cr-3  
 
WALTER ESCHENBACH
Mauthner's Rezeption
in der Dichtung um 1900


Die Sprachkrise des 19. Jahrhunderts
Das Problem der Abstraktion
Das Problem der Geschichtlichkeit
Sprache und Denken
Die Kommunikationskrise
Überwindung der Sprachkrise
"Ein  Wort ist etwas unendlich Rohes: es faßt Millionen Beziehungen mit einem Griff zusammen und ballt sie wie einen Klumpen Erde."

Die Erforschung der unmittelbaren Einflüsse und Nachwirkungen MAUTHNERs auf die deutschsprachige Literatur um und nach 1900 steht noch aus und dürfte sich auch sehr schwierig gestalten, weil nicht jede Beziehung ihren Niederschlag in einer schriftlichen Überlieferung fand. Andererseits muß man bei der Bekanntheit und Popularität der MAUTHNERschen Schriften beinahe immer mit der Möglichkeit einer, wenn auch ganz losen Verbindung rechnen.

Wir haben es deshalb vorgezogen, einen kurzen Überblick über die zeitgenössischen Rezensionen zu geben, weil hier die Quellenlage am besten ist, und weil sich außerdem aus diesen Kritiken und Besprechungen die gesamte Rezensionssituation am deutlichsten erschließen läßt. Wenngleich die von uns ausgewählten Rezensionszitate keine Auskunft über ganz spezifische Beziehungen einzelner Dichter und Schriftsteller der Jahrhundertwendegeneration zu MAUTHNER geben, vermitteln sie doch einen repräsentativen Eindruck von der Bedeutung und Wirksamkeit, die MAUTHNERs Sprachkritik im literarischen Betrieb seiner Zeit innehatte. Diese ausgewählten Besprechungen lassen aber auch erste Rückschlüsse auf die spezifische Wirkung bei den bedeutenden Autoren der Epoche zu.

Sicherlich waren MAUTHNERs sprachkritische Theorien keine epochalen Ereignisse, die das geistige und künstlerische Leben grundlegend revolutioniert oder verändert hätten. Dazu war das sprachkritische Bewußtsein der entscheidenden zeitgenössischen Schriftsteller in der Regel bereits zu hoch entwickelt. Außerdem ergab sich für jeden sprachskeptischen Dichter bei der Lektüre MAUTHNERs die Schwierigkeit, daß dieser gerade die poetische Sprache, und damit die Dichtung aus seinem Konzept ausgeklammert hatte.

Was jedoch auch für den sprachbewußten und -kritischen Schriftsteller, der MAUTHNER rezipierte, immer noch eindrucksvoll und bedeutsam sein konnte, war die Demonstration der weitreichenden Konsequenzen, die der sprachkritische Gedanke, den der literarische Autor zunächst und vorwiegend nur als dichterische Sprachskepsis kannte, auch auf philosophisch- erkenntnistheoretischem, psychologischem und naturwissenschaftlichem Gebiet nach sich zog. Hier ergaben sich für den schriftstellerischen Rezipienten MAUTHNERs zweifellos neue, bisher unbeachtete Einsichten und Denkanstöße, die die eigene literarische Sprachskepsis bestätigen, ergänzen, verstärken oder auch realisieren konnten.

Die Bedeutung der Sprachkritik MAUTHNERs für die Literatur der Jahrhundertwende ist also wohl nicht in einer Initialwirkung zu suchen, die die sprachskeptische Dichtung erst ausgelöst oder auch nur ermöglicht hätte. Seine sprachtheoretischen Werke sind zwar ein wichtiger Beitrag zur Erhellung der Sprachproblematik um 1900; aber sie sind selbst in erster Linie nur Produkt und Ausdruck einer epochalen, Dichtung und Philosophie übergreifenden Bewußtseins- und Sprachkrise, innerhalb deren sie lediglich die Position des extremen erkenntnistheoretischen Kritizismus, bzw. Agnostizismus vertreten. Da MAUTHNER als Schriftsteller, Kritiker, Publizist und Romanautor hinlänglich bekannt war und zudem populärwissenschaftlich schrieb, war er natürlich geradezu prädestiniert, weiteste Leserkreise anzusprechen.

Auch das Interesse der Dichter- und Schriftstellergeneration um 1900, die wir rezeptionssoziologisch nicht unbedingt als eine eigene Gruppe betrachten müssen, dürfte durch die der Sprachkritik bereits vorausgegangene Bekanntheit MAUTHNERs gefördert worden sein. Die zusätzlichen zahlreichen Artikel und Rezensionen in den verschiedenen Zeitschriften und Tageszeitungen verstärkten die Wirkung MAUTHNERs nicht unerheblich. Daneben gab es aber auch eine ganze Reihe namhafter Autoren, bei denen die Kenntnis der MAUTHNERschen Sprachkritik ohnehin durch die persönliche Bekanntschaft mit dem Verfasser gewährleistet war.

