ra-2p-4ra-1A. TumarkinO. KülpeJ. Cohnvon KernA. LassonF. H. Jacobi    
 
WALDEMAR CONRAD
Der ästhetische Gegenstand
[eine phänomenologische Studie]
[3/4]

"Der Ausdruck dieser Tisch bezeichnet (in normaler Rede) das Konkretum, das Ding da, das sich mit Händen greifen läßt; der Sinn der Worte aber, von dem wir sagen wir erfassen ihn, ist offenbar nicht etwas mit Händen zu Erfassendes, sondern ein Etwas, das man eher geneigt ist, ein Abstraktum, vielleicht einen Begriff zu nennen."


II. Wortkunst

Nachdem wir in einem früheren Artikel (1) gezeigt haben, wie die eigenartige deskriptive Methode, die HUSSERL die "phänomenologische" genannt und zuerst zur Grundlegung der Erkenntnistheorie ausgearbeitet hat, bei ihrer Anwendung auf die Ästhetik zur Abgrenzung ästhetischer Gegenstände führt, die von den Kunstwerken als Dingen der Naturwelt wesentlich verschieden sind, und nachdem wir das Wesen eines solchen ästhetischen Gegenstandes durch die Analyse eines Beispiels aus dem Gebiet der Musik näher kennengelernt haben, ist es nun die Aufgabe, entsprechende Analysen auf den anderen Kunstgebieten durchzuführen. Dabei werden wir wiederum Detailausführungen, Einwände und das ergänzende Beweismaterial das nur für diejenigen von Bedeutung ist, welche ein spezielles Interesse an der Phänomenologie haben, sowie die Perspektive auf weitere, sich anschließende, hier nur berührte Probleme in Anmerkungen verweisen müssen.

Ebenso wie bei der Musik ist nun auch bei der Poesie als einer rein zeitlichen Kunst der Gegensatz des ästhetischen Gegenstandes gegenüber dem Naturobjekt und seine hervorragendere ästhetische Bedeutung sofort in die Augen fallend und unzweifelhaft; daher wollen wir jetzt diese Kunst zunächst zur Erörterung heranziehen, obwohl in anderer Hinsicht (nämlich was die darstellende Funktion anbelangt) die kunstgewerbliche Raumkunst gewissermaßen eine einfachere, primitivere Kunstform genannt werden muß und der Musik näher stände.


3. Der ästhetische Gegenstand der Poesie

Es ist in der Tat klar, daß ebensowenig wie die Luftschwingungen oder das Notenmanuskript in der Musik, so auch nicht die Lufterschütterungen des gesprochenen Wortes oder die Tintenzüge des geschriebenen Gedichtes der gesuchte ästhetische Gegenstand sein können. Denn wir unterscheiden ebenso wie die Symphonie selbst von ihrer "Aufführung", so auch das Drama selbst von seiner "Aufführung", das Gedicht selbst von seiner "Rezitation" und unterscheiden dies sowohl beim Genießen wie beim Werten. Ehe wir aber zur Analyse eines solchen eigentlichen poetischen Gegenstandes übergehen, müssen wir das Wesen eines einzelnen Wortes bzw. Ausdruckes und weiterhin eines (nicht-poetischen) Wortzusammenhangs "phänomenologisch" zu beschreiben suchen, um nachher das Spezifischpoetische klarer herausarbeiten zu können; und dies umso mehr, als die Analyse eines solchen sprachlichen Ausdrucks außerordentliche Komplikationen mit sich bringt. Eben deshalb aber kommt dieser "Voruntersuchung" hier auch wesentlich größere Bedeutung zu, als bei der Musik.


a) Voruntersuchung über den
verbalen Ausdruck

Das einzelne Wort spielt offenbar eine ganz ähnliche Rolle für die Poesie, wie der Einzelton für die Musik. Es ist der kleinste, als selbständige Einheit in die Augen fallende Teil derselben. Ein einzelnes Wort kann nie schon selbst und allein ein poetisches Kunstwerk sein, so wenig wie ein einzelner Ton ein musikalisches Kunstwerk, aber jenes "besteht aus" Worten, wie die Musik aus Tönen.

Die naive Deskription würde sich darauf beschränken etwa folgendermaßen zu sagen: Ein Wort ist ein Lautkomplex, an den eine Bedeutung geknüpft ist. Und wenn sie das Wesen dieser "Bedeutung" näher beschreiben will, so würde sie hinweisen auf die mannigfachen Erinnerungs- und Phantasiebilder, die bei einem Wort, z. B. "Tisch", auftauchen, und eventuelle auf die ganze Sphäre der assoziativen Miterregungen, die sich dabei indirekt aufweisen lassen. Das Wort wäre demnach also ein Geräusch, das in uns eine mehr oder weniger bestimmte Reihe von Vorstellungen wachruft und erregt. Das Geräusch selbst läßt sich noch weiter in seine Bestandteile zerlegen, nämlich der "Lautkomplex", wie wir es schon nannten, in die einzelnen konstituierenden Laute, aus denen sich der Komplex zusammensetzt, ähnlich wie die Melodie aus den Tönen. Und wie dort die Töne, so lassen sich hier diese Laute in visuellen Zeichen ("Buchstaben") verbildlichen und wiedergeben. Diese Möglichkeit der Verbildlichung wird man nun entweder als eine Folgerung aus obiger Definition, als bloße Begleiterscheinung der das Wesen konstituierenden Eigenschaften hinstellen oder aber sie auch gleich in die Wesensdefinition selbst hineinbeziehen, so daß man das Wort als ein akustisches oder visuelles Zeichen definiert, an das sich durch die Einübung gewisse Vorstellungsreihen knüpfen.

Mit dieser Beschreibung sind wir natürlich durchaus schon über das hinausgegangen, was ein Normalmensch oder auch der Durchschnitt der Gebildeten auszusagen wüßte; die Deskription ist "naiv" nur in dem Sinne, als sie auf der üblichen naturwissenschaftlich tendierten Weltauffassung des gewöhnlichen Lebens basiert, nicht den Gegenstand rein als solchen, sondern mehr oder weniger durch seine Wirkungen beschreibt und insofern sie nicht auf einer im strengsten Sinne adäquaten Anschauung des Gegenstandes fußt - wie wir das früher auseinandersetzten -, also im Gegensatz zur "phänomenologischen" Beschreibung.

Wenden wir uns nunmehr dieser phänomenologischen Deskription zu, so erhalten wir in der Tat ein wesentlich anderes Bild. Wir können dieselbe hier natürlich nur in rohen Umrissen durchführen, zumal es sich um eine Voruntersuchung handelt. (2)

Das Einzelwort ist - jedenfalls im allgemeinen - Teil eines größeren Ganzen und läßt sich seinerseits auch noch in weitere, kleinere Teile zerlegen. Abgesehen aber von dieser zeitlichen Aneinanderreihung und zeitlichen Zerstückelung, auf die wir später zu sprechen kommen, lassen sich bei einem solchen Gebilde, ebenso wie beim Ton, verschiedene "Seiten" (3) unterscheiden.

