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KARL ALTMÜLLER
(1833-1880)
Der Humor

"Nach meiner genauen und langen, immer wieder bestätigten Beobachtung tritt dann ein Lachen ein, oder wir empfinden uns dann komisch affiziert, wenn in unserer Seele, zufolge plötzlicher objektiver Wahrnehmung eines verkehrten, falschen, vernunftwidrigen Verhältnisses das Wohlgefühl der Überlegenheit hervorgerufen wird. Selbstverständlich gilt diese Erklärung nur für das Lachen in einem ästhetischen Sinn. Alles rein physisch hervorgerufene Lachen kommt nicht in Betracht, auch nicht das Lachen der Kinder, der Blödsinnigen, sowie das Lachen der Alleslacher und Immerlacher, deren Lachen soviel bedeutet, als wenn sie gar nicht lachen würden."

In unserer Zeit der wirtschaftlichen Sorgen und Kalamitäten, in welcher namentlich die Steigerung der Preise zahlreicher Lebensbedürfnisse so viele hausväterliche und hausmütterliche Herzen beklemmt, und den Nationalökonomen so viel zu denken und zu schreiben, den Privat-Ökonomen so viel zu denken und zu reden gibt, gewahren wir doch einen Artikel, der fortwährend und sozusagen zusehends billiger wird.

Und zwar ist es ein höchst wertvoller Artikel, das wichtigste Tauschobjekt aller Zeiten und Völker, auf welchem jeglicher Handel und Wandel beruth, ja das eigentlichste Bindemittel der Menschheit. Dennoch aber kann das zunehmende Wohlfeilerwerden dieser Ware keinen denkenden Menschen erfreuen, im Gegenteil, es muß ihn widrig anmuten und ihm zweifelnde Gedanken über das Wesen unserer sogenannten Kultur eingeben.

Der Artikel, den ich meine, sind - die Worte.

Ein Blick in die nächste Zeitung liefert die Bestätigung des Gesagten. Denn wir bemerken dort, daß ursprünglich gewichtige bedeutende Ausdrücke massenhaft für wertlose, ja elende Dinge zur Bezeichnung verwendet werden; insofern sich ja das Lebensprinzip aller Reklame, dieser sich immer gewaltiger entfaltenden sozialen Großmacht unserer Tage, in die schamlose Devise fassen läßt: "Große Worte, kleine Sachen."

Zwar daß Begriffe in ihrer Bedeutung herabkommen ist eine allgemeine sprachliche Erscheinung, keine nur moderne. Auch die Sprache nutzt sich durch den Gebrauch ab. Die Metapher, durch welche Worte als "gemünzte Lust" charakterisiert sind, trifft in mannigfaltigen Beziehungen zu. Auch diese Lustmünzen unterliegen Kursschwankungen; auch ihr ursprünglich scharfes und deutliches Gepräge wird im Sprachverkehr nicht selten abgegriffen und verwischt; und, was das Schlimmste ist, auch in Bezug auf sie wird das Gewerbe der Falschmünzerei betrieben und leider oft gerade von Denjenigen, die ihr Beruf verpflichten sollte, als sprachliche Münzwardeine [Münzbeamte - wp] über Feingewicht und Schrot und Korn derselben zu wachen.

Es gibt eine unbewußte Art der Wortentwertung, die sich meist langsam unter dem Einwirken geschichtlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse vollzieht. Beispiele derselben bietet die Sprachgeschichte in Menge. Ich erwähne nur den einst stolzen, seit geraumer Zeit aber bis zum Schmähwort (namentlich in den Augen und Ohren seiner Träger) herabgesunkenen Titel Schulmeister, der vielleicht erst wieder im Kurs zu steigen begonnen hat, seitdem durch ein geflügeltes Wort neben MOLTKE der preußische Schulmeister als wirksamster mittelbarer Urheber der Siege bei Königgräz usw. bezeichnet wurde.

Abseits von diesen unbewußten Wortentwertungen finden sich viel schlimmere absichtlich herbeigeführte. Bestanden doch von jeher ganze Lebensgebiete, innerhalb deren die Wortvaluta beabsichtigtermaßen schier auf Null herabgedrückt erscheint; welcher sehr ernsten Tatsache jemand eine heitere Fassung gab, indem er auf die Frage, was das Wort Intervention bedeutet, antwortete: Intervention ist ein diplomatischer Ausdruck und bedeutet etwa so viel wie - Nichtintervention.

Nicht ganz so vollbewußt, jedoch viel häufiger und eben darum gemeinschädlicher, tritt aber die Falschmünzerei in der Sprache auf zu Zeiten, in denen eine Massenhaftigkeit der Produktion auf den Gebieten des sozialen Lebens den einzelnen Erzeugnissen desselben das Beachtetwerden erschwert. Dann sucht man im treibenden, drängenden, erhitzten Kampf ums Dasein durch sprachliche Übertreibungen Aufmerksamkeit zu erzwingen. Da werden Worte erschrecklich billig und kosten doch ungeheur viel; nur leider nicht diejenigen, welche die Worte ausgeben, sondern diejenigen, welche sie als vollwichtig annehmen. Das Gesetz aber, welchem die Begriffsentwertungen letzterer Art folgen, läßt sich kurz etwa so fassen: Je gesuchter und wertvoller ein Gegenstand materieller oder geistiger Art ist, umso leichter ist seine sprachliche Bezeichnung, sein Namen, der bewußten Fälschung oder dem gedankenlosen Mißbrauch durch eine unrichtige Anwendung unterworfen.

Ein derartiger im Wert vielfach und stark durch den Gebrauch herabgedrückter Begriff ist nun auch das Wort Humor.

Wer will heutzutage nicht alles Humor haben und was soll heutzutage nicht alles Humor sein!

Jedes Witzblatt kündigt sich als den Vertreter des echten und wahren Humors an; jeder mit einiger Komik ausgestattete Spaßmacher ernennt sich selbst zum Humoristen und den "Humor in der Westentasche" kann man in Gestalt einiger Dutzend abgeschmackter Anekdoten für 25 Pfennige aus jedem Buchbinderladen schwarz auf weiß getrost nach Hause tragen. Jedoch auch wenn man von diesen auf Selbstüberschätzung oder gewissenloser Geschäftspraxis beruhenden Mißbräuchen des Wortes absieht, zeigt sich der Begriff Humor selbst in gebildeteren Lebenskreisen stark in Unsicherheit, nicht selten sogar in völlige Unklarheit geraten. Verwechslungen des Humoristischen mit dem Komischen überhaupt, des Humors mit dem Witz, ja mit dem bloßen Spaß sind auch dort ganz gewöhnliche, wie denn in Sachen der Sprache eine jede Zeit nicht mehr Gewissen, Genauigkeit und Treue zu entwickeln pflegt, als in ihren Angelegenheiten überhaupt.

Einem solchen Zustand gegenüber wird der Versuch nicht überflüssig erscheinen, den schwankend gewordenen Begriff, soweit es möglich ist, wieder festzustellen, ihn zu definieren, d. h. ihm die logische Grenzmarke zu ziehen und sein abgegriffenes Gepräge wieder mit dem ursprünglichen Stempel zu zeichnen. Denn mit Recht mahnt LUDWIG UHLAND:
    An deiner Sprache rüge
    Du schärfer Nichts als Lüge,
    Die Wahrheit sei ihr Hort!
Wenden wir uns nun zwecks begrifflicher Fixierung des Humors zunächst an die gelehrten Ästhetiker, als die eigentlich zünftigen Auskunftgeber, so werden wir gerade von den berühmtesten unter ihnen leider in einem Orakelstil beschieden, der den berüchtigten Ausspruch TALLEYRANDs in anderem Sinn wahr zu machen scheint, daß die Worte dem Menschen dazu gegeben sind, um seine Gedanken zu verbergen.

Denn wenn wir z. B. JEAN PAULs "Vorschule der Ästhetik" aufschlagen und dort lesen, der Humor sei ein "auf das Unendliche angewandtes Endliches" oder das "umgekehrt Erhabene", so frage ich, ob das nicht statt erklären heißt ein Rätsel mit einem andern und zwar mit einem unlösbaren vertauschen?

