cr-2p-4ra-1BaerwaldNatorpKönigMFKGuttmann     
 
WALTER TAYLOR MARVIN
Die Gültigkeit unserer
Erkenntnis der objektiven Welt

[3/3]

"Wird das Vorgestellte als Vorgestelltes beschrieben, so ist es gewiß nicht mehr das Gegebene. Aber indem wir es von jedem Urteil frei machen, fällt es mit dem Gegebenen selbst zusammen. Nur indem wir eine Regel behaupten, bleibt es nicht mehr das Gegebene, sondern wird für uns Gegenstand unserer Vorstellung. Wenn wir das Gegebene also irgendwie beschreiben wollen, müssen wir es eben als Vorgestelltes beschreiben. Das also, was uns schließlich gegeben ist, ist durch die letzte Quelle der Gegenstände oder Bestandteile unserer Urteile."


III. Teil
Das objektive Urteil

§ 16. In diesem letzten Teil unserer Beweisführung untersuchen wir nicht mehr das Urteil im allgemeinen, sondern die besondere Art des Urteils, die wir das objektive Urteil nennen. Diese Untersuchung läuft zum Teil unvermeidlich auf eine etwas ausführlichere Darlegung dessen hinaus, was wir schon über das Urteil im allgemeinen ausgesagt haben. Diese Ausführlichkeit wird aber keine bloße Wiederholung sein, sondern soll die Ergebnisse unserer früheren Untersuchung auf das speziellere Gebiet des objektiven Urteils übertragen.

Es ist unsere Aufgabe, das Wesen der Objektivität darzustellen, die wir den Gegenständen der empirischen Welt zuschreiben und dadurch das objektive Urteil zu rechtfertigen.

Die Bedeutung des Wortes Objektivität haben wir im allgemeinen schon dargestellt. Es sollte ein Auseinandersein zweier Gegenstände heißen. Dieses Auseinandersein kann räumlich oder zeitlich sein, es kann auch durch die Wesensverschiedenheit oder durch die selbständige Existenz solcher Gegenstände, wie unsere eigenen Bewußtseinsvorgänge sind, ausgemacht werden, die voneinander nicht räumlich, und oft auch nicht zeitlich unterschieden werden können. Im Besonderen aber soll die Objektivität das Auseinandersein der Gegenstände unseres Erkennens und des Erkennens selbst bedeuten. Sie soll also die empirische Realität ausdrücken, d. h. die Existenz einer Welt in Raum und Zeit. Als Glieder dieser Welt setzen wir verschiedene Gegenstände. Wir behaupten also, daß diese Gegenstände Bestandteile der empirischen Welt sind, und als solche Bestandteile Existenz besitzen.

Da unser Erkennen, während es sich vollzieht, ein gegenwärtiger Vorgang ist, bedeutet die Objektivität nicht nur, daß die verschiedenen Gegenstände, die wir um uns wahrnehmen, zeitlich und räumlich voneinander verschieden sind, sondern auch, daß sie von unserem jetzigen vorstellenden Bewußtsein verschieden sind. Diese besondere Prägung kommt für uns hier in Betracht.

Wenn wir sagen, daß die Gegenstände objektiv sind, meinen wir nicht nur, daß sie Teile der empirischen Welt sind - das sind sie ohne Zweifel -, sondern auch, daß sie eine Existenz außerhalb ihres jetzigen Vorgestelltwerdens besitzen. Wir meinen nicht, daß der jetzige Bewußtseinsinhalt die ganze empirische Welt ausmacht, sondern daß dieser Bewußtseinsinhalt nur ein Teil derselben ist, und daß die Gegenstände, über die wir denken, die wir also auch vorstellen, selbständig gegenüber diesem Vorgestelltwerden existieren. Somit kommen wir zu der Frage: welchen Arten von Gegenständen schreiben wir Objektivität zu?

Wir teilen die Welt in eine räumlich-zeitlich und eine bloß zeitliche Welt, d. h. die physikalische und die psychische Welt. Innerhalb beider besteht eine Welt, die jetzt nicht mehr ist, die vergangene Welt, sowie die jetzige Welt und schließlich die Welt der Zukunft. Wir behaupten also, daß die räumliche Welt, die um uns liegt, war, ist und sein wird. Wir behaupten ebenso, daß unser eigenes Seelenleben war, ist und wahrscheinlich sein wird. Innerhalb der bloß zeitlichen Welt unterscheiden wir ferner, zwischen meinem Bewußtsein und dem Bewußtsein anderer beseelter Wesen. Auch das Seelenleben dieser anderen Wesen war, ist und wird sein.

Die Objektivität also dieser Gegenstände, als Teile der empirischen Welt, besteht darin, daß sie außer ihrem Vorgestelltwerden existieren. Sie sind meinem jetzigen Bewußtsein objektiv oder transzendent.

Wir können sie also auf drei große Klassen reduzieren. Diese sind:
    1. Die Gegenstände der räumlichen Welt,

    2. die Bewußtseinsvorgänge anderer beseelter Wesen und

    3. unsere eigenen vergangenen Bewußtseinsvorgänge.
Wir untersuchen also das Wesen des Urteils im Hinblick auf die Gegenstände, die diesen drei Klassen angehören. Wir fragen speziell, in welchem Sinn wir ihnen Objektivität zuschreiben, und inwiefern die Urteile über ihre Existenz gültig sind.

Unsere erste Aufgabe ist festzustellen, welche Urteile wir als Behauptungen der Objektivität der Gegenstände betrachten. Sind es nur diejenigen, in denen man ausdrücklich aussagt, dieser oder jener Gegenstand ist objektiv oder real? Offenbar nicht; wir müssen vielmehr anerkennen, daß in den Urteilen, welche objektive Urteile heißen, die Objektivität oft nur indirekt und oft gar nicht in den Worten selbst ausgedrückt ist.

Um festzustellen, welche Urteile objektiv sind, brauchen wir uns nur an die Lehren des zweiten Teils der obigen Untersuchung zu erinnern. Wir hatten gefunden, daß unsere Urteile im allgemeinen als Verkürzungen betrachtet werden müssen, daß ferner oft Vorstellungen, die eigentlich gar keine Urteile sind, von der Erkenntnistheorie als Urteile angesehen werden müssen. Diese Lehre wollen wir auf einige neue Beispiele anwenden. Wenn ich sage, "dieser Gegenstand (der vor mir liegt) ist ein Buch" kann ich mindestens zweierlei meinen. Ich könnte meinen, daß dieses Buch nur ein Teil meiner jetzigen Wahrnehmung ist, oder auch, daß andere Menschen dasselbe Buch wahrnehmen, oder wahrnehmen würden, wenn sie hier wären.

In diesem Urteil selbst wird gar nicht ausgedrückt, welche von diesen möglichen Bedeutungen gemeint ist. Wie wir gesehen haben, zeigt die Natur in der Sprache wie in der Entwicklung der Tiere überhaupt die Tendenz, sparsam mit ihren Kräften zu sein. Dasselbe Organ, das ursprünglich einen bestimmten Zweck erfüllte, hat sich allmählich so entwickelt, daß andere Zwecke durch dasselbe erfüllt werden können, oder ist sogar, wenn nicht mehr nützlich, allmählich verschwunden. Gerade so in der Sprache; obgleich wir viele unnütze Ausdrücke besitzen, existiert doch die Tendenz, die Aussagen dort zu verkürzen, wo ihre ausführliche Wiedergabe überflüssig ist, und weiter so viel wie möglich mit der geringsten Anzahl von Worten auszudrücken. Wir lassen auch Ausdrücke soweit unbestimmt, daß sie mehrere Bedeutungen möglich machen, wenn durch die Umstände gesichert wird, daß die Bedeutung, welche nicht gemeint ist, auch nicht in Betracht kommen kann. Noch andere Unbestimmtheiten kommen vor, etwa deswegen, weil die tägliche Sprache Unterscheidungen, die in der Wissenschaft schon lange eingebürgert sind, für ihre Zwecke unberücksichtigt läßt. Oft bleibt unter diesen und ähnlichen Umständen nichts anderes übrig, als den Urteilenden zu fragen, was er meint. Wenn ich also das Urteil fälle "dieser Gegenstand ist ein Buch", so könnte der Satz in mehreren verschiedenen Bedeutungen verstanden werden.

