Georg RunzeGustav GerberGerber-Runze-Müller | ||||
Sprachkritische Philosophie
Die Sprachphilosophie dieser Autoren zeigt exemplarisch die notwendige Verbindung von Sprach-, Erkenntnis- und Metaphysikkritik, die bis heute sprachkritischem Philosophieren das Gepräge gibt. Lange vor WITTGENSTEIN verstand sich eine solche Sprachphilosophie als "eine vollständige Revolution in der Philosophie" und MÜLLER prophezeite für unser Jahrhundert: "Alle künftige Philosophie wird ausschließlich Sprachphilosophie sein." Darüber, was sprachkritische Philosophie sei, herrscht nun aber bis heute kein allgemeines Einvernehmen; zu konträr sind die Ansätze, Methoden und Ergebnisse, die Sprachphilosophen dieses Jahrhunderts von MAUTHNER bis zum späten WITTGENSTEIN und dessen Nachfolgern entwickelt haben. Vielerorts, vor allem auf dem Kontinent, wird sprachkritisches Philosophieren immer noch einfach gleichgesetzt mit Skeptizismus, Metaphysikkritik oder gar unangemessener Destruktion der Philosophie und ihrer in einer langen Geschichte herangebildeten Fragestellungen. Schon eine kurze Beschäftigung mit sprachproblematisierendem Philosophieren zeigt aber, daß dieser philosophische Ansatz durchaus nicht der einseitigen Willkür historisch ungebildeter Außenseiter entstammt, sondern als ein notwendige Konsequenz der klassischen und modernen europäischen Philosophiegeschichte angesehen werden muß. Spätestens sein KANTs Ausarbeitung der transzendentalen Frage steht die Rolle der Sprache im und für den Erkenntnisprozeß als vordringliches Problem im Horizont der Philosophie, wie HAMANNs, JACOBIs und HERDERs metakritische Kantrezeptionen belegen und HUMBOLDTs erste großangelegte Sprachphilosophie beweist. Aber die Prädominanz der idealistischen Geist-Problematik verhinderte eine "offizielle Diskussion" der transzendentalen Rolle der Sprache bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und drängte gelegentlich unternommene sprachphilosophische Überlegungen in eine sachlich und historisch kaum zu rechtfertigende Außenseiterposition. Die historische Bestätigung dieser Thesen liefert in vollem Umfang die zu Unrecht vergessene, ja apokryph gewordene, Sprachphilosophie des späten 19. Jahrhunderts, die sich bewußt in den Kontext der Kantischen Frage stellt und sich deutlich bewußt ist, "daß, was KANT "Kritik der reinen Vernunft" zu untersuchen begann, fortzuführen ist als Kritik der unreinen Vernunft, der gegenständlich gewordenen, also als Kritik der Sprache." (GERBER, 1884) Mit diesen Bemerkungen sind zugleich Tenor und Substanz sprachkritischen Philosophierens insgesamt angesprochen: Sprachkritisches Philosophieren thematisiert den Zusammenhang von Sprache/Sprechen und Denken/Gedanke, versteht die Kantische Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten zuverlässiger Erkenntnis als Frage nach der Funktion der Sprache im Erkenntnisprozeß. Philosophiegeschichtlich gesehen wird im späten 19. Jahrhundert der Versuch unternommen, den offiziellen Strang der modernen Philosophie von DESCARTES bis HEGEL mit seinen Nebensträngen zusammenzuführen, in denen von BACON bis HUMBOLDT die Sprache als das eigentlich problematische, stets aber verdeckte oder mißverstandene Thema der Erkenntnistheorie betrachtet wurde. Diese Integrationsaufgabe überstieg natürlich bei weitem die Kraft der hier vorgestellten Autoren; was aber ihre Bemühungen für uns heute so interessant werden läßt, ist die Feststellung, daß