Schon der phänomenologisch ungeschulten Beobachtung fiel in die Augen, daß zum Wesen eines Wortes immer zweierlei gehört, wir wollen es jetzt vorsichtig ausdrücken: das Wortzeichen und die Wortmeinung, das ist der Wortlaut oder das Schriftzeichen einerseits, die Bedeutung eines Zeichens, das was damit gemeint wird, andererseits. Das Zeichen ohne die Bedeutung wäre kein "Zeichen", geschweige denn ein Wort, es wäre ein bloßes Geräusch respektive ein bloßer Linienschnörkel. Die Wortmeinung ohne das Zeichen wäre ein Ding bzw. der Begriff desselben, ein Vorgang bzw. der Begriff dieses Vorgangs und dgl. Dagegen scheinen die Vorstellungsbilder, die, wie wir schon erwähnten, bei einem Wort wie "Tisch" z. B. auftreten und die auch irgendwie dem Wort zugehören, nicht in derselben Weise wie die obigen zwei Faktoren das Wesen des Wortes selbst zu konstituieren. Sieht man aber das, was wir "Wortmeinung" nannten, näher an, so findet man, daß es seinerseits noch eine Mehrheit von Seiten unterscheiden läßt, bzw. daß man beim Ausdruck "Wortmeinung" verschiedenerlei, bald das eine, bald ein anderes im Auge hat.

Ein Wort bezeichnet zunächst einmal einen Gegenstand; ein Name wie Cäsar oder ein Ausdruck wie "dieser Tisch" bezeichnet konkrete Gegenstände, andere Ausdrücke wie "gleichseitiges Dreieck" oder "drei" bezeichnen abstrakte Gegenstände. Zwischen diese Gegenstände aber und das Zeichen, das auf sie hinweist, schiebt sich nun, nach HUSSERL, noch ein drittes zum Wesen des Wortes unabweislich Gehörendes, er nennt es "die Bedeutung" oder den "Sinn" des Wortes (4). Sowohl bei dem Beispiel "dieser Tisch" wie bei dem anderen "gleichseitiges Dreieck" scheint es ohne weiteres verständlich, was mit dieser "Bedeutung" gemeint ist; der Ausdruck "dieser Tisch" bezeichnet (in normaler Rede) das Konkretum, das Ding da, das sich mit Händen greifen läßt; der Sinn der Worte aber, von dem wir sagen wir "erfassen" ihn, ist offenbar nicht etwas mit Händen zu Erfassendes, sondern ein Etwas, das man eher geneigt ist, ein Abstraktum, vielleicht einen "Begriff" (5) zu nennen. Beim "gleichseitigen Dreieck" ist nun allerdings schon der "gemeinte" (der bezeichnete) Gegenstand selbst ein Abstraktum; aber man braucht nur - wie HUSSERL das tut (6) - den Ausdruck "gleichwinkliges Dreieck" gegenüberzustellen, um einzusehen, daß sie beide denselben Gegenstand bezeichnen und doch noch in etwas anderem, als dem bloßen Wortklang, differieren, eben in den Wortbedeutungen, dem unmittelbaren "Sinn" der Worte (7). Es fragt sich nun, ob wir damit ein drittes, jedem Wort als solchem wesentliches Moment aufgefunden haben und wie dasselbe den anderen beiden gegenüber zu charakterisieren wäre.

In der Tat wird die Allgemeinheit bzw. wesentliche Zugehörigkeit dieses Momentes schon fraglich, wenn man nur von dem zusammengesetzten Ausdruck "gleichseitiges Dreieck" auf das eine der konstituierenden Stammworte "drei" zurückgeht oder andererseits auf einen eigentlichen Eigennamen wie "Cäsar" hinweist. Denn beide Ausdrücke scheinen ihre Gegenstände völlig unmittelbar (ohne die Vermittlung einer Bedeutung) zu bezeichnen (8).

Aber ein zusammengesetzter Ausdruck wie "gleichseitiges Dreieck" besteht aus Teilausdrücken ("gleichseitiges" und "Dreieck"), die letzten Endes auf einfache ("gleich", "seitig", "drei" und "Eck") zurückzuführen sind und die Verschiedenheit der Bedeutung (bei gleichem bezeichneten Gegenstand) beruth ja eben auf diesen Teilausdrücken (hier speziell dem "winklig" gegenüber dem "seitig"). Und dies kommt natürlich dadurch zustande, daß die Teilausdrücke in das Bedeutungsganze mit ihren Teilbedeutungen eingehen; es ist aber leicht zu beobachten, daß diese Teilbedeutungen den Worten bei ihrem selbständigen Auftreten als Eigenbedeutungen ebenfalls zukommen.

Danach hätten wir also bei solchen Namen und Stammworten nur den Spezialfall, daß Bedeutung und Gegenstand gleich - wenn auch, wie HUSSERL betont (9), nie identisch - sind.

Nachdem wir so die "Bedeutung" als ein notwendiges Charakteristikum festgelegt haben, erhebt sich umgekehrt die Frage, ob nicht manche Ausdrücke nur eine Bedeutung besitzen, aber nicht - außerdem - einen Gegenstand meinen; so die Worte "und", "ist", Adjektiva wie "gleichseitig", sofern sie isoliert auftreten, bzw. sofern man sie aus ihrem Zusammenhang ausscheidet (10).

Doch beweist die Möglichkeit, dieselbe "Beziehung", dieselbe "Eigenschaft" usw. in verschiedenen Wendungen auszudrücken (z. B. "liegt" und "ist gelegen"), daß hier kein prinzipieller Unterschied vorliegt, wenn man auch nicht für jeden Ausdruck einen bedeutungsverschiedenen auffinden kann, der denselben Gegenstand bezeichnet. Aber freilich muß dabei der Begriff des intentionalen Gegenstandes von anderen Gegenstandsbegriffen scharf getrennt gehalten werden. Von diesen beirrenden Verwechslungen wird sogleich die Rede sein. Nachdem wir nämlich so gesehen haben, wie die Wortmeinung, die wir anfangs dem Wortzeichen als zweites charakteristisches Moment gegenüberstellten, in diese zwei Faktoren "Bedeutung" und "Gegenstand" zerfällt, müssen wir suchen, diese beiden Phänomene gegeneinander und gegen andere verwandte abzugrenzen und näher zu charakterisieren.

