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WILHELM JERUSALEM
Laura Bridgman
Erziehung einer Taubstumm-Blinden

"Wenn sie allein war, hielt sie ganze Monologe in der Fingersprache, und selbst im Traume redete sie mit den Fingern..."

LAURA DEWEY BRIDGMAN kam am 21. November 1829 in Hanover in New-Hampshire in Nordamerika als vollkommen gesundes Kind zur Welt. Ihre Eltern DANIEL und HARMONY BRIDGMAN waren wohlhabende Farmer von mäßiger Bildung, aber sehr anständigen Charakter. Der Vater war eine mehr rauhe, oft jähzornige, aber im ganzen gutmüthige Natur, die Mutter voll Sanftmut und Herzensgüte mit viel natürlichem Verstande.

In ihrem ersten Lebensjahre hatte die kleine Laura viel von schmerzhaften und oft gefährlichen Krämpfen zu leiden, deren Natur, wie DR. HOWE meint, nicht verstanden wurde. Im zweiten Lebensjahre hörten jedoch diese Anfälle auf, LAURA entwickelte sich prächtig und war mit zwei Jahren nach den Aussagen ihrer Mutter ein ungewöhnlich lebhaftes und gescheites Kind. Sie plapperte bereits einige Worte und kannte sogar schon einige Buchstaben des Alphabeths.

Zwei Monate später wurde die Familie von einem heftigen Scharlachfieber heimgesucht. Zwei ältere Schwestern LAURAs erlagen der Krankheit, und sie selbst wurd davon ergriffen. Bei ihr nun legte sich die Krankheit, indem sie die inneren Organe schonte, auf Augen und Ohren, und nach wenigen Wochen unterlag es keinem Zweifel, daß Gesicht und Gehör für immer zerstört war. Die Mutter pflegte ihr unglückliches Kind mit doppelter Sorgfalt, und nach zweijährigem Kränkeln hatte LAURA ihre Gesundheit so weit wieder erlangt, daß sie sich im Hause frei bewegen konnte.

Der Zustand, in dem sich das Kind damals befand, war nun folgender:

Der Gehörsinn war gänzlich zerstört, darüber herrscht weder Zweifel noch Unklarheit. In allen Berichten wird das versichert und in den überaus reichen Erinnerungen, welche LAURA aus der Zeit nach ihrer Krankheit bewahrt und im Jahre 1854 aufgezeichnet hat, findet sich kein einziges Erlebnis, das Gehörsempfindungen voraussetzt. Sie lernte später die Worte "Sound" "Hear" gebrauchen, aber es waren für sie nur Tastempfindungen. "Sound comes through the floor to my feet and to my hand" pflegte sie zu sagen, woraus deutlich hervorgeht, daß sie die Schallwellen nicht als Ton, sondern als Vibrationen der Luft empfand, welche ihr ungemein ausgebildeter Tastsinn wahrzunehmen vermochte.

Einmal allerdings sagte sie zu ihrer Lehrerin, sie höre den Schall einer Kanone, und fügte hinzu, daß sie laute Töne in ihren Ohren höre. Allein auch diese ganz vereinzelte Äußerung ist gewiss nur so zu verstehen, daß sie Schwingungen der Luft in ihrem äußeren Ohre fühlte.

Anders steht es mit dem Gesichtssinn. DR. HOWE erklärt in seinem Bericht von 1839, es sei mit zweifelloser Gewissheit festgestellt, daß LAURA keinen Lichtstrahl sehen, nicht den geringsten Schall vernehmen könne, und daß sie ihren Geruchssinn, wenn sie einen habe, nie anwende. Im Jahre 1839 war also LAURAs Blindheit eine vollkommene. Allein nach ihrer Krankheit konnte sie noch lange Hell und Dunkel unterscheiden, und auch lebhaft gefärbte Gegenstände machten Eindruck auf ihr Auge.

Der Geruchssinn war anfangs vollkommen zerstört, besserte sich jedoch später etwas, aber nie soweit, daß LAURA davon irgend welchen Gebrauch machte. Auch der Geschmackssinn hatte erheblich gelitten. Einmal erzählt LAURA indessen, sie habe Tabakrauch gerochen, so daß man annehmen darf, ihr Geruchssinn habe variiert.