Zu den literarischen Kollegen, Bekannten und Freunden MAUTHNERs, von denen wir im Nachlaß jeweils einen oder mehrere Briefe vorfanden, gehörten z.B. CONRAD ALBERTI, OTTO JULIUS BIERBAUM, CARL BLEIBTREU, WILHELM BÖLSCHE, ALFRED DÖBLIN, PAUL ERNST, LION FEUCHTWANGER, MAX HALBE, HERMANN HESSE, PAUL HEYSE, ARNO HOLZ, GUIDO KOLBENHEYER, KARL KRAUS, PAUL LINDAU, BORRIES von MÜNCHHAUSEN, RENÉ SCHICKELE, FRIEDRICH SPIELHAGEN, HERMANN SUDERMANN und FRANK WEDEKIND. Wenngleichsich die brieflichen Zeugnisse nur manchmal ausdrücklich auf MAUTHNERs Sprachkritik beziehen, dürfen wir doch bei den allermeisten Briefpartnern die Kenntnis dieses Werkes voraussetzen.

ALFRED DÖBLIN hatte bereits 1903 dem "Sprachkritiker" MAUTHNER seinen Roman "Worte und Zufälle" zur Beurteilung vorgelegt; knapp zwanzig Jahre später schrieb er:
    "Ich besitze von Ihnen einige Romane, die Sprachkritik, die beiden Atheismusbände; mich soll jeder Gruß erfreuen, denn ich weiß, daß Sie, der viel Ältere, im Geistigen mein Kamerad sind. Ob man uns kennt oder ob wir uns kennen: wir halten die Kontinuität der Klarheit und Skepsis fest" (64).
HERMANN HESSE kündigte in einem Brief von 1910 einen möglichen Besuch in Meersburg an (65), und BORRIES von MÜNCHHAUSEN schrieb in einem undatierten Brief:
    "ich bin so entzückt von Ihrem Sprachbuch - eigentlich ist es ja eine Philosophie über allen Philosophien - daß ich Ihnen im Geiste feierlich dankend die Hand drücken muß. Was SCHOPENHAUER von KANT sagte, daß die Lektüre seiner Kritik der Wirkung der Staroperation auf den Blinden vergleichbar sei, das kann ich von Ihrem Buch sagen. Und sicher mit mir viele Tausende. Wer wird jetzt noch Philosophie treiben mögen!" (66)
Vier frühe RILKE-Briefe aus den Jahren 1897-1899 wurden 1962 von EDITH A. RUNGE in der amerikanischen Zeitschrift "Symposium" veröffentlicht (67). Die Briefe liegen zwar zeitlich kurz vor dem Erscheinen der  Beiträge  und richten sich noch ausschließlich an den von RILKE sehr hochgeschätzten Literaturkritiker; dennoch können wir auch hier annehmen, daß diese Bekanntschaft die Beachtung der sprachtheoretischen Schriften MAUTHNERs zur Folge hatte.

Außerhalb des Kreises der Dichter und Philosophen im engeren Sinne fand MAUTHNER seinen wohl prominentesten Verehrer und Bewunderer in WALTER RATHENAU, der ihm wiederholt und ausführlich schrieb. Am deutlichsten spiegelt sich MAUTHNERs Wirkung in dem Brief vom 19.12.1919 wider:
    "Ihre Wirkung ist groß; so groß wie Ihre Geltung, so groß wie Ihre Gültigkeit. Doch vergessen Sie nicht: für Menschen Ihres Ranges gilt nicht das horizontale Publikum der Gleichzeitigen, sondern das vertikal aufsteigende der Geschlechter. Das ist eine große Multiplikation. Das ist eine große Multiplikation einer großen Zahl. Bleiben Sie noch lange dieser armen Mitwelt treu; Mitwelt und Nachwelt wird auch Ihnen treu bleiben" (68).
Selbstverständlich bleibt noch eine stattliche Anzahl wichtiger Autoren der Jahrhundertwende und des beginnenden 20. Jahrhunderts übrig, deren Beziehung zu MAUTHNER unklar und fraglich ist. Könnte man beispielsweise bei FRANZ KAFKA und dem Prager Kreis mit der Wirkung MAUTHNERscher Gedanken über die Vermittlerrolle MAX BRODs rechnen, so fehlen hierfür doch - bisher wenigstens - eindeutige Belege. Genauso steht es beispielsweise mit der möglichen MAUTHNERrezeption STEFAN GEORGEs, SCHNITZLERs, MUSILs, BROCHs, HEYMs, TRAKLs, STERNHEIMs, BENNs oder BRECHTs, um nur die wichtigsten Namen zu nennen (69).

