ra-2P. RéeJ. FriedmannH. DietzelJ. BahnsenG. StörringF. Brentano    
 
GUSTAV STÖRRING
Moralphilosophische Streitfragen

"Die moralischen Werturteile hängen nach Hume nicht vom Verstand ab. Ein Mensch kann falsche Mittel wählen, seinen Zweck zu erreichen und kann durch eine solche Torheit die Ausführung eines Vorhabens, anstatt sie zu beschleunigen, vielmehr verhindern. Ich bin mehr zu beklagen als zu tadeln, wenn ich mich in Anbetracht des Einflusses der Dinge auf mein Wohl und Wehe irre, oder wenn ich nicht die rechten Mittel treffe, meine Neigungen zu befriedigen. Kein Mensch kann dergleichen Irrtümer als Fehler meines moralischen Charakters ansehen. Moralität ist kein Objekt der Vernunft, sondern des Gefühls."

"Humes Auffassung der intellektuellen Fähigkeiten als Tugenden scheitert an der Tatsache, daß die ethischen Wertschätzungen imperativischen Charakter haben; es hat aber keinen Sinn, intellektuelle Fähigkeiten vom Individuum zu fordern, höchstens den Willen zur Förderung seiner intellektuellen Leistungen und Fähigkeiten."



3. Kapitel
Die Leistungsfähigkeit des Sympathieprinzips
für die Erklärung des sittlichen
Tatbestandes nach Hume.

Nach Erörterung des Wesens und der Entstehung der Sympathie fragen wir uns, was das Sympathieprinzip für die Erklärung des sittlichen Tatbestandes leisten kann. Es wird sich zeigen, daß das Sympathieprinzip einen wesentlichen Beitrag zur Erklärung des sittlichen Tatbestandes liefert, daß dasselbe aber nicht den gesamten sittlichen Tatbestand zu erklären imstande ist. Da kommt es nun darauf an, die positiven Beziehungen aufzuweisen und das herauszuheben, was am sittlichen Tatbestand nicht auf Sympathiewirkung zurückzuführen ist. Ich sagte schon, daß ich auch bei der Untersuchung dieser Frage es für zweckmäßig halte, an HUME und ADAM SMITH anzuschließen.

Die moralischen Werturteile hängen nach HUME nicht vom Verstand ab.
    "Ein Mensch kann falsche Mittel wählen, seinen Zweck zu erreichen und kann durch eine solche Torheit die Ausführung eines Vorhabens, anstatt sie zu beschleunigen, vielmehr verhindern. Man kann hier sagen, daß die falschen Urteile auf die Leidenschaften und Handlungen, welche mit ihnen verknüpft sind, einfließen, und daß sie sie, wenn man figürlich und uneigentlich reden will, unvernünftig machen. Aber all dies zugegeben, ist doch leicht zu bemerken, daß diese Irrtümer so wenig die Quelle aller Unmoralität sein können, daß sie gewöhnlich unschuldig sind, und derjenigen Person, die so unglücklich ist, in dergleichen zu verfallen, gar keine Schuld zuziehen. Sie erstrecken sich nicht weiter, als daß sie eine irrige Tat (errorem facti) hervorbringen, welche nach den Moralisten im allgemeinen nicht lasterhaft ist, da sie gar nich von der Willkür abhängt. Ich bin mehr zu beklagen als zu tadeln, wenn ich mich in Anbetracht des Einflusses der Dinge auf mein Wohl und Wehe irre, oder wenn ich nicht die rechten Mittel treffe, meine Neigungen zu befriedigen. Kein Mensch kann dergleichen Irrtümer als Fehler meines moralischen Charakters ansehen." (16)
Es ist danach offenbar, daß die moralischen Unterschiede nicht vom Verstand abhängen oder wie HUME sagt, daß die Moralität nicht "Objekt der Vernunft" ist.
    "Es liegt in euch selbst, nicht im Objekt. So wenn ihr sagt, eine Handlung oder ein Charakter sei lasterhaft, so wollt ihr nichts anderes sagen, als daß ihr vermöge der Einrichtung eurer Natur ein Gefühl oder eine Empfindung des Tadels gegen ihn habt, wenn ihr sie auch vorstellt." (17)
Nachdem festgestellt ist, daß die moralische Wertschätzung nicht auf dem Verstand, sondern auf dem Gefühl beruth, wird weiter nach der Art der Gefühle gefragt, welche diese Wertschätzung bedingen.

Da läßt sich nun zunächst sagen, daß bei moralischer Billigung ein Lustgefühl, bei moralischer Nichtbilligung ein Unlustgefühl vorliegt.
    "Kein Schauspiel ist so herrlich und schöne als eine edle und großmütige Handlung, hingegen erfüllt uns nichts mit größerem Abscheu, als der Anblick von Grausamkeit und Verräterei." (18)
Die so gemachte Bestimmung reicht aber noch nicht zur Charakterisierung der moralischen Wertschätzung aus. Es handelt sich bei Letzterer um eine ganz bestimmte Art der Lust und Unlust. HUME unterscheidet nämlich verschiedene Qualitäten von Lust und Unlust.
    "Ein gutgesetztes musikalisches Stück und eine Bouteille [Flasche - wp] guter Wein bringen beide Lust hervor; und was noch mehr ist, ihre Güte ist beiderseitig nur durch die Lust, die sie veranlassen, bedingt. Aber können wir wohl deshalb sagen, daß der Wein sehr harmonisch und die Musik von einem angenehmen Geschmack ist?" (19)
So hat auch die moralische Lust und Unlust eine ganz eigentümliche Qualität. Es kann ein lebloses Ding und der Charakter oder die Gesinnung einer Person Vergnügen gewähren; allein, da das Vergnügen verschieden ist, so schützt uns dies, daß wir sie nicht beide in unserem Urteil miteinander verwechseln, und macht, daß wir das eine der Tugend und das andere dem leblosen Ding zuschreiben." (20)

