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HERMANN LOTZE
Vom Denken
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"Alle substantivischen Inhalte führen auf den Stammbegriff des Etwas, alle adjektivischen auf den der Beschaffenheit, die verbalen auf den des Werdens, die andern auf den des Verhältnisses zurück. Alle diese Stammbegriffe haben freilich das gemeinsame Merkmal, denkbar zu sein; aber eine gemeinsame Gattung, unter der ihre wesentlichen Inhalte verschiedene Arten bildeten, gibt es weder über ihnen allen, noch vertritt einer von ihnen diese Stelle für die übrigen; es ist nicht möglich, das Etwas als eine Art des Werdens, oder das Werden als eine Art des Etwas zu fassen. So angesehen erhebt sich das Gesamtgebäude unserer Begriffe wie eine Gebirgskette, die mit einem breiten Fuß beginnt und mit mehreren scharf geteilten Gipfeln endet."

1. Kapitel
Die Lehre vom Begriff
[Fortsetzung]

B. Setzung, Unterscheidung und Vergleichung
der einfachen Vorstellungsinhalte

§ 9. Erkennen wir nun in diesen ersten Formungen der Vorstellungen einen Beitrag an, den zum Ganzen unserer Gedankenwelt eben die einwirkende Tätigkeit des Denkens liefert, so schließt sich hieran leicht die Ansicht, der logische Geist trete mit ihnen als fertigen Auffassungsweisen den kommenden Eindrücken gegenüber und daran knüpft sich die Frage, wie es ihm gelinge, jeglichen Inhalt in diejenige dieser verschiedenen Formen zu bringen, die ihm angemessen ist? Aber jene Ansicht ist unzulässig und deshalb diese Frage gegenstandslos oder sie führt wenigstens zu einer anderen als der erwarteten Antwort. Das Denken steht nicht mit einem Bündel logischer Formen in der Hand dem Gewimmel der anlangenden Eindrücke gegenüber, ratlos, welche dem einen, welche dem andern sich überstreifen lassen wird und deshalb eines besonderen Hilfsmittels bedürftig, um die für einander passenden Paarungen zu erraten. Die Verhältnisse vielmehr, die zwischen den bewußt gewordenen Eindrücken bestehen, sind es selbst, welche die Tätigkeit des Denkens als eine stets nur rückwirkende auf sich ziehen und nur darin besteht diese Tätigkeit, so vorgefundene Verhältnisse zwischen den Eindrücken, die wir leiden, in Beziehungen der Inhalte umzudeuten. Nicht dazu wird man daher eines besonderen Kunstgriffes bedürfen, um jedem Inhalt die ihm zugehörige Form zu geben; wohl aber liegt nach anderer Richtung hin in dieser Einordnung des mannigfachen Inhalts in logische Formen eine zweite notwendige Denkhandlung; kein  Name  für irgendeinen Inhalt kann geschaffen werden, ohne diesen als mit sich selbst gleich, als verschieden von anderen, endlich als vergleichbar mit anderen gedacht zu haben.

§ 10. Auch diese zweite Leistung des Denkens gehört zu denjenigen, welche für den Redenden die überlieferte Sprache schon beständig ausgeführt hat; auch sie wird deshalb leicht übersehen und der Denkarbeit des Geistes nicht zugerechnet. Aber die logische Wissenschaft, ausdrücklich dem Selbstverständlichen gewidmet, darf nicht einen Teil desselben als noch selbstverständlichere Voraussetzung behandeln, die aus den eigentlichen Gegenständen ihrer Betrachtung sich ausschließen ließe. Doch bedarf wenigstens der erste Bestandteil des dreigliedrigen Ausdrucks, welchen wir dieser neuen Denkhandlung eben gaben, einer ausführlichen Erläuterung nicht. Es ist zu unmittelbar deutlich, wie jeder Name, sei es süß oder warm, Luft oder Licht, zittern oder leuchten, den von ihm bezeichneten Inhalt in irgendeinem Sinn als zusammengehörige Einheit faßt, die für sich etwas bedeutet; nicht bloß den substantivisch geformten hebt, am eindringlichsten allerdings, der vorgesetzte Artikel zu dieser Einheit mit sich selbst heraus, dieselbe hinweisende Kraft liegt, in anderer Art des Ausdrucks, in der Form des verbalen Infinitiv, und selbst ohne jeden unterscheidenden sprachlichen Ausdruck begleitet dieser Nebengedanke der einheitlichen Setzung des Bezeichneten jegliche Wortform. Man kann zweifeln, ob der Vorgang, den wir unter diesem Namen der  Setzung  des Inhalts verstehen wollen, nicht schon in jener Vergegenständlichung enthalten ist, durch welche wir den erlittenen Eindruck zur Vorstellung werden ließen; und wirklich kann man weder vorstellen, ohne dem Vorgestellten diese Setzung zugeben, noch hat diese Setzung einen Sinn ohne jene Vergegenständlichung dessen, dem sie erteilt wird. In der Tat ist es daher eine sachlich untrennbare Leistung, die wir von verschiedenen Seiten her betrachten: dort brachten wir die Vorstellung, auf welche wir vorstellend uns beziehen, in Gegensatz zu dem Eindruck, welchen wir erleiden; hier, wo die Mannigfaltigkeit des Vorstellungsinhaltes unsere Aufmerksamkeit zu erregen beginnt, legen wir auf die einheitliche und selbständige Bedeutung Gewicht, mit welcher der so aus unserer Erregung herausgesetzte Inhalt ist was er ist und von allen anderen sich unterscheidet.

§ 11. Ich habe durch diese letzte Wendung sogleich fühlbar machen wollen, in wie enger Verbindung jene bejahende Setzung des Inhalts mit der verneinenden  Ausschließung  jedes anderen steht. Sie ist so eng, daß eben zur Beziehung des einfachen Sinnes der Setzung uns nur Ausdrücke zu Gebote standen, die ihre volle Klarheit erst durch die Hinzufügung dieses zweiten Nebengedankens erhalten. Denn was mit jener Einheit des gesetzten Inhalts eigentlich gemeint war, interpretieren wir einleuchtend nur dadurch, daß wir seine Verschiedenheit von anderen hervorheben und nicht nur sagen, er sei was er sei, sondern auch: er sei nicht, was andere sind. Bejahung und diese Verneinung sind nur ein untrennbarer Gedanke, und untrennbar verbunden begleiten sie jeden unserer Vorstellungsinhalte, auch dann, wenn wir nicht mit ausdrücklicher Aufmerksamkeit dieses stillschweigend verneinte Andere verfolgen. Aber dieser verschmolzene Nebengedanke bestimmt nur die logische Fassung, die wir unserem Inhalt geben; er erzeugt nicht den Inhalt selbst erst, dem wir sie erteilen. Man kann nicht sagen:  rot  werden als das was es ist, als rot, erst dann vorgestellt, wenn es von blau oder süße, und nur dadurch, daß es von beiden unterschieden wird; blau andererseits als  blau  nur durch den gleichen Gegensatz zu rot. Weder ein veranlassender Grund zum Versuch dieser bestimmten Unterscheidung, noch eine Möglichkeit ihres Gelingens wäre denkbar, wenn nicht das, was jedes der beiden entgegenzusetzenden Glieder für sich ist, vorher dem Bewußtsein klar wäre. Unzweifelhaft wird der eigentümlich bestimmte Eindruck, den wir unter der Einwirkung des roten Lichts erleben, völlig derselbe sein, bevor wir zum ersten Mal ein blaues Licht erfuhren, wie dann, nachdem wir diese Erfahrung gemacht haben; die Möglichkeit der Vergleichung und Unterscheidung, welche durch die letztere gegeben wird, kann wohl, wenigstens bei einem zusammengesetzterem Vorstellungsstoff, als diese einfachen Farben sind, die Aufmerksamkeit auf früher übersehene Teile der Eindrücke lenken und so den Inhalt beider vervollständigen; aber selbst in diesem Fall, der unserer gegenwärtigen Betrachtung völlig fremd ist, wird das Neue nicht durch die Unterscheidung, sondern durch die unmittelbare Empfindung gefunden werden, zu welcher die Vergleichung nur die Veranlassung gab. Überall ist es daher die bejahende Setzung, welche die verneinende Unterscheidung möglich macht; niemals dagegen entspringt aus der Unterscheidung der Inhalt des Unterschiedenen. Nur die Nebengedanken, die wir uns über den vorgestellten Inhalt machen, nur seine logische Fassung gewinnt an Bestimmtheit durch die Verneinung des Andern, die zu seiner eigenen Bejahung tritt, und selbst dieser Gewinn würde mir gering scheinen, wenn es bei ihm sein Bewenden hätte, und wenn nicht jene dritte Leistung positiver Vergleichung hinzukäme, welche ich im früher gegebenen Ausdruck dieser zweiten Denkhandlung zuletzt erwähnte.

§ 12. Ich leite die Betrachtung dieser dritten Leistung, die ich für den wesentlichsten Bestandteil der hierzu erörternden logischen Arbeit ansehe, durch Erinnerung an eine bekannte Tatsache ein, die man zu anderen Folgerungen zu benutzen pflegt. Durch die Worte der Sprache werden Eindrücke niemals so bezeichnet, wie man sie erleben kann; denn erleben oder wirklich empfinden läßt sich immer nur eine besondere Schattierung der Röte, eine einzelne Eigenart der Süßigkeit, ein bestimmter Grad der Wärme, nicht das allgemeine Rot, Süß und Warm der Sprache. Die Verallgemeinerung, welche in diesen und allen ähnlichen Ausdrücken der empfundene Inhalt erfahren hat, pflegt man als eine unvermeidliche Ungenauigkeit der Sprache, vielleicht selbst des Vorstellens anzusehen, das sich ihrer zu seinem Ausdruck bedient. Unfähig entweder oder nicht gewöhnt, für jeden einzelnen Eindruck einen bestimmten Namen zu schaffen, verwischt sie in ihren Worten die kleinen Unterschiede des einen vom andern und hält nur das fest, was in ihnen allen als ein Gemeinsames in der Empfindung unmittelbar erfahren wird. Durch diese Verminderung ihrer Ausdrucksmittel auf eine mäßige Anzahl macht sie freilich wohl die Mitteilung der Vorstellungen überhaupt erst möglich, schädigt aber ebensosehr die Genauigkeit des Mitzuteilenden. Ich glaube nun nicht, daß diese Auffassungsweise der Bedeutung der Tatsache volle Gerechtigkeit widerfahren läßt.