Es wäre also sicherlich vermessen, dem sprachtheoretischen Werk MAUTHNERs eine ähnlich zentrale Rolle für die deutsche Literatur der Jahrhundertwende zuzuschreiben, wie den Schriften NIETZSCHEs, SCHOPEHAUERs oder MACHs. Mit einer weitreichenden Verbreitung und Ausstrahlung der MAUTHNERschen Sprachkritik kann zwar - gerade und vor allem in literarischen Kreisen - gerechnet werden, auch dort, wor wir dies nicht exakt belegen können. Aber seine Sonderstellung als herausragender Pol der betont skeptizistischen Richtung innerhalb der Sprachdiskussion um 1900 machte ihn noch lange nicht zum Wegbereiter oder Wortführer der Sprachkrise der Jahrhundertwende überhaupt. Dazu war der Anteil wirklich innovatorischer, weiterführender Gedanken in seinem Werk zu gering.

Vielmehr vermitteln - und vermittelten - diese voluminösen Bände eine Kompilation beinahe sämtlicher zeitspezifischen Gedanken zur Sprachproblematik jener Tage, MAUTHNERs Sprachkritik war selbst viel zu stark geprägt von den verschiedensten Elementen der Sprachkrise um 1900, viel zu abhängig vom vorherrschenden Zeitgeist, als daß sie diesen hätte entscheidend verändern oder voranbringen können. Das Werk behält seinen bleibenden Wert als ein von den Zeitgenossen vielbeachtetes Dokument der umfassenden und epochalen Bewußtseins- und Sprachkrise, für deren Analyse und Deutung es eine ganze Menge wichtiger Hinweise zu liefern vermochte.

Zwei Autoren der Jahrhundertwende sind noch gesondert hervorzuheben, weil für ihr literarisches Schaffen der Einfluß der MAUTHNERschen Sprachkritik tatsächlich von ausschlaggebender Bedeutung war. PAULA SACK schrieb sieben Monate nach dem Tod ihres Mannes, des expressionistischen Schriftstellers GUSTAV SACK, an FRITZ MAUTHNER:
    "Es gibt  sehr wenige  moderne (lebende) Autoren, die auch SACK Eindruck machten, geschweige denn einen Einfluß auf Ihn gewannen. Unter diesen sehr wenigen stehen Sie an allererster Stelle. 1913-14, in der Münchener Staatsbibliothek, waren Ihre Werke wochenlang Gegenstand seines Studiums" Studiums" (70).
Im gleichen Brief erfahren wir auch, daß SACKs Romanfragment "Paralyse" folgende, später gestrichene Vorbemerkung enthalten habe:
    "Der Leser dieses Vermächtnisses wird auf einige, nicht nur sachliche, Entlehnungen aus FRITZ MAUTHNERs  Wörterbuch der Philosophie  stoßen. Um die Einheitlichkeit des mir vorliegenden Textes zu bewahren und um die notwendige Illusion nicht zu zerstören, verzichtete ich darauf, in jedemaligen Fußnoten den Nachweis dieser Entlehnungen zu führen, und schmeichle mir, mit dem Hinweis hierauf zugleich das notwendige Vorwort für den verstehenden Leser geschrieben zu haben" (71).
Wir können uns damit begnügen, auf die beiden Romane "Ein verbummelter Student" und "Ein Namenloser" und auf das kurze Prosastück "Ein Traum nach MAUTHNER von K.A. von Baer" lediglich hinzuweisen, da die Bezüge zwischen SACK und MAUTHNERs Werken in der Arbeit von KARL EIBL bereits ausführich dargestellt worden sind (72).

Mehr noch: diese Studie über GUSTAV SACKs Sprachskepsis ist neben zwei Untersuchungen zum Werk des anderen von MAUTHNER sehr stark beeinflußten Schriftstellers der Jahrhundertwende, CHRISTIAN MORGENSTERN, der eigentliche Ansatz des literaturwissenschaftlichen Interesses an der MAUTHNERschen Sprachkritik. Mit der Entdeckung des unmittelbaren Einflusses MAUTHNERs auf das Denken und Schreiben SACKs und MORGENSTERNs ist unsere Wissenschaft erst richtig auf die Bedeutung dieser Sprachkritik für die Literatur der Jahrhundertwende aufmerksam gemacht geworden.

