![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() |
|||
Der Begriff der Wahrnehmung [5/5]
Kapitel 3 Wahrnehmung und Denken [Fortsetzung 2] § 52. Obgleich ich also der Theorie BRENTANOs vom Urteil und von der Wahrnehmung nicht beistimmen kann, so muß ich doch anerkennen, daß sein Unternehmen dafür spricht, daß die Intellektualität der Erkenntnis überhaupt und im Besonderen die der Wahrnehmung ein Problem ist, welches der psychologischen Spekulation, von welcher Seite sie auch herkommen mag, und wie sie es auch zu lösen versucht, durch den derzeitigen Stand unserer philosophischen Grundüberzeugungen aufgegeben ist. BRENTANO stellt sich in seiner Psychologie auf einen äußerst subjektivistischen Standpunkt. Indem er das Bewußtsein durch die Inexistenz eines Objekts charakterisiert, hat er sich von vornherein das Problem auferlegt, zu erklären, wie wir zum Begriff von nicht-inexistierenden Objekten kommen. Zur Anerkennung inexistierender Gegenstände sind wir nach seiner Meinung durch die Einrichtung unserer Natur gezwungen; daß wir vorstellen, ist nach seiner Meinung die ursprüngliche Tatsache, von unbezweifelbarer Wirklichkeit und Wahrheit. So denke ich mir dann, daß er in seiner Metaphysik das Bewußtsein von äußeren Gegenständen, von physischen Phänomenen auf eine Objektivation (nach SCHOPENHAUERs Ausdruck) des Vorstellungsinhaltes zurückführen würde. Hierbei könnte ihm seine Urteilstheorie wesentliche Dienste tun. Die Wahrnehmung, welche der Akt ist, durch den das Bewußtseins äußerer, physischer Phänomene entsteht, würde dann geradezu auf einer Verwerfung oder Negierung der ursprünglich gegebenen Inexistenz des Objekts beruhen. Deshalb scheint mir seine Lehre der SCHOPENHAUERs verwandt zu sein, zumal da auch dieser den Verstand, dessen Funktion das Urteilen ist, als das Mittel der Objektivation ansieht. Die Lehre BRENTANOs gilt mir deshalb letztenendes als eine Lösung des Problems, die Subjektivität als Bedingung der Objektivität nachzuweisen. § 53. Dasselbe Problem wird auch dadurch gelöst, daß man das Schließen als die Tätigkeit ansieht, durch welche einem Inhalt eine objektive Bedeutung gegeben wird, also die Wahrnehmung auf einen Schluß zurückführt. Eine beliebige Wahrnehmung kann durch die Formel ausgedrückt werden: Dies ist etwas. Mit dem "dies" bezeichnet man den Eindruck, den man gerade empfängt, und welcher zunächst noch völlig unbestimmt ist. Dadurch, daß man ihm das Prädikat "etwas" gibt, wird er auf ein Objekt bezogen, wird er objektiviert. Die Berechtigung, diesen Satz auszusprechen, muß sich auf einen allgemeinen Satz stützen, welcher lautet: Jeder Empfindung entspricht etwas Gegenständliches, oder jede Empfindung muß auf ein Objekt bezogen werden. Legt man diesen Satz zugrunde, so ergibt sich folgender Schluß als die Grundformel einer jeden Wahrnehmung: Ich habe eine Empfindung; jeder Empfindung entspricht ein Gegenstand, also entspricht meiner Empfindung ein Gegenstand, oder ich nehme etwas wahr. Dieser Schluß wird in der Tat immer angewendet, sobald aus einer vorliegenden Erscheinung eine dahinter liegende, der eigentliche Gegenstand der Wahrnehmung erschlossen wird, ein Vorgang, den man eine mittelbare Wahrnehmung nennen kann. Das sieht man beispielsweise einen Lichtschein am Himmel und schließt daraus, genau der angegebenen Formel entsprechend: es sei irgendwo eine Feuersbrunst. Einen derartigen ausgeführten Schluß kann man nun in jeder, auch nicht weiter zerlegbaren unmittelbaren Wahrnehmung eingeschlossen denken. So schließt man vermöge des Begriffs einer Farbe überhaupt, den man erworben hat, daß dem empfangenen Eindruck eine Farbe entspricht oder daß das Wahrgenommene eine Farbe ist. Die Meinung dieser Lehre ist, daß ohne die Vollziehung dieses Schlusses der Eindruck immer nur subjektiv bleiben, die Empfindung nicht Wahrnehmung werden würde. Und da es das Denken ist, dem die Funktion des Schließens eignet, so bewirkt auf diese Weise das Denken oder der Verstand die Verwandlung der Empfindung in Wahrnehmung. Die Mitwirkung des Denkens scheint hier umso wichtiger zu sein, als in den Begriffen, denen die Empfindung durch den Schluß untergeordnet wird Merkmale oder Teilbegriffe enthalten sind, die, wie es scheint, nicht durch die Empfindung selbst gegeben sein können, sondern teilweise einer reinen, nicht auf Empfindung beruhenden Anschauung oder Einbildungskraft entstammen, teilweise aber dem Denken