Ein neuerer namhafter Ästhetiker definiert das Humoristische als "diejenige Modifikation des Schönen, welche einerseits die Idee der subjektiven, andererseits die Idee der absoluten Vollkommenheit zur Präsenz bringt". Bei einem solchen Satz kommen Einem wohl die Worte des ehrlichen Valentin in RAIMUNDs "Verschwender" in Erinnerung, die er an Flottwells pathetische Verherrlichung der Dienertreue knüpft: "Es war 'ne schöne Red', aber i hab's nit verstanden." Was klar gedacht ist, muß auch deutlich ausgesprochen werden können und es soll nur niemand glauben, es stecke hinter so einem tiefsinnig klingenden Gallimathias [verworrenes Geschwätz - wp] wie jener Phrase, viel. Ins Deutsche des gesunden Menschenverstandes übertragen, löst sich, falls diese Verdeutschung überhaupt gelingt, der Tiefsinn vielmehr regelmäßig in ziemlich triviale Wahrheiten auf. Zum dritten und letzten sei hier noch kurz der Wesensschilderung des Humors gedacht, welche aus der Feder eines berühmten Philosophieprofessors stammt. In einer vor wenigen Jahren erschienenen ästhetischen Schrift desselben wird der Humor neben der Ironie als vollendetste Form des Witzes charakterisiert. Liest man nun bei eben diesem Verfasser weiterhin, "im Humor sei der Witz entthront, aus dem Meister der bloße Geselle geworden, den der Humor braucht und mit ihm spielt" - so kann man sich meines Erachtens der gerechten Bewunderung nicht erwehren vor dem Maß des Mangels an Logik, dessen ein berühmter ordentlicher Professor der Philosophie fähig sein kann. Denn abgesehen davon, daß es meines Wissens nicht eben eine Gewohnheit der Meister ist, mit ihren Gesellen zu "spielen", geht es zumindest über mein Verständnis hinaus, wie Etwas eine Erscheinungsform, also eine Art eines Dings sein und dasselbe Ding doch entthront, d. h. beseitigt haben kann.

Lassen wir dann die Blätter der geschriebenen grauen Theorie beiseite und wenden wir uns zu den grünen Blättern des Lebensbaumes, zu den Tatsachen der Wirklichkeit. Und zwar soll es gelten diese in möglichster Unbefangenheit zu beobachten und zu versuchen, die Gesetze unter denen sie stehen abzulauschen und deutlich auszusprechen, wie alle gesunde Wissenschaft tut. Dabei muß jedoch in fester Erinnerung behalten werden, daß der eigentliche Kern jeder Erscheinung des geistigen Lebens in ein undurchdringliches Geheimnis gehüllt bleibt. Nur die Bedingungen unter welchen sie eintritt, vermögen wir zu erkennen und darzustellen. So auch in Bezug auf das Wesen des Humors. Wie der Chemiker zwar zu ermitteln weiß, welche Stoffe vorhanden sind und welche Veränderungen mit ihnen vorgehen müssen, wenn sich Rosenduft entbinden soll; wie aber weder ein Chemiker noch ein Ästhetiker bis jetzt auch nur versucht hat, den Duft der Rose zu beschreiben: so ist auch das Humoristische gleichsam ein ätherisch flüchtiges Öl, dessen Aroma wir mit der Lust einatmen, dessen wunderbarer Reiz aber nimmermehr in Worten genau geschildert werden kann.

Um nun den so stark ins Schwanken geratenen Begriff Humor einigermaßen wieder festzustellen, ist vor allem eine kurze Betrachtung seiner geschichtlichen Entwicklung unerläßlich.

Der Ursprung desselben ist in der Sphäre der Medizin zu suchen. Als die vermutlich älteste aller Krankheitstheorien betrachtet die Geschichte der Heilkunde diejenige, welch in gewissen Veränderungen der Säfte im Körper die Ursachen aller physiologischen Vorgänge erkannt haben wollte. Die Wissenschaft nennt diese Lehre die Humoralpathologie. Schon der große griechische Arzt HIPPOKRATES, im fünften Jahrhundert vor Christus, nahm nur vier Hauptsäfte an, auf deren Mischung und Veränderung nach seiner Ansicht alles Wohlsein und Unwohlsein bei Menschen und Tieren zurückzuführen ist, nämlich den Schleim oder das Phlegma, das Blut, die gewöhnliche (oder grüne) Galle und die schwarze Galle. Aus dieser Einteilung hat sich dann die noch heute festgehaltene Lehre von den vier Temperamenten entwickelt. Je nachdem unter jenen Säften - die im Lateinischen humores, von humor: Flüssigkeit, heißen - das Phlegma oder die Galle bei einem Individuum von Natur vorherrschen, sollte sein Temperament, d. h. die überwiegende Grundstimmung seines Wesens sich bestimmen. Später trat dann, wie das im Leben der Sprache oft geschieht, allmählich anstelle der Bezeichnung der Wirkung die Bezeichnung der Ursache und so gewann der Begriff humor die Bedeutung von Gemütsstimmung und zwar entweder der gewöhnlichen und dauernden oder der vorübergehenden und wechselnden, also dessen was wir Launen nennen. In diesem letzten Sinn begegnet uns z. B. das Wort homor oder englisch humour bei BEN JOHNSON, dem Freund und Bewunderer SHAKESPEAREs. In JOHNSONs Lustspiel "Every man in his humour" soll gezeigt werden, was dabei herauskommt, wenn Jedermann seiner guten oder schlechten Laune folgt. SHAKESPEARE selbst hat das Wort sehr häufig, oft auch im Plural, und in wechselnder Bedeutung, zumeist jedoch als Bezeichnung einer gewissen Sonderbarkeit im Benehmen, verwertet.

Während nun der Begriff humour im Englischen, humeur im Französischen und Humor im Deutschen (wie wir das lateinische humor mit romanischem Akzent auszusprechen pflegen) als Bezeichnung für die Stimmung überhaupt im Leben und der Gesellschaftssprache sich forterhalten hat, gewann er im ästhetischen Sinn um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Bedeutung einer besonderen Stimmung und geistigen Eigentümlichkeit. Und zwar ist ihm dieses bestimmte Gepräge zuerst in England aufgedrückt worden durch den literarischen Charakter einer Gruppe von Schriftstellern, die in der Literaturgeschichte den Namen der englischen Humoristen führen, und unter denen als die für die ganze Richtung am meisten charakteristischen HENRY FIELDING, OLIVER GOLDSMITH und LAWRENCE STERNE hervorragen. Wiederum aber unter diesen der Bedeutsamste, der Humorist par excellence, der eigentliche Tonangeber auch für die deutsche Humoristik war STERNE, und seine weltberühmten Werke, in denen der Humor in jener besonderen Bedeutung am ausgeprägtesten zur Erscheinung gebracht ist, sind sein Roman "Tristram Shandy", erschienen 1759, und seine "Empfindsame Reise durch Frankreich und Italien", erschienen 1767.

Wenn ich ausnahmsweise hier einmal vorauszusetzen wage, daß ein sehr berühmtes Buch nicht allen meinen geehrten Zuhörern durch eigene Lektüre bekannt ist, so kann das in diesem Fall, zumindest was die verehrten Zuhörerinnen angeht, wohl nicht als Unhöflich gelten, sondern eher für das Gegenteil; denn STERNEs Schriften enthalten Elemente, die sie zur weiblichen Lektüre ungeeignet machen. Eine kurze Besprechung derselben und ihres Verfassers, selbstverständlich unter Absehen von jenen Elementen, ist jedoch, wegen der hohen Bedeutung beider für die Geschichte des Begriffs "Humor", geboten.