Bis auf den geringen Rest von Gesichtswahrnehmungen war es also vornehmlich der Tastsinn, durch welchen LAURA Kunde von der Außenwelt erlangte. Natürlich entwickelte sich dieser, sowie die damit verbundenen Muskelempfindungen in einem ungewöhnlichen Grade. LAURA hat in ihren autobiographischen Aufzeichnungen eine geradezu erstaunliche Fülle von Erlebnissen aus der Zeit vor ihrem Eintritt ins Institut mitgeteilt.

Inwieweit nun diese Erinnerungen durch den von LAURA später genossenen Sprachunterricht an Klarheit gewonnen haben, wird später zu untersuchen sein. Jedenfalls aber müssen die dort berichteten Sinneseindrücke und die darauf gegründeten Urteile in ihrem Bewußtsein vorhanden gewesen, d.h. erlebt worden sein, und wir dürfen daher diese Aufzeichnungen als Quelle benützen, um uns ein Bild ihres Bewußtseinszustandes und der bis zu ihrem Eintritt ins Institut des DR. HOWE erreichten Entwicklungsstufe zu machen.

LAURA bewegte sich ganz sicher im Hause; sie erzählt von der großen Speisekammer ihrer Mutter, von mehreren anderen Zimmern, von den Teppichen, die den Boden bedeckten u. dgl. Sie begleitete die Mutter überallhin und wußte genau, womit diese beschäftigt war. Ihre besonderen Aufmerksamkeit erregte unter anderen eine große Wanduhr, die vom Fußboden bis fast an die Decke reichte; sie betrachtete deren Gewichte und Pendel mit großer Neugier. Sie erinnert sich, daß in einer schmalen Wand zwischen zwei Türen eine Ritze war, durch welche die Katze aus- und einschlüpfen konnte.

Sie beschreibt den großen Schleifstein und erzählt, wie es ihr Spaß machte, denselben im Wasser zu drehen. Sie beobachtete ihre Mutter beim Spinnen, Weben, Garnaufwinden und anderen Dingen. Ihre Mutter hatte, so berichtet sie, zwei Krämpelbänke, zwischen denen sie "irgend welche weichen Dinge, etwas wie Baumwolle" zu reiben pflegte. Wir erfahren ferner, wie LAURA einen alten Stiefel als Baby benützte, wie sie einmal die Katze ins Feuer warf, sich vor großen Tieren fürchtete und wie sie erschrak, als sie einen toten Körper berührte.

Zur Verständigung mit ihrer Mutter war sie auf wenige Zeichen angewiesen. Sie streckte die Hand aus, wenn sie zu essen wünschte, machte die Bewegung des Streichens, wenn sie Butter aufs Brot haben wollte. Ein Schlag auf den Rücken bedeutete, daß man mit ihr unzufrieden war, während Berührung des Kopfes Zufriedenheit ausdrückte. Allein diese Zeichen reichten selbstverständlich nicht immer aus, und so kamen oft Wutausbrüche bei ihr vor, die ihr Vater nur durch starke Züchtigung dämpfen konnte.

Die wenigen Worte, die LAURA vor ihrer Krankheit bereits geplappert hatte, waren natürlich infolge der eingetretenen vollkommenen Taubheit verlernt worden, und so fehlte das wichtigste Mittel zur Erziehung des Geistes und des Charakters. Wenn wir noch hinzufügen, daß LAURA von ihrer Mutter stricken, flechten und auch etwas nähen erlernt hatte, so ist ihr Zustand beim großen Wendepunkt ihres Lebens charakterisiert. Die Menge von Erfahrungen, welche das unglückliche Kind aus ihren Tast- und Bewegungsempfindungen, die nur von einem schwachen Lichtschimmer unterstützt waren, gesammelt hat, setzt in Erstaunen und zeigt aufs neue, wie mächtig der Trieb nach Betätigung der psychischen Kräfte im Menschen ist.