selbst. Zu den letzteren gehört der aller Wahrnehmung zugrunde liegende Begriff von Etwas überhaupt, sodann aber auch der eines Dings, der Größe, der Ursache, der Wirkung, der Eigenschaft und andere, durch welche wir die Dinge und das Geschehen und überhaupt alles Wahrnehmbare denken, und mit deren Hilfe allein wir imstande sind, von unseren Wahrnehmungen in Worten Rechenschaft zu geben. Wo wir demnach eine Eigenschaft wahrnehmen, da schließen wir aufgrund eines reinen Verstandesgrundsatzes, der lehrt, unter welchen Bedingungen eine Eigenschaft prädiziert werden kann, daß der Gegenstand unserer Wahrnehmung die Eigenschaft besitzt, oder eine Eigenschaft ist, und ebenso bei den übrigen Grundbegriffen, welche KANT die Kategorien des reinen Verstandes nannte. Sodann aber scheint ein Schlußverfahren erforderlich zu sein zur Wahrnehmung aller räumlichen und zeitlichen Merkmale der Gegenstände. Denn zunächst ist es eine Tatsache, daß wir sehr viele dieser Merkmale in einem absichtlichen und besonnenen Schlußverfahren ermitteln müssen, zum Beispiel die zeitlichen Verhältnisse da, wo wir die Spuren eines Geschehens, aber dieses selbst nicht mehr unmittelbar wahrnehmen, oder auch da, wo wie bei der doppelten Bewegung der Planeten keiner aus der Erscheinung, wie sie ist, unmittelbar entnehmen kann, ob die Rotation um die Achse oder die Revolution um die Sonne früher angefangen hat. Das gleiche gilt vom Raum: Was vorne und was hinten ist, was das Nähere und was das Fernere ist, muß häufig umständlich erschlossen werden. Überhaupt sind wir in Bezug auf die räumlichen Verhältnisse so vielen Täuschungen und Irrtümern ausgesetzt, daß man daraus folgert, daß jegliche Erkenntnis des Räumlichen auf einem Schluß beruth. Weil die Farben- und Berührungswahrnehmungen unmittelbar nichts über das Räumliche aussagen, so kommt man auf die Vermutung, daß die räumliche Verteilung jener Inhalte sich auf Schlüsse gründet, denen gewisse allgemeine und reine Raumanschauungen die Obersätze liefern. Wie weit nun hierbei die Mitwirkung des Schließens geht, ob auch unbewußtes Schlüsse und in welchem Sinn angenommen werden können, ferner, wie die erwähnten reinen Verstandesbegriffe und reinen Raum- und Zeitanschauungen vermöge des Schließens mit der Empfindung in Verbindung gesetzt werden, dies alles genauer darzustellen, ist hier nicht der richtige Ort. Es genügt, durch das Gesagte darauf hingewiesen zu haben, inwiefern das Schließen als ein unerläßlicher Bestandteil der Wahrnehmung aufgefaßt werden kann. § 54. Die Schwierigkeit dieser Theorie, durch die sie der Kritik Angriffspunkte bietet, liegen vorzüglich in einer genaueren Erklärung des Schließens. So einfach und leichtverständlich die sprachlichen Formen desselben sind, ebenso verwickelt erscheinen die Formen, die das sprachlose Schließen hat. Ein solches muß aber zum Zweck der Erklärung der Wahrnehmung durchaus angenommen werden. Die Vorwürfe, welche sich gegen die Annahme von unbewußten Schlüssen richten lassen, zielen besonders darauf, daß der unbewußte Vorgang einfach nach dem Must der bekannten sprachlichen Schlußformen konstruiert wird, wodurch eine Theorie entsteht, welche ich die Marionettentheorie nennen möchte. Wie nämlich Marionetten von Menschen bewegt werden, die ganz dieselben Bewegungen machen, welche die Marionetten zeigen, so denkt man sich unter Bewußtsein den Raum für die unbewußten Tätigkeiten, die in den bewußten erscheinen. Die Kritik muß diese Theorien immer darauf aufmerksam machen, daß man nicht Marionetten für die Ursachen der Bewegungen der Menschen nehmen darf. Eine andere Erklärung der Mitwirkung des Schließens in der Wahrnehmung bietet sich dar, wenn man sich das oben (§ 36) im allgemeinen entwickelte Verhältnis des Denkens zur Assoziation und Erinnerung ins Gedächtnis zurückruft. Das Schließen kann seiner äußeren Form nach auf Erinnerungsvorgänge, die ihrerseits Assoziationen voraussetzen, zurückgeführt werden. Während nun für die Erklärung verbaler, ausdrücklicher Schlüsse die Tatsachen der Erinnerung ausreichen, lassen sie für die Erklärung der Entstehung der Wahrnehmung im Stich, aus dem einfachen Grund, weil eher etwas wahrgenommen ist, nichts erinnert werden kann. Hier kommt nun eine Theorie zu Hilfe, die für die Erklärung des Schließens davon ausgeht, daß das Ergebnis eines Schlusses immer darin besteht, daß das Objekt in eine Klasse von Objekten eingereiht oder