p-4ra-1E. FränkelA. RapoportB. ErdmannF. MauthnerW. Wundt    
 
WILHELM MACKENSEN
Grundzüge einer Theorie
des Abstraktionsvermögens

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"Die Vorstellung vom Raum, die man gewöhnlicherweise hat, ist allerdings ganz falsch, und ein solcher Raum, wie sich der Philosoph ihn denkt, existiert nicht wirklich. Auf diesen Punkt müssen wir dringend bestehen, wir werden dieses von mehreren Gegenständen, selbst von der Materie, sagen, welche, in einem gewissen Verstand, nicht existiert. Es ist eine unnütze Nachgiebigkeit gegen den gemeinen Verstand, wenn man vorgibt, die Vorstellung vom Raum, wie er sie hat, sei auch ganz richtig, und es werde ihr ihre Stelle im System schon angewiesen werden, wenn man erst mit dem philosophierenden Verstand fertig ist. Dies hält die richtige Einsicht gewaltig auf. Man sollte vielmehr niemanden in diesen Spekulationen fortgehen lassen, ehe er nicht gezeigt hat, daß er sich diese neue Ansicht erworben hat, und keine Bedenklichkeit mehr dabei findet, zu sagen: daß Raum und Zeit (das heißt aber nach der Vorstellung, die man sich gewöhlicherweise davon macht), nicht existieren."

"Diese unvollkommene Einsicht in die Natur der Begriffe, welche die Philosophen glauben ließ, daß nur durch Definitionen, Erklärungen, Verdeutlichungen, Wahrheit zu finden ist, hat natürlicherweise in die Lehre vom Beweis ihren Einfluß gehabt. Wer nichts anderes kennt, als Begriffe, kann auch keine andere Überzeugung gelten lassen, als durch Begriffe, die ihm durch andere Begriffe aufgedrängt werden. Alle logischen Beweise sind aber nur eine Art von Rechenkunst, welche nicht weit reicht, und womit man in der Philosophie nur etwa das ausrichtet, was die Mathematik in der Physik. Die Mathematik ist in der Physik von größtem Nutzen, allein die Prinzipien derselben kann sie doch nicht herausrechnen."

"Das ganze Geschäft der logischen Beweise ist, Begriffe aus Begriffen herzuleiten, und zu zeigen, wie das Einzelne im Allgemeinen gegründet ist. Wenn man dieses wohl eingesehen hat: so müssen die Versuche, das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, die Freiheit des Willens zu beweisen, als ein unnützes, vergebliches Bemühen erscheinen."

Was aber in dieser Untersuchung vollends den Ausschlag gibt, ist dieses: diese Ähnlichkeiten, Schemata oder wie wir es nennen wollen, können nicht anders gedacht werden, als unter sinnlichen Bedingungen, sie müssen an ein Wort geheftet sein. Durch das Aufsteigen bei der Abstraktion werden aber allgemeinere Züge entwickelt, und in einen neuen Begriff aufgefaßt, wozu kein Wort da ist. Es müßte also erst der Begriff gebildet und dann ein Wort dazu erfunden werden, welches nicht allein der Natur der Sache zuwider ist, sondern auch eine Art von Spracherfindung voraussetzt, die wenigstens ebenso undenkbar ist, wie die fortgesetzte Neuschöpfung.

Es scheint nun, als ob wir durch diese Behauptung dem Menschen den Vorzug entrissen haben, welcher der erste und augenscheinlichste von denen sein soll, die ihn von den Tieren unterscheiden. Das Tier, sagt man, hat ebensowohl wie der Mensch eine Vorstellung von Schnee oder Milch und von der weißen Farbe beider, aber es kann mit dieser Vorstellung weiter nichts anfangen und muß sie so lassen, wie sie ihm gegeben sind. Daß das Weißsein ein Merkmal ist, welches beiden Vorstellungen gemein ist, denkt das Tier nicht. Diese Bemerkung ist wichtig. Das Tier muß alle Vorstellungen so lassen, wie sie sich ihm aufdrängen, der Mensch aber kann einige Eindrücke willkürlich von sich abhalten und statt bloß ein Spiegel zu sein, der, ohne sein Zutun, verschiedene Bilder, so wie sie die Natur vor ihm aufführt, darstellen muß, kann er mit eigener Hand in diese Reihe von Vorstellungen eingreifen und diese Notwendigkeit durchbrechen.

Die Erfahrung, daß der Mensch, je ungebildeter seine Vernunft ist, desto weniger allgemeine Erkenntnisse besitzt, scheint vollends dafür zu sprechen, daß das Bilden allgemeiner Begriffe das Werk eines Nachsinnens ist, welches ohne ein Vermögen, wie das, was wir Abstraktionsvermögen genannt haben, nicht stattfinden würde. In den Sprachen der Wilden finden sich, wie es scheint, nichtsl als Eigennamen. Es gibt in ihnen nicht einmal Begriffe der niedrigsten Art, wie z. B. der allgemeine Begriff eines Bären, sondern diese Begriffe sind immer dergestalt mit individuellen Bestimmungen behaftet, daß man deutlich sieht, daß sich diese Völker sich durchaus nichts anderes vorstellen können, als das Konkrete, das vor ihnen steht, und herumwandelt, das sie sehen, fühlen, mit dem sie sich schlagen, das sie aufessen oder doch zu irgendeinem Leibes- und Lebensbedürfnis gebrauchen können. Mit dem allgemeinen Begriff des Bären ist nichts dieser Art anzufangen, dieser ist nur eine Spur im Gehirn, ein totes Kapital. Aber dieser Bär da, den er vor sich sieht, ist etwas, er ist das ens omnimodo determinatum [absolut bestimmte Sein - wp], mit dem sich weiter sprechen läßt. Diesen benennt er; ist er groß, feist, zottig, so gibt er ihm einen Namen, der eine große, feiste, zottige Gestalt mit der Bärenbildung bezeichnet; ist er jung und klein, so erhält er nach diesen Merkmalen einen anderen, jenem ganz unähnlichen und durch keine Ähnlichkeit des Stammwortes oder der Biegung mit ihm verwandten Namen. Es gibt daher in diesen Sprachen nur Namen, die einen großen Bären, einen kleinen, einen alten, einen jungen, und nach den verschiedenen Kombinationen, einen großen und alten, einen jungen und kleinen, usw. bedeuten. Ein großer Reichtum an Wörter, der aber, genau besehen, die Armut selbst ist. Der Araber, der zwanzig Namen für ein Schwert hat, befindet sich offenbar auch in diesem Fall.

Sollen wir es nun nicht als ein Werk des Abstraktionsvermögens ansehen, daß wir mit Begriffen von einer weit umfassenderen Allgemeinheit versehen sind, indem wir aus den Begriffen Merkmale auslassen, die uns zwar mit ihnen zugleich gegeben waren, die wir aber, da wir sie für unsere Absicht nicht gebrauchten, selbsttätig daraus wegwarfen? Es fragt sich aber: sollen wir die Sprachfähigkeit aus dem Abstraktionsvermögen oder das Abstraktionsvermögen aus der Sprachfähigkeit ableiten? Es scheint, als müsse man das letztere tun. Die Sprachfähigkeit ist ein für sich bestehendes Grund- und Urvermögen, das sich nicht weiter ableiten noch erklären läßt. Wie es möglich ist, willkürliche Zeichen zu verstehen, läßt sich nicht begreifen, und deshalb konnten wir auch nur sagen: wir können es, das heißt aber, es ist ein Vermögen, das wir in uns entdecken, dessen Möglichkeit wir aber nicht einsehen, das heißt aber, es ist ein Grundvermögen. Hingegen ist das Abstraktionsvermögen etwas, das in Verhältnissen besteht, Modifikationen und Grade zuläßt, und zufällig ist. Da ferner, wie gezeigt wurde, wo ein Bezeichnungsvermögen, wie die Sprache, ist, die ersten Verrichtungen desselben schon, ihrer Natur nach, auf das Allgemeine gehen müssen, so ist dadurch schon der Ursprung der allgemeinen Begriffe erklärt, ohne daß wir nötig hätten, ein Vermögen aufzusuchen, welches sie haben bilden helfen.

Denn man denke ja nicht, daß jene Wörter in den Sprachen der Wilden, wahre Eigennamen sind und daß sie diese hypothetischen Bären so nennen, wie wir unsere Hunde Cartouche oder Marat rufen. Da sie unmöglich alle Eigentümlichkeiten dieses Einzelwesens kennen können, so ist der Begriff schon seiner Natur nach allgemein. Sie werden doch das Wort für diesen großen Bären nicht so lange aufsparen und zurücklegen, bis derselbe Bär einmal wiederkehrt, sondern sie werden auch einen anderen damit benennen, wenn er auch nicht so groß sein, nicht so breite Tatzen, auch wenn er eine andere Farbe haben sollte. Also ist der Begriff schon allgemein und es kommt hier nur auf ein mehr oder weniger an.

Aber warum bleiben sie denn innerhalb dieser Grenzen stehen und gehen nicht weiter? Daran ist ohne Zweifel die Unbildsamkeit ihrer Sprache schuld. Hat man nicht vom Einfluß der Sprache auf die Bildung der Vernunft oft genug reden gehört? Es kommt auf die Wurzelwörter, auf die Biegungs- und Ableitungsfähigkeit der Sprache, auf ihre Zusammensetzungen und Wendungen, ihre bequeme Einrichtung an, ob die Vernunft durch allgemeine und allgemeinere Begriffe weiter gebracht werden soll. Je leichter die Sprache Wörter bilden kann, desto mehr und desto allgemeinere Begriffe können gebildet werden. Und in dieser Hinsicht könnten wir immerhin sagen, daß es das Abstraktionsvermögen ist, welches die allgemeinen Begriffe bildet. Denn nun kann man begreifen, wie man, nach dem Ausdruck der Logiker, gewisse Merkmale eines Begriffes im Bewußtsein fallen lassen kann, da dafür andere, bereits fertige, aufgenommen werden können. Aber dennoch ist und bleibt es uneigentlich geredet, dieses ein Abstrahieren zu nennen. Denn wenn die Vorstellung des Allgemeinen ohne Abstraktion für sich bestehen kann, so muß es auch die Vorstellung des Allgemeineren, des Allgemeinsten. Wir, die wir eine mit allgemeinen Zeichen hinlänglich versehene Sprache haben, haben hierin nur freiere Hand, als diejenigen, deren Sprache diese Vollkommenheit entbehrt. Die Sprache dieser ist mit den ersten rohen Versuchen in der Buchdruckerkunst zu vergleichen, da die Buchstaben in Holz eingeschnitten waren, und nur für einen Endzweck dienten, unsere Sprache hingegen ist eine Druckerei mit beweglichen Lettern, die versetzt werden können, mehreren Endzwecken entsprechen und durch die mannigfaltigen Verbindungen, deren sie fähig sind, von vielfacherem Nutzen sind. (5)

