cr-3Haller - Wittgenstein / Mauthner 
 
ELISABETH LEINFELLNER-RUPERTSBERGER
Fritz Mauthner
im historischen Kontext


Fritz Mauthner
Sprachkritik als Erkenntnistheorie
Sprachkritik und Atheismus
"Mauthner hingegen lehnt erstens die aristotelische, die boolesche und die schrödersche Form der Logik oder überhaupt  die  Logik ab."

1. Über Netzwerke und die Philosophiegeschichte

Bei kaum einem Denker wie bei FRITZ MAUTHNER ist die Gefahr so groß, ihn im Netzwerk der Philosophiegeschichte bloß als verbindenden Knoten zwischen anderen, nach allgemeiner Ansicht wichtigeren Knoten zu sehen.

Die Beschäftigung mit MAUTHNER ist tatsächlich vielfach von dem kryptischen Satz 4.0031 in WITTGENSTEINs "Tractatus logico-philosophicus"
    Alle Philosophie ist "Sprachkritik". (Allerdings nicht im Sinne Mauthners).
bestimmt worden, wo MAUTHNER nur als unvollkommener Vorläufer erscheint.

Aber die Vorstellung von der Philosophie als Netzwerk relativiert letztlich auch die Position von WITTGENSTEINs Philosophie und aller anderen Philosophien. In das geistesgeschichtliche Netzwerk rund um FRITZ MAUTHNER gehören zahlreiche Denker: MACH, STÖHR, JERUSALEM, OSTWALD, HAECKEL, OCKHAM, LICHTENBERG, HUMBOLDT, HAMANN, LOCKE, HUME, NIETZSCHE, SCHOPENHAUER, MILL u.a.m., von denen, die später kamen und von MAUTHNER beeinflußt waren, zu schweigen.

Im folgenden geht es aber nur um die Beziehung zwischen MAUTHNER einerseits, und der empiristischen Philosophie, WITTGENSTEIN und der 'österreichischen' Philosophie andererseits.


2. "Österreichische" Philosophie

Die Bezeichnung "österreichische Philosophie" ist nicht unbedingt glücklich; aber sie hat sich inzwischen eingebürgert. Sie wird oft pragmatisch begründet: Man spreche ja auch von amerikanischer, französischer und britischer Philosophie - warum nicht von österreichischer Philosophie? In Amerika meint man mit "amerikanischer Philosophie" z.B. PEIRCE, die Pragmatisten, RORTY, die utilitaristischen Ethiker; aber man meint damit ebenso selbstverständlich CARNAP und FEIGL, HEMPEL, BERGMANN und GRÜNBAUM, also emigrierte Mitglieder des Wiener Kreises und anderer ursprünglich kontinentaler Gruppierungen.

"Amerikanische Philosophie" umfaßt alle Philosophen und Philosophinnen aller Richtungen, wenn sie nur hauptsächlich in Amerika gewirkt haben. Unter "österreichischer Philosophie", die bestimmte Charakteristiken aufweist, wie Empirismus, Ablehnung der Metaphysik, Ablehnung KANTs, Nominalismus, Sprachkritik. Diejenigern in Österreich wirkenden Philosophen, die dem Nationalsozialismus nahestanden oder ihn vertraten, wären in diesem Sinne keine österreichischen Philosophen.

So verstanden würde es umgekehr 'österreichische' Philosophen und Philosophinnen geben, die nie in Österreich gewirkt haben. Kandidaten für das philosophische Österreichtum sind hier z.B. LICHTENBERG und OCKHAM, zwei Leitsterne sowohl des Wiener Kreises als auch MAUTHNERs, aber auch etwa PATRICK SUPPES und WESLEY SALMON. Es geht hier wie mit "Mitteleuropa": Man weiß nie genau, wo es liegt.

