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Über Transzendenz des Objekts und Subjekts [ 2 / 2 ]
IV. Berkeley und Hume Drei Denker Englands sind, was ihre philosophische Entwicklung anbelangt, unauflöslich miteinander verknüpft, es sind das: LOCKE, BERKELEY und HUME - den epochemachenden Schlußpunkt dieser Entwicklungsreihe bildet KANT in Deutschland. Wir haben LOCKE schon behandelt und gesehen, wie er die ganze Erscheinungswelt aus Einwirkungen der Dinge außerhalb von uns auf die Seele erklärt, wobei diese Einwirkungen oder Eindrücke entweder den Dingen gleichen - erste Qualitäten - oder nur subjektive Wirkungen derselben sind - zweite Qualitäten; dazu kommen noch die Selbstwahrnehmungen der Seele, in welcher sie ihre durch jene Eindrücke hervorgerufenen Zustände und Tätigkeiten selbst erfaßt (reflexions). Es ist dieses eine der klarsten Einteilungen des Stoffes, den uns die sogenannte Erscheinungswelt bietet, und sie wird, mag man auch immerhin die Einteilungsgründe umändern oder ausscheiden und viele Ergänzungen und Verbesserungen für nötig erachten, ihren Wert nie vollständig verlieren, weil sie zum größten Teil auf immanenten, in der Erscheinungswelt selbst ursprünglich liegenden Unterschieden beruth, die aber nur zum geringeren Teil die angegebenen Einteilungsgründe sind. Gegen diese scheinbaren Einteilungsgründe richteten sich dann auch die Angriffe der folgenden Philosophen. Zunächst richtete BERKELEY seine Angriffe gegen die körperlichen Dinge als Ursache unserer Ideen. Er hat nachgewiesen, daß eine solche Ursache nicht vorhanden ist, weil uns nur Ideen gegeben sind (1); daß eine Annahme solcher Ursache nichts erklärt, weil es unbegreiflich bleibt, wie durch Körper in der Seele Ideen hervorgebracht werden sollen (2); daß selbst, wenn solche Ursachen bestünden, wir nichts von ihnen wissen können, weil mit und ohne Voraussetzung der Körperwelt dieselben Gründe für und gegen dieselbe in uns sich vorfinden würden (3); und endlich, daß die Behauptung einer "unbedingten Existenz von sinnlichen Objekten ansich oder außerhalb des Geistes" ein Widerspruch ist (4). Es ist unmöglich, klarer und deutlicher darzulegen, wie in jeder Beziehung eine Körperwelt nicht außerhalb des Leibes, sondern außerhalb alles geistigen Zusammenhangs ein Unding wird, als es BERKELEY in seinen "Principles of human knowledge" tut, dennoch scheint ihm der kürzeste und beste Weg zu dieser Erkenntnis eine Beobachtung der eigenen Gedanken (attend to their own thoughts), oder, richtiger ausgedrückt, der Gedanken, insofern sie eigene sind, also durch Selbstbesinnung zu sein. (5) Es ist daher eine durch Nichts gerechtfertigte Behauptung, daß sich BERKELEY bei seinem Beweis der Nichtigkeit der Körperwelt einer petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen wäre - wp] schuldig gemacht hätte (6), weil er weder einen Beweis liefern konnte noch wollte. Nur für denjenigen kann der Beweis einer Körperwelt oder sein Gegenteil möglich sein, der, selbst einer petitio principii schuldig, das voraussetzt, was er beweisen will. Nicht beweisen kann man die Nichtigkeit jeder Transzendenz, sondern sie nur derart klar darlegen, daß dann ein Jeder ihren Widerspruch klar in sich findet, sobald er sie zu denken versucht. Es ist also