Wollte man darauf bestehen, daß dergleichen Nennwörter gar keine Abstraktion ausdrücken, so ließe sich dagegen zeigen, daß, wo Nennwörter sind, durchaus Abstraktion hervorgegangen sein muß, wenn sie auch weiter nichts als Eigennamen sein sollten. Denn man wird ohne Zweifel geneigt sein, anzunehmen, daß sämtliche Zeitwörter Abstraktionen ausdrücken, denn sind nicht in Wörtern wie Gehen, Stehen, Essen, eine unendliche Menge von Vorstellungen ausgelassen worden? Sollte man nicht glauben, daß in den Sprachen derjenigen, welche gar keiner Abstraktion fähig zu sein scheinen, ein Wort für das Allgemeine: Gehen, gar nicht zu finden sein wird, sondern daß diese Sprachen diese Handlung nicht anders als mit all den Nebenumständen, durch welche nur sie wirklich werden kann, vorstellen werden? Ob es ein Mann, oder eine Frau ist, welche geht, ob sie geschwind oder langsam gehen, ob sie nach dem Nachbar oder einem Entfernten, ob auf die Jagd oder aufs Feld gehen, für diese und tausend andere Nebenumstände müßten, nach der unendlichen Mannigfaltigkeit, nach welcher sie sich kombinieren lassen, auch eine unendliche Menge von Namen vorhanden sein. Dies ist nun aber unmöglich; ein Zeitwort muß also durchaus Abstraktion ausdrücken. Denn, wenn sich auch Sprachen finden sollten, in welchen für das Gehen eines Mannes, und das Gehen einer Frau, zwei verschiedene Namen wären, und also noch etwas übrig bliebe, wovon zu abstrahieren wäre: so sieht man doch, daß darin von einer unendlichen Mengen von Vorstellungen wirklich abstrahiert worden ist, daß der Unterschied nur in einem Mehr oder Weniger besteht, und daß man allen Grund hat, zu glauben, daß, wenn sich das Abstraktionsvermögen bei den Sprechenden noch mehr ausgebildet haben wird, auch jene Umstände weggelassen, und der allgemeine Begriff des Gehens sich hervortun wird. Nun finden sich doch aber Sprachen, wie die der Huronen und Irokesen, in welchen das Zeitwort alles ist, und sonach müßten es diese Völker in der Kunst zu abstrahieren außerordentlich weit gebracht haben. Nun versichert uns derselbe Schriftsteller, welcher uns berichtet, daß in jenen Sprachen alles durch Zeitwörter gebildet wird, daß Menschen, Flüsse, Berge mit Namen belegt sind. Das scheint nun aber jener Behauptung zu widersprechen, in der Tat aber ist beides sehr gut miteinander zu vereinigen. Sie bezeichnen nämlich ohne Zweifel jene Gegenstände nach Handlungen, und benennen diesen oder jenen Menschen: er stammelt, der Fluß: er rauscht, der Berg: er dampft. So sind also diese Benennungen zwar ursprünglich Zeitwörter, allein dem Redenden selbst scheinen sie schwerlich nicht mehr solche zu sein, sondern nur die Neuheit, und seine Kenntnis der Grammatik läßt sie den beobachtenden Europäer in diesem Licht sehen. Und ist in diesen Nennwörtern nicht die Abstraktion sichtbar, welche, wie man will, sich bei der Bildung aller Nennwörter tätig bewiesen haben soll? Auf diese Weise werden nun auch jene Benennungen für einen großen oder kleinen Bären entstanden sein, und so sind sie mit diesen in eine Klasse zu setzen.

Wie der Wilde eigentlich diese Worte versteht, ist beinahe unmöglich einzusehen. Soviel ist gewiß, sie sind ihm ganz etwas anderes, als sie uns erscheinen, wenn wir sie in unseren Sprachen ausdrücken wollen. Wir können immerhin sagen: der Karaibe hat für: "einen Stein sehen" und "einen Menschen sehen", zwei einander ganz unähnliche Wörter, aber eigentlich zu reden, kann man nicht behaupten, dieses Wort heißt einen Stein sehen, und dieses, einen Menschen sehen. Woher sollten wir denn das wissen können? Kennen wir die Empfindung, die diese Ausdrücke bei ihm begleiten, wissen wir, was er eigentlich dabei denkt? Es ist ganz unmöglich, je zu entdecken, was jene Zeichen zunächst und unmittelbar eigentlich ausdrücken. Alles, was wir wissen können, ist, dieses Zeichen wird in dieser, jenes bei jener Gelegenheit gebraucht, ihre eigentliche Bedeutung aber bleibt uns verborgen.

Um dieses einigermaßen zu erläutern, wollen wir einige Bedeutungen aufstellen, die jene Ausdrücke möglicherweise haben könnten. Vor allen Dingen stelle man sich ja nicht vor, daß der Begriff des Sehens, so wie wir ihn denken, in ihnen enthalten sein muß. Wir wollen es wagen, einmal selsbt zur Erläuterung die kauderwelsche Sprache anzunehmen, in welcher, wie es auch nicht anders möglich ist, jene Redensarten, wenn ihnen eine Bedeutung in den gebildeteren Sprachen untergelegt wird, zu erscheinen pflegen. Einen Eindruck durch den Gesichtssinn einnehmen, soll der Wilde einmal mit dem Ausdruck: einziehen bezeichnen, ihn zum erstenmal bei der Einwirkung des Sonnenlichts gebraucht, und auf andere Gegenstände übertragen haben. Was er sieht, zieht er ein. (Vielleicht daß das Sehen in unserer Sprache ursprünglich eben dieses sagt.) Ist dieser Gegenstand ein Stein, so wird, nach der natürlichen Übertragung der Eindrücke des einen Sinnes auf den anderen, die Härte, die er bei der Betastung des Steins gefühlt hat, auch das Sehen desselben zu begleiten scheinen, und so würde er sagen: ich ziehe hart ein, welches wir dann für: ich sehe einen Stein, annehmen, obgleich es etwas anderes bedeutet. Der Anblick eines Menschen ist für ihn entweder mit Freude oder mit Furcht verbunden, und so heißt dann: ich sehe einen Menschen, entweder: ich freue mich, oder: ich rüste mich.

Wir sehen hier glücklicherweise die erste Spur, die uns auf die Entdeckung desjenigen leiten kann, was bei dieser Bildung der allgemeinen und abstrakten Begriffe einer Tätigkeit des Abstraktionsvermögens zugeschrieben wird. Der Name "er stammelt", zur Bezeichnung eines bestimmten Menschen gebraucht, beweist schon, so wenig man ihn auch für einen sogenannten abstrakten Begriff ausgeben wird, dennoch eben dieselbe Tätigkeit, durch welche die abstraktesten und von allen sinnlichen Beimischungen gänzlich gereinigten Begriffe entstanden sind. Dieser Ausdrück bezeichnet nämlich ursprünglich eine Begebenheit, die in einer gegenwärtigen Zeit vorgeht, so wie wir, wenn wir von einem Pferd sagen: es läuft, zu verstehen geben wollen, daß es gerade jetzt, in diesem Augenblick läuft. Allein wir sehen, daß jener Ausdruck diese Bedeutung gänzlich verloren hat, denn der Mensch, den man damit bezeichnet, mag reden oder schweigen, schlafen oder wachen, so wird er nichtsdestoweniger mit diesem Namen genannt werden, obgleich er jetzt in diesem Augenblick (in actu) wirklich nicht stammelt. Wir lernen hier also ein Vermögen des Gemüts kennen, welches für unsere Untersuchung den eigentliche Aufschluß gibt, und darin besteht, einem Ausdruck, der uns einen bestimmteren Sinn aufdrängen will, einen anderen unterschieben, und uns denselben zur Gelegenheit dienen zu lassen etwas vorzustellen, wovon er an und für sich keinen Begriff gab. Auf diese Weise steigt die Seele zu den abstraktesten Vorstellungen, und sieht die Worte nur als einen Notbehelf an, dessen sie nicht entbehren kann, ohne sich jedoch von ihnen vorschreiben zu lassen, was und inwiefern sie vorstellen soll. Diesen sinnlichen Ursprung haben alle die sogenannten abstrakten Begriffe gehabt, und selbst derjenige unter ihnen, welcher dei höchste Abstraktion ausdrücken soll, nämlich der Begriff des Seins, kann sich keines besseren rühmen. Es ist jetzt ausgemacht, daß das: Ich bin, ursprünglich nichts anderes hieß, als: ich nähre mich. So sehen wir dann auf einmal, worin das Geheimnis der abstrakten Begriffe eigentlich besteht. Sie waren ursprünglich nichts anderes als Zeichen für etwas durch die Sinne Wahrnehmbares. Die Vorstellung, die das Zeichen begleitete, ließ, je öfter sie durch das Zeichen geweckt, je schneller sie von anderen Zeichen verdrängt wurde, ein sinnliches Merkmal nach dem andern weg, und man kann mit stärkerem Grund behaupten, daß man sie nach und nach vergessen hat, als daß sie durch eine selbsttätige Handlung des Gemüts willkürlich aus dem Gesichtskreis gerückt wurden.

BERKELEY leugnete die Möglichkeit der abstrakten Begriffe, suchte zu zeigen, daß sie in der Tat nichts vorstellen und wollte uns sogar glauben machen, daß es nicht die Bestimmung der Wörter ist, Vorstellungen zu erwecken. Sie könnten, meinte er, auch wohl bestimmt sein, gewisse leidliche Bewegungen des Gemüts hervorzubringen, und uns dadurch zur Veranlassung dienen, gewisse Handlungen zu einem gewissen Zweck hinzurichten. Allein müßte dieser Zweck denn nicht vorgestellt werden? In der Tat würde die Sprache, wenn sie das bewirken sollte, was BERKELEY verlangt, nämlich den Gegenstand, den ein gewisses Wort bezeichnet, so vorzustellen, als wenn wir ihn mit Augen sehen, gar nicht Sprache sein. Denn gerade in dem Vermögen auf jene Weise vorzustellen, besteht ja die Sprachfähigkeit, welche gerade deshalb ein Vermögen heißt, weil sie nicht weiter abgeleitet, und aus einem höheren Grund begreiflich gemacht werden kann.

So ist also, was den Ursprung betrifft, kein Unterschied zwischen allgemeinen und abstrakten Begriffen, wiewohl gewisse Begriffe, welche man nach diesen Benennungen unterscheidet, allerdings in logischer Hinsicht verschieden sind. Alle Begriffe sind allgemein, und werden immer allgemeiner, je mehr gesprochen wird, und je mehr die Kenntnisse fortschreiten. Es ist daher unmöglich, einen Begriffe für alle künftigen Zeiten zu bestimmen. So nennt man eine von selbst erfolgende Veränderung in der Mischung organischer Körper Gärung. Da aber auch verschiedene unorganische Körper diese von selbst erfolgende Zerstörung ihrer Mischung erfahren, wie es z. B. beim Verwittern von Kies, beim Rosten unedler Metalle der Fall ist, so bemerkt GREN, daß man diesen Namen billig zur allgemeinen Bezeichnung dieser von selbst sich ereignenden Mischungsveränderung gebrauchen soll, der Natur und dem Gang der Sprache und der Fortbildung der Begriffe vollkommen angemessen.

Wir sind in Bestreitung der Meinung, daß die allgemeinen Begriffe durch Abstraktion entstanden sind, deshalb so ausführlich gewesen, damit unsere Bemühung, eine bisher zu wenig bemerkte Eigenschaft unseres Erkenntnisvermögens, in einem helleren Licht zu zeigen nicht gleich anfänglich durch die gewöhnliche Vorstellung des Abstraktionsvermögens möchte vereitelt werden. Man würde nur geglaubt haben, es sei auch hier nur jenes Aufklimmen unter Begriffen gemeint, bei welchem, wie die Logiker versichern, das Abstraktionsvermögen so hoch, so hoch steigt, bis es endlich die höchste Stufe erstiegen hat und sich des Begriffs eines Dings bemeistert hat. Da sie ferner versichern, daß es, wenn es diese Stufe erreicht hat, nicht weiter kann, sondern still stehen muß, so möchte man glauben, daß wir ein Mittel ausfindig gemacht hätten, das Abstraktionsvermögen selbst noch von dieser Stufe aus, den Leitertanz fortsetzen zu lassen. Allein wir haben hier nichts mit dem Verallgemeinern der Vorstellungen zu tun, wir wollen nicht zeigen, wie man durch eine noch allgemeinere Vorstellung des Allgemeinen auf die Erkenntnis der Wahrheit geführt werden kann, sondern wir wollen zeigen, wie man eine ganz andere Vorstellung von Gegenständen haben kann, als wir zu haben pflegen, und daß man gewisse Gegenstände nur dann nach ihrem Wesen erkennen kann, wenn man sie auf eine andere Art vorstellt, als man von Kindheit auf, sie vorzustellen gelehrt worden ist.