FRIEDRICH HIEBEL berichtet in seinem bereits 1957 erschienenen Buch über MORGENSTERN, daß dessen Freund KAYßLER die Schriften MAUTHNERs entdeckt und weiterempfohlen habe. Am 29. Dezember 1906 schrieb MORGENSTERN an KAYßLER, daß er solange nicht habe hören lassen, "weil das Buch von MAUTHNER schuld war, das mich allzusehr gefesselt und das kennenzulernen seit langem mein Wunsch war" (73). MORGENSTERN gesteht sein mächtiges Interesse an MAUTHNERs Argumentationen,
    "die sich als Ausführungen eines verteufelt gebildeten und scharfsinnigen Mannes dokumentieren und sich letzten Endes mit keinem geringeren Problem herumzuschlagen haben als dem: kann uns Sprache überhaupt zu irgendeiner Erkenntnis verhelfen" (74).
HIEBEL gibt in dem MAUTHNER-Kapitel seines Buches eine ganze Reihe von Belegen und Zeugnissen wieder, die den starken Einfluß des Sprachkritikers auf den Dichter nachweisen Präposition (75). Er belegt aber andererseits auch wiederum die MORGENSTERNs für sprachkritische Fragestellungen, wie sie aus Tagebucheintragungen aus den Jahren 1895 und 1896 ganz deutlich hervorgeht (76). Bereits kurz nach dem Studium MAUTHNERs, um das Jahr 1907, seien aber schon MORGENSTERNs Gegenreaktion und letztlich seine Überwindung der sprachkritischen Positionen MAUTHNERs zu erkennen.
    "Als er sich von dem Befreier MAUTHNER befreit hatte, prägte er das humoristische Wort vom Gingganz (in Gedanken hin). GINGGANZ ist einfach ein Wort für Ideologie".
Vielleicht ist dies im besonderen Hinblick auf MAUTHNER gesagt worden. Ohne jeden Zweifel lassen uns aber die folgenden Worte (aus dem Jahre 1909) MORGENSTERNs Sieg über den Nihilismus der Sprachkritik erkennen:
    "Die Sprache ist eine ungeheure fortwährende Aufforderung zur Höherentwicklung. Die Sprache ist unser Geisterantlitz, das wir wie ein Wanderer in die unabsehbare und unausdenkbare Landschaft Gott unablässig wieder hineintragen ... mit jedem Wort wachsen wir" (77).
Die Verwandlung der Sprachkritik ins Dichterische und Sprachschöpferische und der Weg einer auf Sprache angewiesenen Gottessuche waren - nach HIEBEL - MORGENSTERNs Alternativen zu dem ausweglosen Skeptizismus MAUTHNERs. Die drei "MAUTHNER-Gedichte" dokumentierten bereits die ironische Distanzierung, mit der sich der Lyriker MORGENSTERN von dem Sprachkritiker und -theoretiker MAUTHNER befreit habe (78).
    "MAUTHNER empfahl in seiner bitteren Skepsis der Sprache gegenüber die zwei orientalischen Kuren, Lachen und Schweigen. MORGENSTERN wählte sich den Weg, der von Zweifel und Kritik durch Demut geht und mit Humor heilt" (79).
Auf die näheren Einzelheiten und Zusammenhänge dieser Rezeptionsgeschichte müssen wir auch im Falle MORGENSTERNs nicht gesondert eingehen, weil neben HIEBELs Buch eine weitere Untersuchung vorliegt, die ein ausführliches Kapitel über MAUTHNER und MORGENSTERN enthält. ALFRED LIEDE ordnete beiden Autoren in den Abschnitt "Sprachskepsis und Mystik" seiner "Studie zur Unsinnspoesie" ein und betonte wie HIEBEL den unbestreitbaren Einfluß MAUTHNERs auf MORGENSTERN (80).

MAUTHNER selbst hat übrigens zwei Jahre vor seinem Tode noch ein Zeugnis dieser besonderen Wirkung seines Werkes erfahren dürfen. Am 8. Januar 1921 schrieb er an seine Cousine AUGUSTE HAUSCHNER:
    "Die einzige ernste Freude, die ich da seit Jahren empfand, war beim Lesen des Nachlaßbandes von MORGENSTERN. Da ergriff mich das Gefühl von Wirkung sehr stark" (81).
Wir haben versucht, die Ergebnisse unserer Nachforschungen über die Rezeption MAUTHNERs zu seinen Lebzeiten im zusammenfassenden Überblick wiederzugeben. Es bliebe noch die Frage nach der fortdauernden Wirkung der MAUTHNERschen Sprachkritik, wie sie sich vornehmlich in der Forschungsliteratur darstellt. Dabei fällt zunächst auf, daß MAUTHNER, der vor 50 oder 60 Jahren zweifellos zu den hervorstechendsten und namhaften Autoren gehörte, heute beinahe völlig vergessen, ja weithin unbekannt ist. Wenngleich er dieses Schicksal mit einer ganzen Reihe anderer Schriftsteller und Philosophen teilt, sind wir damit doch keineswegs der Aufgabe enthoben, nach möglichen Ursachen dieser Entwicklung zu fragen und zu forschen.

Erste Ansätze zum Verständnis der mangelnden Wirkung MAUTHNERs auf die Nachwelt liegen m.E. bereits in der Erforschung der Rezeption zu seinen Lebzeiten. Es ist in diesem Zusammenhang doch sehr bezeichnend und ausschlaggebend, daß der unbestreitbar großen Anzahl journalistischer Besprechungen und Artikel eine vergleichsweise verschwindende Zahl an Buchveröffentlichungen über MAUTHNER gegenübersteht. Gleichermaßen fehlt es auch an bedeutenden Aufsätzen in den philosophischen oder philologischen Fachzeitschriften - mit ganz wenigen Ausnahmen. Außer LANDAUERs Schrift "Skepsis und Mystik" und einem flüchtig geschriebenen Werk von MAX KRIEG, das lediglich einige Hauptgedanken MAUTHNERs zusammenfassend wiedergab, erschien vor 1923 keine gesonderte Buchveröffentlichung (82).