Es sei dahingestellt, ob man das Konzept einer österreichischen Philosophie allein rein inhaltlich, durch einen Komplex von Grundpositionen definieren kann. Sicher ist, daß MAUTHNER unter das derart festgelegte Konzept fällt, obwohl er ab seinem 27. Jahr in Deutschland gelebt hat. In geographischer Hinsicht hat in in "Wittgensteins Vienna", wo ihm eine relativ ausführliche Diskussion gewidmet ist, nichts verloren.

MAUTHNER gehört also der empiristischen Tradition an. Daß auch MAUTHNERs Zeitgenossen ihn dazu gerechnet haben, wird dadurch bezeugt, daß sein posthumes Werk, "Die drei Bilder der Welt", 1925 im Verlag der Philosophischen Akademie in Erlangen erschienen ist, ein Verlag, der sich dieser Philosophie verschrieben hatte. MAUTHNER selbst hat sich als "erkenntnistheoretischer Nominalist" in der Nachfolge HUMEs gesehen. Statt "Zurück zu Kant" propagierte er ein "Zurück zu Hume" - auch das ein Bindeglied zwischen MAUTHNER und der 'österreichischen' Philosophie, die sich ebenfalls eher an HUME als an KANT orientierte. MAUTHNERs Wertschätzung von JOHN STUART MILL paßt in dieses Bild.


3. Zwei Formen der Sprachkritik

3.1 Alle Philosophie ist "Sprachkritik".
(Allerdings nicht im Sinne Mauthners.)


Da es dieser Satz ist, der für viele MAUTHNER wieder zum philosophischen Leben erweckt hat, soll sein Verhältnis zu WITTGENSTEIN an erster Stelle behandelt werden. Daß MAUTHNERs Name im "Tractatus" aufscheint, hat umsomehr Bedeutung, als dort sehr wenige Namen erwähnt werden.

Die Frühgeschichte der Diskussion dieses Verhältnisses ist schnell erzählt. Als wahrscheinlich erster weist WEILER 1967 auf das Thema "Mauthner und Wittgenstein" in einer Arbeit über MAUTHNER hin. Diesem Artikel folgt die explizite (und von WEILER 1967 unabhängig entstandene) Diskussion des Themas "Mauthner und Wittgenstein" in LEINFELLNER (1969).

WEILERs Mauthner-Buch von 1970 kommentiert ausführlich das Verhältnis der zwei Philosophen. Die nächste Station ist HALLERs Artikel von 1974, der sich ebenfalls explizit auf MAUTHNER und WITTGENSTEIN bezieht. Von da an fächert sich die Diskussion auf und mündet in die generelle Philosophiegeschichte: Nunmehr gehört es zum guten philosophischen Ton, MAUTHNERs Name im Zusammenhang mit WITTGENSTEIN oder auch dem logischen Empirismus zu nennen. So ROSSI-LANDI: MAUTHNER sei der vielleicht am meisten vernachlässigte, gleichzeitig aber einer der wichtigsten spezifischen Vorläufer WITTGENSTEINs. In demselben Sammelband, in dem ROSSI-LANDIs Artikel erschienen ist, verweist auch GARGANI auf MAUTHNER. HOFMANN-GRÜNEBERG vermutet, daß MACHs Kritik der Metaphysik dem Wiener Kreis über MAUTHNER und WITTGENSTEIN vermittelt worden sei - usw.


3.1.1 Grenzen der Sprache - Grenzen der Welt

Wir wollen hier zwei Zitate gegenüberstellen. Zuerst MAUTHNER:
    Das ist ja die Grenze des kritischen Geistes, daß er nur prüfen kann, was andere Geister gefunden oder erfunden haben; und weil der kritische Geist die stärkste Form des menschlichen Verstandes darstellt, so wird in seiner Abhängigkeit von den Worten seiner Zeit die Grenze der Menschheit überhaupt liegen. Es gibt keine Offenbarungen und keine prophetischen Eingebungen. Es gibt nur etwa Mystik.
Und WITTGENSTEIN:
    'Die Grenzen meiner Sprache' bedeuten die Grenzen meiner Welt.
Auch bei WITTGENSTEIN liegt jenseits der Sprache die Mystik.