Allein ihr Zustand war dessenungeachtet ein in hohem Grade trauriger, und es ist vom menschlichen, sowie auch vom wissenschaftlichen Standpunkte als ein besonders glückliches Ereignis zu bezeichnen, daß DR. SAMUEL HOWE von der armen LAURA hörte und sich sofort entschloss, sich des Kindes anzunehmen. Er eilte nach Hanover, und die Eltern waren gerne bereit, ihm ihr Kind zur Ausbildung anzuvertrauen. Am 4. Oktober 1837 noch vor der Vollendung ihres achten Lebensjahres kam LAURA in das Blindeninstitut zu Boston.


Erster Unterricht

Es gab zwei Wege, auf denen man dahin gelangen konnte, LAURA die Möglichkeit zu geben, ihre Gedanken auszudrücken und die anderer Menschen zu verstehen. Der eine war der, die wenigen natürlichen Zeichen und Gebärden, deren sich LAURA bereits bediente, weiter zu entwickeln zu einem System natürlicher Zeichen, welches ziemlich reich zu gestalten nicht schwer gewesen wäre. Allein damit wäre LAURA aus ihrer Isolierung nicht herausgekommen, und nur wenige Personen hätten mit ihr verkehren können.

Der zweite Weg war der, ihr den Zugang zum konventionellen Zeichensystem der gewöhnlichen Sprache zu eröffnen. Dies schien schwer, ja fast unmöglich. Allein, wenn erreicht, war damit unendlich viel gewonnen. DR. HOWE beschloß daher, getragen von seinem Wahlspruche, daß Hindernisse überwunden werden können, den schweren Versuch zu wagen, und der Erfolg war ein vollständiger.

Die ersten Lektionen LAURAs zu verfolgen, ist ungemein fesselnd. Zunächst interessiert es natürlich den Pädagogen, zu beobachten, wie eine große Unterrichtsaufgabe unter besonders schwierigen Verhältnissen glänzend gelöst wird. Aber auch der Psychologe wird manche Belehrung finden, wenn er zusieht, wie durch Assoziation von Tast- und Bewegungsempfindungen die Aneignung eines komplizierten Zeichensystems der Sprache möglich wird.

Nachdem man LAURA einige Tage Zeit gelassen, sich an die neue Umgebung zu gewöhnen, begann der Unterricht. DR. HOWE hatte mehrere Papierstreifen mitgebracht, auf welchen die Namen häufig vorkommender Gegenstände, wie Messer, Gabel, Löffel, Schlüssel, Stuhl, Buch und dgl. gedruckt waren. Jedes Wort war in zwei Exemplaren vorhanden. Eines davon befestigte er an den Gegenstand, den das Wort bedeutete, der andere Streifen blieb lose.

Er gab nun LAURA das Messer mit dem darauf geklebten Streifen und ließ sie die Lettern befühlen, genau so, wie man es beim Blindenunterricht zu tun pflegt. Dann gab er ihr den losen Streifen mit dem Worte 'Messer', ließ sie denselben wieder befühlen und machte ihr das Zeichen der Gleichheit, indem er ihre beiden Zeigefinger genau neben einander legte.

LAURA schien leicht zu begreifen, daß die Zeichen auf beiden Streifen gleich seien. Mehr aber wußte sie noch nicht. Man verfuhr nun ebenso mit anderen Gegenständen und setzte die Lektion am nächsten Tage fort. Am dritten Tag erst begriff LAURA, daß die Zeichen auf den Streifen die Dinge bedeuteten, an denen sie befestigt waren. Dies zeigte sich dadurch, daß sie den Streifen mit dem Worte "chair" (Stuhl) auf einen Stuhl, dann auf einen anderen legte, wobei ein verständnisinniges Lächeln ihr bis dahin verdutztes Anlitz erhellte und ihre deutlich sichtbare Befriedigung ihrem Lehrmeister zeigte, daß sie ihre ersten Lektion begriffen hatte.

"Während sie in den ersten Lektionen", schreibt DR. HOWE, "etwa wie ein gelehriger Hund geduldig nachahmte, was der Lehrer tat, begann jetzt der Verstand zu wirken. Sie mochte wohl begreifen, daß hier ein Mittel gefunden sei, ein Zeichen zu geben von allem, was in ihrem Geiste vorging und dieses Zeichen einem andern Geiste mitzuteilen, und plötzlich zeigte ihr Gesicht einen wahrhaft menschlichen Ausdruck. Jetzt war es kein Hund oder Papagei mehr, es war ein unsterblicher Geist, der begierig nach dem Bande griff, das ihn mit anderen Geistern vereinigte. Ich könnte fast den Moment bezeichnen, wo diese Wahrheit ihrem Geiste aufging und Licht über ihr Antlitz verbreitete."

