DietzelWindelbandC. MengerEulenburgSpannSchmoller | |||
Die Methode der Sozialwissenschaften [3/4]
Erstes Buch 3. Kapitel Die besondere Natur der theoretischen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Volkswirtschaft hebt den Charakter der Nationalökonomie als theoretischer Wissenschaft nicht auf. Die Typen und typischen Relationen (die Gesetze) der Erscheinungswelt sind nicht durchweg von gleicher Strenge. Ein Blick auf die theoretischen Wissenschaften lehrt uns vielmehr, daß die Regelmäßigkeiten in der Koexistenz und in der Aufeinanderfolge der Phänomene zum Teil ausnahmslose, ja solche sind, hinsichtlich welcher selbst die Möglichkeit einer Ausnahme geradezu ausgeschlossen erscheint, zum Teil aber solche, welche allerdings Ausnahmen aufweisen oder hinsichtlich welcher Ausnahmen doch möglich erscheinen. Man nennt die ersteren gemeinhin Naturgesetze, die letzteren empirische Gesetze. Nun ist unter den Methodikern keine Ansicht verbreiteter, als daß auf gewissen Gebieten der Erscheinungswelt, ganz vorzugsweise aber auf jenem der Natur, strenge Typen und typische Relationen, auf anderen, und insbesondere auf jenem der Sozialphänomene, dagegen nur solche von minderer Strenge oder mit anderen Worten: nur auf ersterem Gebiet "Naturgesetze", auf dem letzteren dagegen nur "empirische Gesetze" beobachtet werden können. Diese in der allgemeinen Wissenschaftslehre vielfach verbreitete Meinung wird sich in der Folge als ein Irrtum erweisen, welchen wir an dieser Stelle vorläufig in Kürze nur dahin charakterisieren wollen, daß dasjenige, was sich bei genauer Untersuchung als das Ergebnis verschiedener Richtungen der theoretischen Forschung auf den einzelnen Gebieten der Erscheinungswelt darstellt, als die Folge der verschiedenen Natur der Erscheinungen aufgefaßt wird. Doch davon gedenken wir erst in der Folge zu sprechen. Was wir jedoch bereits hier auf das nachdrücklichste betonen möchten, ist der Umstand, daß, was immer auch der Grad der Strenge der dem Gebiet der Sozialerscheinungen eigentümlichen Gesetze sein mag und zu welchen Ergebnissen auch immer uns die Untersuchungen über die besondere Natur und die verschiedenen Arten dieser Gesetze führen werden, der Charakter der Nationalökonomie als einer theoretischen Wissenschaft hierdurch keineswegs tangiert wird. Die Typen und typischen Relationen der Volkswirtschaft mögen von größerer oder geringerer Strenge und überhaupt, welcher Natur auch immer sein: das Wesen der theoretischen Nationalökonomie kann unter allen Umständen in nichts anderem, als in der Darlegung eben dieser Typen und typischen Relationen, oder, mit anderen Worten, des generellen Wesens und des generellen Zusammenhangs der Gesetze der volkswirtschaftlichen Phänomene, keineswegs aber etwa in der Darstellung des Wesens und des Zusammenhangs individueller Erscheinungen der Volkswirtschaft, d. h. in historischen Darstellungen oder aber in praktischen Regeln für das wirtschaftliche Handeln der Menschen bestehen. Die Theorie der Volkswirtschaft darf in keinem Fall mit den historischen oder mit den praktischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft verwechselt werden. Nur wer über die formale Natur und die Aufgaben der theoretischen Nationalökonomie durchaus im Unklaren ist, vermöchte in ihr deshalb, weil die generellen (theoretischen) Erkenntnisse, die sie umfaßt, angeblich, oder in Wahrheit, eine geringere Strenge, als in den Naturwissenschaften, aufweisen, oder aber etwa aus dem ferneren Grund, weil die Tatsache der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Phänomene, wie wir sehen werden, nicht ohne Einfluß auf die Art und Weise ist, in welcher die Nationalökonomie ihre theoretische Aufgabe zu lösen vermag - eine historische Wissenschaft; nur wer das Wesen der theoretischen und praktischen Wissenschaften nicht auseinander zu halten vermag, in ihr - etwa aus dem Grund, weil sie gleich anderen Theorien die Grundlage praktischer Wissenschaften bildet, - eine praktische Wissenschaft zu erkennen. Ebenso irrig ist die vielfach hervortretende Meinung, daß, infolge der oben hervorgehobenen Umstände, der Wert der Nationalökonomie als theoretischer Wissenschaft aufgehoben werde. Selbst wenn von vornherein und ohne nähere Untersuchung zugestanden werden würde, daß die theoretischen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Volkswirtschaftlichen Erscheinungen durchweg nicht von ausnahmsloser Strenge seien, und insbesondere die Tatsache der Entwicklung der hier in Rede stehenden Phänomene Naturgesetze derselben ausschließe, selbst dann, sagen wir, könnte die obige Konsequenz keineswegs gezogen werden. Auch die Zahl der Naturwissenschaften, welche durchweg strenge Naturgesetze umfassen, ist eine geringe und der Wert jener, welche nur empirische Gesetze aufweisen, nichtsdestoweniger außer Frage. Keinem Naturforscher fällt es z. B. ein, einer Reihe von Wissenschaften, welche die Gesetze des organischen Lebens darstellen, den Charakter als theoretische Wissenschaften deshalb abzusprechen, weil dieselben empirischen Gesetze umfassen. Ebenso töricht wäre es, wollten wir