§ 13. Vor allem, indem man die erwähnte Verallgemeinerung als eine Art von Verfälschung der Eindrücke ansieht, geht man zu achtlos über den sehr merkwürdigen Umstand hinweg, daß sich in einer Mehrheit verschiedener Eindrücke eben etwas Gemeinsames vorfindet, das von ihren Unterschieden getrennt denkbar ist. Denn so selbstverständlich ist doch dieses Verhalten nicht, daß ein entgegengesetztes gar nicht in Frage käme; sehr wohl ließe sich vielmehr denken, daß jeder einzelne unserer Eindrücke sich von jedem zweiten so unvergleichbar unterscheidet, wie sich in der Tat süß von warm, gelb von weich unterscheidet. Daß es sich nicht so verhält, ist mithin eine tatsächliche Einrichtung der Welt des Vorstellbaren selbst, die in Betracht zu ziehen sich der Mühe lohnt. Ich kann ferner keineswegs einen reinen Verlust im Mangel an Genauigkeit sehen, der allerdings der Mitteilung des Vorgestellten durch die Anwendung der sprachlichen Allgemeinbezeichnungen anhängt. Ohnehin, wo der Wert völlig genauer Bestimmungen fühlbar wird, kann das, was diese einfachsten Schöpfungen des beginnenden Denkens zu wünschen übrig lassen, durch die Leistungen des weiter fortgeschrittenen immer ergänzt werden; die Wissenschaft hat uns längst jeden Grad der Wärme messen gelehrt und würde im Fall des Bedürfnisses auch jede Abstufung der Röte oder der Süßigkeit zu messen wissen. Die Art aber, wie die Sprache und das in ihr wirksame naturwüchsige Denken dieselbe Aufgabe löst, scheint mir logisch sehr bedeutsam. Denn wenn wir nicht jeden einzelnen wirklich empfundenen Farbeneindruck mit einem besonderen Namen belegen, sondern blau, rot, gelb und wenige andere durch eigene Benennungen bevorzugen, wenn wir dann die übrigen Einzelempfindungen als blaurötlich oder rotgelblich zwischen sie einschalten, so liegt in diesem Verfahren nicht bloß ein Notbehelf der Annäherung an unerreichbare Genauigkeit, sondern, wie mir scheint, der Ausdruck der Überzeugung, nur jene wenigen Farben seien in der Tat feste Punkte, denen einen eigener Name gebührt, jene anderen aber muß man durch annähernde Ausdrücke bestimmen, weil sie selbst nur Annäherungen zu diesen festen Punkten oder Zwischenglieder zwischen ihnen sind. Hätten wir wirklich für alle einzelnen Schattierungen des Blau besondere voneinander unabhängige Einzelnamen, und entspräche unser Vorstellen dieser Ausdrucksweise, so würden wir einseitig die Trennung jedes Inhalts von jedem andern vollzogen, dagegen die positiven Beziehungen völlig übersehen haben, die zwischen allen stattfinden. Sprechen wir dagegen von hellblau, dunkelblau, schwarzblau, so ordnen wir dieses Mannigfache in Reihen oder in ein Gewebe von Reihen, und in jeder von diesen geht ein drittes Glied aus dem zweiten durch Steigerung derselben fühlbaren Veränderung eines allen Gemeinsamen hervor, durch welche das zweite aus dem ersten entstand. Nun aber ist wohl schon hier vollkommen verständlich, daß ein Vorstellen, welches diese Vergleichung des Verschiedenen nicht enthielte, sondern sich auf die nackte Trennung jedes von jedem beschränkt, den späteren Leistungen des Denkens die hinlänglichen Beurteilungsgründe nicht darbieten würde, nach denen zwei Vorstellungen als irgendwie zusammengehörig zwei anderen als nicht zusammengehörigen entgegengesetzt werden könnten. Deshalb fassen wir diese zweite Denkhandlung, von welcher wir hier sprechen, nicht bloß als Setzung überhaupt eines  a  oder  B,  nicht bloß als Unterscheidung überhaupt jedes  a  von jedem  b,  sondern zugleich als Bestimmung der Weite und der Eigentümlichkeit des Unterschiedes, der nicht überall gleich groß und gleich geartet, sondern zwischen  b  und  c  ein anderer ist als zwischen  a  und  b.  Und hiermit meine ich nicht, daß jede einzelne Vorstellung  a  von der entwickelten Vorstellung aller ihrer Beziehungen zu der unendlichen Anzahl aller übrigen begleitet werden muß; nur der allgemeinen Nebengedanke, daß jede nach allen Seiten hin in ein solches Netz von Beziehungen eingegangen ist, umgibt allerdings in unserem logischen Bewußtsein jede; aufgesucht werden diese Beziehungen in jedem Einzelfall so weit, als ein bestimmtes Bedürfnis Veranlassung gibt.

§ 14. Diese Vergleichung nun des Verschiedenen setzt offenbar ein Gemeinsames voraus, das in den einzelnen Gliedern der Reihe mit eigentümlichen Unterschieden behaftet ist. So Gemeinsames pflegt die Logik nur in der Form eines allgemeinen Begriffs zu betrachten, und in dieser Gestalt ist es ein Erzeugnis einer größeren oder geringeren Anzahl von Denkhandlungen. Es ist daher von Wichtigkeit, hervorzuheben, daß dieses  erste Allgemeine,  welches wir hier bei der Vergleichung einfacher Vorstellungen antreffen, von wesentlich anderer Art ist, daß es der Ausdruck einer inneren Erfahrung ist, die vom Denken nur anerkennt wird, und daß es eben deswegen, wie sich später zeigen wird, eine unentbehrliche Voraussetzung jenes anderen Allgemeinen ist, dem wir in der Bildung des Begriffs begegnen werden. Den Allgemeinbegriff eines Tieres oder einer geometrischen Figur teilen wir einem anderen dadurch mit, daß wir ihm vorschreiben, eine genau angebbare Reihe von Denkhandlungen der Verknüpfung, Trennung oder Beziehung an einer Anzahl als bekannt vorausgesetzter Einzelvorstellungen auszuführen; am Ende dieser logischen Arbeit wird von seinem Bewußtsein derselbe Inhalt stehen, den wir ihm mitzuteilen wünschten. Worin dagegen das allgemeine Blau besteht, das wir im Hellblau und Dunkelblau, oder worin die allgemeine Farbe, die wir im Rot und Gelb mitdenken, läßt sich nicht auf demselben Weg verdeutlichen. Freilich können wir jemandem vorschreiben, er soll sich alle einzelnen Farben oder alle Schattierungen des Blauen vorstellen und durch die Absonderung ihrer Unterschiede das in beiden Fällen Gemeinsame der vorgestellten Inhalte hervorheben; aber das ist nur scheinbar eine Anweisung zu logischer Arbeit; im Grunde muten wir doch durch sie dem Anderen nur zu, selbst zu sehen, wie er mit der ganzen Aufgabe fertig wird. Denn wie er es eigentlich anfangen soll, um zu entdecken, ob überhaupt in Rot und Gelb etwas Gemeinsames liegt, und wie er es machen muß, um dieses Gemeinsame vom Verschiedenen zu trennen: das können wir ihm doch nicht sagen; wir müssen uns einfach darauf verlassen, er werde die im Rot und Gelb bestehende Verwandtschaft, das Enthaltensein eines Gemeinsamen in beiden, unmittelbar selbst empfinden, fühlen oder erleben; seine logische Arbeit kann hier nur in der Anerkennung und dem Ausdruck dieser inneren Erfahrung bestehen. So ist dieses erste Allgemeine kein Erzeugnis des Denkens, sondern ein von ihm vorgefundener Inhalt.

§ 15. Ich schalte hier eine Bemerkung ein, die sich mit geringer Umdeutung auf jedes Allgemeine erstrecken läßt, am leichtesten aber an diesem einfachsten Fall, dem ersten Allgemeinen, zu derdeutlichen ist. Das worin Rot und Gelb übereinstimmen, und wodurch sie beide Farben sind, läßt sich nicht von dem abtrennen, wodurch Rot rot und Gelb gelb ist; nicht so abtrennen nämlich, daß dieses Gemeinsame den Inhalt einer dritten Vorstellung bildet, welche von gleicher Art und Ordnung mit den beiden verglichenen wäre. Empfunden wird, wie wir wissen, stets nur eine bestimmte Einzelschattierung einer Farbe, nur ein Ton von bestimmter Höhe, Stärke und Eigenart; nur diese ganz bestimmten Eindrücke wiederholt auch die Erinnerung so, daß sie als inhaltvolle Bilder, die sich anschauen lassen, vor unserem Bewußtsein stehen. Diese Anschaulichkeit besitzen die allgemeinen Vorstellungen niemals. Wer das Allgemeine der Farbe oder des Tones zu fassen sucht, wir sich stets dabei antreffen, daß er entweder eine bestimmte Farbe und einen bestimmten Ton wirklich vor seine Anschauung hat, nur begleitet von dem Nebengedanken, jeder andere Ton und jede andere Farbe habe das gleiche Recht, als anschauliches Beispiel des selbst unanschaulich bleibenden Allgemeinen zu dienen; oder seine Erinnerung wird ihm viele Farben und Töne nacheinander mit demselben Nebengedanken vorführen, daß nicht diese einzelnen selbst gemeint sind, sondern das ihnen Gemeinsame, das in keiner Anschauung für sich zu fassen ist. Versteht man daher unter Vorstellung, wozu der gewöhnliche Sprachgebrauch allerdings neigt, das Bewußtsein eines Inhaltes, der ruhig vor uns steht, oder eine Anschauung dessen, was uns vor uns hinzustellen gelingt, so gebührt dem Allgemeinen der Name einer Vorstellung nicht. Worte wie Farbe und Ton sind in Wahrheit nur kurze Bezeichnungen logischer Aufgaben, die sich in der Form einer geschlossenen Vorstellung nicht lösen lassen. Wir befehlen durch sie unserem Bewußtsein, die einzelnen vorstellbaren Töne und Farben vorzustellen und zu vergleichen, in dieser Vergleichung aber das Gemeinsame zu ergreifen, das nach dem Zeugnis unserer Empfindung in ihnen enthalten ist, das jedoch durch keine Anstrengung des Denkens von dem, wodurch sie verschieden sind, sich wirklich ablösen und zum Inhalt einer gleich anschaulichen neuen Vorstellung gestalten läßt.