Selbstverständlich ist, daß es sich hier nicht um "Gegenstände" im üblichen engsten Sinn handelt, der die "Dinge" oder konkreten Identitäten einerseits umfaßt, die abstrakten Identitäten andererseits (etwa derart, wie vorher angedeutet, daß "gleichseitiges Dreieck" und "gleichwinkliges Dreieck" denselben Gegenstand bedeuten). Vielmehr ist der intentionale Gegenstand, wie wir schon in der Einleitung andeuteten, charakterisiert durch eine Gegenstandsstellung. Gegenstand ist also das, was uns "gegenbersteht". Diese Charakterisierung ist aber einer sehr naheliegenden Mißdeutung ausgesetzt. Bei unseren ersten Beispielen - so wird man sagen - ist dieses "Gegenüberstehen" sofort in die Augen fallend; "dieser Tisch" bezeichnet einen mir gegenüberstehenden oder mir "vorschwebenden" Tisch und in übertragener Bedeutung kann man dasselbe auch von der "Drei" sagen, die mir bei dem Ausdruck "zweite ungrade Zahl" als das Gemeinte vorschwebt. Aber in dieser Weise steht mir bei dem Ausdruck "ist" oder "liegt" offenbar nichts gegenüber, denn wollte man sagen, das Sein bzw. das Liegen sei mir derartig gegenständlich, so hätten wir offenbar eine Umwendung des Ausdrucks (in die substantivische Form) vorgenommen, der Ausdruck "liegt" kann aber nimmermehr ersetzt werden durch den anderen das "Liegen", in der Weise, wie der Ausdruck "die Zahl drei" durch den anderen die "die zweite ungerade Zahl". Er ist nicht nur bedeutungsverschieden, sondern bezeichnet auch verschiedene Gegenstände. Wir müssen also dieses "Gegenüberstehen", im eigentlichsten Sinn, dem der Name "Gegenstand" offenbar ursprünglich seine Einführung in diese Terminologie verdankt, als ein spezielles Merkmal solcher Ausdrücke ansehen, die uns als Subjekte möglicher Aussagen vorschweben, d. h. substantivischer (11), müssen es aber als allgemeines Charakteristikum des Gegenstandseins fallen lassen (12). Für diese bleibt ein Gegenüberstehen in einem viel abgeblaßteren, entfernterem Sinn übrig, das zu konstatieren es schon einer bedeutend sorgfältigeren phänomenologischen Beobachtung bedarf (13). Diese wird durch die Gegenüberstellung einer anderen Bewußtseinsweise, in der der Wortsinn auftritt, wesentlich erleichtert (14).

Der Wortsinn nämlich z. B. des Ausdrucks "drei" wird - so kann man mit HUSSERL sagen - "erlebt", der Sinn eines Ausdrucks wie "gleichseitiges Dreieck" oder eines Satzes wird "vollzogen" (15), ähnlich wie das abgeschattete Rot einer gleichmäßig roten Kugel bei normaler Wahrnehmung erlebt wird, als Erlebnis "gegeben" ist. Während wir diese Art des Bewußtwerdens aber zu beobachten versuchen, wird dieselbe unwillkürlich in eine intentionale übergehen, das abgeschattete Rot seinerseits und ebenso der Wortsinn wird jetzt Gegenstand. Wir können nur noch den Wechsel der Stellung empfinden, gerade dadurch aber offenbart sich uns der Gegensatz (16). Man hat dann beide Phänomene hart nebeneinander (17). So ist Wortsinn und gemeinter Gegenstand nach ihrer "Stellung" charakterisiert. - Wir haben noch eine kleine Ergänzung anzufügen. Indem wir nämlich den Wortsinn selbst ins Auge faßten, hatten wir den eigenartigen Fall hergestellt, wo der vollzogene Sinn gleich dem gemeinten Gegenstand ist (18). Dieser gemeinte Gegenstand hat einen besonderen Namen; dies ist nämlich nichts anderes als der "Begriff", wie man bei näherem Zusehen leicht erkennt.

Man hat also im Fall des beschriebenen "Übergangs" den Schritt vom bloßen Sinnvollzug zur Begriffsbeachtung gemacht. Eine Rolle spielt der Begriff (außer bei der sogenannten "Bedeutungsanalyse" und der Begriffsbestimmung oder Definition) (19) in allen solchen Sätzen, wie "dies ist ein Tisch", während er in der gewöhnlichen Rede von einem Tisch als "dieser Tisch" oder "dieser braune Holztisch" etc. herausfällt (20). Dann haben wir nur den erlebten Sinn und das gemeinte Konkretum. Bei dieser Beschreibung fehlt nun aber sichtlich die Beziehung des Wortsinns auf den Gegenstand; mit dem Erleben des Wortsinns ist es nicht getan, es fehlt die "Bedeutungsfunktion"; auch handelt es sich ja nicht um einen irgendwie gemeinten, sondern um eine "bedeuteten" Gegenstand. Mit der Scheidung nach der Stellung kreuzt sich also die Scheidung in Bedeutetes und Bedeutendes. Tritt der Wortsinn in diese Funktion, so wird er zur "Wortbedeutung" (21).

Aber nicht nur der erlebte Wortsinn, sondern auch ein Gemeintes, ein intentional Gegenständliches, Bedeutetes kann seinerseits wieder eine Bedeutungsfunktion übernehmen, wie dies schon das Beispiel des gleichseitigen und gleichwinkligen Dreiecks zeigt, wo auch bei einer Beachtung des eigentlichen Wortsinns (also des Begriffsganzen) die Richtung auf das identische Dreieck als das letzten Endes Gemeinte erhalten bleiben kann; ebenso wie auch das gegenständlich beachtete, abgeschottete Rot unseres anderen Beispiels aus der Wahrnehmungssphäre noch das gleichmäßige Rot der Kugel als das letzten Endes "Wirkliche" meinen oder wie man hier sagen würde "repräsentieren" kann. Es besteht also eine gewisse Relativität des Bedeutens; und Bedeutung ist ein Erlebnis oder ein Gegenstand, der Bedeutungsfunktion hat. Zu jedem Bedeutungsakt oder besser zu jedem Wort (22) gehört aber immer und notwendig ein primär Bedeutendes, d. h. ein bedeutender, erlebter Sinn; ob dagegen auch ein letzten Endes Bedeutetes immer und wesentlich dazu gehört, oder ob die Bedeutungsperspektive offen bleiben kann, wollen wir hier nicht entscheiden. - Auf das eigenartige Verhältnis, wie jede Bedeutung natürlich nur einen gewissen Kreis von Gegenständen hat, auf die sie "anwendbar" ist und umgekehrt, können wir hier ebenfalls nicht weiter eingehen; es sei nur noch erwähnt, daß ein (intentionaler) Gegenstand, wie es scheint, nur als Bedeutung für einen anderen auftreten kann, sofern er eine der "Ansichten" desselben ist.