das mächtige Hilfsmittel, welches selbst minder strenge Theorien für das Verständnis, für die Voraussicht und die Beherrschung der Phänomene gewähren, auf dem Gebiet der Volkswirtschaft verschmähen und deshalb, weil eine strenge Theorie der volkswirtschaftlichen Erscheinungen nicht erreichbar wäre, uns auf die Erforschung der Geschichte und der Statistik der Volkswirtschaft oder aber auf jene der praktischen Wissenschaften von dieser letzteren beschränken. Ein solcher Vorgang würde eine Lücke im Sinn der Wissenschaften von der Volkswirtschaft zurücklassen, eine Lücke genau von der nämlichen Art, als ob die historischen oder die praktischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft unerforscht blieben. Ob die Gesetze der Koexistenz und der Erscheinungsfolge von größerer oder geringerer Strenge sind, ist allerdings nicht ohne jede Bedeutung, sowohl für das Verständnis, als auch für die Voraussicht und die Beherrschung der Phänomene. Je größer die Strenge der Gesetze, umso größer auch der Grad von Sicherheit, mit welcher auf Grundlage dieser Gesetze über die unmittelbare Erfahrung hinaus auf den Eintritt künftiger oder auf die Koexistenz gleichzeitiger, nicht unmittelbar beobachteter Phänomene geschlossen werden kann. Daß Gesetze der Erscheinungsfolge und der Koexistenz keine strengen sind, mindert demnach ohne Zweifel die Sicherheit der auf sie begründeten Schlüsse und damit auch jene der Voraussicht und der Beherrschung der Phänomene. Alle diese Unterschiede sind jedoch in Rücksicht auf die Voraussicht und der Beherrschung der Erscheinungen nur gradueller, nicht prinzipieller Natur. Auch theoretische Wissenschaften, welche nur empirische Gesetze aufweisen, haben demnach eine große praktische Bedeutung für das Menschenleben, wenngleich an die Stelle der vollen Sicherheit der durch dieselben vermittelten Erkenntnis nur eine bald größere bald geringere Wahrscheinlichkeit tritt. Historische Erkenntnisse und das historische Verständnis der Erscheinungen ansich bieten uns dagegen diese Voraussicht usw. überhaupt nicht und sie vermögen demnach auch die theoretischen Erkenntnisse nie zu ersetzen. Historische Erkenntnisse können vielmehr stets nur das Material sein, aufgrund dessen wir Gesetze der Erscheinungen (z. B. Entwicklungsgesetze der Volkswirtschaft) festzustellen vermögen. Auch der Praktiker auf dem Gebiet der Politik muß aus der Geschichte zunächst generellere Erkenntnisse (Regeln) gewinnen, ehe er rücksichtlich der Gestalt künftiger Ereignisse seine Schlüsse zu ziehen vermag. Der Umstand, daß auf dem Gebiet der volkswirtschaftlichen Erscheinungen von einzelnen Schulen Ergebnisse der theoretischen Forschung von ausnahmsloser Strenge als unerreichbar angesehen werden, der Umstand, daß die theoretische Forschung auf dem obigen Gebiet der Erscheinungswelt in der Tat Schwierigkeiten begegnet, welche der Naturforschung in einzelnen Zweigen derselben fremd sind, der Umstand endlich, daß der theoretischen Nationalökonomie nicht durchweg Aufgaben genau von der nämlichen Art, wie den theoretischen Naturwissenschaften vorliegen, all das vermag der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der volkswirtschaftlichen Erscheinungen wohl einen besonderen Charakter zu verleihen, gewisse Eigentümlichkeiten derselben zu begründen, niemals jedoch zu bewirken, daß auf dem obigen Gebiet der Erscheinungswelt die historische oder die praktische Richtung der Forschung an die Stelle der theoretischen treten und diese ersetzen könne. Die theoretische Nationalökonomie kann niemals eine historische, oder, wie manche wollen, als eine praktische Wissenschaft aufgefaßt werden. Wir müssen uns vor einem doppelten Fehler in der Forschung auf dem Gebiet der politischen Ökonomie zu bewahren suchen. Es wäre ein schwerwiegender Irrtum, die Eigentümlichkeiten jenes Gebietes von Erscheinungen, welches wir die Volkswirtschaft nennen und demgemäß auch die Besonderheit der Aufgabe zu verkennen, welche uns die theoretische Forschung auf dem obigen Gebiet der Erscheinungswelt darbietet; es wäre indessen ein noch größerer Irrtum, würden wir in dem Bestreben, den obigen Eigentümlichkeiten der Forschung gerecht zu werden, die theoretische Forschung auf dem Gebiet der volkswirtschaftlichen Erscheinungen überhaupt, sei es nun ausdrücklich oder stillschweigend, preisgeben und, um die Theorie der Volkswirtschaft unter einem besonderen, etwa dem historischen Gesichtspunkt zu erfassen, die Theorie der Volkswirtschaft selbst aus dem Auge verlieren. Über die zwei Grundrichtungen der theoretischen Forschung überhaupt und jener auf dem Gebiet der Volkswirtschaft insbesondere Im zweiten Buch soll das Wesen des "historischen Gesichtspunktes" in der Politischen Ökonomie oder richtiger gesagt, der Einfluß geschildert werden, welchen die Tatsache, daß die volkswirtschaftlichen Phänomene Entwicklungen aufweisen, auf die theoretischen und praktischen Wissenschaften von der Volkswirtschaft und die Natur ihrer Wahrheiten übt. Ehe wir jedoch an die Lösung dieser Aufgabe schreiten, müssen wir noch eines Irrtums gedenken, welcher in nicht geringerem