§ 16. Richten wir nun unsere Aufmerksamkeit auf die Unterschiede, welche innerhalb des ersten Allgemeinen seine mannigfachen Beispiele trennen. Eine Wärmeempfindung unterscheidet sich von einer anderen, ein leiserer Klang vom stärkeren, hellblau von tiefblau offenbar durch ein Mehr oder Weniger eines fühlbaren Gemeinsamen, das für sich, ohne jede Gradbestimmung, nicht anschaubar ist. Auf denselben Unterscheidungsgrund wird man sich bei allen anderen Vorstellungen zurückgeführt finden; nur der Angabe des Allgemeinen, dem diese Größenvergleichung gilt, begegnet in den einzelnen Fällen eine nach den eben gemachten Bemerkungen verständliche Schwierigkeit. Der leisere Ton unterscheidet sich vom lauteren ohne Zweifel durch eine gewisse Steigerung, aber ebenso durch eine gewisse Steigerung der höhere vom tieferen; was aber eigentlich das Gemeinsame ist, dem diese Veränderung widerfährt, glauben wir nur im ersten Fall durch die Bezeichnung der Stärke unmittelbar, im zweiten nur bildlich durch den Namen der Höhe ausdrücken zu können. Noch mehr scheint Rot und Gelb wesentlich verschieden und das eine aus dem anderen nicht durch ein Anwachsen oder durch Schwächung eines Gemeinsamen abzuleiten; nur was zwischen ihnen liegt, Rotgelb und Gelbrot, ist uns als eine Mischung verständlich, in welcher ein Mehr oder Weniger des einen oder des anderen von beiden enthalten ist. Gleichwohl leugnet doch niemand, daß eine der Grundfarben einer zweiten verwandter ist als einer dritten, das Rot dem Gelb verwandter als dem Grün; diese Abstufungen der Ähnlichkeit sind nicht ohne ein Mehr oder Weniger eines Gemeinsamen zu denken, dessen wir uns beim Übergang von einem Glied der Reihe zum nächsten und von diesem zum dritten bewußt bleiben. Zu bestimmen, worin in den einzelnen Fällen dieses Gemeinsame besteht, zu beurteilen, ob eine Mehrheit von Vorstellungen sich nur durch Gradverschiedenheiten eines einfachen Allgemeinen oder durch Kombinationen von Wertunterschieden mehrerer einander bestimmender Allgemeinheiten voneinander sondert, ob also diese Vorstellungen in eine geradlinige Reihe oder flächenförmig oder in Reihen noch höherer Ordnung zusammenzufassen sind: das alles sind anziehende Gegenstände der Untersuchung, aber sie sind nicht Gegenstände der Logik. Für diese genügt es, zu wissen, daß eine irgendwo verwendbare Größenbestimmung zunächst des Mehr oder Minder das unentbehrlich Hilfsmittel der Unterscheidung zwischen den Beispielen eines Allgemeinen ist. Und auch diese Größenbestimmung gehört zu dem, was wir nicht durch logische Arbeit erzeugen, sondern nur vorfinden, anerkennen und weiter entwickeln. Ein Urteil,  a  sei stärker als  b,  ist als Urteil freilich eine logische Arbeit; aber der Inhalt, den es ausspricht, also die Tatsache selbst, daß es überhaupt Gradunterschiede desselben Vorstellbaren gibt, sowie die besondere, daß der Grad des  a  den des  b  übersteige, kann nur erlebt, empfunden oder als Bestandteil unserer inneren Erfahrung anerkannt werden. Welches auch die künstlichen Vorrichtungen sein mögen, durch die wir wissenschaftlich die Genauigkeit einer Messung zu steigern suchen, zuletzt beruth doch alles auf der Fähigkeit, zwei sinnliche Wahrnehmungen unmittelbar als gleich oder als ungleich zu erkennen und sich darüber nicht zu täuschen, nach welcher Seite hin das Mehr und nach welcher das Weniger liegt.

§ 17. Beschränkte sich nun die innere Erfahrung auf das Vorführen von Ähnlichkeiten und Unterschieden der Inhalte, so würde das Denken nur zu einer unveränderlichen systematischen Anordnung der Vorstellungen Veranlassung haben, ähnlich der musikalischen Skala, in welcher alle Töne ihre festen und unverrückbaren Plätze und wechselseitigen Beziehungen ein für allemal besitzen. Aber die Logik hat sich nicht mit einem Denken zu beschäftigen, welches unter nicht vorhandenen Voraussetzungen sein würde, sondern mit dem, welches ist. Allem wirklichen Denken aber ist durch den Mechanismus, welcher die Wechselwirkung der inneren Zustände beherrscht, von Haus aus mehr Anregung dargeboten, als jene Voraussetzung annahm; der mannigfache Inhalt des Vorstellbaren wird ihm nicht bloß in jener systematischen Ordnung, die seinen qualitativen Verwandtschaften entspricht, sondern in der buntesten Fülle räumlicher und zeitlicher Verknüpfungen vorgeführt, und auch diese Tatsache gehört zu dem Stoff der dem Denken zur Ausführung seiner weiteren Leistungen dient und gegeben sein mußte. Die Verbindungen ungleichartiger Vorstellungen, die so herbeigeführt werden, sind die Aufgaben, an denen das Denken später seine Bemühung zu üben haben wird, Zusammenseiendes auf Zusammengehöriges zurückführen; ihrer braucht jetzt nicht weiter gedacht zu werden. Die gleichartigen oder gleichen dagegen geben Veranlassung, ihre Wiederholungen voneinander zu trennen, sie zu verknüpfen, zu zählen; zu diesen Vorstellungen des Einen und Vielen fügen endlich die in Raum und Zeit stetig ausgedehnten Inhalt die des Größeren und Kleineren hinzu. In diesen drei Paaren von Größenvorstellungen, denn die des Mehr oder Weniger besaßen wir bereits, sind alle Maßstäbe der Unterscheidungen für die Einzelbeispiele jedes Allgemeinen gegeben.

§ 18. Zweierlei schließe ich hier von den Gegenständen unserer Betrachtung absichtlich aus. Zuerst jede weitere Untersuchung über den Gang, den psychologisch die Entstehung und Entwicklung dieser Größenvorstellungen in unserem Bewußtsein nimmt, über die Reihenfolge, in welcher die eine die Bedingung für den Ursprung der andern sein mag, über den verschiedenen Wert endlich, den für ihre Bildung die zeitlichen und räumlichen Anschauungen haben. So anziehend diese Fragen sind, so würde doch ihre Beantwortung unseren Weg unnötig verlängern, nicht darauf kommt es der Logik an, auf welche Weise die Elemente entstehen, die das Denken benutzt, sondern darauf, welchen Wert sie, nachdem sie auf irgendeine Weise entstanden sind, für die Ausführung seiner Leistungen besitzen. Di Wert sie, nachdem sie auf irgendeine Weise entstanden sind, für die Ausführung seiner Leistungen besitzen. Dies nun, was ich mehr als billig vernachlässigt finde, hebe ich hier hervor und werde es später im Auge behalten: die unerläßliche Notwendigkeit, daß alle vom Denken zu verknüpfenden Vorstellungen einer von den drei erwähnten Arten der Größenbestimmung zugänglich sein müssen. Das Andere, das ich ausschließe, ist die Untersuchung der Folgerungen, die aus diesen Größenbestimmungen für sich gezogen werden können; sie haben sich längst zu dem großen Gebäude der Mathematik entwickelt, dessen reiche Gliederung jeden Versuch einer Wiedereinschaltung in den Zusammenhang der allgemeinen Logik verbietet. Aber die ausdrückliche Hinwendung darauf ist notwendig, daß alles Rechnen eine Art des Denkens ist, daß die Grundbegriffe und Grundsätze der Mathematik ihren systematischen Ort in der Logik haben, daß wir uns endlich das Recht wahren müssen, auch später überall, wo das Bedürfnis es verlangt, unbedenklich auf die Ergebnisse zurückzugreifen, welche die Mathematik unterdessen, als ein sich für sich selbst fortentwickelnder Zweig der allgemeinen Logik, gewonnen hat.

§ 19. Überblickt man nun das Ganze dieser zweiten Denkhandlung, in welcher ich jetzt die bejahende Setzung des Inhalts, die verneinende Abtrennung von jedem andern, endlich die vergleichende Größenschätzung der Unterschiede und Ähnlichkeiten zusammenfasse, so wird man die Bemerkung machen können, daß der Sinn dieser neuen logischen Arbeit in etwas von dem abweicht, welcher der ersten Denkhandlung, der Formung der Vorstellungen, zukommt. Man unterlag dort der allerdings von uns zurückgewiesenen Versuchung, die Formen der  Substantivität, Adjektivität und Verbalität  als Auffassungsweisen zu betrachten, welche das Denken, noch vor aller Aufforderung durch den gegebenen Inhalt, an diesem zu betätigen begierig ist; allein, wenn wir gleich diese Aufforderung abwiesen, so bleibte es doch richtig, daß in jenen Formen des Denkens nicht bloß die auffordernde Tatsache des Vorstellungslaufs wiederholt, sondern ihr allerdings die Gestalt gibt, in der sie für den logischen Geist erst gerechtfertigt ist. Denn die Selbständigkeit, welche die substantivische Form, am kenntlichsten durch den Artikel, dem einen Inhalt gibt, lag ansich nicht in der Tatsache, daß dieser Inhalt ein bleibendes Glied zwischen wechselnden Vorstellungsgruppen war; die Unselbständigkeit, welche die adjektivische ausdrückt, war, als ein solcher Nebengedanke, nicht in der Tatsache vorhanden, die zur Ausprägung eines anderen Inhalt in dieser zweiten Form anregte; man kann also fortfahren, in gewissem Sinne zu behaupten, daß in dieser ersten Handlung das Denken seine eigenen Gesetze dem vorstellbaren Inhalt vorschreibt. Bezeichnen wir dieses Verfahren mit einem Ausdruck, den wir übrigens vermeiden werden, als Beweis der Spontaneität, so trägt die zweite Handlung des Denkens den Charakter der Rezeptivität; sie ist Anerkennung von Tatsachen, denen sie keine neue Form außer dieser Anerkennung ihres Bestehen gibt. Keinen Unterschied kann das Denken da machen, wo es keinen im Inhalt der Eindrücke vorfindet; das erste Allgemeine ließ sich nur in unmittelbarer Empfindung erleben, und dem erlebten konnte zwar ein Name gegeben, aber keine andere logische Arbeit konnte zu seiner weiteren Feststellung unternommen werden; alle Größenbestimmungen, wie weit sich auch ihre fernere Vergleichung durch das Denken erstrecken mag, laufen immer auf das unmittelbare Innewerden gegebener Bestimmtheiten des Vorstellungsinhaltes zurück. Von zwei Gesichtspunkten möchte ich diese Tatsache betrachtet wissen. Zuerst liegt eine gewisse unrichtige Sorglosigkeit der Logik darin, daß sie in ihrem späteren Verlauf die Vergleichbarkeit von Vorstellungen und die Möglichkeit ihrer Unterordnung unter ein Allgemeines fast in jedem Augenblick voraussetzt, ohne vorher bemerkt zu haben, daß diese Möglichkeit, daß überhaupt das Gelingen aller ihrer Schritte auf dieser ursprünglichen Einrichtung und Gliederung der ganzen Welt des Vorstellbaren beruth, einer Einrichtung, die ansich nicht denknotwendig, umso notwendiger freilich für die Möglichkeit des Denkens ist. Denn ich wiederhole: es ist ansich nicht widersprechend, daß jede Vorstellung von jeder anderen unvergleichlich verschieden wäre, daß mit dem Wegfall der qualitativen Vergleichbarkeit auch jeder Maßstab für ein Mehr oder Minder fehlte, daß keine Vorstellung sich zweimal in der Wahrnehmung darböte, daß mit dem Mangel dieser Wiederholung des Gleichartigen auch die Vorstellungen des Größeren und Kleineren verschwänden. Da es nicht so ist, daß vielmehr die Welt des Vorstellbaren eben die Gliederung besitzt, die wir fanden, dies mußte als eine höchst wichtige Tatsache hervorgehoben werden, nicht aber sollte die Logik da, wo sie dieser Tatsache bedarf, sich auf sie als auf ein man weiß nicht woher gekommenes Selbstverständliches bloß nebenbei berufen. Und hiermit hängt dann die andere Bemerkung zusammen, die ich noch vorhatte. Ist das Denken die Rückwirkung auf gegebene Anregungen des Vorstellungsverlaufs, so wird an bestimmten Stellen der systematischen Übersicht seiner Handlungen auch der bestimmende Einfluß deutlich hervortreten, den auf diese die Gestaltung der Welt des Vorstellbaren ausübt; wie es hier das zweite Glied der ersten dreiteilgen Reihe von Denkhandlungen ist, so wird es auch später das zweite Glied der folgenden höher entwickelten Gruppen sein, worin sich diese eigentümliche Abhängigkeit der logischen Arbeit von der Natur des Inhalts zeigen wird, dem sie jedesmal gilt. Doch beanspruche ich durch diesen vorläufigen Hinweis nichts weiter, als der Klarheit der Übersicht über den systematischen Bau meiner Darstellung vorläufig zu Hilfe zu kommen; er selbst wird sich nur durch das rechtfertigen können, was er in jedem nach und nach hervortretenden Teil seiner Gliederung nützen wird.