Wie man nämlich nie einen (konkreten) Tisch selber nach allen seinen konstituierenden Eigenschaften und von allen Seiten (gleichzeitig) wahrnehmen kann, so kann man auch alle oder jedenfalls fast alle abstrakten Gegenstände nicht mit einem Blick in allen ihr Wesen konstituierenden Eigenschaften erfassen; so auch das gleichseitige Dreieck nicht. Wenn wir nun den Sinn des Ausdrucks "gleichseitiges Dreieck" ins Auge fassen, so ist dieser (intentionale) Gegenstand eben eine der möglichen "Ansichten" desselben, wie man in einer ohne weiteres verständlichen Übertragung sagen kann. Ebenso ist 1 + 2 oder "die zweite ungerade Zahl" sozusagen eine "Ansicht" des (letztenendes gemeinten) Gegenstandes "drei". Auch dies wird später bei der Analyse des speziellen poetischen Gegenstandes, wie leicht zu übersehen ist, eine wichtige Rolle spielen. Und wie es für den Tisch oder die Tischplatte eine Ansicht zu geben scheint, wo wir sie selbst und eigentlich zu sehen meinen (wenn sie in "normaler" Entfernung und gerade vor uns steht), so gibt es, wenigstens vielfach, auch bei abstrakten Gegenständen eine derartig bevorzugte Ansicht; dies ist 1 + 2 offenbar nicht für die 3, aber wohl 1 + 1 + 1. (23)

Nächst der Wortbedeutung (bzw. dem Sinn) und dem gemeinten Gegenstand (oder auch Begriff) ist das Wortzeichen der wichtigste Faktor des Wortes. Dieses Wortzeichen kann ansich sowohl visuell wie auch akustisch sein, ja anscheinend sogar kinästhetisch [bewegungsempfunden - wp] (24). Was wir aber analysieren wollen, ist das Wort in einem engeren Sinn, wie es das poetische Kunstwerk konstituiert.

Es fragt sich, ob auch dieses derartig verschiedene Zeichen hat, und weiterhin dann, in welchem Verhältnis dieselben zu (der Bedeutung und) dem gemeinten Gegenstand stehen.

Genetisch ist natürlich die Lautsprache älter als die Schriftsprache, und auch das Kind lernt (sofern es nicht taubstumm ist) jene zuerst. Dieser Ursprung beweist aber noch nichts, denn er könnte auch völlig verwischt sein; er macht nur die Tatsache der primären Bedeutung der Lautsprache, wenn sie sich vorfindet, (historisch) verständlich, ist dann also "ideal-genetisch" verwendbar. Nun ist es bekannt und von vornherein eigentllich selbstverständlich, daß sich die verschiedenen Menschen in dieser Hinsicht verschieden verhalten, so daß man je nach dem Prävalieren [Bevorzugen - wp] der einen oder anderen Seite einen akustischen, visuellen und kinästhetischen "Typus" unterschieden hat. Aber auch darum handelt es sich uns nicht, sondern es fragt sich, ob das Wort als Teil eines poetischen Kunstwerks irgendwelche bestimmten Forderungen in der Hinsicht stellt.

Wir sagten früher, eine (verständliche) Geste ist kein Wort, weil sie keine "Bedeutung" besitzt, sondern nur einen Gegenstand meint; sie ist aber auch kein Wort, weil sie nur visuell (und kinästhetisch) ist, ohne in die Lautsprache übertragbar zu sein. Dies wird vielleicht noch deutlicher an einem anderen Beispiel: Wenn an einer Weckuhr über den zum Aufziehen des Uhr- und Schlagwerks bestimmten Griffen zwei gebogene Pfeile angebracht sind, so ist das auch ein ohne weiteres verständliches Zeichen, ist aber wiederum kein Wort, weil ihm kein Lautzeichen wesentlich und eindeutig zugehört (und daher auch keine "Bedeutung"). Demgegenüber wird man bei der Sprache irgendeines wilden Völkerstammes, der noch keine Schrift kennt, natürlich von den Worten als den konstituierenden Bestandteilen reden. Zum Wesen des Wortes gehört also offenbar nicht das visuelle Zeichen (25), wohl aber das akustische. Und das ist weder eine sogenannten "willkürliche" Wortdefinition (im Sinne des Nominalismus) vom Ausdruck "Wort", noch eine (historische) Feststellung des üblichen Sprachgebrauchs, sondern an Beispielen (die natürlich zur Verständigung der üblichen Zeichenverwendung bzw. dem Sprachgebrauch folgen) ist auf den Wesensunterschied eines reicheren Phänomens (geschriebenes Wort) gegenüber dem ärmeren (visuelles Zeichehn, das einen Gegenstand meint) und gegenüber dem dritten, ebenfalls ärmeren (akustisches Zeichen, das mittels einer Bedeutung einen Gegenstand meint), aufmerksam gemacht. Analysieren wir das geschriebene Wort der Poesie in dieser Weise noch weiter, so finden wir, daß demselben nicht nur das Lautzeichen wesentlich und eindeutig zugehört (26), sondern daß es sogar die bestimmte Forderung stellt (wenn es vollkommen und adäquat erfaßt sein soll), zunächst in das gesprochen bzw. gehörte Wort übertragen zu werden, daß es also zu seinem Wesen gehört, primär Laute zu bezeichnen und erst sekundär eine eigentliche Bedeutungsfunktion besitzt.

Das bloße Lesen von Poesie nämlich ist, wie das Lesen einer Musikpartitur, sichtlich ein unvollkommenes Erfassen des Kunstwerkes (27). Und in dem Maße, wie das akustische Phantasiebild lebendiger oder durch eine reale Anschauung ersetzt wird, wächst die Vollkommenheit des Erfassens. wächst die Vollkommenheit der "Realisation" des Kunstwerkes (28). Da nun aber umgekehrt ein poetisches Kunstwerk beim bloßen Anhören sehr wohl vollkommen erfaßt werden kann, ohne daß irgendetwas fehlt, so ist ersichtlich, daß das Schriftzeichen zum Wesen des poetischen Kunstwerkes so wenig gehört wie zum Wesen von "Wort" und "Sprache" (29).

Dasselbe gilt, und noch ersichtlicher, vom kinästhetischen Wortbild, und dieses ist, da es auch nicht einmal eine kommunikative Funktion übernimmt, auch für die praktische, naturwissenschaftliche Ästhetik nur noch insofern von Wichtigkeit, als ihm für das Behalten und Reproduzieren der Worte eine bedeutsame Rolle zukommt. (30)

Was nun das Verhältnis dieses (Laut)zeichens zur ("Bedeutung" und) dem gemeinten "Gegenstand anbelangt, so genügt es, hier kurz das Wesen des Zeichenseins von dem des nächstverwandten Phänomens, des "Bildseins" "von" etwas oder "für" etwas, zur Abhebung zu bringen (31). - Die objektive Tatsache, daß ein Zeichen dem Gemeinten nicht ähnlich ist, sondern nur aufgrund von Übereinkunft und Einlernen mit demselben verknüpft ist, macht es natürlich nicht zu einem "Symbol" für dasselbe (anstatt eines "Bildes" von demselben). Dagegen ist mit Recht hervorgehoben worden, daß beim signifikanten Meinen gewissermaßen die pointierende Aufmerksamkeit auf das Bezeichnete gerichtet ist. Jedoch ist der Unterschied des "Zeichenseins" gegenüber dem "Bildsein" natürlich nicht etwa nur ein quantitativer, so als ob hier nur ein geringerer Nachdruck auf dem Bezeichneten läge; denn wir können sogar ein Zeichen gesondert mit speziell darauf gerichteter Aufmerksamkeit ins Auge fassen, ohne daß es aufhört, für uns "Symbol" zu sein (32); was dann erhalten bleibt, ist die "Auffassung als Zeichen", die es letztenendes zum Zeichen macht, aber auch nur dieser "Charakter", nicht die vom Symbol geforderte Aufmerksamkeitsverteilung. Doch müssen diese Andeutungen hier genügen.