klassifiziert wird. Die Frage ist also, wie die Klassen entstehen. Die Theorien, welche dieselben nicht als gegeben ansehen, sind zu metaphysischen Konstruktionen derselben genötigt. Diese können entweder materialistisch oder spiritualistisch sein. Ich will hier nur eine materialistische anführen, weil sich die spiritualistischen gewöhnlich jenen entsprechend gestalten. Die Wahrnehmung besteht also, wie gesagt, in der Einreihung in eine Klasse. Sie beruth nach materialistischer Ansicht auf der Erregung eines Nerven, welche durch einen Reiz veranlaßt wird. Aber mit der Erregung durch den Reiz ist die Wahrnehmung noch nicht vollständig; erst dadurch, daß sie in die zentrale Nervensubstanz fortgeleitet wird, wo sich die Dispositionen, die Spuren früherer Erregungen erhalten haben, kann sie zu einer vollständigen Wahrnehmung werden. Dies geschieht in der Weise, daß diejenige Spur wieder erwacht, welche durch die der jetzt eintretenden ähnliche Erregungen früher geschaffen war. Indem die neue Erregung auf die Bahnen dieser Spur gelangt, ruft sie dort eine momentane molekulare Bewegung hervor und nimmt dort ihr Ende, indem sie zugleich die organische Anlage, welche die Spuren der früheren Erregungen trägt, verstärkt. Dieser Prozeß hat folgende Ähnlichkeit mit dem vorher dargestellten Wahrnehmungsschluß: Dem Obersatz, welcher das Gesetz der Klasse formuliert, entspricht die von einer bestimmten Art von Nervenerregungen erzeugte und deshalb ihr homogene Spur in der zentralen Nervensubstanz; dem Mittelsatz, welcher die Ähnlichkeit zwischen der augenblicklich eintretenden und der in der Spur repräsentierten Klasse von Erregungen ausspricht, entspricht die Fortleitung der Erregung an die Stelle dieser Spur; und dem Schlußsatz, welcher den gegebenen Inhalt jener Klasse unterordnet, entspricht die Verschmelzung der eintretenden Erregung mit der wieder erweckten Disposition. Man kann diese Theorie sogar ausdehnen auf die Erklärung der Entstehung der verschiedenen Organe, durch welche die organischen Geschöpfe zu einer Reaktion auf die verschiedenen Klassen von Reizen befähigt sind. Wie das Etwas, der Begriff vom Gegenstand überhaupt in die Stufenfolge der Gattungen und Arten von Gegenständen zerfällt, so hat sich nach HERBERT SPENCER die Nervensubstanz, das Substrat des Gegenstandes überhaupt, in immer feinere, mit spezifischer Empfänglichkeit ausgestattete Teile im Lauf der orgaischen Entwicklung zerlegt, und im Laufe der Jahrtausende sind die verschiedenen Gattungen empfindlicher Substanz ebenso entstanden, wie sich im Laufe eines tierischen Lebens in dessen Gehirn die Dispositionen für die Menge der einzelnen Arten und Unterarten von Empfindungen bilden. Diese Lehre vermindert nun allerdings den Abstand zwischen Anschauung und Denken ganz beträchtlich, aber nicht so, daß sie in der Wahrnehmung zu jener dieses hinzukommen ließe, sondern vielmehr so, daß sie das Denken in einen Prozeß der Empfindung und Empfindungsverbindung verwandelt. Es braucht jedoch dabei die Eigentümlichkeit des Denkens nicht unterzugehen; ja, es darf dies gar nicht geschehen, wenn eine derartige Theorie konsequent sein will, wie sie auch, wenn sie auf Materie und deren Bewegungen die geistigen Prozesse zurückführt, ebensowenig, wie irgendeine andere Theorie das Vorhandensein von Begriffen im Geiste oder auch nur in der Sprache, von Formen und gesetzlicher Ordnung in den Dingen und der Welt leugnen kann. Da nun bei höher entwickelten Menschen die reinen Begriffe des Verstandes zweifellos an der Wahrnehmung sich beteiligen, so muß eine materialistische Theorie annehmen, daß diese Begriffe, auf welche Weise auch immer, vielleicht durch eine ungemein komplizierte Verbindung von Nervenfasern, in der Nervensubstanz repräsentiert sind, und dadurch auf eine sehr entschiedene, geradezu materielle Weise bewirken, was der Gegenstand dieses Abschnittes war, die Intellektualität der Erkenntnis und der Wahrnehmung. Der Begriff der Wahrnehmung und die Begriffe des Gefühls und des Willens. Schluß. § 55. Bei den bisher angestellten Vergleichungen des Begriffs der Wahrnehmung mit den übrigen Begriffen des psychologischen Systems stellte sich immer heraus, daß die zuerst angenommenen Unterscheidungsmerkmale einer genaueren Untersuchung nicht Stich halten, und daß die Begriffe ineinander übergehen. Auch die Versuche, mit Hilfe anderer Merkmale bessere Unterscheidungen zu treffen, waren