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FRIEDRICH KUNTZE
Kritischer Versuch über den
Erkenntniswert des Analogiebegriffs
(1)

"Mannigfaltigkeit ist undenkbar ohne den Begriff Element. Deshalb kann ich etwa die Linie als Punktmannigfaltigkeit begreifen, dahingegen ich der Empfindung keinen Mannigfaltigkeitscharakter zuschreiben kann, denn es ist unmöglich, Teile zu ersinnen, deren Aufbau die Empfindung ergeben würde."

"Dies sind die konstruierbaren Identitäten: die nach der Menge und die nach der Ordnung: Nach Menge und Ordnung müssen daher die Identitäten angesetzt sein, die Bestandteile der exakten Wissenschaft werden können. - Um die Sache zu veranschaulichen, können wir den Begriff Menge hier schadlos durch den Begriff Quantität den Begriff Ordnung durch den Begriff Form ersetzen."

Das Ziel des wissenschaftlichen Denkens ist die Gewißheit, d. h. die Herbeiführung einer eindeutigen Entscheidung einer jeden vorgelegten Frage. Häufig aber sehen wir Fragen auftreten, deren Verhältnis zu unserem Wissensvorrat oder unseren Wissenswerkzeugen vorläufig oder überhaupt die Erlangung der Gewißheit ausschließt. Die aus irgendeinem Grund überhaupt unentscheidbaren Fragen, die unserem Erkennen gar keinen Angriffspunkt geben, scheiden hier aus; zur Erörterung soll gestellt werden allein das Wesen der Fragen, für die eine eindeutige Entscheidung nicht möglich ist, wohl aber eine Entscheidung mit einem höheren oder geringeren Grad der Gewißheit.

Hier hat das wissenschaftliche Denken zwei Verfahrensweisen ausgebildet: das Wahrscheinlichkeitsverfahren und das Analogieverfahren. Da das Resultat beider dem Evidenzergebnis nach das Auftreten einer Wahrscheinlichkeit ist, so kann der vorausgesetzte Unterschied beider nicht in Differenzen der psychologischen Einkleidung liegen, sondern muß in sachlichen Verschiedenheiten der beiderseitigen logischen Formtypen gesucht werden.

Das philosophische Wahrscheinlichkeitsverfahren - mit seinem Instrument der Induktion - das mathematische Wahrscheinlichkeitsverfahren und das Analogieverfahren haben dies gemein, daß alle drei Schlußarten vom Nichtgemeinsamen auf das Gemeinsame sind; alle drei stellen Verfahrensweisen dar, die mit Bewußtsein bei einem, nur innerhalb definierter Grenzen gültigen Ergebnis stehen bleiben. Gleichwohl besteht doch zwischen den dreien ein großer Unterschied, den ich vorderhand dahin formulieren wollen, daß die Induktion aufgrund numerischer Erwägungen die Zugehörigkeit eines Individuums zu einem Klassenumfang, die mathematische Wahrscheinlichkeit eine gleiche Zugehörigkeit zu einem Klasseninhalt, die Analogie dagegen aufgrund qualitativer Erwägungen die generische Zugehörigkeit eines Individuums zu einem Klassentyp feststellt. Ich werde im Folgenden übrigens nur vom mathematischen Wahrhscheinlichkeitsverfahren und der Analogie handeln.

Da die Zeit beschränkt ist, so muß ich sehen, das vorgelegte Problem auf eine Art und Weise anzugehen, die gleichzeitig auf das Ziel und auf den Weg des weiteren Gedankenfortschritts hinausläuft. Ich frage also: Was müßte geleistet sein, wenn ich den Erkenntniswert der Analogie genau angeben soll? Die Antwort ist: ich müßte gewisse typische Verhältnisse der Bestimmbarkeit des Empirischen - denn um dieses allein kann es sich hier handeln - isolieren können: eben jene Verhältnisse der Bestimmbarkeit, die die Bedingungen sind für eine Fortschrittsart des Denkens, von der ich sagen kann, daß sie gemäß der Analogie erfolgt.

Die Bestimmbarkeit kommt zum Ausdruck in einer Folge miteinander verbundener Sätze und die Art des Verbundenseins bestimmt deren logischen Typ. Der Fortschritt in empirischen Sätzen geschieht nun allgemein dadurch, daß eine Bedeutung wiedererkannt wird in verschiedenen Arten der Gegebenheit, als womit diese Gegebenheiten hinsichtlich ihrer Bedeutungen identisch werden. Bei Identität denkt man wohl zunächst an jene wissenschaftliche tote Identität, die die Logik sinnbildlich durch das Zeichen a = a ausdrückt. Diese ist hier nicht gemeint. Wäre unser Denkvermögen auf sie eingeschränkt, auf sie in der streng genommen, schon das Gleichheitszeichen zuviel sagt, so würde es nie zu einem Denken gekommen sein, denn das bloße Wissen darum, daß etwas das ist, was es ist, würde die Welt nur in ein Aggregat gegeneinander fensterloser Erkenntnisakte zerlegen. Die Fruchtbarkeit des Identitätssatzes beruth vielmehr darauf, daß wir durch ihn dieselbe Bedeutung in verschiedenen Arten der Gegebenheit wiedererkennen können.

Dank dieser Eigentümlichkeit können wir zunächst solche Werte identifizieren, die auf abgeschlossene Art und Weise in verschiedenen Arten der Gegebenheiten stecken. So ist etwa in "der Autor der Kritik der reinen Vernunft", "der Autor der Kritik der praktischen Vernunft", "ein ordentlicher Professor der Philosophie zu Königsberg im Jahre 1781" immer ein und derselbe Identitätskern: KANT. Hier handelt es sich um festbestimmte Werte. Unsere Bestimmung erlaubt es uns aber zweitens, Werte zu identifizieren, die durch verschiedene Stadien hindurchgehen. Will man die erste Art der Wertvergleichung eine statistische nennen, so kann diese eine dynamische heißen. Derart kann ich zwei Pendelschwingungen, zwei Umdrehungen der Erde um die Sonne, zwei chemische Prozesse etc. gleichsetzen. Die hier stattfindende Identität ist also eine Identität von Wertverläufen. Ein Wertverlauf entsteht, wenn man einen Wert variabel setzt. Ein Beispiel für ihn bildet etwa das Steigen und Fallen eines Spekulationspapiers und die ihm korrespondierenden Lust- und Unlustgefühle seines Inhabers. Somit haben wir schon zwei große logische Typen gewonnen: Identitäten von Werten und Identitäten von Wertverläufen. Man sieht aber auch ohne Mühe den Einteilungsgrund: es ist der, daß hier nicht eine Identität schlechthin, sondern immer eine Identität in Bezug auf einen vorgegebenen Modus der Vergleichung stattfindet. Dies ist nun in der Tat das, was in allen logischen Typen geschieht, und die Art, wie es geschieht, bestimmt das Wesen des jeweils fraglichen Typus. Die Identität ist daher niemals eine absolute - das ist schon durch die Eigentümlichkeit der menschlichen Urteilsfunktion ausgeschlossen - sondern immer eine Identität in oder gemäß einer bestimmten Identitätsart. Dieser Umstand wird von Belang, wenn gefragt wird, welche Arten von festgestellten Identitäten der Werte oder Wertverläufe sich denn nun über die subjektive Evidenz erheben können.