C. Die Bildung des Begriffs

§ 20. In der Mannigfaltigkeit der Vorstellungen, die uns gegeben werden, Zusammengeratenes zu scheiden, Zusammengehöriges durch den Nebengedanken des Rechtsgrundes seiner Zusammengehörigkeit neu zu verbinden, ist die weitere Aufgabe des Denkens. Es wird dienlich sein, um ihren Sinn zu verdeutlichen, die verschiedenwertigen Bedeutungen zu überblicken, in welchen überhaupt eine Verknüpfung des Mannigfachen in unserer Gedankenwelt vorkommt. Zuerst ist keine spätere Handlung des Denkens möglich, ohne daß die verschiedenen Vorstellungen, auf welche sie sich beziehen soll, in einem und demselben Bewußtsein zusammentreffen. Für die Erfüllung dieser Bedingung sorgt die Einheit unserer Seele und der Mechanismus der Erinnerung, welcher zeitlich getrennte Eindrücke zu einer möglichen Wechselwirkung zusammenbringt. Man kann dieses Vereinigung des Mannigfachen die Synthese der Apprehension nennen; sie ist keine logische Handlung, sondern rafft nur das Mannigfache zu einem gleichzeitigen Besitz des Bewußtseins zusammen, ohne in seiner Vielheit eine Ordnung zu stiften, welche das eine Glied anders mit dem zweiten als dieses mit dem dritten verbände. Diese Ordnung tritt ein in der zweiten Art der Verknüpfung, der Synthesis der Anschauung, in den räumlichen Bildern nämlich und in der zeitlichen Aufeinanderfolge, worin die Einzeleindrücke bestimmte miteinander ungleichwertige Plätze einnehmen. Auch diese Verknüpfung wird uns ohne eine Handlung des Denkens fertig durch den Mechanismus unserer inneren Zustände gegeben, und wie selbstbestimmt und feingegliedert auch die Verbindung des Mannigfachen in ihr sein mag, so stellt sie doch stets nur eine tatsächliche äußere Ordnung dar und offenbart keinen Grund der Zusammengehörigkeit, der das Mannigfache zu so geordnetem Zusammensein berechtigt. Ich gehe von dieser zweiten Stufe sogleich zu einer vierten über, zu einer Synthese, in welcher diese letzte Forderung vollständig in Bezug auf den jedesmaligen Inhalt erfüllt wäre. In ihr würde nicht nur eine tatsächliche Ordnung des Mannigfachen, sondern zugleich der bedingende Wert vorgestellt sein, den jeder Bestandteil für das Zusammenkommen des Ganzen hat; bezöge sich diese Auffassung auf einen Gegenstand der Wirklichkeit, so würde sie zeigen, welche Bestandteile die vorangehenden bestimmenden und wirkenden sind, in welcher Reihenfolge der Abhängigkeit und Entwicklung die andern aus ihnen hervorgehen, oder welcher Zweck als der gesetzgebende Mittelpunkt zu denken ist, dessen Sinn die gleichzeitige Vereinigung aller Bestandteile oder ihre allmähliche Nachentstehung fordert; bezöge sie sich auf einen Inhalt, der keine Wirklichkeit außer unserem Bewußtsein und keine zeitliche Entstehung oder Entwicklung hat, wie die geometrischen Figuren, so würde sie wenigstens versuchen, obwohl mit später zu erwähnender Beschränkung des Gelingens, auch hier die Bestandteile des Ganzen in eine Rangordnung zu bringen, in welcher das, was im vorgestellten Inhalt das Bedingende ist, dem Anderen voranginge, was in mannigfacher Abstufung seine Folge ist. Man bemerkt leicht, daß eine Synthese dieser Art nichts anderes als die Erkenntnis der Sache selbst sein würde; sie liegt als das Ziel, zu dem die Arbeit des Denkens führen soll, um ebensoviel höher über dem Boden der Logik, als die erste und zweite Weise der Verknüpfung des Mannigfachen unter ihm lag; in die Lücke dazwischen haben wir die dritte logische Form der Synthesis zu stellen, deren Eigenheit jetzt aufzusuchen ist.

§ 21. Wenn der Unkundige vom Kreditwesen oder vom Bankwesen spricht, so merken wir dieser Ausdrucksweise seine Überzeugung an, eine Anzahl von Geschäften und Einrichtungen bilde ein zusammengehöriges Ganzes; aber er würde nicht anzugeben wissen, worin der Nerv ihres Zusammenhangs liegt oder welche Grenzen dieses Ganze von dem abscheiden, was nicht zu ihm gehört. Durch diesen Nebengedanken, das Mannigfache sie nicht nur da, wie ein zusammenseiender Haufen, sondern gebe sich als ein Ganzes von Teilen gewisse Grenzen, innerhalb deren es eine geschlossene Einheit sei, ist die allgemeine Absicht des Denkens formell an diesem Inhalt markiert, ohne noch sachlich erfüllt zu sein. In derselben Stellung findet sich nun unser Bewußtsein, wenn wir unsere Gedankenwelt mustern, zu sehr vielen Inhalten; ja man wird ohne Überraschung finden, daß sehr bedeutungsvolle Worte der Sprache diese unvollkommene Form der Fassung ihres Gegenstandes verraten; denn eben je reicher werden überredende Eindrücke vielfacher Wahrnehmungen das Gefühl seiner Eigentümlichkeit, Ganzheit und Abgeschlossenheit in sich selbst erwecken, ohne uns darum sein inneres Gefüge wirklich aufzudecken. Worte wie Natur, Leben, Kunst, Erkenntnis, Tier und viele andere bedeuten im gewöhnlichen Gebrauch nichts weiter; sie drücken nur die Meinung aus, daß eine gewisse meist nicht genau begrenzbare Menge von Einzelheiten, seien es Gegenstände oder Merkmale von Gegenständen oder Ereignisse, die sich aneinanderknüpfen, auf irgendeine Weise durch ein innerliches Band zu einem Ganzen vereinigt sind, welches sich weder einen Teil seines Inhalts rauben läßt, ohne zerstört zu werden, noch einen beliebigen Zusatz in seine abgeschlossene Einheit aufnehmen kann. Wie wenig aber die Natur jenes Bandes wirklich bekannt ist, zeigt das Mißlingen des Versuchs, Rechenschaft über die Grenzen zu geben, welche das zu dieser Einheit Zugehörige umschließen und von Fremdartigem trennen. Solange nun die logische Arbeit in der Zusammenfassung des Mannigfachen nicht weiter gediehen ist, würde ich Bedenken tragen, schon von Begriffen zu sprechen, ohne deshalb Wert auf die Erfindung eines besonderen technischen Namens für diese noch unvollkommene Fassung zu legen. Möge sie denn der unvollkommene oder der werdende Begriff heißen; den vollkommenen oder verwirklichten Begriff werden wir erst dann zu besitzen glauben, wenn der unbestimmte Nebengedanke der Ganzheit überhaupt zum Mitdenken eines bestimmten Grundes gesteigert ist, welcher das Zusammensein gerade dieser Merkmale, gerade diese Verbindung derselben und die Ausschließung bestimmter anderer rechtfertigt.

§ 22. Es ist jetzt die Frage, wie wir zu diesem bedingenden Grund gelangen. Blieben wir nun bei der isolierten Betrachtung eines zusammengesetzten Bildes  abcd  stehen, so würde keine noch so lange fortgesetzte Beobachtung uns entdecken, welche Bestandteile desselben nur zusammen sind, welche zusammengehören, in welcher Abstufung das Dasein des einen das des andern bedingt. Vergleichen wir abe  abcd  mit anderen seines Gleichen, d. h. mit solchen, auf welche von ihm aus unsere Aufmerksamkeit ohne logisches Zutun durch Gesetze unseres Vorstellungsverlaufs gelenkt wird, und finden wir, daß in  abcd, abcf, abcg  und ähnlichen die Gruppe  abc  gleichmäßig vorkommt unter Hinzufügung verschiedener ungleicher Bestandteile, so erscheinen uns diese letzteren als das locker und trennbar mit dem festen Stamm des  abc  Verbundene: das gemeinsame  abc  aber steht ihnen nicht bloß als tatsächlich gleicher Mittelpunkt ihrer Anknüpfung gegenüber, sondern unter der allgemeinen Voraussetzung, daß hier ein Ganzes einanander bedingender Teile vorliegt, wird dieser feste Kern zugleich zum Ausdruck der beständigen Regel, die in den Einzelfällen den Ansatz der verschiedenen Nebenbestandteile gestattet und die Art ihrer Anfügung bestimmt. Wollen wir im Leben und zu praktischen Zwecken desselben ermitteln, wo in einem Geschöpf, in einem Gegenstand oder in einer gegebenen Einrichtung die Grenzlinie verläuft, die das innerlich Zusammengehörige von zufälligen Anlagerungen scheidet, so setzen wir dieses gegebene Ganze irgendwie in Bewegung: unter dem Einfluß der Veränderung wird sich zeigen, welche Teile hier fest zusammenhalten, während die fremden Beimischungen abfallen, und welche allgemeinen Verknüpfungsweise jener Teile bestehen bleiben, während sie im Einzelnen ihre gegenseitigen Stellungen ändern; in dieser Summe des Beständigen sehen wir dann das wesentliche innere Gefüge des Ganzen und erwarten von ihm, daß es auch die Möglichkeit und die Art und Weise des Ansatzes veränderlicher Bestandteile bestimmt. Das erste Verfahren, die Hervorhebung dessen, was verschiedenen ruhenden Beispielen gemeinsam zukommt, hat die Logik gewöhnlich befolgt und ist auf diesem Weg zur Aufstellung ihres Allgemeinen gekommen: ich würde den anderen bevorzugen, die Bestimmung dessen, was in demselben Beispiel sich unter veränderten Bedingungen forterhält; denn nur die Voraussetzung, daß diese Selbsterhaltung sich auch an der Gruppe  abc,  dem Gemeinsamen vieler einzelner Vorstellungsganzen, werde beobachten lassen, rechtfertigt eigentlich unsere Annahme, dieses Zusammenseiende als zusammengehörig und als Grund der Anfügbarkeit oder der Unzulässigkeit anderer Bestandteile anzusehen.

