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Grammatik, Logik und Psychologie [und ihr Verhältnis zueinander] [2/2]
Erster Teil Die logische Grammatik A. Becker 1. Beckers mangelhaftes Prinzip BECKER legt überall das größte Gewicht auf den Satz: Die Sprache ist nach ihrem Ursprung wie in ihrer inneren Einrichtung und in allen ihren Verhältnissen organisch; er macht ihn zum Ausgangs-, Ziel- und Mittelpunkt seines Sprachsystems und glaubt dadurch die neue Sprachwissenschaft geschaffen zu haben. Prüfen wir also, was mit jenem Satz gesagt wird. Zunächst haben wir zu sehen, was Organismus überhaupt bei BECKER bedeutet; und dann, wie sich die Sprache organisch zeigt. § 1. Grundbestimmung BECKER eröffnet sein Werk "Organismus der Sprache" mit einer ausführlichen Darlegung der genannten beiden Punkte. Es heißt hinsichtlich des ersteren sogleich am Anfang (§ 1):
Wenn wir schon BECKERs eigentlichen Grundsatz mehr Schärfe gewünscht hätten, so vermissen wir in der (§ 4) darauf folgenden näheren Darlegung der Merkmale des Organischen jede Entwicklung und Ableitung derselben voneinander und vom ersten Grundsatz. Die Sätze werden aneinenander geschoben, teils ohne Konjunktion, teil auch mit solchen, wie: "wie ... so", "daher", "aber", ohne daß man jedoch den durch diese Bindewörter angedeuteten Zusammenhang klar sehen würde. "Es ist nur ein allgemeines Leben," so fährt BECKER unmittelbar nach der angeführten Stelle fort, "das in den besonderen Organismuen in Erscheinung tritt; daher eine Übereinstimmung aller organischen Dinge in gewissen Grundtypen der Gestaltung und Entwicklung." Unmittelbar weiter heißt es: "Wie nun" hier eine Übereinstimmung ist, so auch wieder in den besonderen Organen des einzelnen organischen Dings, welche alle einen gemeinsamen, durch den Begriff, d. h. die Arteigentümlichkeit, des organischen Dinges bestimmten Typus an sich tragen, wie wir später noch näher betrachten wollen. Weiter heißt es:
bei Becker. Wir könnten jedoch zufrieden sein, wenn uns nur BECKER hier überhaupt hinlängliche Merkmale gegeben hätte, um uns einen so deutlichen Begriff bilden zu können, daß wir zu sagen vermöchten, dies ist organisch, jenes nicht. Das ist aber durchaus nicht der Fall. Wir erfahren nicht bloß nicht, wo denn der Gegensatz zum Organischen liegt, durch welche andere Begriffe das Reich desselben begrenzt wird, sondern wir sind auch in Verlegenheit, wenn wir dies etwa aus dem von BECKER Gesagten erschließen wollten. Denn ist die Natur das All organisch, so ist alles organisch, und es gibt weder im Himmel noch auf Erden etwas Unorganisches. Organisch wird gleichbedeutend mit natürliche; Unnatürliches aber gibt es nirgends; nicht einmal der Unsinn wäre unnatürlich, sondern bloß die Vorstellung des Unnatürlichen, Unorganischen wäre Unsinn. Sicherlicht hatte BECKER eine weit bestimmtere Vorstellung vom Wesen des Organischen, als im Obigen liegt, aber ist es denn gleichgültig, ob jemand sein Prinzip an der Stelle, wo er es erörtert, wirklich bestimmt darstellt oder nach allen Seiten unbegrenzt verschwimmen läßt? Wenn selbst hier, wo die ganze Kraft des Geistes auf das Prinzip allein gerichtet ist, dieses keine bestimmte Gestalt annehmen will, kann es bei der Entwicklung des Besonderen, wo die Aufmerksamkeit des Geistes über einen größeren Vorstellungskreis verbreitet ist, sich fester und klarer vergegenwärtigen? Schwerlich! nur wir, je nachdem die Gelegenheit es herbeiführt, diese oder jene Seite des Prinzips hervortreten, die vorher nicht erörtert war. Streng genommen würde diese Seite sogar unberechtigt sein; jedenfalls kann sie, gelöst aus dem Zusammenhang mit allen übrigen Seiten des Ganzen, nicht nach ihrer wahren Begrenzung auftreten. Sie verhilft uns jedoch dazu, uns BECKERs Anschauung des Organischen zu vervollständigen. zum Künstlichen. So tritt nun gelegentlich (§ 6 Anfang) folgendes höchst wichtige Moment hervor:
Indessen müssen wir es uns doch gefallen lassen, wenn BECKER, weil er nun einmal will, den geistigen oder künstlichen Organismus von der natürlichen Maschine - nach dem Obigen hat uns BECKER diese Ausdrucksweise nicht untersagt - unterscheidet und bloß die natürliche Maschine Organismus nennt, das geistig Organische aber als unorganisch ansieht. Hierdurch ist etwas an Bestimmtheit gewonnen, doch nicht viel. BECKER hätte uns auch noch die Grenze zwischen Natur und Kunst ziehen sollen. Wir stehen vor einem blühenden Kornfeld - sehen wir Natur oder Kunst? Organisches oder Unorganisches? Dabei vergesse man dann auch nicht, daß vielleicht vor hundert, vor zehn Jahren dieser Boden noch wirklich unfruchtbar, unfähig war, den ihm vertrauten Samen reifen zu lassen. Hier hat, wie in vielen Fällen, die Kultur erst die Natur erzeugt. Ist es dann aber mit jener Bildsäule, die BECKER für unorganisch hält, so durchaus anders? Abgesehen vom schon Gesagten, daß auch hier ein verkörperter Gedanke, alles in Einheit ist, jeder Teil aus dem Ganzen fließt, so daß unsere Künstler die fehlenden Glieder eines antiken Standbildes aus dem Gegebenen ableitend ergänzen, welche Ableitung BECKER und TRENDELENBURG nach CUVIER für ein wesentliches Merkmal des Organischen halten, - abgesehen, sage ich, hiervor, trägt nicht auch der Marmorblock den Apollo "vorgebildet" in sich? Könnte der Künstler auch aus Flugsand, aus morschem Holz bilden? Wirken nicht Stein, Hammer und Meißel nach notwendigen ihnen innewohnenden Gesetzen? also mit innerer Notwendigkeit? Kurz kann die Kultur, die Kunst, um mich BACONs Ausdruck zu bedienen, die Natur anders beherrschen, als indem sie ihr folgt? kann sie dieselben zwingen, oder muß sie sie nach ihrer inneren Gesetzmäßigkeit wirken lassen? Jedoch meint BECKER wohl, organisch sei das natürliche Ding auch nur, insoweit und insofern es ohne Hinzutun von menschlicher Absichtlichkeit entstanden ist und lebt. Die Wälder, Brennesseln und Dornengestrüpp sind durchaus organisch; das Kornfeld ist es nicht, insofern der Mensch gepflügt, gedüngt, gesät hat, aber insofern danach der Same durch Regen und Sonnenschein wächst. Die Bildsäule ist organisch geworden, indem der Meißel usw. nach notwendigen natürlichen Gesetzen gewirkt hat, aber nicht insofern die Hand des Künstlers die leitende war. So würden dann die Begriffe organisch und natürlich dem Umfang und Inhalt nach zusammenfallen und als das Notwendige und Gesetzmäßige der Freiheit gegenüberstehen. Es ist uns freilich eine seltsame Zumutung, den Geist als den Urheber des Unorganischen anzusehen, als ein Außen, welches in das innere Naturleben störend eingreift; es ist uns seltsam und abschreckend, den Geist, der als Ausfluß des allgemeinen Lebens doch auch eine notwendige, unfreie, gebundene Seite hat, hinsichtlich dieser seiner Unfreiheit als organisch, hinsichtlich seines Wesens und Wirkens aber, hinsichtlich seiner Freiheit als unorganisch zu betrachten. Wissenschaft, Kunst und Sittlichkeit sind unorganisch; aber die Brennessel ist organisch! BECKER mag es verantworten. Wie ist nun aber die Freiheit möglich? das müssen wir von BECKER hören. Nicht im "Organismus", aber im Werk "Das Wort" läßt sich BECKER über diesen nach allen Seiten so wichtigen Punkt folgendermaßen vernehmen (Seite 255):