Eine kurze Erwähnung in RAOUL RICHTERs "Geschichte des Skeptizismus" und die etwas ausführlichere Behandlung in KÜHTMANNs "Geschichte des Terminismus" ändern nichts an der Tatsache, daß MAUTHNERs Name in der wissenschaftlichen Diskussion über sprachphilosophische, bzw. erkenntnistheoretische Fragestellungen bereits zu Lebzeiten mehr oder weniger ignoriert wurde (83).

Damit wurde bereits vor 1923 der Grundstein für MAUTHNERs spätere "Verbannung" aus der wissenschaftlichen Tradition der Sprachforschung gelegt; seine kritischen Studien galten auch fortan in erster Linie als dilettantische Versuche eines Journalisten, der den Grenzübertritt in das akademische Fach gewagt hatte.

Der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit, dessen  eingeschränkte  und genauer zu  differenzierende  Berechtigung gar nicht geleugnet werden soll, wirkte nach MAUTHNERs Tod unvermindert weiter. Neben einer ersten umfassenden Darstellung des Gesamtwerks, in der THEODOR KAPPSTEIN zitatenreiche Inhaltsangaben der belletristischen, literaturkritischen und sprachtheoretischen Werke MAUTHNERs lieferte, erfolgte die erste kritische Auseinandersetzung mit WALTER EISENs Buch: " FRITZ MAUTHNERs Kritik der Sprache" (84). KAPPSTEINs materialreiches Buch, das auch heute noch einen brauchbaren ersten Zugang zu MAUTHNERs Gedankenwelt vermittelt, gebührt sicherlich das Verdienst, den von ihm hoch verehrten Sprachkritiker vor der völligen Vergessenheit bewahrt zu haben (85).

EISENs knappere Studie ging wesentlich analytischer und kritischer vor. Sie beschränkte sich auf den erkenntnistheoretischen als den wichtigsten Aspekt der MAUTHNERschen Sprachkritik und versuchte, deren wichtigste Argumente aus der Sicht eines kritischen Positivismus zu entkräften bzw. zu widerlegen. Dabei entdeckte er neben einer Reihe von Widersprüchen und einer Anzahl längst bekannter Tatsachen vor allem den seiner Meinung nach viel zu hoch gesteckten Frageansatz MAUTHNERs, der eine unerfüllbare Sehnsucht nach einer Idealsprache enthalte, die es nie geben könne.
    "Aber MAUTHNER begnügt sich nicht mit der Forderung nach ständiger Revision der Terminologie, nach Ausscheidung von Scheinproblemen, er will Wissen ohne die Worte der Sprache. (...) MAUTHNER hat (trotz gewisser Aspirationen!) eine Philosophie des  dolce far niente,  der mystischen Versenkung, des Agnostizismus, des skeptischen Entsagens" (86).
Ein zweiter Einwand, der gegen MAUTHNERs Werk immer wieder vorgebracht wurde, muß bei der Suche nach möglichen Behinderungen einer angemessenen Nachwirkung seiner Schriften mitberücksichtigt werden: mit dem totalen Skeptizismus, ja Agnostizismus setzte sich MAUTHNERs Kritik der Sprache wiederholt dem Vorwurf der unfruchtbaren Ausweglosigkeit oder gar eines völlig abzulehnenden Nihilismus aus. Dadurch waren aber auch die Chance für eine gerechte Beurteilung all jener Gedankenschritte, der erst zur übertriebenen Schlußkonsequenz geführt hatten, gemindert. Was von MAUTHNERs Zeitgenossen mitunter noch als echte Provokation und anregende Kritik empfunden worden war, konnte im Bewußtsein der Nachwelt sehr oft als abseitige, leicht widerlegbare Verirrung einer überspitzten Fragestellung beiseite gedrängt werden (87).