erfolglos. Wahrnehmung erwies sich als eine Gattung der ihr übergeordneten und als Art der ihr untergeordneten Begriffe; ihre generischen wie auch ihr spezifischen Unterschiede waren unzureichend und unbestimmt. Immerhin aber sind wir bei den bisherigen Vergleichen noch innerhalb des Gebietes der Erkenntnis geblieben, obwohl freilich auch im Verhältnis zu diesem Begriff die Wahrnehmung nicht gehörig bestimmt erschien, insofern, als sie nicht notwendig als eine Art der Erkenntnis angesehen zu werden braucht, sondern umgekehrt, diese als Wahrnehmung erklärt werden kann. Da sich ferner unter dem Namen der Vorstellung ein Begriff zeigte, welcher über den der Erkenntnis hinausging und auch das Gefühl und den Willen mit umfaßte, trotzdem jedoch die Wahrnehmung sehr wohl als Merkmal vertragen kann, so wurde diese in gewisser Weise bereits aus dem Gebiet der bloßen Erkenntnis hinausgehoben und jenen beiden anderen Hauptklassen psychischer Tätigkeiten nahe gerückt. Gerade wenn man den Begriff des Psychischen durch den des Bewußtseins erklären will, drängt sich ein Merkmal, das keinen Namen eher als den der Wahrnehmung verdient, herbei, ohne welches der Begriff des Bewußtseins überhaupt keine eigene Bestimmung und Bedeutung zu haben scheint. "Bewußtsein" ist die Abbildung des Seins und als solche gilt die Wahrnehmung seit den ältesten zeiten bis zu den jüngsten. Ob auch andere Merkmale zu diesem noch hinzukommen, wie besonders das einer eigenen, selbständigen, umgestaltenden Tätigkeit, so bedarf dieselbe doch immer einer Unterlage, auf der sie sich aufbaut, eines Stoffes, an dem sie ausgeübt wird, und diesen liefert die psychische Empfänglichkeit, deren Wirksamkeit nicht passender als durch den Namen der Wahrnehmung bezeichnet werden kann. Aber auch der speziellere Begriff der Wahrnehmung läßt sich von den anderen nicht getrennt halten. So scharf sie auf den ersten Blick der Erinnerung gegenübertritt als Anschauung gegenwärtiger Objekte, während diese nur abwesende oder vergangene anschaut, so zeigt sich bei näherer Überlegung, daß das gegenwärtige Objekt fast zu nichts zusammenschrumpft, wenn es nicht reichlich mit Erinnerungsinhalten ausgestattet wird und daß die Wahrnehmung, wenn sie nicht ganz und gar Erinnerung heißen soll, jedenfalls nur durch einen geringen und obendrein noch schwer zu bestimmenden Umstand von dieser verschieden ist. Ganz das Gleiche zeigte sich, wenn das Denken, das nicht einmal derselben Gattung wie die Wahrnehmung angehört, mit dieser verglichen wird. Wo bleibt da der gewaltige Unterschied mittelbarer und unmittelbarer Erkenntnis, von Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit? Alles wies vielmehr darauf hin, daß dies begriffliche Scheidungen sind, denen aber die Erscheinungen selbst nicht folgen. Die Wahrnehmung kann ebensogut als Denken gegenwärtiger Objekte bestimmt werden, wie als Anschauung. Ja, wenn wir sagten, sie sei eine mit Anschauung, Denken und Erinnerung verbundene Empfindung, würde sich diese Definition, so seltsam sie klingt, nicht in jeder Hinsicht rechtfertigen lassen? Somit werden wir uns auch nicht wundern, wenn sich bei einer genaueren Untersuchung die Grenzen zwischen Wahrnehmung und Gefühl sich als fließend erweisen und schließlich sogar eine Theorie, welche die Wahrnehmung durch das Gefühl und als Art desselben erklärt, nur einer vorgefaßten Meinung als unmöglich darstellt. Bevor wir die Grundzüge derselben zu zeichnen versuchen, wollen wir zeigen, wie hinfällti die verschiedenen Bestimmungen des Unterschiedes von Gefühl und Wahrnehmung sind, da der Begriff der Erkenntnis selbst gegen den des Gefühls nicht gehörig abzugrenzen ist. § 56. Das Gefühl zu definieren ist anerkanntermaßen keine leichte Sache; es auch nur von der Erkenntnis zu unterscheiden, bereitet Schwierigkeiten. Wenn man sagt, es sei ein leidender Zustand der Seele, so gilt auch von der Erkenntnis, daß sich die Seele dabei leidend verhält. Denn nichts anderes ist die Rezeptivität, auf der alle Erkenntnis, zumal die Wahrnehmung, beruth; indem die Seele affiziert wird, leidet sie. Nun erklärt man freilich, daß die Seele im Zustand des Fühlens durch sich selbst affiziert ist, daß sie sich selbst fühlt und so eigentlich keinen Gegenstand im Gefühl hat. Aber wenn sie sich fühlt, wird man entgegnen, so ist sie sich selbst Objekt und im Geühl erkennt sie ihren eigenen Zustand, hat von sich eine innere Wahrnehmung. Läßt