Ein Mann, der so mit der Freiheit fertig wird, "spielend", wie sollte sich der vor dem Tod fürchten? BECKER würde also schwerlich in Verlegenheit kommen, wenn wir ihn fragen: wo ist der Tod, das Sterben? das hasst du ja ganz aus deinem lebenden All, deinem All-Leben gestrichen! Der sich auflösende animalische Leib kann doch nicht tot genannt werden; denn die darin sich bildenden Körper, wie Wasser, Ammoniak usw., entstehen hier in durchaus natürlicher, gesetzmäßiger Weise mit innerer Notwendigkeit: sie entwickeln sich im organischen Körper wie das Ei von innen heraus. Leben bleibt Leben; denn es gibt nur Leben und nur ein Leben nach BECKER. Was wir sterben nennen, ist nur der Wandel einer Art des Lebens in die andere. Tod ist ein Spiel des Lebens - eine Unsterblichkeitslehre, würdig der obigen Freiheitslehre. Kehren wir zu BECKERs Grundbestimmung des Organismus zurück. Diese beruhte darauf, daß BECKER im All einen verleiblichten Gedanken erkannte, daß er die Natur als sich nach einem Zweck bestimmend, daß er sie teleologisch ansah. Wir wollen und können BECKER nicht das Recht zu dieser Anschauungsweise bestreiten; sie ist nicht willkürlich subjektiv; sondern die objektiven Verhältnisse der Natur fordern dazu auf. BECKER setzt also den Gedanken der Natur vor ihrer Schöpfung als den Zweck der Natur. Der Zweck ist es, der jedem Organ seine besondere Gestalt gibt, und der Begriff einer Tierart verleiht als Zweck allen einzelnen Organen, wie Gebiß, Klaue usw., den bestimmten Typus. Die bestimmteste Definition, die sich nach BECKER vom organischen Ding geben läßt, wäre also: ein organisches Ding ist ein von der Natur gesetzter und ausgeführter Zweck. So berechtigt nun auch diese Betrachtungsweise der Natur ist, oder vielmehr ganz abgesehen von der Berechtigung, auf die es uns hier nicht ankommt, ist aber das hervorzuheben, daß BECKERs Begriff des Organismus, auf der Kategorie des Zwecks beruhend, gar keinen materialen, sondern einen formalen Gehalt hat: daß er kein gegenständliches Merkmal am Ding, sondern eine Betrachtungsweise des Dings bezeichnet; daß er kein konstitutiver, sondern ein methologischer Begriff ist. Wir leugnen hiermit nicht, daß die organische Anschauungsweise, die Betrachtung der Natur vom Gesichtspunkt des Zwecks aus, die Tatsachen innerlichst berührt; sie nämlich in veränderte Beziehungen versetzt; aber sie fügt nichts Neues, Tatsächliches hinzu und ist nur eine andere Auffassung der tatsächlich vorliegenden Beziehungen; sie sieht nicht mehr, auch nicht anderes, sondern sieht dasselbe, aber anders; sie verfährt mit denselben gegebenen Elementen auf andere Weise. Der Gegensatz zur teleologischen Betrachtung liegt in der kausalen. Die Elemente, wie gesagt, sind in dieser dieselben wie in jener; aber ihre Beziehung wird verändert, je nachdem das schöpferische Element als Ursache oder Zweck gefaßt wird. Der Zweck kann sich nie anders als mittels der Ursachen verwirklichen und reicht nicht weiter als sie. Wirkende Kräfte der Natur bilden einen Punkt a, gewirkte Erscheinungen einen anderen b; die Erkenntnis bewegt sich vom einen zum andern, entweder von a zu b: kausale Betrachtung; oder von b zu a, aber so daß sie b vor a setzt und nun vom vorgesetzten b durch a an die erste Stelle des b gelangt: teleologische Betrachtung. Der Weg von a zu b ist auch hier unvermeidlich. BECKER hat aber seinen Begriff des Organismus, sein Wesen verkennend, allerdings als gegenständlich genommen. Dies ist nun BECKERs Grundirrtum, aus dem seine vorzüglichsten materialen Fehler und methodischen Mängel mit Notwendigkeit erfolgen mußten. Diese Feler organisch zu entwickeln, wollen wir nun versuchen. Der erste Punkt, der also hier zu betrachten wäre, ist, daß BECKER von organischen Dingen spricht und sie von unorganischen Dingen scheidet, während er nach seiner Auffassung des Organismus nur von einer organischen, teleologischen Betrachtung der Dinge reden sollte. Die Betrachtung nach Ursachen und die nach Zwecken haben nicht etwa jede einen bestimmten Kreis von Gegenständen besonders für sich; beide umfassen das All, nur nach verschiedener Hinsicht. Jetzt, denke ich, begreifen wir noch mehr, warum es BECKER unmöglich wird zu sagen, durch welches andere Reich von Dingen das Reich der organischen Dinge begrenzt wird, wo die unorganischen sind; denn es gibt wirklich keine, sondern nur eine unorganische Betrachtung der Dinge. Berücksichtigen wir aber nur ferner, daß BECKER dann doch den Begriff des Organismus auf die Natur beschränkt, so wollen wir ihm daraus, daß er den Zweck auf die Natur übertragen hat, keinen Vorwurf machen; aber er hat damit das Reich des Zwecks verkürzt. Dieser Punkt unserer Kritik ist zart, und man verstehe uns recht. Nimmt man Organismus in dieser Weise, wie z. B. auch TRENDELENBURG in seiner schönen und klaren Darstellung des Zwecks (Logische Untersuchungen II, Kapitel VIII) tut, so ist Organismus der von der Natur, die Maschine von der Kunst verwirklichte Zweck. Das meint auch BECKER eigentlich. Soll also der Organismus definiert werden, so ist der Zweck das Allgemeine und die Natur das Besondere desselben. BECKER aber in seiner Bestimmung des Organismus vom allgemeinen Leben der Natur ausgehend, hat das Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem verdreht: ihm ist die Natur das allgemeine Merkmal des Organismus und der Zweckbegriff das besondere, wo bei diese Verdrehung freilich nicht vollkommen durchgeführt werden konnte, da der Zweck doch mindestens ebenso allgemein wie die Natur ist, weswegen aber auch keine feste Bestimmung des Organismus zustande kommen konnte. - Hierin liegt aber zugleich die Verdrehung des Begriffs Organismus selbst; er, der durch die Natur nach einer Besonderheit bestimmt werden sollte, wird jetzt durch sie gerade nach seiner Allgemeinheit, und durch den Zweck nach seiner Besonderheit bestimmt; er wird nicht so besonders, wie die Natur, sondern eine Besonderheit innerhalb der Natur, eine Art der Natur. Diese Verdrehung war freilich, wie gesagt, gar nicht durchführbar, und sie erfährt nun durch eine andere ihr entgegengesetzte Verdrehung einen wundersamen Rückschlag. Der Zweckbegriff, allgemeiner als die Natur, wird zum spezifischen Merkmal des Organismus gemacht. Was folgt hieraus? daß Organismus weiter, umfassender wird, als die Natur; die Natur ist eine besondere Art des Organismus. Ein solcher Fehler muß sich natürliche in der Darstellung ausdrücken. Nun lese man den § 4. und frage sich, was darin gesagt ist? Sicherlich nicht sowohl, daß der Organismus ein natürlich gesetzter und ausgeführter Zweck, als vielmehr umgekehrt, daß die Natur organisch ist, mit einem, ich möchte sagen, unterdrückten "auch". Daß dieses ausgesprochen wird, läßt die erste Verdrehung nicht zu. Beide Verdrehungen hemmen sich in ihrer Wirkung und so liegt dann doch