Wie läßt sich dann aber die den moralischen GEfühlen eigentümliche Qualität näher bestimmen? So, daß wir sagen: es handelt sich bei ihnen um eine Lust oder Unlust, die durch die Vorstellung von Charakteren und Handlungen von Personen entsteht. Doch auch diese Bestimmung ist noch keine ausreichende:
    "nicht jede Empfindung der Lust und Unlust, welche von Charakteren und Handlungen entspringt, ist von der eigentümlichen Art, welche macht, daß wir etwas loben oder tadeln. Die guten Eigenschaften eines Feindes können uns schädlich sein; aber dennoch können sie uns Achtung und Furcht abzwingen. Bloß wenn der Charakter im allgemeinen betrachtet wird, ohne Beziehung auf unsere besonderes Interesse, verursacht er ein Gefühl oder eine Empfindung, wonach er moralisch gut oder böse genannt wird." (21)
So kann man also von moralischen Lust- und Unlustgefühlen sprechen, wo Lust- oder Unlustgefühle durch die Vorstellung eines Charakters im Allgemeinen veranlaßt sind. Was gut und böse genannt wird, ist der Charakter einer Person, nicht ihre Handlungen. Handlungen sind nur tugendhaft oder lasterhaft, sofern sie "Zeichen einer Eigenschaft oder eines Charakters" (22) sind.
    "Es ist offenbar, daß, wenn wir eine Handlung loben, wir bloß auf die Beweggründe sehen, die sie hervorgebracht haben, und daß wir die Handlungen als Zeichen oder Indikationen gewisser Prinzipien im Gemüt oder im Charakter betrachten. Das Äußere an der Handlung hat kein Verdienst. Die moralische Beschaffenheit müssen wir im Inwendigen finden. Dieses geht aber direkt nicht an, und wir richten daher unsere Aufmerksamkeit auf die Handlungen als auf äußere Zeichen." (23)
Gut sind also für HUME Charaktereigenschaften, die Lustgefühle im Betrachter auslösen. Von solchen tugendhaften Charaktereigenschaften gibt es nach HUME vier Klassen. Charaktereigenschaften lösen im Betrachter Lustgefühle aus, weil sie unmittelbar angenehm oder nützlich sind. Sie können unmittelbar sowohl angenehm wie nützlich entweder dem beurteilten Individuum oder anderen sein. Es gibt demnach einmal Tugenden, die anderen nützlich sind und dann Tugenden, die dem sie besitzenden Individuum selbst nützlich sind. Es gibt weiter Tugenden, die dem sie besitzenden Individuum selbst unmittelbar angenehm und solche, die anderen unmittelbar angenehm sind.

Es ist nun unsere Aufgabe, die einzelnen Klassen von Tugenden daraufhin anzusehen, welche Rolle bei ihrer Wertschätzung die Sympathie spielt.

Fassen wir zunächst die Anderen nützlichen Tugenden
näher ins Auge, so ist hier eine Unterscheidung zwischen natürlichen und künstlichen Tugenden zu machen. Künstliche Tugenden sind solche,
    "die Vergnügungen und Beifall mittels der Kunst oder der Erfindung erwecken, welche durch die Umstände und Bedürfnisses des Menschengeschlechts veranlaßt werden." (24)
Hierhin gehört vornehmlich "die Gerechtigkeit, dahin gehört aber auch der bürgerliche Gehorsam, die Bescheidenheit und die gute Lebensart." (25) Wir befassen uns hier nur mit der Gerechtigkeit. Sie setzt die soziale Vereinigung unter den Menschen voraus und die "Erkenntnis, daß die menschliche Gesellschaft oder selbst die menschliche Natur ohne sie nicht bestehen kann." Die Wertschätzung der Gerechtigkeit gründet sich also auf eine Reflexion. Wo die Wertschätzung von Charaktereigenschaften ohne Reflexion unmittelbar erfolgt, spricht HUME von natürlichen Tugenden.

Das Gerechtigkeitsgefühl setzt ihm also eine Reflexion voraus.
    "Das Dilemma ist augenscheinlich: Da die Gerechtigkeit offenbar auf die Beförderung des öffentlichen Wohls und die Erhaltung der bürgerlichen Gesellschaft gerichtet ist, so stammt das Gerechtigkeitsgefühl entweder aus unserer Reflexion über jene Tendenz, oder es entsteht, wie Hunger, Durst und andere Triebe, wie Rachegefühl, Liebe zum Leben, Neigung zur Nachkommenschaft und andere Leidenschaften, aus einem einfachen, ursprünglichen Instinkt der menschlichen Brust, den die Natur zu gleich heilsamen Zwecken eingepflanzt hat. Wenn das Letztere der Fall ist, so folgt, daß Eigentum, das der Gegenstand der Gerechtigkeit ist, durch einen einfachen, ursprünglichen Instinkt unterschieden und nicht durch irgendwelche Argumentationen bestimmt würde. Aber wer hat je von einem solchen Instinkt gehört? Oder ist dies ein Gegenstand, in dem noch neue Entdeckungen gemacht werden? Wir könnten ebensogut erwarten, neue Sinne im Körper zu entdecken, die allen Menschen zuvor entgangen sind."
Wenn aber nun auch das Gerechtigkeitsgefühl jene Reflexion voraussetzt, wie kommt dann, wenn jene Erkenntnis vorhanden ist, das Gerechtigkeitsgefühl zustande? Durch Sympathie. Es handelt sich doch um die Erkenntnis, daß die menschliche Gesellschaft ohne Gerechtigkeit nicht bestehen kann. Daß Letztere die conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] des Wohls der Menschheit ist. Nun sympathisieren wir aber mit dem Wohl der Menschheit, welches wir durch die Gerechtigkeit gefördert denken; in diesem Sympathiegefühl besteht das Gerechtigkeitsgefühl. Greifen wir die signifikante Stelle über Gerechtigkeit und ähnlich wertgeschätzte Tugenden aus den Entwicklungen HUMEs heraus:
    "Diese Tugenden sind bloße Erfindungen für das Wohl der menschlichen Gesellschaft. Und da unter allen Völkern und zu allen Zeiten eine sehr starke sittliche Empfindung mit denselben verknüpft gewesen ist, so müssen wir einräumen, daß das Nachdenken über die Anlage der Charaktere und die Gemütseigenschaften hinreichend sein muß, in uns die Empfindungen des Lobes und Tadels hervorzubringen. Da nun die Mittel zu einem Zweck bloß alsdann angenehm sein können, wenn der Zweck angenehm ist, und da das Wohl der Gesellschaft, wobei unser eigenes oder das Wohl unserer Freunde nicht interessiert ist, bloß durch Sympathie gefällt, so folgt, daß die Sympathie die Quelle der Achtung ist, welche wir allen künstlichen Tugenden erweisen." (26)
Wie bei der Gerechtigkeit und verwandten Tugenden, so muß auch bei den natürlichen Tugenden, die Anderen nützlich sind, die Wertschätzung durch Sympathie zustande kommen. Solche Tugenden sind die Sanftmut, die Wohltätigkeit, das Mitleiden, der Edelmut, die Güte, die Mäßigung, die Billigkeit. (27) Sie werden auch gesellige Tugenden genannt. Wir nehmen nun
    "durch keine Eigenschaft einen so starken Anteil am Wohl der Gesellschaft, als mittels der Sympathie und folglich ist sie es auch, die uns so weit äußerhalb von uns selbst verfolgt, daß wir an den Charakteren, die auf anderer Menschen Wohl und Weh einfließen, eine ebenso große Lust oder Unlust empfinden, als ob sie unmittelbar auf das unsrige in Beziehung stände." (28)
Ja, hier muß das Sympathieprinzip noch weit stärker wirken, als beim Zustandekommen des Gerechtigkeitsgefühls, wie es HUME sich denkt. Denn jede einzelne Handlung, die aus jenen Eigenschaften hervorgeht, dient dem Wohl der Gesellschaft, während bei gerechtem Handeln durchaus nicht jede einzelne Handlung dem allgemeinwohl dient.
    "Wenn ich Personen in ihrem Trübsal helfe, so ist meine natürliche Menschenliebe der Beweggrund dazu, und soweit sich mein Beistand erstreckt, soweit habe ich die Glückseligkeit meiner Nebengeschöpfe gefördert. Allein wenn man all die Fälle untersuchen sollte, die vor einen Gerichtsstuhl kommen, so würde man finden, daß es, jeden Fall für sich betrachtet, oft der Menschlichkeit weit angemessener sein würde, gegen die Gesetze der Gerechtigkeit als nach ihnen zu entscheiden." (29)
Dazu kommt noch, daß das Wohl der Menschheit, welches durch jene geselligen Tugenden gefördert wird, uns in jedem einzelnen Fall in concreto entgegentritt, während es sich bei der Gerechtigkeit häufig um die bloße allgemeine Vorstellung des Wohls der Gesellschaft handelt.
    "Es ist gewiß, daß die Einbildungskraft weit stärker durch das, was einzeln ist, als durch das, was allgemein ist, affiziert wird; nur daß die Empfindungen allemal weit schwerer erregt werden, wenn ihre Objekte in einem gewissen Grad schwankend und unbestimmt sind." (30)
Man sieht also, daß hier zwei Faktoren vorliegen, welche das Sympathieprinzipg bei den "geselligen" Tugenden stärker wirken lassen, als bei den künstlichen.