Allgemein dürfen wir also sagen, daß wir ein gegebenes Urteil ein objektives nennen müssen, obgleich die Objektivität des Gegenstandes der Aussage gar nicht ausdrücklich behauptet wird, obgleich dieselbe sogar oft nicht einmal ins Bewußtsein des Urteilenden tritt. Wir müssen sie objektive Urteile nennen, weil der Urteilende, wenn wir ihn fragen würden, uns antwortet: "Ich meine allerdings, daß der Gegenstand objektiv ist." Wenn man uns daher frägt, was tatsächlich im Bewußtsein ist, wenn wir ein objektives Urteil vollziehen, so müssen wir antworten, daß die Objektivität des Gegenstandes oft gar nicht als Bestandteil des Urteilsbewußtseins vorhanden ist.

Im täglichen Leben ist es ganz unnötig, daß wir die Objektivität der Gegenstände unserer Urteile ausdrücklich behaupten. Sie versteht sich von selbst. Wir müssen die Urteile in die Voraussagen, denen sie entsprechen, umbilden, um uns klar zu machen, ob sie objektive Urteile sind, und worin die von ihnen behauptete Objektivität besteht.

Unsere letzte Aufgabe ist es demnach, Urteile, in denen die Objektivität der drei verschiedenen Klassen von Gegenständen behauptet wird, daraufhin zu untersuchen, ob sie sich in Voraussagen umbilden lassen, und ob diese Voraussagen die eigentliche Bedeutung ausdrücken, die dem Urteil der Sache nach zukommt; worin schließlich die Objektivität dieser Urteile besteht.

§ 17. Wir kommen zuerst zu den Urteilen, in denen Gegenständen der räumlichen Welt Objektivität zugeschrieben wird.

Wenn ich also behaupte, "dieser Gegenstand (der vor mir liegt) ist ein Buch": in welche Voraussagen hinsichtlich der Objektivität läßt sich dieses Urteil umbilden? Der Gegenstand ist gewiß nicht irgendein anderer Gegenstand als der, den ich wahrnehme, den ich sehe, der gerade vor meinen Augen steht. Der Gegenstand, über den wir urteilen, ist der vorgestellte Gegenstand.

Frägt man mich, ob dieser Gegenstand (das Buch) der Gegenstand eines Traumes ist, einer Halluzination oder einer Jllusion, so wäre wohl die Antwort: durchaus nicht. Vielmehr meine ich, daß ich eine bestimmte Wahrnehmung durch den Tastsinn bekommen würde, wenn ich meine Hand ausstrecken und das Buch anfassen würde. Ich meine, daß ich, falls ich das Buch vom Tisch nähme, eine andere Wahrnehmung von ihm haben würde, nämlich von seinem Gewicht; daß das Buch, wenn ich es ins Feuer werfe, brennen würde, daß, wenn andere Menschen hier wären, sie von mir befragt, sagen würden, daß auch sie diesen Gegenstand sehen, daß er ein Buch genannt wird, daß auch sie dieselben oder ähnliche Gefühle oder Wahrnehmungen hätten, wenn sie das Buch anfassen oder haben würden. Ich meine ferner, daß das Buch, wenn ich jetzt sterben würde, noch immer als Gegenstand der Wahrnehmungen Anderer bleiben würde. Wenn ich andererseits das Buch tatsächlich anzufassen versuchte und dann keine Tastempfindung erfolgt, würde ich sofort das Gefühl haben, daß ich getäuscht werde. Ebenso, wenn die Erfahrung anderer Menschen ganz anders lautet als die meinige, falls sie unter denselben Voraussetzungen den Gegenstand nicht sehen und tasten könnten. Es sind zahllose Vorstellungen möglich, die durch Assoziationen in meinem Bewußtsein auftreten können, und mich, falls sie in Widerspruch mit der gegenwärtigen Erfahrung wären, zu dem Urteil treiben würden, daß ich mich geirrt habe, daß mein Urteil falsch wäre. Aber wie kann dies der Fall sein, wenn ich mein Urteil nicht in irgendeinem Sinn als die Voraussage solcher möglichen übereinstimmenden Erfahrungen betrachte?

Mein Urteil läßt sich eben in Voraussagen umbilden, und diese Voraussagen sind eben das, was ich für die vollständige Begründung der Wahrheit meines Urteils beibringen kann. Die tägliche Beobachtung jedes Menschen stellt fest, daß die Begründung der Wahrheit solcher Urteile aus lauter Wahrnehmungen besteht, die wir durch lange Erfahrung unter bestimmten Voraussetzungen erwarten.

Ich sehe ferner einen entfernten Gegenstand und sage: "der Gegenstand ist ein Haus". Was würden die Voraussagen sein, in die sich dieses Urteil umbilden läßt? Würde mein Urteil nicht heißen, daß wenn wir in die Nähe kommen, wir einen bestimmten Gegenstand, den man als Haus erkennt, wahrnehmen würden, und so wahrnehmen, daß aller Zweifel an seiner Realität für uns aufhören würde? Würden wir unser Urteil nicht als falsch ansehen, sobald wir finden, daß sich dort kein Haus befindet, sondern etwa ein großer Stein? Würde das Urteil nicht voraussagen, daß ich den Gegenstand, wenn ich ihn durch ein Fernrohr ansehe, als Haus bestimmt erkennen würde usw.?

Allgemein also: Würden wir nicht das, was für uns die vollständige Begründung unseres Urteils wäre, als in einem solchen Zusammenhang mit unserem Urteil betrachten, daß wir das Urteil, wenn die Daten dieses Zusammenhangs irgendwie in Widerspruch zu ihm ständen, als falsch bezeichnen würden?

Wäre es vorgekommen, daß mir ohne mein Wissen ein Bein amputiert worden wäre, so könnte ich nach Wiedererlangung des Bewußtseins, während ich im Bett liege, Urteile fällen, wie: "ich bewege meinen Fuß" oder: "der Fußt tut mir weh" und anderes mehr. Auch das würde nicht nur heißen, daß bestimmte Vorgänge in meinem Bewußtsein wären. Wir haben wiederum nur nötig, es in die entsprechenden Voraussagen umzubilden, etwa in Behauptungen wie: "man wird mein Bein sehen, und dabei auch den bewegten Fuß" usw., um uns zu überzeugen, daß sie allein die Gültigkeit der Behauptung begründen.

Wir sagen etwa ferner: "es existiert ein Erdteil Australien." Obgleich dies Aussage nicht selbst eine Voraussage ist, so muß ich doch, will ich sie gegen allen Zweifel oder alles Mißverständnis sichern, ihre Begründung dadurch versuchen, daß ich sie zu all dem in Beziehung setze, was mir die vergangene Erfahrung zu behaupten ein Recht gibt; wiederum natürlich unter der Voraussetzung, daß unter denselben Bedingungen dasselbe geschehen wird. Es wäre mir wohl gar nicht eingefallen, die Existenz Australiens ernsthaft zu behaupten, wäre sie nicht durch bestimmte frühere Erfahrungen gesichert. Ich meine also, daß ich sowohl die Begründungen der Existenz Australiens, die ich früher gewonnen habe, als noch andere unter bestimmten Voraussetzungen wieder erhalten kann.