Maße, als die in den beiden vorangehenden Kapiteln gekennzeichneten, zur Verwirrung der methodischen Lehrmeinungen der historischen Schule deutscher Nationalökonomen beigetragen hat und dessen Erörterung an dieser Stelle deshalb nicht umgangen werden kann. Wir möchten aber die Aufmerksamkeit unserer Leser inbesondere auf die nachfolgenden Untersuchungen lenken, nicht nur weil dieselben einen grundlegenden methodischen Irrtum der historischen Schule bloßlegen, ohne dessen Erkenntnis die Stellung der letzteren zu den hier behandelten Fragen nicht vollständig erfaßt zu werden vermag, sondern weil dieselben zugleich in mehr als einer Rücksicht ein helles Licht auf die erkenntnistheoretischen Probleme unserer Wissenschaft werfen. Wir haben oben zwei Hauptrichtungen der Forschung überhaupt und jener auf dem Gebiet der volkswirtschaftlichen Erscheinungen insbesondere unterschieden: die individuelle (die historische) und die generelle (die theoretische). Die erstere strebt nach der Erkenntnis des individuellen Wesens und des individuellen Zusammenhangs, die letztere nach jener des generellen Wesens und des generellen Zusammenhangs der Erscheinungen. Nun wäre es aber eine Forschung auf den verschiedenen Gebieten der Erscheinungswelt und selbst jene auf irgendeinem speziellen Gebiet derselben, z. B. auf dem der Volkswirtschaft, notwendig eine unterschiedslose sei. Gleichwie die individuelle Richtung der Forschung in verschiedene speziellere Richtungen (die geschichtliche im engeren Verstand, die statistische usw.) zerfällt, welche insgesamt zwar den Charakter der individuellen Richtung der Forschung an sich tragen, aber zugleich, im Verhältnis zueinander, gewisse Besonderheiten aufweisen, so zerfällt auch die theoretische Forschung in mehrere Zweige, von denen jeder einzelne zwar den Grundcharakter der generellen Richtung der Forschung an sich trägt, d. h. die Feststellung der Typen bzw. typischen Relationen der Erscheinungen zum Gegenstand hat, indessen die obige Aufgabe nicht notwendig unter dem gleichen Gesichtspunkt löst. Die Feststellung der für unsere Wissenschaft wichtigsten Richtungen der theoretischen Forschung und somit die Bekämpfung der von den Methodikern fast ausnahmslos festgehaltenen Meinung, daß es nur eine Richtung der theoretischen Forschung gebe oder aber doch die exakte oder aber gar die geschichtlich-philosophische, die theoretisch-statistische usw.) bestimmten Gebieten der Erscheinungswelt überhaupt und jenen der Volkswirtschaft insbesondere adäquat sei, ist der Gegenstand der nachfolgenden Untersuchungen. Der Zweck der theoretischen Wissenschaften ist das Verständnis, die über die unmittelbare Erfahrung hinausreichende Erkenntnis und die Beherrschung der realen Welt. Wir verstehen die Erscheinungen durch Theorien, indem dieselben in jedem konkreten Fall lediglich als Exemplifikationen einer allgemeinen Regelmäßigkeit vor unser Bewußtsein treten, wir erlangen eine über die unmittelbare Erfahrung hinausreichende Erkenntnis der Erscheinungen, indem wir im konkreten Fall, auf Grundlage der Gesetze der Koexistenz und der Erscheinungsfolge, aus gewissen beobachteten Tatsachen auf andere, unmittelbar nicht wahrgenommene schließen; wir beherrschen die reale Welt, indem wir, auf der Grundlage unserer theoretischen Erkenntnisse, die in unserer Gewalt befindlichen Bedingungen einer Erscheinung setzen und solcherart diese letztere selbst herbeizufüren vermögen. Das Streben nach Erkenntnissen von so großem wissenschaftlichen und praktischen Interesse, das Streben nach Erkenntnis der Typen und typischen Relationen der Erscheinungen, ist dann auch so alt, wie die Zivilisation und nur der Grad der Ausbildung dieses Erkenntnisstrebens hat sich im Laufe der Kulturentwicklung überhaupt und der Entwicklung der Wissenschaften insbesondere, gesteigert. Der nächstliegende Gedanke, das obige (das theoretische) Problem zu lösen, ist, die Typen und typischen Relationen der Phänomene, wie diese letzteren sich uns in ihrer "vollen empirischen Wirklichkeit", also in der Totalität und der ganzen Komplikation ihres Wesens darstellen, zu erforschen oder mit anderen Worten, die Gesamtheit der realen Erscheinungen in bestimmte Erscheinungsformen zu ordnen und die Regelmäßigkeiten in der Koexistenz und Aufeinanderfolge dieser letzteren auf empirischem Weg zu ermitteln. Dieser Gedanke hat denn auch auf allen Gebieten der Erscheinungswelt zu der entsprechenden, der realistisch-empirischen Richtung der theoretischen Forschung geführt und zwar nicht nur aus dem Grund, weil derselbe, wie gesagt, sich uns als der nächst liegende darstellt, sondern weil durch die obige Richtung der Forschung die Zwecke, welchen die theoretische Forschung dient, zugleich in der einfachsten und vollkommensten Weise erreicht zu werden scheinen. Die theoretischen Wissenschaften sollen uns, wie wir sahen, die Typen (die Erscheinungsformen) und die typischen Relationen (die Gesetze) der Phänomene lehren uns dadurch das theoretische Verständnis, eine über die unmittelbare Erfahrung hinausreichende Erkenntnis und, wo immer wir die Bedingungen einer Erscheinung