cr-4p-3Georg RunzeGustav GerberGerber-Runze-Müller    
 
Siegfried J. Schmidt
Sprachkritische Philosophie

Es kann von der Metaphysik gesagt werden, "daß die in allen ihren anti-realistischen Entwicklungen eine Krankheit der Sprache ist..."- F.M. Müller"

Sprachkritische Philosophie ist zu einem der zentralen Forschungsbereiche der Philosophie unseres Jahrhunderts geworden, vor allem in den angelsächsischen Ländern. Angesichts dieser Entwicklung wird meist übersehen, auf welch intensive historische Vorarbeiten diese Art kritischen Philosophierens auch in Deutschland zurückgreifen kann. Bekannt ist in der Regel nur der Beitrag HAMANNs, HERDERs und HUMBOLDTs. Unbekannt ist dagegen immer noch, daß auch das späte 19. Jahrhundert mit GERBER, RUNZE und MÜLLER ein Corpus von Fragestellungen und Antwortmodellen zu den zentralen Fragen der Sprachphilosophie geliefert hat bei dem Versuch, den offiziellen Strang der modernen Philosophie von DESCARTES bis HEGEL mit Nebensträngen zu verbinden, in denen von BACON und LOCKE bis HUMBOLDT die Sprache als das zentrale Thema der Erkenntnistheorie behandelt wurde.

Die Sprachphilosophie dieser Autoren zeigt exemplarisch die notwendige Verbindung von Sprach-, Erkenntnis- und Metaphysikkritik, die bis heute sprachkritischem Philosophieren das Gepräge gibt. Lange vor WITTGENSTEIN verstand sich eine solche Sprachphilosophie als "eine vollständige Revolution in der Philosophie" und MÜLLER prophezeite für unser Jahrhundert: "Alle künftige Philosophie wird ausschließlich Sprachphilosophie sein."

Darüber, was sprachkritische Philosophie sei, herrscht nun aber bis heute kein allgemeines Einvernehmen; zu konträr sind die Ansätze, Methoden und Ergebnisse, die Sprachphilosophen dieses Jahrhunderts von MAUTHNER bis zum späten WITTGENSTEIN und dessen Nachfolgern entwickelt haben. Vielerorts, vor allem auf dem Kontinent, wird sprachkritisches Philosophieren immer noch einfach gleichgesetzt mit Skeptizismus, Metaphysikkritik oder gar unangemessener Destruktion der Philosophie und ihrer in einer langen Geschichte herangebildeten Fragestellungen.

Schon eine kurze Beschäftigung mit sprachproblematisierendem Philosophieren zeigt aber, daß dieser philosophische Ansatz durchaus nicht der einseitigen Willkür historisch ungebildeter Außenseiter entstammt, sondern als ein notwendige Konsequenz der klassischen und modernen europäischen Philosophiegeschichte angesehen werden muß. Spätestens sein KANTs Ausarbeitung der transzendentalen Frage steht die Rolle der Sprache im und für den Erkenntnisprozeß als vordringliches Problem im Horizont der Philosophie, wie HAMANNs, JACOBIs und HERDERs metakritische Kantrezeptionen belegen und HUMBOLDTs erste großangelegte Sprachphilosophie beweist.

Aber die Prädominanz der idealistischen Geist-Problematik verhinderte eine "offizielle Diskussion" der transzendentalen Rolle der Sprache bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und drängte gelegentlich unternommene sprachphilosophische Überlegungen in eine sachlich und historisch kaum zu rechtfertigende Außenseiterposition.

Die historische Bestätigung dieser Thesen liefert in vollem Umfang die zu Unrecht vergessene, ja apokryph gewordene, Sprachphilosophie des späten 19. Jahrhunderts, die sich bewußt in den Kontext der Kantischen Frage stellt und sich deutlich bewußt ist, "daß, was KANT "Kritik der reinen Vernunft" zu untersuchen begann, fortzuführen ist als Kritik der unreinen Vernunft, der gegenständlich gewordenen, also als Kritik der Sprache." (GERBER, 1884)

Mit diesen Bemerkungen sind zugleich Tenor und Substanz sprachkritischen Philosophierens insgesamt angesprochen: Sprachkritisches Philosophieren thematisiert den Zusammenhang von Sprache/Sprechen und Denken/Gedanke, versteht die Kantische Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten zuverlässiger Erkenntnis als Frage nach der Funktion der Sprache im Erkenntnisprozeß.