3.1.2 Die Leitermetapher

Sowohl WITTGENSTEIN als auch MAUTHNER verwenden die Metapher von der Sprache als Leiter. Nach WITTGENSTEIN steigt man auf den Sätzen seines "Tractatus" wie auf einer Leiter nach oben; und zum Schluß kann man sie wegwerfen, nachdem man auf ihr hinaufgestiegen ist. Was passiert, wenn man oben ist oder gar wieder herunter will, wird nicht gesagt.

Bei MAUTHNER kommt die Leitermetapher zweimal vor: am Beginn des ersten und am Ende des dritten Bandes der "Kritik der Sprache". Im ersten Band ähnelt die Metapher der im "Tractat": Die Leiter repräsentiert die Sprachkritik, aber wenn man sie emporsteigt, dann zertrümmert man gleichzeitig die Sprossen, die Sprache selbst.

Am Ende des dritten Bandes spricht MAUTHNER vom Clown im Zirkus, der eine Leiter emporklettert und sie dann nach sich nachziehen will. Aber der Clown würde das Schicksal der Philosophen erleiden und herunterfallen. Wer über den Clown lacht, der muß auch über den Sprachkünstler lachen, der auf Wortleitern in die Höhe klettert und glaubt, er könne während des Aufstiegs das Wort von der Erde lösen.


3.1.3 Ethik und Ästhetik

Gleich ist auch die Bewertung der Ästhetik und Ethik: Bei WITTGENSTEIN sind Ethik und Ästhetik erstens "eins"; zweitens können sie nicht in Sätze gefaßt, d.h. nicht klar und daher nicht (natur-) wissenschaftlich ausgegrückt werden. Bei MAUTHNER sind Ethik und Ästhetik verwandt, da sie beide aus Werturteilen bestehen; auch sie sind keine Wissenschaften.


3.1.4 Mystik

Sowohl WITTGENSTEINs "Tractat" wie auch MAUTHNERs Sprachkritik münden in eine Art Mystik. Der Grund dafür ist bei beiden derselbe: Das Unaussprechbare - so WITTGENSTEIN - ist das Mystische, ebenso nach MAUTHNER. Aber da nach MAUTHNER in der natürlichen Sprache letztlich alles unaussprechlich ist, denn alles kann nur uneigentlich, d.h. metaphorisch ausgedrückt werden, hat bei ihm die Mystik, die "gottlose" Mystik, einen ganz anderen Stellenwert als bei WITTGENSTEIN, nach dem es Aussprechbares gibt. Freilich ist diese gottlose Mystik kein Dauerzustand, sondern nur für Augenblicke möglich. MAUTHNER versteht unter "gottloser Mystik" die Auflösung des Ich in der Welt (ähnliche Ansätze bei MACH).


3.1.5 Der grundlegende Unterschied zwischen der Sprachkritik des "Tractat" und der "Beiträge"

Der grundlegende Unterschied ist: Im "Tractat" stellt WITTGENSTEIN die logische Form des Satzes als Struktur der Wirklichkeit vor; MAUTHNER hingegen lehnt erstens die aristotelische, die boolesche und die schrödersche Form der Logik oder überhaupt 'die' Logik ab: Eine Logik war für ihn, wie eine Grammatik, nichts andere als eine Abstraktion der jeweiligen natürliche Sprache. Und so wie verschiedene Sprachen verschiedene Grammatiken haben, haben sie auch verschiedene Logiken.

MAUTHNER lehnt aber auch jede ein-eindeutige Abbildfunktion der Sprache ab: Die Grammatik einer Sprache - und damit die Sprache selbst, wie wir hinzufügen können - sei wie ein Plan von Königsberg in München, wie eine Karte von Tirol im Himalaya. Die sprachlichen Elemente bilden bloß metaphorisch ab, nicht strukturell, zum Unterschied zu den mathematischen Termen.