Ich setze hier die kantische Erkenntnistheorie als maßgebend voraus und muß darum antworten: allein die Identitäten, die sich in Raum und Zeit gemäß den sinnlichen Begriffen beider konstruieren lassen. Wir kennen aber nur zwei elementare Konstruktionsfelder der Sinnlichkeit: der Ordnung und das der Mächtigkeit. Ihnen gemäß können zwei Wertverläufe identisch sein erstens dann, wenn jedem Punkt, den der eine Wertverlauf passiert, ein Punkt im andern Wertverlauf eindeutig zugeordnet werden kann. Wenn ich z. B. einen Haufen rechter und linker Handschuhe durcheinandergewühlt vor mir habe, aus dem ich immer zugleich einen rechten und einen linken herausziehe, und wenn zum letzten rechten Handschuh, den ich ergreife, sich auch noch ein linker findet, dann sind die beiden Mannigfaltigkeiten identisch mit der Mächtigkeit nach einem Moment, das wir die Äquivalenz nennen wollen. Diese Identität nach Äquivalenz ist die Identitätsart der Wissenschaft von der Menge, der Mengenlehre. Neben diese Identität nach Äquivalenz aber tritt eine Identität der Relationen. Wenn ich mir ein Modell eines menschlichen Auges aus geeigneten Materialien in geeigneter Formung herstellen lasse, so kann ich eine Identität des Auges mit seinem Modell behaupten in Bezug auf alle optischen Vorgänge, die in beiden möglich sind - soweit nämlich diese Vorgänge Gegenstände einer physikalischen Optik sind. Dies ist eine Identität der Relationen, eine Identität der Form. Das Leitprinzip dieser Identität ist: als gleich all das anzusehen, was auf gleiche Weise erzeugt ist - es ist die Identitätsart der anderen Grundwissenschaft von der Sinnlichkeit: der Ausdehnungslehre.

Man sieht, daß in beiden Arten der Identität diese immer stattfindet in Bezug auf einen Begriff, und daß umgekehrt alles, was nicht auf diesen Begriff Bezug nimmt, gleichgültig wird. Bei den beiden Handschuhhaufen wäre die Ordnung des einzelnen Haufens etc. vollkommen entbehrlich; zur Ansetzung der Identität genügt, daß die einzelnen Individuen disjunkt [unterschiedlich - wp] sind nach: Rechts - Links, und daß jedem Rechts-Individuum ein und nur ein Links-Individuum zugeordnet werden kann und umgekehrt. Beim Auge und seinem Modell liegt die Sache anders. Hier ist nicht im Mindesten eine Identität der Äquivalenz zwischen den beiden Mannigfaltigkeiten, - schon deshalb nicht, weil das Modell ja nur die für die physikalische Optik wichtigen Formen nachgebildet hat - sondern nur eine Identität der Relationen.

Dies sind also die konstruierbaren Identitäten: die nach der Menge und die nach der Ordnung: Nach Menge und Ordnung müssen daher die Identitäten angesetzt sein, die Bestandteile der exakten Wissenschaft werden können. - Um die Sache zu veranschaulichen, können wir den Begriff "Menge" hier schadlos durch den Begriff "Quantität" den Begriff "Ordnung" durch den Begriff "Form" ersetzen.

In dieser Einschränkung betrachten wir zunächst ein Beispiel der Identität von singulären Werten nach Quantität. Hier sagt etwa der Ausdruck 3 x 4 = 2 x 6, daß zwei Zahlenkonfigurationen vorliegen, die nach der Art ihrer Gegebenheit verschieden sind, zwischen denen das Denken aber eine synthetische Identität nach der Kategorie der Quantität ansetzen kann. Diese Identität ist keineswegs eine absolute, eine Tautologie, denn, lasse ich 3 und 4 bzw. 2 und 6 Längeneinheiten von Rechteckseiten bedeuten, so werden beide Rechtecke bei numerischer Gleichheit der Flächeneinheiten eine ganz verschiedene Gestalt haben. - Dies waren vollständige Wertidentitäten nach Quantität; zeigen wir nun eine vollständige Identität nach der Form, oder, wenn man will, der Qualität. Solche Identitäten liegen in all den Verhältnissen vor, die die Geometrie Ähnlichkeiten nennt. Ein Dreieck von den Seiten 3, 4, 5 behält identische qualitative Eigenschaften, ob ich die Zahlen nun Meter oder Kilometer bedeuten lasse. So kann ich das eine an die Stelle des andern setzen, obgleich ich, das erste zu durchlaufen einige Sekunden, das zweite zu durchlaufen etwa 2 Stunden gebrauche. Das secundum quid [Fehlschluß vom Allgemeinen zum Besonderen - wp] der Identität ist hier die Figur, ein ersichtlich qualitativer Begriff.

Überblicken wir das bislang Geleistete! Ich begann damit, festzustellen, daß in unterschiedlichen Gegebenheiten identische Bedeutungskerne stecken können. Dann ging ich auf die Identifizierung sinnlicher Gegebenheiten nach den Begriffen der Ordung und der Mächtigkeit über und zeigte die zuständigen Erkenntnisbedingungen auf. Dabei fand ich, daß beim Vergleich zweier ordinaler Mannigfaltigkeiten die Identität dann erreicht ist, wenn die Art der Knüpfung in den verglichenen Fällen übereinstimmt, bei den kardinalen dann, wenn man jedem Element der einen Mannigfaltigkeit ein Element der anderen zuordnen kann. Um nun von der vollen zur teilweisen Identität nach Ordnung und Mächtigkeit zu kommen, um die es sich im Wahrscheinlichkeits- und Analogieverfahren handelt, spezialisiere ich den Begriff "Wertverlauf" und sage, daß nicht jeder Wertverlauf hier in Frage kommt, sondern nur ein solcher, der nebenher auch den Charakter einer Mannigfaltigkeit hat. Damit hat das Wort "Mannigfaltigkeit" die Bedeutung eines technischen Ausdrucks gewonnen und muß dementsprechend festgelegt werden.

