereinstimme, in seiner "Logik" (zweite Auflage, Seite 67) von demselben gibt.
    "Die innere Wahrnehmung oder unmittelbare Erkenntnis der psychischen Akte und Gebilde", heißt es daselbst, "vermag ihre Objekte so, wie sie ansich sind, mit materialer Wahrheit aufzufassen ... Wir sind uns ihrer bewußt, und wie wir uns ihrer bewußt sind, so ist ihr wirkliches Sein, indem bei den Seelentätigkeiten als solchen Bewußtsein und Dasein identisch ist."
ÜBERWEG geht also so weit, daß er überhaupt keine unbewußten Seelentätigkeiten anerkennt, wohl aber unbewußte Seelenzustände, wie sich aus dem folgenden Satz erhellt, in welchem er von den "im Unbewußtsein verharrenden Gedächtnisbildern" redet, die durch Wiedererinnerung wieder erregt werden. Nach dieser Ansicht kann offenbar von einem inneren Sinn auch nicht einmal mehr in der Bedeutung der Fähigkeit des Bewußtseins, durch psychische Ereignisse einen Inhalt zu empfangen, die Rede sein, denn dazu muß eine nicht mit Bewußtsein identische Tätigkeit der Seele gedacht werden, wodurch das Bewußtsein einen bestimmten Inhalt wahrzunehmen veranlaßt wird.

Alle Gegenstände der inneren Wahrnehmung existieren nach meiner Darstellung nur als bewußte. Es gibt nur bewußte Empfindungen, Gefühle und Willenstätigkeiten, wenngleich dieselben unbewußte Ereignisse in der Seele zur Voraussetzung haben. Hierbei haben wir noch einen Augenblick zu verweilen.

Meiner Behauptung, daß alle Empfindungen bewußte sind oder, was dasselbe ist, wahrgenommen werden, stehen viele Aussprüche von Psychologen und Physiologen entgegen, und doch erscheint sie mir so selbstverständlich, daß ich auf jene abweichenden Meinungen zurückzukommen für überflüssig gehalten habe. Man erwäge doch nur, woher wir überhaupt den Begriff der Empfindung haben! Offenbar nicht aus der äußeren Wahrnehmung. Wie sollte in der Tat jemand behaupten wollen, man könne Empfindungen sehen, hören usw.? Wo wir von Empfindungen in den Gegenständen der äußeren Wahrnehmung wissen, haben wir dies stets aus der Analogie dieser Gegenstände mit uns selbst als empfindenden Wesen geschlossen. Unmittelbar wissen wir nur von unseren eigenen Empfindungen. Die innere Wahrnehmung also hat uns das Material für die Bildung des Begriffs der Empfindung an die Hand gegeben. Zum Wesen des innerlich Wahrgenommenen aber gehört, wie gezeigt, dieses, daß es zum erkennenden Subjekt nicht bloß im Verhältnis der Gegenständlichkeit steht, sondern als Zustand des bewußten Wesens, des Ich selbst, gesetzt wird; was nicht so gesetzt wird, beziehen wir wahrnehmend auf die Außenwelt und müssen es folglich zur äußeren oder sinnlichen Wahrnehmung rechnen. Wir können also die Empfindung nicht nur nicht anders wahrnehmen denn als bewußte, sondern wir müssen auch den Begriff der Bewußtlosen Empfindung für einen sich widersprechenden erklären, weil bewußtlose Empfindung soviel heißen würde, als in der äußeren Wahrnehmung aufgefundene, d. h. gehörte oder gesehene oder gerochene usw. Empfindung.

Die Schrift, die ich Eingangs meiner Untersuchung erwähnt habe, weil sie die sinnliche Wahrnehmung vom Bewußtsein ausschließt, sucht die Bewußtlosigkeit der Empfindung in folgender Weise darzulegen: Bei näherer Betrachtung zeigt sich, daß das Empfinden Bedingung und Voraussetzung unseres Bewußtseins ist, daß folglich die Empfindungen immer schon entstanden sein müssen, wenn wir uns ihrer bewußt werden sollen. Die Art ihrer Entstehung fällt folglich notwendig außerhalb oder jenseits unseres Bewußtseins. Aus zahlreichen Tatsachen geht hervor, daß Empfinden keineswegs ein und dasselbe mit Bewußtsein, keineswegs unmittelbar (immer und überall) mit Bewußtsein verknüpft ist. So empfinden wir fortwährend den Druck unserer Kleider und des Sessels, auf dem wir sitzen, meistens ohne uns dessen bewußt zu sein; daß wir ihn aber wirklich empfinden, erhellt sich daraus, daß wir uns seiner augenblicklich bewußt werden, sobald wir nur unsere Aufmerksamkeit darauf richten (ULRICI, Compendium der Logik, Seite 13).