Wir wollen nicht zu erwähnen unterlassen, daß HUME energisch und mit Geschick gegen die Deutung der aus diesen Tugenden hervorgehenden Handlungen als egoistischer polemisiert und die Uninteressiertheit eines solchen Wollens und Handelns behauptet.
    "Zärtlichkeit gegen die Nachkommenschaft ist bei allen empfindenden Wesen gewöhnlich allein fähig, das stärkste Motiv der Selbstliebe zu überwältigen und ist von dieser in keiner Weise abhängig. Welches Interesse kann eine liebende Mutter im Auge haben, welche ihre Gesundheit verliert bei der anhaltenden Pflege ihres kranken Kindes und dann dahinschmachtet und vor Kummer stirbt, wenn sie durch seinen Tod von der Mühsal jener Wartung erlöst ist?"

    "Ist Dankbarkeit kein Affekt der menschlichen Brust? Oder ist es ein bloßes Wort, ohne Sinn und wirkliche Bedeutung? Haben wir kein Gefallen und Vergnügen am Umgang eines Menschen mehr als des anderen, und keinen Wunsch nach dem Glück unseres Freundes, selbst wenn Abwesenheit oder Tod uns an aller Teilnahme daran verhindern sollte? Oder was ist es gewöhnlich überhaupt, das uns an seinem Glück teilnehmen läßt, selbst wenn wir leben und gegenwärtig sind, als unsere Achtung und Liebe zu ihm?"
Wie steht es nun weiter mit den Tugenden, die dem Besitzer selbst nützlich sind? Wie ist ihre Schätzung bedingt? Es gehören hierher nach HUME folgende Tugenden: Besonnenheit, Fleiß, Sparsamkeit, Willenskraft oder Seelenstärke; Klugheit, Scharfsinn, Unterscheidungskraft, schnelles Auffassungsvermögen. Man sieht, daß auch die intellektuellen Vorzüge von HUME zu den Tugenden gerechnet werden. Er sagt über sie, indem er sie mit den übrigen Vorzügen vergleicht:
    "Es ist in allen Systemen der Sittenlehre keine Unterscheidung gewöhnlicher, als die zwischen natürlichen Fähigkeiten und moralischen Tugenden, allwo die ersteren ebenso wie die körperlichen Gaben angesehen werden, als von denen man annimmt, daß kein Verdienst oder moralischer Wert mit ihnen verknüpft ist. Wer die Sache genau erwägt, wird finden, daß ein Streit hierüber ein bloßer Wortstreit sein würde, und daß diese Eigenschaften, obgleich sie nicht gänzlich einerlei Art sind, dennoch in den wesentlichsten Stücken zusammenfallen. Sie sind beide Eigenschaften der Seele, und bringen beide Vergnügungen hervorf; und haben also auch beide eine Kraft, die Liebe und Achtung der Menschen zu erwerben." (31)
Wie kann aber eine emotionale Wertung der dem Besitzer selbst nützlichen Eigenschaften von Seiten des Betrachters stattfinden? Durch Sympathie und nur durch Sympathie. Wenn für die Deutung der emotionalen Wertung von Charaktereigenschaften, die anderen nützlich sind, egostische Interessen mit einem Schein von Recht in Anspruch genommen werden können, so vermag das egoistische Moralsystem von der emotionalen Wertung der dem Besitzer selbst nützlichen Eigenschaften auch für den ersten Blick keine Rechenschaft zu geben.
    "Man muß hier notwendig gestehen, daß Glück und Elend Anderer für uns nicht gänzlich gleichgültige Schauspiele sind, sondern daß uns der Anblick des ersteren, ob nun in seinen Ursachen oder seinen Wirkungen betrachtet, gleich Sonnenschein oder der Aussicht auf wohlbebaute Felder (um unsere Ansprüche nicht höher zu stellen) eine geheime Freude und Befriedigung gewährt; und die Erscheinung des letzteren, gleich einer dunklen Wolke oder öden Landschaft, den Schleier der Schwermut über unsere Seele senkt. Wenn man nun dieses Zugeständnis einmal gemacht hat, so ist auch die Schwierigkeit vorüber; und eine natürliche, ungezwungene Erklärung der Phänomene des menschlichen Lebens wird fortan, hoffen wir, unter allen spekulativen Forschern vorwalten."
Wir hätten uns weiter zu befassen mit den Tugenden, die uns selbst unmittelbar angenehm sind. Dahin gehört Frohsinn, Seelengröße oder Würde des Charakters, Mut, Selbstvertrauen, philosophische Ruhe, Wohlwollen und Empfänglichkeit für alles Schöne und Große. Man hat gesagt, HUME kenne nur eine Sympathie mit dem Effekt von Handlungen, so daß also Charaktereigenschaften eine Billigung oder Mißbilligung nur finden, sofern mit ihrer Vorstellung die Idee des Effekts gegeben ist oder sich mit ihr verbindet und die Sympathie mit dem von der Handlung Betroffenen die Billigung oder Mißbilligung der Charaktereigenschaften bedingen. Die Unrichtigkeit dieser Auffassung wird uns hier klar vor Augen treten.