Eine Mannigfaltigkeit soll irgendeine dem Denken dargebotene Gegebenheit dann heißen, wenn diese Gegebenheit gedacht werden kann als entstanden durch eine trennbare Verknüpfung. Die Mannigfaltigkeit ist also undenkbar ohne den Begriff "Element". Deshalb kann ich etwa die Linie als Punktmannigfaltigkeit begreifen, dahingegen ich der Empfindung keinen Mannigfaltigkeitscharakter zuschreiben kann, denn es ist unmöglich, Teile zu ersinnen, deren Aufbau die Empfindung ergeben würde. Wird über die Art der Verknüpfung irgendeine Voraussetzung gemacht, so kann man nicht mehr von Mannigfaltigkeit schlechthin sprechen, sondern nur von einer Mannigfaltigkeit der und der Art. Wir haben zwei Arten sinnlicher Mannigfaltigkeiten, die nach den Eigenschaften, denen gemäß sie mannigfaltig sind (Ordnung und Mächtigkeit) die ordinalen und die kardinalen Mannigfaltigkeiten heißen mögen. Die ordinalen Mannigfaltigkeiten sind dadurch gekennzeichnet, daß die Gebiete, durch deren Verknüpfung sie als entstanden gedacht werden können, nicht im Mindesten gleichwertig sind, dahingegen diese Gebiete zu einander in einer festen gesetzlichen Relation stehen, der gemäß vom einen zum andern Gebiet übergegangen werden muß, der gemäß sie allein zu einer Einheit verknüpft werden können. Ein Beispiel einer ordinalen Mannigfaltigkeit geben die drei Dimensionen des Raums. In den kardinalen Mannigfaltigkeiten, die dem Begriff "Mengen" gleichwertig dastehen, sind erstens die Elemente vollkommen gleichwertig, zweitens ist das schließliche Ergebnis von der Anordnung unabhängig.

Diese Momente kommen daber sowenig für die ganze, wie die teilweise Identität nach der Mächtigkeit in Frage. Dagegen erfordert es die Anwendung des Mengenbegriffs, daß das Substrat durch Disjunktion [Unterscheidung - wp] zerlegt werden kann. Diese Disjunktionsglieder sind also, um meine frühere Redeweise wieder aufzunehmen, die "Sinne", die Arten der Gegebenheit. Die Wahrscheinlichkeitsfrage läßt sich nun so formulieren: Gegeben ist eine Mannigfaltigkeit nach gegeneinander disjunkter Glieder. Jede Gegebenheit hat solchermaßen ihren "Sinn", der bestimmt ist eben durch die Art, darinnen sie gegeben ist. Jeder Sinn aber ist einer und nur einer Bedeutung zugeordnet, wobei es unbestimmt bleibt, ob das Umgekehrte stattfindet, d. h. ob die Bedeutung nicht auch mehreren Sinnen zugeordnet ist. Natürlich aber gilt diese Unbestimmtheit nur für das Prinzipielle, in der Rechnung muß über diesen Punkt durchaus alles bestimmt sein. Wohl, dann läßt sich die Frage nach dem Eintreten dieses oder jenes Ereignisses zurückführen auf die Frage nach der numerischen Verbreitung, die eine Bedeutung in so und soviel "Sinnen" hat. Es bedeutet daher in dieser Deutung das gleich zu gebende elementare Beispiel 7 = 6/36: die Bedeutung 7 erfüllt sich in sechs von sechsundreißig Gegebenheiten, oder, um ein suggestives GRASSMANNsches Bild zu gebrauchen; wenn die 36 Gegebenheiten Gewichte, und zwar gleichschwere bedeuten, so hängen der Bedeutung "7" sechs davon an - in dem gerade vorgelegten Problem (2).

Zur Erläuterung des eben Gesagten diene seine Anwendung auf ein bekanntes, sehr elementares Beispiel. - Ich nehe einen Sechserwürfel, der auf jeder Seite eine 6 hat. Wir haben dann eine Menge - den Würfel als Ganzes - die in 6 Teilmengen zerfällt - die 6 Würfelflächen. Jede Fläche hat eine Art der Gegebenheit, die von der Art der Gegebenheit jeder anderen Fläche durch die Lage verschieden ist. Jede ist bedeckt von einem Aggregat von Punkten; jedem dieser Aggregate ist eine Bedeutung zugeordnet und jeder dieselbe. Die Bedeutung verbreitet sich einheitlich über die ganze Menge, daher dann auch jede Teilmenge mit ihr identisch ist. Die Wahrscheinlichkeit, bei der Auswahl einer Teilmenge eine Teilmenge von der Bedeutung 6 zu bekommen ist daher = 1. Hier also war jede Teilmenge mit einer vorgegebenen Bedeutung identisch. Der Fall der vollen Identität ist aber ersichtlich nur der Grenzfall der teilweisen Identität. Während sich nun der Fall der vollen Identität dem Evidenzmoment nach durch die volle Gewißheit übersetzt, übersetzt sich die teilweise Identität durch eine gradweise abgestufte Gewißheit: die Wahrscheinlichkeit. Nehmen wir nun an, jeder dieser Teilmengen sei eine verschiedene Bedeutung zugeordnet, so erhalten wir genau das Gegenteil des vorangegangenen Falles. - Dies ist der Fall des gewöhnlichen Sechserwürfels. Wähle ich daher unter den Teilmengen, so ist, da 6 Arten der Gegebenheit mit 6 Bedeutungen vorliegen und jede nur einmal vorkommt, die apriorische Identität des Wahlergebnisses mit jeder vorgegebenen Bedeutung gleich 1/6. Nehmen wir nunmehr einen solchen gewöhnlichen Sechserwürfel und fragen, welche Wahrscheinlichkeit er beim Würfeln einer 3 hat, d. h. seiner quantitativen Bedeutung nach mit 3 identisch zu werden, so lautet die Antwort 1/6. Warum? Die Bedeutung als ein Ganzes, als 1, zerfällt in 6 Teilbedeutungen, und jede dieser Teilbedeutungen wird vorgestellt durch eine und nur eine Art der Erfüllung, der Gegebenheit. Nehmen wir nun die möglichen Konfigurationen von 2 gewöhnlichen Sechserwürfeln auf der einen, die Zahl 7 auf der anderen Seite und fragen wir, welche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß die quantitative Bedeutung der Konfiguration beim Würfeln mit der Zahl 7 identisch wird, so lautet die Antwort 6/36. Warum? Die Zahl der möglichen Artenn, auf die die Bedeutung als ein totum dargestellt sein kann, beträgt 36, die Zahl der möglichen Bedeutungen ist 11, denn die 1 kann nicht realisiert werden. Die Bedeutungen aber haben verschiedene "Gewichte", wenn ich wieder so sagen darf: die einen erfüllen sich in mehr die andern in weniger Einkleidungen. Hier ist die Zahl der möglichen Arten der Gegebenheit 36. Von diesen aber sind 6, da von der verschiedenen Form, darinnen sie gegeben sind, abgesehen werden kann, darin einig, daß sie nur ein und dasselbe bedeuten: die Zahl 7 (3 + 4, 2 + 5, 1 + 6, 4 + 3, 5 + 2, 6 + 1). Die Wahrscheinlichkeit, daß sich die 7 realisiert, beträgt als 6/36, denn 6 von den 36 Arten der Gegebenheit stellen sie als ihre Bedeutung vor. Wir haben hier einen Fall, der den beiden vorhergehenden gegenüber ein gemischter ist. Nämlich, wir haben, dank der Kombinationen der Würfel, 36 Symbole, von denen ein jedes seine Bedeutung hat. Die Gesamtheit dieser Bedeutungen ist "Zahlen von 2 bis 12". Ihre einzelnen Realisierungen sind dadurch unterschieden, daß sie auf verschiedene Art gegeben sind. Sie sind erschöpfend definiert durch 36 Disjunktionen, davon jede gegen jede disjunkt ist in Bezug auf die Art ihrer Gegebenheit, von denen aber bestimmte Gruppen unter einheitliche Bedeutungstitel gebracht werden können. Von diesen 36 Gegebenheiten sind z. B. 6 identisch mit der Zahl 7, so beträgt das "Teilhaben" der 36 Arten der Gegebenheit am Begriff 7: 6 von 36. Der Identitätsgrad des die 36 Disjunktionen umspannenden sinnlichen Oberbegriffs mit der Zahl 7 ist daher 6/36.