3.2 Alle Philosophie ist "Sprachkritik" -
und zwar doch im Sinne Mauthners


Ganz anders sieht die Situation aus, wenn man WITTGENSTEINs spätere Schriften zum Vergleich heranzieht. Philosophie ist nun wirklich Sprachkritik im mauthnerschen Sinne, ein
    Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.
ein Verfahren, mit den "grammatischen Täuschungen" fertig zu werden.


3.2.1 Sprache und Denken

Eine der wichtigsten Gemeinsamkeiten ist die Auffassung, daß einerseits die Sprache Denken sei, andererseits die Einschränkung, daß es nicht immer so sein kann. Es ist im Rahmen dieser Arbeit unmöglich, auf Details dieser sehr komplexen Problematik einzugehen.


3.2.2 Sprache und Bedeutung als Sprachgebrauch und ein grundlegender Unterschied zwischen Mauthner und dem späten Wittgenstein

Sowohl MAUTHNER als auch der spätere WITTGENSTEIN haben die klassische referentielle Bedeutung abgelehnt. Sie mußten daher notwendigerweise bei irgend einer Form der Gebrauchstheorie - sei sie saussurisch oder pragmatisch - ankommen.

Nach MAUTHNER ist die Sprache nichts als Sprachgebrauch, d.h. Individualsprache (Idiolekt) oder 'parole'. Nach WITTGENSTEIN ist Bedeutung Gebrauch 'in' der Sprache. Man läßt dieses "in" bei der Interpretation gerne weg und unterlegt WITTGENSTEIN eine pragmatische Auffassung, die mehr der MAUTHNERs ähnelt als der WITTGENSTEINs selbst. Aber WITTGENSTEIN mußte Bedeutung als sprachintern auffassen, da er weder die klassische Referenz noch - anders als MAUTHNER - einen Mentalismus zuläßt; dies macht eine pragmatische Interpretation unmöglich, trotz alls Sich-Berufens auf Lebensformen, die Sprache als Handlung usf.


3.2.3 Sprachspiel und Sprachregeln

MAUTHNER hat die Sprache als Spiel angesehen, WITTGENSTEIN ein spezifisches Konzept des Sprachspiels eingeführt. Die WITTGENSTEINschen Sprachspiele haben aber auch modellhaften, schematisierenden Charakter, sodaß sie sich (...) am Übergang von der 'parole' zur 'langue' befinden, respektive mit MAUTHNER zur Sprache als Horizont gehören. WITTGENSTEIN hat sich über diese Schichtung der Sprache aber keine weiteren Gedanken gemacht.

Sowohl MAUTHNER wie der spätere WITTGENSTEIN haben die Auffassung vertreten, daß Sprachspiele oder die Sprache selbst in Ruhe gelassen werden sollen. Daher müssen man in Sprachspielen (WITTGENSTEIN), bzw. in bestimmten pragmatischen Umständen (MAUTHNER) die elliptischen Ausdrücke nicht auffüllen, um Verstehen möglich zu machen.

Im Sprachspiel des Bauens muß "Platte!" nicht in "Bring mir eine Platte!" übersetzt werden, um verstanden zu werden, sagt WITTGENSTEIN. Je nach den Umständen kann uns "Feuer" mitteilen, daß man die Zigarre anzünden will, daß das Haus brennt, oder daß man im Kamin Feuer anmachen soll, sagt MAUTHNER. "Land!" rief der Matrose auf KOLUMBUS Schiff, und die neue Zeit brach an, obwohl die präskriptive Syntax dabei zu kurz kam. Allerdings müssen wir dann noch referentiell oder auf dem Umweg über das Gedächtnis - letzteres ist MAUTHNERs Ansicht - wissen, was eine Platte, was Feuer und was Land ist.