im Ergebnis die Gleichheit von Organismus und Natur, der gleiche Umfang sowohl, als auch derselbe Inhalt beider, wie sich aus jedem Satz von § 4. erhellt. Der Unterschied aber von der einfachen Ansicht der Sache, wie sie bei TRENDELENBURG vorliegt, ist dabei nicht zu verkennen. Während bei diesem die Natur das spezifische Merkmal des Organismus abgibt, der unter der Allgemeinheit des Zwecks steht, drückt bei BECKER Organismus das ganze Wesen der Natur aus, ist ihr eines umfassendes Attribut, die Darlegung ihres Begriffs. Doch dieser Unterschied ist nicht so sehr von Bedeutung wie die Unbestimmtheit, welche einem in solcher Weise wie der BECKERsche Organismus gebildeten Begriffe fortwährend anhaften muß. - Auch der Grund der doppelten Verdrehung liegt klar im ersten Fehler, daß ein rein formal bestimmter Begriff zur Abgrenzung der Dinge gebraucht wird. Nun bezeichnet man allerdings gewöhnlich mit dem Wort "Organismus" ein Reich bestimmter natürlicher Wesen: dies macht sich in der ersten Verdrehung geltend. Da aber ein bloß methodologischer, auf alle Dinge anwendbarer Begriff dieser Beschränkung Trotz bot, so entstand der Rückschlag, und BECKER erfuhr nur die Ironie, daß er mit der Absicht, den Organismus zu definieren, vielmehr ganz im Gegenteil die Natur als organisch erweist, indem er darstellt, wie auch in ihr der Gedanke, der Zweck herrscht. Hier erinnern wir an die schon oben besprochenen Worte: "Das allgemeine Leben wird zu einem organischen." Der Ausdruck "ist" würde vielleicht die Subsumtion des Alls unter die Kategorie des Organismue zu bestimmt ausgesprochen haben. Diese Rücksicht konnte einerseits, obwohl sie doch sogleich darauf durchgeführt wird, vom "ist" zurückschrecken. Andererseits könnte das "wird" durch eine doppelte Absicht, welche im Hintergrund des Bewußtseins dunkel wirkt, hervorgetrieben sein. Erstens die Absicht, nicht die ganze Natur, sondern nur einen Teil organisch sein zu lassen: indem hierbei vorgestellt wurde, das allgemeine Leben sei nicht ansich, sondern werde unter folgenden Bedingungen, also teilweise nur organisch; - dies wäre eine Wirkung der ersten Verdrehung. Zweitens aber könnte das "wird" auch gerade dies hervorheben, daß Organismus ein allgemeinerer, methodologisch formaler Begriff sein soll und das All, welches also nicht ansich organisch ist, wird es für unsere Betrachtung, indem usw. Wer das geheime Wirken dunkler Vorstellungen in der unbewußten Tiefe des Bewußtseins beobachtet hat, wird die Möglichkeit nicht leugnen, daß BECKER durch die dargelegten drei Rücksichten zugleich bewogen die Wendung "wird" ergriffen hat. Aus den beiden entgegengesetzten Bewegungen seiner Gedanken erhielt Becker eine mittlere Ansicht als Ergebnis, wodurch Organismus und Natur identisch wurden. Dadurch war aber jede feste Grenzbestimmung des Reiches organischer Dinge unmöglich geworden, wie überhaupt jede Definition. Denn die Grenze kann doch nur durch das spezifische Merkmal des Organismus gezogen werden, d. h. die Natur. Diese wird aber nicht bloß zugleich zum Allgemeinen und zu einer Art des zu Definierenden gemacht und kann also nach keiner Seite als spezifisches Merkmal dienen, sondern auch nach dem mittleren Ergebnis ist sie dazu unfähig, da sie nun mit dem Organismus selbst das zu Definierende wird und nicht in die Definition eintreten darf. Welche Unklarheit muß einen Begriff umhüllen, dessen erklärendes Merkmal herausgerissen und als das zu Erklärende hingestellt ist. Und ein solcher Begriff soll als Prinzip dienen! Wir haben bisher nur die Dunkelheit und Unbestimmtheit des BECKERschen Prinzips kennen gelernt, noch nicht sein Umschlagen, also noch nicht eigentlich Falsches. Doch dies kann unmöglich ausbleiben. Das Unbestimmte ist nicht festzuhalten. Begrenzt und bestimmt aber wird ein Begriff nur durch den entgegengesetzten; wird er von dem nicht scharf geschieden, so schlägt er in ihn um, da er mit ihm zu sehr verwandt, ja im Grunde genommen identisch ist. BECKERs Begriff des Organismus nun hat sein Wesen im Zweck, also seinen Gegensatz in der kausalen Naturbetrachtung. Die in letzterer hervortretenden Kategorien sind Ursache und Wirkung, Kraft und Äußerung; und gerade hier gelten besonders die Bestimmung von Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit. Bei SPINOZA, der nur die Ursache gelten läßt, herrscht darum auch ausschließlich die Notwendigkeit, welche sich wegen ihrer Unwandelbarkeit in Gesetze fassen läßt. Diese Momente aber gerade, die Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit, sind es, welche bei BECKER fast ausschließlich als Merkmale des Organischen hervortreten; denn das Moment des Natürlichen wird nichtssagend, wenn es mit organisch gleichbedeutend wird, und der Zweck schwindet bis auf wenige Anklänge und hohle Phrasen gänzlich aus BECKERs Betrachtungsweise. So haben wir schon gelesen, daß das Organische vom Werk menschlicher Erfindung und Kunst dadurch geschieden wird, daß dieses durch Willkür, jenes aber mit Notwendigkeit entstanden ist. Es kommt noch Folgendes hinzu. Die ursächliche Betrachtung wird vornehmlich dort angewendet werden, wo wir den Zweck nicht vollständig erkennen, oder wo er so niedrig ist, daß er die Ursachen in ihrer vereinzelten, blinden Wirkung wenig oder gar nicht hemmt; und sie wird auch absichtlich einseitig verfolgt werden müssen, um die Verhältnisse der ursächlichen Wirkungsweise, durch welche allein sich der Zweck verwirklichen kann, ansich genau zu erforschen. Wie will man begreifen, was sie im Dienst des Zwecks leisten, wenn man nicht weiß, was sie für sich, vereinzelt, also gewissermaßen in ihrer Autonomie wirken. Physik und Chemie sind, mit Hinzuziehung der Mathematik, die Wissenschaften, welche die Natur nach ihren kausalen Verhältnissen, ohne Rücksicht auf einen Zweck derselben, betrachten. Ein wesentliches Merkmal dieser Wissenschaften, das aus dieser rein kausalen Betrachtungsweise erfolgt, besteht darin, daß sie die Elemente der Natur in möglichster Einfachheit, die Kräfte in möglichst vollständiger Vereinzelung, in ihrer reinen, durch keinen Zusammenstoß miteinander gehemmter oder abgelenkter und umgestalteter Wirkungsweise zu erforschen suchen. Das ist der unorganische Charakter dieser Wissenschaften, ihre ungeheure Abstraktion oder Analyse, ihr Ab- und Auslösen der einzelnen Kräfte aus der Verflechtung von Kräften, in welcher sie von der wirklichen Natur geboten werden. Mit den Ergebnissen der Physik und Chemie geht man sodann an die Wirklichkeit selbst, um, nachdem man die Elemente derselben analytisch erkannt hat, die wirkliche Synthesis oder die Wirklichkeit in der Synthesis der Kräfte zu begreifen. Hierbei zeigt sich nun aber ein ganz auffallender Unterschied, ob man mit jenen Wissenschaften an den sogenannten Erdorganismus, das organische Planeten- oder überhaupt Sternsystem tritt, oder aber an das Reich des eigentlich oder im engeren Sinne so genannten Lebens in der Pflanzen- und Tierwelt. Astronomie, Geologie, Meteorologie sind kaum oder wirklich gar nichts