Es gibt eine Tätigkeit des Geistes, wozu das Vermögen ganz eigentlich in der Abstraktion zu suchen ist, welche aber dennoch nicht diejenige ist, wovon hier gehandelt werden soll. Dieses Vermögen, oder vielmehr diese Kraft, besteht in einer Herrschaft über die Verbindung und Zusammengesellung der Vorstellungen, die wir vermöge derselben willkürlich aufheben. Es ist eine natürliche Bedingung des Vorstellungsvermögens, einen Gegenstand, oder eine Begebenheit zugleich mit den Nebenumständen vorzustellen, die sie begleiteten, und diese Verbindung wird so stark, daß wir, selbst wenn diese Nebenumstände weggefallen sind, dennoch den Gegenstand nicht anders, als mit ihnen noch umgeben, vorstellen können. Denken wir uns den Fall, die Franzosen hätten unglücklichen LUDWIG, statt ihn zu ermorden, aus dem Reich vertrieben, oder er wäre mit einigen Personen aus seinem ehemaligen Hofstaat etwa auf eine bis dahin unbewohnte Insel versetzt worden, so würden seine Begleiter ihn, obgleich er jetzt nicht anders wäre, als sie selbst sind, wahrscheinlich doch noch immer als ihren König betrachtet, und ihm dieselben Ehrenbezeigungen, als vorhin, erwiesen haben. Dieses wäre dann nicht anders, als die Folge jener Einrichtung unseres Vorstellungsvermögens, indem uns die Kette der Assoziationen selbst mit fortzieht. Dieser Punkt ist sehr wichtig, nicht allein für die Seelenlehre, sondern selbst für die Tugendlehre. Wenn diese Bemerkung einmal von einem Menschen gemacht wird, der sonst nicht philosophiert: so kann sie der Grund eines gefährlichen und verstockten moralischen Skeptizismus werden, der zuletzt in eine entschiedene Verleugnung aller natürlichen Verbindlichkeit ausarten muß. Nicht bloß, um eine Erscheinung, die von so entscheidenden Folgen ist, ihrer Wichtigkeit wegen, auch wenn sie uns nur gelegentlich aufstößt, nicht vorbeizulassen, sondern weil sie mit unserer eigentlichen Untersuchung genau zusammenhängt, wollen wir hier etwas länger bei ihr verweilen.

Es scheint auf den ersten Anblick in der Tat, als ob bloß die notwendige Folge der Vorstellungen der Menschen zu allen seinen Handlungen bestimmt, und als ob schon deswegen der Begriff der Freiheit leer ist, weil es keinen Sinn hat, Vorstellungen selbsttätig hervorzubringen, und sein eigenes Wollen zu wollen. Schon deshalb würde eine genaue Untersuchung des Abstraktionsvermögens verdienstlich sein, weil, wenn entdeckt worden ist, daß wir diese Reihe von Vorstellungen auf irgendeine Weise durch Abstraktion verändern können, die Erklärung dieses Vermögens uns allein die Möglichkeit der Freiheit würde zeigen können, welche sonst ein Unding bliebe.

Diese Bedingung der Vorstellung zeigt sich nun nicht allein im menschlichen Vorstellungsvermögen, sondern im tierischen überhaupt, allein dennoch mit einem merkwürdigen Unterschied.

Die Vorstellungen der Tiere hängen so ganz und gar davon ab, daß sie selbst nichts anderes sind, als durch diese unerklärliche Kraft mechanisch fortgetriebene Organisationen. Deshalb sind bei den Tieren alle sinnlichen Vorstellungen und alle sinnlichen Verbindungen derselben weit stärker als beim Menschen, und man hat daher geglaubt, den Tieren einige Seelenkräfte, z. B. das Gedächtnis und Erinnerungsvermögen in einer größeren Vollkommenheit, als sie bei den Menschen haben, beilegen zu müssen. Allein es ist im Gegenteil gerade eine Vollkommenheit des Menschen oder das Zeichen einer Fähigkeit, seine Anlagen höher zu treiben, das ihm sehr erfreulich sein muß. Denn wenn wir diese scheinbare Vollkommenheit näher betrachten: so finden wir, daß sie auf der Beschaffenheit der Vorstellungen beruth, da die eine notwendigerweise die andere nach sich zieht, die mit ihr verbunden gewesen ist. Daß der Mensch nun dieser Notwendigkeit Einhalt tun, daß er diese scheinbare Vollkommenheit verlernen kann, dazu muß irgendein Grund vorhanden sein, auf den, so unbekannt er auch immer ist, wir dringende Ursache haben, für erst nur immer hinzuweisen, wenn man uns zeigen sollte, entweder, aus Unbekanntschaft mit jenen Bedingungen der tierischen Vorstellung, daß wir gewisse Tugenden, die die Tiere haben sollen, durch eine Schuld der vorwitzigen Vernunft nicht besitzen, oder, nach einer richtigen Einsicht in die Natur des Vorstellungsvermögens, daß sich aus der offenbaren Falschheit einiger sogenannter Tugenden, eine starke Vermutung für die Falschheit oder wenigstens Zufälligkeit aller menschlichen Tugenden ergibt.

So nennt man gewisse aus dieser Beschaffenheit des Vorstellungsvermögens notwendig fließende Folgen beim Hund, Treue und Dankbarkeit. Namen menschlicher Tugenden, die, wenn sie aus dieser Quelle fließen sollten, diesen Namen nicht verdienen würden. Diese sogenannte Treue ist weiter nichts, als die Gewohnheit an gewisse Eindrücke, die das Tier fortdauernd und in derselben Verbindung haben will. Der Hund ist nicht bloß seinem Herrn treu, sondern seiner Schüssel, seinem Lager, dem Loch, in dem er liegt. Wenn dieses Treue heißen soll: so müssen wir sagen, daß jener sonderbare Mensch, der nie tanzen konnte, als wenn er den Koffer, der in seinem Zimmer stand, als er Tanzen lernte, vor Augen hatte, eine große Treue gegen diesen Koffer bewiesen hat. Ebenso ist diese sogenannte Dankbarkeit weiter nichts, als die bei der Erblickung einer Person plötzlich rege gewordene Vorstellung alles des Angenehmen, das er in seiner Gegenwart genossen hatte. Das Schmeicheln und Liebkosen, das wir als Bezeugung seiner Dankbarkeit auslegen, ist nichts, als die frohe Erwartung, daß da dieser Eindruck da ist, die andern von selbst nachfolgen werden.

Nun ist offenbar die Treue und Dankbarkeit beim rohen Naturmenschen, so sauer uns auch dieses Geständnis ankommen mag, nichts anderes, als eben dieses. Die Tat des Negers, der lieber sich selbst umbrachte, als daß er an seinen unmenschlichen Herrn, der den Tod vollkommen verdiente hatte, diese Rache nahm, erklärt sich aus den Beobachungen, welche gezeigt haben, daß der Mensch oft sein ganzes Leben als nichtig ansieht, und zur Verzweiflung gebracht wird, die zum Selbstmord führt, wenn ihm plötzlich die Eindrücke entrisssen werden, deren fortdauernder Einfluß sein ganzes innerstes Wesen bestimmt und gleichsam geschaffen hatte.

So war jener unglückliche Sklave an ein solches Verhältnis zu seinem Herrn gewöhnt, das ihm die Richtung für seine Tätigkeit und die damit verbundenen Empfindungen und Gefühle, ein für allemal bestimmt hatte. Die völlige Umkehrung dieses Verhältnisses, und das wiederholte vergebliche Bemühen, dasselbe wieder herzustellen, riß ihn aus sich selbst heraus, und brachte ihn zu einer Tat, die dem Nachdenkenden den Ausruf auspreßt, den er oft vergeblich unterdrückt: wie ist doch alles so eitel!

Nun scheint es, als ob, wenn jene Notwendigkeit in der Verbindung der Vorstellungen wegfiele, diese sogenannten Tugenden auch wegfallen müßten. Das selbsttätige Aufheben jener Notwendigkeit ist nun nichts anderes als Abstraktion. Die Befreiung von Vorurteilen geschieht auf diese Weise. Es scheint also, wenn Menschen, welche eine gewisse Stärke des Abstraktionsvermögens besitzen, den Glauben an die Tugend mit vielen anderen Vorurteilen zugleich ablegen müßten, ohne daß ein vernünftiger Mensch irgendetwas dagegen sollte einwenden können.

Denn es sind nicht allein jene als Beispiel aufgeführten Tugenden der Treue und Dankbarkeit, die sich auf diese Weise erklären lassen, der Begriff der Pflicht selbst kann auf diese Weise wegvernünftelt werden, und daß man es mit dem Begriff Recht ganz ernsthaft damit wirklich versucht hat, ist aus der Geschichte der Philosophie bekannt.

Der Philosoph muß sich durchaus auf diese Gründe einlassen, und schlimm für ihn, wenn er sich bloß auf das Gefühl unserer Verbindlichkeit berufen kann. Er muß vielmehr mit den Zweiflern von ihren Gründen selbst ausgehen, und nachdem er sie noch weiter geführt, und mit ihnen in diesen Abstraktionen (denn in der Tat ist es nicht anders) um die Wette herumgegangen ist, sie zuletzt durch eben dasselbe Vermögen wieder an die Vorstellungen heften, welches sie davon losgerissen hatte.

Ein französischer Schriftsteller sagt, bei Erwähnung der Verderbtheit der Sitten, die seine Nation bei der Revolution zeigt, daß man bei den morschen und baufälligen Systemen der Moral, die ihre Philosophen aufgestellt haben, nichts anderes als eine völlige Aufkündigung aller Moralität habe erwarten können. Allerdings war die Aufklärung, in der sich dieses Volk, selsbt als Volk befand, der halbschlächtigen Wahrhein in den moralischen Systemen ihrer Schriftsteller zu weit vorangegangen ist, als daß sie sich von diesen Lehrern, die sie übersahen, hätten sollen zurückrufen lassen. Bei diesem Volk war diese Ablösung der Vorurteile Erziehung und national, sie waren auf der Stufe, auf welcher jedes Volk, früher oder später, einmal kommen muß, wo es denn, wenn sich nicht gerade ein System findet, welches, nach reifer Überlegung all dieser Zweifel, das Bezweifelte in Schutz nehmen und den vom moralischen Instinkt Entbundenen mit neuen Ansichten entgegenkommen kann, in einer moralischen Verdorbenheit oder einer ebenso schlimmen Gleichgültigkeit eine Zeitlang beharren muß. Wenn man also jene Zweifel noch früher bekannt macht, als die Meinung des Volkes selbst darauf verfallen ist, so ist das ebensowenig zu verwerfen, als wenn man dem Kind die Pocken einimpft, damit sich das Gift früher hervortut, und man die Krisis bequemer abwarten kann.

Wenn es nun, wie wir gezeigt haben, wirklich nichts anderes als Abstraktion ist, welches jene sogenannte Vorurteilslosigkeit hervorgebracht hat, so können wir diesem Vermögen, das sich einmal in Wirksamkeit gesetzt, doch nicht die Grenzen bestimmen, wie weit es wirksam sein kann. Man kann also mit gutem Recht erwarten, daß es so hoch steigen wird, daß es, durch eine neue Ansicht, zu dem Glauben, den es verleugnet hatte, wiederum zurückkehrt.