nur eine Anleitung zur Erkenntnis dieser Wahrheit, ein Nachweis derselben möglich, weil sie nur auf der Unmöglichkeit beruth, jenes Denken des Transzendenten, das gefordert wird, wirklich und nicht nur scheinbar zu vollziehen. Allerdings muß man immer die "Ideen" "als die (einzigen) Gegenstände menschlicher Erkenntnis" schon voraussetzen, aber nicht deswegen, um die Existenz der Körperwelt umstoßen zu können, sondern weil eine jede andere Voraussetzung, die nicht bloß scheinbar, sondern wirklich vollzogen werden soll, zur Erkenntnis der Unmöglichkeit ihrer Vollziehung führen muß. Gerade wenn man die "Ideen" als "Mittel der Erkenntnis" bezeichnet, macht man sich einer petitio principii schuldig: denn um das zu können, ist eben die Welt der Dinge-ansich (sei es Materie oder etwas anderes) schon vorausgesetzt, während doch nicht diese, sondern die Ideen ursprünglich und unmittelbar gegeben sind; folglich, da die Welt der Dinge-ansich nicht nachgewiesen werden kann, muß sie doch wenigstens früher bewiesen werden, ehe man das unmittelbar Gegebene als ein Mittel zur Erkenntnis jenes bezeichnet. Diese Notwendigkeit aber hat BERKELEY in Frage gestellt. Hat jedoch BERKELEY auf diese Weise das transzendente Objekt negiert, so bleibt er in nicht zu rechtfertigender Weise beim transzendenten Subjekt stehen. Und doch mußte er selbst zugeben, daß es eben so unwahrnehmbar und unvorstellbar war, wie das transzendente Objekt (7); doch es sollte zumindest nicht widersprechend und daher denkbar sein. Könnten wir auch keine Vorstellung (idea), so könnten wir doch zumindest einen Begriff (notion) von der Seele haben, meinte BERKELEY (8). Es ist aber eben widersprechend, muß man darauf antworten, zu behaupten, man habe einen Begriff von Etwas, dessen Vorstellung unmöglich ist: denn ein frei in der Luft schwebender Begriff ist undenkbar und er muß zumindest seinen Elementen nach an der konkreten Vorstellung zu finden sein, ein Begriff, dem nichts am Konkreten entspricht, ist selbst Nichts - höchstes ein Laut. Doch, hätte mir BERKELEY vielleicht darauf geantwortet, der Geist wird zwar nicht durch eine Idee, aber durch eine Reflexion auf das, was mit den Ideen vorgeht, auf die in ihnen tätige Ursache erfaßt. Hier muß man fragen: ist diese Ursache gegeben? Doch gewiß nicht; was gegeben ist, sind Ideen und ein im Bewußtsein stetiges Bezogensein derselben auf einander, so daß ein stetiges, untrennbares Durchdrungensein von Inhalt und Bewußtsein desselben vorhanden ist. Nun trennt man in abstracto Beide, und die Welt zerfällt in das Bewußtsein (Subjekt) und den Inhalt (Objekt). Jetzt vergißt man darauf, daß diese Trennung nur in abstracto stattgefunden hat und fragt sich erstaunt, ja wie kommt denn das Subjekt, das Bewußtsein, zu seinen Objekten, seinem Inhalt. Im Bewußtsein ist natürlich kein Grund zu einem Inhalt gegeben, weil man ja allen bestimmten Inhalt eben ausgeschieden hat; findet man nun die Ursache nicht im Bewußtsein, nun wohl, so muß dieselbe außerhalb des Bewußtseins liegen, wobei man nur darauf vergißt, daß irgendein Objekt, irgendeine Ursache, die ihrer Natur nach nie zu Bewußtsein kommen darf und um die man doch wissen muß, um sie nur konstatieren zu können, zu jenen Widersprüchen führt, die BERKELEY hervorgehoben