Schließlich muß auch noch ein kurzer Blick auf die allgemeine wissenschaftsgeschichtliche Situation nach deme Ersten Weltkrieg geworfen werden. MONTY JACOBS hat in seinem MAUTHNER-Nachruf zu bedenken gegeben:
    "Allein die Kulturkatastrophe des Weltkrieges hinterließ ein glaubensbedürftiges Geschlecht, das, vielfach in außerakademischen Mythenbildungen sein Heil suchend, für noch so gigantische Zweifler wenig Bereitschaft hatte. Auf den Universitäten triumphierte eine MAUTHNER genau entgegengesetzte Richtung, die eben das, was er als  Wortaberglaube  und  Fetischismus  verwarf, förmlich zum Dogma erhob, HUSSERLs Phänomenologie. Der  Wortrealismus,  um die scholastischen Parteibezeichnungen zu gebrauchen, drängte MAUTHNERs  Nominalismus  zurück" (88).
Neben HUSSERLs Philosophie müßte man in der Folge vor allem an HEIDEGGER denken, der mit seinem Versuch einer  existentialontologischen  Sprachbegründung für die philosophische Sprachauffassung richtungsweisen wurde. Im weitesten Sinn gehört auch diese Sprachtradition noch in den Umkreis der Sprachkrise um 1900 - als entscheidenste Gegenreaktion auf die Positionen MAUTHNERs und der ihm Gleichgesinnten. THEODOR W. ADORNO hat aus seiner Sicht, die wir nicht völlig teilen können, die verhängnisvolle Rolle HEIDEGGERs zu entlarven versucht:
    "Die Transzendenz der Wahrheit über die Bedeutung der einzelnen Worte und Urteile wird von ihm den Worten als ihr unwandelbarer Besitz zugeschlagen, während jenes Mehr allein in der Konstellation, vermittelt sich bildet. Philosophische Sprache geht, ihrem Ideal nach, hinaus über das, was sie sagt, vermöge dessen, was sie sagt, im Zug des Gedankens. Sie transzendiert dialektisch, indem in ihr der Widerspruch von Wahrheit und Gedanken sich seiner selbst bewußt und damit seiner mächtig wird. Zerstörend beschlagnahmt der Jargon solche Transzendenz, überantwortet sie einem Klappern. Was die Worte mehr sagen als sie sagen, wird ihnen einf für allemal als Ausdruck zugeschanzt, Dialektik abgebrochen; die von Wort und Sache ebenso wie die innersprachliche zwischen den Einzelworten und ihrer Relation. Urteilslos, ungedacht soll das Wort seine Bedeutung hinter sich lassen" (89).
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bedurfte es erst einer ganz bestimmten Wissenschaftsentwicklung, um das Erkenntnisinteresse an einem Werk wie dem MAUTHNERs wieder zu erwecken. Es war die zunehmende Akzentverlagerung der philosophischen Disziplin auf speziell sprachphilosophische Fragestellungen, im angloamerikanischen Raum und im Anschluß an die Philosophie WITTGENSTEINs zuerst entstanden, die nun auch MAUTHNERs Sprachkritik - als Vorgängerin der WITTGENSTEINschen Theorien - wieder ins Blickfeld rücken konnte.

Die Herausgeber der oben bereits genannten Textauswahl zur "Philosophie als Sprachkritik" im 19. Jahrhundert haben in ihrem Vorwort diese Entwicklung nachgezeichnet:
    "In dieser Situation, die gekennzeichnet ist von einer stets breiter werdenden Einsicht in die Unabdingbarkeit sprachkritischer Überlegungen, sowie von Versuchen, das ursprüngliche Konzept der  Linguistic Analysis  auszuarbeiten und empirisch zu fundieren, erwacht allmählich auch das Interesse an der unmittelbaren Vorgeschichte und an weiter zurückliegenden geschichtlichen Wurzeln sprachkritischen Philosophierens. (...) So sind etwa Verbindungslinien zu Vorläufern wie BACON, LOCKE und BERKELEY einerseits, zu HAMANN, HERDER und HUMBOLDT andererseits heute schon recht geläufig; aber zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert, speziell in Deutschland, auf dem Gebiete der Sprachphilosophie keine Forschungsergebnisse oder auch nur Anregungen aufzuweisen" (90).
ELISABETH LEINFELLNER hat auf einige Ähnlichkeiten zwischen MAUTHNER und Wittgenstein hingewiesen; dies berechtigt jedoch nicht, von einer Gleichrangigkeit beider Autoren zu sprechen, was LEINFELLNER auch gar nicht beabsichtigt (91). Trotzdem bestätigen >SCHMIDT/CLOEREN und LEINFELLNER, daß MAUTHNERs Werk mit an den Beginn der Sprachphilosophie des 20. Jahrhunderts gehört schon aus diesem Grund nicht vergessen oder übersehen werden sollte.

Inzwischen sind auch bereits zwei umfangreichere philosophiegeschichtliche Arbeiten über MAUTHNER erschienen (92). MÜLLER gibt eine streng historische Einordnung der MAUTHNERschen Gedanken in die Philosophiegeschichte des 19. Jahrhunderts. Sein eigener Standpunkt ist gekennzeichnet durch eine Fülle von Zitaten aus dem marxistischen  Philosophischen Wörterbuch"  und LENINs Schrift "Empiriokritizismus und Materialismus", die den MAUTHNERschen Thesen lediglich gegenübergestellt werden, ohne daß eine reflektierte und kritische Beziehung hergestellt würde. GERSHON WEILER letzte Fassung und problematisiert schon eher die Frageansätze MAUTHNERs, indem er sie zur neueren Sprachphilosophie und Lingustik in Bezug setzt. Daneben legt auch er besonderen Wert auf die Verbindungslinien zu WITTGENSTEIN (93).

Die Forschungslücke in der Philosophiegeschichte ist also weitgehend geschlossen. Innerhalb der Literaturgeschichtsschreibung blieb das Werk MAUTHNERs bisher jedoch weitgehend unberücksichtigt, weil man seine belletristischen Produktionen einer literarischen Untersuchung kaum wert hielt und die theoretischen Schriften als nebensächliche Kuriosa abqualifizierte. Die einzige Ausnahme ist eine relativ frühe Wiener Dissertation über den Dichter FRITZ MAUTHNER, die aber vom heutigen Standpunkt aus gesehen völlig indiskutabel ist, weil sie eigentlich nur die Inhaltsangaben der einzelnen Werke enthält (94).