Der Ausdruck "Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines Ereignisses" überträgt nur, was ja transzendental vollkommen legitim ist, das, was nach ganzer oder teilweiser Identität als ein "Grund-Folge-Verhältnis" gesetzt ist, in ein Kausalverhältnis (3). Dabei aber wird ersichtlich ein zweifaches vorausgesetzt: erstens, daß eine jede Wirkung eindeutig bestimmt ist, zweitens, daß über die Ursachen, die diese Bestimmtheiten realisieren werden, nichts bekannt ist. Nur so kann die Zuordnung der Ursachen zu den Wirkungen die rein kardinale bleiben.

Ich gehe über zur Besprechung des Erkenntniswertes der Analogie. - Ein Versucht, im konkreten Fall eine Identität nach Ordnung herzustellen, lehrt, daß die namentlich dann, wenn man sich auf die allgemeinsten Eigenschaften beschränkt, mit den allerverschiedensten Mitteln hergestellt werden kann, wenn nur die Erzeugungsart dieselbe bleibt. Diese Gleichgültigkeit des Substrats ist von höchster Wichtigkeit und wird von mir verwendet werden zur Exposition des allgemeinen Anwendungsprinzips der Analogie.

Da diese unser Thema ist, so kommt von den möglichen identischen Bedeutungen zweier Wertverläufe allein die Identität ihrer qualitativen Meinung, ihrer "Formintention" hier in Frage. Sehen wir uns nach den Bedingngen um, unter denen unser Geist eine solche Identität erkennen kann! - LEIBNIZ hat bemerkt, daß es nicht genügt, als "ähnlich" Gegenstände zu bezeichnen, die dieselbe Form haben, wenn man nicht wiederum im Besitz eines allgemeinen Begriffs von "Form" ist. LEIBNIZ hat einen solchen Begriff gegeben, der allerdings nicht konstitutiv, wohl aber noetisch ist, d. h. der eine Definition der allgemeinen Bedingungen gibt, unter denen unser Erkenntnisvermögen des in Rede stehenden Begriffs teilhaftig werden kann. Diese Definition ist für unser Vorhaben wichtig und wir denken später auf sie aufzubauen. Nach ihr sind "ähnlich" Dinge, die für sich betrachtet, nicht voneinander unterschieden werden können. Zur Erfassung der Quantität nämlich müßten die Gegenstände, die man vergleicht, unmittelbar nebeneinander gegeben sein, oder durch irgendeine Art der Vermittlung tatsächlich einander gegenübergestellt werden können. Die Qualität dagegen stellt dem Geist etwas dar, was sich in einem Gegenstand, auch wenn man ihn allein betrachtet, für sich erkennen und weiterhin zum Vergleich zweier Gegenstände unter sich brauchen läßt, ohne daß es nötig ist, die Vergleichsobjekte mittelbar oder unmittelbar durch die Beziehung auf ein drittes Objekt als Maßstab aneinander heranzubringen. Namentlich diese letzte Bemerkung scheint mir ungemein wichtig, denn sie scheint, wie das noch weiterhin wird zu zeigen sein, es zu motivieren, daß der Analogiebegriff bei fehlendem Substrat dennoch eine Erkenntnis geben kann.

Ich trete nun in einen neuen Abschnitt meiner Darstellung ein. - Bislang habe ivh von voller ordinaler Identität gesprochen; im Analogieverfahren aber handelt es sich um eine teilweise Identität, oder, wenn dies als eine contradictio in adjecto [Widerspruch in sich - wp] empfunden werden sollte: es handelt sich darum, daß zwei Gegebenheiten nicht genau abgepaßte, sondern um ein Bestimmtes zu weite Erfüllungen einer Bedeutungseinheit sind. Hier ist folglich, ebenso wie bei der Wahrscheinlichkeit, die volle wissenschaftliche Sicherheit nicht erreicht. Sie fehlt dem Wahrscheinlichkeitsschluß deshalb, weil dieser sich nicht auf die Gesamtheit der Fälle gründen kann; sie fehlt der Analogie, da diese sich nicht auf eine genaue, sondern nur auf eine angenäherte Korrespondenz aller Ordnungsbeziehungen aufbaut.

Um nun aber positiv zu bestimmen, was es mit diesen Ordnungsbeziehungen auf sich haben mag, gehe ich von einem Wort LOTZEs aus. Auch im Analogieverfahren, so schreibt dieser Denker,
    "läßt sich das Denken durch die Voraussetzung leiten, daß nicht durch viele, zusammenhanglose Zufälle die Prädikate sich an demselben Subjekt M vereinigt haben, sondern daß es einen Grund geben muß, der sie alle, als zusammengehörige versammelt hat; sie gehören dem M, weil M ein Π ist, zu der Natur des Π aber gehört es, diesen vollzähligen Merkmalbestand zu haben, der seinen Inhalt ausmacht; als eine Art des Π hat M darauf Anspruch, alle diese Prädikate ansich zu vereinigen."
Suchen wir nun dies mit dem in Verbindung zu bringen, was wir bereits ausgemacht haben!