Was zunächst den Tristram Shandy angeht, so ist die Benennung dieses höchst merkwürdigen Buches mit dem Wort Roman nicht im eigentlichen Sinn zutreffend. Von einem Roman, als einer epischen Dichtung, verlangt man vor allem eine Handlung, eine Begebenheit, die er berichtet; STERNEs Buch erfüllt nicht einmal diese erste Anforderung. Die Fabel darin ist die kürzeste, die sich denken läßt, nämlich gar keine. Die Geschichte Tristram Shandys beginnt wenige Stunden vor seiner Geburt und endet sehr bald nach derselben. Trotzdem umfaßt das Werk 9 Bände, oder doch Bändchen. Gefüllt sind diese nun im buntesten Wechsel mit Betrachtungen und Reflexionen, Geschichten und Exkursen über Alles in der Welt und noch einiges mehr. Die persönlichen Träger dieses kaleidoskopischen Inhalts bildet eine Anzahl Menschen wunderlicher Art, Originale vom Scheitel bis zur Zehe, jeglicher mit einer Hauptschrulle im Kopf, trotzdem aber Menschen, die jedem, der für das was mit Recht Humor heißt, Empfänglichkeit besitzt, unwiderstehlich liebenswürdig erscheinen.

Worauf beruth diese Wirkung? Sie beruth auf der eigentümlichen Artung der Person ihres geistigen Schöpfers selbst.

LAWRENCE STERNE, in Bezug auf dessen äußeres Leben nur so viel gesagt sei, daß er englischer Pfarrer war (was man seinen Schriften nicht anmerkt), war eine jener wundersamen Naturen, in denen sich das schärfste Wahrnehmungsvermögen für alles Lächerlich an Menschen und Dingen mit einer unergründlichen Gutmütigkeit und Herzenswärme vereinigt findet. Diese Eigenschaften brachten in ihm ein eigentümliches Neben- und Ineinandersein von Scherz und Ernst, von Komik und Rührung hervor, das man eben als seinen Humor bezeichnete. Von unbezwinglicher Spottlust, die leider oft in einen frechen Zynismus verirrt, zugleich aber von zartester Empfindungsfähigkeit, immer bereit den Mantel der Liebe über die Schäden zu breiten, die er selbst schonungslos aufgedeckt hat, ein geistreicher Denker und doch auch ein harmloser Kindskopf, so stellt er sich in Tristram Shandy dar. In der empfindsamen Reise einer Reihe von fast zusammenhangslos aneinander gehefteten Stimmungsbildchen, tritt mehr die sentimentale Seite seines Wesens hervor und der moderne Begriff Sentimentalität ist ganz eigentlich auf dieses Büchlein gegründet.

Von Seiten ihres künstlerischen Wertes betrachtet, als Kunstwerke betrachtet im strengen Sinn sind STERNEs Schriften von geringer Bedeutung. Ihr Reiz beruth darauf, daß sie die eigentümliche Mischnatur ihres Urhebers auf das Treueste widerspiegeln, sein in beständiger Fluktuation befindliches Gemüts- und Geistesleben, seinen Herzensreichtum und seinen unerbittlichen Witz, deren Kundgebungen das seltsamste Wechselspiel aufführen. GOETHE hat, wohl etwas ins Extrem gehend, STERNE den schönsten Geist genannt, der je wirkte; aber auch LESSING, der gleich SCHILLER, eine völlig unhumoristische Natur war, schätzte ihn so hoch, daß er nach STERNEs Tod in einem Brief aussprach, er würde ihm mit Vergnügen ein paar Jahre seines eigenen Lebens geschenkt haben.

STERNEs Eigenart hat nun, wie schon angedeutet, vorzugsweise den Grund abgegeben für Bezeichnung aller wesensverwandten Erscheinungen. Von seiner Person und dem Charakter seiner Schriften hat die sprachlich besonnene und genaue Kritik jederzeit den Maßstab zu entnehmen für das was in einem ästhetischen Sinn Humor und humoristisch heißen darf. Jeder andere Gebrauch dieser Begriffe ermangelt der historischen Begründung und der sicheren Begrenzung.

Hat sich uns demnach aus dem geschichtlichen Rückblick ergeben, daß der Humor eine Mischgattung ist und daß die Faktoren, deren Produkt er bildet, komischer und ernster Natur sind, so wird die weitere Betrachtung zunächst das Wesen dieser Faktoren und ihr Verhältnis zueinander, hierauf aber die Gesetze, die aus beiden entspringen, ins Auge zu fassen haben. Für diesen Zweck ist nicht zu umgehen, daß ich, wenn auch nur in gedrängter Skizze, meine Auffassung vom Wesen des Komischen im Allgemeinen darlege; dabei muß ich, da derselbe Gegenstand vor einigen Jahren von mir hier in einem besonderen Vortrag ausführlich besprochen ist, Verzeihung erbitten, wenn ich etwa den einen oder anderen meiner geehrten Zuhörer Bekanntes wiederhole.

Nach meiner genauen und langen, immer wieder bestätigten Beobachtung tritt dann ein Lachen ein, oder wir empfinden uns dann komisch affiziert, wenn in unserer Seele, zufolge plötzlicher objektiver Wahrnehmung eines verkehrten, falschen, vernunftwidrigen Verhältnisses das Wohlgefühl der Überlegenheit hervorgerufen wird. Selbstverständlich gilt diese Erklärung nur für das Lachen in einem ästhetischen Sinn. Nicht in Betracht kommt alles rein physisch hervorgerufene Lachen. Auch nicht das Lachen der Kinder, der Blödsinnigen, sowie das Lachen der Alleslacher und Immerlacher, deren Lachen soviel bedeutet, als wenn sie gar nicht lachen würden.

Die erste unerläßliche Bedingung für alles ästhetische Lachen ist also nach meiner Ansicht ein Falsches, Verkehrtes, Vernunftwidriges. Die Vernunftwidrigkeit braucht dabei keineswegs eine absolute zu sein, vielmehr genügt es, daß es das betreffende Verhältnis eben nur zur zeit seiner Wahrnehmung als ein Verkehrtes, ein den für richtig gehaltenen Verhältnissen, d. h. der Regel widersprechendes erscheint. Nehmen wir einmal an, in der gegenwärtigen Mode der Damenfrisuren sei die größtmögliche Annäherung an das Idealschöne und wahrhaft Vernünftige erreicht, was in Sachen des Haarschmucks mit irdischen Mitteln überhaupt zu erzielen wäre. Gleichwohl würde das vereinzelte plötzlich wahrgenommene Auftreten einer solchen fast idealen Erscheinung in einem Zeitalter, in welchem die ganz entgegengesetzte Frisur üblich und gewöhnlich wäre, ohne Frage hochkomisch wirken. Eine vornehme Südsee-Insulanerin en grande tenue [in Festkleidung - wp], mit Goldblechen in den durchbohrten Nasenflügeln, erscheint in der besten eingeborenen Gesellschaft auf Oahu oder Te-Ika-a-Maui sicherlich höchst respektabel; urplötzlich auf einen Ball der europäischen Gesellschaft transponiert, wird sie vermutlich die Lachmuskeln in Reizung versetzen.

Die Ursache des Lachens liegt eben nur in den auffassenden Subjekten, nicht in den aufgefaßten Objekten ansich.

Eine zweite Bedingung lächerlicher Wirkung ist der plötzliche Eintritt der Wahrnehmung des Falschen, Vernunftwidrigen; mit anderen Worten das Komische wirkt nur durch Überraschung. Daher das ursprünglich lächerlist Erscheinende meist durch Gewohnheit völlig aufhört lächerlich zu sein. In gewissem Sinn kann eben das Gewohnte schon nicht mehr als ein Falsches betrachtet werden, es ist vielmehr wieder ein Regelmäßiges geworden. Die überraschende geistreiche Darstellung eines Verkehrten, Falschen nennen wir Witz. Je mehr Sinn im Unsinn er enthält, desto witziger ist ein Witz. Betrachten wir z. B. das sehr witzige Epigramm, welches JULIUS STETTENHEIM auf die beiden sozialdemokratischen Agitatoren LASALLE und TÖLCKE verfaßt hat, als letzterer einmal wieder mit dem Knüppel argumentiert hatte und zwar gegen seinen eigenen Gesinnungsgenossen. Es lautet:
    Lasalle und Tölcke.
    Vergleicht ihr beide richtig miteinander,
    So übertrifft der Lebende den Toten;
    Die jener lösen wollt' die wirren Knoten,
    Haut dieser durch, - ein anderer Alexander.
Hier wirkt die Überraschung durch die ansich falsche, aber dennoch höchst sinnreiche Beziehung der Begriffe "wirre Knoten", "lösen wollen", durchhauen statt durchhauen komisch.