Nehmen wir den Fall der emotionalen Würdigung der Selbstschätzung oder des Stolzes. Sie hängt nach HUME von zwei Faktoren ab: einmal von ihrer Nützlichkeit und sodann von ihrer Annehmlichkeit für uns,
    "wodurch sie uns zu Geschäften fähig macht und uns zu gleicher Zeit ein unmittelbares Vergnügen bewährt. Sobald der Stolz seine gehörigen Grenzen überschreitet, so verliert er den ersten Vorteil und wird sogar nachteilig; und dies ist der Grund, weshalb wir einen ausschweifenden Stolz und Ehrgeiz verdammen, wenn er gleich durch den Wohlstand einer guten Erziehung und durch feine Sitten in Ordnung gehalten wird. Allein da eine solche Leidenschaft immer noch angenehm ist und der Person, welche davon bewegt wird, eine erhöhte und erhabene Empfindung gibt, so benimmt die Sympathie mit dem Vergnügen dem Tadel sehr viel, der natürlicherweise mit dem gefährlichen Einfluß auf unseren Charakter und unsere Handlungsweise verbunden ist." (32)
So mag Heldenmut und militärischer Ruhm um der Verwirrungen willen, die dadurch in der Welt gesetzt sind, von einem Individuum eher mißbilligt als gebilligt werden; dabei reflektiert das Individuum eben auf den Effekt solcher Charaktereigenschaften. Sobald aber diese Betrachtungsweise verlassen wird, sobald es aber auf die Person selbst sieht, so findet es notwendigerweise
    "etwas Blendendes in seinem Charakter, die bloße Anschauung erhebt die Seele so, daß wir ihm unserer Bewunderung unmöglich versagen können." (33)
Diese Sympathie mit der Person des Helden wird im Gegensatz zur Sympathie mit dem Effekt (die einer erzeugt hier Lust, die andere Unlust) gelegentlich unmittelbare Sympathie genannt wird.

Hier geht Hume also deutlich über die Inanspruchnahme einer Sympathie mit dem Effekt einer Charaktereigenschaft hinaus. Wir sympathisieren ja bei der Würdigung der Selbstachtung nicht nur mit dem Effekt, der "Nützlichkeit" derselben, sondern auch mit der Annehmlichkeit derselben für den Besitzer dieser Eigenschaft, mit der erhöhten und erhabenen Empfindung derselben. Diese hat durch Sympathie etwas Bleibendes für uns. -

Tugenden sind nach HUME nützlich oder angenehm; beides sind sie entweder für die Person selbst oder für die Anderen. Es bleiben also noch diejenigen Tugenden zu besprechen, die Andern unmittelbar angenehm sind. Dahin gehören nach HUME: gute Sitten, Artigkeit, Höflichkkeit, Witz, Geist, Beredtsamkeit, Bescheidenheit, Ordnung, Reinlichkeit. Wir fragen uns auch hier wieder: Wie kommt die emotionale Würdigung dieser Charaktereigenschaften zustande? Nehmen wir die Tugend der Wohlanständigkeit. Wie entsteht da die emotionale Würdigung?
    "Es ist etwas Gewöhnliches zu sehen, daß Menschen, sowie sie in die Jahre kommen, ihren Leichtsinn verlieren. Daher ist in unseren Gedanken mit gewissen Jahren auch ein gewisser Grad an Ernsthaftigkeit verknüpft. Sobald wir sie im Charakter einer Person nicht beisammen finden, so tut dies unserer Einbildungskraft eine gewisse Gewalt an und ist uns unangenehm." (34)
Hier entsteht also das moralische Lustgefühl ohne Sympathie: der Einbildungskraft wird eine gewisse Gewalt angetan, wenn wir nicht bei einem gewissen Alter der Person zugleich einen Ernst des Charakters finden; eben dies aber erzeugt ein unangenehmes Gefühl. Die Mißbilligung des Unanständigen kommt also ohne Sympathie zustande!

Ähnlich verhält es sich bei den übrigen Tugenden dieser Klasse. Deshalb kann HUME auch im Schlußwort seiner Abhandlung sagen:
    "Wir können bemerken, daß sich alle zu ihr (d. h. der Sympathie) erforderlichen Umstände in den meisten Tugenden finden; denn der größte Teil derselben (!) zielt auf das Wohl der bürgerlichen Gesellschaft oder auf das Wohl der Person, welche sie besitzt." (35)
Ebendort bezeichnet er auch die Sympathie als die hauptsächlichste (!) Quelle des moralischen Unterschieds. (36) In den Darstellungen der Anschauungen von HUME ist auch dieser Tatbestand bisher nicht beachtet worden. -

HUME macht sich nun selbst einen Einwand gegen die Bedeutung der Sympathie zur Erklärung des sittlichen Tatbestandes. Er sagt:
    "Wir sympathisieren mehr mit Personen, die uns nahe sind, als mit solchen, die von uns sehr weit entfernt leben; mehr mit unseren Bekannten, als mit Fremden; mehr mit unseren Landsleuten, als mit Ausländern. Aber ungeachtet dieser Veränderung unserer Sympathie erteilen wir doch denselben moralischen Eigenschaften in China eben denselben Beifall wie in England. Ihre Tugend ist allenthalben gleich, und sie empfehlen sich an jedem Ort der Achtung des verständigen Zuschauers. Die Sympathie ändert sich, ohne daß deshalb unsere Achtung eine Veränderung erleidet. Unsere Achtung kann also nicht von der Sympathie kommen." (37)
Unsere Sympathiegefühle zeigen sich also von wechselnden, äußeren Faktoren abhängig, von denen unsere sittliche Billigung unabhängig ist. Also muß es hier noch ein anderes Prinzip geben, das die sittliche Wertschätzung bestimmt.

Diesen ihm durch Ausführungen von HUTCHESON naheliegenden Einwand sucht HUME selbst zu widerlegen; es wird sich aber zeigen, daß es ihm nicht gelingt. HUME führt hier Folgendes aus:
    "Unser Verhältnis, beides sowohl gegen die Personen als Sachen, ist einem kontinuierlichen Wechsel unterworfen, und ein Mensch, der jetzt in einer sehr weiten Entfernung von mir ist, kann in einer kurzen Zeit mein vertrauter Freund werden. Überdem hat ein jeder besonderer Mensch auch ein besonderes Verhältnis gegen andere; und es ist unmöglich, daß wir jemals auf eine vernünftige Art miteinander sollten umgehen können, wenn jedermann die Charaktere und Personen sich nur so vorstellen dürfte, als sie ihm von seinem besonderen Gesichtspunkt aus erscheinen. Um also diesen kontinuierlichen Widersprüchen zuvorzukommen und zu einer festeren Beurteilung der Dinge zu gelangen, setzen wir einige beständige und allgemeine Gesichtspunkte fest und versetzen uns in unseren Gedanken allemal in sie hinein, in welcher Lage wir für jetzt auch immer sein mögen." (38)