Die bei der Analogie vorliegende Wertungsart unterscheidet sich von der für die Wahrscheinlichkeit maßgebenden zunächst vor allem durch den Umstand, daß hier nicht numerische, sondern qualitative Erwägungen vorherrschen. Soll aber eine solche Wertung prinzipiell vom wertenden Subjekt gelöst werden können, so muß sie fähig sein, in einen ordinalen Zusammenhang einzutreten. Dieser Zusammenhang kann nicht gedacht werden als entstanden durch eine - kantisch zu reden - Synthesis der Aggregation, d. h. eine Synthesis nach den Normen der Mengenlehre, sondern allein durch eine ordinale Synthesis. Ich werde daher von Analogien da reden, wo eine Übereinstimmung der formalen Ordnung kenntnlich wird durch eine Ähnlichkeit der Relationen. Der Erkenntniswert einer Analogievergleichung richtet sich demnach nach dem Positionswert, den die zu vergleichenden Merkmale haben. Was aber ist ein Positionswert? Etwas der Form qua Form Wesentliches. Wesentlich ist hinwiederum einer Form dasjenige, dessen Wegnahme zur Folge hat, daß die Form nicht mit sich identisch bleibt, was also ein konstitutives Element der Definition der Form ausmacht. Demnach steigert sich die Analogie zu vollkommener Identität, wenn in den Vergleichen das Erzeugungsgesetz nicht bloß in Partien, sondern durchgehend übereinstimmt. Diese Graduierung, die solchermaßen bei der Analogie stattfindet, bestimmt im konkreten Gebrauch einerseits den positiven Nutzen, den sie stiftet, andererseits motiviert sie aber auch die zensorischen Erinnerungern, die immer dann anzubringen sind, wenn die Analogie auf etwas geht, das in einem Strukturzusammenhang der verglichenen Einzelnen keinerlei wesentliche Rolle spielt.

Was den wissenschaftlichen Gebrauch der Analogie betrifft, so reicht dieser von förderlichen über gleichgültige bis zu verdrießlichen Nutzanwendungen so weit, als überhaupt das menschliche Denken reicht. Ich will ihn in einem gewissen Zusammenhang von der Transzendentalphilosophie durch die Physik hindurch in die Psychologie verfolgen.

In der Transzendentalphilosophie sind es nach KANT zwei große Gruppen von Analogien, die der Erklärung alles Empirischen zugrunde liegen: die realen und die idealen Analogien, die Analogien der Kritik der reinen Vernunft und die der Urteilskraft. Ihr allgemeines, für beide gültiges Prinzip bestimmt die zweite Auflage der Vernunftkritik dahin "Erfahrung ist nur durch die Vorstellung einer notwendigen Verknüpfung der Wahrnehmungen möglich." Der realen, der für die Erscheinungen abgesehen von ihrem Verhältnis zur Subjektivität gültigen Analogien nennt KANT drei: den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz, den Grundsatz der Zeitfolge nach dem Gesetz der Kausalität und den Grundsatz des Zugleichseins nach dem Gesetz der Wechselwirkung oder Gemeinschaft. Die ideale Analogie ist die einem Zweck gemäß wirkende Kausalität. Die realen Analogien sind allerdings auch nur regulativ, nicht konstitutiv, sollen aber doch jedenfalls dem Dasein der Erscheinungen a priori Regeln vorschreiben. Die ideale Analogie dagegen hat allein die Gegenstände der Naturforschung nach der Analogie einer zweckartig wirkenden Kausalität unter Prinzipien der Beobachtungen zu bringen, ohne sich anmaßen zu dürfen, sie danach zu erklären. - In derr Beurteilung des Verhältnisses der beiden Kausalanalogien zueinander kreuzen sich bei KANT zwei Gedankenreihen. Erstens die, daß die Kausalität der Natur eine reale, die teleologische Kausalität eine ideale ist, daß folglich die reale ein objektiv gültiges, die ideale ein nur subjektiv gültiges Erkennen liefert. Zweitens die, daß beide Arten doch eigentlich auf dem gleichen Holz gewachsen sind. Die Kausalität nämlich ist eine Regel, wonach Erscheinungen nachgeforscht werden muß, die ein solches, die Teleologie ist eine Regel für Erscheinungen, die ein solches Verhältnis zu unserem Erkenntnisvermögen haben. Damit ist die Teleologie wiederum ein "anderes Prinzip für die Möglichkeit der Natur" und in dieser Hinsicht der Kausalität gleichwertig. Es ist folglich eine Frage, wie tief die Teleologie in die Natur hinabreicht; ob jene vom Mechanismus verschiedene Kausalität ein definitives Prinzip ist oder nicht. Die Waage scheint zu Ungunsten der Teleologie zu sinken, wenn man erstens bedenkt, daß die Teleologie eine Hereinziehung praktischer Momente ins Theoretische bedingt, zweitens, daß sich die Darstellung der regulativen Prinzipien nicht auf einem legitimen Weg, durch eine korrespondierende Anschauung, sondern durch eine Wendung an das Subjekt vollzieht. Das letztere entscheidet. Wir sind danach nicht berechtigt, die Teleologie als eine, für jedes denkende und erkennende Wesen notwendige, mithin dem Objekt und nicht bloß unserem Subjekt anhängende Bedingung vorauszusetzen. Die Legitimität des Gebrauchsss beider Prinzipien aber ergibt sich aus den vorangegangenen Erörterungen über das Wesen der Analogie im Allgemeinen. Beide schließen von einem Besonderen, der Art, darinnen in unserem Subjekt Bestimmungen zusammenhängen, auf ein anderes Besonderes: den Zusammenhang in den Erscheinungen. Beide wahren auch dies, daß sie nicht die mindeste Voraussetzung über das innere Wesen der Glieder machen, zwischen denen die Analogie hält: beide Fälle, die reale, wie die ideale Analogie gehen nicht auf die Dinge ansich, sondern auf ihre Erscheinungen.

Beide Analogien zusammen umschreiben den Rahmen, innerhalb dessen unser gesamtes Naturerkennen stattfindet. In ihm liegen diejenigen Gegebenheiten, die, durch ihre Formbarkeit gemäß den realen Analogien sich der allgemeinen Formenlehre haben untertan machen lassen. In ihm liegen die Erscheinungen, die bislang allein ein Verhältnis zu den idealen Analogien haben, daher sie dann der allgemeinen Formenlehre bislang noch nicht hörig sind.