MORITZ HAUPTMANN, der ausgezeichnete musikalische Theoretiker und treffliche Komponist, der zugleich sehr witzig war, schreibt an seinen Freund FRANZ HAUSER aus Alexandersbad: Es habe ihn Jemand gefragt, ob er zum diesjährigen Musikfest nach Nürnberg gehen werde, worauf er geantwortet habe: Nein, aber wenn es nächstes Jahr in Alexandersbad wäre, dann würde er vielleicht - nach Nürnberg gehen. Auch hier die plötzliche Wirkung durch ein Verkehrtes und zugleich doch Sinnreiches. Die Verkehrtheit liegt im Mißverhältnis zwischen der Antwort und der Frage, der Sinnreichtum liegt in der originellen Kritik derartiger Musikanhäufungen, welche HAUPTMANN damit als gerade für einen rechten Musiker unerträglich charakterisiert.

Das dritte Requisit des Komischen ist die Objektivität der Wahrnehmung des Falschen; mit anderen Worten: Nur derjenige lacht über ein solches, dessen Interesse dabei in keiner Weise gekränkt ist. Und diese dritte Erfordernis steht dann wieder in inniger Verbindung mit dem vierten; es ist nämlich endlich unerläßlich für das Lachen, das demjenigen, der ein verkehrtes Verhältnis wahrnimmt, dabei das Gefühl der Überlegenheit erwächst, das Bewußtsein sich in einer besseren Position zu befinden als der oder das Verlachte. Denn bei allem Lachen wird jemand oder etwas oder beides verlacht. Wenn z. B. derselbe MORITZ HAUPTMANN über ein Porträt von SPOHR bemerkte, es sei ein gutes Bild und auch ähnlich, nur einem Anderen als SPOHR, verlachen wir das Bild und den Zeichner oder Maler zugleich. Bei jeder komischen Anwandlung hält gleichsam unser liebes Ich in Blitzesschnelle den pharisäischen Monolog: "Gott sei Dank, daß ich nicht bin wie dieser oder dieses da!"

Es ergibt sich nun aus der angestellten Betrachtung, die freilich aus zeitlichen Gründen auf das knappste Maß beschränkt werden mußte, daß das Lachen seinem innersten Wesen nach selbstsüchtiger und liebloser Natur ist. Es tut mir leid, aber es ist einmal so. Natürlich gibt es innerhalb des Komischen zahlreiche, ja zahllose Nuancen und denen entsprechend wechselt der Grad der Lieblosigkeit des Lachenden und Lächerlichmachenden; aber auch der gelindeste Grad komischer Anwandlung ist bedingt von einem sich Getrenntfühlen von der lächerlichen Erscheinung, das heißt also vom Empfinden seines Ichs als eines völlig Anderen und zwar eines in besserer Situation sich Befindenden. Man kann sich freilich selbst verlachen und in witziger Aufdeckung der eigenen Schäden sich selbst lächerlich machen, was meine Behauptung zu schlagen scheint. Aber der Schein trügt auch hier. Bei genauerer Prüfung erkennt man nämlich, daß die Selbstpersiflage, wo sie nicht bloß eine indirekte Selbstschmeichelei, eine Befriedigung der Eitelkeit hinten herum ist, sich stets gegen diejenigen Eigenschaften richtet, die man eben ansich nicht besonders zärtlich liebt. Aber wohl jeder, auch der sich selbst objektivst nehmende Mensch, hat irgendwo eine Stelle, die von Spott getroffen in eine schmerzlich zitternde Bewegung gerät. Die entscheidende Probe aber dafür, daß objektives, das heißt hier im eigensten Interesse unbeteiligtes, also ganz selbstisches Verhalten eine unerläßliche Erfordernis für das Lachen und Lächerlichmachen ist, wird dadurch geliefert, daß beides sofort unmöglich wird, sobald der Lachende oder Spottende in unerwartete Mitleidenschaft in Bezug auf das belachte Verhältnis gezogen ist. Jemand der im intensivsten Lachen über einen ihm erzählten Fall von überraschender Sinnwidrigkeit begriffen ist, schlägt unmittelbar in den vollkommenen Ernst um, wenn ihm plötzlich mitgeteilt wird, daß er selbst oder eine ihm sehr nahestehende und liebe Person es gewesen ist, der sich den Fehler habe zuschulden kommen lassen. Im Einjährig-Freiwilligenexamen gab ein Examinand auf die Frage, ob er Etwas zu nennen wisse, das SCHILLER geschrieben habe, die Antwort: "O ja, zum Beispiel seine sämtlichen Werke". Denken wir uns dieses Geschichtchen erzählt in einer Gesellschaft, in welcher der sich der Vater jenes Literaturkenners befände und zufällig in Unwissenheit darüber wäre, daß sein Sohn es eben gewesen ist, der eine so erschöpfende Antwort gegeben hat. Vermutlich würde er an der Heiterkeit über das Erzählte besten Mutes teilnehmen, aber sicherlich würde diese Heiterkeit bei ihm, wie eine plötzlich gestellte Mühle, innegehalten und seine Stimmung ins Gegenteil verkehrt sein, wenn er erführe, daß sein eigen Fleisch und Blut die betreffende Persönlichkeit war.

Man kann sich an diesem und jedem Fall des Lächerlichen leicht das Gesetz abstrahieren, daß nicht nur jedes Leiden durch den komischen Schaden, sondern auch jedes Mitleiden das Lachen ausschließt. Das wahre Mitleid beruth auf dem geraden Gegensatz der Selbstsucht, nämlich darauf, daß wir statt unser Ich vom anderen leidenden Ich getrennt und innerlichst geschieden zu wissen und zu fühlen, im Gegenteil es mit diesem gleich wie ein und dasselbe auffassen. Der zum Mitleiden Geneigte wird daher eine Ungereimtheit, einen Fehler oder Schaden nicht objektiv wahrnehmen und sich nicht in Bezug auf den, welcher den Schaden hat, in einer besseren Position befinden können, er wird vielmehr gleichsam jene von ARTHUR SCHOPENHAUER so oft erwähnte indische Formel, welche die Buddhisten hinsichtlich der Tiere als ihresgleichen auszusprechen pflegen, das tatwam asi, "das bist du" in sich wahr geworden fühlen und darum nicht zum Lachen kommen können. Aber noch eine andere Empfindung schließt den komischen Affekt vollkommen aus. Es ist die Verehrung. Aus dem einfachen Grund mach sie das Be- und Verlachen unmöglich, weil sie keinen Schaden und Fehl am verkehrten Gegenstand zu erkennen vermag. Wohlverstanden am Gegenstand, insofern er von ihr verehrt wird. Ich habe hiermit die zweite der beiden Formen genannt, in welchen die Liebe zur Erscheinung kommt. Sie äußert sich entweder in Erbarmung oder in Verehrung. Jenes wenn ein Objekt ihr als mangelhaft, dürftig und elend, dieses wenn es ihr reich, schön, vollkommen erscheint. Der Reichtum, die Schönheit und Vollkommenheit brauchen aber keineswegs in der Wirklichkeit vorhanden zu sein, es genügt, daß sie in der Vorstellung existieren. Wer weiß es nicht, daß die Liebe ihre Gegenstände verklärt. Die Schönheit weckt die Liebe, aber die Liebe schafft auch die Schönheit. Ich halte es daher für völlig absurd, das Komische als eine Unterart des Schönen anzusehen, wie es zum Beispiel ein berühmtester Ästhetiker der Gegenwart tut. In meinen Augen ist das Komische überall ein relativ Mangelhaftes, das Schöne ein relativ Vollkommenes. Oder anders ausgedrückt: Jenes erzeugt im Betrachter die selbstische Empfindung der Überlegenheit, dieses das selbstlose Gefühl der Bewunderung, also der Unterordnung. In der philosophischen Schulsprache faßt nun jener Ästhetiker den Begriff des Schönen als die Harmonie, gleichsam als "eine glückliche Ehe zwischen Idee und Erscheinung". Das Komische nennt er nun "das Schöne im Widerstreit seiner Momente." Demnach scheint derselbe zu den glücklichen Ehen auch diejenigen zu rechnen, bei denen sich die Ehepaare zanken und raufen, denn das ist doch wohl eine Ehe "im Widerstreit ihrer Momente." Ebenso unbegreiflich dünkt mich ferner, daß die Ästhetiker so häufig den Humor unter das Komische rubrizieren, was auch (wie wir sahen) jener früher erwähnte gefeierte Schriftsteller tut.