die philosophische Thematisierung der Sprache, wie sie das 20. Jahrhundert geprägt hat, in fast allen Erscheinungsweisen und Aspekten bereits im 19. Jahrhundert vorgezeichnet ist, in der apokryphen Tradition von GRUPPE bis RUNZE. Freilich muß von vornherein klar gesagt werden, daß mit dieser Behauptung tiefgehende Unterschiede nicht überspielt werden sollen. Es bedarf wohl keiner besonderen Rechtfertigung, daß die Sprachphilosophie des 19. Jahrhunderts nicht einfach unter Vernachlässigung der historischen Distanz mit der postwittgensteinschen Analysis verglichen werden kann. Das muß darum besonders betont werden, weil es z.T. fast wörtliche Übereinstimmungen in manchen Formulierungen etwa FRIEDRICH MAX MÜLLERs und WITTGENSTEIN gibt, die zu vorschnellen Parallelisierungen verleiten könnten (etwa in der Frage der Metaphysikkritik). Es geht bei dieser Auswahl nicht darum, Enthüllungen zu machen oder zu Recht vergessene Autoren im Boom einer philosophischen Mode aufzuwerten. Sondern es geht darum zu zeigen, wie mühsam sich aus den Argumentationsmodellen seit DESCARTES und KANT und den darin implizierten Denk- und Ausdruckszwängen die Einsicht in die fundamentale Rolle der Sprache im Erkenntnisprozeß entwickelt hat, undDiese enge Verbindung von Sprach-, Erkenntnis- und Metaphysikkritik, die der Sprachphilosophie unseres Jahrhunderts das Gepräge gibt, ist nun in der Tat exemplarisch vorgezeichnet - mit allen positiven und bedenklichen Zügen - in der Sprachphilosophie der hier vorgestellten Autoren. Aus diesem Grunde scheint mir eine Aktualisierung wichtiger Passagen ihres Argumentierens bedeutsam zu sein, ganz abgesehen von der Frage, ob die drei Autoren bereits Lösungen für die vielen Fragen anzugeben vermögen, die sie aufgegriffen oder selbst neu entwickelt haben. Entscheidender dürfte sein, daß sie überhaupt, gegen die philosophischen Moden und Strömungen ihrer Zeit, die Bedeutung der Sprache für das Philosophieren gesehen und ausgesprochen und dem folgenden Jahrhundert Sprachphilosophie als den zentralen Forschungsbereich anempfohlen haben. 1888 prophezeite der in Oxford (!) lehrende deutsche Sprachwissenschaftler und Sprachphilosoph FRIEDRICH MAX MÜLLER in seinem Hauptwerk "Das Denken im Lichte der Sprache": "Alle künftige Philosophie wird ausschließlich Sprachphilosophie sein" und faßte damit in radikaler Form die Ergebnisse und Hoffnungen der sprachkritischen Philosophie seiner Zeit zusammen, die in der Entdeckung der "Einheit von Denken und Sprache, eine vollständige Revolution in der Philosophie" notwendig gegeben sah. Ausgehend von dem in langen und langwierigen Erörterungen erarbeiteten "Fundamentalsatz der Sprachwissenschaft", "daß nämlich Denken und Sprache untrennbar seien", entwickelt MÜLLER seine philosophische Position, die die Ziele des Monismus und des Nominalismus durch eine Zusammenarbeit der "vereinigten Wissenschaften der Sprache und des Denkens" zu vereinen sucht und nennt sie Nominismus . Sprache und Denken sind für MÜLLER untrennbar; jede isolierte Betrachtung nur eines der beiden Faktoren des Denk-Sprech-Prozesses, des Logos, muß seines Erachtens zu entscheidenden Fehlern führen. Daraus ergeben sich bedeutsame methodologische Konsequenzen (die ähnlich von GEORG RUNZE gezogen werden): das Denken kann sinnvoll nur da studiert werden, "wo es allein vollständig realisiert ist, - in der Sprache". Die Genese des menschlichen Geistes muß dementsprechend