Nur über die erste der realen Analogien KANTs und über die Bedeutung, die sie auch für moderne Probleme hat, möge hier ein Wort stehen. Die Substanzanalogie heißt deswegen eine Analogie, weil sie grundsätzlich darauf verzichtet, in das Wesen der Substanz einzudringen.
    "Dadurch" - ich zitiere den Riehlschen Kritizismus, "daß ich die Materie, aufgrund ihrer empirischen Eigenschaften als die Substanz der äußeren Erfahrung erkenne, habe ich nicht das Wesen der Materie, sondern nur ihr Verhältnis zu meinem Denken erkannt. Ich gebrauche in allen Urteilen über äußere Dinge die Materie als das Subjekt; also ist jene Erkenntnis nichts weiter als eine Analogie zum Begriffsverhältnis des Subjekts in Bezug auf seine Prädikate. Die Materie verhält sich zu ihren Eigenschaften und Wirkungen in der Erscheinung, wie sich das Subjekt eines kategorischen Urteils zu seinen Prädikaten verhält."
Hier sehen wir an einem ersten Beispiel die vorhin behauptete, den Erkenntniswert der Analogieanwendung nicht berührende Substratlosigkeit der Verbände von Beziehungen, die gemäß einer Analogie verglichen werden. Ein Gleiches gilt für die übrigen Analogien. Es ist z. B. bei der Kausalität nicht im Mindesten nötig, in ihr sozusagen einen transeunten [in einen anderen Bereich übergehend - wp] Bestandteil zu isolieren, der nun von einem Zustand in den anderen hinüberfließt, ja, man kann vielleicht KANT dahin ergänzen, daß es noch nicht einmal nötig ist, individuelle Kausalglieder als Ursache und Wirkung einander gegenüberzustellen. Im Gegenteil, die Isolierung eines solchen transeunten Bestandteils ist sogar verboten. Darin besteht ja der tiefe Unterschied der durch HUME hindurchgegangenen Kausalitätstheorie KANTs gegen alle früheren Theorien der Kausalität: daß sie absieht von jeder analytischen Auffassung der Kausalverhältnisse. Sie kann eine solche Auffassung aber nur ankündigen aufgrund dessen, daß die Kausalität ihr eine Analogie der Erfahrung ist und daß die Analogie nicht gehalten ist, die qualitativen Substrate der Gebiete ausfindig zu machen, auf die sie sich bezieht - und durchführen nur aufgrund ihres Erscheinungsbegriffs. Läßt man einen dieser Bestandteile weg, so tritt gleichsam als eine Ausfallserscheinung die überwundene Auffassung der Kausalität wieder ein, wie dies bei HEGEL und zuletzt noch bei TRENDELENBURG geschah, der bestimmte "was im Realen der Grund ist, das ist im Logischen der Mittelbegriff des Schlusses".

Kehren wir nun zur ersten Analogie zurück, so führt der Umstand, daß nur eine quantitative, nicht eine qualitative Erhaltung ausgesagt wird, unmittelbar auf das, eine gleichen Sachverhalt der Form nach behauptende moderne Energiegesetz. Auch bei diesem bringt die Behauptung einer nur quantitativen, nicht einer qualitativen Erhaltung der Energie es mit sich, daß man über das, was sich letztenendes erhält, nichts festsetzen kann. Denn, wie KANT gesagt hat,
    "wir erkenen einen jeden Gegenstand nur durch Prädikate, die wir von ihm sagen oder gedenken ... Daher ist ein Gegenstand nur ein Etwas überhaupt, das wir durch gewisse Prädikate, die seinen Begriff ausmachen, uns gedenken".
Die Energie aber kann deswegen keine bestimmten Prädikate an sich haben, weil sie fähig sein muß, all die Prädikate all ihrer Arten anzunehmen. Diese Überlegungen führen mitten in die gegenwärtige Problemlage hinein, die POINCARÉ dahin ausgedrückt hat, daß man, anstatt zu sagen "die Energie bleibt konstant"", auch sagen könnte "es bleibt etwas konstant". Die Energie ist damit das substantivierte "es" all jener Vorgänge, die Gegenstanddd der exakten Wissenschaft sind. Diese qualitative Gleichartigkeit aller Vorgänge, oder vielmehr, dieses Aufgehobensein aller Qualität in den Vorgängen bringt es wiederum mit sich, daß es beim Vergleichen zweier Erscheinungsgebiete unter einem exakt wissenschaftlichem Gesichtspunkt gar nicht darauf ankommt, ob die Substrate der Erscheinungen einander ähnlich sind oder nicht. Da die Substrate nämlich doch immer nur etwas Vorläufiges sind, so ist allein dies wesentlich, ob die Strukturzusammenhänge einander ähnlich sind oder nicht (4). So sind nach MAXWELL, zwei so grundverschiedene Gegenstände, wie das Gravitationsgesetz NEWTONs und die Gesetze der Wärmeleitung dadurch verbunden, daß die mathematischen Gesetze der stationären Bewegung der Wärme in homogenen Mitteln der Form nach identisch sind mit denen einer Anziehung, welche dem Quadrat der Entfernung proportional ist Wenn wir Wärmequelle statt Anziehungszentrum, Wärmefluß statt beschleunigende Kraft der Anziehung und Temperatur statt Potential setzen, so verwandeln wir die Lösung eines jeden Problems der Anziehungslehre in die eines Problems der Lehre der Wärmeleitung. Es ist bekannt, wie MAXWELL in der Verfolgung dieser Gedanken dazu gekommen ist, eine jede Kraft durch die Analogie einer unzusammendrückbaren Flüssigkeit vorzustellen, die in Röhren von veränderlichem Querschnitt strömt. - Endlich rechtfertigt dies Substratlosigkeit allen Geschehens auch die Anwendung der letzten großen Analogie, durch die wir die Erfahrung wissenschaftlich gestalten: die Anwendung der Zahl auf das faktische Geschehen, denn allein unsere vorausgesetzte Substratlosigkeit schafft jene prinzipielle Gleichheit und Vergleichbarkeit aller Erfahrungsdaten miteinander, die die Voraussetzung für die Anwendung des Zahlbegriffs bildet. All dies rechtfertigt die kantische Definition der Analogie, sie ist nicht etwa eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen.