in unserer Gewalt haben, die Gewalt über diese letztere verschaffen. Wie vermöchten wir nun aber das obige Problem in einfacherer, zweckmäßigerer und doch zugleich vollkommener Weise zu lösen, als indem wir die Erscheinungen der realen Welt, wie sie sich uns in ihrer empirischen Wirklichkeit darstellen, in strenge Typen ordnen und streng typische Relationen - "Naturgesetze" - derselben gewinnen würden? Die nähere Untersuchung lehrt indessen, daß der obige Gedanke in seiner vollen Strenge undurchführbar ist. Die Phänomene in ihrer vollen Strenge undurchführbar ist. Die Phänomene in ihrer vollen empirischen Wirklichkeit wiederholen sich erfahrungsgemäß in gewissen Erscheinungsformen, jedoch keineswegs mit vollkommener Strenge, indem kaum jemals zwei konkrete Phänomene, geschweige denn eine größere Gruppe von solchen eine durchgängige Übereinstimmung aufweisen. Es gibt in der "empirischen Wirklichkeit", d. h. wenn die Erscheinungen in der Totalität und der ganzen Komplikation ihres Wesens in Betracht gezogen werden, keine strengen Typen, es wäre denn, daß jede einzelne konkrete Erscheinung als ein besonderer Typus aufgestellt würde, wodurch Zweck und Nutzen der theoretischen Forschung völlig aufgehoben würden. Das Streben: "alle empirischen Wirklichkeiten" (ihrem vollen Inhalt nach) umfassende strenge Kategorien von Erscheinungsformen festzustellen, ist deshalb ein unerreichbares Ziel der theoretischen Forschung. Nicht anders verhält es sich in Hinsicht auf die zweite Aufgabe der theoretischen Forschung: die Feststellung der typischen Relationen, der Gesetze der Erscheinungen. Wird die Welt der Erscheinungen in streng realistischer Weise betrachtet, so bedeuten Gesetze dieser letzteren lediglich die auf dem Weg der Beobachtung konstatierten tatsächlichen Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge und in der Koexistenz der realen Phänomene, welche gewissen Erscheinungsformen angehören. Ein unter dem obigen Gesichtspunkte gewonnenes "Gesetz" vermag in Wahrheit nur zu besagen, daß auf die Erscheinungsformen A und B angehörigen konkreten Phänomene in der Wirklichkeit, regelmäßig oder ausnahmslos, der Erscheinungsform C angehörige Phänomene gefolgt seien oder mit denselben koexistenz beobachtet wurden. Der Schluß, daß auf die Erscheinungen A und B überhaupt (also in allen, auch den nicht beobachteten Fällen!) die Erscheinung C folge oder daß die hier in Rede stehenden Phänomene überhaupt koexistenz seien, geht über die Erfahrung, über den Gesichtspunkt des strengen Empirismus hinaus; er ist vom Standpunkt der obigen Betrachtungsweise nicht streng verbürgt. ARISTOTELES hat dies richtig erkannt, indem er den streng wissenschaftlichen Charakter der Induktion leugnete; aber selbst die von BACON wesentlich vervollkommnete induktive Methode vermochte die Bürgschaften der Ausnahmslosigkeit der auf dem obigen Weg (der empirischen Induktion!) gewonnenen Gesetze nur zu steigern, niemals aber die volle Bürgschaft derselben zu bieten. Strenge (exakte) Gesetze der Erscheinungen vermögen niemals das Ergebnis der realistischen Richtung der theoretischen Forschung und wäre sie die denkbar vollkommenste, die ihr zugrunde liegende Beobachtung die umfassendste und kritischste, zu sein. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse, zu welchen die obige, die empirisch-realistische Richtung der theoretischen Forschung zu führen vermag, können schon mit Hinblick auf die methodischen Voraussetzungen dieser letzteren nur doppelter Art sein:
b) empirische Gesetze, theoretische Erkenntnisse, welche uns die faktischen (indessen keineswegs verbürgt ausnahmslosen) Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge und in der Koexistenz der realen Phänomene zu Bewußtsein bringen. Was aber nicht minder hervorgehoben zu werden verdient, ist der Umstand, daß unter der nämlichen Voraussetzung das Gleiche auch von den Ergebnissen der theoretischen Forschung auf allen übrigen Gebieten der Erscheinungswelt gilt. (17) Auch die Naturerscheinungen bieten uns nämlich in ihrer "empirischen Wirklichkeit" weder strenge Typen noch auch streng typische Relationen dar. Das reale Gold, der reale Sauerstoff und Wasserstoff, das reale Wasser - von den komplizierten Phänomenen der anorganischen oder gar der organischen Welt ganz zu schweigen - sind in ihrer vollen empirischen Wirklichkeit weder streng typischer Natur noch vermögen bei der obigen Betrachtungsweise im Hinblick auf dieselben exakte Gesetze beobachtet zu werden. Nicht nur auf dem Gebiet der ethischen Welt, bzw. der Volkswirtschaft, sondern auch auf jenem der Naturerscheinungen vermag die realistische Richtung der theoretischen Forschung nur zu "Realtypen" und "empirischen Gesetzen" zu führen und besteht in der obigen Hinsicht jedenfalls keine essentieller, sondern höchsten ein gradueller Unterschied zwischen den ethischen und den Naturwissenschaften; die realistische Richtung der theoretischen Forschung schließt vielmehr die Möglichkeit, zu strengen (exakten) theoretischen Erkenntnissen zu gelangen, auf allen Gebieten der Erscheinungswelt in prinzipieller Weise aus. Gäbe