§ 23. Man nennt Abstraktion das Verfahren, nach welchem das Allgemeine gefunden wird, und zwar, wie man angibt, durch Weglassung dessen, was in den verglichenen Sonderbeispielen verschieden ist, und durch Summierung dessen, was ihnen gemeinsam zukommt. Ein Blick auf die wirkliche Praxis des Denkens bestätigt diese Angabe nicht. Gold, Silber, Kupfer und Blei sind an Farbe, Glanz, Gewicht und Dichte verschieden; aber ihr Allgemeines, das wir Metall nennen, finden wir nicht dadurch, daß wir bei ihrer Vergleichung diese verschiedenen Merkmale ohne einen Ersatz einfach weglassen. Denn offenbar reicht zur Bestimmung des Metalls nicht die Verneinung aus, es sei weder rot noch gelb noch weiß oder grau; ebenso unentbehrlich ist die Bejahrung, daß es jedenfalls irgendeine Farbe habe; es hat zwar nicht dieses, nicht jenes spezifische Gewicht, nicht diesen, nicht jenen Grad des Glanzes, aber seine Vorstellung würde entweder gar nichts mehr bedeuten oder doch sicher nicht die des Metalles sein, wenn ihr jeder Gedanke an Gewicht überhaupt, an Glanz und Härte überhaupt fehlte. Durch Vergleichung der einzelnen Tierarten erhalten wir das allgemeine Bild des Tieres gewiß nicht, wenn wir jede Erinnerung an Fortpflanzung, Selbstbewegung und Respiration deshalb fallen lassen, weil die einen lebendig gebären, andere Eier legen, manche sich durch Teilung vermehren, weil ferner jene durch Lungen, diese durch Kiemen, noch andere durch die Haut atmen, weil endlich viele auf Beinen wandeln, andere fligen, einige zur Ortsveränderung unfähig sind. Im Gegenteil ist dies das Allerwesentlichste, wodurch jedes Tier Tier ist, daß es irgendeine Art der Fortpflanzung, irgendeine Weise der Selbstbewegung und der Respiration besitzt. In allen diesen Fällen entsteht mithin das Allgemeine nicht durch die einfache Weglassung der verschiedenen Merkmale  p1  und  p2, q1  und  q2,  die in den verglichenen Einzelfällen vorkommen, sondern dadurch, daß an die Stelle der weggelassenen die allgemeinen Merkmale  P  und  Q  eingesetzt werden, deren Einzelarten  p1, p2  und  q2  sind. Das einfachere Verfahren der Weglassung kommt nur da vor, wo dem einen der verglichenen Einzelnen in der Tat gar keine Art eines Merkmals  P  zukommt, von welchem das andere notwendig eine Art zu seinem Merkmal hat. So glauben wir, egal ob mit Recht oder mit Unrecht, in der Pflanze keine Spur von Empfindung und Selbstbewegung zu entdecken, die beide wesentlich für alle Tiere sind; aus dem Vergleich von Pflanze und Tier bilden wir daher allerdings die allgemeine Vorstellung des organischen Wesens durch die Weglassung beider Merkmale ohne einen Ersatz. Eine sachlich eingehende Betrachtung würde, zwar nicht eben in diesem Beispiel, aber in vielen verwandten Fällen, vielleicht eine Veranlassung haben, dennoch beiden verglichenen Gliedern zwei Merkmale  P  und  Q  gemeinsam zuzuschreiben, und nur für das eine, die Pflanze, einen Nullwert dieser Merkmale anzunehmen, die im Tier stets mit wirklichen Größenwerten vorkommen. Etwas anders gewendet behaupten wir logisch, der Ersatz der weggelassenen Einzelmerkmale durch ihr Allgemeines ist die allgemeingültige Regel der Abstraktion, die ersatzlose Weglassung bilde den Sonderfall, in welchem sich ein logisch gemeinsames Merkmal nicht finden läßt, als dessen verschiedene Arten der Besitz eines Einzelmerkmals hier und sein Nichtbesitz dort angesehen werden könnten. So gefaßt schließt mithin unsere Regel der Abstraktion diese Fälle der bloßen Weglassung mit ein; umgekehrt, eine Regel, welche nur von der Weglassung ausginge, fände keinen Rückweg zur Forderung jenes Ersatzes, dessen Wichtigkeit für die Bildung des Allgemeinen alle späteren Schritte der Logik bestätigen werden.

§ 24. Nach den Betrachtungen des vorigen Abschnitts, von dessen Voraussendung jetzt die Notwendigkeit sichtbar ist, wird man nicht ernsthaft an dem nur scheinbaren Zirkel Anstoß nehmen, der uns hier Allgemeines durch die Zusammensetzung von Allgemeinem zu bilden befiehlt. Wir haben gesehen, daß die allgemeinen Merkmale  P  und  Q,  deren wir hier bedürfen, das erste Allgemeine des erwähnten Abschnitts, uns ohne logische Arbeit lediglich als beobachtbare Erzeugnisse unseres Vorstellungslebens zufallen; eben deswegen können sie nun als Bausteine für die Bildung dieses zweiten Allgemeinen verwendet werden, welches wir allerdings durch eine logische Arbeit erzeugen. Da das Gelb des Goldes, das Roth des Kupfers und das Weiß des Silbers nur Abwandlungen eines Gemeinsamen sind, das wir dann Farbe nennen, das empfanden wir unmittelbar; wenn es aber nicht empfindbar wäre, dem würde durch logische Arbeit nie deutlich gemacht werden können, weder daß  diese  Eindrücke Arten dieses Allgemeinen sind, noch überhaupt, was eigentlich ein Allgemeines und die Beziehung seines Besonderen zu ihm sagen will. Denn dies eben wünschte ich hier noch hervorzuheben, daß auf der unmittelbaren Anschauung eines ersten Allgemeinen und auf der Anwendung irgendwelcher Größenvorstellungen die Bildung dieses zweiten Allgemeinen in allen Fällen beruth, nicht bloß da, wo die Merkmale, wie die des Metalls, Farbe, Glanz und Härte, sich ungezwungen als ruhende Eigenschaften des Bezeichneten fassen lassen, sondern auch da, wo sie, wie Fortpflanzungs - und Bewegungsfähigkeit des Tieres, nur kurze adjektivische Bezeichnungen von Verhaltensweisen sind, die sich vollständig nur durch vielfache Beziehungen zwischen mancherlei Beziehungspunkten denken lassen. Man überzeugt sich leicht durch eine Zergliederung, die ich nur um ihrer drohenden Weitläufigkeit willen hier der Aufmerksamkeit des Lesers überlassen muß, daß alle Unterschiede der Tiere auch in Bezug auf diese Merkmale immer auf Größenbestimmungen hinauslaufen, die entweder der Stärke gelten, mit der ein fühlbar gleicher oder gleichartiger Vorgang sich in ihnen ereignet, oder der Anzahl der Beziehungspunkte, zwischen denen er stattfindet, oder einer der Formverschiedenheiten, die er durch eben diese verschiedene Anzahl seiner Beziehungspunkte, durch die größere oder geringere Engheit ihrer Beziehung aufeinander, endlich durch die ebenfalls meßbaren Unterschiede ihres zeitlichen und räumlichen Verhaltens erfahren kann. Mit dem Wegfall dieser quantitativen Abstufung und Vergleichbarkeit, die sich, in verschiedener Weise natürlich, über Alles, über einfache Merkmale, über ihre Beziehungen, über Verbindungsweisen des Gleichzeitigen und des Sukzessiven erstreckt, würde die Bildung eines Allgemeinen aus der Vergleichung verschiedener zusammengesetzter Vorstellungsgruppen wenigstens in dem Sinne, in welchem diese Bildung für die Aufgaben des Denkens Wert hat, unmöglich sein.

§ 25. Ich gedenke jetzt einger herkömmlicher Kunstausdrücke. Nennen wir Begriff (notio, conceptus) vorläufig überhaupt die zusammengesetzte Vorstellung, die wir als ein zusammengehöriges Ganzes denken, so heißt Inhalt (materia) des Begriffes  S  die Summe der Einzelvorstellungen oder Merkmale (notae)  a, b, c, d ...,  durch welche  S  vollständig gedacht und von jedem anderen Begriff  ∑  unterschieden wird; Umfang aber (ambitus, sphaera) die Anzahl der Einzelbegriffe  s1, s2, s3 ...,  in deren jedem der Inhalt von  S,  also die Merkmalgruppe  a, b, c, d ...,  in irgendeiner ihrer möglichen Modifikationen enthalten ist. So würden Farbe  a,  Gewicht  b,  Dehnbarkeit  d,  und die übrien ähnlichen zusammen den Inhalt des Metalls  S;  Kupfer  s1  dagegen, Silber  s2,  Gold  s3  und ihresgleichen zusammengenommen den Umfang desselben  S  bilden. Man pflegt ferner die einzelnen Merkmale  a, b, c  als koordiniert im Inhalt von  S,  die einzelnen Arten aber  s1, s2, s3,  als koordiniert im Umfang von  S  zu bezeichnen; im Verhältnis der Subordination endlich stehen die Arten  s1, s2, s3  zum allgemeinen  S  selbst, das ihre Gattung bildet; subsumiert aber sind sie samt dem  S  selbst unter jedes der allgemein ausgedrückten Merkmale, welche den Inhalt des  S  und folglich auch den der  s1, s2, s3  zusammensetzen. Zuletzt behauptet man, daß Umfang und Inhalt jedes Begriffs im umgekehrten Verhältnis zueinander stehen; je größer der Inhalt, also die Zahl der Merkmale, die der Begriff allen seinen untergeordneten Arten vorschreibt, um desto geringer die Anzahl der Arten, welche diese Forderung erfüllen; je kleiner der Inhalt des  S,  umso größer die Menge der Einzelnen, welche die wenigen Merkmale besitzen, die ihnen nötig sind, um Arten des  S  zu sein, oder in seinen Umfang zu gehören. Vergleicht man daher den allgemeinen Begriff  S  mit einem anderen gleichartigen allgemeinen  T  und sucht für sie beide das neue dritte Allgemeine  U,  dem sie wieder als Arten angehören, und setzt man dieses Verfahren fort, so wird jeder Allgemeinbegriff  W,  je höher er in dieser Stufenreihe steht, je weiter er nämlich von den ursprünglich verglichenen  S  und  T  absteht, umso ärmer an Inhalt und umso größer an Umfang sein; umgekehrt, steigen wir von jenen höchsten Allgemeinbegriffen  W  durch  V  und  U, S  und  T  bis zu den Arten von  S  und weiter herab, so wächst mit abnehmendem Umfang der Inhalt und wird am größten in jenen Vorstellungen des völlig Einzelnen und Individuellen, denen dann die Logik nicht ohne Bedenken den Namen eines Begriffs überhaupt noch zugesteht.