man die Seele aus dem Spiel und erklärt, daß das Ich im Gefühl ein Bewußtsein seiner selbst hat, so gilt ganz dasselbe: dieses Bewußtsein ist auch eine Erkenntnis. Noch weniger vermögen die Annahmen über die Nervenprozesse, welche die Bewußtseinserscheinungen begleiten, die Eigentümlichkeit des Gefühls zu umschreiben: wenn dasselbe wesentlich auf inneren Reizen beruth, so gilt das Gleiche von einem großen Teil der Erkenntnisvorgänge; außerdem gibt es auch Gefühle, die unmittelbar durch äußere Reize hervorgerufen werden. So sucht man den Unterschied von Gefühl und Erkenntnis festzustellen, indem man jenes als eine Wirkung dieser erklärt. Die Erkenntnis ist die notwendige Bedingung des Gefühls, ein Verhältnis, das nicht umgekehrt werden kann. Oder doch? Sind nicht auch Gefühle häufig die Ursache von Erkenntnissen, und gibt es nicht eine ganze Anzahl derselben, die eben, weil sie sich auf Gefühle beziehen, notwendig von diesen bedingt sein müssen? Auch kann eine solche Unterscheidung kein Kennzeichen des Gefühls begründen, da auch Gefühle Ursachen von Gefühlen, Erkenntnisse Ursachen von Erkenntnissen sind, und aus dem Umstand, daß ein Seelenzustand von einem anderen bewirkt ist, weder die Natur des bewirkenden, noch die des bewikten erschlossen werden kann. Aus denselben Gründen nützt es auch nichts, das Gefühl als Bedingung des Wollens zu bestimmen. Außerdem ist es schon an sich schwierig, eine gehörige Grenze zwischen Willen und Gefühl zu ziehen, da starke Gefühle den Charakter von Begehrungen und Willensregungen haben, schwache Willensakte aber durchaus Gefühlen gleichen. Dazu kommt noch, daß das Verhältnis der Erkenntnis zum Wollen sehr häufig gleich dem der Ursache zur Wirkung ist, und wenn manche behaupten, immer erst duch das Mittelglied eines Gefühls könne Erkenntnis in Willen übergehen, so ist das nur ein Schluß, der daraus folgt, daß sie das Gefühl als die notwendige Bedingung des Wollens bestimmt haben, wodurch aber die Tatsachen nicht gezwungen werden; vielmehr würde eine einzige sichere Tatsache eines ohn vorausgehenden Gefühls eintretenden Wollens die Behauptung, daß jenes die notwendige Bedingung von diesem ist, umstoßen. So bleibt nichts übrig, als sich für den Unterschied von Gefühl und Erkenntnis auf die innere Erfahrung zu berufen und auf die Tatsachen, daß wir selten schwanken, ob wir einen Seelenzustand als jenes oder als diese ansehen sollen, und daß wir, wenn wir diesem unseren unmittelbaren Urteil gemäß uns aussprechen, allgemein verstanden werden. Diese Tatsachen und jene sogenannte innere Erfahrung sind jedoch höchst wahrscheinlich ein und dasselbe; nämlich, weil wir ohne zu schwanken benennen und diese Benennung verstanden wird, deshalb schreiben wir uns eine innere Erfahrung zu. Aufgrund der inneren Erfahrung und der Sprache läßt sich aber von Gefühl und Erkenntnis nicht nur sagen, daß sie voneinander verschieden sind, sondern auch, daß sie eine sehr nahe Verwandtschaft haben, die bis zur völligen Unterschiedslosigkeit geht. Auf der einen Seite widerstreb es der Sprachgewohnheit, vom Gravitationsgesetz zu sagen, daß man es fühlt, wie von einer Wonne, daß man sie erkennt; auf der anderen Seite aber wird der Ausdruck Fühlen ganz allgemein für eine Tastwahrnehmung gebraucht, und im Ausdruck "Schmerzempfindung" kommt man dem Begriff der Wahrnehmung ziemlich nahe. Von Wahrheiten aber sagt man sogar allgemein, daß man sie fühlen kann, und versteht dann unter dem Gefühl eine unklare, unvollkommene Erkenntnis. Die Reflexion über diese verschiedenen Ausdrucksweisen ergibt, daß der Ausdruck "Fühlen" eine sehr weite Anwendung hat, daß es aber nicht recht zu entscheiden ist, ob man beim Fühlen eine dunklere Erkenntnis oder in der Erkenntnis ein mehr oder weniger entschiedenes Gefühl als regelmäßige Begleiterscheinung anzusetzen hat. § 57. Alle diese Betrachtungen, die sich im Einzelnen noch sehr weit verfolgen lassen, führen darauf, daß Erkenntnis und Gefühl in einer sehr engen Gemeinschaft stehen und berechtigen zur Entwerfung einer Theorie, welche die Entstehung der Erkenntnis aus dem Gefühl, die Ursprünglichkeit des Gefühls und die Ableitbarkeit der Erkenntnis aus demselben und ihre Unterordnung unter dasselbe lehrt. Das Gefühl, im entwickelten Menschen zwischen Erkenntnis und Willen in der Mitte stehend, ist in früheren Stadien der Keim, aus dem sich jene beiden als besonders ausgeprägte Formen entwickeln. Als