Der Humor gehört vielmehr seinem Stammbaum nach ebensowohl zum Ernsthaften wie zum Komischen. Er ist, um auch hier im häuslichen Bild zu bleiben, der Sprößling jener wundersam gemischten Ehe, die zuweilen in einer Menschenseele haust und bei welcher der Witz den Vater, die Liebe aber die Mutter repräsentiert.

Findet sich nämlich der im Kopf ansässigen Fähigkeit, die Gebrechen und Verkehrtheiten an den Dingen zu ent- und aufzudecken in demselben menschlichen Individuum eine gleich große Begabung mit Herzenseigenschaften, eine entsprechende Stärke und Innigkeit des Gemütslebens, mit einem Wort: ein gleich großes Maß der Liebe, dann tritt die doppelte Äußerungsform der letzteren, in Bezug auf den komischen Gegenstand, in Wirksamkeit. Entweder das Talent zum Mitleiden macht sich allein geltend, indem es dem die lächerlichen Mängel erkennenden Verstand gleichsam in die Quere kommt und, ihm, der allzeit von natur ein nüchterner Rechenmeister, ein egoistischer Kalkulator ist, zwar nicht mit logischen Argumenten, dafür aber mit den unwiderstehlichen Pulsschlägen der warmen Blutwelle, vordemonstriert, daß der Schaden kein fremder ist, sondern ein Menschliches, Irdisches, an welchem wir alle unseren Anteil haben; oder aber das Talent zur Verehrung macht sich geltend und setzt, gegenüber der blendenden elektischen Jllumination des Mangelhaften an dem Gegenstand, die vom Witz ausgeht, mit verklärender Liebe das Schöne und Treffliche an demselben Gegenstand in ein freunlich mildes Licht; oder aber alle drei Faktoren wirken in wundersamem Wechsel neben und durcheinander.

Wo wir eine Erscheinung wahrnehmen, eine Begebenheit erzählen hören usw., bei welcher wir zugleich mit der komischen Reizung einen Reiz zu mitleidiger Rührung oder zu verehrender Liebe empfinden, da sind wir in humoristischer Stimmung und wer es vermag, diese Stimmung in sich und Anderen zu erregen, der ist ein aktiver, wer es vermag, in sie von Andern versetzt zu werden, ist ein passiver Humorist. Wenn JOHANN PETER HEBEL in seiner kostbaren Erzählung "Die Schlafkameraden" den Herrn, dessen Diener sich zu viel Freiheit gegen ihn herausnimmt, Dergleichen mit der Erwägung, geduldig ertragen läßt "Ich will nicht wunderlich sein, es ist ja nicht das erste Mal, daß er's tut" - so ist diese unlogische Argumentation in ihrer überraschenden Form als solche komisch, aber die liebenswürdige Herzensgüte, die sich in ihr zu erkennen gibt, bewegt uns zugleich das Gemüt mit liebender Verehrung; wir fühlen uns humoristisch angemutet.

ERNST HEIM, der berühmte Berliner Arzt, hatte einen chirurgischen Gehilfen, von dem er wußte, daß er sich sehr schlecht auf das Zahnausziehen verstand. Gleichwohl, als Heim einmal, von heftigem Zahnschmerz gequält, sich einer Operation zu unterwerfen beschloß, konnte er es nicht über sich bringen, einen anderen geschickteren Chirurgen damit zu betrauchen, weil er seinem Gehilfen nicht "weh' tun" wollte. Auch hier eine ansich verkehrte Logik, bei der aber, wie auf einem häßlichen Gesicht, plötzlich ein lieblicher verschönernder Strahl der Freude, oder durch ein fratzenhaftes Gewölk ein milder Mondesblick, die höhere Vernunft des Herzens durchbricht.

Jener Schwabe, der zu den Soldaten gelost, ins Feld ziehen sollte und die Frage aufwarf: "Ich weiß nicht wozu das Kriegführen ist? man gebe mir meinen Feind heraus, ich will schon mit ihm - mich vertragen", erscheint komisch insofern sein überraschend und naiv ausgedrückter Mangel an Tapferkeit mit dem Begriff Mann und Soldat in einer vernunftfeindlichen Weise kontrastiert, aber die gutmütige Friedfertigkeit, welche in eben diesem Ausdruck hervortritt, erhebt ihn zum humoristischen.

Aufgrund der dargelegten Wesensbestimmung des Humors lassen sich nun die Gesetze, denen derselbe in seinem ästhetischen, historischen, ethnographischen Erscheinungen folgen muß, einfach entwickeln.

Zunächst ergibt sich daraus, daß der Grad der humoristischen Begabung, ihre Nuancen und Spielarten, bedingt sind von den Mischungsverhältnissen, in welchen in einem Individuum wie sich in ganzen Völkern Reichtum und Innigkeit des Gemütslebens mit Talent für das Komische einigen. Der höchste Grad humoristischer Beanlagung wird also selbstverständlich da zu finden sein, wo beide Gaben in gleichem und jede im höchsten Maß nebeneinander vorhanden sind.

Unter den Völkern sind daher die germanischen Stammes weitaus die humorbegabtesten; aus dem einfachen Grund, weil sie dasjenige, was wir Gemüt nennen, vor allen Nationen (zumindest soweit unsere jetzige Kulturwelt reicht) in ausgezeichnetstem Grad besitzen. Den Romanen in ihrer Volksgesamtheit geht aus demselben Grund, negativ genommen, der Humor ab. das klassische Altertum entbehrte ihn, schon deshalb, weil in der nationalen Eigentümlichkeit der Alten das Sentimentale im weitesten Sinn (also im Guten wie im Schlechten) fehlte. Bei den Hellenen konnte der Humor auch darum keine Stätte finden, weil sie ihrer ganzen natur nach plastisch veranlagt waren und somit das gerade Gegenteil der aller festen Form widerstrebenden humoristischen Anlage besaßen.

Unter den europäischen Nationen aber sind wiederum die Briten, die mit humoristischer Begabung am reichlichsten ausgestattete, weil der germanische Kern ihres Volkstums bekanntlich mit romanischen und zwar speziell französischen Elementen stark versetzt ist und infolge dieser Mischung die andere Hauptader der humoristischen Natur, die komische, bei ihnen reichlicher fließt als bei uns. Denn daß die Franzosen für die witzigste aller Nationen gelten müssen, behält seine Richtigkeit, wenn wir auch neuerdings viel Grund bekommen haben, sie noch mehr für die aberwitzigste zu halten. Der Humor im ästhetischen Sinn hat, wie wir sahen, seine Heimat in Britannien; der Prototyp aller Humoristen wara ein aus Irland stammender in England lebender Schriftsteller. Und wie reich wir Deutschen auch uns schätzen mögen an humoristischen Talenten der Vergangenheit und Gegenwart, eine so stolze Reihe wie sie England in seinen STERNE, FIELDING, ADDISON, GOLDSMITH etc. besitzt, haben wir nicht aufzuweisen und dem einzigen CHARLES DICKENS können wir doch keinen deutschen Humoristen zur Seite stellen.