hat. Nun kann man aber auch umgekehrt fragen: wie kommt denn der Inhalt zu seinem Bewußtsein, was ist die Ursache des Bewußtseins? Im Inhalt kann sie ja wieder nicht liegen, weil man von seinem Bewußtsein abstrahiert hat, und so liegt sie dann auch außerhalb des Bewußtseins als seine transzendente Ursache, transzendentes Subjekt, und zieht dieselben Widersprüche nach sich, wie jenes transzendente Objekt. Streicht man nun das Objekt, so bleibt jetzt noch das transzendente Subjekt übrig als Ursache der immanenten, bewußten Objekte, wobei man freilich nur vergißt, daß ein solches Subjekt, das vor allem Bewußtsein bestehen soll, nur durch das Bewußtsein konstatierbar ist, folglich als vor allem Bewußtsein vorhanden, weder gedacht noch erwiesen werden kann. Wollte man aber etwa das Bewußtsein selbst zu jenem transzendenten Wesen machen, so vergißt man, daß das Abstraktum "Bewußtsein" weder Ursache eines Konkretum sein kann, noch überhaupt, außer als bestimmtes, durch seinen konkreten Inhalt gekennzeichnetes Bewußtsein gegeben ist, bei dem man allerdings vom Inhalt abstrahieren kann, aber eben damit beweist, daß es ohne Inhalt nicht gegeben ist, weil man von ihm erst abstrahieren muß. BERKELEY hat nun wohl erkannt, daß ein Objekt, ohne bewußt zu sein, nicht möglich ist, aber er behielt dennoch die Scheidung von Bewußtsein und Objekt als eine ursprüngliche bei und setzte so, wie FRASER richtig bemerkt, einen Dualismus zwischen Geist und Idee (9), Seele und Vorstellung. Da aber die Ideen in dieser Trennung von dem sie ursprünglich verbindenden Bewußtsein keinen anderen Konnex als die Zeit und den Raum haben, so können sie auch nicht aufeinander wirken (10), und die eigentliche Ursache ihrer verschiedenen Gestaltungen und Prozesse liegt im Geist, von welchem wir also nicht durch Ideen, von denen der Geist ja vollständig verschieden ist, sondern durch die LOCKE'sche Reflexion (11) (Selbstwahrnehmung) erfahren, welche aber tatsächlich nichts Anderes ist, als jene Trennung von Ideen (Vorstellung, Inhalt) und Bewußtseinsbeziehungen derselben, wobei letztere dann dem Kausalitätsbedürfnis geopfert und zum transzendenten Subjekt, zur transzendenten Ursache gemacht werden. Aber BERKELEY geht noch weiter, er findet gewisse Ideen (Wahrnehmungen), die vom Subjekt und seinem Willen nicht abhängig sind, und setzt als Ursache dieser Ideen einen anderen (natürlich mächtigen) Willen oder Geist, der sie im Menschen hervorbringt (12). Dadurch macht er all das wieder rückgängig, was er früher durch seine scharfsinnige Kritik errungen hat. Denn ob ein Geist oder ein materielles Ding Ursache unserer Wahrnehmung ist, bleibt (für die Philosophie, nicht für den Glauben) ziemlich gleichgültig, weil wir nur soviel von dieser Ursache behaupten dürfen, als uns die Wahrnehmungen erlauben. Dieser Schluß BERKELEYs war aber unberechtigt, weil er ebenfalls wieder nur auf einer Scheidung in abstracto beruth. Denn, daß gewisse Ideen unabhängig von meinem Willen sind, kann nur bedeuten, daß sie von inhaltlich bestimmten Wollungen unabhängig sind, nicht vom Willen in abstracto, der überhaupt nicht Ursache von Ideen sein kann. Unabhängig kann aber heißen: ohne gewollt zu sein oder trotz allem Nichtwollen. Ohne gewollt zu sein und trotz allem