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Mauthner
1. Anknüpfung an den mittelalterlichen Nominalismus und allgemeine Charakteristik der "Beiträge einer Kritik der Sprache". MAUTHNER weist selbst auf den Zusammenhang seiner Sprachforschung mit dem mittelalterlichen Nominalismus hin. "Was ich lehre, das wird vielleicht ein Nominalismus redivivus, ein reiner erkenntnistheoretischer Nominalismus (Bd. III, S.621) genannt werden." Ja, MAUTHNER macht den Satz, den man wohl mit Unrecht dem ROSCELLINUS zugeschrieben hat, die Begriffe seien flatus vocis, zu dem seinigen: "Es ist nur die augenblickliche Bewegung des Sprachorgans wirklich (Bd. I, S.173).
Neben den Untersuchungen über die durch Anstrengung von Jahrtausenden geschaffene und von unzähligen Abstraktionen gesättigte Sprache, über ihren Wert und ihre Macht ziehen in raschem Wechsel vorüber: Ausschnitte aus der Geschichte der Philosophie, Kritiken philosophischer Theorien, z.B. über Seele und Leib, Kausalität und Teleologie, Wirklichkeit und Bewußtsein, Aufmerksamkeit und Wille, Äther und Atom, Naturwissenschaft und Religion. Es liegt mir fern, die Beiträge MAUTHNERs oberflächlich zu nennen. Im Gegenteil: es spricht sich in ihnen ein ernster Wahrheitsdrang, ein rein wissenschaftliches Interesse aus. Nur diese treibende innere Notwendigkeit hat den Verfasser trotz seiner aufreibenden Berufspflichten die langjährige Arbeit des Sammelns, Forschens, Denkens tapfer zu Ende führen lassen. Die lebhafte Darstellung, worin bald Leidenschaftlichkeit, bald die Wehmut der Entsagung hervorbricht, schmeichelt sich der Phantasie ein, während die hyperbolische Polemik und die häufigen Kraftausdrücke einen störenden Rückschlag üben. (1) Abgesehen von diesen, im Temperament des Verfassers liegenden Nebenwirkungen wird aber das Eindringen in die Denkweise eines so wissenskundigen und geistreichen Mannes, der allen Problemen, die im mittelbaren Zusammenhang mit seinem Thema stehen, so eifrig nachspürt, sie so geistreich beleuchtet, dem Leser Anregung und Gewinn bringen. - Das ist wohl der Grundgedanke der Urteile, der in den bisherigen Besprechungen über die Beiträge zum Ausdruck gekommen ist. Und gern mache ich aufmerksam auf eine Besprechung über den zweiten Band, den sprachwissenschaftlichen Teil im engeren Sinn, worüber mir kein Urteil zusteht, auf die Kritik eines Fachmannes (W. BANG) im literarischen Zentralblatt:
2. Weiterer Verfolg der nominalistischen Gedankengänge A. Phänomenalistischer und sensualistischer Ausgangspunkt. Die Erkenntnis der Wirklichkeitswelt, d.h. einer Welt, die nicht im tierischen und menschlichen Bewußtsein wiedergespiegelt wird, ist uns verschlossen. Unsere Urteile führen rückschreitend bis auf die Sinneseindrücke zurück. Nur diese sind uns bekannt. Begriffe oder Worte sind die Erinnerungszeichen an die Ähnlichkeit zeitlich und räumlich getrennter Sinneseindrücke (Bd. III, S.464). Über diese Sinneseindrücke hinaus wird die Wirklichkeit zum Ding-ansich, dem Unerkennbaren, mit dem wir nichts vergleichen, in Übereinstimmung setzen können. So gelangen wir zu der Aphasie, wonach der Ausdruck:
B. Sinne, Wahrnehmungen und Gedächtnis Auf die Eindrücke der Sinne und die Tätigkeit des Gedächtnisses ist alles Wahrnehmen und Denken zurückzuführen. Alle unsere Sinne sind Zufallssinne, d.h. es ist ein Zufall, daß die Tiere der Erde bis hinauf zum Menschen gerade die Sinne für Töne, Farben, usw. entwickelt haben. Die Unendlichkeit der Wirklichkeitsbewegungen gelangt nur durch die wenigen schmalen Tore unserer fünf oder sechs Zufallssinne zu uns, und alles muß draußen bleiben, was keinen Weg zu diesen Toren hat (Bd. I, S.34). Erwägt man ferner, daß die Sinne von ihren Uranfängen in der Amöbe an in steter Entwicklung begriffen sind, so können auch die Sinneseindrücke nur als zufällige Spiegelbilder der Wirklichkeitswelt gelten. Wahrnehmungen sind Komplexe von Sinneseindrücken, von Sinnesempfindungen; Vorstellungen sind Erinnerungsbilder für Wahrnehmungen. Alle psychische Tätigkeit ist nur ein Assoziieren von Vorstellungen. Entweder ich vergleichen einen gegenwärtigen Sinneseindruck mit einem Nachbilde, z.B. ich treffe einen Bekannten auf der Straße und erkenne ihn wieder. Oder es steigt in meiner Erinnerung ein Nachbild auf, in welchem sich eine große Zahl ähnlicher, aber nicht gleicher Eindrücke verbunden haben (2) Ein solche Erinnerung ist dann ein Begriff, und aus der Vergleichung solcher Begriffe besteht das Denken. Auch dem anorganischen Stoff darf man ein Gedächtnis zuschreiben (Bd. I, S.161). Das Problem des bewußten und unbewußten Vorstellens führt auf dasjenige des unbewußten Gedächtnisses zurück. C. Sprechen ist Gebrauch von Erinnerungszeichen. Theorie dieser Zeichen. Jedes Erinnern ist ein Vergleichen, das Gleichstellen eines früheren und eines gegenwärtigen Eindrucks. Denken ist ein Vergleichen von Erinnerungen.
D. Metaphorische Natur der Sprache. Ursprung der Sprache. Die Metapher - die konzentrierte oder abgekürzte Vergleichung - ist die Grundform der Sprachentwicklung.
E. Natur der Begriffe und Worte Das Kapitel des dritten Bandes, das über Begriffe und Worte handelt, sollte eigentlich überschrieben sein: Begriffe oder Worte. Um die Natur der Begriffe zu verstehen, muß man sie als Tätigkeiten, als Denkakte fassen, die mit der Bildung der Worte zusammenfallen. Die Begriffe sind nichts als Worte, nichts als Erinnerungszeichen für Gruppen ähnlicher Vorstellungen. Begriff ist nur die kurze Bezeichnung für die psychologische Tatsache, daß Lautkomplexe, wenn sie einer Sprache angehören, Assoziationen erzeugen (Bd.III, S.272,285). Da ferner die Begriffe nur potentielle, nur ökonomisch zusammengefaßte Urteile sind, so ist es nur eine Frage der Aufmerksamkeit, ob wir die Begriffe oder die Urteile als das Primäre ansehen (Bd.III, S.269). Und ebenso besteht der einzige Unterschied zwischen Begriff und Wort nur in der Richtung der Aufmerksamkeit. Ich richte meine Aufmerksamkeit einmal auf das Geräusch, welches meine Sprachorgane bei Hervorbringung des Lautkomplexes Hund zustande bringen, das andere Mal auf die Welt von Assoziationen, welche dieser Lautkomplex in mir anregt (Bd.III, S.270).