Unser JEAN PAUL (um mit ihm zu einer kurzen Überschau der vaterländischen Humoristik überzugehen) hätte mehr werden können als DICKENS, aber er ist weniger geworden. Er war ausgestattet mit den beiden Faktoren des echten Humors wie wenige Ingenien [schöpferisch Begabte - wp]. Ein die Welt in Liebe umfassendes Herz und ein mikroskopisch scharfes Auge für das Lächerliche, die Torheit und Verkehrtheit der Welt, brachte er mit und mit den Schätzen seines reichen Gemüts hat er nicht gekargt, im Gegenteil, er hat sie leider zu massenhaft ausgeschüttet vor aller Welt in wahren Haufen funkelnder Diamanten und schimmernder Perlen und auch die Pfeile seines Witzköchers hat er reichlich ausgeschickt, mutvoll und furchtbar gegen Unsinn und Narrheit. Aber er war ein schlechter Ökonom in jedem Sinn, auch im geistigen. Er hatte nicht haushalten gelernt mit seinen Gütern. Oder anders ausgedrückt: es ist ihm ergangen wie Jenem im Märchen, der unter seinen eigenen Schätzen, weil er sie aus der Wunderhöhle auf Einmal fortbringen wollte, erlag. Wir wissen aus JEAN PAULs Lebensgeschichte, wie völlig absurd und systemlos die Manier war, nach welcher er als Autodidakt sich mit Wissensschnitzeln den Kopf anfüllte. Der Mangel an richtiger methodischer Geistesausbildung wurde ihm verderblich und hat die Welt vielleicht um den größten Humoristen betrogen, der ihr jemals beschert war. Jene Zettelkasten voll von kunterbunten Exzerpten, in die JEAN PAUL zu greifen und Stoff für seine Einfälle zu holen pflegte, wenn er dichtete, sind verhängnisvoll für ihn und uns geworden. Er hat seine unvergleichliche Begabung im eigentlichen Sinn verzettelt. Gleichwohl bleibt er die bis dahin eminenteste Erscheinung der deutschen Humoristik. An ihm läßt sich auch, wie außer ihm nur noch an DICKENS, eine Eigentümlichkeit, die in geringem oder höherem Grad fast bei allen bedeutenden Humoristen begegnet, nachweisen. Ich meine jene Vorliebe für das in der Welt als armselig und unbedeutend Geltende, für das Kleine und Geringe. JEAN PAUL war, wie es LUDWIG BÖRNE in seiner schönen Denkrede auf ihn ausgedrückt hat "der Dichter der Niedergeborenen, er war der Sänger der Armen und wo Betrübte weinten, da vernahm man die süßen Töne seiner Harfe."

Dieser Zug der Humoristik erklärt sich aus unserer Wesensdarlegung derselben sehr natürlich. Den Humoristen reizt, schon aus dem Trieb der Opposition heraus, der Glanz und die Vornehmheit zur scharfen Besichtigung und zur schonungslosen Aufdeckung ihrer Gebrechen. Das Verachtete, das in den Winkeln und verborgenen Ecken der Gesellschaft Wohnende dagegen weckt in ihm eher die andere Seite seines Doppelwesens. Da träufelt er den linden Balsam seines Mitleids in die Wunden der Geschlagenen und Betrübten, da findet er mit dem feinsichtigen Auge der Liebe Schönheit und Würdigkeit, wo die Welt nur Dürftiges und Niedriges zu erkennen vermag. Auf die Höhen des Lebens läßt der Humorist (wohl auch deshalb, weil er selbst meist dort nicht wohnt, denn der Humor ist seiner Natur nach ein Kind der Entbehrung und der Armut) ich sage auf die Höhen des Lebens läßt der Humorist gern die Schlaglicher des Witzes fallen, in die engen Täler strahlt er aus der Fülle des eigenen Herzens das milde Licht der verklärenden Liebe.

Sollte ich nun in dem weiten Kreis unserer deutschen Literatur diejenigen namhaft machen, welche nächst JEAN PAUL den meisten Anspruch haben, unter den von mir aufgestellten Gesichtspunkten, als wahre Humoristen zu gelten, so würde die Gruppierung und Rangfolge, in die ich dieselben zu ordnen hätte, wesentlich abweichen von der in den Literaturgeschichten üblichen, welche mit wenigen Ausnahmen die einmal von selbständigen Kritikern aufgestellte Rangordnung festhalten, wie wenn die Etikette in der Geschichte unverbrüchlich feststände, gleich dem Kodex eines Hormarschallamtes.

Legt man, was meines Erachtens das einzig berechtigte und sichere Verfahren ist, den Maßstab an, den die literaturhistorische Entwicklung und die aufgrund derselben vorgenommene ästhetische Analyse des Begriffs Humor in die Hand geben, so würden z. B. die so oft als Hauptrepräsentanten echten Humors aufgestellten HIPPEL, THÜMMEL, BENTZEL, STERNAU, teils nur in zweiter, teils kaum in dritter Linie als Humoristen zu nennen sein; weil ihnen allen die Hauptrequisiten des Humors, namentlich aber die Gemütstiefe nicht in ausreichendem Maß verliehen waren. Der durch und durch ätzendscharfe LICHTENBERG rangierte danach gar nicht mehr, wie oft unter den Humoristen. Er ist vielmehr Satiriker, d. h. er verfolgt bei seiner Komik tendenziöse Zwecke, was der echte Humor nie tut, der sich vielmehr Selbstzweck ist. (Aus dem gleichen Grund kann ich, beiläufig bemerkt, CERVANTES, den herrlichen Verfasser des Don Quichote, nicht zu den Humoristen rechnen.) Auch BÖRNE gehört aus ähnlicher Ursache nur uneigentlich in die Reihe, HEINRICH HEINE aber wegen seines überwiegenden Ernstmangels gar nicht. Daß man auch regelmäßig den sogenannten CALLOT-HOFFMANN unter die Humoristen stellt, kann ich mir nicht anders erklären als daher, daß man diesen Virtuosen der bizarren Spuknovellistik nicht anders unterzubringen wußte und ihn deshalb, gewissermaßen aus literaturhistorischer Wohnungsnot, dorthin logierte.

Dagegen würden meines Erachtens als Humoristen vom reinsten Schlag eine Anzahl Schriftsteller zu bezeichnen sein, die man in der Regel unter ganz andere Rubriken bringt. So vor allem JOHANN PETER HEBEL. Wenn dieser in den schablonenmäßig literaturgeschichtlichen Gruppen gewöhnlich unter den Dialektdichtern figuriert, so ist dabei unbegreiflicherweise außer Acht gelassen, daß dieses herrlichen Menschen literarische Bedeutung doch nur zur Hälfte auf seinen alemannischen Gedichten beruth und daß die Einteilung der Poeten in Epiker, Dramatiker, Lyriker und Dialektdichter usw. in Wahrheit nicht viel folgerichtiger ist, als etwa wenn man die Maler einteilen wollte in Historien-, Genre-, Landschaftsmaler und solche die in Öl malen; oder als die Klassifikation jenes ausgezeichneten Systematikers, der die Hüte in runde, schwarze und Filzhüte unterschied. Auch in HEBELs alemannischen Poesien tritt uns aber schon vielfach der echteste Humor entgegen, wie in den unübertrefflichen Gedichten: Des neuen Jahres Morgengruß, die Sonntagsfrühe und anderen mehr.

Noch entschiedener jedoch macht sich der Humorist geltend in HEBELs "Erzählungen des rheinländischen Hausfreundes", diesem unvergleichlichen Schatz von Gemütlichkeit und Komik in innigster Vereinigung; diesen Geschichten, zu denen man immer wieder mit erneuter Lust zurückkehrt, bei denen sich der Genuß nie erschöpft, weil sie aus einer Menschenseele stammen, die selsbt unergründlich war in Ernst und Scherz, die mit unendlicher Liebe alles Leben umfing und doch zugleich die Wunderlichkeiten und Narreteien desselben Lebens mit feinster Witterung wahrzunehmen und witzig zu beleuchten verstand. Ich brauche nur zu erinnern an die köstlichen erzählungen von Kanitverstan, Herr Charles, usw. usw., an die tief gemütvollen Betrachtungen über die Baumzucht, deren fromme Grundstimmung von liebenswürdiger Schalkhaftigkeit durchbrochen ist, um zu erhärten, daß hier die Elemente, deren Gemisch ich als das Charakteristische des Humors darzutun versucht habe, in seltener Reinheit und in innigster organischer Vereinigung vorhanden sind.