Philosophiegeschichtlich gesehen wird im späten 19. Jahrhundert der Versuch unternommen, den offiziellen Strang der modernen Philosophie von DESCARTES bis HEGEL mit seinen Nebensträngen zusammenzuführen, in denen von BACON bis HUMBOLDT die Sprache als das eigentlich problematische, stets aber verdeckte oder mißverstandene Thema der Erkenntnistheorie betrachtet wurde. Diese Integrationsaufgabe überstieg natürlich bei weitem die Kraft der hier vorgestellten Autoren; was aber ihre Bemühungen für uns heute so interessant werden läßt, ist die Feststellung, daß die philosophische Thematisierung der Sprache, wie sie das 20. Jahrhundert geprägt hat, in fast allen Erscheinungsweisen und Aspekten bereits im 19. Jahrhundert vorgezeichnet ist, in der apokryphen Tradition von GRUPPE bis RUNZE.

Freilich muß von vornherein klar gesagt werden, daß mit dieser Behauptung tiefgehende Unterschiede nicht überspielt werden sollen. Es bedarf wohl keiner besonderen Rechtfertigung, daß die Sprachphilosophie des 19. Jahrhunderts nicht einfach unter Vernachlässigung der historischen Distanz mit der postwittgensteinschen Analysis verglichen werden kann. Das muß darum besonders betont werden, weil es z.T. fast wörtliche Übereinstimmungen in manchen Formulierungen etwa FRIEDRICH MAX MÜLLERs und WITTGENSTEIN gibt, die zu vorschnellen Parallelisierungen verleiten könnten (etwa in der Frage der Metaphysikkritik).

Es geht bei dieser Auswahl nicht darum, Enthüllungen zu machen oder zu Recht vergessene Autoren im Boom einer philosophischen Mode aufzuwerten. Sondern es geht darum zu zeigen,

wie mühsam sich aus den Argumentationsmodellen seit DESCARTES und KANT und den darin implizierten Denk- und Ausdruckszwängen die Einsicht in die fundamentale Rolle der Sprache im Erkenntnisprozeß entwickelt hat, und

daß eine ernsthafte Reflexion auf die transzendentale Bedeutung der Sprache fast unabhängig vom historischen Ort ihres Vollzugs zu einer radikalen Erkenntnis- und Metaphysikkritik führen muß.
Diese enge Verbindung von Sprach-, Erkenntnis- und Metaphysikkritik, die der Sprachphilosophie unseres Jahrhunderts das Gepräge gibt, ist nun in der Tat exemplarisch vorgezeichnet - mit allen positiven und bedenklichen Zügen - in der Sprachphilosophie der hier vorgestellten Autoren. Aus diesem Grunde scheint mir eine Aktualisierung wichtiger Passagen ihres Argumentierens bedeutsam zu sein, ganz abgesehen von der Frage, ob die drei Autoren bereits Lösungen für die vielen Fragen anzugeben vermögen, die sie aufgegriffen oder selbst neu entwickelt haben.

Entscheidender dürfte sein, daß sie überhaupt,  gegen  die philosophischen Moden und Strömungen ihrer Zeit, die Bedeutung der Sprache für das Philosophieren gesehen und ausgesprochen und dem folgenden Jahrhundert Sprachphilosophie als den zentralen Forschungsbereich anempfohlen haben.

1888 prophezeite der in Oxford (!) lehrende deutsche Sprachwissenschaftler und Sprachphilosoph FRIEDRICH MAX MÜLLER in seinem Hauptwerk "Das Denken im Lichte der Sprache": "Alle künftige Philosophie wird ausschließlich Sprachphilosophie sein" und faßte damit in radikaler Form die Ergebnisse und Hoffnungen der sprachkritischen Philosophie seiner Zeit zusammen, die in der Entdeckung der "Einheit von Denken und Sprache, eine  vollständige Revolution  in der Philosophie" notwendig gegeben sah.

Ausgehend von dem in langen und langwierigen Erörterungen erarbeiteten "Fundamentalsatz der Sprachwissenschaft", "daß nämlich Denken und Sprache untrennbar seien", entwickelt MÜLLER seine philosophische Position, die die Ziele des Monismus und des Nominalismus durch eine Zusammenarbeit der "vereinigten Wissenschaften der Sprache und des Denkens" zu vereinen sucht und nennt sie  Nominismus .