    "Wir gebrauchen die Ausdrücke unseres Beifalls oder unseres Nichtbeifalls ebenso als ob wir die Sache immer aus einem Gesichtspunkt betrachten würden. Die Erfahrung lehrt uns da bald diese Art und Weise, unsere Empfindungen oder zumindest unsere Sprache zu verbessern, wo die Empfindungen mehr einerlei und unveränderlich sind." (39)
Wir erfahren also, daß unsere Sympathiegefühle von wechselnden zufälligen Umständen abhängig sind und daß wir auf die jedesmaligen Sympathiegefühle unsere sittliche Billigung oder Mißbilligung nicht gründen können, wenn wir nicht mit uns selbst (zu anderer Zeit und unter anderen äußeren Umständen) und mit anderen eine sittliche Billigung oder Mißbilligung vollziehenden Individuen (die unter anderen äußeren Umständen stehen) in Widerspruch kommen wollen. Das drängt uns einen allgemeinen Gesichtspunkt der Beurteilung auf. Dieser allgemeine Gesichtspunkt der Beurteilung wird zunächst dahin bestimmt, daß wir bei unserer Beurteilung davon abstrahieren, ob die zu beurteilenden Personen "Bekannte oder Unbekannte, Landsleute oder Ausländer sind, ja wir übersehen bei dergleichen allgemeinen Urteilen sogar unser eigenes Interesse." (40)

Man wird HUME einwenden, daß hiermit nichts anderes gegeben ist, als eine Änderung unseres auf das Sympathiegefühl gegründeten Urteils über Handlungen von Personen infolge einer Erfahrung der Abhängigkeit unserer emotionalen Stellungnahme von äußeren wechselnden Umständen, daß damit aber noch keine andere emotionale Stellungnahme gegeben ist, während doch tatsächlich moralische Individuen in ihrem Handeln nicht von Sympathiegefühlen eindeutig bestimmt, sondern imstande sind, allgemeinen Gesichtspunkten entsprechend zu handeln. Ein solches Handeln setzt aber eine andere emotionale Stellungnahme voraus. Doch auch auf einen solchen Einwand hat HUME eine Antwort. HUME erkennt auch eine Änderung der emotionalen Stellungnahme an. Den Modus allgemeiner Beurteilung charakterisiert er nämlich, nachdem er ihn zunächst, wie wir hören, negativ bestimmt hatte, weiter positiv darin, daß wir uns auf den Standpunkt derjenigen Personen versetzen, die mit der zu beurteilenden Person in unmittelbarer Beziehung stehen, also der Personen, die von den Handlungen der zu beurteilenden Person betroffen werden. Indem wir das tun, abstrahieren wir von zufälligen äußeren Umständen, in denen wir uns befinden. Indem wir uns aber auf den Standpunkt jener Personen stellen, sympathisieren wir mit ihrem Leiden und ihrer Freude, welche durch die Handlungen der zu beurteilenden Personen erzeugt werden.

Wir empfinden also "Sympathie mit denen, die mit der Person in Verbindung stehen, die wir betrachten." (41) Die Änderung unserer intellektuellen Stellungnahme kommt also unter Bedingungen zustande, durch welche zugleich eine Änderung der emotionalen Stellungnahme bedingt ist und zwar zeigt sich hierbei wieder das Sympathieprinzip wirksam. HUME ist allerdings ehrlich genug, zu gestehen:
    "freilich wird dadurch die Vorstellung bei weitem nicht so lebhaft, als wenn unser eigenes Wohl oder das Wohl oder das Weh unserer Freunde dabei interessiert ist." (42)
Wenn dieses Billigungs- oder Mißbilligungsurteil sich aber mit einem so schwachen Gefühl verbindet, wie ist es dann verständlich, daß ein moralisches Individuum einem solchen Billligungs- oder Mißbilligungsurteile entsprechend handeln kann auch im Gegensatz zum eigenen Wohl? Von diesem Tatbestand vermag HUMEs Sympathieprinzip allein, so berechtigt seine Betonung auch sein mag, wie man sieht, keine Rechenschaft zu geben.

Anderweitige Kritik HUMEs interessiert uns hier wenig. Wir bemerken hier nur kurz Folgendes: HUME ist dem Gerechtigkeitsgefühl nicht gerecht geworden, doch in dieser Beziehung lassen wir sogleich ADAM SMITH an HUME Kritik üben.

Seine Auffassung der intellektuellen Fähigkeiten als Tugenden scheitert an der Tatsache, daß die ethischen Wertschätzungen imperativischen Charakter haben; es hat aber keinen Sinn, intellektuelle Fähigkeiten vom Individuum zu fordern, höchstens den Willen zur Förderung seiner intellektuellen Leistungen und Fähigkeiten.

Auf seine Methode des Erschließens der Abhängigkeit der sittlichen Wertschätzungen vom Sympathieprinzip gehen wir später bei unserer systematischen Entwicklung noch kritisierend ein.

Daß HUME vom imperativischen Charakter der sittlichen Wertschätzungen keine Rechenschaft gegeben hat, wurde bereits von vielen Autoren hervorgehoben.


4. Kapitel
Die Leistungsfähigkeit des Sympathieprinzips
für die Erklärung des sittlichen
Tatbestandes nach Adam Smith

ADAM SMITH hat das Sympathieprinzip in reichhaltigerer Weise für die Erklärung des ethischen Tatbestandes verwendet als das von HUME geschehen war, und er such das für den einseitigen Sympathie-Ethiker vorhandene Problem der Unabhängigkeit der Billigungsgefühle von wechselnden äußeren Umständen in anderer Weise zu lösen. Während HUME, wenn er von de Wertschätzung von Charaktereigenschaften spricht, dieselbe vorwiegend durch Sympathie mit dem von einer bezüglichen Handlung Betroffenen bestimmt sein läßt, ist für SMITH das Wichtigste bei der Sympathie die unmittelbare Sympathie mit den Motiven des Handelnden. Der Zuschauer einer moralischen Handlung empfindet unmittelbar Sympathie mit den Motiven des Handelnden, er hat dann das Gefühl des Schicklichen. Dagegen entsteht das Gefühl des Unschicklichen im Zuschauer "aus Mangel an Sympathie mit den Triebfäden des Handelnden" - oder vielmehr aus unmittelbarer Antipathie. Diese Sympathie läßt sich als subjektive Sympathie bezeichnen. SMITH kennt auch eine objektive Sympathie, eine Sympathie mit dem von der Handlung Betroffenen, aber er hebt doch noch einen weiteren Tatbestand bei der objektiven Sympathie hervor als HUME. Wird jemand von einer unmoralischen Handlung betroffen, die ihm Leiden bereitet, so kann ich einmal sympathisieren mit dem Leiden des von der Handlung Betroffenen. Das ist aber nicht der einzige emotionale Zustand, der in einem so Betroffenen wachgerufen wird. Er leidet nicht nur unter den Folgen der Handlung, er reagiert auch auf diese Leidzufügung mit einem Ahndungstrieb. So bei der unmoralischen Handlung. Ist jemand der Gegenstand einer moralischen Handlung, so wird durch dieselbe in ihm Freude erzeugt. Das ist aber nicht das Einzige oder braucht es zumindest nicht zu sein - er kann auch auf die Handlung dem Handelnden gegenüber reagieren mit einem Dankbarkeitsgefühl. Mit diesem Ahndungstrieb im einen Fall und dem Dankbarkeitsgefühl im anderen Fall können wir sympathisieren. In Wirklichkeit sympathisieren wir mit dem Ahndungstrieb des von einer Handlung Betroffenen nach SMITH nur dann, wenn wir uns dessen bewußt sein, daß wir die Motive des Handelnden mißbilligen müssen und wir sympathisieren mit dem Dankbarkeitsgefühl des von einer Handlung Betroffenen nur dann, wenn wir uns dessen bewußt sind, daß wir die Motive des Handelnden billigen können. Bedingung für diese objektive Sympathie ist also das Vorhandensein von subjektiver Sympathie. Diese objektive Sympathie erscheint so als eine mittelbare gegenüber der subjektiven Sympathie, die als unmittelbare bezeichnet wird.