Nicht ganz von gleicher Vollendung, weil nicht ganz frei von einer gewissen Affektion des volksmäßigen Tones in der Darstellung, immerhin aber doch auch zu den besten Gaben deutscher Humoristik gehörig, sind zahlreiche Aufsätze und Dichtungen des edlen MATTHIAS CLAUDIUS, in dessen Wandsbecker Boten z. B. ein Teil der "Briefe an Andres", die "Parentation über Anselmo" und ganz besonders der urliebenswürdige Aufsatz "Eine neue Erfindung" ganz eigentlich in das Gebiet des Humors fallen.

Die mir hier gesteckten Grenzen verbieten eine eingehendere Betrachtung dieser wie der übrigen aus unserer nationalen Literatur vorzugsweise hier eingeschlagenen Erscheinungen. Es mag genügen, wenn ich noch zunächst als nach meiner Auffassung zu den Repräsentanten echter Humoristik gehörig namhaft mache: FERDINAND RAIMUND, den Dichter jener Zauberpossen, die (wie vor allen sein "Verschwender") an wirklicher Komik und zugleich an tiefer Gemütlichkeit alle neueren, meist in jeder Hinsicht giftigen, Erzeugnisse der Posse unendlich weit hinter sich lassen; JUSTINUS KERNER, unter dessen Dichtungen namentlich die "Reiseschatten", neben allerlei romantischem Spuk, viel wahrhaft Humoristisches enthalten. Endlich den leider noch nicht allgemein bekannten ERNST KOCH, dessen "Prinz Rosa Stramin" entschieden zu den reinsten Blüten der Humoristik gehört. Einer schnöden Undankbarkeit aber würde ich mich schuldig machen, wollte ich hier noch etwas spezieller des Verhältnisses desjenigen Schriftstellers zum Humor erwähnen, der utner allen neuesten deutschen Dichtern ohne die Frage die meiste humoristische Begabung besaß. Unsere Zeit in vieler Hinsicht eine tief ernste . Von den hippokratischen Säften floß bis vor Kurzem und fließt neuerdings wieder das Blut in ihr am reichlichsten, und daneben scheint noch die schwarze Galle vorzuwiegen. Der Schriftsteller, den ich meine, hat sich nun um diese unsere Zeit das unschätzbare Verdienst erworben, ihren Ernst mit mehr erquicklicher Heiterkeit unterbrochen zu haben als alle Witzblätter, sogenannte Humoristen, Possenfabrikanten usw. unserer Tage zusammengenommen.

Selbstverständlich spreche ich von FRITZ REUTER. Die meisten seiner Dichtungen sind freilich überwiegend rein komischer Art. So die Läuschen und Riemels. Dem Stoff nach sind diese bekanntlich mit wenigen Ausnahmen das, was man Meidinger nennt, manche sogar derart, daß sie der unsterbliche Verfasser der französischen Grammatik aus Diskretion nicht unter seine klassischen Geschichten aufgenommen hat; offenbar, weil sie schon seiner Zeit zu abgelagert waren. Der Wert dieser Gedichte REUTERs beruth fast ausschließlich auf der trefflichen komischen Erzählung, zum Humor erheben sie sich kaum irgendwo. Daß FRITZ REUTER aber neben seiner reichen komischen Begabung auch einen unergründlichen Schatz an Herzensgüt und Liebesreichtum im Gemüte trug, das zu erweisen genügte allein schon sein, eben darum vielfach sich zum echten Humor verklärendes, Buch. "Ut mine Festungstid", in welchem er von der abscheulichen Behandlung, die er im Elend der Gefangenschaft erfahren, mit einer Großmut und Milde berichtet, die nur in einem Herzen von felsenfester Liebesfülle wohnen kann.

FRITZ REUTERs, nach meiner Ansicht, am meisten mit echtem Humor durchdrungenes und darum auch wertvollstes Werk ist die "Stromtid". Und in ihr begegnet uns als die bei Weitem gelungenste Gestalt, die der Dichter überhaupt geschaffen hat, sogar eine humoristische Figur ersten Rangs. Brauche ich noch ihren Namen zu nennen? Erwacht nicht in Jedem, der nur an den Unkel Bräsig denkt, alsbald diejenige Stimmung, die ich als die humoristische betrachte? Wem wird nicht lächerlich zumute und wem geht nicht zugleich das Herz in warmer Zuneigung auf, wenn er ihn sich vorstellt
    "den lütten Mann mit den rötlich Gesicht und de staatsche rode Näs, de hei wat in de Luft höll, up fine korten Beinings, de hellschen utwards stunnen, un so letzen, als wiren sei in dat lange bawenliw verkirht inschrawen worden."
Und fragen wir, was denn diese Persönlichkeit so unwiderstehlich macht und so unvergleichlich anziehender, als alle übrigen Gestalten der Dichtung - dermaßen, daß die Abschnitte, in denen der klassische Entspekter nicht auf der Szene ist, einem gleichsam nur wie Zwischenakte zwischen der eigentlichen Festvorstellung vorkommen: - So ist es wahrlich nicht seine wunderliche Gestalt, oder sein allerdings hochkomischer Jargon, in dem er spricht "der gebildete Stil", in welchem er seinem Freund Korl Havermann schon der Schule "über war", wie auch im Hochdeutschen und der "Ottographie"; es ist auch nicht seine oft sehr witzige Beurteilung der Personen und Dinge, sondern es beruth der Zauber dieses Menschen neben allem Jenen doch vorzüglich darauf, daß wir als Urgrund seines Wesens zwischen allen seinen Lächerlichkeiten und Wunderlichkeiten die Treue und Noblesse eines wackeren Herzens, voll Liebe für das Gute und mutiger Feindschaft gegen das Schlechte, kurz: daß wir mit reinen Silberblicken ein schönes Gemüt durchglänzen sehen. An diesem Charakter allein läßt sich das Wesen des echten Humors vollständig erkennen und nachweisen, wie denn schon die Sprache Zacharias Bräsigs gleichsam symbolisch für das Humoristische ist; insofern sich in einem "Missingsch" Hohes und Niedriges, freilich nur in einem sprachlichem Gemisch, ablösen und durchdringen.

Um noch mit wenigen Worten des Verhältnisses unserer größten nationalen Dichter zum Humor zu gedenken, so ist, was LESSING und SCHILLER angeht, schon flüchtig angedeutet worden, daß beide durchaus unhumoristische, um nicht zu sagen anti-humoristische Naturen waren. SCHILLERs ernste, immer auch die höchsten Ideale gerichtete Individualität war zur komischen Auffassung des Lebens zu wenig disponiert; LESSING, dem die witzige Ader bekanntermaßen sehr reichlich floß, entbehrte dagegen jene Weichheit des Empfindens (die Sentimentalität im guten Sinn), welche der Humoristik nach ihrer ernsten Seite unerläßlich ist. KLOPSTOCK gehört bezüglich seines Verhältnisses zum Humor in die Kategorie SCHILLERs, der seraphische Flug der Seele des Messiassängers ging zu hoch, als daß sie aus ihrer Wolkenperspektive die närrischen Unebenheiten und Schiefheiten des Weltwesens auch nur scharf zu erkennen vermocht hätte. WIELAND, der seine Ironiker und gutmütige Epikuräer hatte dagegen wieder ein zu untiefes Gemütsleben um es zu wirklichem Humor bringen zu können.