rekonstruiert werden, aus der Geschichte der Sprache: "Jedes Wort ist eine Probe, ein Dokument menschlichen Denkens, das analysiert und erklärt werden muß". Diese historisch-philologische Basis des Nominismus muß gesehen werden vor dem Hintergrund der historisch- vergleichenden Sprachwissenschaft zur Zeit MÜLLERs, die sich ausführlich den Fragen des Sprachursprungs, der Etymologie, der Rekonstruktion der indogermanischen und deren ursprünglicher Bedeutungen widmete. Das umfangreiche historische Material dieser Sprachwissenschaft sowie Ergebnisse der vergleichenden Religionswissenschaften und der Mythologien dienten MÜLLER als Datenmaterial, aus dem er die natürliche Basis menschlicher Geistesfähigkeit zu ermittlen suchte. Dieser sprachgeschichtlich- diachronische Ausgangspunkt unterscheidet sich generell die Sprachphilosophie des späten 19. Jahrhunderts von allen späteren Sprachphilosophien, die seit FERDINAND de SAUSSUREs folgenreicher Unterscheidung von langue und parole primär synchronisch operierten und damit die Schwächen etymologischer Spekulationen von vornherein vermeiden konnten. Dem Zweck dieser Vorbemerkungen entsprechend möchte ich nun ganz kurz auf einige Aspekte hinweisen, die dem heutigen Leser die systematische Verwandtschaft der Sprachphilosophie GERBERs, MÜLLERs und RUNZEs mit der unseres Jahrhunderts deutlich machen können. Sprache und Denken werden von den Autoren als korrelative Aspekte eines einheitlichen Denk-Sprech-Prozesses gesehen, der mit dem im vollen Sinne verstandenen griechischen Terminus logos bezeichnet wird. Jede Annahme eines reinen Geistes, der unvermittelten Verstandestätigkeit wird zurückgewiesen. "Was wir Denken zu nennen gewohnt sind, ist nur der Revers einer Münze, deren Vorderseite artikulierter Laut heißt, während die kursierende Münze weder Denken noch Laut, sondern eine unteilbare Einheit, nämlich das Wort ist". (MÜLLER). Sprache wird von den drei Autoren in Anschluß an HUMBOLDT als "Organ" oder "Mutterschoß" des Denkens bezeichnet. "Wir denken mit unseren Worten, wie wir mit unseren Augen sehen." (MÜLLER) "...dadurch, daß unser Geist sich erschafft in der Sprache, wird er selber erst in Wirklichkeit." (GERBER)Die Behandlung solcher systematisch- erkenntnistheoretischer Fragen durch die Autoren kann heute sicher nicht mehr als ausreichend angesehen werden. Sie zeigt aber den gerade heute sehr aufschlußreichen Versuch, sprachbewußtes Philosophieren bei der Lösung alter erkenntnistheoretischer Fragen einzusetzen und zu bewähren und kann damit für viele moderne Versuche einer Vermittlung von Linguistic Analysis und traditioneller Philosophie als Beispiel gelten. Besonderes Interesse kommt den drei Autoren zu, wenn die im engeren Sinne philosophiekritischen Aspekte ihrer Sprachphilosophie betrachtet werden. Die Bildlichkeit der Sprache und damit notwendig des Denkens wird von allen drei Autoren als eine der Hauptquellen philosophischer Scheinprobleme gewertet. Problemformulierung und -lösung sind, wie es vor allem GEORG RUNZE immer wieder betont, vom sprachlichen Bild beherrscht. Das Metaphorische und Mythische gehört notwendig zur Sprache und zu ihrem Gebrauch, gerade und besonders auch dem philosophischen, der immer vom Sinnliche zum Unsinnlichen fortzuschreiten versucht und sich dabei oft genug unbemerkt in den Bildern der Sprache verfängt und "philosophische Mythologien" (MÜLLER) erzeugt. Diese Gedanken lassen sich unschwer anschließen