§ 26. Diese Bestimmungen sind von ungleichem, überhaupt aber von geringem Wert. Ich beginne, was über sie zu sagen ist, mit der Feststellung des künftig von mir zu befolgenden Sprachgebrauchs. Ich nenne jeden zusammengesetzten Inhalt  s  dann begrifflich gefaßt oder Begriff, wenn zu ihm ein Allgemeines  S  mitgedacht wird, welches den bedingenden Grund für das Zusammensein aller seiner Merkmale und für die Form ihrer Verknüpfung enthält. Nach dieser Erklärung sprechen wir unbedenklich von Begriffen auch des völlig Einzelnen, von singulären Begriffen nach dem alten Ausdruck der Logik und glauben uns dabei in völliger Übereinstimmung mit dem Sprachgebrauch. Denn wenn wir zum erstenmal einen uns neuen Gegenstand  s,  vielleicht mit völliger Deutlichkeit der sinnlichen Wahrnehmung, beobachten, mit dieser aber uns nicht zufrieden geben, sondern fragen, was denn nun eigentlich dieses  s  sei, so wünschen wir offenbar die Regel kennen zu lernen, die in dem beobachteten Tatbestand die wahrgenommenen Merkmale verbindet und sie in ein zusammengehöriges Ganzes von bestimmtem voraussagbaren Verhalten verwandelt. Erfahren wir dann, dieses  s  sei ein  S,  ein Tier oder eine Pflanze, so glauben wir dieses  s  begriffen zu haben; seine Vorstellung ist es also, die durch das Mitdenken des allgemeinen  S  zum Begriff erhoben wird. Jeder Eigenname bietet hierfür ein Beispiel. ALKIBIADES bedeutet für menschliche Gedanken niemals bloß eine Vielheit verschiedenfarbiger Punkte, die im Raum nach bestimmter obwol nicht ganz unverschiebbarer Zeichnung miteinander verbunden sind und dem Versuch zu ihrer Trennung widerstehen; ebensowenig drückt der Name bloß den Nebengedanken aus, diese Vielheit bilde auf irgendeine dahingestellte Weise ein Ganzes; das ganz bestimmte Allgemeinbild des Menschen vielmehr oder des Mannes wird als das Schema mitgedacht, nach welchem der Zusammenhang der hier beobachteten Merkmale untereinander und mit dem künftig von ihnen zu erwartenden Verhalten aufzufassen ist. Auf diese Auffassung aber paßt weder der Name der Anschauung, noch der einer bloßen Vorstellung, sondern nur der eines singulären Begriffs.

§ 27. Gar nicht finde ich dagegen in der Ordnung, daß man dem Allgemeinen  S  selbst, durch dessen Mitdenken das Einzelne zum Begriff wird, ohne allen Vorbehalt den Namen eines Allgemein begriffs  gibt. Diese logische Form kann das  S  haben, hat sie aber keineswegs immer, sondern bleibt häufig ein bloßes allgemeines Bild, dessen Bestand zwar mit dem Nebengedanken seiner zusammengehörigen Ganzheit, aber ohne Angabe der gliedernden Regel seines Zusammenhangs gedacht wird. Im gewöhnlichen Gebrauch der Rede ist schon der Name  Mensch  nur ein Ausdruck für ein solches Bild; einige Überlegung macht aus ihm leicht noch, durch Unterordnung unter das Allgemeine Tier, einen Begriff; dann bleibt aber Tier ein allgemeines Bild, das nur der Naturforscher noch durch Mitdenken der Vorstellung des organischen Wesens für seinen wissenschaftlichen Gebrauch zum Begriff umbildet. Auf diesem unfertigen Zustand der logischen Arbeit, die nur den einen Ring der ganzen Kette, den Zusammenhang des Einzelnen mit seinem nächsten Allgemeinen scharf beleuchtet, von da aus aber die übrigen im Dunkel läßt, beruhen die Begriffe, die im natürlichen Gebrauch des Denkens vorkommen; da jedoch wissenschaftliche Untersuchungen, zu denen die Logik vorzugsweise einleiten will, wirklich dahin streben, auch jedes höhere Allgemeine eines gegebenen Begriffs selbst begrifflich zu fassen, so begnüge ich mich, die vorgetragene Bemerkung gemacht zu haben, sehe jedoch von ihrer hartnäckigen Durchführung ab und werde mit dem gewöhnlichen Sprachgebrauch auch jenen allgemeinen Bildern den Namen der Begriffe nicht vorenthalten. Dieses Zugeständnis wird mir dadurch erleichtert, daß in der Logik der Name des Begriffs nicht jene vornehme Bedeutung scheint haben zu dürfen, die ihm die Schule HEGELs gegeben hat, und in welcher er darauf Anspruch erhebt, die Erkenntnis der wesentlichen Natur seines Gegenstandes auszudrücken. Der Unterschied zwischen logischen Formen und metaphysischen Gedanken ist auch hier zu beachten. Es mag einen bevorzugen Begriff geben, welcher die Sache selbst in ihrem Sein und ihrer Entwicklung verfolgt, oder zum Standpunkt der Auffassung den in ihr selbst liegenden Mittelpunkt wählt, von welchem aus sie ihr eigenes Verhalten bestimmt und ihre eigene Wirksamkeit gliedert; aber es ist nicht Aufgabe der Logik, ihrer Begriffs form  stets nur diese auserlesene Füllung zu geben. Der logische Begriff gilt uns als eine Denkform, welche ihren Inhalt, von irgendeinem Standpunkt aus, so auffaßt, daß aus dieser Auffassung Folgerungen zu ziehen sind, welche an bestimmten Punkten selbst, aus der Sache selbst fließt; nach der Wahl jener Standpunkte, für deren jeden sich die Sache anders projiziert, kann es daher verschiedene gleich richtige und gleich fruchtbare logische Begriffe desselben Gegenstandes geben. Mag darum  Begriff  immerhin jede Auffassung heißen, die, wenn auch nur mit Hilfe eines selbst nicht weiter zergliederten Allgemeinbildes, dies leistet, den gegebenen Gegenstand einer Regel seines Verhaltens zu unterwerfen, deren Anwendung mit diesem wirklichen Verhalten in Übereinstimmung bleibt.

§ 28. Ernsthafte Bedenken erweckt die behauptete Koordination der Merkmale im Inhalt des Begriffs. Schon dies ist ein Übelstand, daß uns ein passender Name für die Bestandteile fehlt, aus denen wir den Begriff zusammensetzen; Merkmal, Teilvorstellung passen nur für bestimmte Fälle. Sie erwecken die geläufige falsche Meinung, als seien ganz allgemein die Bestandteile des Begriffs gleichwertig, jeder mit dem Ganzen des Inhalts ebenso verbunden wie jeder andere, und jeder erste mit dem zweiten ebenso verbunden wie jeder andere, und jeder erste mit dem zweiten ebenso wie dieser mit dem dritten. Hierzu verführen besonders die Beispiele, welche die Logik aus dem Kreis einfacher Naturgegenstände zu wählen pflegt. Zwar ist Gold gelb nur im Licht, dehnbar nur für eine einwirkende Zugkraft, schwer nur für den Körper, den es drückt; aber diese verschiedenen Verhaltensweisen lassen sich doch für unsere Einbildungskraft leicht als ruhende Eigenschaften vorstellen, die an einem bestimmten Punkt des Raums versammelt sind und dort alle in nicht weiter angebbarer übrigens gleicherweise am Realen haften, das um ihretwillen Gold heißt. Hier paßt der Name der Merkmale und hier sind die Merkmale allerdings in dem behaupteten Sinn im Inhalt koordiniert; nur bedeutet dieses Koordination nichts mehr, als daß sie alle dem Ganzen gleich unentbehrlich sind, außerdem aber eine irgendwie gegliederte Ordnung  nicht  besteht. Verlassen wir so einfache Beispiele, überlegen wir Begriffe wie Dreieck, Tier oder Bewegung, so bedürfen wir, um ihren Inhalt richtig zu denken, einer Menge von Teilvorstellungen, die nicht mehr so gleichwertig sind, sondern in den verschiedensten gegenseitigen Stellungen aufeinander bezogen werden müssen. Die drei Seiten des Dreiecks sind nicht bloß in ihm  auch  da, neben den drei Winkeln, sondern sie müssen durch ihre Schneidungen die Winkel bilden; der Begriff der Bewegung enthält nicht bloß überhaupt die Teilvorstellungen Ort, Veränderung, Richtung, Geschwindigkeit; sondern Richtung und Geschwindigkeit sind, beide in verschiedenem Sinne, Bestimmungen der Veränderung; der Ort, da er ja verlassen wird, kann am wenigsten ein Merkmal des Begriffs heißen, er ist ein Beziehungspunkt für die Vorstellung der Veränderung, zu welcher sein Verhältnis durch den Sinn des Genitivs verglichen mit dem regierenden Nominativ ausgedrückt wird. Die Verfolgung dieser Mannigfaltigkeit ist zu weitläufig; zu der Überzeugung aber würde sie ersichtlich führen, daß im Allgemeinen die Merkmale eines Begriffs nicht gleichwertig einander koordiniert sind, daß sie sich vielmehr in den mannigfaltigen Stellenungen aufeinander beziehen, einander verschiedenartige Anlagerungen vorschreiben und sich so wechselseitig  determinieren;  daß ein zutreffendes Symbol für den Bau eines Begriffs nicht die Gleichung  S = a + b + c + d ....,  sondern höchstens die Bezeichnung  S = F (a, b, c, ...)  ist, welcher mathematische Ausdruck eben nur andeutet, daß  a, b, c, ...  auf eine im Einzelfall genau angebbare, im allgemeinen höchst vielförmige Weise verknüpft werden müssen, um den Wert von  S  zu ergeben. Wäre in irgendeinem Einzelfall


So würde die Formel, so läppisch sie sein würde, wenn sie etwas mehr bedeuten wollte, doch imemr noch ein anschaulicheres Bild, als jene unzureichende Summenformel, für die Verschiedenheit der Beiträge geben, welche hier die einzelnen Merkmale  a, b, c ...  zum Aufbau des ganzen Inhaltes von  S  liefern.

§ 29. Gegen die Koordination von  s1  Kupfer,  s2  Gold und  s3  Silber im Umfang des  S  Metall ist nichts einzuwenden, dagegen der große Wertunterschied zwischen dieser Unterordnung und der des allgemeinen  S  sowie jeder seiner Arten unter die allgemeinen Merkmale  a  dehnbar,  b  farbig hervorzuheben. Die Natur des Allgemeinen  S,  des Metalls, beherrscht die Natur seiner Arten, die Goldes und Kupfers, vollständig, und keine Eigenschaft der letzteren entzieht sich ihrem bestimmenden Einfluß: gelb oder rot ist vieles, aber das schimmernde Gelb und Rot des Goldes und Kupfers kommt Metallen allein zu; dehnbar ist vieles, aber Größe und sonstige Eigentümlichkeit der Dehnbarkeit, wie sie Gold und Kupfer zeigen, ist nur bei Metallen erhört; nur die Metallität endlich erklärt die Höhe des spezifischen Gewichts. Ebenso bestimmt das Allgemeine Tier jede Eigenschaft und jede Regung dessen, was seine Art ist: das Tier bewegt sich anders, wächst anders und ruht anders als die Pflanze und das Leblose. Versinnlichen wir das allgemeine Metall durch einen Kreis  S,  so liegt der kleinere Kreis  s1  des Goldes völlig in  S  eingeschlossen; neben ihm getrennt von ihm aber ebenso ganz innerhalb des  S,  die Kreise  s2  Kupfer,  s3  Silber. Dieses Verhältnis einer wahrhaften Unterordnung unter das maßgebende Allgemeine bezeichne ich, indem ich zwei meist gleichbedeutende gebrauchte Namen verschieden benutze, als  Subordination  unter die Gattung; ich nenne dagegen  Subsumption  unter das Merkmal die Unterordnung des Goldes unter das Gelb  g  oder das Dehnbare  d.  Diese allgemeinen Merkmale beherrschen und durchdringen offenbar die ganze Natur des Goldes nicht; jedes drückt vielmehr nur eine Seite derselben aus, die anderen Gegenstände von völlig abweichender Natur ebenfalls zukommt, und aus der sich, für unsere logische Einsicht, keinerlei Folgerung in Bezug auf die anderen Eigenschaften des Goldes ziehen läßt. An den größeren Kreis  G  des Gelben tritt daer der kleinere  s  des Goldes nur an einer bestimmten Stelle an und schneidet ihn, ohne gänzlich in ihm zu liegen; an anderen Stellen wird  G  durch die Kreise der anderen gelben Gegenstände ebenso geschnitten und sie alle bleiben teilweise außer ihm.