Lasset uns annehmen, daß jener Neger seinen Zustand auf Einmal richtiger beurteilen gelernt hat, daß er die psychologischen Gründe seines Unmuts entdeckt, und sich von der Treue gegen seinen nichtswürdigen Herrn, als einer tierischen Anhänglichkeit, losgemacht hat. All das tut er durch eine Handlung der Abstraktion und er kann dabei ein ebenso guter Mensch bleiben, als er vorher war. Allein die Unzufriedenheit mit seinem Zustand, dessen Schreckliches ihm jetzt erst recht einleuchtet, läßt in ihm den Entschluß rege werden, sich das Leben zu nehmen. Nun behaupten wir, daß er auch von dieser Handlung eine solche Ansicht durch Abstraktion erlangen kann, daß, wenn er die Empfindung, die diese Ansicht begleitet, in einem Satz ausdrücken sollte, er geradeso sagen würde, als KANT, daß eine Empfindung, die die Natur bestimmt hat, das Leben zu erhalten, nicht dazu dienen soll, dasselbe zu zerstören.

Hier ist nun der Ort, wo wir für unsere Untersuchung am Besten zu stehen glauben. Daß dieser schwarze, kraushaarige, großmäulige Bube einen Beweis nach kritischer Lehrart formieren, daß er den Entschluß, sich das Leben zu nehmen, fahren lassen soll, sobald er eingesehen hat, daß der berühmte Satz des Widerspruchs darunter leiden wird: das ist wohl Etwas, worüber man erstaunen muß. Aber es ist auch unsere Absicht gewesen, den Leser recht eigentlich vor den Kopf zu stoßen, und wenn es uns nur gelungen ist, ihn zu erschrecken, so werden wir glauben, unsere Absicht schon halb erreicht zu haben.

Denn freilich, wenn man denkt, daß jener Satz nicht anders, als in Worte eingekleidet, da sein kann, und daß er in dieser Gestalt dargeboten, wie eine Arznei augenblicklich wirken muß, sobald er nur verstanden wurde, so ist dies eine Begebenheit, die ebenso undenkbar ist, als die beste Hexerei. Allein man denke nur, daß jenem Satz etwas in der Seele dessen der ihn bildet, entsprechen muß, was kein Satz ist, und nicht in Worte eingekleidet werden kann, und daß, wenn dieses Unkörperliche in einen Satz eingekörpert wurde, es etwas anderes ist, den Satz, insofern er nichts als Wörter enthält, zu verstehen, ein anderes, über diese Wörter, als Wörter, wegzusehen und sich in die Ansicht, die Stimmung, das Gefühl, oder wie man es nennen will, zu versetzen, welches, verheimlicht, in jener Gestalt erschienen ist.

Unser eigentliches Geschäft in dieser Untersuchung ist nun, diese zu fest gewordene Gewöhnung an nichts als symbolische Vorstellungen, zu erschüttern, und dadurch die übrigen vorstellenden Vermögen in ein freieres Spiel zu setzen. Durch die Gewohnheit, zu sprechen und sprechen zu hören, durch die beständigen Übungen des Lesens und Schreibens, hat diese Vorstellungsart ein solches Übergewicht über die andern erhalten, daß die meisten Menschen nicht anders als symbolisch, oder dem Symbolischen analog, vorstellen können, ja, viele können sich es nicht denken, daß dies nicht die einzige Art, vorzustellen, sein soll, und glauben, wenn man ihnen von einem anderen, diesem entgegengesetzten Vermögen redet, daß man sie zu Mystikern machen und ihnen zeigen will, wie sie sich in dei geheime innere Anschauung versetzen sollen.

Der sehr achtungswürdige berühmte Philosoph, der in neueren Zeiten den Mystizismus in Schutz genommen hat, scheint nichts anderes als die Bemerkung vor Augen gehabt zu haben, daß der redende Mensch, der Mensch, der durch das Sprachgitter durchsieht, noch nicht der ganze Mensch ist, und daß es ein besseres Wesen desselben geben muß, welches wir nicht kennen, wovon wir uns aber doch nach Analogie des erscheinenden Menschen eine Vorstellung machen können. So sagt auch ein philosophischer Dichter sehr schön:
    "Spricht die Seele, so spricht auch schon
    die Seele nicht mehr.
Diese Philosophie ist sehr achtenswert und hat das große Verdienst, die enge eingeschränkte Ansicht der menschlichen Natur aufzuheben, und die Seele zu einer freien erhabenen Tätigkeit zu wecken. Allein sie tut sich selbst Unrecht, wenn sie sich Mystizismus nennt. Das Eine setzt das Andere voraus, der Mensch muß erscheinen, und insofern ist er nichts absolut Inneres. Daran müssen wir uns begnügen, und wir können dieses Verhältnis mit keinem Grund als etwas Geheimnisvolles und Räteselhaftes ansehen.

Wir wollen nun, um dieses Vermögen der Abstraktion vorläufig zu erklären, in einem Beispiel zeigen, wie die symbolische Vorstellung vernichtet wird und an ihrer Stelle eine ganz andere eintritt. Es soll dies aber nicht als eine Handlung des Abstraktionsvermögens angesehen werden. Wir wollen nur damit dem auf der Sandbank von Wörtern und analytischen Begriffen festsitzenden empirischen Verstand den ersten Stoß geben, um ihn, wenn wir ihn auf diese Weise flott gemacht haben werden, mit vollen Segeln durch Steuermannskunst weiter zu bringen.

Man denke sich den Fall, daß ein Mensch, der auf eienr steinigen unfruchtbaren Insel, auf welcher kein Baum vorkommt und wo er nichts als Moos und niedriges Gesträuch gesehen hat, erzogen und geboren ist, diese Insel verläßt und auf dem festen Land den ersten Baum erblickt. Dies ist ein Gegenstand, für den er kein Wort hat, als das allgemeine: Gewächs, oder Pflanze. Wie wird ihm nun dieser Gegesntand vorkommen? Als eine außerordentlich große Pflanze, welche Erstauenen erregt. Daß uns der Gegenstand nicht auch so vorkommt, daran ist nicht die Gewohnheit allein, sondern das Wort Baum schuld. Wir Anderen finden das Erstaunen des Fremden sonderbar; freilich ist es eine sehr große Pflanze, dafür ist es aber auch ein Baum, meinen wir. Hier ist es recht sichtbar, wie die Vorstellung durch das Symbol unser geistiges Wesen fesselt und bindet, und es so sehr nach einer Seite hinzieht, daß ihm jede andere Ansicht unmöglich gemacht wird. Hier ist nun freilich der Schaden so groß nicht, aber in der Philosophie, die größtenteils in neuen Ansichten besteht, besonders in der praktischen, die eine Wiedergeburt unseres ganzen vorstellenden Wesens erfordert, ist der Schaden umso beträchtlicher. Das Symbol, welches nur ein Reizmittel für die geistige Tätigkeit sein soll, und eigentlich zu reden, nicht einem Vorstellungen, sondern nur die Möglichkeit zu Vorstellungen aufregt, hat, durch den öfteren Gebrauch, unser geistes Wesen beinahe in ein Vorratshaus halbvollendeter, unausgemalter Bilder verwandelt, die, auf seine Veranlassung, in unnennbarer Geschwindigkeit hervortreten und wieder untergehen. Außer der unendlichen Menge symbolischer Irrtümer, die dadurch entstehen, worüber die Philosophen so oft geklagt, und die zu der Behauptung berechtigen, daß von dem, was auch der gescheiteste Mensch spricht, zumindest die Hälfte Unsinn ist, hat es noch den Nachteil, daß selbst Philosophen mehr nach Worten als nach wirklichen Vorstellungen denken, und daß die Menschen gewöhnlicherweise keinen besseren Gebraucht von den Wörtern machen, als die Papageien. Der Psittacismus [Nachahmung, Wiederholung - wp], von welchem einige Philosophen gesprochen haben, scheint mehr zur Satire, als zur eigentlichen Untersuchung aufgeführt worden zu sein, indessen ist es wirklich damit ernsthaft gemeint, und er verdiente noch immer eine ausführliche Untersuchung.

Auf diese Weise, wollen nun die Leute, soll philosophiert, soll Philosophie vorgetragen werden. Sie sind böse, daß KANT so dunkel ist und verlangen, daß die kritische Philosophie popularisiert werden soll. Deutliche Erklärungen, z. B. über Raum und Zeit, sollen vorangeschickt werden, daß Raum und Zeit nicht den Dingen ansich zuommt, usw. Wenn dies nicht geschieht, so drohen sie, wollen sie sich nicht um sie bekümmern, sondern sie wollen sie bis dahin, wo nicht als ein Geschwätz, bei dem sich der Urheber selbst nicht verstanden, doch zumindest als unfruchtbare Grillen betrachten, bei welchen nichts herauskommt. Man sieht, diese Leute wollen sich bloß etwas erzählen lassen, der kritische Philosoph soll sie unterhalten, aber mit ihm zu denken sind sie nicht gewillt. Sie wollen, man soll Worte auf solche Weise zusammenstellen, daß, wenn sie die Worte verstehen, sie auch verstehen, was gemeint ist. Das ist aber unmöglich. Durch Definitionen kommt man hier nicht aus der Stelle. Denn in einer Definition sollen, wie die Logiker selbst sagen, Merkmale angegeben werden, die, jedes für sich, bekannter sind, als das Definierte, deren Verbindung in eine solche Einheit aber, wie es das Definierte darstellt, unbekannt war. Dies ist sehr richtig und gut gesagt, und die Logiker bestätigen hier selbst, was wir oben behaupteten, daß nämlich alle Definitionen, die durch Worte vollkommen ausgedrückt werden können, Nominaldefinitionen sind. Wie kann man nun aber wohl hoffen, daß man durch Nominaldefinitionen über das Wesen des Raumes wird belehrt werden können?

Wir wollen noch einmal nach unserem Beispiel zurückkehren, wodurch wir weiter nichts, als die Natur der symbolischen Vorstellung und die Möglichkeit, sich davon loszumachen, haben zeigen wollen. Man bemühe sich einmal, sich in die Vorstellung des Insulaners, der den Baum als eine große Pflanze ansah, ganz hineinzustellen. Denkt man dabei wohl an einen Baum? Hat man nicht eine ganz neue Vorstellung? Nun höre man plötzlich das Wort Baum nennen, was wird geschehen? Die Vorstellung wird geschwind weggerückt werden und dafür wird etwas anderes in die Stelle gesetzt werden, eine Vorstellung zwar, die doch aber, wie es scheint, in Vergleichung mit der, welche man hatte, keine ist. Man kann das Wort Baum hören, ohne sich einen Baum vorzustellen, und es doch vollkommen verstehen. Dies ist eigentlich das symbolische Vorstellen. So kann man eine ganze Geschichte hören, in welcher hunderterlei Gegenstände vorkommen, man kann diese ganze Geschichte vollkommen verstanden haben, ohne einen dieser Gegenstände wirklich vorgestellt zu haben. Das hindert aber nicht, daß wir dieses Verstehen nicht ein Vorstellen nennen sollten.

Wenn man nun auf diese Weise die Wörter ganz beiseite legt, und ohne Wörter denkt, so ist dies die eigentliche Abstraktion. Aber, was wohl zu merken ist, man muß nicht bloß den durch das Wort bezeichneten Gegenstand deutlich vorstellen, wie das der Fall sein würde, wenn man das Verstehen des Wortes Baum in ein Vorstellen des Gegenstandes verwandelte, sondern man muß von diesem Gegenstand eine ganz andere Ansicht haben.