Was meine ich mit der Behauptung, daß die Erde vor Zeiten ein glühender Ball war, daß England früher keine Insel war, daß es eine Zeit gab, in der keine Tiere auf dieser Erde waren, daß CICERO von 104 bis 43 v. Chr. lebte. Was kann ich anderes meinen, als daß man unter bestimmten Umständen bestimmte Wahrnehmungen machen kann? Ich meine (wenn ich die genannten Lehren der Geologie beweisen will), daß man bestimmte Felsen, Formationen unter Umständen finden kann, die erfahrungsmäßig lehren, daß sie nur durch große Wärme hervorgebracht werden konnten. Ich kann also nur meinen, daß man eben die Beweisgründe, d. h. Wahrnehmungen, erlangen kann, durch welche die Geologen jene Annahmen sichern. Nicht anders steht es um Behauptungen der früheren Existenz irgendeiner Persönlichkeit; sie etwa sagen aus, daß bestimmte geschichtliche Beweisgründe, etwa bestimmte literarische oder achäologisch Dokumente vorhanden sind, deren Wahrnehmungen jene Existenz außer Zweifel setzen.

Gegen diese Lehre wird man vielleicht einwenden, daß wir viel mehr als solche Voraussagen meinen. Wir meinen, daß die Gegenstände eine von unserer Erfahrung absolut unabhängige Existenz besitzen, und daß es Gegenstände gibt, die wir selbst nie erfahren haben oder erfahren können. Darauf antworten wir: Gewiß meinen wir, was wir nie erfahren können, d. h. als einzelne Individuen. Doch bleibt das Gemeinte auch hier innerhalb der Grenzen möglicher Wahrnehmung. Das Urteil, die Erde wird schließlich in die Sonne hineinstürzen, sagt aus, was keiner von uns erfahren wird. Aber was wir in ihm meinen, ist nicht irgendetwas, was außerhalb aller möglichen Erfahrung liegt. Unser Meinen geht vielmehr auf die Gesamtheit dessen, was zur vollständigen Begründung eines Urteils gehört, und es versteht sich nach dem Gesagten von selbst, daß diese vollständige Begründung lediglich durch Daten einer möglichen Wahrnehmung gewonnen werden kann. Wir haben bis jetzt bewiesen, daß die Urteile, durch die wir Gegenstände als objektiv, d. h. hier als Glieder der räumlichen Welt behaupten, sich in Voraussagen umbilden lassen, und daß eben diese Voraussagen das wirklich Gemeinte ausdrücken. Wird das objektive Urteil in eine solche Voraussage umgebildet, so besteht es in der Behauptung, daß man unter bestimmten Voraussetzungen Wahrnehmungen erhalten kann, welche die Beweisgründe für die Objektivität des Urteils enthalten.

Die Objektivität, die wir den Gegenständen zuschreiben, besteht daher lediglich in einer Regel über die Beharrung ihres Wahrgenommenwerdens als räumlicher Gegenstände. Wir kommen damit zu einer ähnlichen Lehre, wie derjenigen, die HERBERT SPENCER in seinem First Principles (1)entwickelt. Er sagt:
    "Mit Realität meinen wir Beharrlichkeit im Bewußtsein. - Das Reale, wie wir es uns vorstellen, wird nur durch die Prüfung der Beharrlichkeit unterschieden; denn durch diesen Test trennen wir es von dem, was wir das Unwirkliche nennen. Und wenn wir Zweifel an der Gültigkeit oder Illusivität [Jllusiosartigkeit - wp] eines Eindrucks haben, der in der Abenddämmerung auf uns gemacht wurde, regeln wir die Angelegenheit, indem wir beobachten, ob der Eindruck bei näherer Betrachtung bestehen bleibt; und wir prädizieren die Realität, wenn die Persistenz [Dauerhaftigkeit - wp] vollständig ist."
Das objektive Urteil ist demnach in seinem letzten Bestand folgendermaßen zu fassen.

Das Gegebene selbst wird durch das Denken verlassen, indem wir Unterschiede in ihm machen. Diese Unterscheidungen bestehen darin, daß eine Regel der Beharrung des Vorgestellten im Bewußtsein behauptet wird, d. h. sie sagen voraus, unter welchen Voraussetzungen wir bestimmte Wahrnehmungen gewinnen werden. Wird das Vorgestellte als Vorgestelltes beschrieben, so ist es gewiß nicht mehr das Gegebene. Aber indem wir es von jedem Urteil frei machen, fällt es mit dem Gegebenen selbst zusammen. Nur indem wir eine Regel behaupten, bleibt es nicht mehr das Gegebene, sondern wird für uns Gegenstand unserer Vorstellung. Wenn wir das Gegebene also irgendwie beschreiben wollen, müssen wir es eben als Vorgestelltes beschreiben. Das also, was uns schließlich gegeben ist, ist durch die letzte Quelle der Gegenstände oder Bestandteile unserer Urteile.

So ist schließlich die Objektivität eine Behauptung, die nichts enthält, als was wir vom Gegebenen her bekommen. Die Existenz, welche behauptet wird, fällt, wird sie losgelöst von allen Urteilen, mit dem Gegebenen selbst zusammen.

Unsere Analyse ist jedoch noch nicht beendet. Die allgemeine Formulierung, daß wir unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Wahrnehmungen gewinnen werden, führt zu den weiteren Fragen: Worin bestehen jene Voraussetzungen und diese Wahrnehmungen.

Wir antworten Folgendes: Aufgrund wiederholter Erfahrungen halten wir einen Gegenstand, der durch unsere verschiedenen Sinne wahrgenommen wird, für objektiv. Der Gesichtssinn und der Tastsinn sind die Hauptrichter über die Gegenstände der Außenwelt. Doch wissen wir, daß beide Sinne uns täuschen können. So scheint es schließlich möglich zu sein, daß unsere Kriterien der Objektivität uns doch in Irrtümer führen können. Es entsteht also der skeptische Einwand; wie wissen wir, daß alle Wahrnehmungen nicht schließlich Halluzinationen sind, oder wenn nicht gerade Halluzinationen, so doch etwas, was wir nur als eine permanente Halluzination beschreiben können?

Hiergegen kann man nur erwidern, daß die Annahme einer permanenten Halluzination eine unsinnige ist. Der einzige Einwand, den ein solcher Skeptizismus mit Recht vorbringen könnte, wäre, daß Halluzinationen und Jllusionen zu häufig sind, als daß es möglich wäre, das wahrhafte und das illusorische Sein voneinander zu unterscheiden. Tatsächlich jedoch stellen wir im normalen Leben fast stets, was halluzinatorisch und illusorisch ist. Alles Übrige ist für uns echte Wahrnehmung. Solange wir den Regeln treu bleiben, welche diese Unterscheidungen ermöglichen, ist der Unterschied zwischen Halluzination und Jllusion einerseits, sowie den Wahrnehmungen andererseits gesichert. Als Voraussagen gelten unsere Urteile nur unter der Voraussetzung der Gültigkeit dieser Unterscheidungen. Die Regeln der Objektivität sind selbstverständlich relativ.

Der Skeptizismus, der eine ganz andere Vorstellung von Objektivität einführen will, darf solangen nichts gegen die Gültigkeit unserer Erkenntnis einwenden, bis er beweisen kann, daß unsere Urteile über die Objektivität mit unserem Begriff der Objektivität in Widerspruch geraten. Der Skeptiker, der unsere Wahrnehmungen als illusorisch betrachtet, führt einen neuen Begriff der Objektivität ein. Von seinem Standpunkt mögen unsere Wahrnehmungen illusorisch sein; das trifft jedoch in keiner Weise die Urteile des täglichen Lebens. Diese behaupten gar nicht, was der Skeptiker sie behaupten läßt. Unsere Regeln für die Unterscheidung zwischen Traum, Halluzination und Jllusion sind praktisch so weit genügend festgestellt, daß der Gesunde nicht in Gefahr kommt, lange im Irrtum zu bleiben.