Dieser sympathische Ahndungstrieb und das sympathische Dankbarkeitsgefühl sind nun aber nach SMITH von außerordentlicher Bedeutung für das Zustandekommen des sittlichen Tatbestandes.

Sie bilden zunächst die Grundlage des Gerechtigkeitsgefühls [dehnow]. Bei HUME war das Gerechtigkeitsgefühl abhängig von dem Gedanken, daß ein so oder so beschaffenes Handeln conditio sine qua non des Wohl der Menschheit ist. Auf diesen Gedanken sind zwei emotionale Erscheinungen, wie wir sahen, gegründet: einmal das egoistische oder besser eudämonistisch3 Interesse am Bestand der Gesellschaft und sodann, was besonders starkt betont wird, das Sympathiegefühl mit dem Bestand der Gesellschaft. ADAM SMITH weist in schlagender Weise nach, daß das Gerechtigkeitsgefühl häufig auch noch einen anderen Ursprung hat und daß es dann in einem anderen emotionalen Faktor besteht. Dieser Beweis von SMITH hat, wie gesagt, bleibende Bedeutung. Er führt denselben in folgender Weise:

Das erste Argument von SMITH ist dieses:
    "Alle Menschen, auch die dümmsten und gedankenlosesten, verabscheuen Betrug, Treulosigkeit und Ungerechtigkeit und freuen sich, sie bestraft zu sehen. Nur wenige aber haben über die Notwendigkeit der Gerechtigkeit zum Dasein der Gesellschaft nachgedacht, so auffallend diese Notwendigkeit auch zu sein scheinen möchte."
SMITH macht also mit anderen Worten geltend, daß häufig das Gerechtigkeitsgefühl vorhanden ist, wo der Gedanke an das Wohl der Menschheit nachweislich nicht vorhanden ist. Also kann der Gedanke an das Wohl der Menschen unmöglich die conditio sine qua non des Auftretens des Gerechtigkeitsgefühls sein.

SMITH beweist seine These zweitens durch folgende Auseiandersetzung:
    "Der Verlust oder die Zerstörung eines einzelnen Menschen rührt uns ebensowenig darum, weil dieser Mensch ein Mitglied der Gesellschaft ist, oder weil die Zerstörung der Gesellschaft uns rühren würde, als der Verlust einer einzelnen Guinee uns darum rührt, weil diese eine ein Teil von tausend Guineen ist, und weil der Verlust der ganzen Summe uns rühren würde. In beiderlei Fällen entspringt unsere Rücksicht auf die Individuen aus einer Rücksicht auf die Menge; aber in beiderlei Fall erwächst unsere Rücksicht auf die Menge aus besonderen Rücksichten, die wir auf die verschiedenen Individuen, aus denen sie besteht, nehmen. So wie wir, wenn uns ungerechterweise eine Summe genommen wird, den Räuber nicht so sehr aus einiger Rücksicht auf die Erhaltung unseres ganzen Vermögens, als aus Rücksicht auf die besondere Summe, die wir verloren haben, verfolgen; so verfolgen wir denjenigen, der einen anderen beleidigt oder vernichtet hat, nicht so sehr aus Besorgnis für das allgemeine Interesse der Gesellschaft, als aus Mitgefühl mit dem beleidigten Individuum." (43)
Dieses Argument will also sagen: in manchen Fällen erkennen wir deutlich positiv die Abhängigkeit des Gerechtigkeitsgefühls vom Interesse für den einzelnen Fall (wir konstatieren mit Bestimmtheit "Mitgefühl mit dem beleidigten Individuum"), und wir erkennen deutlich negativ, daß das Gerechtigkeitsgefühl nicht von Interesse am Wohl der Gesellschaft (der "Besorgnis für das Wohl der Gesellschaft") abhängt. SMITH bringt noch ein drittes Argument bei:
    "Bei einigen Gelegenheiten strafen und billigen wir die ... Strafe lediglich aus Rücksicht auf das allgemeine Interesse der Gesellschaft, welches unserer Meinung nach auf keine andere Weise gesichert werden kann. Von dieser Art sind alle Züchtigungen, die auf den Bruch der Kriegszucht oder der bürgerlichen Polizeiordnung gesetzt sind. Dergleichen Verbrechen beschädigen keinen einzelnen Menschen geradezu; aber ihre entfernten Folgen können der Gesellschaft schädlich werden. Eine Schildwache z. B., die auf ihrem Posten einschläft, ist nach den Kriegsgesetzen des Todes schuldig, weil ihre Fahrlässigkeit den Untergang des ganzen Heeres verursachen kann. Insofern ist diese Strenge notwendig und eben ihrer Notwendigkeit wegen auch recht und billig. Wenn die Erhaltung eines Individuums mit der Sicherheit der Menge unverträglich ist, so kann nichts billiger sein, als daß die Menge dem Einzelnen vorgezogen wird. Dennoch muß diese notwendige Züchtigung Einem immer sehr streng dünken. Das Vergehen ist so gering und die Strafe so hart, daß unser Herz Mühe hat, sich mit ihr auszusöhnen. So tadelnswürdig auch eine ähnliche Fahrlässigkeit scheinen mag, so erweckt die Vorstellung derselben doch von Natur keinen so starken Unwillen, daß wir geneigt sein sollten, sie so schrecklich zu ahnden. Ein Mann von Menschengefühl muß sich erst sammeln, seine Grundsätze mustern und alle seine Festigkeit aufbieten, ehe er sich entschließen kann, den armen Unglücklichen zu strafen oder seine Bestrafung zu billigen. Nich in eben dem Licht betrachtet er die gerechte Züchtigung eines Ungeheuers von Undankbarkeit, eines Totschlägers oder Vatermörders. Mit Wärme und mit Ungestüm sogar genehmigt sein Herz die gerechte Wiedervergeltung, die so abscheulichen Verbrechen gebührt, und er würde in Wut geraten, wenn der Bösewicht durch einen Zufall seinem Lohn entrinnen würde." (44)
Das Wesentliche dieser Auseinandersetzung ist also folgendes: Die Tatsache der Differenz der emotionalen Stellungnahme bei Billigung der Bestrafung von Vergehen ist nur verständlich unter Annahme einer Differenz der Ursachen der Billigung und zwar speziell unter Annahme des Interesses am einzelnen Fall als Ursache der Billigung auf der einen Seite und unter Annahme des Interesses für das Wohl der Gesellschaft als Ursache der Billigung auf der anderen Seite.