Nichtwollen treten aber auch Vorstellungen und nicht nur Wahrnehmungen ins Bewußtsein, es ist das also kein Kriterium der Wahrnehmung. Man kann aber auch weder daraus, daß "Ideen" gewollt sind und eintreten oder als gewollte eintreten, noch daraus, daß sie als nicht gewollte eintreten oder ohne gewollt zu sein eintreten, jemals schließen, daß der Wille in ursächlichem Verhältnis zu ihnen steht. Das "gewollt" oder "nicht gewollt sein" ist eine Bewußtseinsbeziehung der Vorstellungen, nicht ihre Ursache. Eine gewollte "Idee" kann die Ursache des Eintretens einer andern sein, niemals aber das abstrakte Wollen überhaupt. Nicht also der abstrakte Wille, sondern das konkrete Gewollte steht in einem ursächlichen Verhältnis zu anderem Gewollten oder Nichtgewollten. Der Wille ist also stets den "Ideen" immanent, nicht aber ihre Ursache. Und wenn erwiesen ist, daß manche "Ideen" vom Willen abhängig sind und manche nicht, dann ist damit nur erwiesen, daß manche Ideen in solchen, andere in anderen Bewußtseinsbeziehungen stehen. Die Inkonsequenz BERKELEYs, die Seelensubstanz bestehen zu lassen, während er die körperliche Substanz leugnet, hat auch HUME richtig erkannt; für ihn ist daher nur eine Reihe von Ideen und Impressionen gegeben, zu welchen die Einbildungskraft aus Gewohnheit einen substantiellen Träger hinzudichtet, der das Band dieser Einheit, nicht der Gedanke einer geistigen Substanz, sondern das Bewußtsein mit seinen Beziehungen ist. Nicht die Gewohnheit drängt uns den geistigen Substanzbegriff auf, sondern die Trennung der Bewußtseinsbeziehungen vom Gegenstand, wodurch das Bewußtsein als ein anderer Gegenstand dem von ihm getrennten Gegenstand entgegentritt. Aber wenn auch HUME jede Transzendenz als unerweislich und unnütz zurückweist, so bleibt bei ihm doch die Trennung im Bewußtsein (samt seinen Beziehungen) und Gegenstand als ursprüngliche, die nicht erst durch Abstraktion entstanden ist, bestehen. Die Welt zerfällt ihm in Subjekt und Objekt in concreto, während dieses doch nur dann einen Sinn hat, wenn der transzendente Geist gegenüber dem transzendenten Ding-ansich festgehalten werden; sonst ist nur Bewußtseinsinhalt gegeben und eine jede Trennung eine nachträgliche. Daher kann HUME auch die Kausalität der Dinge nicht fassen, nachdem er sich die Möglichkeit ddazu durch Abstraktion von allen Bewußtseinsbeziehungen, in denen sie gegeben sind, versperrt hat, während die Kausalität doch nur als notwendige Bewußtseinsbeziehung erklärt werden kann, die aber nicht erst zu den Dingen hinzukommt oder vor ihnen da ist, sondern ohne welche die Dinge selbst undenkbar werden. Hat man aber die Dinge vom Bewußtsein und seinen Beziehungen vollständig isoliert, dann bleibt nur die räumliche und zeitliche Beziehung übrig, aus der nie ein Kausalitätsverhältnis begreiflich sein kann. Auch KANT kommt über eine teils bewußte, teils unbewußte Transzendenz nicht hinaus. Die bewußte ist das Ding-ansich, die unbewußte die Trennung von Verstand und Sinnlichkeit, sowie der Begriff der Affektion. Selbst beim Ding ansich aber ist die Transzendenz keine offen ausgesprochene, sondern eine mehr versteckte. KANT gibt mehr als einmal zu, daß das Ding-ansich nur ein Gedanke ist (13), daß wir selbst die Möglichkeit desselben nicht einsehen