LAURA hatte damit aber erst die allerdings höchst wichtige Kenntnis gewonnen, daß die Dinge mit Namen bezeichnet werden. Sie hatte aber diese Namen nur als Ganzes, als einheitliche Komplexe von Tastempfindungen kennen gelernt und wußte noch nicht, wie man diese aus ihren Bestandteilen den Buchstaben zusammensetzen könne. Um sie das zu lehren, ließ DR. HOWE einen Kasten mit Metalltypen anfertigen und dazu ein Brett mit viereckigen Löchern, in welches die Typen so gelegt werden konnten, daß nur der obere eigentlich bedeutsame Teil hervorragte.

Damit lehrte man sie nun die einzelnen ihr schon bekannten Wörter zusammensetzen. Man gab ihr z.B. ein Messer und legte ihre Hand auf den Typenkasten, LAURA suchte nun unter den Typen so lange, bis sie die richtigen gefunden hatte, und legte dieselben dann zum Beweise ihres Verständnisses auf das Messer. Ihre Freude war jedesmal groß, wenn sie ihre Aufgabe gelöst hatte. Dann machte man es umekehrt, indem man sie zu einem Worte den betreffenden Gegenstand aus einem Haufen anderer herausfinden ließ. Sie tat dies mit großer Freude.

Einmal sollte sie zum Worte "key" (Schlüssel) das entsprechende Ding suchen. Sie tastete zuerst auf dem Tisch herum, und als unter den dort befindlichen Dingen sich kein Schlüssel befand, tastete sie sich zur Tür hin und legte die Typen auf den im Schlosse steckenden Schlüssel. Bald lernte sie auch die Ordnung des Alphabeths und wußte die Typen nach beendeter Lektion in richtiger Weise in den Kasten zuzuordnen, was ihr die rasche Auffindung sehr erleichterte.

Immerhin war aber der Vorgang langwierig und nicht immer anwendbar. Wollte LAURA etwas sagen, dann mußte sie immer erst zu ihrem Typenkasten gehen, die betreffenden Buchstaben heraussuchen, zusammensetzen und der angesprochenen Person zeigen, dies war sehr zeitraubend und namentlich unbequem, weshalb LAURA sich noch immer lieber durch Zeichen zu verständigen suchte.

DR. HOWE sorgte deshalb dafür, daß LAURA sich das Fingeralphabeth der Taubstummen aneigne. MISS DREW lernte es zunächst einmal selbst und dann LAURA, indem sie ihr die jedem Buchstaben entsprechende Fingerstellung beibrachte. LAURA lernte diese Zeichen sehr schnell und fand sie natürlich in der Folge viel bequemer als das Aufsuchen der Typen. Die Methode, sie zu unterrichten, war dann folgende:
    "Ich ließ sie", schreibt MISS DREW "den Gegenstand, dessen Namen ich sie lehren wollte, zuerst befühlen, dann gab ich ihr den Namen desselben, indem ich ihn mit meinen Fingern buchstabierte. Sie legte ihre rechte Hand über die meine und konnte so jede Bewegung und jede Lageveränderung fühlen. Mit der größten Spannung passte sie auf jeden Buchstaben; dann versuchte sie das Wort selbst zu buchstabieren, und wenn sie es richtig zuwege gebracht hatte, dann verwandelte sich die Spannung in Entzücken.

    Darauf nahm sie ihr Brett, stellte aus den Typen das Wort zusammen und legte dieselben auf den Gegenstand, um zu zeigen, daß sie alles richtig verstanden habe. LAURA bemerkte bald, daß es so viel schneller mit dem Buchstabieren gehe als nach der früheren Methode mit den Typen und wendete daher die Fingersprache sofort praktisch an.