es nun nur die eine, die eben gekennzeichnete Richtung der theoretischen Forschung oder wäre dieselbe, wie die Volkswirte der "historischen Richtung" in der Tat zu glauben scheinen, die einzig berechtigte, so wäre damit die Möglichkeit, bzw. die Berechtigung jeder auf exakte Theorien der Erscheinungen hinzielenden Forschung von vornherein ausgeschlossen. Nicht nur auf dem Gebiet der ethischen Erscheinungen überhaupt und der Volkswirtschaft insbesondere, sondern auch auf allen anderen Gebieten der Erscheinungswelt wäre dem obigen Streben von vornherein jeder Erfolg abgesprochen. Daß die obige Voraussetzung auf dem Gebiet der Naturerscheinungen hinfällig ist, bedarf kaum der Bemerkung; daß auf dem Gebiet der Menschheitserscheinungen überhaupt und der Volkswirtschaft insbesondere das Gleiche der Fall ist und die Meinung unserer historischen Nationalökonomen, die realistisch-empirische Richtung der theoretischen Forschung sei auf dem Gebiet der Volkswirtschaft die allein berechtigte, mit allen ihren Konsequenzen demnach eine Einseitigkeit in sich schließt, dies darzulegen wird die Aufgabe der nachfolgenden Untersuchungen sein. Die realistisch-empirische Richtung der theoretischen Forschung bietet uns, wie wir sahen, auf allen Gebieten der Erscheinungswelt Ergebnisse dar, welche, so wichtig und wertvoll für die menschliche Erkenntnis und das praktische Leben sie auch immer sein mögen, formal unvollkommen sind, Theorien, welche uns ein nur mangelhaftes Verständnis, eine nur ungewisse Voraussicht und eine nicht durchwegs gesicherte Beherrschung der Phänomene gewähren. Seit jeher hat dann auch der Menschengeist neben der obigen Richtung der theoretischen Forschung eine andere verfolgt, verschieden von der ersteren sowohl in ihren Zielen, als auch in ihren Erkenntniswegen. Das Ziel dieser Richtung, welche wir in Zukunft die exakte nennen werden, ein Ziel, welches die Forschung gleicherweise auf allen Gebieten der Erscheinungswelt verfolgt, ist die Feststellung von strengen Gesetzen der Erscheinungen, von Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge der Phänomene, welche sich uns nicht nur als ausnahmslos darstellen, sondern mit Rücksicht auf die Erkenntniswege, auf welchen wir zu denselben gelangen, geradezu die Bürgschaft der Ausnahmslosigkeit in sich tragen, von Gesetzen der Erscheinungen, welche gemeinhin "Naturgesetze" genannt werden, viel richtiger indessen mit dem Ausdruck: "exakte Gesetze" bezeichnet werden würden. (18) Die Natur der auf das obige Ziel gerichteten Forschertätigkeit überhaupt und jener auf dem Gebiet der Volkswirtschaft insbesondere wird sofort aus den nachfolgenden Untersuchungen klar werden. Die einzige Erkenntnisregel für die Erforschung theoretischer Wahrheiten, welche nicht nur, soweit das überhaupt erreichbar ist, durch die Erfahrung, sondern geradezu durch unsere Denkgesetze in unzweifelhafter Weise beglaubigt wird und für die exakte Richtung der theoretischen Forschung demnach die fundamentalste Bedeutung aufweist, ist der Satz, daß, was auch immer nur in einem Fall beobachtet wurde, unter genau den nämlichen tatsächlichen Bedingunen stets wieder zur Erscheinung gelangen müsse, oder, was dem Wesen nach das Nämliche ist, daß auf streng typische Erscheinungen bestimmter Art unter den nämlichen Umständen stets, und zwar in Rücksicht auf unsere Denkgesetze geradezu notwendig, streng typische Erscheinungen ebenso bestimmter Art folgen müssen. Auf die Erscheinungen A und B muß unter gleichen Verhältnissen stets das streng typische Phänomen C folgen, wofern A und B streng typisch gedacht sind und die hier in Rede stehende Erscheinungsfolge auch nur in einem einzigen Fall beobachtet wurde. Diese Regel gilt nicht nur vom Wesen, sondern auch vom Maß der Erscheinungen und die Erfahrung bietet uns von derselben nicht nur keine Ausnahme dar, eine solche erscheint dem kritischen Verstand vielmehr geradezu undenkbar. Eine weitere für die exakte Richtung der theoretischen Forschung gleichfalls in hohem Maße bedeutungsvolle Erkenntnisregel, der Satz, daß ein Umstand, welcher auch nur in einem Fall im Hinblick auf den nämlichen Erfolg stets notwendig sich als irrelevant erweisen werden, ist nur ein Korrelat des obigen Satzes. Wenn demnach exakte Gesetze überhaupt erreichbar sind, so ist es klar, daß dieselben nicht unter dem Gesichtspunkt des empirischen Realismus, sondern nur in der Weise gewonnen werden können, daß die theoretisch Forschung den Voraussetzungen der obigen Erkenntnisregel Genüge leiste. Der Weg, auf welchem die theoretische Forschung zum obigen Ziel gelangt, ein Weg, wesentlich verschieden von BACONs empirisch-realistischer Induktion, ist aber der folgende: Sie such die einfachsten Elemente alles Realen zu ergründen, Elemente, welche, eben weil sie die einfachsten sind, streng typisch gedacht werden müssen. Sie strebt nach der Feststellung dieser Elemente auf dem Weg einer nur zum Teil empirisch-realistischen Analyse, d. i. ohne Rücksicht darauf, ob dieselben in der Wirklichkeit als selbständige Erscheinungen vorhanden, ja selbst ohne Rücksicht darauf, ob sie in ihrer