Ist die Analogie somit wichtig für die Naturwissenschaft, so ist sie entscheidend für all das, was in die Wissenschaft vom inneren Sinn, in die Psychologie gehört, denn hier schafft sie allererst einmal die Basis, auf der sich alles weitere Verständnis erheben muß. Es ist nämlich zu beachten, daß alles, was Gegenstand einer möglichen inneren Erfahrung für werden soll, eine mögliche Gegebenheit für den inneren Sinn in mir sein muß: was dies nicht sein kann, iist dem Begriff nach transzendent für sich. Dies zu veranschaulichen, wollen wir annehmen, daß ein Mensch ein Bild betrachtet und wollen uns fragen, was an diesem Vorgang Gegenstand einer möglichen direkten Erfahrung für mich sein kann und was nicht. Da sehen wir, daß dieser Vorgang zwei Phasen hat, davon der eine die Möglichkeit hat, direkt in mein Bewußtsein hineinzugelangen, der andere nicht. Das Bild des Gegenstandes auf der Netzhaut, die chemisch-elektrischen Vorgänge etc sind ersichtlich zumindest ideelle Gegenstände einer möglichen Erfahrung; ich könnte sie gegebenfalls anschauen oder zumindest feststellen und sie beschreiben durch die Charaktere der Naturwissenschaft. Dahingegen kann der ganze Strom des Seelischen, also die Farben und Lichtempfindungen zunächst, die dadurch hervorgerufenen Affekte etc. danach nie Gegenstand einer möglichen Erfahrung für mich werden; all dies ist für mich dem Begriff nach transzendent. Hier ist also das Verständnis aufgrund meines eigenen inneren Erlebens die Vorbedingung für alle weitere Erklärung. Ich zeige zunächst, daß auch bei dieser Analogiebildung wieder jene eigentümliche Gleichgültigkeit des Substrates stattfindet, die ich bislang immer als Charakteristikum auftreten sah. Diese - relative - Gleichgültigkeit zeigt sich bei der indirekten Erkenntnis fremder psychischer Phänomene, bei der Erkenntnis durch Mitteilung. Es ist ein sehr beachtenswerter Gedanke MAIMONs, daß die Welt, die wir die durch Mitteilung gemeinsame nennen können, dieselbe bleiben würde, auch wenn die absoluten Erfüllungsgrundlagen der Mitteilen wechseln. Wenn ich also etwa, so sagt MAIMON, die Sinneswahrnehmung, die ich nach Gesicht und Geschmack vom Zucker habe, als eines weißen, süßen Etwas, einem anderen mitteile, für den weiß-schwarz und süß-sauer wäre, so würde er mich doch durchgehend verstehen können, wenn er nur dieselbe Art des Verbundenseins der Merkmale wahrnehmen würde, wie ich.

Dieses, reichlich krass ausgedrückte und in einer solchen Schroffheit wohl nicht aufrecht zu erhaltende Beispiel ahnt dennoch einen sehr folgenreichen Gedanken vor, den in der Gegenwart CARL STUMPF dahingehend ausgedrückt hat, daß uns die Erscheinungen in logischer Unabhängigkeit von den intellektuellen Funktionen gegeben sind; hingegen kann das, was STUMPF die "Gebilde" nennt, nicht ohne die Funktionen begriffen werden und umgekehrt. Ersetzen wir das Wort "Gebilde" durch das Wort "Form" so läßt der Gedanken MAIMONs sich dahin vervollständigen: es könne zu einer gemeinsamen Erfahrungswelt auch bei einer vom Individuum zu Individuum variierenden subjektiven Erscheinungswelt kommen, wenn wir nur einem jeden, mit uns in Verbindung tretenden Individuum zwar nicht den Inhalt der Gestalten, die unsere Erscheinungswelt ausmachen, wohl aber deren - Tendenz - wenn ich so sagen darf, mitteilen könnten. Diese logische Unabhängigkeit ist natürlich nicht identisch mit realer Unabhängigkeit; diese vielmehr dürfte nur für einen sehr eng umschriebenen Spielraum stattfinden. Im entgegengesetzten Fall müßten jene verschiedenen Erfüllungsgrundlagen in einem Verhältnis prästabilierter Harmonie in Bezug auf das, was der Mensch aufgrund ihrer Erkenntnis tun wird, stehen, denn es scheint mir sonst nicht wohl möglich abzusehen, wieso Erkenntnisse als Bestimmungsgründe des praktischen Handelns, das zu einem bestimmten Erfolg führen will, sollten mitteilbar sein.