Wenn wir also sagen, dieses Buch oder ein ähnlicher Gegenstand, den wir wahrnehmen, ist objektiv, oder nicht, so meinen wir nur, daß wir durch bekannte Hilfen unserer Sinne Bestimmtes wahrnehmen können.

So viel aber geben wir zu, daß der vollständige Beweis unserer objektiven Urteile eine Erfahrung voraussetzt, die schließlich unendlich ist.

Webb wir z. B. sagen: "der Mann A starb vom 500 Jahren", so können wir nie sicher sein, daß nicht morgen oder übermorgen Wahrnehmungsdaten gefunden werden, die zeigen, daß wir uns geirrt haben. Aus dieser Tatsache fließt jedoch keineswegs ein Einwand gegen die Gültigkeit des objektiven Urteils als Denkprozeß.

Auch die Lehre, daß wir unsere Urteile so lange als wahr betrachten, bsi sie als falsch bewiesen sind, oder bis irgendeine Erfahrung uns Daten liefert, welche der Behauptung in unserem Urteil widersprechen, besteht zu Recht.

Noch ein weiteres Moment haben wir dem Skeptizismus zuzugeben, das jedoch in keiner Weise als Einwand gegen unsere Erkenntnis der Objektivität gebraucht werden kann.

Zweifelsohne ist unser Begriff der Objektivität kein fester. In Übereinstimmung mit dem, was wir im ersten Teil der Arbeit gesagt haben, müssen wir die Regel, nach der wir über die Objektivität entscheiden, als veränderlich ansehen. In diesem Sinn läßt sich der Unterschied von primären und sekundären Qualitäten aufrechterhalten, also sagen, daß jene objektiv und diese subjektiv sind. Es ist in keinem Sinne ein Einwand gegen unsere Erkenntnis der Objektivität, wenn wir verschiedene vergrößerte Räume als den objektiven Raum, oder eine Welt von Atomen als die wirkliche objektive Welt betrachten. Der Einwand gilt nur, wenn unsere Urteile in Widerspruch mit unserem Begriff der Objektivität geraten. Aber auch wenn wir eine solche Atomwelt als objektiv annahmen, bleibt doch die Objektivität eine Voraussage dessen, was wir als die vollständige Begründung ihrer Gültigkeit betrachten; und diese vollständige Begründung kann nur auf dem Weg erlangt werden, der auf mögliche Wahrnehmungen hinführt.

§ 18. Wir haben nunmehr zur oben genannten zweiten Klasse von objektiven Gegenständen überzugehen, also die Frage zu beantworten, worin die Objektivität, die wir dem Bewußtsein anderer beseelter Wesen zuschreiben, tatsächlich besteht. Wir wollen als Beispiel das Urteil nehmen: "alle Mitmenschen sind beseelt."

Läßt sich, so haben wir wiederum zu fragen, dieses Urteil in Voraussagen umbilden und wenn so, in was für welche?

Von vornherein kann man auf die erste Frage antworten: "Gewiß, so weit wie wir den möglichen vollständigen Beweis vor Augen haben." Aber sofort wird sich ein Einwand erheben. Das obige Urteil muß doch als eine bedeutsame Ausnahme von den bisher behandelten Lehren gelten. Die Seelen anderer Menschen, d. h. die tatsächlichen Bewußtseinsvorgänge [volkelt-streit] in ihnen, liegen außerhalb aller uns möglichen Erfahrung. Nie haben wir die Schmerzen, die Freuden usw. anderer Wesen gefühlt. Nie sind die tatsächlichen Wahrnehmungen anderer Wesen "meine" Wahrnehmungen gewesen. Dies ist so wenig der Fall, wie ein Blindgeborener jemals das Licht gesehen hat, weil seine Mitmenschen es gesehen haben. Wenn wir die Bewußtseinsvorgänge Anderer erfahren könnten, wäre auch der Blinde nicht immer blind.

Vielleicht werden diejenigen, die an die Lehre von der Telepathie oder die Übertragung von Gedanken glauben, einwenden, daß wir das Bewußtsein Anderer in uns tatsächlich erfahren können.

Diese Annahmen liefern jedoch, selbst wenn sie Recht hätten, keine Einschränkung der obigen Behauptung. Wie könnten wir wissen, daß Gedanken übertragen worden sind? Gewiß nur entweder durch das Zeugnis Anderer, daß sie zur selben Zeit dieselben Gedanken wie wir gehabt haben, oder durch physikalische Erscheinungen, die nach unserer Meinung einem zureichenden Beweis für eine solche Übertragung abgeben. Unsere Beweisgründe bleiben demnach schließlich doch durchaus unsere eigenen Wahrnehmungen. Weiter: jene Argumentationen würden dennoch nur beweisen, daß meine Bewußtseinsvorgänge in ihrem Inhalt ähnlich oder dieselben sind, wie die eines anderen Menschen, aber niemals, daß die Gedanken jenes Anderen die meinigen sind, oder daß die meinigen die seinigen geworden sind. Wenn die Lehre überhaupt Recht hat, darf sie nur behaupten, daß zur selben Zeit in zwei Menschen Bewußtseinsvorgänge denselben Inhalt haben, und daß dies nicht durch die gewöhnliche Art der Mitteilung geschieht. Es folgt dagegen nicht, daß das tatsächliche Bewußtsein eines Anderen mein Bewußtsein werden, d. h. von mir wahrgenommen werden könnte.

Wir dürfen demnach zu der Behauptung zurückkehren, daß die Bewußtseinsvorgänge anderer Menschen außerhalb aller uns möglichen Erfahrung liegen. Wie kann man das Urteil: "X freut sich" in eine Voraussage einer möglichen Wahrnehmung umbilden? Besteht dieser Einwand zu Recht oder nicht?

Wenn das, was ich von den anderen Menschen aussage, als Bestandteil meines Bewußtseins nicht anzutreffen ist: was ist es dann eigentlich, das ich ihnen zuschreibe?

Wäre es wahr, daß ich, wenn ich die Existenz anderer Seelen behaupte, ein "Ich weiß nicht was", ein unbekanntes Etwas behaupten würde, so würde folgen, daß wir Sinnloses behaupten, so oft wir sagen: "X hat Zahnschmerzen". Wie kann es sein, daß man von anderen Menschen aussagt, was man selbst nicht zum Gegenstand seines Vorstellens machen kann?

Solange der Satz Recht hat, die Gegenstände unserer Urteil sind Gegenstände unseres Vorstellens, kann der obige Einwand nicht zurecht bestehen. Wenn es also zutreffend ist, daß das Bewußtsein meiner Mitmenschen außerhalb des Kreises unserer möglichen Erfahrung liegt, so darf das nicht heißen, daß das Bewußtsein Anderer nicht Gegenstand unseres Vorstellens sein kann. Gewiß geben wir zu, daß die Bewußtseinsvorgänge in Anderen außerhalb unserer eigenen Erfahrung liegen. Wir zweifeln sogar nicht daran, daß dies der Fall ist. Wir haben also nicht zu untersuchen, ob dieser Satz wahr ist, sondern nur, was er bedeuten kann.