Was nun die Regeln betriffe, so verweist man bei der Interpretation WITTGENSTEINs zunächst immer auf das "Regelparadox": Die Regeln bestimmten a priori die Semantik, aber um diese Regeln zu verstehen, müsse es andere Regeln geben, die schon vorher da seien. Daher hätten wir einen infiniten Regress von Regeln. Jedoch: Korrelieren wir gewisse individuelle sprachliche Phänomene mit den generellen sprachlichen Muster, die diese Phänomene aufweisen, dann sehen wir, daß diejenigen (genaugenommen pragmatisch zu fundierenden) Korrelationen, die häufiger sind, in Regeln eingehen, zum Objekt von Regeln werden.

Der Sprachgebrauch und die Regeln entwickeln sich nach WITTGENSTEIN daher gleichzeitig, was das Regelparadox auflöst. Da WITTGENSTEIN aber den Sprachgebrauch sprachimmanent erklärt hat, war er nicht imstande, den pragmatischen Ursprung der Regeln systematisch zu erklären. MAUTHNER hingegen hält die Regeln von vornherein bloß für fixierten Sprachgebrauch; die Regeln entwickeln sich nach ihm ebenfalls gleichzeitig, was ihm als Empiriker ohne philosophische Umschweife klar war.


3.2.4 Selbstreferenz und Privatsprache

Philosophie ist nunmehr auch für WITTGENSTEIN Kritik der Sprache, wie sie ist. Das hier auftauchende Problem der Selbstreferenz ist von beiden gesehen worden: Bei WITTGENSTEIN wird die Sprache zum Fliegenglas, aus dem es den Ausweg zu zeigen gilt; bei MAUTHNER verstrickt sich der Sprachkritiker als Fischer mit dem Kopf in seinem eigenen Netz. NEURATHs Boot, das auf hoher See repariert werden soll, schwimmt in der Ferne vorbei.

Eine Privatsprache als solche haben sowohl MAUTHNER als auch WITTGENSTEIN abgelehnt. Aber MAUTHNER hat hier eine realistische Ansicht vertreten: Da wegen des mentalistischen Fundaments der Bedeutung absolutes gegenseitiges Verstehen empirisch unmöglich ist, enthält jede Kommunikation zumindest privatsprachliche 'Rückstände'.


3.2.5 Kategorisierung bei Mauthner und Wittgenstein

WITTGENSTEINs späte Philosophie führt ein nicht-aristotelisches - genaugenommen statisches - Konzept der Klassenbildung oder Kategorisierung ein, die Klassenbildung auf Basis der Familienähnlichkeit. Die Familienähnlichkeit ist natürlich eine nicht-transitive Relation: Wenn das 'a' dem 'b' ähnelt, und das 'b' dem 'c', so muß doch nicht das 'a' dem 'c' ähneln. Die klassische aristotelische oder logische Kategorienbildung erfordert hingegen, daß es eine klassenbildende Eigenschaft gibt, die allen Mitgliedern der Klasse zukommt.

MAUTHNER hat mit sehr ähnlichen, und zusätzlich kognitiven Argumenten gegen den klassischen Begriff der Kategorie oder Klasse argumentiert. Er lehnt für die empirische Welt die Gleichung 'A = A' ab, da es oft 'A = A - b' heißen müsse. Wie bei MACH gibt es auch nach ihm in der Wirklichkeit nur Ähnlichkeiten; und nur, weil es Ähnlichkeiten gibt, können wir uns erinnern und verschiedene Elemente zu einer neuen Klasse zusammenfassen.


4. Sprachkritik im Wiener Kreis

4.1 Die Vorläufer

Für MAUTHNER ist Sprachkritik nicht mit logischer Analyse á la früher WITTGENSTEIN oder CARNAP identisch, kann nicht mit ihr identisch sein, da er aus erkenntnistheoretischen Gründen die formale Logik ablehnt. Andererseits: Während der Wiener Kreis die selbstauferlegte Aufgabe, die natürliche Sprache zu analysieren, höchstens in Ansätzen erfüllt, aber keineswegs gelöst hat, hat MAUTHNER sich den Problemen mit Hilfe der Linguistik seiner Zeit gestellt. Dabei ist er zum Teil zu Ergebnissen gekommen, die in der Linguistik erst heute diskutiert werden.