Erst mit den beiden Büchern von ALFRED LIEDE und KARL EIBL fand das Werk MAUTHNERs Eingang in die germanistische Forschung. Erst nach Abschluß der hier vorgelegten Arbeit erschien eine literaturwissenschaftliche Gesamtstudie von JOACHIM KÜHN: "Gescheiterte Sprachkritik, Fritz Mauthners Leben und Werk, New York 1975. Diese umfangreiche und gründliche Untersuchung bietet heute den besten Zugang zur Person MAUTHNERs und seinem Werk. Sie ist biographisch orientiert und erfaßt alle Lebensstadien und Werke MAUTHNERs; besondere Beachtung verdient dabei seine Bibliographie (95).
LITERATUR - Walter Eschenbach, Fritz Mauthner und die deutsche Literatur um 1900, eine Untersuchung zur Sprachkrise der Jahrhundertwende, Frankfurt/Bern 1977
    Anmerkungen
    64) ALFRED DÖBLIN an FRITZ MAUTHNER, 5.7.1922, in ALFRED DÖBLIN, Briefe, Ausgewählte Werke in Einzelbänden, Band 8, Olten 1970, Seite 121
    65) HERMANN HESSE, Brief vom 16.10.1910 (Nachlaß): "Sollte ich trotzdem wieder nach Meersburg kommen, so bin ich so frei bei Ihnen anzuklopfen."
    66) Der Brief befindet sich im Nachlaß MAUTHNERs.
    67) 'Symposium', A Quarterly Journal in Modern Literatures, Vol. XVI, Spring 1962, Nr. 1, Seite 144-147
    68) Der Brief befindet sich in MAUTHNERs Nachlaß.
    69) Ob LIEDEs etwas vereinfachende Deutung den Sachverhalt richtig wiedergibt, scheint mir doch sehr fraglich: "MAUTHNERs Sprachkritik wird von den Dichtern (...) kaum erwähnt, auch so sie ihnen sicher bekannt war, wohl deshalb, weil sie die Seele der Dichtung bedrohte," (ALFRED LIEDE: Studien zur Unsinns-Poesie an den Grenzen der Sprache, Bd.1, Berlin 1963, Seite 266) So 'gefährlich' und 'bedrohlich' war MAUTHNERs Werk sicher nicht; eher erschien es den Autoren, die es kannten und trotzdem nicht darüber schrieben, der besonderen Beachtung nicht wert, weil es eben zum Teil längst bekannte Einsichten nur erneut wiedergab und in den eigenen Diskussionsansätzen oft sehr eigenwillige und kaum nachvollziehbare Wege einschlug. Dennoch müssen wir stets berücksichtigen, daß eine 'vollständige' Rezeptionsgeschichte niemals und von keinem Autor geliefert werden kann.
    70) PAULA SACK an FRITZ MAUTHNER, 3.7.1917
    71) PAULA SACK an FRITZ MAUTHNER, 3.7.1917
    72) vgl. KARL EIBL, Die Sprachskepsis im Werk Gustav Sacks, München 1970
    73) FRIEDRICH HIEBEL, Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 77
    74) FRIEDRICH HIEBEL, Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 77
    75) vgl. FRIEDRICH HIEBEL, Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 77f
    76) vgl. FRIEDRICH HIEBEL, Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 82, wo folgende Tagebuchnotizen MORGENSTERNs wiedergegeben werden: "Ein 'Wort' ist etwas unendlich Rohes: es faßt Millionen Beziehungen mit einem Griff zusammen und ballt sie wie einen Klumpen Erde." (1895) "Oft überfällt dich plötzlich eine heftige Verwunderung über ein Wort: blitzartig erhellt sich dir die völlige Willkür der Sprache, in welcher unsere Welt begriffen liegt, und somit die Willkür dieses Weltbegriffes überhaupt." (1896) Beide Zitate dokumentieren noch einmal eine der wichtigsten Thesen unserer Untersuchung: wir haben in weitem Ausmaß mit einer Parallelität und Gleichzeitigkeit sprachkritischer Gedanken und Denkweisen bei verschiedensten Autoren der Jahrhundertwende zu rechnen, so daß die Behauptung eindeutiger Kausalitäten und Abhängigkeiten meistens die historische Wirklichkeit verfehlt und verfälscht.
    77) FRIEDRICH HIEBEL Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 85
    78) vgl. FRIEDRICH HIEBEL, Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 86f
    79) FRIEDRICH HIEBEL, Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 177
    80) ALFRED LIEDE, Studien zur Unsinns-Poesie an den Grenzen der Sprache, Bd.1, Berlin 1963, Seite 273f