§ 30. Vom Allgemeinen  S  aus, welches die Regel für die ursprünglich verglichenen  s1, s2, s3  war, konnten wir zu immer höheren Allgemeinbegriffen  T U V W  aufsteigen. In der Naturgeschichte, für welche diese Stufenreihe Wert hat, sind ihre einzelnen Glieder in der Richtung nach aufwärts als Art, Gattung, Familie, Ordnung, Klasse bezeichnet worden; doch ist schon dies nicht ganz unstreitig, was ein Allgemeinbegriff zu leisten habe, um eine Art, und was, um eine Gattung vorzustellen; noch verschiedener werden die übrigen Benennungen und immer nach Gesichtspunkten angewandt, die für den Kreis zu behandelnder Gegenstände jedesmal aus der besonderen Natur derselben eigens gerechtfertigt werden. Ohne diese Unterstützung, welche die Bedeutung und Wichtigkeit dieser Abstufungen von Seiten sachlicher Kenntnis erfährt, läßt sich nur für Art und Gattung einigermaßen ein fester logischer Wert auf folgende Weise bestimmen. Veranlassung zur Aufsuchung eines Allgemeinen überhaupt findet das natürliche Denken nur in der Vergleichung von Einzelfällen, welche nicht gleich, aber ähnlich sind. Einen Begriff zu suchen, der Gurkenfrüchte und mathematische Lehrsätze unter sich befaßte, ist ein Spiel des Witzes; aber alle großen und kleinen, alten und jungen, dicken und magern, schwarzen und weißen Menschen fordern das natürliche Denken zu diesem Schritt auf. Denn ihre sinnlichen Erscheinungen liefern ähnliche Bilder, an deren entsprechenden Punkten sich nur Merkmale finden, die unmittelbar als Arten desselben allgemeinen Merkmals, der Härte, der Farbe, empfunden werden; auch die Beziehungen zwischen zweien dieser Punkte sind in ihnen allen nur durch Grad und Größe verschiedene Modifikationen einer und derselben allgemeinen Beziehung. Die Vergleichung der einzelnen Menschen erzeugt daher ein allgemeines Bild; nicht in dem Sinne freilich, als ließe der allgemeine Mensch sich wirklich malen, aber doch in dem Sinne der naturgeschichtlichen Abbildungen, die gar nicht daran zweifeln, durch ein Pferd alle Pferde und durch ein Kamel alle Kamele in einer Anschauung, die mehr als ein bloßes Schema oder Symbol ist, deutlich darzustellen; oder im Sinne der Geometrie, die durch ein gezeichnetes Dreieck, obgleich es immer nur ein einzelnes sein kann, neben dem es andere gibt, doch alle diese anderen, und zwar gleichfalls in anschaulicher Weise, mit vertritt. Diesem Möglichkeit verschwindet aber, wenn wir zu höheren Allgemeinheiten aufsteigen, die diese allgemeinen Bilder selbst wieder als ihre Arten unter sich befassen; das allgemeine Säugetier, das weder Pferd noch Kamel ist, noch sonst Namen hat, läßt sich nicht einmal in einem schematischen Bild mehr zeichnen, und ebenso wenig das Polygon, das weder Dreieck noch Viereck ist, noch eine andere bestimmte Seitenzahl hat. Diese höheren Allgemeinbegriffe fassen wir mithin nicht mehr in einer Anschauung, sondern nur noch in einem Gedanken, durch eine Formel oder eine Gleichung, die im Wesentlichen dieselbe Beziehungsweise zwischen verschiedenen Beziehungspunkten vorschreibt, aber zu anschaulich ganz abweichenden Gestaltungen führt, je nachdem man die unbestimmt gelassenen Werte dieser Beziehungspunkte selbst und ihrer engeren oder schlafferen Verbindung so oder anders bestimmt denkt. Dasjenige Allgemeine nun, das noch ein Bild gewährt, würde ich eine Art, das erste von denen aber, die nur noch eine Formel möglich machen, die Gattung nennen, in Übereinstimmung, wie ich glaube, mti dem gewöhnlichen Sprachgefühl und nebenbei mit den alten Bestimmungen des ARISTOTELES. Denn die Wahl seiner beiden Ausdrücke  Eidos  und  Genos  ist ohne Zweifel durch die ursprüngliche Wortbedeutung bestimmt worden; Eidos, die Art, welche unter sich nur Individuen befaßt, ist das Gemeinsame des Aussehens oder der Erscheinung; Genos begreift das Formverschiedene, dessen Entstehung derselben Regel folgt, oder das, wenn es überhaupt nicht zeitlich entspringt, doch im bedingenden Zusammenhang seiner Bestandteile derselben gesetzgebenden Formel folgt.

§ 31. Es bleibt uns noch die letze der früher angeführten Behauptungen: das umgekehrte Verhältnis zwischen Inhalt und Umfang der Begriffe; ich finde es unrichtig da, wo seine Richtigkeit wichtig wäre, und ziemlich unwichtig da, wo es richtig ist. Die Anzahl der Merkmale, aus denen wir unsere Begriffe zusammensetzen, ist nicht unendlich; reicht doch die Sprache zwar mit vielen, doch nicht zahllosen Werten zu ihrer Vergleichung aus. Leicht möglich kann daher eine Gruppe derselben, sagen wir  ikl,  in mehreren Allgemeinbegriffen  S, T, U  zugleich vorkommen, ohne daß deshal  ikl  einen höheren Allgemeinbegriff darstellte, der ein Bildungsgesetz für alle Arten von  S, T  und  U  enthielte. Man kann Kirschen und Fleisch unter die Merkmalgruppe  ikl  rötlicher saftiger eßbarer Körper unterordnen, aber man wird nicht glauben, damit einen Gattungsbegriff für beide erreicht zu haben, dessen Arten sie zu heißen verdienten. Ich behaupte nun nicht, daß die einseitige Hervorhebung einer solchen Merkmalgruppe überall so wenig Sinn hat, wie in diesem abgeschmackten Beispiel; im Gegenteil werden wir ihren Wert später kennenlernen: sie dient zu dem oft nützlichen und nötigen Nachweis, daß verschiedene Subjekte, obgleich sonst einander ganz fremd und keinem gemeinschaftlichen Gattungsbegriff subsumierbar, dennoch wegen eines einzigen oder weniger gemeinsamen Merkmal gewissen unabweislichen Folgerungen gleichmäßig verfallen sind. Wer nun fortfahren will, diese Merkmalgruppen Allgemeinbegriffe zu nennen, hat dann freilich mit jenem umgekehrten Verhältnis zwischen ihrem Umfang und Inhalt Recht: je weniger Glieder die Gruppe zählt, umso sicherer wird sie in allerhand Begriffen anzutreffen sein; und andererseits je größere Anzahlen verschiedener Vorstellungsinhalte man vergleicht, umso kleiner wird die Merkmalgruppe sein, in der sie alle übereinstimmen. Vom wahren Allgemeinbegriff dagegen, dem, welcher die Regel für die ganze Bildung der Arten enthält, ließe sich eher behaupten, daß sein Inhalt allemal ebenso reich, die Summe seiner Merkmale ebenso groß ist, als die der Arten selbst; nur sind im Allgemeinbegriff, in der Gattung, eine Menge Merkmale nur in unbestimmter selbst schon allgemeiner Form enthalten, für welche in der Art bestimmte Einzelwerte oder besondere Ausprägungen auftreten, bis im singularen Begriff jede Unbestimmtheit verschwunden und jedes allgemeine Merkmal der Gattung durch ein nach Größe, Eigentümlichkeit und Verknüpfung mit andern völlig determiniertes ersetzt ist. Allerdings kann man gegen die Allgemeingültigkeit dieser Behauptung Beispiele wie das früher erwähnte des organischen Wesens anführen, unter dessen Begriff wir Pflanze und Tier unterordnen; man kann es eine logische Willkürlichkeit nennen, in diesem Begriff die Merkmale der Empfindungs- und Bewegungsfähigkeit beizubehalten, mit dem Hintergedanken, beiden dann in der Pflanze einen Nullwert zuzuschreiben; aber dieses Beispiel zeigt eigentlich mehr, daß wirklich die höheren Allgemeinheiten, von der Gattung aufwärts, aufhören wahre Allgemein begriffe  zu sein und in Komplexe von Bedingungen übergehen, denen der Inhalt verschiedener im eigentlicheren Sinne so zu nennender Gattungen mit gleichen daraus fließenden Folgen unterliegt. Der Begriff des organischen Wesens ist ein solches  ikl,  eine Gruppe von Merkmalen, die für sich in keinem gegebenen Beispiel vorkommt, die aber in den Gattungen, in denen sie vorkommt, in Tier und Pflanze, dieselben aus ihr entspringenden Folgerungen notwendig macht.