Wir können zusammenfassend sagen: Der wesentliche Kern eines Wortes ist die Bedeutung, die, getragen von einem akustischen Symbol, einen Gegenstand meint. (33)

Nun aber haben wir die begleitenden Vorstellungsbilder noch ganz außer acht gelassen, gerade das Phänomen, in dem nach der üblichen Anschauung das charakteristische Merkmal liegt, durch das sich das Wort von anderen, "bloßen" Geräuschen unterscheidet. Wir aber schreiben diesen Vorstellungsbildern nicht diese hervorragende Rolle zu, sondern schließen uns hierin HUSSERL vollkommen an, der zuerst darauf hingewiesen hat, daß diese Bilder sozusagen nur der vorher "leeren" Intention auf den gemeinten Gegenstand die "Fülle" gaben (34). Es gibt auch ein Wortverstehen und ein Gegenstandmeinen ohne solche begleitende Vorstellungen, wie allgemein zugestanden ist und wovon man sich durch einen Versuch leicht überzeugen kann. Statt nun für diesen Fall unbewußte Vorstellungen zu postulieren oder realpsychologisch und physiologisch von "Erregungen" zu sprechen, die im Gehirn gesetzt sind (ohne zu bewußten Vorstellungen geführt zu haben), begnügen wir uns in der phänomenologischen Deskription mit dem Hinweis darauf, daß ein Verstehen von Worten ohne illustrierende Vorstellungen möglich ist und daß dieselben, sofern sie auftreten, wie mit Evidenz einzusehen ist, nicht das Wesen der Bedeutung oder des gemeinten Gegenstandes ausmachen. Denn während ich mir eine ganze Reihenfolge (spitzwinkliger) Dreiecke vorstelle beim Verstehen des Wortes "Dreieck", halte ich nachweislich die Bedeutung "Dreieck überhaupt" fest und blicke auf den hiermit gemeinten Allgemeingegenstand hin oder korrekter gesagt, es läßt sich einsehen, daß das Wort "Dreieck" fordert, sich so zu verhalten (35).

Doch ich brauche die phänomenologische Analyse hiervor nicht weiter durchzuführen, da ich auf HUSSERLs Untersuchung hinweisen kann. In welcher Art die Anschauung der leeren Meinung "Fülle" gibt, ist übrigens durch die tägliche Erfahrung bekannt genug.

Damit hätten wir die wesentlichsten "Seiten", die sich am Einzelwort aufweisen lassen, beschrieben. Von einer Charakterisierung der gesamten Wortmannigfaltigkeit und ihrer verschiedenen Klassen müssen wir hier natürlich absehen. Aber wie in "Seiten", so läßt sich das Einzelwort, wie gesagt auch in "Stücke", in zeitliche Teile zerlegen.

Man erhält dabei wieder Einzelworte, so z. B. bei "Gewandhaus" einerseits "Gewand", andererseits "Haus" oder aber - und bei fortgesetzter Teilung schließlich überall - einzelne Silben und schließlich Buchstaben. So zumindest nach der üblichen ("naiven") Anschauung. Bei der phänomenologischen Analyse stellt sich die Sachlage etwas anders dar. Von einer Teilung des Wortes wird man nämlich nur so weit sprechen, als mit dem Symbol zugleich das Bedeutungsganze geteilt wird, die "Buchstaben" sind als eo ipso [schlechthin - wp] nie Bestandstücke des Wortes, die Silben sind es in einem engeren Sinn auch nur bei den sogenannten zusammengesetzten Worten, nämlich nur soweit sie eine selbständige Bedeutung haben, wie "Haus" im vorigen Beispiel oder "drei" und "Eck" im Wort "Dreieck".

In einem weiteren Sinn kann man auch bei einem Wort wie "Gewand" (und dann wohl fast überall) von Wortteilung reden, sofern man nämlich einerseits dem Stammwort "wand" und andererseits der charakterisierenden Silbe "ge" eine Bedeutung, wenn auch keine selbständige in dem Sinne zuerkennt, daß sie einen eigenen Gegenstand meint. (36) Es fragt sich nun, ob bei den im eigentlichen Sinne weiter teilbaren Worten das Ganze sich einfach additiv aus seinen Stücken zusammensetzt und damit kommen wir zum letzten Teil dieser Voruntersuchung, der das Zusammentreten dieser bisher analysierten Einzelworte zu größeren Ganzen behandeln sollte.

Im ersten Augenblick scheint es in der Tat, als ob das zusammengesetzte Wort "Dreieck" einfach eine Addition von "drei" und "Eck" sei und ebenso der Satz durch das Zusammentreten (durch einfache Addition) mehrerer solcher eben beschriebener Wort entstände. Die Lautzeichen stehen in der Tat derartig zeitlich und die Schriftzeichen räumlich nebeneinander. Es ist jedoch schwer einzusehen, daß der gemeinte Gegenstand jedenfalls nicht einfach die Summe der von den Einzelwörtern gemeinten Gegenstände ist, weder bei einem Satz wie "a ist größer als b", noch bei einem Wort wie "Gewandhaus", aber auch nicht einmal bei "Dreieck". Offenbar haben wir bei jedem solchen größeren Ganzen einen eigenen gemeinten Gegenstand und auch eine eigene meinende Bedeutung. Die Frage ist, wie diese neuen Phänomene sich zu den alten, früher besprochenen verhalten, in welcher Weise jene zum Aufbau dieser beitragen oder obe sie gar völlig im Neuen untergehen, so völlig, wie zwei chemische Elemente, die sich zu einer Verbindung vereinigen, welche mitunter, wie das Schwefeleisen, gar keine Ähnlichkeit mehr mit den konstituierenden Bestandteilen zu besitzen scheint.

Bedeutung und Gegenstand verhalten sich hierbei, wenn vielleicht auch nicht prinzipiell, so doch jedenfalls graduell verschieden; die Wortbedeutungen der Einzelworte nämlich bleiben in den Wortzusammensetzungen im allgemeinen erhalten (37), die Gegenstände aber im allgemeinen nicht. Die Bedeutung "Drei" ist offenbar in das neue Bedeutungsganze "Dreieck" eingegangen, der Gegenstand "Drei" aber nicht in das Gegenstandsganze "Dreieck". Denn das Gegenstandsganze "Dreieck" ist ein Raumgebilde, der Gegenstand "Drei" aber nicht. Additiv jedoch setzt sich natürlich auch das Bedeutungsganze (38) nicht aus seinen einzelnen Elementen zusammen; denn die Bedeutung "Dreieck" ist nicht identisch mit der Bedeutung "drei Ecken", sondern würde sich, wie es die Begriffsdefinition tut, auseinanderfalten lassen als "geschlossene geradlinige Figur mit drei Ecken" oder dgl. Selbst die Bedeutung "Schwefeleisen" ist nicht identisch mit "Schwefel" und "Eisen", denn es würde ja eben "die neue Verbindung, die unter bestimmten Umständen aus Schwefel und Eisen entsteht" bedeuten (39).