vollen Reinheit überhaupt selbständig darstellbar sind. Auf diese Weise gelangt die theoretische Forschung zu qualitativ streng typischen Erscheinungsformen, zu Ergebnissen der theoretischen Forschung, welche allerdings nicht an der vollen empirischen Wirklichkeit geprüft werden dürfen (denn die hier in Rede stehenden Erscheinungsformen z. B. absolut-reiner Sauerstoff, eben solcher Alkohol, eben solches Gold, ein absolut nur wirtschaftliche Zwecke verfolgender Mensch usw. bestehen zum Teil nur in unserer Idee), indessen der spezifischen Aufgabe der exakten Richtung der theoretischen Forschung entsprechen, die notwendige Grundlage und Voraussetzung für die Gewinnung exakter Gesetze sind. In ähnlicher Weise löst die exakte Forschung die zweite Aufgabe der theoretischen Wissenschaften: die Feststellung der typischen Relationen, der Gesetze der Erscheinungen. Das spezifische Ziele dieser Richtung der theoretischen Forschung ist die Feststellung von Regelmäßigkeiten in den Relationen der Erscheinungen, welche ausnahmslos und als solche vollständig verbürgt sind. Daß Gesetze dieser Art im Hinblick auf die volle empirische Wirklichkeit der Erscheinungen und zwar wegen des nicht streng typischen Wesens der realen Phänomene, nicht erreichbar sind, haben wir bereits dargelegt. Die exakte Wissenschaft untersucht demnach auch nicht die Regelmäßigkeiten in der Aufeinanderfolge usw. der realen Phänomene, sie untersucht vielmehr, wie aus den vorhin erwähnten, den einfachsten, zum Teil geradezu unempirischen Elementen der realen Welt in ihrer (gleichfalls unempirischen) Isolierung von allen sonstigen Einflüssen sich kompliziertere Phänomene entwickeln, mit steter Berücksichtigung des exakten (gleichfalls idealen!) Maßes. Sie tut dies ohne Rücksicht darauf, ob jene einfachsten Elemente, bzw. die betreffenden Komplikationen derselben, in der von menschlicher Kunst unbeeinflußten Wirklichkeit tatsächlich zu beobachten, ja ob dieselben in ihrer vollen Reinheit überhaupt darstellbar sind; sie ist sich hierbei auch bewußt, daß ein vollkommen exaktes Maß in der Wirklichkeit nicht möglich ist. Sie geht indessen von diesen Annahmen aus, da sie in anderer Weise das Ziel der exakten Forschung, die Feststellung strenger Gesetze, niemals zu erreichen vermöchte, während sie bei der Annahme streng typischer Elemente, eines exakten Maßes derselben und ihrer vollständigen Isolierung von allen sonstigen verursachenden Faktoren, allerdings und zwar auf der Grundlage der von uns oben gekennzeichneten Erkenntnisregeln zu Gesetzen der Erscheinungen gelangt, welche nicht nur ausnahmslos sind, sondern nach unseren Denkgesetzen schlechthin gar nicht anders als ausnahmslos gedacht werden können - d. i. zu exakten Gesetzen, zu sogenannten "Naturgesetzen" der Erscheinungen. Der Umstand, daß gewisse Differenzen der Phänomene (Abweichungen von ihrem streng typischen Charakter) in Rücksicht auf bestimmte Erfolge als irrelevant erscheinen (z. B. die verschiedene Farbe, der verschiedene Geschmack der Körper im Hinblick auf ihre Schwere, die nämlichen und zahlreiche andere Differenzen auf ihre Zahlenverhältnisse usw.), gestattet eine unvergleichliche Ausdehnung der exakten Forschung über zahlreiche Gebiete der Erscheinungswelt. So gelangen wir zu einer Reihe von Wissenschaften, welche uns strenge Typen und typische Relationen (exakte Gesetze) der Erscheinungen und zwar nicht nur hinsichtlich ihres Wesens, sondern auch ihres Maßes lehren, zu Wissenschaften, von welchen keine einzelne uns die volle empirische Wirklichkeit, sondern nur besondere Seiten derselben verstehen lehrt und deshalb auch vernünftigerweise nicht unter dem Gesichtspunkt des einseitigen empirischen Realismus beurteilt werden darf, deren Gesamtheit uns indessen ein ebenso eigenartiges als tiefes Verständnis der realen Welt vermittelt. (19) Auch auf dem Gebiet der ethischen Welt hat die obige Richtung der theoretischen Forschung seit jeher hervorragende Vertreter gefunden, welche, wenn auch ohne volle Klarheit über die bezüglichen erkenntnistheoretischen Probleme, die hier in Rede stehende Richtung des Erkenntnisstrebens eifrig verfolgt, ja ihr bereits die der eigentümlichen Natur der ethischen Erscheinungen entsprechende Form gegeben haben. Das Wesen dieser, der exakten Richtung der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der ethischen Erscheinungen besteht aber darin, daß wir die Menschheitsphänomene auf ihre ursprünglichsten und einfachsten konstitutiven Faktoren zurückführen, an diese letzteren das ihrer Natur entsprechende Maß legen und endlich die Gesetze zu erforschen suchen, nach welchen sich aus jenen einfachsten Elementen, in ihrer Isolierung gedacht, kompliziertere Menschheitsphänomene gestalten. Ob die einzelnen konstitutiven Faktoren der Menschheitserscheinungen, in ihrer Isolierung gedacht, real, ob dieselben in der Wirklichkeit exakt meßbar sind, ob jene Komplikationen, bei welchen (entsprechend der Natur der exakten Forschung) von der Einwirkung mannigfacher Faktoren des realen Menschenlebens abstrahiert werden muß, tatsächlich zur Erscheinung gelangen: all