Sprache und Denken sind für MÜLLER untrennbar; jede isolierte Betrachtung nur eines der beiden Faktoren des Denk-Sprech-Prozesses, des Logos, muß seines Erachtens zu entscheidenden Fehlern führen. Daraus ergeben sich bedeutsame methodologische Konsequenzen (die ähnlich von GEORG RUNZE gezogen werden): das Denken kann sinnvoll nur da studiert werden, "wo es allein vollständig realisiert ist, - in der Sprache". Die Genese des menschlichen Geistes muß dementsprechend rekonstruiert werden, aus der Geschichte der Sprache: "Jedes Wort ist eine Probe, ein Dokument menschlichen Denkens, das analysiert und erklärt werden muß".

Diese historisch-philologische Basis des Nominismus muß gesehen werden vor dem Hintergrund der historisch- vergleichenden Sprachwissenschaft zur Zeit MÜLLERs, die sich ausführlich den Fragen des Sprachursprungs, der Etymologie, der Rekonstruktion der indogermanischen und deren ursprünglicher Bedeutungen widmete. Das umfangreiche historische Material dieser Sprachwissenschaft sowie Ergebnisse der vergleichenden Religionswissenschaften und der Mythologien dienten MÜLLER als Datenmaterial, aus dem er die natürliche Basis menschlicher Geistesfähigkeit zu ermittlen suchte.

Dieser sprachgeschichtlich- diachronische Ausgangspunkt unterscheidet sich generell die Sprachphilosophie des späten 19. Jahrhunderts von allen späteren Sprachphilosophien, die seit FERDINAND de SAUSSUREs folgenreicher Unterscheidung von  langue  und  parole  primär synchronisch operierten und damit die Schwächen etymologischer Spekulationen von vornherein vermeiden konnten.

Dem Zweck dieser Vorbemerkungen entsprechend möchte ich nun ganz kurz auf einige Aspekte hinweisen, die dem heutigen Leser die systematische Verwandtschaft der Sprachphilosophie GERBERs, MÜLLERs und RUNZEs mit der unseres Jahrhunderts deutlich machen können.

Sprache und Denken werden von den Autoren als korrelative Aspekte eines einheitlichen Denk-Sprech-Prozesses gesehen, der mit dem im vollen Sinne verstandenen griechischen Terminus  logos  bezeichnet wird. Jede Annahme eines reinen Geistes, der unvermittelten Verstandestätigkeit wird zurückgewiesen. "Was wir Denken zu nennen gewohnt sind, ist nur der Revers einer Münze, deren Vorderseite artikulierter Laut heißt, während die kursierende Münze weder Denken noch Laut, sondern eine unteilbare Einheit, nämlich das Wort ist". (MÜLLER). Sprache wird von den drei Autoren in Anschluß an HUMBOLDT als "Organ" oder "Mutterschoß" des Denkens bezeichnet. "Wir denken mit unseren Worten, wie wir mit unseren Augen sehen." (MÜLLER) "...dadurch, daß unser Geist sich erschafft in der Sprache, wird er selber erst in Wirklichkeit." (GERBER)

Sprache wird nicht primär als Zeichensystem, sondern als System bedeutungsvoller Elemente aufgefaßt. Ihre Nennelemente bezeichnen nicht Dinge, sondern repräsentieren in der Rede  Klassen  von Dingen, bzw. Begriffe: Jeder Begriff ist ein Name, jeder Name ein Begriff. Sprache arbeitet begrifflich, symbolisch und abstraktiv (GERBER).

Außerordentlich moderne Ansätze zu einer Bedeutungstheorie finden sich bei GERBER, der betont: "Die Wörter haben nicht eine Bedeutung, sondern sie vertreten Bedeutungsgebiete, deren Umkreis ständig gezogen  wird , niemals aber gezogen  ist , solange die Sprache des Wortes lebt." (Die Übereinstimmung mit WITTGENSTEINs Formulierung in §68 der "Philosophischen Untersuchungen" ist hier aufschlußreich.) Bedeutung ist für GERBER ein Korrelat der Subjektivität, mit anderen Worten eine intentionale Leistung des Sprachbenutzers, keine Substanz oder Entität. Erst im "tätigen Erkennenwollen", d.h. erst in der Textbildung erhalten die Text- oder Redekonstituenten Sinn und Bedeutung.
Die Behandlung solcher systematisch- erkenntnistheoretischer Fragen durch die Autoren kann heute sicher nicht mehr als ausreichend angesehen werden. Sie zeigt aber den gerade heute sehr aufschlußreichen Versuch, sprachbewußtes Philosophieren bei der Lösung alter erkenntnistheoretischer Fragen einzusetzen und zu bewähren und kann damit für viele moderne Versuche einer Vermittlung von  Linguistic Analysis  und traditioneller Philosophie als Beispiel gelten.