In der Tat liegt das Bewußtsein meiner Mitmenschen außerhalb des meinigen; sonst gäbe es kein Bewußtsein außer dem meinigen. Worin also besteht die Objektivität, die wir diesen Gegenständen zuschreiben? Nie fühlen wir, daß wir Unsinniges aussagen, wenn wir die Existenz anderer Seelen behaupten. Es ist also unmöglich, daß wir von ihnen etwas aussagen, was nicht Gegenstand unseres Vorstellens ist. Dies ergibt sich durch folgende Betrachtung in der Tat. Wir finden z. B. ein Tier, das ein Sinnesorgan zu haben scheint, welches keinem unserer Sinnesorgane entspricht. Wir kommen demnach zu der Meinung, daß dieses Tier Wahrnehmungen haben muß, die von den unsrigen wahrscheinlich ganz verschieden sind. Demgemäß behaupten wir nicht nur die Existenz von Wahrnehmungen, die den unseren gleich sind, sondern auch von solchen, die von den unseren wesensverschieden sein müssen. Was also sind diese Wahrnehmungen, deren Existenz wir behaupten? Die Antwort muß sein "Wahrnehmungen, die wir nicht haben", also ein ganz negativer Gegenstand. Was sind "Wahrnehmungen, die wir nicht haben"? Kann man nicht ebensogut fragen: was sind "Nicht-Pferde" in dem Sinne, in dem diese kontradiktorische Bestimmung "Alles Existierende außer den Pferden" umfaßt. Aber schon LOTZE behauptet mit Recht, daß dieser Sinn dem Terminus "Nicht-Pferde" nicht zu eigen sein kann. "Nicht-Pferd" ist als ein Begriff von allen Wesen, die nicht Pferde sind, vielmehr ein Unding. Wir meinen mit ihm lediglich die anderen Arten irgendeiner der nächsthöheren Gattungen außer den Pferden. Der Begriff hat also einen begrenzten positiven Inhalt. Wenn demnach dem Ausdruck "Wahrnehmungen, die wir nicht haben" irgendeine Bedeutung zukommt, so können wir einen ganz negativen Gegenstand nicht meinen. Die Vorstellung einer "Wahrnehmung, die wir nicht haben" kann daher, sofern sie Positives enthält, diesen positiven Inhalt nur von unseren eigenen Wahrnehmungen her haben. Also darf man nicht einwenden, daß wir einen Fall vor uns haben, in dem das Bewußtsein das Gegebene transzendiert, also die Existenz eines transzendenten Wesens behauptet, wird. Auch was das Bewußtsein hier behauptet, stammt, so weit die Behauptung etwas Positives enthält, aus dem Gegebenen her.

Ähnlich liegt es in einem anderen Fall. Ein Blindgeborener könnte sagen
    "meine Mitmenschen sehen das Licht, das ich selbst nicht sehen, dessen Wesen ich mir nicht vorstellen kann; doch muß ich glauben, daß sie es sehen, daß also Licht existiert."
Was der Blinde hier sagt, ist keineswegs die Behauptung der Existenz eines von ihm tatsächlich unvorgestellten Etwas. Er behauptet nicht wirklich die Existenz des Lichts, das wir tatsächlich sehen. Diese Behauptung liegt ganz außerhalb seines Urteilsvermögens. Wenn wir sein Bewußtsein wirklich erkennen könnten, so ist kein Grund zu glauben, daß wir dort die kleinste Spur von einer Wahrnehmung oder einer abgeleiteten Vorstellung des Lichts in dem Sinne finden würden, in dem wir das Wort gebrauchen. Das Licht, dessen Existenz er behauptet, ist also nicht das Licht, das wir tatsächlich sehen, sondern seine Vorstellung desselben, d. h. seine Vorstellung von einer Art Wahrnehmung, die er nicht hat. Er kann gewiß dieselben Wörter brauchen wie wir. Er kann gerade so gut wie wir sagen, "es existiert das Licht". Die Frage ist aber nicht, was für Wörter er braucht, sondern was er mit den Wörtern meint. Er meint im Grunde etwas anderes als wir. Er meint schließlich durchaus nur etwas, was ihm vorstellbar ist. Wenn er sagt "das Licht ist mir ganz unvorstellbar" meint er nicht, daß sein Urteil das ganz Unvorstellbare enthält. Das Licht, das Subjekt des Urteils ist, ist gewiß eine Vorstellung.

Was also bedeutet das Wort "unvorstellbar" in diesem Sinne? Die Bedeutung wäre etwa das Folgende:
    "Meine Mitmenschen reden von einer Wahrnehmung, die, wie sie sagen, ich nicht haben kann. Durch allerlei Beweise finde ich, daß sie Tastwahrnehmungen unter Bedingungen voraussagen, unter denen ich sie nicht voraussagen kann. Sie sagen mir, daß sie durch ihr Vermögen, das Licht zu sehen, diese Voraussagen zu machen imstande sind, usw."
Also die Wörter "mir ganz unvorstellbar" bedeuten für ihn, wenn sie erklärt werden, bestimmte Erfahrungen, die er selbst gehabt hat, und glaubt wieder haben zu können: "Ich nehme wahr, daß meine Mitmenschen fähig sind, durch das Sehen Voraussagen zu machen, die ich nicht machen kann." Das Sehen ist eine Art der Wahrnehmung, ebenso wie mein Wahrnehmen durch den Tastsinn. Das Sehen ist eine Art Wahrnehmung, durch die man Tastwahrnehmungen lange vorher voraussagen kann. Dieses Vermögen habe ich nicht. Ich kann nicht voraussagen." Nach unserer Meinung ist nichts weiter Wesentliches im Wort "unvorstellbar" hier enthalten. Es kann nicht bedeuten, daß der Gegenstand seiner Aussage von ihm nicht vorgestellt ist. Es kann nur eine positive Erfahrung bedeuten, die er im Zusammenhang mit diesem Gegenstand bekommen hat. Er behauptet also nichts, was außerhalb der Grenzen seiner Erfahrung liegt; er behauptet nichts, was dem ihm Gegebenen transzendent wäre.

Gerade so verhält es sich mit unserer Behauptung von der Existenz der Seelen unserer Mitmenschen. Wir behaupten nicht die Existenz des Unvorstellbaren [spencer] in dem Sinne, daß wir als Gegenstand unseres Urteils das Nicht-Vorgestellte hätten. Im Gegenteil; wenn wir sagen, die Wahrnehmungen meiner Mitmenschen nehme ich nie wahr, so meinen wir, daß das Vorgestellte d. h. die Wahrnehmungen anderer Menschen, eine ganz andere Erfahrung für uns darstellen als unsere eigenen Wahrnehmungen sind. Wenn ich am Gesicht meines Freundes sehe, daß er Schmerzen leidet, und ich sage, "mein Freund hat Schmerzen", so liegt in diesem Urteil für mich nicht etwas von mir Unvorgestelltes. "Das Schmerzenhaben meines Freundes" ist gewiß meine Vorstellung, ja meine Wahrnehmung. Wenn ich weiter sage: "Die Schmerzen meines Freundes kann ich selbst nicht fühlen", rede ich wieder nicht über Gegenstände, die nicht Gegenstände meines Vorstellens sind, sondern sage eben, was ich erfahre. Wenn ich ein solches Gesicht habe, so ist es eine ganz andere Erfahrung, als wenn mein Freund das Gesicht hat.

Was also ist die Seele, deren Existenz wir behaupten? Wir bleiben in derselben Lage wie der Blindgeborene mit seinen Vorstellungen des Lichts. Nie stellst du dir, Leser, meine Gefühle vor, wie ich sie besitze. Nie in deinem Leben behauptest du die Existenz meiner Gedanken in demselben Sinne, in dem ich sie behaupte. Du behauptest die Existenz meiner Schmerzen, meiner Gedanken usw., wie du sie vorstellst, gerade wie der Blindgeborene die Existenz des Lichts behauptet, d. h. wie er das Licht vorstellt. Was weiß er von einem Licht in dem Sinne wie wir sehenden? Absolut nichts. Ebensowenig wissen wir von den Wahrnehmungen, die der Andere hat. Ebensowenig behaupten wir deren Existenz in demselben Sinne, wie der Andere sie behauptet. Also, wenn ich sage, "Meine Mitmenschen haben Seelen", so teile ich entweder mit, was ich jetzt wahrnehme, oder ich behaupte die Existenz eines Gegenstandes möglicher Wahrnehmung. Meine Beschreibung läßt sich wie jede Beschreibung in eine Voraussage umbilden, und zwar (wenn vollständig umgebildet) in eine Voraussage einer für mich möglichen Wahrnehmung.