Nachdem wir derartig die zusammengesetzten Worte zumindest andeutungsweise auf die in sie eingehenden Bedeutungs- und Gegenstandselemente hin analysiert haben, müssen wir nun dasselbe noch bei den Einheiten höheren Grades, das ist den Satzgebilden, tun. Das einfache Wort "Tisch" läßt sich erweitern zu dem zusammengesetzten Wort "Holztisch" und dieses kann durch einen Pronomen-und Ajektivzusatz übergehen in ein Gebilde wie "dieser braune Holztisch" und als solches z. B. Subjekt eines Aussagesatzes, also Satzteil sein. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß diese drei Worte zusammen einen Gegenstand bezeichnen; es fragt sich, ob die (intentionalen) Gegenstände der Einzelworte gar keine Rolle mehr spielen. Dieses konkrete Ding "Tisch" setzt sich natürlich nicht aus derartigen drei Teilen zusammen. Danach hätte man also mit einem strikten "Nein" zu antworten. Wenn wir trotzdem das Gefühl haben, als könnten jene intentionalen Gegenstände der Einzelworte nicht belanglos sein, so beruth das also offenbar darauf, daß das Bedeutungsganze, welches jenen Gegenstand meint, sich aus jenen Bedeutungselementen zusammensetzt und daß dieses seinerseits in eine Gegenstandsstellung treten kann (wie wir schon sahen), so daß also jenes "Ding" nur der letzten Endes gemeinte Gegenstand ist. Und in der Tat ist dies möglich, da die (in Gegenstandsstellung getretene) Bedeutung als "Ansicht" jenes konkreten Dinges fungieren kann; es ist eine reichere Ansicht als die des Ausdrucks "Holztisch" oder gar "Tisch" oder "Ding" schlechthin. Tritt dieses Bedeutungsganze aber auch nicht in eine Gegenstandsstellung, so ist es auf jeden Fall selbst derartig dreifach gegliedert. Die Einheit dieser drei Glieder bzw. Stücke wird hergestellt durch die gemeinsame, während aller Teile festgehaltene Intention auf denselben gemeinten, bedeuteten Gegenstand, ist daher wesentlich anderer Art, und man muß wohl sagen weniger eng als die Bedeutungseinheit der Teile von "Holztisch". (40)

Gehen wir nun schließlich noch zur Analyse eines ganzen Satzes über, z. B.: "Dieser Tisch ist größer als jener Tisch", so wäre etwa Folgendes zu sagen. Der Satz "meint" einen Sachverhalt, "spricht ihn aus", das ist offenbar der letzten Endes gemeinte "Gegenstand". Dieser gliedert sich nun augenscheinlich in drei Teile: in die zwei Substantivgegenstände und ihre Beziehung; in derselben Weise gliedert sich gleichzeitig auch das Bedeutungsganze,, so daß wir also die folgenden Teile haben: "Dieser Tisch", "ist größer als" und schließlich "jener Tisch", die jeweils mittels einer Bedeutung einen Gegenstand meinen. Diese Teile des (letzten Endes gemeinten) Sachverhalts sind nicht weiter gegliedert, während die Teile des (eventuelle in gegenständlicher Stellung stehenden) Bedeutungsganzen in der früher angedeuteten Weise noch weitere Teile in sich vorgebildet enthalten.