GOETHE, auch in dieser Beziehung reicher als alle anderen Reichen, besaß die Ingredienzien für den Mischtrank des Humors, jedes einzelnen genommen, im allerhöchsten Grad. Daß es BÖRNE fertig gebracht hat, ihm den Witz gänzlich abzusprechen, das ist nur ein Beweis mehr für den vollständigen Unsinn der ganzen Polemik BÖRNEs gegen seinen großen Frankfurter Landsmann; ein Unsinn, der in dem Satz gipfelt: Goethe habe das unerhörte Glück gehabt, 80 Jahre lang die Handschrift des Genies nachzumachen, ohne entdeckt zu werden. Ein Mensch, der den Mephistopheles geschaffen hat, sollte sicher sein vor der Anzweiflung seines Talents für Witz usw. Andererseits wird ein besonderer Beweis dafür, daß GOETHE auch an Herzenseigenschaften, an Gemütstiefe und warmer Liebe für Welt und Menschen auf das Reichste ausgestattet war, nur von denen verlangt, ihnen aber freilich auch nie erbracht werden können, welche die wunderliche Meinung hegen, man könne ohne diese Eigenschaften besessen zu haben, derjenige Mensch sein, welcher von allem Übrigen zu schweigen, die schönsten, tiefsten, herzinnigsten Lieder, welche die Welt kennt, gesungen hat. Wenn aber GOETHE auch, wie gesagt, alles was zur Humoristik gehört, in reichstem Maß besaß, so erscheint er doch in seinen zahlreichen Werken kaum jemals als Humorist. Er war dazu viel zu sehr Künstler, viel zu sehr plastischer Natur in seinem geistigen Leben und Schaffen, auch in dieser wie in mancher anderen Beziehung dem Griechentum wesensverwandt. Sein zahllose Male hervorgehobenes objektives Verhalten gegen die Dinge vertrug sich nicht mit der beständig schwankenden Neigung der humoristischen Weltauffassung zwischen gemütlicher Hingabe an die Dinge und witziger Kritik derselben. Für alles geistige Irrlichtelieren stand die psychische Person dieses einzigen Menschen gleichsam zu sehr im Lot.

Und diese Bemerkung mag mir dann den Ausgangspunkt bieten, von dem aus ich schließlich versuchen will, gewissermaßen aus den einzelnen Posten der bisherigen Betrachtung in Kürze die Wertsumme der Humoristik in künstlerischer und sittlicher Hinsicht zu ziehen. Wenn meine Wesensbestimmung des Humors einigermaßen zutreffend ist und die daraus gewonnenen Konsequenzen folgerichtig gezogen sind, so darf als festgestellt betrachtet werden, daß auch die eminentesten Humoristen, als Künstler betrachtet, niemals ersten Ranges sind. Die Abneigung der humoristischen Seelenverfassung gegen alle festen geschlossenen Formen macht den Humor unfähig zum künstlerischen Schaffen im höchsten Sinne. Ein großer Dichter kann humoristische Gestalten innerhalb seiner Schöpfungen verwerten (und SHAKESPEARE z. B. hat das sehr häufig getan), aber ein Humorist als solcher sein kann er nicht, weil er eben sonst kein wahrhaft großer Dichter sein würde. Und so bleiben dann auch die Wirkungen der humoristischen Darstellung hinter denen der Darstellung höchsten Stils zurück. Das Humoristische vermag uns nicht über des Lebens Leid und Widerspruch zu erheben wie das Tragische, es vermag nicht in klarer festumrissener Gestaltung uns Menschen und Dinge vorzuführen, wie das Objektiv-Epische und die vollbefriedigende Ruhe, welche echte Tragik und Epik in der Seele des Zuschauers oder Hörers hervorbringen, wird durch die Humoristik nie erreicht. Nicht minder ist diese unfähig die begeisternde oder beschwichtigende Seelenverfassung zu erzeugen, welche wir aus den Klängen der reinen Lyrik in uns herübergetragen fühlen. Das Humoristische tritt eben schon aus dem Gebiet der Kunst im eigentlichen Sinn heraus, es spielt mit allen Formen, aber es läßt sich in keine bannen.

Und damit ist zugleich die bedenkliche Seite des Humors in sittlicher Hinsicht berührt. Weit überlegen der rein komischen, ihrem innersten Wesen nach selbstsüchtigen Weltauffassung (in allen ihren Formen, vom plumpen Spaß bis herauf zur feinsten Ironie und dem schneidigsten Sarkasmus) ist die humoristische, die ja alle diese Formen in sich schließen kann, aber mit und neben ihnen auch die schönsten Kundgebungen selbstloser Liebe zur Erscheinung bringt. Aber eben weil sie neben diesen auch jene nicht nur beherrscht, sondern gewissermaßen von ihnen beherrscht wird, steht sie wiederum unter den das Leben mit ganzem heiligen Ernst nehmenden Weltanschauungen. So schon unter jener den starren unerbittlichen Pflichtbegriff als sittliche Norm aufstellenden, deren großartiges System in KANTs Theorie des kategorialen Imperativs vorliegt. So noch unendlich tiefer unter der ganz konsequenten christlichen Lebensauffassung, die zumindest meiner Ansicht nach, für das Komische durchaus keinen Raum hat; wie mir denn die Persönlichkeit des Weltheilandes schlechterdings mit allem, was Witz usw. auch im besten Sinne, heißt, unvereinbar scheint. Der Humor ist eben nur halber Ernst. Die Gefahr, der er sehr leicht unterliegt, ist, daß er das komische Spiel auch auf dem Gebiet treibt, wo der Ernst hingehört. Wer hat es nicht selbst beobachtet, daß humorbegabte Naturen im praktischen Leben gerade durch ihre Fähigkeit an den Dingen das Lächerliche zu entdecken und zu beleuchten, oft unfhig gemacht sind für stetige, ernsthafte Erfüllung ihrer Pflichten; daß ihnen (um GOETHEs Wort vom unglücklichen Günther zu gebrauchen) ihr Leben wir ihr Dichten zerrinnt.

Das sind die Schattenseiten des Humoristischen in ästhetischer und in ethischer Hinsicht. In dieser wie jener bleibt er unter dem Niveau des Idealsten. Gleichwohl behält er, wie die Welt einmal beschaffen ist, von Gottes Gnaden sein gutes Recht zur Existenz. Erreicht und erstrebt er nicht die höchsten Ziele in der Kunst wie im Leben, so gehört er in seinen reinsten Erscheinungsformen doch zu den besten Wohltätern, zu den Tröstern des Menschengeschlechts. Die eigentliche Mischung von Ernst und Komik im Humor entspricht am meisten unter allen Erscheinungen dem wirklichen Leben selbst, in welchem der bittere Ernst und die Narrheit, das Erhabene und das Lächerlich so dicht bei einander wohnen und so wunderlich durcheinander gewirrt sind. Tritt aber die Vereinigung jener Eigenschaften, die ich als die Faktoren des Humors nachzuweisen versuchte, in einem Menschen in glücklichem Ebenmaß auf und ist sie durch Temperament oder Erziehung zur Überwindung der Gefahren, die in der humoristischen Artung gelegen sind, geeignet oder durchgedrungen, dann gehört der Humor zu den menschlich liebenswürdigsten Erscheinungen. Dann tritt er uns in der Form jener milden Ironie entgegen, die uns z. B. in GOLDSMITH's "Landprediger von Wakefield" so unendlich wohltuend anmutet, dann ist im Humor die Disharmonie des Lebens zwar nicht in höchstem Einklang aufgelöst, aber sie verletzt dann nicht mehr in schneidender Schärfe, sie ist gedämpft zu einem linderen Klang. Die Torheit und Unvernunft faßt der Humor mit den hellen Verstandesaugen blitzschnellt, zugleich aber geht ihm auch das Herz auf in einer erbarmenden oder verehrenden Liebe. Und das eben ist die schönste Wirkung allen echten Humors, daß er uns das Leben auch in seinen Unzulänglichkeiten liebenswert erscheinen läßt, daß er sie zwar komisch beleuchtet, aber auch alsbald mit ihnen die Herrlichkeit und Schönheit des Daseins ins Licht treten läßt; daß er am Großen und Stolzen das Kleine und Nichtige, aber am Kleinen und Unbedeutenden auch das Schöne und Treffliche aufzeigt. Darum, solange in des Menschen Kopf der Verstand für die Wahrnehmung des Verkehrten und Lächerlichen und in des Menschen Herz die Liebe wohnt, wird der Humor als der gute Freund, der beider Hände versöhnend ineinander legt, ein liebenswürdiger Gast von all denen willkommen geheißen werden, die ihn in seiner wundersamen Doppelsprache verstehen.
LITERATUR - Karl Altmüller, Der Humor, Kassel 1878