an WITTGENSTEINs Analysen des Sich-Verfangens in den Bildern der Sprache.Dem starken historischen Interesse ihrer Zeit entsprechend fordern die Autoren begriffs- und bedeutungsgeschichtliche Analysen, um die Fluktuation der sprachlichen Begriffe zu verdeutlichen und zur Vorsicht und Bescheidenheit aufzurufen gegenüber der Erwartung, "mit Begriffen ein Wissen zu gewinnen". Jede Mißachtung der Sprache bringt die Philosophie in Gefahr, dem "Bann der Sprache" zu erliegen, von der Sprache verführt zu werden, begriffliche Sonderungen, d.h. sprachliche Differenzierungen, für sachliche Differenzierungen zu halten. Bei diesen kritischen Überlegungen muß besonders die Metaphysik harte Kritik hinnehmen. MÜLLER beruft sich dabei auf SPENCERs Formulierung, es könne von der Metaphysik gesagt werden, "daß die in allen ihren anti-realistischen Entwicklungen eine Krankheit der Sprache ist" (MÜLLER). So weist MÜLLER in einer analytischen Untersuchung, die durchaus modernen Charakter trägt, nach, daß die metaphysischen Positionen des Materialismus und Spiritualismus nichts anderes sind als "grammatische Schnitzer".Um dieses Ziel zu erreichen, muß die Philosophie sich eindeutig darauf besinnen, daß die Sprache ihr Gegenstand ist. Folgerichtig fordert RUNZE eine "linguistische Erkenntnistheorie", die die sprachlichen und psychologischen Bedingungen der Begriffsbildung und des Begriffsgebrauchs in philosophischen Argumentationen aufdeckt und auf diesem Wege eine Fülle traditioneller metaphysischer Probleme einfach auflöst. Der Untrennbarkeit von Sprache und Denken kann seines Erachtens nur eine noministische Glottophilosophie gerecht werden. Diese Glottophilosophie versteht RUNZE aber bemerkenswerterweise nicht als ein neues philosophisches System, sondern als eine neue Methode des Philosophierens. Ganz deutlich begreift RUNZE, daß eine echt sprachkritische Philosophie notwendig zur Metaphilosophie werden muß, "ein Lösungsversuch in zweiter Potenz"; daß die künftige Aufgabe der Sprachphilosophie darin bestehen muß, die "linguistische Theorie" stets auf die Analysemethoden selbst wieder anzuwenden, Ernst zu machen "mit dem Versuch, jeden Gedanken, jeden Satz, jedes Wort daraufhin anzusehen, wiefern es als Wort Gedanke, als Gedanke Wort sei...". Denn nicht die Lösung von Aufgaben sei letztlich die Aufgabe der Philosophie, sondern die Analyse der Fragestellung und die Erarbeitung zureichenderer Problemformulierungen. Damit sind einige der Hauptakzente markiert, die eine Beschäftigung mit den Autoren aktuell und lohnend erscheinen lassen. Es dürfte bei der Lektüre dieser Beispiele sprachkritischen Philosophierens vor allem darauf ankommen, sich nicht vom Sprachgebrauch der Autoren verleiten zu lassen: weder zu vorschnellen Aktualisierungen, noch zu vorschneller Musealisierung. Die Autoren mußten in ganz besonderer Weise mit einem Problem fertigwerden, das noch WITTGENSTEIN als das größte seines Philosophierens ansah: mit den enormen Schwierigkeiten des Ausdrucks solcher Verhältnisse, zu deren Kennzeichnung die philosophische Tradition festsitzende Formen lang eingeübt hatte. Der Kampf mit der philosophischen Terminologie (von Geist und Bewußtsein bis Sprache und Begriff ) dürfte wohl in erster Linie verantwortlich zu machen sein für den oft heterogenen Eindruck, den die Argumentationsweise der Autoren macht, die ungleich stärker als die heutige Sprachphilosophie in der Tradition verwurzelt war. |