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Fritz Mauthner und die Kommunikationskrise
Unsere bisherigen Überlegungen zur Sprach- und Erkenntniskritik MAUTHNERs haben sich fast ausschließlich mit dem Phänomen der Sprache als dem konstitutiven Element der Vermittlung zwischen Sprache und Denken, bzw. Sprache/Denken und Wirklichkeit beschäftigt. Da es MAUTHNER vornehmlich um erkenntnistheoretische Fragestellungen ging, stand dieser Aspekt bei ihm natürlich im Vordergrund. Trotzdem hat er auch ein anderes wesentliches Moment der Sprache, ihre soziale, zwischenmenschliche, dialogische Funktion im Prozeß des Mitteilens und Verstehens nicht übersehen. Neben den bereits aufgezeigten Fragekomplexen der Wirklichkeitserfahrung, des Ichgefühls und der sprachlich vorgeprägten Denkfähigkeit deutet sich damit hinter der Krise des individuellen Sprachbewußtseins und -gebrauchs des einzelnen eine nicht minder virulente Krise der intersubjektiven Verständigungsfunktion der Sprache an. Im Vergleich zu sprachtheoretischen Abhandlungen ist die Sprachskepsis in der Dichtung von dieser Kommunikationskrise weit mehr betroffen, weil literarische Formen sowohl inhaltlich als auch formal in viel stärkerem Maße auf den dialogischen Charakter der Sprache bezogen sind, mehr oder weniger auf diesem aufbauend. Gerade deshalb ist es sehr aufschlußreiche und wichtig, zu beobachten, daß die zwischenmenschliche Rolle der Sprache auch innerhalb der erkenntnistheoretischen Fragestellungen MAUTHNERs einen besonderen Platz einnimmt. Entscheidende Hinweise auf die Relevanz der sozialen Konstituierung und Funktion der Sprache finden wir in MAUTHNERs Sprachkritik auf Schritt und Tritt. Bereits zu Beginn des ersten Bandes der "Beiträge" stoßen wir auf die grundsätzliche These: Ein paar Seiten weiter heißt es:
Noch deutlicher wird MAUTHNERs Nähe zur modernen Sprachauffassung und vor allem zu Gedanken WITTGENSTEINs in Formulierungen seiner 1922 erschienenen "Selbstdarstellung":
Die Sprachproblematik potenziert sich im intersubjektiven Sprachgebrauch, weil das jeweils individuelle Verständnis der einzelnen Begriffe und Sätze niemals vollkommen übereinstimmt.
Aus dem Erlebnis sprachlicher Isoliertheit in Prag, aus der Erfahrung der verschiedensten Sprachbarrieren und aus der zunehmenden Bewußtwerdung ungezählter Gefahren sprachlicher Mißverständnisse hatte sich bei MAUTHNER das Bewußtsein einer tiefgehenden, weniger biographisch- existentiellen als vielmehr erkenntnistheoretischen Kommunikationskrise ergeben, die zu einem wichtigen Bestandteil seiner Sprachkritik wurde. Die grundlegende Überzeugung, daß sprachliche Begriffe bei verschiedenen Sprechern nie völlig identische Vorstellungen und Bedeutungen hervorrufen, sei es innerhalb der jahrhundertelangen Tradition der geistes- und naturwissenschaftlichen Denk- und Bewußtseinsentwicklung oder nur innerhalb eines ganz einfachen Alltagsgesprächs, bestimmte MAUTHNERs Sprachauffassungen sehr nachhaltig. Ein Rest des Schmerzes der Prager Sprachkrise und des Gefühls der sprachlichen Isolierung tönt aus der Behauptung:
Und das sind die einfachsten Begriffe. Worte für innere Seelenvorgänge sind natürlich von den vielen Werten oder Begriffen ihres Inhaltes abhängig und darum bei zwei Menschen niemals gleich, sobald auch nur ein einziger der Inhaltswerte ungleich vorgestellt wird. Je vergeistigter das Wort, desto sicherer erweckt es bei verschiedenen Menschen verschiedene Vorstellungen. Daher auch so vielfach Streit unter sonst vernünftigen und ruhigen Menschen. Leute mit verschiedenen Sprachen müssen eben streiten, wenn sie so dumm sind, miteinander sprechen zu wollen. (...) Durch die Sprache haben es sich die Menschen unmöglich gemacht, einander kennen zu lernen"(13). Solche Stereotypisierungen, die sich sehr leicht an der Grenze zum Trivialen oder Banalen bewegen, disqualifizieren keineswegs von vornherien die sprachkritischen Versuche MAUTHNERs oder irgendeines anderen Autoren. Das Verständnis und die gerechte Beurteilung solcher Aussagen sind stets auf den jeweiligen historischen Kontext angewiesen, auf die Mitberücksichtigung der jeweiligen Sprachsitutation im ganzen, die scheinbar unbedeutenden und allbekannten Äußerungen zur Sprachproblematik eine gesteigerte Aussagekraft und zeitspezifische Relevanz zu verleihen vermag. Das muß im Fall MAUTHNERs, neben der unerläßlichen Kritik an vielen einzelnen Formulierungen und Gedankengängen, stets beachtet werden, wenn man die symptomatische Geltung seiner Schriften für die Sprachkrise um 1900 erkennen will. So gesehen, ist manchmal gar nicht in erster Linie entscheidend, was er geschrieben hat, sondern daß er gewisse Stereotype in dieser Zuspitzung und mit dieser beinahe penetranten Insistenz vorgetragen hat. Die Überzeugung von der Vergeblichkeit aller verbalen Versuche, zu