Somit ist gegen HUME bewiesen, daß das Gerechtigkeitsgefühl häufig noch einen anderen Ursprung hat und in einem anderen emotionalen Faktor besteht. Dieser andere emotionale Faktor ist aber nach SMITH Sympathie mit dem Ahndungstrieb oder mit einem Dankbarkeitsgefühl.

Sympathischer Ahndungstrieb und sympathisches Dankbarkeitsgefühl geben also die wesentlichste emotionale Grundlage für die Gerechtigkeitsgefühle ab. Sympathischer Ahndungstrieb und sympathisches Dankbarkeitsgefühl sind aber weiter in Anspruch zu nehmen zur Erklärung der sittlichen Selbstbeurteilung, zur Erklärung des Phänomens des Gewissens.

Diese Beziehung macht verschiedene Entwicklungsstadien durch. Auf der unteren Stufe der Entwicklung stellt sich uns diese Beziehung des sympathische Ahndungstriebes und des sympathischen Dankbarkeitsgefühls zur sittlichen Selbstbeurteilung so dar, daß wir uns bei der Wertschätzung unserer Handlungsweisen leiten lasen von einem "Verlangen nach der Billigung und Achtung deren, unter denen wir leben." (45)

Man wird leicht fragen: was hat aber das Verlangen nach Billigung und Achtung von seiten unserer Mitmenschen mit dem sympathischen Ahndungstrieb und dem sympathischen Dankbarkeitsgefühl zu tun? Dies, daß ein solches Verlangen sich vor allem darauf gründet, daß wir mit dem Ahndungstrieb und dem Dankbarkeitsgefühl unserer Mitmenschen gegen uns sympathisieren. Der Mensch sympathisiert "mit Haß und Abscheu, den andere gegen ihn nähren müssen" und wird so der Gegenstand seines eigenen Hasses und Abscheus. Der Mensch sympathisiert aber auch mit der Achtung und Bewunderung, die andere ihm zollen, und wird so der Gegenstand seiner eigenen Achtung und Bewunderung. Ist das aber der Fall, so versteht man auch, wie er nach dieser Achtung der Anderen, die so für ihn etwas ist, Verlangen hat. Er erstrebt dann eben jenen Zustand, in dem er Gegenstand seiner eigenen Achtung ist. Indem er aber diesen Zustand erstrebt, indem er Gegenstand seiner eigenen Achtung ist, und indem er jenen Zustand verabscheut, in dem er Gegenstand seiner eigenen Verachtung ist, wird er zur Billigung, bzw. Mißbilligung gewisser Handlungsweisen geführt - so dürfen wir wohl SMITH interpretieren.

Auf einer weiteren Stufe der Entwicklung stellt sich die Beziehung des sympathischen Ahndungstriebes und des sympathischen Dankbarkeitsgefühls zur sittlichen Selbstbeurteilung folgendermaßen dar: Das Individuum erfährt, daß es die Beurteilung seiner Handlungen von Seiten unserer Mitmenschen häufig nicht billigen kann. Es findet Lob, wo es keins verdient und das mißbilligt das Individuum;
    "ein solches Lob muß uns vielmehr kränkender als Tadel sein, es muß unaufhörlich den demütigenden Gedanken in uns aufregen, was wir sein sollten, und was wir nicht sind." (46)
Andererseits findet der Mensch häufig, daß er getadelt wird, wo er Lob verdient, weil man seine Motive verkennt.
    "Um uns vor so parteiischen Urteilen zu schützen, lernen wir bald in unserem eigenen Herzen einen Richter zwischen uns und unseren Mitmenschen einzusetzen. Wir denken uns, als wenn wir in Gegenwart eines durchaus unparteiischen und billigen Menschen handeln, eines Menschen ohne einige besondere Beziehung weder auf uns noch auf die, deren Interesse durch unser Betragen affiziert wird, der weder ihnen noch uns Vater, Freund, Bruder, sondern lediglich ein Mensch im allgemeinen ist, ein unparteiischer Zuschauer, der unser Betragen mit eben der Gleichgültigkeit betrachtet, mit der wir anderer Leute Betragen betrachten." (47)
Diese Stimme des unparteiischen Zuschauers wird jeder Richterstuhl im eigenen Busen genannt im Gegensatz zu jenem niederen Richterstuhl der Menge. So sehr sich aber dieser zweite Standpunkt der Beurteilung über den ersten erhebt, so setzt er doch diesen voraus. Auf diesem höheren Standpunkt der Selbstbeurteilung wird gebilligt und mißbilligt, was diesem unparteiischen Zuschauer "der natürliche und schickliche Gegenstand der Billigung oder Mißbilligung scheint." (48)

Es ist leicht zu erkennen, wie dieser Standpunkt der Selbstbeurteilung von einem sympathischen Ahndungstrieb und dem sympathischen Dankbarkeitsgefühl abhängt. Wir denken uns hier an die Stelle eines unparteiischen Zuschauers und sympathisieren mit dem Ahndungstrieb und dem Dankbarkeitsgefühl dieses unparteiischen Zuschauers. Der Ahndungstrieb dieses unparteiischen Zuschauers, den wir als sympathisch empfinden, verleiht dieser Stimme den imperativischen Charakter, den wir bei der Gewissensstimme konstatieren müssen.

Eine derart weitgehende Bedeutung hat also der sympathische Ahndungstrieb und das sympathische Dankbarkeitsgefühl für die Ausbildung des ethischen Tatbestandes nach ADAM SMITH.