In der Tat findet diese Abstraktion bei jedem ernsthaften Nachdenken statt, und das eigentlich abstrakte Denken ist ganz ohne Worte. Wahrheit und Irrtum hören hier auf, und haben keine Bedeutung mehr. Wahr oder falsch sind nur Sätze, die Abstraktion hat als solche mit Sätzen nichts zu tun, sie liefert uns nicht Zeichen und Bilder der Dinge, sondern sie zeigt uns das Wesen der Dinge, ja, sie ist dieses Wesen selbst.

Ein Gegenstand, durch Abstraktion vorgestellt, ist die Realdefinition desselben, wenn man diese Abstraktion durch Worte ausdrückt. Dergleichen Realdefinitionen können nicht, wie die nominalen, verstanden werden, sie müssen eingesehen werden. Die Wörter müssen hier ganz im Bewußtsein verschwinden, die Seele muß in ein Anschauen des Gegenstandes verwandelt werden.

In diesen Definitionen muß der Begriffe des Definitums ganz verschwinden, und dafür der Begriff des Definierten eintreten. Das Definierte und die Definition sind hier zwei verschiedene Begriffe. Dies ist nicht so in den Nominaldefinitionen; hier bleibt der Begriff derselbe, das Definierte und die Definition sind ein und dasselbe Ding. In den Realdefinitionen hingegen soll ein Begriff mit einem anderen vertauscht, ein Begriff soll in den anderen verwandelt werden. Man soll von einer Sache, die man schon längst kennt, eine ganz andere Ansicht erhalten, und die Empfindung, welche die Vorstellung davon begleitet, soll gänzlich verschwinden, und einer anderen Platz machen.

Man könnte sagen, wenn diese Abstraktion auf einen Satz gebracht werden soll, so ist die Form dieses Satzes: a ist nicht a. Was a ist, wird nicht bestimmt, und kann nicht bestimmt werden. Denn eigentlich heißt der Satz, bejahend ausgedrückt: dieser Gegenstand ist diese Vorstellung. In Nominaldefinitionen heißt es: a ist b, oder: dieser Gegenstand in ein solcher Gegenstand.

Wie soll man aber zu einer solchen Vorstellung gelangen, auf welche, wie es scheint, nichts führen, zu welcher gar keine Anleitung gegeben werden kann? Das kann ebensowenig gezeigt werden, als wie ein Kopf mehr, der andere weniger zur Wahrheit organisiert sein kann. Liebt die Wahrheit, forscht emsig mit Geduld, so werdet ihr sie finden. Wer in Wahrheit von sich sagen kann:
    Quid verum atque decens curo et rogo,
    et totus in hoc sum
    [Meine Fürsorge und mein Studium gilt dem,
    was wahr ist und wahr sein wird und darin gehe
    ich vollkommen auf. - wp]
    ,
in dem wird dieses Vermögen von selbst tätig werden. Jeder Mensch besitzt es. Beim sogenannten gemeinen mann kann man es oft in seiner ganzen Wirksamkeit sehen, wenn die Philosophen nur auch hier abstrahieren wollten, und über Nebendinge (den groben Rock, die unfeine Sprache) hinwegsehen könnten. Man hört oft von einem solchen Menschen, wenn eine äußere Veranlassung, die ein großes Interesse in ihm erregt, und wobei seine Seele von einem Gegenstand ganz eingenommen ist, die scharfsinnigsten Bemerkungen und Reflexionen, die durch ihre Wahrheit auffallend sind. Manche unscheinbare Erfindung von einem gemeinen Handwerker zeugt von einer anhaltenden Abstraktion, da im Gegenteil die abstrakt scheinenden Systeme mancher Philosophen nichts als ein Spiel des Witzes sind und eines falschen noch dazu.

Diese Realdefinitionen können nun zwar nicht anders als durch Worte ausgedrückt werden, allein sie haben einen ganz anderen Sinn, als die Nominaldefinitionen, und können nicht wie diese beurteilt und geprüft werden. Sie geben nicht eigentlich das Wesen des Definierten an, (denn das können Wörter nicht), sondern sie deuten nur auf eine Vorstellung, in welcher dieses Wesen enthalten ist. Eine solche Definition ist sie unvollständig, bald enthält sie zufällige Merkmale, bald ist sie zu weit, bald zu eng und was dergleichen mehr ist. Daher auch die scheinbare Unvollkommenheit der Definitionen in KANTs Schriften. Diese deuten sämtlich dergleichen Vorstellungen an, welche nimmermehr in einer Definition vollkommen vor Augen gestellt werden können.

Allen Untersuchungen muß, sozusagen, eine Entfremdung von dem zu Untersuchenden vorhergegangen sein. Die Wörter machen uns mit tausend Gegenständen bekannt, deren Wesen uns dennoch verborgen bleibt, welche wir aber doch zu kennen glauben, weil ihr Eindruck uns bekannt ist, und wir uns an sie gewöhnt haben. Wer untersucht, dem ist ein bekannter Gegenstand unbekannt, oder besser, ein gewöhnlicher Gegenstand ungewöhnlich und fremd geworden. Der Eindruck kommt dem Untersuchenden neu vor, er ist in dem Zustand, als ob der Eindruck zum Erstenmal auf ihn geschähe. Diese Eigenschaft, sich durch den Anschein von Bekanntschaft, durch die Gewöhnlichkeit des Eindrucks nicht täuschen zu lassen, macht eigentlich den philosophischen Kopf aus. Durch diese Ansicht einer Sache kann man allein auf Erklärungen, auf Einsichten in das Wesen dieser Sache geführt werden. Bleibt man hingegen bei Untersuchungen im Kreis des Bekannten stehen: so bringt man nichts als eitle Nominaldefinitionen heraus, womit man sich und andere täuscht.

So ist z. B. das Lachen eine Erscheinung, die Jedermann kennt. Da diese Erscheinung also bekannt ist, was bedeutet dann wohl die Frage: Was ist das Lachen? Wer so frägt, und bei dieser Frage wirklich etwas denkt, für den muß diese Erscheinung schon etwas von ihrer Gewöhnlichkeit verloren haben. Dem Philosophen, der die Frage beantworten soll, muß diese Erscheinung schon vollkommen fremd geworden sein, und wenn er sie richtig beantwortet hat, so muß diese Antwort etwas ganz anderes ausdrücken, als das Lachen selbst. Wir wählen dieses Beispiel, weil gerade hier so viele Handlungen des Abstraktionsvermögens vorgenommen werden müssen, die Philosophen von jeher bei der Bestimmung dieses Begriffs so mannigfaltig und so sonderbar geirrt haben, und diese Definition, die KANT gegeben hat, einen Akt der Abstraktion ausdrückt, der dieses Vermögen in seiner ganzen Stärke zeigt.

Der Philosoph nun, dem das Lachen, das er erklären soll, noch immer ein Lachen bleibt, dem selbst noch ein Lächeln anwandelt, solange er seinen Gegenstand betrachtet, ja, welcher vielleicht gar glaubt, daß er die begleitenden Umstände vor Augen haben muß, weil wohl einer darunter sein muß, der ihm auf die Sprünge helfen könnte, wird sicherlich nichts anderes herausbringen, als daß das Lachen, das Lachen ist. Oder, sieht er nun vollends auf jene begleitenden Umstände, so wird er bald glauben, der Stolz, bald die Freude, bald die Torheit ist der Grund des Lachens. So werden wir dann Definitionen erhalten, welche uns sagen: die Freude (der Stolz, die Torheit) sind der Grund des Lachens. Kann aber wohl auf die Frage: was ist das Lachen? die Antwort angenommen werden: wir lachen, wenn wir lustig sind?

Ganz anders lautet es aber, wenn ein durchdringender Geist die ganze Erscheinung, ungestört von hunderterlei zufälligen Umständen, die sie umgaukeln, von Grund auf auffaßt, und durch eine ernste Abstraktion alle die Feinheiten verschwinden mach, welche, wie man versicherte, diese Untersuchung haben sollte, und welche, wie die Farben eines schillernden Opals, das Auge des lüsternen Beschauers so blendeten, daß er nicht wußte, was er eigentlich gesehen hat. "Das Lachen ist ein Affekt, aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts", sagt KANT. Es gibt vielleicht kein Beispiel, an dem man die eigentliche Penetration [Durchdringung - wp] so gut zeigen könnte, als an diesem. Es sind hier nicht Worte auf Worte gebracht, sondern eine Erscheinung, die wir nicht begreifen, ist in eine andere umgesetzt, die wir wohl begreifen. Wir begreifen nämlich diese Erscheinung, wenn wir sie uns nach ihrer Möglichkeit vorstellen, und in diesem Vorstellen ist das Lachen kein Lachen mehr, sondern nichts anderes als der Grund und das Wesen der Erscheinung, die wir so nennen. Doch ist es vergeblich, in diesen Erläuterungen fortzufahren; wer hier der Erläuterungen bedarf, den werden sie doch nicht weiter bringen.

Sieht man nun aber jene Definition als eine solche an, die nach den gewöhnlichen Regeln der (Nominal-)Definitionen geprüft werden kann: so wird man sie bald unvollkommen und unverständlich finden müssen, und hunderterlei dagegen zu erinnern haben. Das Lachen ist ein Affekt - sollte das harmlose Lachen, das oft nur eine Folge der heiteren Stimmung, die Geburt eines frohen Augenblicks ist, ein Affekt sein, und dadurch mit einem schnaubenden Zorn verbrüdert werden? sollte bei jedem Lachen eine Erwartung, und noch dazu eine gespannte Erwartung stattfinden müssen? Ich höre ein hübsches bonmot [geistreiche Bemerkung - wp], unwillkürlich wandelt mir ein Lachen an, ich sehe aber keine Erwartung, die in mir enttäuscht worden wäre. Ferner soll die Erwartung in Nichts verwandelt werden. Sonderbar! warum nicht auch in etwas Anderes? warum sollte sie nicht auch erfüllt werden können? Jener Mensch, der die Nachricht erhielt, daß er das große Los gewonnen hat, lachte vor Freude; hier war doch wohl die Erwartung nicht getäuscht, sondern erfüllt, nicht in Nichts, sondern doch wohl in Etwas verwandelt? (Unser Gegener meint nämlich, die Erwartung ist in 2o. ooo Taler verwandelt worden.)

Es ist zu wetten, daß mancher Philosoph bei jener Erklärung diese Einfälle gehabt hat, und sie als Einwendungen ansieht, die was auf sich haben. Wenn Anfänger, wenn im Denken Ungeübte dergleichen als Zweifel vortragen, so ist es Pflicht, daß man sie ihnen auflöst, ein Philosoph aber, der sie als Einwendungen vorträgt, verdient nicht angehört, vielweniger widerlegt zu werden.

Es sind aber, wie gesagt wurde, dergleichen Erklärungen nicht als gewöhnliche Definitionen anzusehen und zu beurteilen, die man nur zu hören braucht, um sie zu verstehen. Sie deuten nur auf eine Abstraktion hin, die man machen muß, um das Wesen des Gegenstandes zu sehen. Die meisten Philosophen kennen dergleichen nicht, und glauben, es kommt alles auf die Verdeutlichung der Erkenntnis an, was doch gerade das Wenigste ist.

Eine andere Realdefinition dieser Art ist die des bekannten BROWN: das Leben ist eine Fortsetzung von Reizen. Der verdiente Mann sagt: das Wesen des Leben will er dadurch nicht angeben, denn er kennt es nicht. Allein das in der Definition Enthaltene ist alles, was wir vom Leben wissen können, und es ist nicht sowohl etwas dem Leben Wesentliches, sondern dieses Wesen selbst.