Was nun die Bedeutung der Analogie für die Wissenschaften angeht, die sich aufbauen auf die Materialien des inneren Sinnes, für die Geisteswissenschaften also, so ist auch diese unabsehbar. Ich greife nur deswegen ein spezielles Problem, das der Reproduktion, in der Geschichtsschreibung der Philosophie zu einer kurzen Erörterung heraus, weil es eine charakteristische Verschiedenartigkeit des Analogiegebrauchs im Geistigen veranschaulicht. Man kann, scheint mir, zwei Reproduktionsarten philosophischer Systeme unterscheiden; ich will die erste die poetische, die zweite die pragmatische Reproduktionsart nennen. - Allgemein geht man bei allen poetischen Reproduktionen vom Ganzen zu den Teilen. Will ich mich des Geistes einer Dichtung, eines Werkes der bildenden Kunst etc. bemächtigen, so muß ich mich seiner Form bemächtigen und dann sehen, wie diese Form alles Einzelne Materiale motiviert. In unmittelbarer Intuition kann dies nur erreicht werden bei Werken der bildenden Kunst, bei denen alle Teile gleichzeitig sind. Bei all den Kunstwerken dagegen, die die Teile erst in einer Zeitfolge in den Blickpunkt des Bewußtseins führen, kann auch die Form, um mit LEIBNIZ zu reden, nur in einzelnen Fulgurationen [Blitz-Metaphorik | wp] in das Bewußtsein fallen, und erst dann vollständig beisammen sind, wenn das Ganze aufgefaßt ist. Dies ist auch der Grund, weshalb man den vollen Genuß an Werken der Dichtkunst und an Werken der Musik erst beim zweiten oder dritten Durchgang hat. Dann erst kann ich die Form durch Analogien aus meinem eigenen Fühlen und Erleben soweit zur inneren Macht gestaltet haben, daß ich das so und Warum der einzelnen Teile des Kunstwerkes verstehen und damit seine Schönheit empfinden kann. Als bewußte Methode mit geistigen Gegebenheiten zu schalten hat FICHTE diese Reproduktionsart in seiner Darstellung KANTs angewendet. FICHTE meinte, sich des Geistes der kantischen Philosophie versichert zu haben und suchte nun aus diesem Geist heraus ihren Körper aufzubauen, da ja der Buchstabe KANTs ebenso wie der des ARISTOTELES tötet. Diese Methodik war wirksam in den Formen, die HEGEL der Geschichtsschreibung der Philosophie wies; sie ist wirksam in deren sogenannter problemgeschichtlichen Methodik. Man sieht leicht, daß es ein, im weitesten Sinne poetischer Standpunkt ist, nach dem eine problemgeschichtliche Reduktion einzelner überkommener Lehrbestände erfolgt. Dem Unberechtigten einer solchen Methodik begegnete bereits KANT, als er gegen FICHTE erklärte, es sei die Vernunftkritik
    "allerdings nach dem Buchstaben zu verstehen und bloß aus dem Standpunkt des gemeinen, nur zu solchen Untersuchungen hinlänglich kultivierten Verstandes zu verstehen."
Was hiermit formuliert ist, das ist der streng historische Standpunkt, der Standpunkt der Immanenz der Erklärungsmittel. Allerdings arbeiten auch seine Vertreter mit "Analogien der historischen Erfahrung", denn eben jener Standpunkt der Immanenz fordert, den vom Urheber eines bestimmten Systems beabsichtigten Formtyp klar herauszustellen. Sie unterscheiden sich aber von den Poeten unter den Geschichtsschreibern der Philosophie - auch von denen, die mit der Immanenz der Erklärung einverstanden sind - immer noch folgendermaßen. Die Poeten kümmern sich nur um die Einzelheiten der Systeme, die mit dem Formtyp in Einklang zu bringen sind; sie halten ein System als historische Erscheinung dann für erklärt, wenn es ihnen gelungen ist, an möglichst vielen Einzelheiten zu zeigen, wie die Teile die Struktur des Organismus wiederholen, d. h. wie das Prinzip seine Anwendungen "aus sich entläßt". Die Historiker dagegen streben zunächst einmal eine verjüngte Darstellung aller Einzelheiten an. Die Art aber, darinnen sie diese erklären, ist zureichend zu begreifen durch eine Analogie, die allerdings von der der Poeten grundverschieden ist: durch die Analogie mit den menschlichen Willenshandlungen. Von diesen nämlich erklären wir einen Teil für frei, d. h. für verursacht durch die Notwendigkeit unseres innersten Wesens; einen Teil für unfrei, d. h. für verursacht durch eine Kausalität, die uns wesensfremd ist. Dem analog erklärt nun der Historiker einen Teil der vorgelegten Einzelheiten aus dem, im vorgelegten Philosophem wirksamen Geist heraus, als womit er dem früher besprochenen Prinzip sein Recht widerfahren läßt; einen Teil aber weist er zufälligen Ursachen zu, die zwar auf den Philosophen und durch ihn wirkten, die aber mit dem Innersten seines Systems nichts zu schaffen hatten. Beide Prinzipien können nebeneinander wirksam sein; sie waren es im Geiste des exakten PRANTL, der schrieb:
    "Um nun die aristotelische Logik selbst darzustellen, werden wir die Bücher des uns erhaltenen Organons weder übersetzen noch bloß exzerpieren, sondern wir werden versuchen müssen, das Ganze zugleich auch mit seinen inneren Triebfedern und mannigfaltigen gegenseitigen Wechselbeziehungen zu entwickeln."
Ich sprach bislang von der Stellung der Analogie in der gewordenen Wissenschaft; ich schließe mit einem Wort der Würdigung dessen, was die Analogie für die werdende Wissenschaft bedeutet. - Allerorten sind es zwei Arten von Geistern, die der Wissenschaft vom Fleck helfen: die Intuitiven und die Logiker. Die ersteren schauen, die zweiten begründen, und begründen oft, was jene ersteren geschaut haben. Den Geist der Intuitiven beflügelt die Fähigkeit, mit Hilfe der Analogie in verschiedensten Einkleidungen den gleichen sachlichen Kern zu sehen. Das Verfahren der Logiker sichert seine Ergebnisse dadurch, daß es jenen sachlichen Kern als einen typischen Zusammenhang von Relationen beschreibt. Damit bestätigt auch die wissenschaftliche Tat die hier vertretene Theorie: man kann bei einem vorgelegten Einzelfall nie sagen, was die Analogie leisten wird - wohl aber, worauf im Fall einer bestätigten Leistung ihr Erkenntniswert beruhte.
LITERATUR - Friedrich Kuntze, Kritischer Versuch über den Erkenntniswert des Analogiebegriffs, Kant-Studien, Bd. 18, Berlin 1913
    Anmerkungen
    1) In gekürzter Fassung als Habilitations-Probevorlesung gehalten von der philosophischen Fakultät der Universität Berlin im Jahre 1911.
    2) Eben gerade vor Abschluß meines Manuskripts hat Herr Professor Urban (Philadelphia) die Güte, mir einen Aufsatz von sich über den Begriff der mathematischen Wahrscheinlichkeit mitzuteilen. Ich konnte zu meiner Freude feststellen, daß diese höchst beachtenswerte Arbeit zumindest die Tendenz der hier gegebenen Andeutungen teilt, insofern auch sie die mathematische Wahrscheinlichkeit durchaus auf den Begriff der logischen Zufälligkeit zurückführt. Auch sehe ich aus ihr, daß das eben von mir gebrauchte Bild des Gewichts bereits zu einem ähnlichen Zweck von Rudolf Laemmel, Die Methoden zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeiten (1904, Seite 15) gebraucht worden ist. Nur die begriffliche Grundlage meiner Betrachtungen, und naturgemäß der Zusammenhang, in den sie eingestellt sind, unterscheiden sich durchaus von den Urbanschen Ausführungen (Viertelsjahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie und Soziologie, Bd. 35, Heft 1 und 2). Ich brauche übrigens wohl kaum zu betonen, daß die Erörterung der mathematischen Wahrscheinlichkeit hier nur so auftritt, wie eine geforderte Farbe auftritt, da sie in meinen systematischen Ausführungen unzertrennlich mit der Analogie verbunden ist, der das Thema gilt. Diese Skizze macht daher nicht den mindesten Anspruch, auch nur all die Umrißlinien des Problems vollständig zu geben.
    3) Vielleicht verdient es, bemerkt zu werden, daß in dieser Erklärung eine Theorie der Kausalität vorausgesetzt wird, die namentlich durch Riehl vertreten worden ist; eine Theorie, für die das Moment der Zeit nicht das eigentlich Wesentliche im Kausalitätsbegriff ist, sondern das logische Moment. Doch dies im Vorbeigehen.
    4) So sehen wir dann auch in der Tat - ich entlehne Poincaré diese Bemerkung - ein und dieselbe Gleichung, die von Laplace, in der Theorie von Newtons Attraktion, der der Bewegung der Flüssigkeiten, der des elektrischen Potentials, der des Magnetismus, der der Verbreitung der Wärme und in vielen anderen.