§ 32. Die vorigen Bemerkungen enthielten weder die Hoffnung noch den Anspruch, eine bleibende Änderung im hergebrachten Sprachgebrauch hervorzubringen; so sollten nur der deutlicheren Einsicht in den Bau der Begriffe überhaupt dienen. Zum gleichen Zweck füge ich noch Folgendes hinzu. Ich bezeichne die Gattung  G,  sofern ihr Begriff die Verbindungsregel einer Anzahl allgemeiner Merkmale  A, B, C ...  darstellt, durch  F [A, B, C,],  und nehme an, jedes der Merkmale lasse Einzelformen zu, welche  a1, a2, a3 ..., b1, b2, b3 ... c1, c2, c3 ..  heißen mögen: die Verbindungsform  F  endlich bewege sich gleichfalls in einem Spielraum veränderlicher Gestaltungen, von denen wir drei durch  f, q, f  andeuten wollen. Da nun die Merkmale  A, B, C  von sehr verschiedem Wert für das Ganze von  G  sein können, so ist es möglich, daß die verschiedenen Werte, welche etwa  A  annimmt, von entscheidender Wichtigkeit für die Gestalt des Ganzen sind und sich auch in der Verbindungsweise der übrigen mit ihrem umformenden Einfluß geltend machen. Dies kann den Erfolg haben, daß, wenn  A  den einen oder den anderen seiner Werte annimmt, damit auch die Gliederungsweise  F  des Ganzen von einem ihrer Einzelfälle sich zu einem andern ändert; die Gesamtzahl der Arten von  G  würde dann sein:  G = f (a2, B, C ..) + q (a2, B, C ..) + f (a3, B, C),  in welcher Formel ich der Kürze halber die korrespondierenden Änderungen von  B  und  C  unausgedrückt lasse. Diese entscheidenden Merkmale  a1, a2, a3  sind in diesem Fall die  artbildenden  Unterschiede,  differentiae specificae.  So pflegt schon ARISTOTELES, der dafür den Namen  Diaphora  hat, wenn er den menschen unter die Gattung  Tier  unterordnet, die Bestimmung zum vernünftigen Denken als die eigentümliche Ausprägung  a1  des allgemeinen Seelenlebens A zu bezeichnen, durch die sich der Mensch von allen anderen Tieren unterscheidet; im Sinne meiner obigen Bezeichnung kommt dann noch hinzu, daß dieses  a1  nicht bloß den Menschen von den Tieren abgrenzt, sondern auch die ihm eigentümlichen Werte der übrigen Eigenschaften  B  und  C,  endlich die Verbindungsweise  f  derselben oder den ganzen Habitus bestimmt, durch den der Mensch sich von den Tieren mit ihrer durch  q  oder  f  charakterisierten Organisation unterscheidet. Es kann ferner geschehen, daß die besonderen Werte, welche eines oder mehrere der allgemeinen Gattungsmerkmal in einer einzelnen Art angenommen haben, nur in dieser Art und in keiner andern möglich sind, daß sie aber dennoch keinen wichtigen Einfluß auf die Gestaltung der übrigen Merkmale äußern und deshalb die Natur der Art, an welcher sie vorkommen, nicht nach ihrer ganzen Bestimmtheit repräsentieren. Eigenheit oder Idiom nennt ARISTOTELES ein solches Merkmal: es ist das, was wir ein Kennzeichen nennen. Die Lachfähigkeit führt er als Idiom des Menschen an, HEGEL in ähnlichem Sinn das Ohrläppchen; beide unterschieden Menschen vom Tier, aber sie erschöpfen sein Wesen nicht. Noch gibt es nach ARISTOTELES Merkmale, die nicht zum eisernen Bestand eines Begriffs gehören, sondern etwas bezeichnen, was seinem Inhalt zustößt oder widerfährt; jedes Verbum, welches sagt, daß SOKRATES sitzt oder steht, gibt davon ein Beispiel. Die Übersetzer quälen sich vergeblich den von ARISTOTELES dafür gebrauchten Ausdruck  Symbebekos  zugleich sachgemäß und in Übereinstimmung mit der ursprünglichen griechischen Wortbedeutung zu übersetzen; was an ihm sachlich wichtig und richtig ist, wird völlig dem entsprechen, was wir einen  Zustand  nennen. Daß dieser Ausdruck dennoch nicht den Sprachgebrauch des ARISTOTELES deckt, scheint mir die Schuld einer von ihm selbst begangenen Ungenauigkeit, deren Erörterung kaum die Mühe lohnen würde. Die Betrachtung des sachlichen Verhältnisses aber, das zwischen dem Begriffsganzen und dieser Art seiner Merkmale obwaltet, gehört der Lehre vom Urteil an. Man findet in der Einleitung des PORPHYRIUS zur aristotelischen Logik Stoff genug, um ein meist freilich nutzloses Nachdenken über die Ähnlichkeiten und Unterschiede der hier berührten logischen Bestimmungen noch weiter zu üben; uns dienten sie wesentlich zur Verdeutlichung der mannigfachen Gliederung der Begriffe und sind zu diesem Zweck nicht in durchgängiger Übereinstimmung mit ARISTOTELES vorgetragen worden.

§ 33. Wohin gelangt man nun zuletzt, wenn man zu allen gefundenen Allgemeinbegriffen immer höhere sucht? welche Form nimmt das Gesamtsystem aller unserer Begriffe an, wenn man sich dieses Geschäft vollendet denkt? Von einer breiten Grundfläche, welche durch alle singulären Begriffe oder Vorstellungen gebildet wird, erhebt es sich offenbar mit zunehmender Verschmälerung; die gewöhnliche Meinung gibt ihm geradezu die Gestalt einer Pyramide, die mit einer einzigen Spitze, dem alles umfassenden Begriff des Denkbaren, schließt. Ich finde wenig Witz in dieser Annahme; sie beruth ganz auf der geistlosen Subsumtion unter ein Merkmal, deren logischen Wert wir gering veranschlagten. Unter das Merkmal des Denkbaren überhaupt fällt alles auf einmal und mit einem Schlag; man kann sich die Mühe ersparen, zu diesem Ergebnis erst durch eine pyramidale Stufenleiter emporzuklettern; zugleich ist in diesem Endglied von allem Inhalt und aller Eigentümlichkeit des Gedachten auf die gründlichste und gedankenloseste Weise abgesehen. Folgen wir dagegen dem Verfahren der Subordination unter die Gattung und ordnen wir das Mannigfache nur solchen Allgemeinheiten unter, welche den Gedanken der allgemeinsten Regeln für die Eigenarten seiner Formung noch aufbewahren, so kommen wir nich zu einem, sondern zu mehreren aufeinander nicht rückführbare Endbegriffe, in denen wir ohne Überraschung dieselben Bedeutungen der Redeteile wiedererkenen, die wir am Anfang dieses Hauptstücks als die ersten logischen Elemente kennenlernten. Alle substantivischen Inhalte führen auf den Stammbegriff des Etwas, alle adjektivischen auf den der Beschaffenheit, die verbalen auf den des Werdens, die andern auf den des Verhältnisses zurück. Alle diese Stammbegriffe haben freilich das gemeinsame Merkmal, denkbar zu sein; aber eine gemeinsame Gattung, unter der ihre wesentlichen Inhalte verschiedene Arten bildeten, gibt es weder über ihnen allen, noch vertritt einer von ihnen diese Stelle für die übrigen; es ist nicht möglich, das Etwas als eine Art des Werdens, oder das Werden als eine Art des Etwas zu fassen. So angesehen erhebt sich das Gesamtgebäude unserer Begriffe wie eine Gebirgskette, die mit einem breiten Fuß beginnt und mit mehreren scharf geteilten Gipfeln endet.

Übergang zur Form des Urteils

§ 34. Auf diesem Bild einer zusammenhängend sich aufbauenden Begriffswelt hat schon der Blick PLATONs geruht. Ihn, der die ewige Sichselbstgleichheit jedes Begriffsinhaltes und ihre Bedeutung gegenüber der Veränderlichkeit des Wirklichen zuerst erkannt hat, ihn konnte es reizen, alle einfachen Elemente des Denkbaren aufzusuchen, alle Verbindungen der verbindbaren zu vollziehen und im gegliederten Ganzen einer Ideenwelt das ewige Vorbild aufzurichten, dem die geschaffene Welt unvollkommen nachahmt. Weder er selbst indessen noch die Folgezeit hat eine wirkliche Ausführung dieser ansich unvollendbaren Aufgabe versucht; noch weniger könnten wir jetzt geneigt sein, in ihr eine wünschenswerte Leistung zu sehen. Und dies nicht nur deshalb, weil die Wirklichkeit, das was ist, uns zu zahlreiche und schwere Rätsel aufgibt, um uns Zeit zur Aufstellung eines Verzeichnisses dessen zu lassen, was sein könnte aber nicht ist; vielmehr auch die vollständige Kenntnis der Ideenwelt würde uns wenig in der Begreifung des Wirklichen unterstützen. Denn alles, was wir im besten Fall auf diesem Weg erreichen könnten, würde nur das Bild einer ruhenden Ordnung sein, in welcher einfache und zusammengesetzte Begriffe, jeder unveränderlich sich selbst gleich und jeder durch unwandelbare Beziehungen zu allen andern an seinen unverrückbaren systematischen Ort gestellt, nebeneinander ständen; was uns dagegen die Wirklichkeit vorhält, ist ein wechselndes Durcheinander der mannigfachen Beziehungen und Verknüpfungen, die sich zwischen den einzelnen Vorstellungsinhalten, ohne Rücksicht auf ihre systematische Stellung, bald so bald anders gestalten. Diese große Tatsache der Veränderung hört nicht dadurch auf dazusein, daß wir sie im Sinne des Altertums als eine Unvollkommenheit schelten, im Gegensatz zur feierlichen Ruhe der Ideenwelt; immerfort führt sie der Verlauf unserer Vorstellungen uns wieder vor, und das Denken, das von diesem ja seine Anregungen empfängt, muß sich bemühen, auch dieses veränderliche Zusammensein auf Grände der Zusammengehörigkeit zurückzuführen. Hierdurch wird der weitere Weg der Logik bestimmt.

§ 35. Verschiedene Erwägungen führen zu demselben nächsten Schritt. Wo sich an einen scheinbar unveränderten Begriffsinhalt neue Merkmale anfügen, die wir früher in ihm nicht mitdachten, werden wir am unmittelbarsten zu der Frage aufgefordert, welcher Grund eines veränderlichen Zusammengehörens sich für beide denken läßt. Aber auch wenn wir verschiedene Beispiele eines Allgemeinen vergleichen, in dessen allgemeinen Merkmalen wir die Möglichkeit vieler besonderer bereits eingeschlossen haben, frägt es sich doch nach dem Grund, der in jedem einzelnen dieser Beispiele die Zusammengehörigkeit des besonderen Merkmals mit dem übrigen Ganzen des Inhalts vermittelt und dieses Merkmal vor den übrigen besonderen bevorzugt, die als Arten des allgemeinen seinesgleichen sind. Zuletzt, da wir in jedem Begriff eine Mehrheit von Merkmalen vereinigt denken, und zwar solchen, die nicht ihrem eigenen Inhalt nach, als Glieder einer und derselben systematischen Reihe einander verwandt, die vielmehr einander ungleichartig und fremd sind, dennoch einander determinieren und in ihrer Verbindung eine bedingende Macht über den Ansatz anderer ausüben sollen, so kehrt auch hierüber die Frage nach dem Rechtsgrund wieder, der dieses Zusammensein des Ungleichartigen als ein Zusammengehören erscheinen läßt. Wir werden uns bewußt, daß wir in unserer Betrachtung des Begriffs, als wir einer gewissen Verknüpfung von Merkmalen diese Stellung einer beherrschenden logischen Substanz zuschrieben, welche sich in einer Mannigfaltigkeit verschiedener und wechselnder Formen betätigt, eine Auffassungsweise gefordert und vorausgenommen haben, deren logisch rechtliche Ausführbarkeit wir noch zu erweisen haben. Dies also ist unsere Aufgabe nun, diese vorausgesetzten Verknüpfungen entweder wieder aufzulösen, oder, wenn sie sich rechtfertigen lassen, sie noch einmal, dann aber in einer Form zu vollziehen, welche den Grund der Zusammengehörigkeit des Verbundenen mit ausspricht. Wenn das Denken diese Aufgabe zu lösen sucht, wird ersichtlich die Form seiner Bewegung die des  Urteils  sein, in welchem ein bleibendes oder bedingendes Glied oder das Ganze des Begriffsinhalts als  Subjekt  den veränderlichen oder bedingten Gliedern oder der Summe dieser Teile als  Prädikaten  gegenübertritt, die Beziehung beider aber, welche ihre Verknüpfung erklärt und rechtfertigt, in der  Kopula  liegt, die sprachlich mehr oder minder vollständig ausgedrückt beide Satzglieder zusammenhält.
LITERATUR - Hermann Lotze, Vom Denken, System der Philosophie, Erster Teil: Drei Bücher der Logik (vom Denken, Untersuchen und Erkennen), Leipzig 1874