Der Hinblick auf den "letzten Endes" gemeinten Sachverhalt ist es offenbar, der diesen Teilen Einheit gibt. Diese Andeutungen mögen hier als Voruntersuchung genügen, ihre weitere Ausführung müssen wie einer phänomenologischen Urteilslehre überlassen.
LITERATUR Waldemar Conrad, Der ästhetische Gegenstand, Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Bd. III, Stuttgart 1908
    Anmerkungen
    1) Diese Zeitschrift, Bd. III, Heft 1, Seite 71f
    2) Vgl. EDMUND HUSSERL, Logische Untersuchungen, Bd. II, Halle/Saale 1901, besonders die ersten vier Kapitel, an die sich diese vorästhetische Untersuchung insbesondere anlehnen kann; und vgl. andererseits die grundsätzlich verschiedenen Ausführungen, z. B. bei DESSOIR, Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft, Stuttgart 1906, den Abschnitt über die Anschaulichkeit der Sprache, Seite 353f. Oder bei VOLKELT, System der Ästhetik, München 1905, Seite 86, 113, 116, 130f, 412f und andere.
    3) Vgl. HUSSERL, a. a. O., Seite 49. Man müsse die Rede von den "zwei Seiten", die an jedem Ausdruck zu unterscheiden sind, nicht "ernst nehmen". Über den Gegensatz von "Seiten" und "Stücken" vgl. HUSSERL, a. a. O., Bd. II, 3. Teil, Kap. 2, besonders Seite 260.
    4) Ich möchte vorgreifend darauf hinweisen, daß sich nach jeder dieser drei Richtungen (in jedem dieser drei Faktoren) der Unterschied des ästhetischen Gegenstandes vom nichtästhetischen offenbaren wird.
    5) Darüber später.
    6) HUSSERL, a. a. O., Seite 47
    7) Man kann sich das vielleicht auch so deutlich machen: Wenn jemand uns in einer unbekannten Sprache sagt "dieser Holztisch", uns gleichzeitig aber durch (aus dem Zusammenhang völlig verständliche) Gesten zu verstehen gibt, welchen Gegenstand er meint, also auch mit den Worten meint, so empfinden wir deutlich, daß dabei etwas fehlt im Vergleich zum normalen Wortverständnis, und das ist nicht nur das begleitende Bekanntheitsgefühl, sondern die Wortbedeutung, mittels deren der Gegenstand gemeint war.
    8) Man könnte wohl versucht sein, dem Wort "Cäsar" nur einen gemeinten Gegenstand, dem Wort "drei" aber nur eine Bedeutung zuzuschreiben. Das Letztere widerlegt sich jedoch ohne weiteres durch den Hinweis auf andere Ausdrücke (wie "die zweite ungerade Zahl"), die mit dem Ausdruck "drei" sichtlich das gemein haben, was wir den bezeichneten Gegenstand nannten.
    9) Anlaß dazu gibt die zweifache Verwechslung dessen, was hier mit "Gegenstand" gemeint wird, auf die wir sofort zu sprechen kommen, da es ja allerdings dem Sprachgebrauch widerspricht, in solchen Fällen von einem "Gegenstand" zu reden.
    10) Die Auffassung, als ob bei einem Ausdruck wie "gleichseitiges Dreieck" überhaupt nur (ohne Vermittlung einer Bedeutung) der Gegenstand, aber mit besonderer Betonung des Gleichseitig- bzw. Gleichwinkligseins bezeichnet würde, brauche ich wohl nicht erst zu widerlegen. Daß abgesehen von dem, was wir beschrieben haben, außerdem eine solche Betonung als ein Moment am gemeinten Gegenstand selbst eintretendenfalls nachzuweisen ist, werden wir noch sehen.
    11) HUSSERL sagt "subjektivischer", a. a. O., Seite 440f.
    12) Wenn HUSSERL an anderer Stelle sagt (Seite 46), Gegenstand sei das, worüber der Ausdruck etwas aussagt, Bedeutung das, was er aussagt, so hat er dabei sichtlich wiederum mit "Gegenstand" speziell den substantivischen Gegenstand im Auge; auch wenn er dabei unter anderem einen Satz als Beispiel anführt: "a ist größer als b" und "b ist kleiner als a". Denn der identische Sachverhalt, über den die beiden Ausdrücke "gedanklich" Verschiedenes aussagen, ist genau genommen Gegenstand des (eben substantivisch-umgewandten) Ausdrucks "der Sachverhalt: a ist größer -" oder des anderen "das Größersein des a -". In der Tat liegt es schon in der Fragestellung: "worüber", "von was" sagt das Urteil, der Ausdruck etwas aus, daß man substantivisch antwortet und daß nur eine substantivische Antwort die richtige ist. Dieses speziell "substantivische" Gegenüberstellen, wie er es nennt, hat aber auch HUSSERL selbst an einer späteren Stelle (Seite 400f) von einem allgemeinen Gegenständlichsein scharf gesondert. Die Stelle richtet sich überhaupt nicht so sehr gegen die, mehr vorbereitende, Darstellung des ersten Kapitels, als gegen die Wiederholung dieser Ansicht im fünften Abschnitt Seite 378, wo "das auf dem Tisch Liegen des Messers" als der Gegenstand bezeichnet wird, der Gegenstand des (vollen) Urteils sei, während der Tisch hier nur als der Gegenstand bezeichnet wird, "über" den geurteilt wird, "von" dem als dem Urteilsakt etwas ausgesagt wird. In welchem Sinn man allerdings den Sachverhalt auch als Gegenstand bezeichnen kann, werden wir später noch sehen. Der "primäre" intentionale Gegenstand dieses Urteils - wie sich HUSSERL geradezu ausdrückt und nach dem wir hier suchen - ist es meiner Ansicht nach nicht (vgl. auch Seite 628).
    13) Daß überhaupt eine (nicht substantivierte) Beziehung "gegenständlich" werden kann, ersieht man wiederum am deutlichsten an solchen Fällen, wo zwei verschiedene "Wendungen" denselben "Sachverhalt" meinen: "a ist größer als b" und "b ist kleiner als a" (natürlich wohlunterschieden vom substantivierten Ausdruck: "das Größersein des a ..."). Dies ist im Grunde ein komplizierterer Fall; ist man aber hier erst einmal aufmerksam geworden auf das Wesen der intentionalen Gegenständlichkeit, so wird man es auch in anderen Fällen beobachten.
    14) Im Übrigen verweise ich wieder auf HUSSERLs grundlegendes Werk "Logische Untersuchungen".
    15) Ich deute damit eine naheliegende weitere Scheidung noch zwischen "erleben" und "vollziehen" an.
    16) Intentionaler Gegenstand ist offenbar auch nicht identisch mit "Gegenstand der Aufmerksamkeit"; doch würde es uns zu weit führen, das hier gegeneinander abzusondern.
    17) Natürlich ist nicht alles, was in einer Erlebnisstellung steht, ein Wortsinn (es gibt auch andere Erlebnisse), ebensowenig wie jeder intentionale Gegenstand (durch ein Wort) gemeinter oder bedeuteter Gegenstand ist.
    18) Denn der neue Gegenstand tritt natürlich nicht ohne Sinnvollzug überhaupt auf.
    19) Auf die eigenartigen Gegenstandsidentifikationen, die allein eine Begriffsdefinition ermöglichen und auch sonst eine außerordentlich wichtige Rolle spielen, kann hier nur hingewiesen werden.
    20) Allerdings pflegt man nur vom Begriff substantivischer bzw. substantivierter Ausdrücke, aso nur von einem Begriff zu reden bei Gegenständen in dem früher erwähnten engeren Sinn (so vom Begriff der "Helligkeit", nicht vom Begriff "hell", oder vom Begriff der "Summe", aber nicht vom Begriff "und"); doch ist diese erweiterte Fassung, dem Gegenstandsbegriff korrespondierend, wohl zweckmäßig. - Man kann den Terminus "Begriff" auch anders abgrenzen (vgl. HUSSERL, a. a. O., Seite 102). Inbesondere muß man dem "Begriff" als Inbegriff von Gegenständen bezüglich Gattungen und Arten gerecht werden. Die Gegenstände, auf die der Wortsinn in der Form einer Bedeutung "anwendbar" ist, sind offenbar die, welche der Begriff des Wortes "umfaßt".
    21) Ob der "Sinn" immer in einer solchen Funktion steht, brauchen wir hier nicht zu entscheiden. In dieser Annahme hat HUSSERL ersichtlich beides identifiziert.