Trieb und dunkler Drang ist das Gefühl, wenn nicht mit allem Leben, so doch mit allem Bewußtsein oder Seelenleben verbunden und äußert sich hier als Empfindlichkeit für Reize und als Motiv einer selbsttätigen Bewegung. Kein lebendiges Geschöpf, zumindest kein tierisches, ist ohne Lust- und Unlustempfindung. Indem es sich einem Reiz, der Lust hervorruft, entgegenbewegt und ihn später aufsucht, von einem solchen aber, der Unlust erregt, sich zurückzieht und später ihn zu vermeiden strebt, beginnt mit der Unterscheidung, Erinnerung, Wiedererkennung solcher Reize zugleich die Erkenntnis, die auf dieser Stufe ein Gefühl der Lust und der Unlust, des Bedürfnisses und der Befriedigung, des Begeherens und Scheuens, des Zuträglichen und Unzuträglichen ist. Unter der Voraussetzung, daß die lebendigen Wesen sich aus niederen zu höheren Formen entwickelt haben, läßt sich annehmen, daß das Gefühl, ohne daß seine eigentliche Natur verändert ist, nur der Art nach verschiedene Formen erzeugt hat, daß all die Triebe, Willensregungen, Erkenntnisse, welche höheren Stufen der Entwicklung eigentümlich sind, umgebildete, ausgeprägte Gefühle sind, und daß das, was wir ihm höheren Seelenleben als besondere Gefühle neben Erkenntnis und Willen unterscheiden, Zustände sind, die bei weiterer Entwicklung jene ausgeprägten Sonderformen annehmen werden, daß also diese stets als Gefühle ihrer eigentlichen Natur nach gelten können. Viele Erscheinungen aus allen Gebieten des Lebens, vom niedrigsten Tierleben bis zum höchsten menschlichen Kulturleben sprechen für die Möglichkeit dieser Annahme. Zu ihren Folgerungen aber gehört notwendig, daß alle Erkenntnis und somit auch die Wahrnehmung ein Gefühl ist. Jene wäre also eine Art von diesem, womit gezeigt ist, daß unter der Zugrundelegung einer anderen Betrachtungsweise der Erscheinungen des Seelenlebens, sich das von uns zuerst und vorläufig angenommene System der psychologischen Begriffe auflöst und die Wahrnehmung unter dem Gefühl einen Platz bekommt. Wollte nun einer sagen, daß die hier angedeutete Veränderung des Systems keine große Tragweite hat, weil das System in sich unverändert bleibt und im Ganzen dem Gefühl untergeordnet wird, so ist darauf zu bemerken, daß es fraglich ist, ob dann die gebräuchlichen Unterscheidungen von Erkenntnis, Gefühl und Willen, sowie ihre Unterarten bleiben würden; die vollständige Begriffsbestimmung der Wahrnehmung könnte eine ganz andere werden. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß man die Erkenntnis in eine verworrene und eine klare einteilen kann, nach dem Voranschreiten von DESCARTES und LEIBNIZ. Alle verworrene Erkenntnis aber könnte Gefühl heißen, welches dem Denken oder der Verstandeserkenntnis als der klaren gegenüberstehen würde. Dem Gefühl ließe sich dann auch die Wahrnehmung unterordnen, weil sie trotz ihrer scheinbaren Klarheit im Vergleich zur Verstandeserkenntnis unklar oder verworren ist. Diese Einteilung ließe sich sehr wohl rechtfertigen durch den Hinweis auf einige Vorzüge, die sie vor den gebräuchlichen hat, wie beispielsweise der ist, daß zu den Gefühlen oder verworrenen Erkenntnissen außer der Wahrnehmung die ihr nebengeordnete Empfindung gehören würde. Dieselbe wäre dadurch charakterisiert, daß ihren Inhalten nur subjektive Beziehungen zukämen, ein Gesichtspunkt, der für das, was man gewöhnlich Gefühl nennt, nämlich die Zustände der Lust und Unlust, in vorzüglicher Weise zutrifft. Diese Betrachtungsweise, welche hier nicht genauer ausgeführt werden kann, erinnert an die oben erwähnten Bestimmungen über das Wesen der Empfindung, wie sie REID, KANT, HAMILTON geben, und vereinigt dieselben mit den Gedanken von LEIBNIZ, sowie auch mit solchen SCHOPENHAUERs, der das Gefühl im Einklang mit einer seit der klassischen Zeit unserer schönen Literatur gebräuchlichen Auffassungsweise als eine Art von Erkenntnis dem Verstand gegenüberstell. Daß dabei auch die Wahrnehmung "Gefühl" genannt wird, dürfte im ersten Augenblick seltsam klingen; bedenkt man aber, daß die Klarheit derselben nicht der Einsicht zukommt, sondern ihrem Gegenstand, und daß auch der Gegenstand des Gefühls in einem engeren Sinn eine außerordentliche Klarheit annimmt, so wird man bald erkennen, daß diese psychologische Einteilung nicht schlechter ist als andere und Überzeugungen zu wecken vermag. § 58. Es bleibt noch, das Verhältnis der Wahrnehmung zum Willen zu erörtern. Auch dieses