das ist für die exakte Richtung der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Sozialerscheinungen nicht minder irrelevant, als auf jenem der Natur und nur der völlige Mangel an Verständnis für die exakte Richtung der theoretischen Forschung überhaupt vermag an die Ergebnisse der letzteren den Maßstab der Postulate der empirisch-realistischen Richtung der theoretischen Forschung zu legen. Indem wir diese Richtung der Forschung verfolgen, gelangen wir zu einer Reihe von Sozialtheorien, deren jede einzelne uns allerdings nur das Verständnis einer besonderen Seite der Erscheinungen menschlicher Tätigkeit eröffnet (von der vollen empirischen Wirklichkeit abstrahiert), deren Gesamtheit uns indessen, wenn die der obigen Richtung der Forschung entsprechenden Theorien dereinst erkannt sein werden, die Menschheitserscheinungen in ähnlicher Weise verstehen lehren wird, wie jene theoretischen Wissenschaften, welche das Ergebnis einer analogen Betrachtung der Naturerscheinungen sind, uns das Verständnis dieser letzteren eröffnet haben. Nicht eine einzelne Theorie der Menschheitserscheinungen, nur die Gesamtheit derselben wird uns, wenn sie dereinst erforscht sein werden, in Verbindung mit den Ergebnissen der realistischen Richtung der theoretischen Forschung, das tiefste dem Menschengeist erreichbare theoretische Verständnis der Sozialerscheinungen in ihrer vollen empirischen Wirklichkeit eröffnen und sofern auch, mit Rücksicht auf den zurückgebliebenen Zustand der theoretischen Sozialwissenschaften, die Verwirklichung des obigen Gedankens sein mag - es gibt keinen anderen Weg zur Erreichung des großen Ziels. Was speziell die exakte Richtung der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Wirtschaftsphänomene betrifft, so ist ihre allgemeine Natur durch die Postulate der exakten Forschung, ihre besondere Natur durch die Besonderheit des Gebietes von Erscheinungen gegeben, welches zu bearbeiten ihre Aufgabe ist. Unter Wirtschaft verstehen wir die auf die Deckung ihres Güterbedarfs gerichtete vorsorgliche Tätigkeit der Menschen, unter Volkswirtschaft die gesellschaftliche Form derselben. (20) Die Aufgabe der obigen Richtung der Forschung kann somit keine andere sein, als die Erforschung der ursprünglichsten, der elementarsten Faktoren der menschlichen Wirtschaft, die Feststellung des Maßes der bezüglichen Phänomene und die Erforschung der Gesetze, nach welchen sich kompliziertere Erscheinungsformen der menschlichen Wirtschaft aus jenen einfachsten Elementen entwickeln. (21) Die ursprünglichsten Faktoren der menschlichen Wirtschaft sind die Bedürfnisse, die den Menschen unmittelbar von der Natur dargebotenen Güter (sowohl die bezüglichen Genuß- wie auch Produktionsmittel) und das Streben nach möglichst vollständiger Befriedigung der Bedürfnisse (nach möglichst vollständiger Deckung des Güterbedarfs). Alle diese Faktoren sind in letzter Linie unabhängig von der menschlichen Willkür, durch die jeweilige Sachlage gegeben: der Ausgangspunkt und der Zielpunkt aller Wirtschaft (Bedarf und verfügbare Güterquantität einerseits und die erreichbare Vollständigkeit der Deckung des Güterbedarfs andererseits) sind in letzter Linie den wirtschaftenden Menschen gegeben, hinsichtlich ihres Wesens und ihres Maßes streng determiniert. (22) Die exakte Richtung der theoretischen Forschung soll uns nun die Gesetze lehren, nach welchen aufgrund dieser so gegebenen Sachlage sich aus den obigen, den elementarsten Faktoren der menschlichen Wirtschaft, in ihrer Isolierung von anderen auf die realen Menschheitserscheinungen Einfluß nehmenden Faktoren, nicht das reale Leben in seiner Totalität, sondern die komplizierteren Phänomene der menschlichen Wirtschaft entwickeln; sie soll uns dies lehren nicht nur hinsichtlich des Wesens, sondern auch hinsichtlich des Maßes der obigen Phänomene und uns solcherart ein Verständnis der letzteren eröffnen, dessen Bedeutung jenem analog ist, welches die exakten Naturwissenschaften uns hinsichtlich der Naturerscheinungen bieten. Indem wir hier auf die Natur und die Bedeutung der exakten Richtung der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Menschheitserscheinungen überhaupt und auf jenem der Volkswirtschaft insbesondere hinweisen und damit dem einseitigen Realismus in den Sozialwissenschaften entgegentreten, sind wir allerdings weit davon entfernt, Nutzen und Bedeutung der realistischen Richtung zu leugnen oder auch nur gering zu schätzen und solcherart in die entgegengesetzte Einseitigkeit zu verfallen. Der Vorwurf dieser letzteren trifft aber alle jene, welche, in einseitiger Verfolgung der exakten Richtung der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft, die Feststellung empirischer Gesetze der letzteren für wertlos oder das Streben nach solchen aus irgendwelchen methodischen Gründen für unstatthaft halten. Man man nämlich noch so rückhaltlos zugestehen, daß die Menschen in wirtschaftlichen Dingen weder ausschließlich von einer einzelnen bestimmten Tendenz, in unserem Fall von ihrem Egoismus geleitet, noch auch von Irrtum, Unkenntnis und äußeren Zwang unbeeinflußt