Man wird dies noch mehr einsehen, wenn man den Gedanken des großen BACON betrachtet, daß das Leben wie eine Flamme verzehrt wird. Man sollte glauben, dies ist ein poetisches Bild, allein es drückt eine große Abstraktion aus. Und so geht die Abstraktion weiter, und sagt: das Atemholen ist ein Verbrennen. Wer nun gewohnt ist, beim Verbrennen die Flamme zu sehen und das Eine nicht ohne das Andere denken kann, wird, wie unsere Skeptiker sagen: ein Narr, wer es glaubt. Allein der Chemiker geht, vom Mannigfaltigen der Erfahrung abstrahierend, weiter, und sagt: daß das Verbrennen der große Prozeß der Natur ist, auf den er alles zurückzuführen hat. Und so gewinnt er durch Abstraktion die Ansicht, die er von der Natur haben muß, den Faden, der ihn leiten soll.

Die Erklärung, welche die neuere Chemie vom Verbrennen gibt, gewährt eine eigentlich so zu nennende abstrakte Vorstellung des Feuers, aber keinen deutlichen Begriff vom Feuer. Wir sehen dies schon daraus, daß wir diese Entwicklung nur durch eine Anstrengung der Einbildungskraft vorstellen können, wobei die gewöhnlichen Vorstellungen mit merklicher Mühe zurückgehalten und verdunkelt werden. Deshalb wird diese Vorstellungsart nie geläufig werden, und LAVOISIER selbst, wird sich, wenn er das Wort Feuer gehört hat, nichts anderes dabei gedacht haben, als was Jedermann bei diesem Wort denkt. So ist es mit allen abstrakten Vorstellungen; sie können die symbolischen nie ganz verdrängen, welches mit bloß deutlichen Vorstellungen ganz anders ist. Der Wilde hält das Feuer für ein Tier, welches alles verzehrt, dessen es sich bemächtigen kann. Diese Vorstellung verhält sich zu der, welche man bei dem Wort Feuer hat, wie diese zu der, welche die Abstraktion gewährt. Und dennoch ist die gewöhnliche Vorstellung vom Feuer nicht eigentlich eine falsche zu nennen. Denn sie deutet weiter nichts, als eine Erscheinung an, und der Begriff Feuer leistet in dieser Hinsicht alles, was man von einem Begriff verlangen kann.

NEWTON glaubte das Licht erklärt zu haben, da er es mechanisch erklärte, und uns das Licht fühlen ließ. Er gab uns statt einer abstrakten Vorstellung, sozusagen nur einen verstärkten Begriff. Sollte das Licht einmal vollkommen erklärt werden, so wird sich zeigen, daß die Erklärung desselben in einer Abstraktion enthalten ist, welche aus der Vorstellung des Lichts, die man bisher hatte, ganz etwas anderes macht, sie vielleicht völlig auslöschen, eine ganze andere Ansicht davon geben, und dennoch den Begriff davon, zum Gebrauch im täglichen Verkehr ganz so lassen wird, wie er war.

Auf einer solchen Ansicht nun, und auf nichts anderem, beruth die ganze kritische Philosophie. Indem ihr Urheber die verschiedenen Begriffe, mit deren Zergliederung sich die Philosophen vor ihm beschäftigt hatten, sich deutlich machen wollte, fand er einige Begriffe von der Art, daß ihr Gegenstand nichts anderes war, als diese Vorstellung selbst, und daß das Wesen der Vorstellung das Wesen des Gegenstandes war. Dies würde befremdlich, ja, unerklärlich gewesen sein, wenn er nicht sogleich eingesehen hätte, daß dies ganz natürlich daraus folgt, daß der Mensch ein sinnliches Wesen ist, und daß die Vorstellung von einem absolut inneren Wesen zergeht, und sich in Nichts auflöst. Er legte also dieses zur Beherzigung vor: sich den Umstand recht vorzustellen, daß wir nicht anders, als sinnlich, erkennen können. Nun kommt alles darauf an, daß man sieht, was diese Sinnlichkeit ist. Hier muß die ganze Stärke des Abstraktionsvermögens aufgeboten werden. Alles was wir vorhin bei diesem Wort gedacht haben, oder gedacht zu haben glauben, muß sich verdunkeln, das Wort selbst muß ganz aus dem Bewußtsein verschwinden, und die volle Ansicht der Sinnlichkeit selbst muß uns aufgehen. Dieses bezwecken einige in der "Kritik der reinen Vernunft" hin und wieder eingestreute Äußerungen wie diese:
    "Unsere Natur bringt es so mit sich, daß die Anschauung niemals anders als sinnlich sein kann, d. h. nur die Art enthält, wie wir von Gegenständen affiziert werden. Ein Verstand, in welchem durch das Selbstbewußtsein zugleich alles Mannigfaltige gegeben würde, würde anschauen, und dgl. vortrefflich ab, und von ihnen [?? - wp] kann man die beste Gelegenheit nehmen, für den Gesichtspunkt der kritischen Philosophie sich zu orientieren." (6)
Da es nun die eigentliche Abstraktion ist, wodurch man zu diesen Vorstellungen gelangt, und wir also in derselben ganz andere Ansichten von Gegenständen haben, als wir sonst hatten, nämlich ihr Wesen, nicht nach gewissen Vorstellungen, die sich auf gewisse Gegenstände beziehen, sondern diese Gegenstände mit ihrem Wesen selbst: so werden wir sehen, was wir in den sogenannten Realdefinitionen von diesem Wesen werden aussagen können. Bestrebt man sich, von einem Gegenstand, den man Raum nennt, eine deutliche Vorstellung zu erhalten, so erfährt man, daß es keinen Gegenstand dieser Art, auf welchen sich eine solche Vorstellung bezieht, gäbe, sondern, daß dieser vermeintliche Gegenstand sich in eine Vorstellung auflöst, in welcher wir zuerst nichts erkennen können, als daß Raum - nicht Raum ist. Die Vorstellung dieses, wie wir glauben, uns bekannten Gegenstandes, verwandelt sich in eine andere, statt daß wir darauf ausgingen, dieselbe Vorstellung zu verdeutlichen, erhalten wir eine andere Vorstellung. Wir können nun, nach der Formel, die wir oben aufgestellt haben, sagen, Raum ist nicht Raum, ohne uns im Geringsten eines Widerspruches schuldig zu machen. Denn allerdings ist die Vorstellung vom Raum, die man gewöhnlicherweise hat, ganz falsch, und ein solcher Raum, wie sich der Philosoph ihn denkt, existiert nicht wirklich. Auf diesen Punkt müssen wir dringend bestehen, wir werden dieses von mehreren Gegenständen, selbst von der Materie, sagen, welche, in einem gewissen Verstand, nicht existiert. Es ist eine unnütze Nachgiebigkeit gegen den gemeinen Verstand, wenn man vorgibt, die Vorstellung vom Raum, wie er sie hat, sei auch ganz richtig, und es werde ihr ihre Stelle im System schon angewiesen werden, wenn man erst mit dem philosophierenden Verstand fertig ist. Dies hält die richtige Einsicht gewaltig auf, man sollte vielmehr niemanden in diesen Spekulationen fortgehen lassen, ehe er nicht gezeigt hat, daß er sich diese neue Ansicht erworben hat, und keine Bedenklichkeit mehr dabei findet, zu sagen: daß Raum und Zeit (das heißt aber nach der Vorstellung, die man sich gewöhlicherweise davon macht), nicht existieren. Da wir nun aber doch einen Raum und eine Zeit zulassen, aber behaupten, daß beide etwas anderes sind, als man sich gewöhnlicherweise darunter vorstellt, so wird man fragen, was sie, nach unserer Vorstellungsart, denn sind, und da müssen wir antworten: sie sind Formen der Sinnlichkeit. Es ist aber mit dieser Realdefinition (denn so kann man sie, nach dem, was wir über den Begriff derselben gesagt habe, allerdings nennen) ebenso bewandt, wie mit allen übrigen: sie kann als als gewöhnliche Definition verstanden werden, sondern sie kann nur zum Anlaß dienen, eine gewisse Vorstellung zu erlangen, von welcher behauptet wird, daß der, welcher sie hat, eine ganz neue Ansicht gewinnen, daß ihm auf einmal ein Licht aufgehen wird.

Dieses ist es auch, was die kritische Philosophie kritisch macht. Dieses ist es, was da macht, daß niemand die Behauptungen der kritischen Philosophie mit der Voraussetzung, worauf sie beruhen, für erst hypothetisch annehmen, und daß er, wenn ihm heute oder morgen diese Resultate nicht mehr gefallen sollten, die Voraussetzung, welche jenen Behauptungen unterzulegen, nur auf seine Geneigtheit angekommen ist, nur wiederum darunter wegziehen kann, um das ganze System mit einmal fallen zu sehen. Es hat keinen Sinn, zu sagen: ich will einmal annehmen, daß der Mensch, wie die kritische Philosophie annimmt, sinnlich erkennt, was wird daraus folgen? Weit vernünftiger spricht der, welcher sagt: er verstehe noch nicht, was damit gemeint ist, allerdings wären die meisten seiner Erkenntnisse sinnliche, allein er sähe nicht, was für wichtige Folgen sich daraus würden herleiten lassen können. Wer so spricht, bei dem kann man doch nicht alle Hoffnung aufgeben, ihn einst gestehen zu hören, daß er diesen Umstand nicht bedacht, daß kein Philosoph vor KANT darauf verfallen ist und daß, wenn dieser Punkt nur gefaßt ist, die Sache ein ganz anderes Ansehen erhält.

Hieraus wird sich nun auch von selbst erhellen, daß die kritische Philosophie durch keinen Satz begründet werden kann. Es ist ein großer Aktus der Abstraktion, mit dem sie anfängt, und in welchem sie uns zu erhalten sucht. Diese Abstraktion ist durchaus keine Peinigung mit dem Verallgemeinern allgemeiner Begriffe, wie jener engbrüstige Mann glaubte, der versicherte, daß er in den Abstraktionen der kritischen Philosophie beinahe erstickt ist. Diese Abstraktionen können durch keinen Satz vollkommen ausgedrückt werden. Jedem Satz geht ein Urteil vorher, eine Handlung des Geistes, die wir nicht anders, als in ihrer Versinnlichung kennen, und diese Versinnlichung ist der Satz. Erst in diesem ist die Rede von einem Zusammenhalten, einem Verbinden, und Trennen der Vorstellungen, Ausdrücke, welche auf die Handlung des Urteils nicht etwa sinnbildlich angewandt werden, sondern die sich dadurch hinlänglich rechtfertigen, daß wir diese Handlung, sobald wir sie näher untersuchen, nicht anders, als schon versinnlicht antreffen, und daß dieses Innere, sobald man es aufsucht, sogleich etwas Äußeres wird. WOLFF unterschied sehr richtig unter judicium und propositio, unter Urteil und dem Satz, und LOCKE unter mental proposition und verbal proposition, eine Unterscheidung, die wohl beherzigt zu werden verdient, mehr, als es die Logiker nach ihnen getan haben. All dieses Urteilen nun, welches wir in den Sätzen kennenlernen, ist weiter nichts, als ein Verbindungen und Trennen von Vorstellungen, die durch Worte ausgedrückt sind. Diese Bestimmung dient für die Theorie des Satzes, welcher der Schlüssel zum wörtlichen Denken ist. Allein KANT konnte sich doch mit Recht, zu seiner Absicht, an die Art halten, wie das Gemüt bei diesen Urteilen verfährt, und sagen: ein Urteil ist nichts anderes, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objektiven Einheit der Apperzeption zu bringen, eine Definition, welche für sein ganzes System von entscheidender Wichtigkeit ist. KANT brauchte die (allerdings unrichtige) Definition der Logiker gar nicht anzugreifen, er konnte nur sagen: ein Urteil mag sein, was es will, genug, ich sehe, daß beim Urteilen mehrere Begriffe zur objektiven Einheit der Apperzeption gebracht werden, und mehr bedarf ich für meine jetzige Absicht nicht.