Vermögen ist in der Gesamtheit der psychischen Erscheinungen entweder als nichts oder als alles anzusehen. Definiert man nämlich den Willen als die letzte Bedingung psychisch verursachter Tätigkeit und Bewegung, so erscheint er als ein so gut wie entbehrliches Zwischenglied zwischen Gefühl und Bewegung, oder zwischen der Erkenntnis und der letzteren. Denn wozu bedarf es noch einer besonderen Vermittlung, damit der psychische Zustand, die Erkenntnis oder das Gefühl, sich in Handlung umsetzen, zumal da die Ausführung dieser durchaus auf die leiblichen Kräfte und Anlagen angewiesen ist? Betrachtet man aber den Willen als die erste Ursache allen Bewußtseins, oder gar des Lebens überhaupt, so durchdringt er als die wirkende Kraft alle Äußerungen desselben und stellt sich in allen Formen des Lebens und des Bewußtseins dar. In der Psychologie pflegen beide Auffassungen miteinander verbunden zu sein. Während man den Willen als besonderes Vermögen neben Erkenntnis und Gefühl, und von beiden spezifisch unterschieden hinstellt, kann man zugleich nicht umhin, diesen beiden Vermögen Merkmale zuzuschreiben, die, wenn sie nicht geradezu Willen selbst genannt zu werden verdienen, doch demselben durchaus verwandt sind. Die Verwandtschaft des Gefühls mit dem Willen ist bereits erörter und außerdem so offenbar, daß sie keines weiteren Wortes bedarf. In der Erkenntnis aber fanden wir das Merkmal der Spontaneität, das sich geradezu als Erkenntniswille erklären läßt und dessen besondere Äußerung in der Aufmerksamkeit am deutlichsten hervortritt. Aus diesen Gründen vermindert sich der Gegensatz, welcher zwischen den drei Hauptklassen des psychologischen Systems angesetzt wird, beträchtlich. Dadurch, daß das Gefühl, welches die Erkenntnis vom Willen trennt, fortfällt, indem es entweder mit jener oder mit diesem vereinigt wird, bleiben nur noch zwei Hauptklassen übrig. Zwischen diesen aber bildet das Denken oder die selbsttätige Erkenntnis den Übergang, die infolgedessen auch ganz dem Willen untergeordnet werden kann. Sobald man sich nun überzeugt, daß auch in der Wahrnehmung Selbsttätigkeit, sei es nun als Aufmerksamkeit oder als begriffliches Denken oder als Urteil oder als Schließen enthalten ist, kann man sie wegen dieser Eigentümlichkeit als Art spontaner Erkenntnis dem Willen unterordnen und sie etwa als das auf Objekte gerichtete Wollen bestimmen. In dieser Auffassung wird man noch bestärkt, wenn man als die eigentliche Wirkung, als den wirklichen Erfolg der Erkenntnis, ja geradezu als ihr Wesen nicht die Veränderung eines Substrates, sei es nun eines geistigen oder eines körperlichen, wie es die mit Eindrücken und deren Abdrücken behaftete Seelentafel, die kompliziert organisierte und funktionierende Gehirnmasse, das mit Vorstellungsverbindungen erfüllte Bewußtsein sind, ansieht, sondern gewisse Tätigkeiten und deren Formen. Es wird nötig sein, diesen Gedanken deutlicher zu machen: Wenn man die Erkenntnis beobachten will, ohne nach Jllusionen der inneren Wahrnehmung oder nach hypothetischen Nerven- und Seelenvorgängen zu fahnden, so findet man als ihre Äußerungen, als ihre Erscheinung nur Tätigkeiten in mannigfacher Form. So besteht die Erkenntnis eines sehr tief stehenden Tieres in gewissen Tätigkeiten, die es ausübt. Natürlich sind nicht alle Bewegungen als Erkenntnis anzusehen, gewiß zum Beispiel nicht die passiven, gewiß ferner nicht die Bewgungen des Wachstums, sodann auch nicht die reflektorischen, wohl aber alle Handlungen. Anstatt daß man nun, wie es gewöhnlich geschieht, Handlungen als durch Erkenntnis bewirkte oder veranlaßte Tätigkeiten erklärt, läßt sich die Erklärung umkehren und alles, was man Erkenntnis nennt, auf Handlungen zurückführen. Anstatt daß man zur notwendigen Vorbedingung jeglicher Handlung eine zumindest latente Erkenntnis voraussetzt, ist umgekehrt jede Erkenntnis nicht bloß durch eine latente, sondern durch eine aktuelle Handlung bedingt und gekennzeichnet. Die Handlungen beobachten und beschreiben, in denen sich Erkenntnis manifestiert, heißt die Erkenntnis selbst beschreiben und erklären. Nun darf man als das Prinzip, wenn nicht aller Bewegung, so doch aller Handlung den Willen ansehen. Wiewohl diese Annahme für eine Wissenschaft von den Tätigkeiten und ihren Formen nicht erforderlich ist, so dient sie doch dazu, die Beziehung der Tätigkeit zu psychologischen und metaphysischen Begriffen zu kennzeichnen. Eine