können (14), daß der Begriff des Noumenon ein rein negativer ist (15), und betont dem gegenüber, daß der Begriff eines Dings-ansich nicht widersprüchlich ist und die notwendige Begrenzung der Sinnlichkeit bildet (16), ein notwendiger Grenzbegriff, um nicht unsere Erkenntnis über die durch unsere Sinnlichkeit uns gegebenen Gegenstände hinaus auszudehnen (17). Dazu bemerkt von HARTMANN ganz richtig, daß unsere Sinnlichkeit noch viel besser eingeschränkt wäre, wenn es gar keine Dinge-ansich gäbe, als "durch den schönsten negativen Grenzbegriff" (18). Es ist umso unbegreiflicher, mit welcher Zähigkeit KANT am Begriff des Dings-ansich festhält, da die Objektivität der Erkenntnis und des Gegenstandes ihm nur in der notwendigen gesetzlichen Verbindung der Erscheinungswelt, nicht aber in ihrer Beziehung auf Dinge-ansich besteht (19). Wenn HARTMANN betont, daß diese Objektivität doch nur eine subjektive ist (20), so spricht er gewiß nur die eigene Meinung KANTs aus und bemerkt nicht, daß KANT unter Objektivität eines Gegenstandes fast immer nur seine durch die Einheit der Apperzeption und die Kategorien bedingte notwendige Gesetzmäßigkeit und Einheit versteht. So sagt er z. B.: Diesen (objektiven Grund der Notwendigkeit eines durch alle Erscheinungen sich erstreckenden Gesetzes) können wir aber nirgends anders, als im Grundsatz von der Einheit der Apperzeption, in Anbetracht aller Erkenntnisse, die mir angehören sollen, antreffen (21). Und weiter:
Ebensowenig konnte aber KANT die Notwendigkeit seines Dings-ansich auf die Wirklichkeit der Welt stützen, denn die Wirklichkeit ist nach seiner eigenen Ansicht nichts als die Wahrnehmung im Raum,
Da also bei KANT weder die Objektivität der Erkenntnis, noch die Wirklichkeit der Welt mit dem Begriff des Dings-ansich notwendig verknüpft ist, so kann die trotzdem erfolgte Annahme von Dingen-ansich nur einen teils psychologischen, teils praktischen Grund haben. Der praktische Grund ist leicht zu finden, das Ding-ansich soll (natürlich ohne bewußte Absicht) die Hintertür bilden, um in der praktischen Vernunft dennoch zu einer transzendenten Welt und dadurch zu den praktisch notwendigen Gedanken von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit zu gelangen. Deswegen ist es auch KANT vor allen darum zu tun, wenigstens die Denkbarkeit und Widerspruchslosigkeit der Welt als Ding-ansich aufrecht zu erhalten (25), um dann Postulate der praktischen Vernunft auf sie gründen zu können. So sagt er:
Er glaubt außerdem auch noch der Moral und Religion einen bedeutenden negativen Dienst erwiesen zu haben, indem durch seine Kritik den der Religion schädlichen Ansichten "die Wurzeln abgeschnitten werden". (28) Der negative Dienst ist unzweifelhaft, der positive scheint dann doch problematisch zu sein; denn es ist die Widerspruchslosigkeit und Denkbarkeit der Welt ansich erst zu erweisen. Nicht als ob KANT nicht eingesehen hätte, daß das "Ding-ansich" "ein unbestimmter Gedanke von Etwas überhaupt" (29) ist, daß also das Ding-ansich außerhalb des Denkens gar nicht erreichbar ist, aber er glaubte doch, daß die Annahme eines solchen transzendenten Begriffs nicht nur möglich, sondern notwendig ist, und er schwankte zwischen der Auffassung des Dings-ansich als notwendigen Gedanken oder