Die Sätze sind zuerst zum Zweck der Dialektik untersucht worden, die den Menschen, insofern er redet, durch Zeichen anerkennt, durch Zeichen verbindet und trennt, durch Zeichen schließt, zum Gegenstand hat. Jeder Satz drückt daher nichts anderes aus, als eine vorgenommene Vergleichung mehrerer Vorstellungen, deren Zeichen verbunden oder getrennt werden. Subjekt und Prädikat sind in den Sätzen Vorstellungen, deren Zeichen wir schon kennen, und alles, was uns in Sätzen bekannt gemacht wird, ist daher nur, daß dieses, jenes ist, oder nicht ist, mit ihm verbunden, oder nicht verbunden ist. Wer den Satz zuerst untersucht, hatte sich die Frage vorgelegt: was tut der Mensch eigentlich, wenn er redet? Die Vernunft wollte man bei diesen Untersuchungen noch nicht kennenlernen, wie derjenige wohl geglaubt haben mag, der der Dialektik zuerst den Namen Logik gegeben hat (7). Die Dialektik sollte weiter nichts als den richtigen Gebrauch der Wörter, als Zeichen der Gedanken, lehren, sie enthielt die artes dicendi [Kunst des Sprechens - wp]. Man hätte eilen sollen, der Logik diese Gestalt wieder zu geben, wenn dies nicht Untersuchungen nötig machte, für die man allen Sinn verloren zu haben scheint, und Arbeiten erforderte, zu welchen unsere Philosophen schon längst nicht mehr gewöhnt sind.

Wie kann man nun wohl hoffen, durch einen Satz dasjenige anzugeben, was über alle Sätze hinausliegt? Ein Satz ist weiter nichts, als die Bezeichnung einer Verbindung von Vorstellungen, deren Gegenstand durch Worte anerkannt wird, auf welche Weise man nun auch diese Verbindung von Vorstellungen, die sich auf Gegenstände beziehen, anerkennen soll. Wenn gesagt wird: jenes Schiff hat den Mast verloren, so ist dies ein Satz, und der Satz, der die kritische Philosophie begründen sollte, müßte, gerade so wie dieser, ganz bestimmte, außer allem Zweifel und außer aller Untersuchung liegende, Subjekte und Prädikate haben, sonst wäre er alles andere, nur kein Satz. Bekannte Subjekte, bekannte Prädikate zu einer neuen Verbindung gebracht, die man sogleich versteht, sobald man den Satz gehört hat, kann unmöglich etwas sein, das uns für unser Wissen, Glauben und Hoffen den letzten Grund darbietet.

Nun könnte man freilich einwenden, daß die Philosophen unter diesem Satz keineswegs so etwas gemeint haben könnten, sondern daß sie damit etwas ganz Anderes haben ausdrücken wollen, als man täglich von Gelehrten und Ungelehrten in hundert Sätzen auf hunderterlei Art ausgedrückt hören kann. Allerdings dachten sie nicht daran; aber deshalb gerade wollen wir sie hier erinnern, daran zu denken. Es kann dem scharfsinnigen Mann leicht begegnen, über einen Umstand hinwegzusehen, der wegen seiner scheinbaren Geringfügigkeit keinen Reiz auf seine mit schwierigen Untersuchungen beschäftigte Aufmerksamkeit ausüben kann, und welcher diese Aufmerksamkeit dennoch sehr vorteilhaft würde richten und leiten können, wenn es ihm gelänge, sich Teil daran zu verschaffen. Die Lehre von der Bildung der Sätze, von Subjekt und Prädikat, von Verbindung und Trennung derselben, haben so etwas Unscheinbares, eine so allgemeine Alltäglichkeit, daß das Genie nicht anders als mit Überdruß dabei verweilen kann, und seine Tätigkeit in Langeweile hinschlummern sieht. Wenn man aber einsieht, durch welchen tiefen Blick in die Natur unseres geistigen Wesens, der Erste, der diese Lehre aufstellte, zu einer Untersuchung dieses Gegenstandes insbesondere, aufgefordert werden mußte: so entzündet sich ein lebhaftes Interesse an dieser Untersuchung, sie verliert ihr finsteres Ansehen, das sie nur durch unser getrübtes Auge erhalten hatte, und wir beschäftigen uns mit ihr mit einer Teilnahme, als ob wir eine ganz neue Entdeckung gemacht hätten.

Die Philosophen, welche diese Untersuchung vernachlässigten, mußten natürlich glauben, daß mit Sätzen Alles ausgemacht werden muß, und daß Alles, was ausgemacht werden kann, auf Sätze gebracht werden muß. Diese Irrung hat sie lange hingehalten, und sie allein ist Schuld darin, daß Männer, welche den Geist der kritischen Philosophie sehr gut kannten, sich den Vorwurf haben machen lassen, daß sie ihn ganz verfehlt haben. Sie wollten sich absichtlich nicht in der Ansicht, die sie von der kritischen Philosophie hatten, lange aufhalten, sie wollten sie so deutlich machen, daß sie, auf einen Satz gebracht, allgemein mitteilbar werden kann. In diesem einzigen Umstand fehlten sie; hätten sie die Natur der Zeichen gekannt, so würden sie gesehen haben, daß die symbolische Vorstellung nicht den ganzen Reichtum unseres Geistes ausmacht, daß die Vorstellung durch Abstraktion ihr eigenes Wesen hat, daß sie nicht etwas Precäres und Unbestimmtes und etwa weiter nichts, als die Möglichkeit zu einer deutlichen Vorstellung durch einen Begriff, ist, daß nur durch sie allein gewisse Gegenstände vorgestellt werden können, und daß man sich also, bei gewissen Untersuchungen in ihr erhalten, und nicht eilen muß, aus ihr, als einer dunklen, unbestimmten Vorstellung, in die symbolische zurückzufallen.

KANT hatte den Begriff der Dialektik vortrefflich gefaßt, aber, wie Alles, was kein unmittelbarer Gegenstand seiner Untersuchung ist, nur im Ganzen, und in der Beziehung, die sie auf seinen Gegenstand hatte. Er brauchte nicht den ganzen PLATO und ARISTOTELES gelesen zu haben, um den Begriff der Dialektik gefaßt zu haben, und es ist vergeblich, ihm, wenn er behauptet, sie sei der Grund aller metaphysischen Gaukelwerke, zur Widerlegung den PLATO aufzuschlagen, und ihm zu sagen: sieh, hier steht geschrieben, ein Dialektikus muß ein braver Mann sein. Wenn er nun die Kategorien Begriffe nennt, so sollte man glauben, er führt unst, ganz gegen seine Absicht, wieder zur Dialektik zurück, indem, wenn es einen Begriff der Kausalität gibt, wir Kausalität durch ein Wort geradeso anerkennen, wie alle anderen empirischen Gegenstände auch, und somit wäre das alte Übel wieder da. Aber ungerechnet, daß die Begriffe, in ihrem empirischen Gebrauch beim Urteil, ihm die glückliche Veranlassung gegeben hatten, sie in ihrem reinen Gebrauch beim Urteil a priori aufzusuchen, können sie immerhin als Begriffe vorgestellt werden, wenn dies nur durch Abstraktion geschieht; und daß sie auf dieses Weise wirklich vorgestellt werden müssen, werden wir hiernächst ausführlicher darzulegen bemüht sein.

Eben diese richtige Ansicht des dialektischen Verfahrens überhob ihn auch der unfruchtbaren, unnützen Arbeit von Begriffen Definitionen zu geben, die sie nie vollkommen definieren lassen. Die großen Bewegungen in der philosophischen Welt, um eine Definition des Begriffs Recht zu finden, welche ein gutes Jahrzehnt hindurch im Gange waren, sind noch bei Jedermann in frischem Ansehen. KANT lieferte endlich eine Definition, die zwar alle früheren Versuche hinter sich ließ, der er aber doch, gleich, als hätte er etwas darin vergessen, durch Beispiele vom Geraden und Krummen, durch Anraten, diesen Begriff zu konstruieren, nachzuhelfen scheint. Wer nun mit der Natur der Begriffe nicht hinlänglich bekannt ist, wird glauben, hier die schwache Seite von KANTs Philosophie aufgefunden zu haben. Da sieht man die Folge der unfleißigen Analysen, wird er sagen; ist es sonderbar, bei kaum angefangener Deutlichmachung dieses Begriffs gleich mit Bildern vom Krummen und Geraden, mit Beispielen aus der Körperwelt, und mit Gleichnissen von Bewegung der Körper (8) aufzutreten, und zu sagen: der Begriff des Rechts ist so etwas diesem Ähnliches?

Man versuche es aber einmal bei diesem Begriff, die nächste Gattung und den nächsten Unterschied, oder, da die Unmöglichkeit davon zu auffallend ist, die wesentlichen Merkmale desselben anzugeben. Das letztere würde möglich sein, wenn dieser Begriff ein willkürlicher, gemachter Begriff wäre, wie etwa der der Bescheidenheit, wiewohl auch bei diesem die Schwierigkeit der Definition fühlbar ist, und man, wenn man auch eine noch so vollkommene aufgestellt hätte, doch immer genötigt sein würde, auf das Bild eines bescheidenen Menschen zurückzusehen, um die Deutlichkeit zu erreichen, welche die bloße Definition verschaffen sollte. Im Begriff des Rechts findet sich nichts dieser Art. Er enthält keine Merkmale, und drückt nur eine ursprüngliche Handlung der Vernunft aus, die sie der Erfahrung nicht abgelernt haben kann. Mann muß die Vernunft können handeln sehen, und diese Handlungsweise kann durchaus nicht durch Begriffe so vorgestellt werden, daß, wer diese Begriffe kennt, auch diese Handlungsweise kennen müßte. Es sind hier nicht mehrere Begriffe zu einem Begriff willkürlich zusammengebunden, da man nur jeden einzelnen Begriff sich aufzählen zu lassen bräuchte, um dieses Bündel selbst kennenzulernen. Der Begriff ist wesentlich eins, ein Grundstoff in der Vernunft, der nicht zerlegt werden kann.

Diese unvollkommene Einsicht in die Natur der Begriffe, welche die Philosophen glauben ließ, daß nur durch Definitionen, Erklärungen, Verdeutlichungen, Wahrheit zu finden ist, hat natürlicherweise in die Lehre vom Beweis ihren Einfluß gehabt. Wer nichts anderes kennt, als Begriffe, kann auch keine andere Überzeugung gelten lassen, als durch Begriffe, die ihm durch andere Begriffe aufgedrängt werden. Alle logischen Beweise sind aber nur eine Art von Rechenkunst, welche nicht weit reicht, und womit man in der Philosophie nur etwa das ausrichtet, was die Mathematik in der Physik. Die Mathematik ist in der Physik von größtem Nutzen, allein die Prinzipien derselben kann sie doch nicht herausrechnen, die größten Anstrengungen des tiefsinnigsten Mathematikers werden nie herausbringen, was das Licht ist, oder den Zwist zwischen den Phlogistikern und den Anti-Phlogistikern entscheiden. So gehen auch die logischen Beweise nur auf das schon Gegebene, sie selbst können uns nichts geben, nichts lehren. Ihr ganzes Geschäft ist, Begriffe aus Begriffen herzuleiten, und zu zeigen, wie das Einzelne im Allgemeinen gegründet ist. Wenn man dieses wohl eingesehen hat: so müssen die Versuche, das Dasein Gottes, die Unsterblichkeit der Seele, die Freiheit des Willens zu beweisen, als ein unnützes, vergebliches Bemühen erscheinen. Zum Glück aber ist die Logik nicht das Einzige, womit der menschliche Geist ausgestatttet ist, und die Formel a ist b, b ist c, a ist c, ist nicht das rechte Mittel, uns in den Himmel zu erheben, durch das Weltall zu führen, unseren Glauben zu begründen, und unser Hoffen zu stützen.