Psychologie, welche die Tätigkeiten zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht, könnte all die Erscheinungen, welche sie beobachtet, als Äußerungen des Willens betrachten und diesem unterordnen. Somit ergibt sich, daß die Wahrnehmung mindestens von zwei Gesichtspunkten aus als Art des Wollens erklärt werden kann; einmal, insofern sie ein Denken, spontane Erkenntnis, die Äußerung eines Erkenntniswillens ist, andererseits unter dem Gesichtspunkt, daß alle psychologischen Gegenstände und somit auch die Wahrnehmung, Tätigkeiten, insbesondere Handlungen oder Willensäußerungen sind. § 59. Nachdem sich nun bei diesem Vergleich des Begriffs der Wahrnehmung mit den anderen Begriffen des von uns vorausgesetzten psychologischen Systems die Ansatzpunkte für vielerlei Spekulationen über die Wahrnehmung gezeigt haben, ist es wohl hinreichend klar gemacht, was für ein schwieriger Begriff hier vorliegt und worin seine Schwierigkeit besteht. Auch ist es wohl einleuchtend geworden, weshalb dieser Begriff so verschiedenartig bestimmt und weshalb er so leicht mit anderen verwechselt wird, weshalb auch sein Name einen weiten und schwankenden Gebrauch hat. Nach der von uns (§ 11) ausgesprochenen Absicht einer gründlichen Untersuchung müßte nun eine Durchmusterung der über die Wahrnehmung wirklich aufgestellten Lehren folgen. Nun ist es ja augenscheinlich, daß nicht die gesamte Psychologie seit den ältesten Zeiten durchmustert werden kann. Vielmehr wird es nötig sein, eine Auswahl zu treffen, für welche folgende Gesichtspunkte zweckmäßig zu sein scheinen: Zunächst wird man gut tun, die ganze antike Psychologie auszuschließen, und zwar deshalb, weil die Berücksichtigung derselben unabweislich in historische Streitfragen, in Fragen nach dem Sinn der Überlieferung in unseren Quellen fühhrt und andererseits deshalb, weil das Wichtigste aus der alten Psychologie in die neuere übergegangen ist und sich in ihr wiederfindet. Aber auch die gesamte neuere Psychologie würde für unseren Zweck zu umfangreich sein. Auch sie umfaßt eine große Anzahl von Werken, die zwar für die Geschichte dieser Wissenschaft von Interesse sind, aber für eine einzelne sachliche Frage nicht in Betracht kommen. Namentlich aber behandeln die älteren Werke der neueren Psychologie, zumal die Grundschriften von LOCKE und LEIBNIZ, außer eigentlich psychologischen Fragen so viel allgemeineres über das Wesen, den Wert und Ursprung der Erkenntnis, daß ihre Untersuchungen für eine spezielle Psychologie der Wahrnehmung sich nicht unmittelbar verwerten lassen. Es erscheint deshalb am zweckmäßigsten, die Durchmusterung auf die speziell psychologischen Schriften der neueren Zeit zu beschränken, und da freilich ebensowohl diejenigen Werke, welche die gesamte Psychologie systematisch, als solche, welche einzelne Teile der Wissenschaft behandeln, zu Rate zu ziehen. Ob man gerade Veranlassung hat, das Ergebnis einer solchen Durchmusterung zu veröffentlichen, ist sehr fraglich. Die Irrtümer, welche aus der psychologischen Verwirrung entstehen, sind nur insofern verderblich, als sie alle diejenigen, welche sie nicht erkennen, im dem Wahn erhalten, man gewinne durch die Aneignung und Bearbeitung dieser Begriffe ein wahrhaftes Wissen. Dieser Wahn aber vernichtet sich infolge seiner Unfruchtbarkeit selbst. Der Wert aber der genaueren Prüfung der einzelnen Lehren über die Wahrnehmung scheint besonders darin zu liegen, daß sie, was wir in unserer Untersuchung im allgemeinen entwickelt haben, an zahlreichen Fällen deutlich machen wird. Dabei wird sich dann fortwährend herausstellen, daß alle höheren Spekulationen über die Wahrnehmung, mag man sie nun der Psychologie oder der Erkenntnistheorie zurechnen, in der Unbestimmtheit und Dehnbarkeit der psychologischen Grundbegriffe der Erkenntnis und Vorstellung, des Verstandes, Gefühls und Willens, ihre Grundlage haben. Letztenendes aber erwächst sowohl die Unbestimmtheit dieser Begriffe wie ihre spekulative Fruchtbarkeit aus dem Begriff der Abbildung, der einerseits auf den allerallgemeinsten Begriffen der Gleichheit und Ähnlichkeit beruth. Seine Fruchtbarkeit für die psychologische Spekulation überhaupt und für die über die Wahrnehmung insbesondere erklärt sich einerseits aus seiner Allgemeinheit, andererseits daraus, daß er in den Sinnesorganen eines so wunderbare Verwirklichung, Darstellung, oder wenn man will, Verwendung gefunden hat. ![]() |