F. Gattungs- und Artbegriffe. Auch hier ist wieder ein Erinnern an den mittelalterlichen Universalienstreit, an JOHANNIS von SALESBURY, der spottend sagte:
In der entwickelten Sprache kann jeder Eigenname zum Artbegriff werden; ich kann sagen: die GOETHE sind selten, die MEYER sind häufig (Bd.III, S.289). Vor der Sprache liegt die Einzelvorstellung, jenseits der Sprache liegen die allgemeinsten Begriffe der Kategorien, die nur mißbräuchlich von künstlichen Worten mythologisch vorgestellt werden; zwischen beiden schwebt die menschliche Sprache über der Wirklichkeitswelt wie ein Nebelduft verschönernd und die Grenzen auflösend (Bd.II, S.292). Unser ganzes menschliches Wissen besteht in unseren Wahrnehmungen und unser Denken allein in der bequemen Ordnung dieser Wahrnehmungen durch Begriffe und Worte, welche ähnliche Worte zusammenfassen (Bd.III, S.577). Die obersten und allgemeinsten Begriffe sind leere Nullen. Wenn man sich dadurch zu immer höheren Begriffen erhebt, daß man nacheinander die Einzelvorstellungen unbeachtet läßt, daß man nacheinander von ihnen absieht, so muß am Ende der Augenblick kommen, wo man auch von der letzten Vorstellung absieht, um zum höchsten Begriff, "dem des Seienden", zu gelangen. So steige ich von einem Stückchen Chester auf dem Teller zu einem Käselaib, zu Käse überhaupt, Milchwirtschaftsprodukt, animalischer Nahrungsstoff, Nahrung, organisierter Stoff, Etwas empor. Da nun der Inhalt eines Begriffs zu seinem Umfang sich verhält wie der Zähler zum Nenner, so wird beim unendlich Großwerden des Nenners, wo also der Begriff alles Seiende umfaßt, der Wert des Zählers im Verhältnis zum Unendlichen gleich Null; der Inhalt von Begriffen wie Etwas, Substanz, Sein usw. ist also gleich Null (Bd.III, S.293). 3. Beurteilung des Werkes A. Allgemeiner Gesichtspunkt Diese Entwicklungd der Grundgedanken der Sprachkritik MAUTHNERs, wobei dessen Individualität, die witzige, in geistreichen Ideenassoziationen sich bewegende, oft drastische Ausdrucksweise in der Polemik gegen wissenschaftliche Theorien und Hypothesen nur hin und wieder hervortreten konnte, läßt sich wohl dahin zusammenfassen: Sensualismus und Terminismus in zugespitzter Form, denen dann der Skeptizismus ihre Spitzen wieder abbricht. Aus den Sinnesempfindungen wir alle Bewußtseinstätigkeit abgeleitet. Zum Zustandekommen des ersten Sinneseindruckes ist schon Gedächtnis erforderlich. Die Erinnerungen sind reproduzierte Empfindungen. Diese Überzeugung, daß Begriffe nur Worte sind, daß Worte in Worte gefaßt Anfang und Ende aller Philosophie ist (Bd.III, S.644), erfüllt den Kritiker teils mit Haß teils mit Mitleid gegen die Sprache, deren "Schlangenbetrug" uns stets Wirklichkeit und Wissen vorgaukelt, während wir nur Worte und Satzgebilde erhaschen. Und dieser Haß gegen das Abstraktum Sprache bricht an einigen Stellen so impulsiv hervor, daß sie im Fieber geschrieben zu sein scheinen.
Die Sprache ist der Ziehund, der die große Trommel in der Musikbande des Menschenheeres zieht. Die Sprache ist der Hundsaffe, der Prostituierte, der mißbraucht wird für die drei großen Begierden des Menschen, der sich brüllend vor den Pflug spannt, als Arbeiter für den Hunger, der sich und seine Familie verkauft als Kuppler für die Liebe, und der sich all in seiner Scheußlichkeit verhöhnen läßt als Folie für die Eitelkeit, und der schließlich noch der Luxusbegierde dient und als Zirkusaffe seine Sprünge macht, damit der Affe einen Apfel kriege und eine Kußhand und damit er selbst Künstler heiße. Die Sprache ist die große Lehrmeisterin zum Laster ... Erkenntnis haben die Gespenster aus dem Paradies der Menschheit versprochen, als sie die Sprache lehrten. Die Sprache hat die Menschheit aus dem Paradies vertrieben" (Bd.I, S.81). ![]() LITERATUR - Alfred Kühtmann, Zur Geschichte des Terminismus, Leipzig 1911
Beispielsweise: "Max Müller spricht vollendeten Unsinn, wenn er den Wurzeln zwar ahnungsvoll Realität abspricht, aber nur darum, weil sie die Ursachen der Sprache wären" (Bd. II, S.231) ... Vielleicht die letzte große nachhaltige Frechheit des Wortes war im kategorischen Imperativ. Seitdem haben sich die besten Köpfe von der wissenschaftlichen Behandlung der Ethik und der Religion zurückgezogen." (Bd. I, S.81) Schon HOBBES hat bemerkt, daß auch zur einfachsten Sinneswahrnehmung Gedächtnis erforderlich sei, "denn obleich manche Dinge in einem Punkte getastet werden, kann man doch jene nicht empfinden, ohne den Fluß eines Punktes, d.h. ohne Zeit; Zeit aber zu empfinden, dazu bedarf es eines Gedächtnisses." (Bd. I, S.402) |