    Ich werde nie die erste Mahlzeit vergessen, welche eingenommen wurde, nachdem LAURA den Vorteil des Fingeralphabeths würdigen gelernt hatte. Jeder Gegenstand, den sie berührte, mußte einen Namen haben, und ich war genötigt, jemanden zur Bedienung der anderen Kinder herbeizurufen, während sie mich mit dem Buchstabieren der Wörter in Atem hielt. DR. HOWE, der eine Zeitlang verreist gewesen war, freute sich bei seiner Rückkehr ungemein über LAURAs Fortschritte und lernte selbst das Fingeralphabeth."
LAURA brachte es im Laufe der Jahre zu einer erstaunlichen Geläufigkeit in der Fingersprache, sowohl im Sprechen als auch im Verstehen. Man hat ihr später oft in der Fingersprache aus Büchern vorgelesen, und nie konnte man für sie rasch genug sein. Sie selbst bewegte die Finger so schnell, daß nur sehr Geübte ihr folgen konnten.

Wenn sie allein war, hielt sie ganze Monologe in der Fingersprache, und selbst im Traume redete sie mit den Fingern, aber, wie gesagt, so schnell, daß es unmöglich war, ihre Gedanken abzulesen. Viele von den blinden Mädchen des Instituts lernten ihr zuliebe die Fingersprache und ermöglichten ihr so einen regen Gedankenaustausch, wodurch erst jene Leichtigkeit und Sicherheit im Gebrauche der Sprache gewonnen ward, die sich vollsinnige Kinder eben ganz unbewußt aneignen.

Zuerst lernte LAURA natürlich nur Substantiva und zwar nur Namen von greifbaren Dingen. Im Bericht aus dem Jahre 1837, also dem ersten, der über LAURA veröffentlicht wurde, schreibt DR. HOWE:
    "Sie ist noch nicht lange genug unterrichtet worden (erst vier Monate), als daß sie schon mehr hätte lernen können als Namen von Dingen; der schwierigere Teil der Aufgabe ist noch zu leisten, nämlich ihr das Verständnis von Wörtern beizubringen, welche Eigenschaften, Gefühle und dgl. bedeuten.

    Ein sicheres Prognostikon läßt sich nicht stellen, aber man darf viel erwarten von der Intelligenz des Kindes und der lebhaften Freude, mit der sie ihre ganze Aufmerksamkeit ihrer Aufgabe zuwendet und von der starken Anstrengung, die sie offenbar an den Tag legt, um neue Ideen zu gewinnen, nicht aus Furcht vor Strafe oder in der Hoffnung auf Belohnung, nein, nur infolge des Vergnügens, welches ihr die Betätigung ihrer Fähigkeiten gewährt."
DR. HOWE hat hier - nebenbei gesagt - eine sehr tiefe und, wie mir scheint, richtige Ansicht über den Ursprung des Erkenntnistriebes ausgesprochen. Im nächsten Jahre war dieser schwierige Teil der Aufgabe bereits gelöst. LAURA bildete bereits kleine Sätze, wie "shut door", (schließe Tür) und "give book" (gib Buch). Einer der ersten Sätze, die LAURA bildete, nachdem sie die Adjektiva kennen gelernt hatte, war: "Smith head sick - LAURA sorry" (Smith Kopf krank - LAURA traurig.)

Genaue Nachrichten und detaillierte Aufzeichnungen über diesen wichtigen Schritt in LAURAs Sprachunterricht sind leider nicht vorhanden. Im Jahresbericht über das Jahr 1832 verweist DR. HOWE auf einen Appendix C, worin genauere Auskunst über LAURAs Fortschritte im zweiten Jahr ihres Aufenthaltes in Boston gegeben werden sollte; allein dieser Appendix existiert nicht und hat auch, wie mir Herr ANAGNOS versicherte, nie existiert. Es ist dies um so mehr zu bedauern, als gerade auf dieser Stufe des Unterrichts sich leicht Momente ergeben konnten, die über das Problem der Entstehung abstrakter Begriffe vielleicht einiges Licht zu verbreiten geeignet wären.
LITERATUR - Wilhelm Jerusalem, Laura Bridgman - Erziehung einer Taubstumm-Blinden. Eine psychologische Studie, in XL. Jahresbericht über das k. und k. Staatsgymnasium im VIII. Bezirke Wiens für das Schuljahr 1890, Wien 1890