Ich will zuletzt darüber referieren, wie sich SMITH den Einfluß zufälliger äußerer Faktoren auf die Intensität des Sympathiegefühls, von dem wir ja HUME genauer handeln hörten, ohne daß er zu einem befriedigenden Resultat kam, paralysiert denkt. Diese Paralysierung findet nach ihm statt durch die "Stimme des unparteiischen Zuschauers". Durch differente räumliche und zeitliche Verhältnisse, in denen wir zum Objekt unserer Sympathie stehen, müßten, hatte sich HUME eingewendet, eine Differenz in den sittlichen Urteilen entstehen, wenn dieselben nur von der Sympathie abhängen, die nicht vorhanden ist. Die von HUME geltend gemachte Sympathie mit den von der Handlung unmittelbar Betroffenen erwies sich uns aber wenig kräftig, um die tatsächlich bei sittlichen Individuen vorhandenen sittlichen Willensimpulse zu erklären. SMITH sucht zu zeigen, daß hier ein neues Prinzip die Selbstliebe, welche die schwachen Willensimpulse, die bei einer Sympathie mit räumlich und zeitlich entfernten Objekten entstehen, überwindet, in der "Stimme des unparteiischen Zuschauers" gegeben ist.
    "Es ist nicht die sanfte Gewalt der Menschlichkeit, es ist nicht jener schwache Funke von Wohlwollen, den die Natur im menschlichen Herzen angefacht hat, der so dem heftigsten Drang der Eigenliebe entgegen zu arbeiten vermag. Es ist eine stärkere Gewalt, ein zwingender Beweggrund, der sich in solchen Fällen äußert. Es ist Vernunft, Grundsatz, Gewissen, der Einwohner der Brust, der Mensch drinnen, der große Richter und Entscheider all unseres Betragens. Er ist es, der, so oft wir durch unsere Handlungen die Wohlfahrt Anderer zu beeinträchtigen im Begriff sind, und mit einer Stimme, die auch die übermütigste aller Leidenschaften zu Boden zu werfen vermag, uns zuruft, daß wir nur einer der Menge sind, in keiner Hinsicht besser als jeder Andere, und daß wir, wenn wir schmählicher- und blöderweise diesen Anderen uns vorziehen, schreckliche Gegenstände des Unwillens, Abscheus und Verwünschens werden."

    "Er ist es, der uns die Schicklichkeit des Edelmuts und die Scheußlichkeit der Ungerechtigkeit enthüllt ... Es ist nicht die Liebe unseres Nächsten, es ist nicht die Liebe der Menschheit, die uns bei manchen Gelegenheiten zur Übung dieser göttlichen Tugenden antreibt. Es ist eine stärkere Liebe, ein gewaltigerer Affekt, der gewöhnlich in solchen Fällen vortritt, die Liebe des Ehrenvollen und Edlen, der Größe, Würde und Überlegenheit unseres Charakters." (49)
Kritisch haben wir hier zunächst mit den meisten Autoren, die SMITH behandelt haben, zu sagen, daß seine Lehre von der subjektiven Sympathie unhaltbar ist. Es soll eine unmittelbare Sympathie vorhanden sein mit den Motiven des Handelnden. Sind die Motive sittliche, so soll im Betrachter das Gefühl des Schicklichen entstehen. Man fragt: in welchem Betrachter? Doch nur in dem, der schon sittlich urteilt; hier ist also im Grunde als vorhanden vorausgesetzt, was erst abgeleitet werden sollte.

Die Unhaltbarkeit der Lehre von der subjektiven Sympathie hat aber weitgehende Folgen für die Moralphilosophie ADAM SMITHs, da wir ja sahen, wie nicht nur eine bestimmte Art des Gerechtigkeitsgefühls diese subjektive Sympathie voraussetzt, sondern wie auch die Entwicklungen über eine sittliche Selbstbeurteilung auf dieser subjektiven Sympathie fußen.

Daß aber trotzdem in den von SMITH entwickelten Anschauungen sehr viel Wertvolles steckt, wird ein jeder Leser zugeben, und das wird sich hoffentlich auch in der Entwicklung unserer Anschauung über die Entstehung der sittlichen Wertschätzungen zeigen. Sollen aber die moralphilosophischen Gedanken SMITHs gehörig verwertet werden, so kommt es vor allem darauf an, von der Sympathie mit den Motiven des Handelnden besser Rechenschaft zu geben. Einen gesunden Ansatz zur Erklärung dieser subjektiven Sympathie haben wir bei HUME gefunden. Daran werden wir anknüpfen.

Zuletzt noch ein Wort über die Paralysierung des Einflusses zufälliger äußerer Faktoren auf die Intensität der sympathischen Motive bei SMITH. Man kann zunächst zweifeln, ob die Stimme des unparteiischen Zuschauers eine solche Intensität besitzt, daß sie die Motive des sittlichen Menschen verständlich macht, da ihre Kraft in einem Sympathiegefühl besteht, welches wir mit den aktiven Gefühlen eines Individuums haben, das wir uns selbst erst künstlich konstruieren. Sodann läßt sich das Vorhandensein einer solchen Vorstellung schwerlich stets bei stärkeren moralischen Impulsen nachweisen.
LITERATUR - Gustav Störring, Moralphilosophische Streitfragen, Leipzig 1903
    Anmerkungen
    16) HUME, Abhandlung III, Seite 9
    17) HUME, Abhandlung III, Seite 27
    18) HUME, Abhandlung III, Seite 29
    19) HUME, Abhandlung III, Seite 32
    20) HUME, Abhandlung III, Seite 32
    21) HUME, Abhandlung III, Seite 32
    22) HUME, Abhandlung III, Seite 222
    23) HUME, Abhandlung III, Seite 39 und 40
    24) HUME, Abhandlung III, Seite 39
    25) HUME, Abhandlung III, Seite 226
    26) HUME, Abhandlung III, Seite 226
    27) HUME, Abhandlung III, Seite 228
    28) HUME, Abhandlung III, Seite 229
    29) HUME, Abhandlung III, Seite 230
    30) HUME, Abhandlung III, Seite 230 und 231
    31) HUME, Abhandlung III, Seite 277 und 278
    32) HUME, Abhandlung III, Seite 268
    33) HUME, Abhandlung III, Seite 268
    34) HUME, Abhandlung III, Seite 288
    35) HUME, Abhandlung III, Seite 297
    36) HUME, Abhandlung III, Seite 298
    37) HUME, Abhandlung III, Seite 232
    38) HUME, Abhandlung III, Seite 234
    39) HUME, Abhandlung III, Seite 234
    40) HUME, Abhandlung III, Seite 235
    41) HUME, Abhandlung III, Seite 237
    42) HUME, Abhandlung III, Seite 237
    43) ADAM SMITH, Theorie der sittlichen Gefühle, Seite 160
    44) ADAM SMITH, a. a. O., Seite 161 und 162
    45) Wie stark SMITH dieses Verlangen ist, geht aus folgender Äußerung hervor: "Dem Schmerz, der Armut, der Gefahr, dem Tod ist menschliche Tugend überlegen; es bedarf nicht einmal ihrer äußersten Anstrengung, um sie zu verachten. Aber seines Elends spotten hören, zur Schau umhergeführt werden, mit dem Finger des Hohns auf sich weisen lassen zu müssen, ist ein Leiden, dem auch die festeste Standhaftigkeit erliegt, und mit der Verachtung der Menschen verglichen, ist jedes andere Übel eine Kleinigkeit." (a. a. O., Seite 110) Übrigens streiten mit der letzteren Äußerung spätere Ausführungen von SMITH Seite 213f, nach denen er höhere Werte kennt, als die der Achtung der Menschen. Vielleicht hat ihn seine einseitige Betonung der Sympathie zu jener Schätzung der Achtung der Menschen verleitet.
    46) ADAM SMITH, a. a. O., Seite 200
    47) ADAM SMITH, a. a. O., Seite 214
    48) ADAM SMITH, a. a. O., Seite 215
    49) ADAM SMITH, a. a. O., Seite 219