Wenn ich sage "X hat Zahnschmerzen", so läßt sich das Urteil etwa in folgende Voraussagen umbilden: Ein Zahnarzt würde sagen: "der Zahn ist in einem bestimmten Zustand, den ich wahrnehmen kann, den auch Andere als die äußeren Zeichen eines solchen Schmerzes ansehen lernen können". X selbst würde ferner, wenn wir ihn fragen, uns sagen: "Ja, ich habe Zahnschmerzen", und nach meiner Erfahrung werden, wenn der Zahn ärztlich behandelt wird, voraussichtlich alle Zeichen des Schmerzes verschwinden, usw. Schließlich also meinen wir wiederum, daß unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte bestätigende Wahrnehmungen von uns zu gewinnen sind.

Das objektive Urteil also, durch das wir den seelischen Vorgängen in Anderen Objektivität zuschreiben, bildet keine Ausnahme von der Regel der objektiven Urteile. Was wir schließlich behaupten, liegt nicht außerhalb aller möglichen Erfahrung. Demgemäß läßt sich diese Art objektiver Urteile nicht nur überhaupt in Voraussagen, sondern speziell auch in Voraussagen ihres vollständigen Beweises umbilden. Und wie bei anderen Urteilen bekommen wir erst in diesen Voraussagen die eigentliche Objektivität, welche behauptet wird. Diese Objektivität besteht in einer Regel des Auftretens bestimmter Vorgänge, sie ist die Regel der Beharrung bestimmter Wahrnehmungen im Bewußtsein. Diese Wahrnehmungen sind natürlich in verschiedenen Fällen höchst verschieden. Teilweise sind die vorausgesagten Wahrnehmungen Sinneswahrnehmungen, und teilweise sind sie Selbstwahrnehmungen. Doch schließlich muß diese Art objektiver Urteile für uns in die Voraussagen umgebildet werden, daß wenn bestimmte Nervenvorgänge in meinem Nervensystem stattfinden, ein bestimmtes Bewußtsein entsteht. Die Wissenschaft behauptet mit Sicherheit, daß ein Bewußtsein existiert, wo sie ein Nervensystem genügend entwickelt findet. Dieses Urteil aber bedeutet nur, daß wir ein bestimmtes Bewußtsein in uns wahrnehmen, wenn dieselben oder ähnliche Nervenvorgänge, oder (wenn unsere Erkenntnis der Nervenvorgänge nicht so weit reicht, daß wir dies sagen können), wenn auch dieselben körperlichen Vorgänge stattfinden. Doch da die Psychologie nur in den Nervenvorgängen sicher mechanische Korrelate des Bewußtseins findet, zielt schließlich unser Urteil auf unsere Nervenvorgänge und die ihnen gleichzeitigen Bewußtseinsvorgänge ab.

Obgleich es uns also vorläufig wegen Mangel an Wissen unmöglich ist, die mechanischen Korrelate unseres Bewußtseins im Speziellen festzustellen, so würden wir doch, sollte unser Wissen es je möglich machen, diese Korrelate spezieller kennenzulernen, unsere Urteile über die Existenz anderer Seelen nach dieser speziellen Erkenntnis richten.

Der vollständige Beweis führt uns demnach auf unser eigenes Bewußtsein und seine mechanischen Korrelate. Die Behauptung der Existenz dieser Korrelate ist natürlich wieder ein Urteil, und als solches läßt es sich wiederum in Voraussagen umbilden. Wir können dieses Ergebnis auch umkehren und sagen: die Existenz des Bewußtseins in Anderen, die wir behaupten, läßt sich in die Voraussage umbilden, daß wir unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Nervenvorgänge wahrnehmen würden.

Liegt es auch nicht innerhalb unseres jetzigen Wissens zu sagen, worin diese Vorgänge speziell bestehen, so heißt dies nicht nur, daß wir den vollständigen Beweis dieser unserer objektiven Urteile nicht besitzen, sondern auch, daß wir nicht wissen, welcher Inhalt diesen Beweisgründen in einer künftigen positiven Erfahrung zukommt. Der vollständige Beweis, und mit ihm die Erkenntnis, worin diese Beweisgründe tatsächlich bestehen würden, setzt den Inbegriff aller möglichen Erfahrung voraus.

§ 19. Die Urteile der dritten und letzten Klasse, durch die einem Gegenstand Objektivität zugeschrieben wird, sind die Urteile, durch welche Objektivität von unseren Bewußtseinsvorgängen ausgesagt wird.

Im zweiten Teil untersuchten wir, ob die Erinnerung das Gegebene transzendiert oder nur das gegenwärtige Bewußtsein. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, daß die Erinnerung das gegenwärtige Bewußtsein, daß die Erinnerung selbst ein gegenwärtiges Bewußtsein ist. Eben als gegenwärtiges Bewußtsein belehrt sie uns über die Vergangenheit, die unserem gegenwärtigen Bewußtsein transzendent ist. Insofern die Erinnerung in ein Urteil umgebildet werden kann, ist sie ein sich transzendierendes Bewußtsein. Als Urteil behauptet sie die Existenz von vergangenen Vorgängen, die wir selbst wahrgenommen oder erfahren haben; sie ist also ein objektives Urteil.

Insofern die Erinnerung nur die Existenz vergangener physikalischer Erscheinungen setzt, haben wir dieselben schon untersucht. Hier ist unser Problem lediglich, welcher Art die Voraussagen sind, in die sich die Erinnerung als Behauptung der Existenz meiner vergangenen Bewußtseinsvorgänge umbilden läßt; mit anderen Worten: worin besteht die Objektivität, die ich meinem vergangenen Bewußtsein zuschreibe?

Wir betrachten die räumliche Welt, wie sie in einem beliebigen Augenblick existiert, als die Ursache oder die bestimmende Bedingung der Vorgänge, die nachher stattfinden. Also haben wir in den Vorgängen der Gegenwart und Zukunft immer die möglichen Mittel festzustellen, ob ein bestimmter Vorgang oder Gegenstand in der Vergangenheit existierte. Gewiß reicht unsere Erkenntnis nicht so weit, daß wir solche Beweise tatsächlich oft durchführen könnten. Dennoch bleiben diese beiden Bedingungsgruppen, die Gesamtheit der physikalischen Erscheinungen der Gegenwart und der Zukunft, die Quelle für den vollständigen Beweis unserer Urteile über die Existenz vergangener Erscheinungen. Wenn wir hier eine Erscheinung finden, die mit unserer Behauptung im Widerspruch steht, dann ist unser Urteil für uns falsch. Unser Urteil läßt sich also in die Voraussage aller Erscheinungen umbilden, deren Nicht-Existenz wir als einen Widerspruch, und damit als Grund der Falschheit unseres Urteils betrachten würden.

So erscheint es als Ideal unserer Erkenntnis der physikalischen Welt, die Naturgesetze so zu erkennen, daß eine Erkenntnis der Gegenwart uns auch die Erkenntnis der Vergangenheit und der Zukunft gewährleistet.