Zu den Vorfahren der Sprachkritik des Wiener Kreises gehören MAUTHNERs Zeigenossen WILHELM JERUSALEM und ADOLF STÖHR, welche beide wiederum von ERNST MACH beeinflußt waren.


4.1.1 Wilhelm Jerusalem (1854 - 1923)

MAUTHNER hat JERUSALEM außerordentlich geschätzt: Er verdanke JERUSALEMs Schriften "Ernsthaftes" schreibt er 1901, dem Jahr in dem die erste Auflage der "Beiträge" zu erscheinen begann, an MACH. MACH, andererseits schlägt JERUSALEM als möglichen Rezensenten für die "Beiträge zu einer Kritik der Sprache" vor; denn JERUSALEM könne der philosophischen Seite des Buches gerecht werden. MAUTHNER zitiert JERUSALEM des öfteren als Sprachkritiker und "feinen Logiker".

Z.B. interessiert sich MAUTHNER für JERUSALEMs Ansicht, daß dem Subjekt im Satz "Kraft" zugesprochen wird. Linguistische würden wir heute sagen, daß die Agens-Rolle meist durch das grammatische Subjekt verwirklicht wird. Nach JERUSALEM werden oft aus prädizierenden Adjektiva hypostasierende [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] Substantiva und damit 'entstehen' auch gewisse substantivische 'Dinge'. Dies trifft sich mit MAUTHNERs - viel radikalerer - Charakterisierung der substantivischen Welt.


4.1.2 Adolf Stöhr (1855-1921)

Auch STÖHRs Philosophie hat im Werke MAUTHNERs Spuren hinterlassen. MAUTHNER kritisiert, wie zu erwarten, STÖHRs Versuch in "Algebra der Grammatik" (1898), hinter allen Grammatiken eine allgemeine Grammatik zu finden. Wie STÖHR (in seinem "Lehrbuch der Logik in psychologisierender Darstellung" von 1910) sagt auch MAUTHNER, daß ARISTOTELES die Kategorien einfach der griechischen Sprache entnommen hätte. MAUTHNER beruft sich aber auf TRENDELENBURG. Bestimmt hätte sich MAUTHNER mit STÖHRs Konzept der 'glossogonen' Philosophie anfreunden können, einer Philosophie, die entsteht, wenn man durch die Sprache zur Metaphysik verführt wird. Diese These wird in STÖHRs "Logik" von 1910 und seiner "Psychologie" von 1917 vorgetragen, die aber nach der ersten Auflage von MAUTHNERs "Kritik" 1901-1902, erschienen sind. STÖHRs Schüler CLEVE spricht von verbalen, substantivischen und adjektivischen Philosophien; dies überschneidet sich mit MAUTHNERs "drei Bildern" der Welt. Auch NEURATH übernimmt den Term "glossogon" von STÖHR.


4.2.7.1 Ivor Armstrong Richards (1893-1979)

Denkt man an I.A. RICHARDs und C.K. OGDENs berühmtes Buch "The Meaning of Meaning" (1923) und andere von RICHARDs Schriften, dann wird einem eine große Ähnlichkeit zu MAUTHNER auffallen, z.B.: Bedeutungen sind verschwommen und keinesfalls überindividuell; ja, sie verändern sich auch für einen Menschen von einem Mal aufs andere. Oder: Alle Sprache ist metaphorisch. Beim näheren Hinsehen stellt sich heraus, daß MAUTHNERs "Beiträge" eines der Bücher ist, das OGDEN und RICHARDs zu ihrer "instruction" benützt haben. Beifällig wird MAUTHNERs Aristotelesinterpretation besprochen und sein Werk im ganzen als "significant" bewertet.
LITERATUR - Elisabeth Leinfellner, Fritz Mauthner im historischen Kontext der empiristischen, analytischen und sprachkritischen Philosophie, in LEINFELLNER / SCHLEICHERT (Hrsg), Fritz Mauthner - Das Werk eines kritischen Denkers, Wien/Köln/Weimar 1995