Besonderes Interesse kommt den drei Autoren zu, wenn die im engeren Sinne philosophiekritischen  Aspekte ihrer Sprachphilosophie betrachtet werden.

Die Bildlichkeit der Sprache und damit notwendig des Denkens wird von allen drei Autoren als eine der Hauptquellen philosophischer Scheinprobleme gewertet. Problemformulierung und -lösung sind, wie es vor allem GEORG RUNZE immer wieder betont, vom sprachlichen Bild beherrscht. Das Metaphorische und Mythische gehört notwendig zur Sprache und zu ihrem Gebrauch, gerade und besonders auch dem philosophischen, der immer vom Sinnliche zum Unsinnlichen fortzuschreiten versucht und sich dabei oft genug unbemerkt in den Bildern der Sprache verfängt und "philosophische Mythologien" (MÜLLER) erzeugt. Diese Gedanken lassen sich unschwer anschließen an WITTGENSTEINs Analysen des Sich-Verfangens in den Bildern der Sprache.

Aus diesen Überlegungen legt sich der Schluß nahe, sprachkritisches Philosophieren müsse notwendig zum Skeptizismus führen, weil die Bildhaftigkeit der Sprache keine reine Erkenntnis der Wahrheit erlaube. Eben diese Konsequenz sieht etwa RUNZE sehr deutlich und prangert sie im Werk FRITZ MAUTHNERs an. Einen Hinweis auf die Lösung dieses Dilemmas aber gibt eher GERBER, der darauf verweist, daß  Wahrheit  ein Begriff aus der Sphäre der Erkenntnisbeziehung  ist, wie sie in der Sprache hergestellt und verwirklicht wird. Auch RUNZE betont, daß die Sprache als Denk-Sprech-Prozeß die Kriterien der Wahrheit in sich selbst tragen muß, daß "die Sprache selbst ... kritisches Prinzip für die Vernunftwahrheit" ist. Damit ist implizit jeder empiristische, positivistische oder idealistische Certismus (certus=sicher) zurückgewiesen und Wahrheit in den Bereich der Denk-Sprech-Prozesse zurückgeholt.

Die deutlichsten Anklänge an die Philosophiekritik im Raume WITTGENSTEINs finden sich in den Angriffen der Autoren gegen die traditionelle Philosophie. Hier können wir folgende Argumente unterscheiden: Nur wegen der Nichtberücksichtigung der Sprache glauben die meisten Philosophen, sich auf der Ebene des reinen Denkens bewegen zu können, vor oder hinter der Sprache reflektieren zu können. Demgegenüber betont GERBER, "daß die bedeutenden Denker, wann sie grundlegend philosophierten, von der Hand der Sprache geleitet wurden und sprachliche Probleme behandelten, wann sie im reinen Denken sich zu bewegen glaubten."
Dem starken historischen Interesse ihrer Zeit entsprechend fordern die Autoren begriffs- und bedeutungsgeschichtliche Analysen, um die Fluktuation der sprachlichen Begriffe zu verdeutlichen und zur Vorsicht und Bescheidenheit aufzurufen gegenüber der Erwartung, "mit Begriffen ein Wissen zu gewinnen". Jede Mißachtung der Sprache bringt die Philosophie in Gefahr, dem "Bann der Sprache" zu erliegen, von der Sprache verführt zu werden, begriffliche Sonderungen, d.h. sprachliche Differenzierungen, für sachliche Differenzierungen zu halten.
Bei diesen kritischen Überlegungen muß besonders die Metaphysik harte Kritik hinnehmen. MÜLLER beruft sich dabei auf SPENCERs Formulierung, es könne von der Metaphysik gesagt werden, "daß die in allen ihren anti-realistischen Entwicklungen eine Krankheit der Sprache ist" (MÜLLER). So weist MÜLLER in einer analytischen Untersuchung, die durchaus modernen Charakter trägt, nach, daß die metaphysischen Positionen des Materialismus und Spiritualismus nichts anderes sind als "grammatische Schnitzer".