    22) Wenn nämlich ein Zeichen, akustisches oder visuelles (z. B. eine "Geste"), einen Gegenstand ohne die Vermittlung einer Bedeutung, eines Sinnvollzugs bezeichnet, so ist es kein Wort.
    23) Entsprechend sind offenbar auch nicht alle ansich möglichen,, zu einem eindeutigen Gegenstand führenden Wesensdefinitionen einander gleichwertig. Darüber an anderer Stelle ausführlicher. Vgl. auch HUSSERL, a. a. O., Seite 291. - Übrigens muß man beachten, daß 1 + 1 + 1 zunächst eine "Summe", keine "Zahl" ist.
    24) Trotzdem das kinästhetische Wortbild keiner direkten Mitteilung fähig ist, kann es ansich natürlich (im einsamen Seelenleben) Träger einer "Bedeutung" sein.
    25) Daher nennt man die Poesie auch mit Recht eine "zeitliche" Kunst, wie die Musik, da das Wort als basierend auf einem akustischen Repräsentanten ein zeitlich ausgedehntes Phänomen is, zu dessen Wesen die zeitliche Erstreckung sichtlich in einer anderen und prägnanteren Weise gehört, als zu einem visuellen Repräsentanten.
    26) Nun kann man allerdings auch da wieder sagen: "Wir nennen nur Poesie, was derartig auf Worte in diesem engeren Sinn aufbaut", und kann fragen, ob es nicht vielleicht trotzdem eine Kunstform gibt oder geben kann, in der derartige sinnvolle Zeichen ohne jede Beziehung auf eine Lautsprache eine Rolle spielen. Tatsächlich ist nun nicht nur eine Kunst in dem wohl ausgebildeten Zeichensystem der Taubstummen beispielsweise sehr wohl denkbar, sondern man spricht sogar von "poetischer" Schönheit bei jedweder Kunst da, wo die Schönheit in der Gestaltung des dargestellten Inhaltes liegt, die Gefühlsbetonung an den gedanklichen Gehalt anschließt. Auf das letztere werden wir bei den "Raumkünsten" noch zu sprechen kommen. Das erstere ist nicht ohne Interesse als ein extremer Fall von etwas, was wir "Bedeutungspoesie" nennen werden im Gegensatz zur "Sprachpoesie"; wobei sich damit wohl von selbst doch wieder eine sinnliche Kunstform verbinden würde, nämlich die visuelle, speziell mimische. - Als bloßen Einwand des Nominalismus brauchen wir denselben wohl nicht erst zu widerlegen.
    27) So z. b. auch VOLKELT, a. a. O., Seite 84. Gerade entgegengesetzt drückt sich DESSOIR, a. a. O., Seite 379 aus, wir müßten uns "von der abgestandenen Lehre befreien: sie (epische Werke) sollten vorgetragen und gehört werden". Doch nennt er gleich darauf das nur "gelesene" ein "innerlich erklingendes" Wort, so daß die Differenz nur mehr darauf zu beruhen scheint, daß er in der größten Lebendigkeit dieses Erklingens keine größere Vollkommenheit des Erfassens erblickt. Doch vergleiche man die folgende Anmerkung.
    28) Das hindert natürlich nicht, zuzugestehen, daß man mitunter ein poetisches Kunstwerk (verstehen und) genießen kann beim Leiselesen und vollends, wenn man den Text während des Anhörens außerdem in der Hand hat und verfolgt; das ist ähnlich, wenn auch vielleicht nicht im selben Grad des Verständnisses, und das Verstehen unbekannter oder noch wenig bekannter Kunstwerke kann natürlich wesentlich durch die Übersicht, welche eine visuelle Anschauung zu geben vermag, erleichtert werden. Aber der ideale Kunstgenuß setzt, wie wir früher sahen, erst ein, wenn diese Stufe des Kennenlernens überwunden ist.
    29) Die Bedeutung desselben liegt also nur in seiner Mitteilungsfunktion; von dieser sehen wir aber hier, wie wir schon in der Einleitung betonten, völlig ab und müssen wir absehen, da wir damit in das Gebiet kausaler Gesetzmäßigkeit und damit bloßer naturwissenschaftlicher Wahrscheinlichkeit anstelle einsichtiger Gewißheit geraten würden.
    30) Der genetische Ursprung macht dies, wie gesagt, "verständlich". - Ich will nicht unterlassen, hinzuzufügen, daß damit natürlich nicht gemeint ist, daß jede Schrift wirklich oder zumindest gedanklich erst in die Lautsprache übertragen werden müßte, um verstanden zu werden, sondern nur, daß, je unvollkommener dies geschieht, umso ungenügender die Forderungen des (poetischen) Wortes erfüllt sind.
    31) Ich werde jedoch an anderer Stelle ausführlich darauf zu sprechen kommen, indem ich im Zusammenhang die verschiedenen, einander verwandten Verhältnisse zwischen Nachahmung und Nachgeahmtem, Ausdruck und Ausgedrücktem, Bild und Abgebildetem usw. einander gegenüberstelle. Wir werden dann auch sehen, daß eventuell "ebendasselbe" einmal als "Symbol" und einmal als "Bild" des gemeinten Gegenstandes auftreten kann.
    32) Vgl. Anmerkung 31
    33) So kommt auch der fundamentale Gegensatz gegenüber der Musik, die man auch eine Seelensprache zu nennen beliebt, schon klar zum Ausdruck.
    34) Vgl. HUSSERL, a. a. O., vierter Abschnitt, besonders das 1. und 3. Kapitel.
    35) Wenn man allerdings empirisch-psychologisch verfährt und nicht phänomenologisch, wenn man also untersucht, wie sich die meisten Menschen verhalten, wenn man ihnen das Wort "Dreieck" im Untersuchungszimmer vorspricht, dann wird man allerdings das Resultat erhalten, daß sie (vielleicht ausnahmslos) nichts als den Wortklang und die Vorstellungsbilder beobachten können.
    36) Die nähere Untersuchung dieser Verhältnisse würde hier zu weit führen.
    37) Vgl. HUSSERL, a. a. O., vierter Abschnitt, besonders § 3 und 5.
    38) Unseren eingangs eingeführten Definitionen entsprechend würde man hier richtiger überall von "Begriff" und "Begriffsganzen" statt von "Bedeutungsganzen" reden, doch ist der Sprachgebrauch zu ungewohnt, als daß man nicht fürchten müßte, mit den zahlreichen Äquivokationen [verschiedene Bedeutungen bei gleichem Wort - wp] des Ausdrucks "Begriff" Verwirrung zu stiften, während die Verwechslung von "Bedeutung" und "Begriff" (in unserem Sinne an dieser Stelle völlig belanglos ist.
    39) In welcher Weise die Bedeutung "neue Verbindung" usw. in der Bedeutung "Schwefeleisen" implizit enthalten ist, darauf können wir hier natürlich nicht näher eingehen. Es sei nur darauf hingewiesen, daß auf diesem implizit-explizit die, jede Definition erst ermöglichende Identifikatioin zweier Bedeutungen bzw. Begriffe beruth.
    40) HUSSERL konstituiert (a. a. O. II, Seite 79f) einen Gegensatz zwischen Ausdrücken wie "dieser" und solchen wie "Tisch"; die ersteren sind "wesentlich subjektiv und okkasionell" [gelegentlich - wp], die letzteren "objektiv". Mir scheint, daß der Gegensatz in dieser Form nicht aufrecht zu erhalten ist. Die Pronomina wie "dieser" oder "ich" sind nur die denkbar leerste, ärmste "Ansicht" des gemeinten Gegenstandes, im Übrigen aber bezeichnet auch ein Ausdruck wie "Tisch" oder "Dreieck" je nach dem Zusammenhang (eventuell der Situation der Redenden) einen anderen und wieder anderen Gegenstand. - Wenn HUSSERL bei der ersten Klasse von Ausdrücken eine "eigentliche" und "uneigentliche", "angezeigte" und "anzeigende" Bedeutung unterscheidet, so scheint mir da die erstere für den gemeinten Gegenstand (wenn vielleicht auch nicht den letzten Endes gemeinten) substituiert zu sein, und ich möchte die letztere für die eigentliche Bedeutung halten. - Der Unterschied zwischen "Dreieck" und "ich" wäre danach nur der, daß man wohl häufig von "dem Dreieck" als dem Begriff redet, während man das Wort "ich" nur in seiner Anwendung auf einen singulär gemeinten Gegenstand (Person) zu gebrauchen pflegt.