anderes als von der Natur gegebene oder gelöste mechanische Probleme, physikalische und chemische Experimente, die sich von den Experimenten und Problemen des Laboratoriums, des Lineals und Zirkels nur durch ihre großartige erhabene Darstellung unterscheiden. Die Resultate jener elementaren unorganischen Wissenschaften finden hier ihre unmittelbare Anwendung, offenbaren unmittelbar ihre erklärende Brauchbarkeit. Denn auf diesen Gebieten der Wirklichkeit herrschen die elementaren Kräfte noch in ihrer Vereinzelung, noch in reiner Kausalität, noch nicht gebändigt durch den Zweck, weil der hier waltende Zweck noch so gestaltlos ist, daß sie ihm dienen, sogar in ihrem selbständigen Wirken. Die Rücksicht auf den Zweck ist hier eine so unbestimmte - eben weil es der Zweck noch selbst ist; und das Unbestimmte läßt sich auch nur unbestimmt berücksichtigen - daß das Begreifen der hier auftretenden Erscheinungen und Verhältnisse aus der reinen Ursächlichkeit in voller Befriedigung gelingt, und erst neue tatsächlich gegebene, aber zunächst dem vorliegenden Gegenstand fernliegende, Elemente hinzugenommen werden müssen, um das Bedürfnis und die Möglichkeit der Zweckbetrachtung zu erzeugen. Die Gestaltung der Erde z. B. im Verhältnis ihres festen und flüssigen Elements oder von Land und Wasser zueinander, die bestimmte Form der Gebirgszüge und ihre Entstehung selbst und die Lage der Erdschichten, all das und vieles andere, was hierher gehört, läßt sich durch die ursächliche, physikalische und chemische Betrachtung begreifen, und wir haben kein Bedürfnis nach dem Zweck zu fragen. Nehmen wir aber die Geschichte hinzu, führen wir also ein neues, aus dem vorliegenden Gegenstand selbst sich noch nicht ergebendes Element ein, so entsteht die Zweckbetrachtung, indem wir etwa fragen, wie mußte das Land beschaffen sein, in welchem ein Volk solche Taten vollführen sollte. Die Entwicklung der Weltgeschichte, wie sie in den Küstenländern des Mittelmeers stattfindet, war durch die Beschaffenheit dieser Länder bedingt und hätte nicht bloß nicht im Innern Afrikas, in Hochasien, sondern auch nicht in Amerika so vor sich gehen können. Diese teleologische Betrachtung der Gestaltung der Erdoberfläche ist eine von den glänzendsten Seiten unseres Gründers der wissenschaftlichen Geographie, des geistvollen RITTER. Und so mag man die Erde, das All, immerhin nach allen Erscheinungen als Organismus, teleologisch ansehen: der Unterschied zwischen dieser Betrachtung und der des engeren Lebens in Pflanzen und Tieren ist darum doch auch für die Wissenschaft nicht minder klaffend wie für die gemeine Anschauung. Dem Erdorganismus ist der Zweck ein transzendenter, außerhalb seiner liegend, daher weist er nicht aus sich selbst auf ihn; dem lebendigen Wesen ist er immanent. Die Erdgestaltung zeigt einen Zweck, wenn sie in ihrem Verhältnis zur Geschichte betrachtet wird; aber das Auge kann gar nicht betrachtet, erkannt werden ohne Rücksicht auf den Zweck, auf das Sehen; denn dies ist ihm innewohnend, und das Auge ist ohne Sehen ein Nichts. Diese einfache Betrachtung führt uns nun dennoch dazu, zu behaupten, was wiroben nach BECKERs Auffassung der Sache leugneten, daß mit dem Begriff des Organismus, weil er methodologisch bestimmt ist, ein Unterschied innerhalb der Dinge gemacht werden kann. Die Möglichkeit beruth zunächst darauf, daß sein formaler Inhalt nicht ein bloß subjektiver, sondern auf die objektive Beschaffenheit der Dinge gegründet ist. Genau genommen aber habe wir auch im Obigen noch gar nicht die Dinge in organische und unorganische eingeteilt, sondern nur in solche, auf welche die Zweckbetrachtung notwendig, und solche, auch welche sie nur mittelbar angewandt wird. Wir gehen nun aber allerdings nocht weiter und sagen: wenn gewisse Dinge unmittelbar aus sich auf einen Zweck weisen, den sie in sich tragen, und als solche organisch genannt werden, andere dies nicht tun und unorganische heißen, so kommt das daher, weil sie verschiedener Art sind. Nicht bloß die Zweckbetrachtung, sondern auch die ursächliche ist bei den organischen, d. h. im engeren Sinne lebenden Dingen eine ganz andere. Die Ergebnisse der einfachen Physik und Chemie sind auf die lebenden Pflanzen udn Tiere nicht anwendbar, sondern müssen erste eine Umgestaltung erfahren, wenn mit ihnen der organische Körper begriffen werden soll: weil die Kräfte in diesem gar nicht in der Vereinzelung wirken, wie sie in der Physik und Chemie betrachtet werden und wie sie im Erdkörper und im Planetensystem wirklich auftreten, sondern nur in einer so vielfach verschlungenen Verknüpfung, daß sie dadurch von ihrer ursprünglichen Bahn abgeleitet, in ihrer Wirkungsweise abgewandelt werden. So erkennt nun die Naturwissenschaft den Unterschied von organischen und unorganischen Dingen vollständig an, indem sie die Physiologie von der Physik und die organische Chemei von der unorganischen scheidet. Dieser von der Wissenschaft wie von der gemeinen Anschauung anerkannte, auf methodologische wie auch auf objektive und kausale Verhältnisse gegründete Unterschied von organischen und unorganischen Dingen innerhalb der Natur ist auch der eigentliche Grund der oben dargestellten ersten Verdrehung in BECKERs Anschauung. Nach dem eben Gesagten, hoffen wir, wird der Leser erkennen, wie berechtigt, wie tief sogar BECKERs Anschauung ihrem über sich selbst unbewußten dunklen Streben nach ist; aber zugleich auch, daß sie wirklich durchaus unklar geblieben ist, und ihre Elemente in Verwirrung geraten sind. Ein durchgreifender, bis auf den Grund zerstörender Fehler aber, der sich hier zunächst ergibt, und der auch von BECKER anerkannt werden muß, indem im Hintergrund seines Geistes ein unorganischer Teil der Natur einem organischen gegenübersteht, ist folgener. Wenn man, wie BECKER in seiner Unklarheit tut, den Unterschied organischer und unorganischer Wesen in der Natur, toter und lebender, verwischt, und das All organisch lebend sein läßt, so hat man in Wahrheit nicht alles für die Anschauung belebt, sondern getötet. Oben sahen wir, daß BECKER den Tod aus dem All gestrichen hat; er hat vielmehr das Leben gestrichen; denn nur was stirbt, lebt. Wenn er das All organisch nennt, so kann er die Grundbestimmung des Organismus und seine wesentlichsten Merkmale nur dem Punkt entlehnen, der allen Dingen gemeinsam ist - und heißt das nicht das Leben zum Tod herabsetzen, wenn man es wesentlich von derselben Seite wie den Tod auffaßt? - Wenn BECKER als Grundbestimmung des Organismus den Zweck hervorhebt, so haben wir oben schon gesehen, in welche Verlegenheiten und Verwirrungen ihn dieser zu weite und zu enge Begriff führte, und werden das falsche Wesen dieses Begriffs bei BECKER bald noch gründlicher kennen lernen. Daß er mit den Merkmalen der Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit sogar in die kausale Betrachtung fällt, daß das des Natürlichen abermals zu eng und zu weit und nichtssagend ist, haben wir ebenfalls schon gesehen und werden wir noch bald mehr sehen. Hier aber