Eine Heilung der Philosophie von den Krankheiten der Sprache kann nach der Überzeugung der Autoren durch eine sprachkritische Begriffs- und Problemanalyse und eine Verbesserung der philosophischen Sprache geschehen; ein altes, seit LOCKE in der modernen Philosophie ventiliertes Problem, das dann der Wiener Neopositivismus durch die Einführung logischer Sprachen zu lösen versuchte. Erst nach einer grundsätzlichen kritischen Läuterung der Sprache der Philosophie wird nach MÜLLERs Ansicht die "vollkommenste Sprache zur vollkommensten Philosophie".

Wie weitgehend MÜLLER WITTGENSTEIN vorausgedacht hat, zeigt sich etwa auch am Gedanken des notwendigen Endes der Philosophie. MÜLLER vermutet, daß eine vollständig durchgeführte Sprach- und Begriffsanalyse notwendig und sinnvoll die Philosophie aufheben, überflüssig machen würde. "Verständen wir jedes Wort nach seiner Entstehung und weiteren Entwicklung vollständig, so hätte die Philosophie keine weiteren Geheimnisse mehr und könnte keine mehr haben. Sie würde zu existieren aufhören."
Um dieses Ziel zu erreichen, muß die Philosophie sich eindeutig darauf besinnen, daß die Sprache ihr Gegenstand ist. Folgerichtig fordert RUNZE eine "linguistische Erkenntnistheorie", die die sprachlichen und psychologischen Bedingungen der Begriffsbildung und des Begriffsgebrauchs in philosophischen Argumentationen aufdeckt und auf diesem Wege eine Fülle traditioneller metaphysischer Probleme einfach auflöst. Der Untrennbarkeit von Sprache und Denken kann seines Erachtens nur eine noministische  Glottophilosophie  gerecht werden. Diese Glottophilosophie versteht RUNZE aber bemerkenswerterweise nicht als ein neues philosophisches System, sondern als eine neue  Methode  des Philosophierens.

Ganz deutlich begreift RUNZE, daß eine echt sprachkritische Philosophie notwendig zur  Metaphilosophie  werden muß, "ein Lösungsversuch in zweiter Potenz"; daß die künftige Aufgabe der Sprachphilosophie darin bestehen muß, die "linguistische Theorie" stets auf die Analysemethoden selbst wieder anzuwenden, Ernst zu machen "mit dem Versuch, jeden Gedanken, jeden Satz, jedes Wort daraufhin anzusehen, wiefern es als Wort Gedanke, als Gedanke Wort sei...". Denn nicht die Lösung von Aufgaben sei letztlich die Aufgabe der Philosophie, sondern die Analyse der Fragestellung und die Erarbeitung zureichenderer Problemformulierungen.

Damit sind einige der Hauptakzente markiert, die eine Beschäftigung mit den Autoren aktuell und lohnend erscheinen lassen. Es dürfte bei der Lektüre dieser Beispiele sprachkritischen Philosophierens vor allem darauf ankommen, sich nicht vom Sprachgebrauch der Autoren verleiten zu lassen: weder zu vorschnellen Aktualisierungen, noch zu vorschneller Musealisierung. Die Autoren mußten in ganz besonderer Weise mit einem Problem fertigwerden, das noch WITTGENSTEIN als das größte seines Philosophierens ansah: mit den enormen Schwierigkeiten des Ausdrucks solcher Verhältnisse, zu deren Kennzeichnung die philosophische Tradition festsitzende Formen lang eingeübt hatte.

Der Kampf mit der philosophischen Terminologie (von  Geist  und  Bewußtsein  bis  Sprache  und  Begriff ) dürfte wohl in erster Linie verantwortlich zu machen sein für den oft heterogenen Eindruck, den die Argumentationsweise der Autoren macht, die ungleich stärker als die heutige Sprachphilosophie in der Tradition verwurzelt war.
LITERATUR - Siegfried J. Schmidt (Hrsg), Philosophie als Sprachkritik im 19. Jahrhundert, Textauswahl Band 2, Stuttgart - Bad Cannstatt 1971