Was zunächst die angeführten Tatsachen betrifft, so erledigen sich dieselben einfach durch die Unterscheidung verschiedener Stufen des Bewußtseins. Wahrnehmend bin ich mir eines Dings bewußt, das Erkennen ist aber nicht auf die Wahrnehmung beschränkt, mein Bewußtsein kann sich noch in anderer Weise mit einem Ding beschäftigen als wahrnehmend, und zwar kann ich gleichzeitig ein Ding, z. B. einen Baum wahrnehmen und über etwas anderes, z. B. ein philosophisches Problem, nachdenken. Das nun, was ULRICI für ein Bewußtwerden bisher unbewußter aber wirklich vorhandener Empfindungen ansieht, besteht in nichts anderem, als daß das Bewußtsein die höhere Tätigkeit des Denkens am bisherigen Objekt, z. B. das Philosophieren, einstellt und auf die niedere Tätigkeit des Bewußtseins, z. B. das Wahrnehmen eines Baumes, richtet (eine Weise des Bewußtseins, die ich später zu erklären haben werde). Habe ich wirklich den Druck meines Sessels empfunden, während ich an etwas ganz anderes gedacht habe - was übrigens keineswegs dadurch bewiesen wird, daß ich diese Empfindung habe, sobald ich an sie denke - so bin ich mir ihrer auch bewußt gewesen, nur war dieses Bewußtsein kein Denken an die Empfindung; das Denken, diese höhere Tätigkeit des Bewußtseins, war eben mit etwas anderem beschäftigt. Es ist, um mit BENEKE zu reden (Psychologie als Naturwissenschaft, dritte Auflage, bearbeitet von DRESSLER, Seite 93) zu unterscheiden das Bewußtsein von unseren Entwicklungen, und das Bewußtsein an unseren Entwicklungen oder das Bewußtsein in adjektivischer Bedeutung dieses Wortes. Will ULRICI nur das Denken an Etwas Bewußtsein nennen, die Voraussetzung dafür aber, den bloßen Besitz dieses Etwas für das erkennende Subjekt, nicht, so ist ihm das Recht dazu nicht abzustreiten, obwohl wir diesen Sprachgebrauch als einen durchaus willkürlichen und unzweckmäßigen bezeichnen müssen. Allein schon die Art und Weise der Begründung seiner Ansicht zeigt, daß es sich um mehr als den Sprachgebrauch handelt. ULRICI verkennt, wie auch seine ganze logische Theorie darlegt, das dem Erkenntnisprozeß zugrunde liegende unmittelbare Verhältnis des erkennenden Subjekts zum erkannten Objekt, wie ich es oben dargestellt habe. Er findet nicht diesen bloßen Besitz des Objekts durch das Subjekt, durch welchen das Objekt erst Objekt und das Subjekt erst Subjekt ist. Nach ihm muß das Objekt erst fertig vorhanden sein, damit das Subjekt dasselbe erkennen kann. Daher dieser ihm so selbstverständlich scheinende Satz, daß jedes Gefühl, jede sinnliche Empfindung immer schon entstanden sein muß, bevor sie zu Bewußtsein kommen kann. Ich behaupte dagegen, es ist nicht die Empfindung ansich, nicht das Gefühl ansich, nicht das außerhalb des erkennenden Subjekts vorhandene Haus oder der Baum, welchen das Denken (was ULRICI Bewußtsein nennt) als seine Voraussetzung vorfinden muß, sondern das ausschließlich in der Form der Vergegenständlichung sich äußernde Bewußtsein von der Empfindung, dem Gefühl, dem Haus, dem Baum bildet diese Voraussetzung.