Dennoch hat diese eingeschränkte Ansicht die Philosophen vermocht, für all dies Beweise, eigentliche Demonstrationen, aufzustellen, so wie man beweist, daß Cajus sterblich ist, weil er ein Mensch ist. Besonders ist die Lehre vom Vertrag im Naturrecht in dieser Hinsicht merkwürdig. Der Eine versuchte syllogistisch zu beweisen, daß man hier Wort halten muß, der Andere, welcher damit nicht hoffte auszukommen, suchte die Unterhandelnden so zu gruppieren, daß sie ein wohl angeordnetes Ganzes auszumachen scheinen sollten, oder man heftete dem Einen eine Pflicht auf, damit der andere vermöge dieser Pflicht gegenüberstehenden Rechts, womit er ihn versah, den Verpflichteten handhaben kann, wie immer er nur will. Daß es einen Beweis durch Abstraktion geben kann, würden sie nimmermehr geglaubt haben, wenn KANT sie damit nicht selbst überrascht hätte; aber zum erstenmal finden sie eine Behauptung ihres Lehrers bedenklich, und viele von ihnen machen eine Miene, welche zu sagen scheint, daß man doch auf seiner Hut sein muß. Ein feiner Gedanken ist es allemal, allein er hat so etwas von einer Finte an sich, daß man doch nicht so recht trauen kann.

KANTs Rechtslehre, und seine Tugendlehre beruhen ganz ähnlich auf einer neuen Ansicht, daß sie deshalb weit schwieriger sind, als seine kritischen Schriften selbst. Solange KANT von Apprehension, Apperzeption, transzendentaler Einbildungskraft, Synthesis, Schematismus, Kategorie spricht, scheint es zwar, als ob die größte Kraft der Abstraktion aufgeboten werden muß, um bei diesen schrecklichen Worten nur etwas zu verstehen. Allein es ist doch möglich, daß gerade diese Kunstausdrücke Manschem dazu verhelfen können, seine Gedanken auf irgendeine Weise zu beschäftigen, und es kann nicht fehlen, daß, wenn er sie lange in seinem Kopf herumdreht, und irgendeinen Gedanken damit zu verbinden bemüht ist, er endlich dahin kommt, KANT wenigstens mißzuverstehen; daß er sich täuscht, und etwas dabei zu denken glaubt, welches freilich schlimm genug ist. Bei KANTs doktrinalen Schriften ist die Sache ganz anders. Hier muß er ihn entweder durchaus fassen, ganz in seine Ansicht hineingehen, nichts mehr dunkel oder sonderbar finden, oder diese Gedanken müssen ihm auf immer ganz fremd bleiben, und ihm so weit von der Seele abstehen, daß er auch gar nicht einmal die Möglichkeit einsieht, wie sie je die seinigen sollten werden können. Denn hier ist gar kein Anlauf zu nehmen, keine einzelne Behauptung aufzufassen, von welcher man bei guter Gelegenheit sich einmal einen Aufschluß über das Ganze versprechen könnte. Bei den kritischen Schriften KANTs konnte er zum Abstrahieren angeleitet werden, er mußte, beim Überdenken der Behauptungen, die er da fand, von selbst auf die Schwierigkeiten fallen, die die gewöhnliche Ansicht der Außendinge mit sich führt. Bei den doktrinalen Schriften wird es ihm aber so gut nicht. Wenn er nicht die Verwirrung in der gewöhnlichen Vorstellungsart, die hier entwirrt wird, selbst schon gefühlt hat: so werden sie ihm nichts sein, als ein Haufen von Paradoxen, und wenn er noch im Schlamm derselben durch Gewohnheit, Vorurteile, grobe psychologische Täuschungen und träumerischen Aberglauben (denn es gibt nicht bloß Aberglauben in der Religion) geschaffenen gewöhnlichen Vorstellungsart recht fest steckt: so wird er nichts als Geschmacklosigkeit finden. Denn dies ist die letzte Zuflucht des zur Verzweiflung getriebenen Aspiranten. Der feinen Welt will er diese Philosopheme vorlegen, der sollen sie anekeln, den großen Herren will er es sagen, die sollen darüber lachen. Der Arzt im Humphry Klinker [Roman von Tobias Smollett - wp] welcher recht con amore [innig - wp] weitläufig über Dinge sprach, von welchen die Gesellschaft nichts hören wollte, vor welchen sie sich die Ohren verstopfte und die Nase zuhielt, hatte freilich darauf Rücksicht nehmen sollen, daß die Gesellschaft diese Gegenstände nicht mit den Augen eines Arztes ansah, und in dieser Hinsicht fehlte es ihm, nicht an Geschmack, wie man es wohl nennen würde, sondern am Gefühl des Schicklichen, welcher Mangel sich dennoch in diesem Fall entschuldigen ließ. Wenn aber eine Gesellschaft von Ärzten ihm diesen Vorwurf hätte machen wollen, so müßte sie aus Leuten bestanden haben, die aller Kenntnisse, aller Talente, ja, alles Menschenverstandes beraubt sein müssen. Und doch sind viele Philosophen in derselben Verdammnis. Sie verlangen, daß selbst beim Philosophieren alle Dinge ihre Gestalt und Farbe behalten sollen, und wenn man sie ihnen unter einer anderen Gestalt zeigt, so ist des Verwunderns kein Ende.

Und dennoch besteht hierin gerade aller Nutzen, den die Philosophie gewährt. Aber zum größten Nachteil der Philosophie, ja, zum größten Schaden des gemeinen Besten selbst, fährt man doch immer fort, dem gemeinen Verstand ehrfurchtsvolle Verbeugungen zu machen, und ihn selbst noch über die Philosophie zu erheben. Nein, dieser gemeine Verstand hat von jeher Unordnung und Verwirrung gemacht und hört nicht auf, sie zu machen. Soll er Recht behalten, soll, was er ausgesagt hat, unwidersprechliche Wahrheit sein, soll auch in der Philosophie das: vox populi, vox dei [die Stimme des Volkes, die Stimme Gottes - wp] der höchste Grundsatz sein, soll, wie man es zu oft erlebt hat, die wichtigste Wahrheit, die die ruhige Forschung des tiefsten Denkers aufstellt, sobald sie sich nur im Geringsten von der gewöhnlichen Meinung entfernt, mit plumpem Ungestüm verworfen werden: so verbanne man lieber mit dem Wesen der Philosophie auch ihren Namen, um diesem gemeinen Verstand auch die Veranlassung zu nehmen, sich, nichtigerweise zu empören und zu toben, und im es gelassener zu ertragen, die Unwissenheit triumphieren zu sehen. Denn in der Philosophie hat er keine Stimme, ehe er nicht bewiesen hat, daß er sich der ihm natürlicherweise anklebenden Vorurteile und Irrtümer entledigt hat, und wenn er dies kann, so ist er schon Philosophie. Im gemeinen Leben weise man ihm seinen Wirkungskreis an, wo ihm die Gründe gegeben sind, und wo er sich nur nach den nächsten Gründen umzusehen braucht. Aber um die entfernteren Gründe, die die entscheidensten sind, darf er sich nicht bekümmern, weil er sie nicht sieht. Lachen und trotzig sein kann man ihn lassen, selbst spotten kann er des Philosophen, wie ein unwissender Kaufmann, der durch die beständige Anwendung der Regel de tri [Dreisatz: mathematisches Verfahren, um aus drei gegebenen Werten eines Verhältnisses den unbekannten vierten Wert zu berechnen - wp] reich geworden ist, des nächsten Fleißes des Astronomen spottet, ohne dessen Bemühungen er doch nicht einmal das Datum auf sein Laus deo [Lob Gottes - wp] setzen könnte.

Diese Geschmacklosigkeit, die der gemeine Verstand in manchen Philosophemen gefunden haben will, ist keine andere, als seine eigene. Sie ist ein kränlicher Widerwille gegen alles, was nicht so ist, wie er und diejenigen, welche zunächst um ihm leben, es gemeint, gedacht, empfunden haben. Wir könnten mit einem Wort sagen: sie ist nichts anderes, als die gänzliche Unfähigkeit zu abstrahieren, allein schon dieses würde Manchen äußerst geschmacklos klingen. Aber soll es so sein! wem der Beifall dieser Geschmackvollen etwas wert ist, der muß gar nicht untersuchen.
LITERATUR - Wilhelm Mackensen, Grundzüge einer Theorie des Abstraktionsvermögens, Halle a. d. Saale 1799
    Anmerkungen
    5) Der gründliche und judiziöse REIMARUS zeigt in seiner Vernunftlehre, daß die Wörter die letzte Hand an die Vollendung der Erkenntnis (Vorstellung) eines Gegenstandes legen, indem wir ohne sie den Gegenstand mit allen seinen Bestimmungen vorstellen müßten, wodurch uns der Denken unmöglich gemacht werden würde. Die Art, wie er dies zeigt, ist musterhaft, zugleich ist der Ort, wo er dies abhandelt, gerade der schicklichste, und gibt die beste Ansicht der Natur der symbolischen Vorstellung. Hierin sollten ihm alle Logiker gefolgt sein; dann würde ihnen die Lehre von den Begriffen besser vonstatten gegangen sein. - - - Nach dieser Vorstellung könnte man mit dem meisten Recht von Abstraktionen bei den Begriffen sprechen, da hier am deutlichsten gezeigt werden kann, daß man von vielen Merkmalen wirklich auf einmal abstrahiert. Allein, noch einmal, wenn man es auch allerdings so vorstellen könnte, so ist es doch nur uneigentlich und lehnsweise, und wenn man das Abstraktionsvermögen besonders untersuchen will, so muß man dieser bis auf weiteres sogenannten Abstraktion, einen ganz anderen Platz anweisen, wie wir es dann auch bereits getan haben.
    6) siehe den zweiten Anhang: Über das ursprüngliche Vorstellen.
    7) Es ist aber auch möglich, daß man bei dieser Benennung das Wort logos in der Bedeutung von Rede (sermo) gebraucht hat, oder auch, wenn es Vernunft bedeuten soll, daß man diese Vernunftmäßigkeit in das Vermögen der Rede gesetzt hat, und so insofern der Absicht des Urhebers der Dialektik treu geblieben ist. Herr Platner hat in der neuesten Auflage seiner Aphorismen ("Philosophische Aphorismen", 1793) eine kurze, aber lehrreiche Geschichte von der Entstehung der Logik gegeben.
    8) Die Analogie des Begriffs Recht mit dem Gesetz der Gleichheit, der Wirkung und Gegenwirkung in der Bewegung der Körper, hatte Kant schon in den Prolegomenen zu einer jeden künftigen Metaphysik (Seite 176, Note) vorgestellt. Es könnte nützlich sein, zu beweisen, daß er diese Vorstellung schon bei seinen frühesten kritischen Untersuchungen gehabt hat. - Der Schriftsteller, dessen Hufeland erwähnt, welcher sich gezwungen sah, zu gestehen, daß der Begriff des Recths durch nichts, als durch eine gerade Linie definiert oder erklärt werden könnte, war gewiß nicht auf einem unrechten Weg. Man sieht hieran vielmehr, wie der Verstand bei fortgesetztem Nachdenken am Ende auf diese Erklärung getrieben wird, und wenn er sie nicht weiter ausbildet, so ist es nur, weil er sie für ein bloßes Quasie hält, welches in ernsthaften Untersuchungen nicht geduldet werden kann.