In der psychischen Welt dagegen liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Kann es jemals eine Psychologie in dem Sinne geben, wie es eine Physiologie gibt und geben kann? Das scheint nicht möglich. Ist mein gegenwärtiges Bewußtsein so durch alle meine vergangenen Bewußtseinsvorgänge bedingt, daß eine vollständige Erkenntnis der Gesetze desselben jemals möglich machen könnte, uns durch das gegenwärtige Bewußtsein offenbaren zu lassen, was unser vergangenes Bewußtsein war und unser zukünftiges Bewußtsein sein wird?

Wir können ruhig mit Nein antworten.

Ersten gibt es Lücken im Strom unseres bewußten Lebens, die wir nur mit physikalischen Erscheinungen ausfüllen können, und zweitens enstehen Bewußtseinvorgänge, deren einzige erkennbare Bedingungen wir ebenfalls in der physikalischen Welt suchen müssen, auch wenn wir die extrem parallelistische Theorie annehmen und behaupten, daß jede physikalische Erscheinung einer parallelen oder gleichzeitigen psychischen Erscheinung entspricht. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß, wo es möglich ist, der Mensch die sichersten Beweise der Existenz seiner vergangenen Bewußtseinsvorgänge in den physikalischen Erscheinungen suchen wird. Wären die physiologische Psychologie und die sonstigen Naturwissenschaften vollständig, so könnten wir nicht nur, wie oben gesagt wurde, die vergangenen physikalischen Erscheinungen erkennen, sondern auch unsere eigenen vergangenen Bewußtseinsvorgänge. Insofern also, wie unser Wissen es erlaubt, sind dann die Urteile, durch die wir die Objektivität unserer vergangenen Bewußtseinsvorgänge setzen, für die Erkenntnistheorie Voraussagen physikalischer Erscheinungen oder, wenn man so will, Voraussagen möglicher Sinnes- und Selbstwahrnehmungen. Da unser Wissen in dieser Beziehung höchst mangelhaft ist, sind unsere Urteile dieser Art oft nicht Voraussagen von Sinneswahrnehmungen, sondern lediglich von Selbstwahrnehmungen.

Oft ist also der einzige Beweis, den ich erlangen oder mitteilen kann, selbst die beharrende Erinnerung. Manche vergangenen Bewußtseinsvorgänge können nur bewiesen werden, indem wir gegenwärtig noch immer und ebenso in der Zukunft uns erinnern, daß wir sie hatten.

Solche Erinnerungen sind jedoch nie als die Daten einer vollständigen Begründung anzusehen. Obgleich wir also unsere Urteile dieser Klasse oft in Voraussagen zukünftiger Erinnerungen umbilden, sind doch die Voraussagen, welche die Erkenntnistheorie als den wirklichen Inhalt der Objektivität der vergangenen Bewußtseinsvorgänge betrachtet, ebenfalls in der physikalischen Welt zu suchen. Im täglichen Leben sind wir gewiß oft gezwungen, die Erinnerung selbst als Beweis auch in Fällen zu nehmen, wo Zweifel noch immer existieren, wo also nur bestimmte physikalische Erscheinungen, die uns vorläufig ganz unbekannt sind, uns wirklich überzeugen könnten.

Also kommen wir zu dem Ergebnis, daß für die Erkenntnistheorie die Objektivität, die wir unseren vergangenen Bewußtseinsvorgängen zuschreiben, in Voraussagen bestimmter Sinneswahrnehmungen und Selbstwahrnehmungen besteht, die wir als die Daten des vollständigen Beweises unserer Urteile betrachten.

Es bleibt noch eine Frage zu beantworten, bevor wir die Gesamtergebnisse dieser Schrift darstellen können. Wie wir im zweiten Teil behaupteten, gelten oft Wahrnehmungen und sonstige Vorstellungen für die Erkenntnistheorie als Urteile. Wie dort bemerkt wurde, finden wir auch hier, daß in tausend Fällen, in denen wir Objektivität annehmen, dies nicht durch tatsächliche Urteile, sondern aufgrund bloßer Wahrnehmungen geschieht. Wie oft gehen wir etwa durch die Straßen, ohne daß unser ganzes Betragen beweist, daß die Gegenstände unserer Wahrnehmung für uns objektive Gegenstände sind? Ja zumeist dienen unsere Vorstellungen als objektive Urteile. Daß sie in der Erkenntnistheorie als Urteile betrachtet werden müssen, wird dadurch genügend begründet, daß wir selbst sie als solche betrachten. Wer fühlt sich nicht getäuscht, wenn er einen Gang vor sich sieht, und plötzlich gegen einen Spiegel stößt? Wer fühlt sich nicht getäuscht, wenn man ihm sagt, jene Gebirge sind so und so weit von uns entfernt, während sie uns doch unmittelbar nahe schienen? Wer würde unter tausenderlei ähnlichen Umständen nicht sagen: "Ich habe mich geirrt."

Diese Vorstellungen, die denselben Zweck wie ein objektives Urteil erfüllen, muß die Erkenntnistheorie in die entsprechenden objektiven Urteile umbilden und wiederum als Voraussagen betrachten. Ist es nicht ohne weiteres einleuchtend, daß die Sinneswahrnehmung des Kindes, das nach dem Mond greift, sich in ein Urteil, ja in eine Vorraussage umbilden läßt? Daß tatsächlich ein Urteil oder eine Voraussage im Bewußtsein des Kindes vorhanden war, darf natürlich nicht behauptet werden. Daß aber die Objektivität des Mondes, wenn analysiert, in einer solchen Voraussage besteht, ist das Ergebnis unserer Untersuchung.

§ 20. Wir sind nunmehr imstande, das Gesamtergebnis unserer Untersuchung darzulegen.

Wir haben oben gefunden, daß die Objektivität, die wir den Gegenständen der räumlichen und zeitlichen Welt zuschreiben, in Voraussagen möglicher Wahrnehmungen besteht. Diese Wahrnehmungen machen die zureichenden Daten für die vollständige Begründung des Urteils aus, in dem wir Objektivität behaupten.

Man könnte fragen, läuft dieses Ergebnis nicht auf den Standpunkt eines bloßen Solipsismus hinaus? Finden wir nicht, daß schließlich die Objektivität der Gegenstände nur Regeln des Auftretens unserer Wahrnehmung sind? Die Antwort ist ein entschiedenes Nein. Die Daten, welche eine vollständige Begründung unserer Urteile ermöglichen, können nicht als Wahrnehmungen gedacht werden. Wir müssen uns jedoch mit Wahrnehmungen als Beweisgründen begnügen. Diese Wahrnehmungen bedürfen jedoch, wie wir gefunden haben, selbst einer Begründung. Die Bedingungen unseres mittelbaren Erkennens führen uns demnach durch eine Reihe von Beweisen, deren Ende erst durch die vollständige Begründung erreicht wird. Erst dann daher, wenn die Wahrnehmung mit dem unmittelbaren Erkennen zusammenfällt, mit anderen Worten also aufhört, Wahrnehmung für uns zu sein, schließt sich die Kette der Begründung. Natürlich sind wir gezwungen, die letzten Grundlagen unserer Begründungen, weil sie in der Praxis des wissenschaftlichen Denkens nur als mittelbar erkannt gefaßt werden können, Wahrnehmungen zu nennen. Wenn wirklich die Objektivität in nichts Anderem bestände, als in unseren Wahrnehmungen, dann wäre die obige Lehre in der Tat ein Solipsismus.