Aus demselben Grund, der uns unbewußte Empfindungen anzunehmen verbietet, müssen wir auch die Annahme unbewußter Gefühle und unbewußter Willenstätigkeiten verwerfen. Als unbewußte wären sie nicht Zustände des wahrnehmenden Ichs, folglich nicht Gegenstände der inneren Wahrnehmung; da aber ihr Begriff, soll er überhaupt einen Inhalt haben, auf Wahrnehmung beruhen muß, so müßten sie äußerlich wahrnehmbar sein, als äußerlich (durch die Sinne) wahrnehmbar hörten sie aber überhaupt auf psychische Zustände zu sein. Die Lehre von einem unbewußten Willen ist von SCHOPENHAUER zur Grundlage eines philosophischen, trotz seiner Ungereimtheit viel bewunderten Systems gemacht. Es würde uns hier zu weit führen, auf diese Lehre näher einzugehen; sie zu würdigen, genügt es, zu vergleichen erstens SCHOPENHAUERs Argumentation dafür, daß wir nur Objekte erkennen und daß kein Objekt ohne Subjekt, d. h. außerhalb des Bewußtseins von ihm existieren kann, zweitens seine Ausführung, daß der Wille nicht mehr eigentlich, nicht mehr so recht oder nur noch in einem halben Sinn (so ungefähr, wenn nicht wörtlich, drückt er sich aus) Objekt ist, obwohl wir ihn erkennen, und darum als ansich seiend gesetzt werden darf, und drittens seine mit meiner Darstellung übereinstimmende Lehre, daß das Subjekt des Wollens kein anderes, als das erkennende Subjekt, das Ich, ist. SCHOPENHAUERs System ist von EDUARD von HARTMANN ergänzt durch die Einführung der unbewußten Vorstellung, die mit dem unbewußten Willen zusammen den letzten Grund und das Wesen aller Dinge bilden soll. Bezüglich dieser letzten Gestalt der "Philosophie des Unbewußten" will ich hier nur mit Befriedigung konstatieren, daß, nachdem ihr Urheber zuerst die Argumente gegen seinen Grundbegriff auf folgenden ihre Leerheit enthüllenden Satz zurückführen zu können glaubte:
    "Wir kennen Willen und Vorstellung nur als bewußte, also gehört es zum Wesen von Wille und Vorstellung, bewußt zu sein, also widerspricht es dem Wesen von Wille und Vorstellung, unbewußt zu sein",
er sich schließlich zu der Erklärung genötigt gefunden hat, daß er unter einem unbewußten Wollen nichts anderes versteht, als eine Ursache, in der analog dem zweckbewußten Handeln die Wirkung bereits antizipiert ist, und daß er von den Bestimmungen bewußter Geistestätigkeit auf die unbewußte etwas zu übertragen nicht für erlaubt hält ("Zur Philosophie des Unbewußten", Philosophische Monatshefte, Bd. IV, Seite 41 und 63f)

Ich nannte oben das Bewußtsein von der Empfindung eine synthetische Selbstbestimmung des Ich durch den Zustand der Empfindung. Die innere Wahrnehmung kann nun allgemein als synthetische Selbstbestimmung des Ich bezeichnet werden. Das Ich ist, indem es innerlich wahrnimmt, ein empfindendes, fühlendes, wollends, und das Sein dieser Zustände ist zugleich ihr Wahrgenommenwerden. Dieselben kommen aber nicht dem Ich insofern zu, als es überhaupt ein Ich ist, denn das Ich ist ansich das bewußte Subjekt und bedarf als solches zwar weiterer Prädikate, muß sich, um bewußtes Subjekt sein zu können, noch in anderen Zuständen finden, aber welches diese Zustände sind, wird durch den Begriff des Ich unbestimmt gelassen, und durch die wirklich eintretenden wird folglich das Ich synthetisch bestimmt.

Das Wahrnehmen selbst ist hingegen ein analytisches Prädikat des wahrnehmenden Ich und kann darum niemals in dem Sinne wahrgenommen werden, wie das Empfinden, Fühlen und Wollen wahrgenommen wird. Denn die Prädikate, durch welche sich das Ich bestimmt, können nicht schon im bloßen Ich, dem zu bestimmenden und dadurch erst zu verwirklichenden, enthalten sein; es würde sonst beim bloßen Ich sein Bewenden haben können, das bloße Ich wäre schon ein Wahrnehmen und könnte alle Tätigkeit unbeschadet seiner Ichheit einstellen. Das Bewußtsein vom Wahrnehmen ist jedoch in allem Wahrnehmen vorhanden, das wahrnehmende Ich ist als solches dieses Bewußtsein, aber nur dann, wenn es wirklich wahrnimmt, d. h. wenn es sich synthetisch durch eins der Prädikate Empfinden, Fühlen, Wollen, bestimmt. Das Wissen vom Wahrnehmen wird erst durch das Wahrnehmen wirklich und dieses durch seine Objekte, das Empfinden, Fühlen, Wollen; aber auch umgekehrt sind diese Objekte nur durch das Wahrnehmen wirklich und dieses nur das Bewußtsein von ihm. Den Begriff des wahrnehmenden Ich werde ich im nächsten Kapitel eingehend betrachten.

Das wahrnehmende Bewußtsein, durch welches sich das Ich synthetisch bestimmt (das Bewußtsein vom Empfinden, Fühlen und Wollen), wollen wir synthetisches Bewußtsein nennen, und dasselbe, insofern es auf das im Begriff des Ich analytisch enthaltene Prädikat Wahrnehmen gerichtet ist, analytisches Bewußtsein, und diese Bezeichnungen auf die übrigen Stufen des Bewußtseins (das Vorstellen und Denken) übertragen, wenn sich das gleiche Verhältnis in ihnen findet. Wir werden später sehen, daß es auch ein synthetisches Bewußtsein vom Wahrnehmen gibt (wie ich bereits gegen ULRICI vorausgesetzt habe); dasselbe gehört aber nicht der Wahrnehmung selbst, sondern dem Denken an.
LITERATUR - Julius Bergmann, Grundlinien einer Theorie des Bewußtseins, Berlin 1870