Grenzbegriff im Denken und des Denkens (30). Er kann sich von dem Gedanken nicht los machen, daß es Wesen geben könnte, die durch eine andere Anschauung oder ohne Anschauung Gegenstände denken können, einen Verstand haben, der nicht "diskursiv" sondern "intuitiv" ist (31). Aber das Ding-ansich, als notwendiger Gedanke innerhalb des Denkens, ist ebenso widersprüchlich, wie als Begrenzung des Denkens. Das Ding-ansich ist ein lebendiger Widerspruch als ein Gedanke von etwas, das seine Existenz und Denkberechtigung nur daher nehmen kann, daß es seinem Wesen nach gar nicht Gedanke sein darf. Es wäre also ein denknotwendiger Widerspruch. Will man aber einen solchen gelten lassen, dann hat ein Widerspruch vor dem andern keinen Vorzug und man kann alle Widersprüche für denknotwendig erklären. Will man ihn aber auflösen, so muß man ihn innerhalb des Denkens lösen, will man nicht einen Widerspruch durch den anderen heilen. Soll aber das Ding-ansich eine Grenze des Denkens sein, dann setzt eben diese etwas außerhalb der Grenze; ist dieses "etwas außerhalb" gedacht, dann ist es nicht begrenzend, ist es aber begrenzend, dann darf es gar nicht denkbar sein, d. h.: das Denken kann sich nicht selbst begrenzen, es erstreckt sich daher (nicht unendlich) unbestimmt weit. Somit kann auch KANT der Religion keinen positiven Dienst mit der Welt ansich erweisen, denn sie wird durch dieselbe entweder zur notwendigen Jllusion (32) oder zum notwendigen Widerspruch. Nur dann, wenn das Denken im weitesten Sinn alles Sein in sich faßt, sind die Postulate der praktischen Vernunft, wenn sie denknotwendig sind, soweit sie dieses sind, auch gültig und seiend. Wir kommen nun zu jenen Gründen des Dings-ansich bei KANT, die in seinen psychologischen Anschauungen liegen. Jeder Mensch denkt in Beziehungen und daher in Abstraktionen, ein abstraktions- also beziehungs- und begriffsloses Wahrnehmen oder Vorstellen gehört ins Land der Fabeln. Nach Aussonderung aller begrifflichen Unterschiede bleibt ein "Etwas" übrig, das entweder undenkbar, also Nichts, oder jener vollständig bestimmungslose Begriff ist, dem alles entspricht, der an allem zu denken möglich ist, weil er der oberste Gattungsbegriff des Seins ist. Die geläufigste Abstraktion ist aber jene der Dinge, der Gegenstände im wahrgenommenen Raum und ihren Beziehungen im Bewußtsein, dem Denken im engeren Sinne. Wie bei allen Abstraktionen ist dabei das, von dem abstrahiert ist, mitgesetzt, und nur logisch (nicht psychologisch) unbeachtet. Der Gegenstand wird psychologisch zweimal gesetzt, einmal mit logischer Betonung seines Gesetztseins im Raum außerhalb des Denkens, als konkretes Ganzes, als Zusammen von sinnlichen Qualitäten (ohne ihn deswegen psychologisch, ohne Bewußtseinsbeziehungen und begriffliche Bestimmtheit denken zu können), das anderemal mit logischer Betonung seiner begrifflichen Betonung seiner begrifflichen Bestimmtheit, Unterschiedenheit, seinen Bewußtseinsbeziehungen (ohne ihn psychologisch in einer solchen Trennung ohne ein Zusammen von sinnlichen Qualitäten denken zu können). Er ist daher logisch doppelt, psychologisch einfach. Diese Abstraktion hat nun KANT in der schärfsten Weise vollzogen. So sehr ihm Alles nur Erscheinung ist, ist er sich doch nirgends jener Abstraktion