Wir haben jedoch im ersten Teil bewiesen, daß es für uns ein Bewußtsein nur geben kann, wenn es für uns auch ein Nicht-Bewußtsein gibt. Ebenso kann es für uns eine Gegenwart nur geben, wenn es für uns auch eine Zukunft und Vergangenheit gibt. Bewußtsein und Nicht-Bewußtsein, Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit sind schließlich als Gegenstände unseres Erkennens Gegenstände unseres Urteilens. Gegenstände unseres Urteilens aber sind sie nur, indem sie zuletzt alle ununterschieden im Gegebenen selbst vorhanden sind. Als Gegenstände unseres Urteils sind sie nicht das, als was sie uns gegeben sind. Indem sie für uns Gegenstände unseres mittelbaren Erkennens werden, ist auch für notwendigerweise eine unserem Bewußtsein objektive Welt. Dieser Beweis darf nicht als ein Zirkel angesehen werden, gerade weil sowohl das Urteile, als auch das Bewußtsein und Nicht-Bewußtsein für uns zusammen entstehen. Das Bewußtsein wird selbst gesetzt durch ein Urteil. Das Urteil aber setzt das Bewußtsein voraus. Derselbe Akt, in dem das Gegebene verlassen wird, bringt alles für uns ins Dasein. Da man mit Recht sagen kann, daß jedes Urteil seine Gegenstände in Beziehung zur gesamten Erfahrung bringt, so ist schon im ersten Urteil die ganze Welt unserer Erfahrung für uns vorhanden.

Unsere Darstellung wird vielleicht noch klarer, wenn wir nachweisen, daß wir in der Entwicklung des kindlichen Bewußtseins, zwar gewiß nicht von unserem Standpunkt der Beobachtung aus, wohl aber von dem Standpunkt aus, der dem Kind selbst eigen ist, ein Beispiel finden können. Das Erste, was wir als Beobachtende das Bewußtsein des Kindes nennen, ist ein Gegebenes. Von Urteilen ist es vollständig frei. In den ersten Urteilen des Kindes aber ist vorausgesetzt, daß bestimmte Unterscheidungen gemacht werden müssen. Das Urteil brachte, so mangelhaft es gewesen sein mag, den Gegenstand in Beziehung zur ganzen Erfahrung. Ist das erste Urteil vorhanden, so folgen Bewußtsein und Nicht-Bewußtsein, Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit als eine Reihe notwendiger Unterscheidungen. Gewiß meinen wir nicht, daß das Kind tatsächlich im ersten Urteil irgendwie ein Bewußtsein von all dem hatte; wir meinen nur, daß für die Erkenntnistheorie jedes Urteil ein ganzes System von Urteilen in sich enthält, indem es Bewußtsein und Nicht-Bewußtsein, Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit voraussetzt. Das erste Verlassen des Gegebenen gibt den Ursprung der Welt unserer Erfahrung. So mangelhaft das Urteil vom Standpunkt der Psychologie aus auch aussehen mag: vom Standpunkt der Erkenntnistheorie ist in ihm jenes Alles enthalten.

Weit entfernt also sind wir von der Lehre, daß alles Bewußtsein ist. Im Gegenteil, wenn die obigen Ausführungen zur Recht bestehen, so gibt es kein Urteil, in dem nicht die fünf Grundbestimmungen unseres mittelbaren Erkennens, nämlich Bewußtsein, Nicht-Bewußtsein Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit gesetzt sind.

Indem wir also behaupteten, daß alle Urteile für die Erkenntnistheorie Voraussagen möglicher Wahrnehmungen sind, redeten wir nur in der Sprache des mittelbaren Erkennens. Das Urteil selbst, die Voraussage, setzt die ganze Welt voraus. Eben dadurch führen uns die Urteile schließlich zu einem Erkennen, das selbst absolut frei von Urteilen ist, d. h. zum Gegebenen.

Manche Erkenntnistheoretiker nennen dieses Gegebene das gegenwärtige Bewußtsein; sie würden also sagen, daß die Welt schließlich innerhalb der Mauern desselben enthalten ist. Die Tatsache, welche jene Philosophen meinen, ist, wenn ich sie richtig verstehe, eben diejenige, welche ich im Auge habe. Sie wird nur mißverständlich, wenn das Gegebene als das gegenwärtige Bewußtsein bezeichnet wird; ja sie muß, wenn diese Bezeichnung sorgsam analysiert wird, als widerspruchsvoll verurteilt werden: Das gegenwärtige Bewußtsein ist, als das Gegebene betrachtet, ein Unding.

Was ist also das Ergebnis unserer Beweisführung?

Fürs Erste, daß die innere und die äußere Welt auf ein und derselben Stufe stehen; daß also auch die Existenz der einen uns ebenso sicher ist wie die Existenz der Anderen, daß wir somit, auch wenn wir die äußere Welt, die wir mit unbewaffneten Augen sehen, als subjektiv betrachten, doch eine andere räumliche Welt an ihre Stelle setzen müssen.

Zweitens, daß für uns keine Gegenwart sein kann, ohne daß wir eine Zukunft und Vergangenheit setzen; daß also die Welt der Vergangenheit und der Zukunft auf derselben Stufe stehen wie die Welt der Gegenwart.

Drittens, daß unsere objektiven Urteile das gegenwärtige Bewußtsein transzendieren, daß sie jedoch keine Transzendenz des Gegebenen sind. Als Urteile stehen sie unter dem Satz des Widerspruchs, und ihre Wahrheit hängt davon ab, ob wirklich die Voraussagen, in die sie sich umbilden lassen, sich als wahr erweisens.

Viertens sind die Urteile gültig, weil sie das Gegebene nicht transzendieren, sondern, obgleich sie das Gegebene verlassen, doch in der vollständigen Begründung wieder zum Gegebenen zurückführen. Eine vollständige Begründung mag tatsächlich niemals von uns erreicht werden. Indem jedoch unsere Urteile Unterscheidungen schaffen, weisen sie im Ziel ihrer vollständigen Begründung, d. h. in ihren letzten Hinweisen, wieder auf das Gegebene zurück.

Ein Einwand gegen die Gültigkeit des Urteils im allgemeinen und des objektiven Urteils im besonderen entsteht nur daher, daß man meinte, das Urteil transzendiere das Gegebene, indem es das gegenwärtige Bewußtsein transzendiert. Da wir diesen Einwand widerlegt haben, steht die Rechtfertigung des Urteils als Denkprozeß fest.

Endlich ist das objektive Urteil zwar ein sich transzendierendes Bewußtsein, jedoch auf keine Weise eine Transzendenz des Gegebenen. Seine Leistung ist nicht, Dinge, die unserem Erkennen transzendent sind, zu schaffen. Seine Arbeit besteht vielmehr darin, ein unbestimmt Gegebenes zu bestimmen. Diese Bestimmungen mögen oft und vielleicht auch immer falsch sein; doch kann es sich ebensowohl erweisen, daß sie wahr sind. Wie diese Frage beantwortet werden soll, kann uns nur die Erfahrung in ihrem unendlichen Verlauf sagen. Mit anderen Worten: unsere mittelbare Erkenntnis besitzt nur Wahrscheinlichkeit. Daß aber die Bestimmungen, die wir vollziehen, Bestimmungen von Dingen sind, die unserem Erkennen völlig transzendent sind, haben wir falsch gefunden. Die zeitliche und räumliche Welt ist die Bestimmung eines abolut Realen, Gegebenen. Sind unsere Bestimmungen des Gegebenen gültig, dann erkennen wir das Absolute als die letzte Realität. Ob dies der Fall ist oder nicht, kann nur unsere weitere Erfahrung lehren, sofern sie dem Satz des Widerspruchs unterworfen ist.

Die Entscheidung dieser Frage führt jedoch zu einem neuen Problem, das innerhalb der Grenzen der vorstehenden Untersuchung nicht gelöst werden kann.
LITERATUR - Walter Taylor Marvin, Die Gültigkeit unserer Erkenntnis der objektiven Welt, Halle a. d. Saale 1899
    Anmerkungen
    1) HERBERT SPENCER, First Principles, § 46.