einer vollkommenen Verständigung und kommunikativen Eindeutigkeit zu gelangen, war auch innerhalb der Literatur um 1900 ein herausragender Wesenszug der Sprachkrise - und zwar gleichermaßen als ein Stereotyp, das im jeweiligen kontextualen Bezug mit Bedeutung erfüllt werden konnte. Wenn man das in Betracht zieht, verdienen MAUTHNERs Formulierungen, die oft sehr vage und undifferenziert wirken, das Interesse des heutigen Interpreten, der in ihnen ein deutlich akzentuiertes Symptom der umfassenden Sprachproblematik dieser Zeit wahrnehmen kann. Das gilt für den Satz: "Es liegt also am Wesen der Sprache, wenn die sprechenden Menschen einander mißverstehen" (14), ebenso wie beispielsweise für die These: "Es gibt nur Individualsprachen, und nicht nur zwei Söhne des gleichen Sprachvolkes, sondern selbst leibliche Zwillingssöhne der gleichen Mutter haben in ihrer Sprache Differenzen"(15). Die Stummheit der Dinge, der Zerfall der Realität, das gestörte Verhältnis zwischen Sprache und Wirklichkeitserfahrung, die Auflösung eines einheitlichen Ich- und Bewußtseinsbegriffs - alle diese Phänomene der Sprachkrise um 1900 können und müssen zurückbezogen werden auf die dialogische, kommunikative Funktion der Sprache, weil sprachliche Erkenntnisprozesse - gemäß der Definition der Sprache als Sprachgebrauch - immer auch potentielle oder tatsächliche Prozesse einer intersubjektiven Verständigung sind, ungeachtet dessen, ob man nun die Kommunikationskrise als Voraussetzung, parallele Entwicklung oder Folgeerscheinung der Erkenntnis- und Wirklichkeitskrise erachtet. Denkprozesse können erst der Sprachkritik unterliegen, wenn sie artikulierbar, d.h. mitteilbar sind; Sprachkrise als Wirklichkeits- und Bewußtseinskrise bedeutet deshalb auch immer eine Krise des Verstehens und der Verständigung. ![]()
1) Beiträge I, Seite 27 2) Beiträge I, Seite 16 3) Beiträge I, Seite 17 4) Beiträge I, Seite 23 5) FRITZ MAUTHNER in "Die deutsche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen", Hrsg. Raymund Schmidt, Leipzig 1921, 2.Band, Seite 135 "Daß die Sprache gewiss als ein Gesellschaftsprodukt, also als ein Mitteilungsmittel entstanden ist, das kennzeichnet eben, was den Kern dieser Gedanken ausmacht: Daß sie nie und nimmer sich über ihren Ursprung erheben kann, daß sie in ewig fortschreitenden Bildern bis zur Höhe eines künstlerischen Mittels wachsen, als Erkenntnismittel aber stets unfruchtbar bleiben muß, immer nur bereit, das Wirkliche gesellig zu beschwatzen." (Beiträge II, Seite 470) 6) Beiträge I, Seite 42 7) Beiträge I, Seite 29 "Ist die menschliche Erkenntnis oder das Denken identisch mit der Sprache, ist die Sprache nichts anderes als das Gedächtnis der Menschheit, und ist endlich weder ein abstraktes Gedächtnis noch eine abstrakte Menschheit noch eine abstrakte Sprache in der Wirklichkeitswelt vorhanden, sondern überall nur menschliche Individuen mit Erinnerungsakten und Sprachbewegungen, so ist die Erkenntnis ebenso wie die menschliche Sprache eine soziale Erscheinung, wenn man will eine soziale Illusion, etwas zwischen den Menschen. In diesem Sinne bekennen wir uns zu dem vieldeutigen und in seiner logischen Fassung unrichtigen Worte: "Society is prior to man". (Beiträge I, Seite 32) 8) Beiträge I, Seite 115 9) Beiträge III, Seite 637 "So wenig zwei Menschen das gleiche Leben gelebt haben, so wenig sprechen sie die gleiche Sprache." (Beiträge II, Seite 282) "Wir müssen endlich einsehen, daß niemals noch ein Mensch zweimal mit demselben Worte die ganz gleiche Vorstellung verbunden hat." (a.a.O. Seite 261) 10) So überschrieb MAUTHNER das IV. Kapitel des ersten Bandes seiner "Beiträge". 11) Beiträge I, Seite 27 12) Beiträge I, Seite 27 13) Beiträge I, Seite 27 14) Beiträge I, Seite 27 15) Beiträge I, Seite 27 Wenn man die Häufigkeit und Penetranz einmal erkannt hat, mit der MAUTHNER diese These stets aufs neue wiederholt und vorträgt, wird man einräumen müssen, daß es sich hierbei nicht bloß um die stumpfsinnige Wiederholung eines sprachwissenschaftlich längst bekannten Sachverhalts handeln kann, sondern daß hier vielmehr eine weiterreichenden, außer- und übersprachliche, beinahe existentielle Kommunikationskrise zum Vorschein kommt, die MAUTHNER und viele geistesverwandte Zeitgenossen durchgemacht hatten, und die sich bei MAUTHNER eben immer wieder Gehör verschaffen mußte in der Rückführung und Reduzierung auf ihren sprachtheoretischen Kern. Bei allen literarisch- ästhetischen Unterschieden lassen sich diese häufigen Wiederholungen ein- und desselben Gedankens in MAUTHNERs Sprachkritik wohl am besten vergleichen mit dem Phänomen des dichterischen Leitmotivs; wie sich ja überhaupt durch die unwissenschaftliche, feuilletonistische Form eine ganze Reihe literarischer und dichtungssprachlicher Strukturen in MAUTHNERs Sprachkritik eingeschlichen haben. |