wollen wir besonders das Merkmal des Gegensatzes als den oben bezeichneten wahrhaft zerstörenden Fehler betrachten. Dieses Merkmal nämlich ist wesentlich dem Erdorganismus, also wie wir jetzt wissen, dem Reich des Unorganischen entlehnt, dem Reich, wo die Kräfte in voller Einseitigkeit wirken und in ihrer Vereinzelung, wie sie eben sind, dem Zweck genügen, wo die Zweckbetrachtung noch keinen Raum hat, die reine Ursächlichkeit herrscht. Polarität ist die Gliederung dieser elementarsten Kräfte, und somit der Gegensatz die elementarste, also abstrakteste Form der Besonderung. wir nennen dieses gabelförmige Spalten in Gegensätze eben nur Besonderung, nicht etwa Gliederung, Entwicklung, welche wir ausschließlich für das engere Leben aufbewahren, wie für den Geist. Diese Polarität aber, der Gegensatz, ist bei BECKER die einzige Weise der Besonderung, und sie gerade ist der Tod aller organischen Gliederung und Entwicklung. - Indem BECKER den Gegensatz zum Charakter des organischen Lebens macht, wird ihm dieses zur leeren Phrase. Es heißt bei ihm in § 7 am Anfang:
Das eine allgemeine Leben der Natur ist der eine Tod, die eine Starrheit der Natur. Der Begriff des Organismus, des Lebens, hat nur Wert und Sinn im Gegensatz zu einem unorganischen, toten Teil der Natur, der dem organischen Teil fortwährend dient, den sich dieser fortwährend dienstbar zu machen, von dem er sich zu erhalten, zu ernähren, aus dem er Stoff und Kraft borgen, dessen polares Wirken er auszugleichen, dessen Gegensätze er zu fesseln, den er sich zu assimilieren, anzueignen hat. Er fällt dagegen ihm anheim, sobald er die Kraft ihn so zu beherrschen verloren hat. Es herrschen im Reich des Organismus nicht eigentlich andere Gesetze als in der unorganischen, mechanischen Natur; sie bestehen beide aus denselben elementaren Stoffen, und diese haben immer dieselben Kräfte. Aber die allgemeinen Gesetze der Natur, die im Reich des Mechanismus und Chemismus in ihrer Einfachheit und Selbständigkeit auftreten, sind im Organismus so kunstvoll ineinander verflochten, so eigentümlich aneinander gebunden, daß ihre Wirkungen, sich gegenseitig von der einfachen ihnen ursprünglich angehörenden Bahn ablenkend, durchaus andere werden. Durch die Weise ihres Zusammenwirkens können auch diese ansich rein mechanischen Kräfte nicht anders, als sich fortwährend aus der Vorratskammer der unorganischen Natur verstärken, zugleicht aber auch diese Verstärkungen wieder in die Vereinigung ziehen, in welcher sie selbst stehen, und also die neue Kraft sogleich mit der Aufnahme ihrer Selbständigkeit berauchen und ihre Wirkung in die Bahn lenken, welche durch die Zusammenfassung der Kräfte im Organismus geschaffen ist. Der Feind des Organismus liegt nicht mehr außerhalb seiner in der ihn umgebenden unorganischen Natur, sondern innerhalb seiner; denn alle Kräfte, die in ihm zusammengehalten, deren Verwandtschaft und gegenseitige Zuneidung, wie sie in der Gemäßheit ihrer Gegensätze stattfinden, unterdrück und unwirksam gemacht werden, und zwar so, daß sie sich selbst gegenseitig hemmen, tun dies doch nur mit Verleugnung und zum Trotz ihres selbständigen einzelnen Wirkens. Sie tun sich selbst diese Gewalt an, sich gegen ihre ursprüngliche Richtung und beckerisch "organischen Differenzverhältnisse" zu vereinen; aber diese Gewalt läßt der Spannung dieser Gegensätze gegenüber nach; umso stärker wird ihr Streben nach Selbständigkeit und Entfaltung ihrer elementaren polaren Wirksamkeit, bis sie dieselbe schließlich erlangen und der Organismus damit zerfällt. Was also BECKER Differenverhältnis, Gegensatz nennt, das ist die polare, zwiespältige Wirkungsweise im Unorganischen. Selten auch nennt BECKER jene Namen ohne das Beiwort "organisch" hinzuzufügen, um sich und den Leser gewaltsam in der Täuschung zu erhalten, als habe man es hier mit Organischem zu tun. Ohne dieses Beiwort hätten jene Ausdrücke zu leicht und zu stark an die unorganische Natur erinnert; aber ein schönes Beiwort schläfert das eigene Gewissen wie den unachtsamen oder schwachen Leser ein. Diesen Schlaf wollen wir nun eben stören, indem wir darauf hinweisen, daß der Bestand des Organischen darauf beruth, die im Unorganischen herrschenden Gegensätze zur Gleichgültigkeit herabzusetzen, die chemischen Affinitäten oder Differenzverhältnisse zu bannen. Die elementaren Kräfte können die in ihnen liegenden, ihren Gehalt ausmachenden Gegensätze nur zur Geltung bringen, solange sie in ihrer Selbständigkeit vorhanden sind; aber einmal in eine organische Zusammenfassung von Kräften eingegangen, von einer umfassenden Einheit verschlungen, hört ihre eigentümliche Wirkungsweise auf; ihr Gehalt bleibt ihnen, aber nicht zu ihrer Verfügung; sie sind nur noch das, was sie in der Vereinigung gelten, nach der Umgestaltung, die sie sowohl leiden, als aufeinander üben. Und diese Umwandlung der Kräfte, dieses Umbiegen ihrer Wirkungsbahnen ist sogar ihr eigenes, den Gesetzen der Natur gemäßes Tun; denn täten sie es nicht aus sich, keine Macht könnte sie je organisch zusammenfassen. Es ist hier nicht der Ort zur Lösung der sehr schwierigen Aufgabe, den Unterschied zwischen Organischem und Unorganischem darzustellen, wobei man, schon aus polemischer Rücksicht, sehr leicht in die Gefahr gerät, bald die Verschiedenheit, bald die Gleichheit zu übertreiben. Wir können nicht unterlassen, auf die klassische Abhandlung "Lotzes Leben und Lebenskraft" zu verweisen, welche RUDOLPH WAGNERs "Handwörterbuch der Physiologie" als Einleitung vorgesetzt ist, und auf desselben LOTZE "Allgemeine Physiologie". Aber auch sschon von ARISTOTELES hätte es sich BECKER können sagen lassen (Über die Teile der Tiere, Anfang), wie die Spaltung in Gegensätze den Organismus zerreißt. Worauf es uns hier ankam, war, darauf hinzuweisen, daß die Entwicklung oder Gliederung des Organismus, dieser vielfachen Verbindung elementarer Kräfte, mannigfaltiger, verwickelter, beziehungsreicher ist, als die unorganische Gabelung in Gegensätze, diese elementare Besonderungsweise; jene ist nicht so geradlinig, überhaupt nicht bloß linienartig, sondern netzförmig, allseitig, auch nicht planimetrisch, sondern stereometrisch; aber auch nicht ruhend, sondern ewig bewegt, allseitig kreisend, so daß der Organismus sich selbst auf das mannigfachste dem Anblick darbietet, selbst die vielfältigsten Gesichtspunkte veranlaßt. Kein starres Oben und Unten, Hinten und Vorne, sondern alles zugleich, und eins oder das andere nur, je nachdem wo man gerade steht, wie es sich gerade zeigt; alles aus einem springenden Punkt geworden, aber nachdem es nun geworden ist, ohne Mittelpunkt und ohne Umfangslinie, sondern überall Mitte und überall Oberfläche; kein Punkt aus dem andern entstanden, alles mit und nebeneinander, oder vielmehr ineinander - kurz nichts als Gegensatz, aber nicht einfacher, sondern einheitlich vielfacher, allseitiger; sich ewig bekämpfend, ewig versöhnt - ewiges Spiel. BECKER gibt auf der ersten Seite seines Werkes eine Definition der organischen Verrichtung. Aber welche Unmethodik liegt darin und welche Unklarheit verrät es, abgelöst von der Definition des Organismus überhaupt und noch vor einer solchen eine Definition der organischen Verrichtung zu geben! Doch sehen wir sie an:
Wenn es so, wie wir im Obigen gezeigt haben, mit dem Prinzip steht, wie soll es mit der Entwicklung werden? Wird denn wohl aus einem so unklar gefaßten, so vielfältig verschobenen Begriff - verschoben nach seinem Wert und seiner Bedeutung: da er, ansich formal bestimmt, material genommen wird; verschoben nach Umfang: da er der Wahrheit und der Meinung BECKERs gemäß innerhalb der Natur eine Grenze ziehen sollte, der gegebenen Stimmung gemäß über die Natur hinausreicht, der Anwendung nach aber die Natur deckt; verschoben nach seinem Inhalt: da der Zweck als seine Grundbestimmung behauptet wird, seine Merkmale aber den ursächlichen unorganischen Verhältnissen entlehnt sind - wird aus ihm eine Entwicklung möglich sein? Wir können die Unmöglichkeit im Voraus befürchten; aber wir müssen das Gegebene prüfen. Vielleicht auch daß sich BECKER nachträglich korrigiert. und als Organismus. § 10. Nominaldefinition der Sprache BECKER beginnt sein Werk: "Man versteht unter Sprache" - hiermit wird eine Worterklärung, eine Nominaldefinition angekündigt, die nur den Zweck haben kann, vor allem zu bestimmen, von welchem Gegenstand die Rede sein soll. Mit einer solchen zu beginnen, ist nicht nur durchaus erlaubt, sondern meist ratsam, oft unerläßlich; die Mathematik, die strengste Wissenschaft, beginnt mit Worterklärungen. Sie sind aber nicht ohne Gefahr des, wenn auch unbeabsichtigten, Mißbrauchs. Logisches Gesetz ist: sie dürfen nie mehr enthalten, als: unter diesem Wort sei folgender Begriff verstanden; sie dürfen nicht - und hierin liegt die Gefahr -, zu Realdefinitionen werdend, das Wesen der Sache aussprechen, welches eben erst im Verlauf der Arbeit zu erweisen ist. Sie sind ein Mittel zur Verständigung, sie ersetzen das materiale Zeigen eines Dings; aber sie können und dürfen keine Wahrheit aussprechen, keine Erkenntnis. Sie bestimmen den Sprachgebrauch des Schriftstellers, der allemal zugestanden werden muß, weiter nichts. Heutzutage, wo man vielfacht gewöhnt ist, verächtlich von der formalen Logik zu sprechen, hat man an ihre Regeln ausdrücklich zu erinnern. Hören wir also BECKER:
Das tiefste und das ganze Wesen der Sprache wird im ersten Satz ausgesprochen; aber wie? natürlich wie etwas ohne alle Vorbereitung Vorausgegriffenes nur gesagt sein kann: unbestimmt, nach allen Seiten überschwankend, nirgends eine bestimmte Grenze ziehend, zu eng und zu weit, mit einem Wort: nichtssagend. Ein solcher Satz kann bloß durch Achselzucken kritisiert werden, wird es aber dadurch auch wirklich. In Folgendem tun wir nicht mehr als dieses Achselzucken in Worte übersetzen. Daß durch irgendeine Verrichtung jemals der Gedanke, das rein Ideale, Immaterielle, in Erscheinung treten kann, und daß dies in der Sprache geschieht, begreift man zunächst nicht; "der gegenseitige Austausch der Gedanken" mag zugestanden, soll aber eben erst erklärt werden; "die Gemeinschaft des geistigen Lebens in einem ganzen Geschlecht" ist eine bombastische Phrase; daß die gesprochene Sprache ferner "ein Produkt der menschlichen Natur" ist, ist ein unbestimmter Ausdruck und bekanntlich zu allen Zeiten mindestens auch geleugnet worden; daß aber gar in diesem "Produkt der menschlichen Natur" die "vom menschlichen Geist gebildete Weltansich ausgeprägt und niedergelegt" ist, ist ein Widerspruch in sich selbst; denn wie soll der Geist im Produkt der Natur etwas niedergelegt haben? Schließlich und endlich stehen die beiden angegebenen Bedeutungen der Sprache, als Verrichtung und Produkt, im Widerspruch zueinander, und man begreift nicht, wie man ohne wesentliche Nachteile für die Erkenntnis mit einem Wort zwei entgegengesetzte Begriffe oder Sachen verbinden soll. Kurz in BECKERs Anfangssatz liegen mit dem Wesen der Sprache auch alle Schwierigkeiten dieses rätselhaften Wesens: während es Aufgabe gewesen wäre, diese Schwierigkeiten zu entwickeln, dem Leser zu zeigen. Hat man so das Endergebnis unbegriffen und unbestimmt am Anfang vorausgenommen, so hat man ich damit schon die Möglichkeit abgeschnitten, dasselbe als eine schließliche Folge einer Reihe unleugbarer oder sich einander stützender Sätze zu erweisen und nach seinem vollen Umfang und mit klarer Übersicht der in ihm enthaltenen Momente zu begreifen. Oben fürchteten wir, die Unklarheit, die Verworrenheit des Begriffs Organismus bei BECKER, seines Prinzips, wird keine Entwicklung zustande kommen lassen; wir haben jetzt einen neuen Grund zur Befürchtung, der mit dem ersten gewiß in Zusammenhang steht. Die ursprüngliche Unklarheit des Prinzips und das Vorausgreifen des Ziels begünstigten einander, standen in einem organischen Wechselverhältnis. Zunächst gesellen sich zu den erwähnten Widersprüchen neue, alle ungelöst, weil unbemerkt. "Die gesprochene Sprache ist aber ein durch die Verrichtung des Sprechens gewordenes" - das widerspricht dem, daß sie ein Produkt ist; denn etwas durch eine Verrichtung Entstandenes ist etwas Gemachtes, kein Produkt; Produkt aber ist dasjenige, was nicht gemacht, sondern von selbst gewachsen, geworden ist. Ferner ist die Sprache ein Produkt der Natur, so ist sie nicht durch die Verrichtung erst geworden; sondern die Verrichtung des Sprechens ist bloß die Anwendung der Sprache, des gegebenen Naturprodukts - "und eigentlich ein durch diese Verrichtung noch in jedem Augenblick werdendes" - aber wie ist das denkbar? Es ist hier gar nicht zu untersuchen, ob nicht diese Widersprüche objektiv im Wesen der Sache liegen; denn BECKER hat sie nicht als solche Widersprüche dargestellt, noch weniger gelöst oder zu lösen gesucht. Sie sind ihm selbst nicht zur Klarhei geworden; er kann die Widersprüche noch nicht einmal bestimmt aussprechen. Daß das Gewordene in jedem Augenblick noch wird, wer wüßte das nicht nach dem alten panta rhei? [alles fließt - wp] Was hätte hieran die Sprache Besonderes? In ihr aber herrscht wirklich dieser Gegensatz des Werdens und Gewordenseins in viel tieferer Weise als von BECKER gesagt und erkannt ist. - Doch hören wir weiter:
Die Wahrheit des in diesem Eingang Gesagten konnte nicht geprüft, nur die Unmethodik konnte dargelegt werden, welche aus Unklarheit entsprungen, den Nebel verstärkt. Schließlich jedoch noch folgende Bemerkung. Eine Nominal-Definition sollte gegeben werden; stattdessen wird man mit sowohl in sich selbst widerspruchsvollen als auch sich einander widersprechenden Sätzen, welche eine Realdefinition enthalten, überschüttet. Aber nicht bloß diese wird nicht erreicht, sondern auch nicht einmal das, was eine Nominaldefinition leisten sollte, den Gegenstand der Verhandlung zu bestimmen. Wie könnte man den aus der ganzen mitgeteilten Stelle erkennen? Man könnte bei allem Gesagten viel eher an Schreiben und Schrift, d. h. auch an Bilderschrift und Knotenschnüre, denken; ja auf Schreiben und Schrift paßt jener Unterschied von Verrichtung und Produkt und ihre Einheit, wie das von BECKER bestimmt ist, viel besser als auf Sprache. Hier ist zumindest Stetiggewordenes. Wenn man so, wie BECKER es getan hat, das Ende an den Anfang setzt und sich dadurch den ganzen Weg der Entwicklung abschneidet, so ist natürlich Bewegung nur scheinbar möglich, man rückt nicht von der Stelle, man dreht sich im Kreis. Das ist die Tautologie: sie haftet an BECKERs Fersen wie ein Fluch; wir sind ihr wohl schon oben bei der Definition der Verrichtung begegnet und werden sie weiter nachweisen im Einzelnen und im Ganzen. nachgewiesen in der Sprache. Auf den betrachteten Eingang folgt die seiner würdige, oben schon besprochene, Definition der organischen Verrichtung; aus ihr will BECKER erweisen, daß auch die Sprache eine organische Verrichtung ist. Das kann nach der Beschaffenheit dieser Definition, wonach alles Mögliche organisch ist, nicht schwer sein. Schwer wäre nur das Gegenteil, wie es auch BECKER unterlassen hat, dieses Gegenteil, das Tote und die Freiheit, wirklich nachzuweisen. Das Anziehende im Folgenden liegt also nur darin, zu sehen, teils wie sich BECKER bei dieser Arbeit, die keine ist, benimmt, teils aber auch, als welche Art der organischen Verrichtung die Sprache von ihm bestimmt wird. Es werden die beiden in der Definition gegebenen Merkmale: die aus dem Leben des Dings notwendig folgende Entstehung und die Rückbeziehung auf das Leben als den Zweck, jedes besonders hinsichtlich der Sprache untersucht. Zuerst heißt es:
in der Sprache. Die Erfahrungen, auf die sich BECKER beruft, um zu erweisen, daß das Denken erst im Sprechen seine Vollendung erreicht, werden wir später betrachten. Wir gehen also jetzt zum zweiten Merkmal des Organischen über, zum Zweckverhältnis und wollen sehen, wie BECKER dies in der Sprache nachweist. Wenn es leicht war, hinsichtlich der Sprache die notwendige Entstehung und den organischen Zusammenhang mit dem Wesen des Menschen nachzuweisen vermöge der Phrase der Erscheinung des Geistigen im Leiblichen, so ist der Nachweis dieses Zweckverhältnisses noch leichter. Denn BECKER durfte ja nur folgenden Schluß aufstellen: Der Mensch ist nur Mensch durch Denken; denken aber kann er vollkommen nicht, ohne zu sprechen; folglich geht die Sprache nicht bloß mit innerer Notwendigkeit aus dem Denken hervor, sondern hat auch nur das Denken, die eigentliche Menschlichekt im Menschen zum Zweck. So verfährt aber BECKER nicht. Je näher dieser Schluß jedoch lag, umso einfacher und natürlicher er sich darbot, und umso ferner das lag, was an seine Stelle tritt, umso mehr wird sich behaupten lassen, es sei kein Zufall, daß ihn BECKER liegen ließ und nach etwas anderem griff, er mag es übrigens mit oder ohne Absicht und Bewußtsein getan haben. Es ist ganz unleugbar und eine Tatsache, die der Psychologe zu entwickeln hat, daß sich im Gedankengang des Menschen Reflexionen durch eine wesentliche Leitung geltend machen, ohne in das Selbstbewußtsein zu treten. Diese unbewußten Führer der Gedanken ans Licht zu ziehen, ist das vorzüglichste Geschäft des Kritikers - ein Geschäft, gefahrvoll, aber nicht bloß unvermeidlich, sondern sogar möglich mit überzeugender Kraft durchgeführt zu werden. Was den obigen Schluß betrifft, so ist er nur scheinbar ein Schluß: das hat BECKER gefühlt, und dieses Gefühl hat ihn von demselben zurückgehakten. In demselben liegt nämlich gar kein Fortschritt; sondern seine drei Sätze sagen dasselbe mit anderen Worten. Da er aber eigentlich in BECKERs Definition der organischen Verrichtung liegt, so stoßen wir hier abermals, aber umfassender und tiefer, auf die Tautologie dieser Definition. Nicht bloß, daß in demselben das erst zu definierende Wort vielfach gebraucht wird; sondern die beiden Merkmale sind selbst wieder dasselbe. Oder wo ist der Unterschied, ob ich sage, es geht eine Verrichtung mit einer inneren Notwendigkeit aus dem Leben hervor; oder ob ich sage, eine Verrichtung hat das Leben zum Zweck? Denn, muß eine Verrichtung notwendig aus dem Leben hervorgehen, so wäre das Leben nicht eben dieses selbst, wenn jene nicht aus ihm hervorginge; damit also das Leben es selber ist, zu diesem Zweck geht jene Verrichtung aus ihm hervor; oder diese hat den Zweck das Leben erst zum Leben zu machen - d. h. es ist hier nur ein leeres logisches Formel-Spiel, in welchem die Verrichtung bald als Folge, bald als Mittel angesehen wird. Sie ist aber nur darum beides, weil sie keins von beiden ist: sie ist scheinbar, beliebig nach subjektiver, sophistischer Auffassung, das eine wie das andere; sie ist aber in Wahrheit, in echt spekulativer Auffassung vielmehr eine von den vielen Seiten, welche zusammen das Ganze des vielseitigen Lebens bilden. Das Atmen z. B. ist weder eine notwendige Folge, noch Ursache des Lebens; ist weder Zweck des Lebens, noch hat es dasselbe zum Zweck; sonder es ist eben das Leben nach einer Seite seines Seins. Und so erkennen wir nun das idem-per-idem jener BECKERschen Definition auch im Ganzen: indem nicht nur die beiden Merkmale nur eins sind, sondern auch mit dem zu Definierenden zusammenfallen; so daß eigentlich nur gesagt wird: eine organische Verrichtung ist eine Verrichtung, welche organisch ist. Nach einer solchen Definition läßt sich natürlich alles als organisch erweisen. Das Fließen des Flusses z. B. ist eine organische Verrichtung; denn es geht mit innerer Notwendigkeit aus dem Leben des Flusses hervor und hat dieses Leben zum Zweck. BECKER hat dies nicht erkannt; ein horror vacui [Schrecken vor der Leere - wp] aber, der dem Geist eingeprägt ist, hat ihn von unserem obigen Schluß zurückgehalten, in welchem das Vakuum seiner Tautologie klar an den Tag gekommen wäre. BECKER will doch nun aber einmal noch ein zweites Merkmal des Organischen aufgestellt haben, will doch nun einmal dieses in der Sprache finden; und was kann der Mensch nicht alles, wenn er will! Suchet, so werdet ihr finden! BECKER hat gefunden:
Das ist nun aber erstens, wenn auch keine beabsichtigte, aber doch wirkliche Sophisterei. Wäre jene Definition zutreffend, so müßte jedes ihrer Merkmal auf jede Seite des Definierten passen, da diese Seiten doch in einer wirklichen Einheit liegen müssen. Unser obiger Schluß erfüllt diese Forderung; nämlich so: die Sprache ist organisch, nicht bloß nach der Seite ihres notwendigen Zusammenhangs mit dem Denken, sondern auch nach der andern, wonach sie die Gedankenmitteilung bewerkstelligt. Diese nämlich muß sein, folglich muß Sprache sein - das ist die Entstehung mit innerer Notwendigkeit -; und sie hat diese dem geistigen Leben unentbehrliche Mitteilung, also das geistige Leben selbst zum Zweck - das ist das organische Zweckverhältnis -: die Forderung ist erfüllt, aber im leersten Formalismus; und man wird durch solche Schlüssen SAPHIR erinnert. BECKER hat nicht so geschlossen; aber wie schlimm, daß es ihm noch zum Vorwurf gereicht, nicht einmal so geschlossen zu haben! Denn nicht bloß ist die Weise, wie BECKER stattdessen verfuhr, sophistisch; sondern zweitens fällt hier BECKER wieder aus seiner Anschauung des Organischen zurück; denn die Sprache als Werkzeug zur Mitteilung ansehen, heißt, sie als ergon [Werkzeug - wp], wie HUMBOLDT es nennt, d. h. sie unorganisch, als Ding betrachten. Denn als solches Werkzeug wirkt eben die Sprache nur wie ein Werkzeug, wie Gebärdensprache, Bilderschrift, und sogar wie willkürliche Zeichen. In der angeführten Stelle sagt auch BECKER weiter nichts, als daß die Sprache nicht bloß auf die Befriedigung äußerlicher Bedürfnisse gerichtet, sondern auch dem geistigen Leben notwendig ist. Dasselbe aber gilt von der Schrift, von der Buchdruckerei und sogar von gewissen sozialen Instituten für "gesellige Mitteilung der Gedanken und eine Vereinbarung des individuellen Denkens zu einer Allen gemeinsame Weltanschauung", wie Akademien oder Kaffeekränzchen usw. Schließlich müssen wir noch den Schein aufheben, als sei im ganzen Verlauf des beinahe vier Seiten langen § 1. irgendeine fortschreitende Entwicklung gegeben, ein Begriff in seine Momente zerlegt, oder gar eine Reihe von Gedanken auseinander abgeleitet; denn alles Gesagte war ja schon vollständig im ersten Satz ausgesprochen:
Wir haben bisher die Sprache nur nach dem Entweder, d. h. als Sprechen, als Verrichtung betrachtet; welches Schicksal wird sie im Oder, d. h. als gesprochene Sprache haben? BECKER sagt § 3:
Hiermit haben wir BECKERs Grundgedanken geprüft und nichts als leere Tautologien und Phrasen gefunden. Wir wollen aber noch, bevor wir weitergehen, seine Ansicht über die Entstehung der Sprache prüfen. Dieser Punkt ist schon bei der Gelegenheit des ersten organischen Merkmals der Sprache besprochen worden. Das dort Gesagte hat sich für uns in nichts aufgelöst. Da aber dieser Punkt so wichtig ist, so müssen wir sehen, ob vielleicht an einem anderen Ort, wo derselbe ausführlicher dargestellt wird, die Phrase der organischen Verleiblichung des Geistigen einen wahren Gehalt findet. BECKER sagt in seinem Werk "Das Wort" (Seite 252:
Denn ersten zeigt uns zwar der Physiologe, wie sowohl die Atemwerkzeuge zur Ausübung ihres Amtes und zur Aufnahme des Reizes durchaus geeignet sind, ganz in Gemäßheit schon anderweitig erkannter Gesetze; als auch wie die Luft nicht anders kann, als jene zu reizen. BECKER aber zeigt nicht, wie der Gedanke für die Tätigkeit der Sprachwerkzeuge ein Reiz sein kann, ihre Bewegungen zu beginnen, und wie diese geeignet sein sollen, jenen Reiz von den Gedanken aus aufzunehmen, um dadurch in eine so bestimmte Richtung ihrer Bewegungen zu gelangen. Man verlangt also, daß wie der Physiologe uns zeigt, inwiefern der bau der Lungen und des Brustkastens, die physikalische und chemische Beschaffenheit der Luft und des Blutes den Atmungsprozeß erzeugt, ebenso BECKER zeigen soll, wie vermöge ihrer eigentümlichen Natur und Konstruktion der Gedanke und die Sprachwerkzeuge zur Erzeugung der Sprache zusammenwirken müssen. In einem Nebensatz behaupten, die Wirkung dieses Reizes und die Empfänglichkeit dafür sei "mit der Einheit des geistigen und leiblichen Lebens gegeben", und tausendmal wiederholen: "der Geist erscheint organisch im Laut," das heißt eben nur die Sache in einer Phrase aussprechen, aber nicht eine Erklärung derselben geben; höchstens wird dadurch der Anfang zur Lösung gemacht, der Weg dazu gezeigt, nicht betreten. Wir verkennen BECKERs Verdienst nicht: wenn man früher fragte, wie sind diese beiden Dinge, Gedanke und Laut zusammengekommen? - eine unbeantwortbare, weil falsch gestellte Frage - so hat BECKER eben diese Falschheit erkannt und hat ausgesprochen: diese Dinge sind nicht erst zusammengekommen, nachdem sie getrennt vorhanden waren; sondern sie sind eben nur zusammen. Das Verdienst, die Frage so zurecht gerückt zu haben, ist bedeutend; es ist aber nur der Anfang zur Lösung der Aufgabe; denn man will wissen, inwiefern folgt es aus dem Wesen des Gedankes, daß er nur mit dem Laut verbunden wirklich ist? BECKER antwortet: "Es ist ein allgemeines Gesetz, daß usw." Wenn ein solcher allgemeiner Satz das Besondere erklären soll, so ist er eine sophistische Phrase. Betrachten wir nun die Analogie zwischen Atmen und Sprechen näher, so sehen wir, daß sie zu unvollkommen ist, als daß eine genügende Durchführung möglich wäre. Denn erstens: während beim Atmen die Werkzeuge und die reizende Luft in demselben Bereich physischer Kräfte liegen, liegt bei der Sprache der Gedanke, welcher reizen soll, auf einem ganz anderen Gebiet als die Werkzeuge, die gereizt werden sollen. Das Atmen ist ein durchaus physischer Vorgang, durchaus im Gebiet der Stoffbewegung; es kommen dabei nur Gesetze in Betracht, die anderweitig vielfach angewandt und bestätigt sind. Dagegen sieht man gar nicht ein, was für ein Zusammenhang, was für eine Beziehung zwischen Gedanken und Stimmwerkzeug stattfindet, so daß jener als Reiz auf dieses wirken kann, daß es tönt, und auf die Mundhöhle und Zunge, daß sie den Ton artikulieren. Hier nur kurzweg von der äußeren Erscheinung eines Geistigen im Leiblichen reden, ist eine sophistische Phrase! Hieraus folgt nun weiter, daß auch die ganze Weise, wie der Reiz wirkt und das Reizende in den Vorgang eingreift, und das Erzeugnis des Vorgangs auf beiden Seiten so verschieden ist, daß die Analogie schwindet. Luft, das Reizmittel, dringt in die Lungen; in Berührung mit dem Blut erfährt sie Veränderungen und wird hernach ausgetrieben - alles nach gemeinen Gesetzen. Geht etwa so der Gedanke in die Sprachwerkzeuge, wird er dort in bekannter Weise verändert und dann wieder entsendet? Verhält sich der Gedanke zur Tätigkeit und zum Erzeugnis der Sprachwerkzeuge, wie die Luft zu den Atmungswerkzeugen und dem, was sie entsenden? Bei BECKER aber sind äußerliche Wirkungen, Vollführungen des Willens, Darstellung eines Unsichtbaren durch Zeichen, alles leibliche Erscheinungen eines Geistigen - Phrasen! Die größte Schwierigkeit schließlich, wodurch die Analogie nicht nur nichtssagend wird, sondern die Anschauung vom organischen Wesen der Sprache zerstört, liegt im Folgenden: Die Luft als Reizmittel für das Atmen, die Nahrung für die Verdauung sind vor der Lunge und dem Magen vorhanden und mögen wirken, sobald sie mit diesen Organen in Berührung kommen; so wie das Kind an die Luft tritt, ist diese bereit in die Lunge zu dringen, und die Nahrung wird dem Magen zugeführt: woher aber soll den Sprachorganen der Reiz kommen? da erst durch ihre Bewegung das was sie reizen soll, der Gedanke, entstehen kann? BECKER sagt:
Nach dieser Betrachtung des Grundgedankens der BECKERschen Sprachbetrachtung sind wir wohl schon berechtigt zu urteilen, daß BECKER, im anerkennenswerten Streben nach einer organischen Auffassungsweise der Sprache, sein Ziel so wenig erreicht hat, daß er zunächst in eine durchaus unorganische Anschauung verfällt, dann aberb sogar in die nichtssagendste Phrasenhaftigkeit. Wir werden dies jetzt bei der näheren Darlegung des BECKERschen Prinzips und seiner ersten Folgen noch ausführlicher nachweisen. ![]() |