    "Das Ergebnis des MAUTHNER-Studiums ist der Satz: "Zerbrich alle Sprache und damit alle Begriffe und Dinge: der Rest ist Schweigen. Dies Schweigen aber ist - Gott" (1907) (ebd. Seite 337)
    81) Briefe an AUGUSTE HAUSCHNER, hrsg. von MARTIN BERADT und LOTTE BLOCH-ZAVREL, Berlin 1929, Seite 225
    82) MAX KRIEG, Fritz Mauthners Kritik der Sprache, Eine Revolution der Philosophie, München 1914
    83) RAOUL RICHTER, Der Skeptizismus in der Philosophie, Band II, Leizip 1904, Seite 453f
    ALFRED KÜHTMANN, Zur Geschichte des Terminismus, Leipzig 1911, Seite 81f
    84) THEODOR KAPPSTEIN, Fritz Mauthner, der Mann und sein Werk, Berlin/Leipzig 1929
    WALTER EISEN: Fritz Mauthners Kritik der Sprache, Wien/Leipzig 1929
    85) KAPPSTEIN schrieb neben dem MAUTHNER-Artikel im Biographischen Jahrbuch (Jhg. 1927, Seite 261-268) auch den ersten Aufsatz über MAUTHNER in der Nachkriegszeit. Der Artikel erschien zum 25. Todestag MAUTHNERs in der Zeitschrift "Aufbau", Heft 6 (1948), Seite 502-508
    86) WALTER EISEN, Fritz Mauthners Kritik der Sprache, Wien/Leipzig 1929, Seite 76f
    87) "Seine Skepsis ist von einer solchen eisernen Konsequenz, daß der Literaturwissenschaftler, der schließlich nicht nur Worthändler, sondern auch Wortgläubiger ist, nichts mit ihr zu tun zu haben will." (Alfred Liede, Studien zur Unsinns-Poesie an den Grenzen der Sprache, Bd.1, Berlin 1963, Seite 254)
    FRIEDRICH HIEBEL: Christian Morgenstern, Wende und Aufbruch unseres Jahrhunderts, Bern 1957, Seite 124) spricht wörtlich vom "Nihilismus der MAUTHNERschen Sprachkritik".
    Es muß nicht sonderlich betont werden, daß wir beide Äußerungen für völlig unzulänglich erachten. Das "Nihilismus-Problem" ist aber zu umfangreich und zu kompliziert, als daß man es in einer Fußnote behandeln könnte.
    88) 'Vossische Zeitung', 22.11.1919
    89) THEODOR W. ADORNO, Jargon der Eigentlichkeit, Zur deutschen Ideologie, Frankfurt/Main 1969, Seite 13f
    90) Philosophie als Sprachkritik im 19. Jahrhundert, Textauswahl, Hrsg. H.Cloeren/ S.J. Schmidt, Stuttgart/Bad Cannstatt 1971
    91) LEINFELLNER knüpft ihre Untersuchung an die bekannte Stelle aus WITTGENSTEINs "Tractatus" an: "Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'." (Allerdings nicht im Sinne MAUTHNERs.) Sie fährt fort: "Interessant ist an diesem 'nicht im Sinne' MAUTHNERs, daß der Verfasser des "Tractatus" seine Meinung zugunsten einer anderen revidierte, die zum Schluß doch "im Sinne MAUTHNERs war. Das Ergebnis dieser Revision schlägt sich in den "Philosophischen Untersuchungen" u.a. nieder, und es erscheint unter diesen Umständen das ihnen vorangesetzte Motto aus NESTROY, 'Überhaupt hat der Fortschritt das an sich, daß er viel größer ausschaut, als er wirklich ist', als sehr passend gewählt."
    92) ELISABETH LEINFELLNER, Zur nominalistischen Begründung von Linguistik und Sprachphilosophie, FRITZ MAUTHNER und LUDWIG WITTGENSTEIN, in 'Studium Generale' 22 (1969) Seite 212
    93) MAUTHNERs original contribution is to have arrived at a critique of language by deriving from a close attention to ordinary language a philosophical doctrine about the impossibility of expressing truth in language. The label itself may have been used by other writers, but the idea of such a critique as an independent field of inquiry is MAUTHNERs very own." (Gershon Weiler: Fritz Mauthners Critique of Language, Cambridge 1970, Seite 271)
    Der Beziehung MAUTHNER-Wittgenstein widmet WEILER ein eigenes Kapitel: Wittgenstein und Mauthner (a.a.O. Seite 298-306)
    94) Rosa Schott, Fritz Mauthner, Dissertation Wien 1933
    95) vgl. dazu meine Kurzbesprechung in Germanistik, Jhg. 1975
    Ein weiteres Buch, auf das ich noch kurz hinweisen möchte, war mir ebenfalls erst nach Fertigstellung meiner Arbeit zugänglich: FRIEDRICH KAINZ, Über die Sprachverführung des Denkens, Berlin 1972.
    Diese Untersuchung ist zwar keine MAUTHNER-Studie, enthält aber eine große Anzahl von MAUTHNER-Zitaten zu dem von KAINZ behandelten Thema.