als Abstraktion innerhalb der Erfahrung bewußt. Ihm zerfällt selbstverständlich die Welt der Erfahrung in einen subjektiven Teil der Spontaneität und einen objektiven der Rezeptivität oder in Verstand und Sinnlichkeit. Damit hat er aber schon die Notwendigkeit des Dings-ansich vorweggenommen. Denn Rezeptivität und Spontaneität, Sinnlichkeit und Verstand können von KANT nur in versteckt transzendenter Weise aufgefaßt sein, sollen sie anders in seinem System Platz finden. Er gibt sie nicht als Abstraktionen, sondern als selbständige Teile der Erfahrungswelt, als gäbe es einen Verstand vor der Sinnlichkeit (wenn auch auf sie allein anwendbar) und eine Sinnlichkeit (Anschauung) ohne Verstand, wenn auch durch ihn allein erfaßbar. Gleich in der Einleitung zur Kr. d. r. V. sagt KANT:
Diese dargelegte Trennung von Verstand und Sinnlichkeit nun ist ein wichtiger, wenn auch versteckter Grund für die kantische Annahme eines Dings-ansich. Denn wird der Verstand als ein selbständiger für sich allein denkbarer und gegebener Bestandteil der Erfahrung, gegenüber einer eben so selbständigen Sinnlichkeit, aufgefaßt, so wird und muß sich stets das Problem einstellen, wie denn eine Vermittlung dieser beiden Faktoren möglich ist. Da man nun aber bei dem einen stets vom andern vollständig abstrahiert, so ist eine Vermittlung innerhalb dieser beiden Faktoren unmöglich, und man ist genötigt, diese Vermittlung außerhalb zu suchen, d. h. transzendent zu werden und doppelt beide Faktoren als Dinge-ansich in ein unbekanntes Gebiet zu verweisen, wo sie nun unbekannterweise das vollbringen, was bekannterweise nicht denkbar ist: eine erst zu erfolgende Vermittlung zwischen Geist und Körper, Denkbeziehung und Gegenstand - nicht denkbar, weil sie stets schon vorausgesetzt ist. Auch KANT ist in dieses Dilemma hineingeraten, entweder Verstand und Sinnlichkeit unvermittelt zu lassen, oder transzendent zu vermitteln, und kam dadurch zum Begriff der Affektion unserer Sinnlichkeit und zur ursprüngliche (a priori) Anlage unseres Geistes nur kategorisch zu denken, ohne freilich damit erklärt zu haben, wie es denn kommt, daß Sinnlichkeit oder empirische Anschauung und reiner Begriff so gut zueinander passen: denn die Einbildungskraft stand nicht über beiden, sie einander anpassend, sondern nur zusammenfügend, was schon ursprünglich für einander geeignet sein mußte. Der Begriff der Affektion war aber ein hinfälliger, denn die vorgestellten Gegenstände konnten doch weder die Sinnlichkeit als Abstraktum noch als Konkretum noch endlich als Transzendenz affizieren, denn die Sinnlichkeit ist als Konkretum und Abstraktum nichts außerhalb der vorgestellten sinnlichen Gegenstände, sondern diese selbst, als transzendent aber, ist ihre Affektion, Voraussetzung der Gegenstände. Sollen aber die affizierenden Gegenstände Dinge-ansich sein, welche die Sinnlichkeit ansich affizieren, dann ist die Kategorie der Erfahrung über die Erfahrung hinaus angewendet, was auch schon im vorigen Fall stattfinden müßte. Denn erklärt KANT:
Man kann sich recht gut vor der Größe eines Mannes willig beugen, ohne sich deswegen seinen Fehlern verschließen zu wollen; besonders da es unmöglich ist, daß ein epochemachender Geist nicht noch die Eierschalen einer früheren Existenz, durch die er sich hindurcharbeiten mußte, an sich trägt. Es ist daher mit obiger Kritik gewiß keine Beeinträchtigung der Größe KANTs beabsichtigt, es soll vielmehr willig erkannt werden, daß KANT der erste war, der im Prinzip die vollständigste immanente philosophische Welterklärung und Erkenntnistheorie angebahnt hat, und daß wir auf seinen Schultern stehend uns selbst verspotten würden, wollten wir verächtlich auf ihn herabblicken. ![]() ![]()
1) The Works of Berkeley ed. by Fraser, Vol. I, 155. 2) ebd. Seite 165, § 19. 3) ebd. 165, § 20 4) ebd. 167, § 24 5) ebd. 6) Berkeleys "Abhandlung über die Prinzipien ..." übersetzt von Überweg, Seite 110, Anm. 8. 7) Berkeley, ebd. 169, § 27. 8) ebd. Seite 328 9) ebd. Seite 156, Anm. 3, Seite 159, Anm. 17 10) ebd. Seite 168, § 25. 11) ebd. Seite 328 12) ebd. Seite 170, § 29 13) Kritik der reinen Vernunft (Ausgabe Kehrbach), Seite 233. 14) ebd. Seite 235. 15) ebd. 16) ebd. Seite 236 17) ebd. Seite 235 18) Eduard von Hartmann, Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus, Seite 20 19) Kr. d. r., Seite 187. 20) Hartmann, a. a. O., Seite 9. 21) Kr. d. r. V. Seite 132 22) Kr. d. r. V. Seite 133 23) Kr. d. r. V. Seite 317. 24) Hartmann, a. a. O., Seite 5 25) Kr. d. r. V., Einleitung, Seite 36. 26) Kr. d. r. V., Seite 25; vgl. Seite 235: Der Begriff einer Noumenon . . . ist gar nicht widersprechend. . . . Ferner ist dieser Begriff notwendig . . . 27) Dieses ist doch wohl der Sinn der Erörterungen in der Vorrede der zweiten Ausgabe Seite 25 und 26: "Ich mußte also das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen" . . . 28) Kr. d. r. V. Seite 234 29) ebd. Seite 223, 227, Anm. Seite 232, 233, 235, 236, 363, 405, 686 30) Kr. d. r. V. Seite 686, 233, 235, 236. 31) Kr. d. r. V. Seite 263. 32) Kr. d. r. V., Seite 35: Auch Lotze stellt die Beziehung als subjektiv den Dingen gegenüber, während die Dinge doch auch im Subjekt, also subjektiv, gegeben sind und diese Scheidung eine nachträgliche ist. In manchen Momenten ist auch wirklich Beziehung und Ding in vollendeter Einheit gegeben, man sagt dann: er war im Anschauen verloren" (Logik, Seite 544). Am krassesten vollführt diese Trennung Schopenhauer: ihm entsteht Erfahrung, indem der Verstand (die Funktion . . . "des drei bis fünf Pfund wiegenden Gehirns") das "Gesetz der Kausalität" auf die "subjektive Empfindung" "in Anwendung bringt" und diese "subjektive Empfindung" ist "ein Vorgang im Organismus", "auf das Gebiet unterhalb der Haut beschränkt"! Haut und Organismus sind vor aller Empfindung und Erfahrung?? 33) Kr. d. r. V., Seite 235. 34) a. a. O., Seite 107. 35) a. a. O., Seite 49, 76, 77, 108, 135 36) a. a. O. Seite 126f, 672f. 37) Kr. d. r. V., Seite 647; vgl. Seite 657, Suppl. III, Seite 403, 48, 76, 234. Vaihinger, Kommentar zur Kr. d. r. V., Seite 172f. Rehmke, Die Welt als Wahrnehmung und Begriff, Seite 28f. Leclair, Eine monistische Erkenntnistheorie, Zeitschrift für Realschulwesen, VII. Jahrgang, III. Heft, Seite 143f (Die obige Stelle ist zwar in der ersten Auflage der Kr. d. r. V. noch nicht enthalten, dagegen die folgenden von Seite 403 von gleichem Sinn mit der ersten.) 38) Seite 311, 312: Nun ist aber der Schluß von einer gegebenen Wirkung auf eine bestimmte Ursache jederzeit unsicher. |