sind, und daß demnach die Ergebnisse der realistischen Richtung der theoretischen Forschung auf dem Gebiet der Volkswirtschaft keine volle Strenge aufzuweisen vermögen: so folgt daraus doch keineswegs, daß auf dem hier in Rede stehenden Gebiet der Erscheinungswelt unter dem realistischen Gesichtspunkt überhaupt nicht Regelmäßigkeiten im Wesen und Zusammenhang der Erscheinungen beobachtet werden können oder die Feststellung derselben nicht von hoher Bedeutung für das Verständnis der Volkswirtschaft, die Voraussicht und die Beherrschung ihrer Phänomene sei. Im Gegenteil, wohin auch immer wir unsere Blicke wenden, das wirtschaftliche Leben bietet uns Regelmäßigkeiten in den Erscheinungsformen sowohl, als auch in der Koexistenz und in der Aufeinanderfolge der Phänomene dar, eine Tatsache, welche wohl auf den Umstand zurückgeführt werden muß, daß die Menschen in ihren wirtschaftlichen Bestrebungen, wenn auch nicht ausschließlich und ausnahmslos, so doch vorwiegend und regelmäßig von ihren individuellen Interessen geleitet werden und diese letzteren, wenn auch nicht in allen Fällen und durchaus, so doch der Hauptsache nach und regelmäßig richtig erkennen. Die realen Erscheinungen der Volkswirtschaft bieten uns tatsächlich Typen und typische Relationen dar, reale Regelmäßigkeiten in der Wiederkehr bestimmter Erscheinungsformen, reale Regelmäßigkeiten in der Koexistenz und Aufeinanderfolge, welche zwar keineswegs von ausnahmsloser Strenge sind, welche festzustellen jedoch unter allen Umständen die Aufgabe der theoretischen Nationalökonomie und speziell der realistischen Richtung derselben ist. Sowohl die exakte als auch die realistische Richtung der theoretischen Forschung sind demnach berechtigt; beide sind Mittel zum Verständnis, zur Voraussicht und zur Beherrschung der Phänomene der Volkswirtschaft, zu welchen Zwecken jede derselben in ihrer Weise beiträgt; wer aber Berechtigung und Nutzen der einen oder der anderen negiert, ist einem Naturforscher vergleichbar, welcher in einseitiger Wertschätzung der Physiologie, etwa unter der Vorgabe, daß die Chemie und Physik sich auf Abstraktionen stützen, die Berechtigung dieser letzteren, bzw. ihre Bedeutung als Mittel für das Verständnis der organischen Gebilde leugnen würde, oder aber umgekehrt einem Physiker oder Chemiker, welcher der Physiologie, weil ihre Gesetzt zumeist nur "empirische" sind, den Charakter einer Wissenschaft absprechen wollte. Wenn analoge Lehrmeinungen auf dem Gebiet der theoretischen Sozialwissenschaften aber nicht nur möglich sind, sondern von einflußreichen Gelehrtenschulen als grundlegende, ja geradezu als epochemachenden Wahrheiten verkündet werden, so liegt hierin wohl der beste Beleg für den unvollkommenen Zustand der obigen Wissenschaften und eine Mahnung an ihre Bearbeiter, über die erkenntnistheoretischen Grundlagen ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen ernstlich mit sich zu Rate gehen. Daß das Wesen und die Bedeutung der exakten Richtung der Forschung in der neueren nationalökonomischen Literatur vollständig verkannt wird, bedarf kaum der Bemerkung. Noch gilt in der deutschen Nationalökonomie, zumindest in der historischen Schule, die Kunst des abstrakten Denkens und wäre das letztere auch in noch so hohem Maße durch Tiefe und Originalität ausgezeichnet und stützte es sich noch so sehr auf eine breite empirische Grundlage - kurz alles, was in den anderen theoretischen Wissenschaften den höchsten Ruhm der Forscher begründet, neben den Produkten kompilatorischen Fleisses, für etwas Nebensächliches, fast für ein Stigma. Die Macht der Wahrheit wird sich indessen schließlich auch an jenen erproben, welche, im Gefühl ihrer Unfähigkeit zur Lösung der höchsten Aufgaben der Sozialwissenschaften, ihre eigene Unzulänglichkeit zum Maßstab für den Wert wissenschaftlicher Leistungen überhaupt erheben möchten.
17) Siehe Anhang V: Daß auf dem Gebiet der Menschheitserscheinungen exakte Gesetze (sog. Naturgesetze) unter den nämlichen formalen Voraussetzungen erreichbar sind, wie auf jenem der Naturerscheinungen. 18) Die in erkenntnistheoretischen Untersuchungen gebräuchlichen "empirischen Gesetze" und "Naturgesetze" bezeichnen keineswegs in genauer Weise den Gegensatz zwischen den Ergebnissen der realistischen und der exakten Richtung der theoretischen Forschung. Auch auf dem Gebiet der Naturerscheinungen (z. B. auf jenem der organischen Welt, der Witterungsphänomene usw.) führt die realistische Richtung der Forschung bloß zu "empirischen Gesetzen" und es gibt demnach Naturgesetze (im eigentlichen Verstand dieses Wortes), welche nur "empirische Gesetze", somit keine "Naturgesetze" im obigen technischen Sinn des Wortes sind, während wir umgekehrt auch auf anderen Gebieten der Erscheinungswelt (nicht lediglich auf jenem der Naturerscheinungen) zu strengen Gesetzen, zu "Naturgesetzen" zu gelangen vermögen, welche wieder nicht Naturgesetze (Gesetze der Naturerscheinungen) sind. Der hier in Rede stehende Gegensatz wird viel genauer durch die Ausdrücke "empirische" und "exakte" Gesetze der Erscheinungen ausgedrückt. Die Gesetze der theoretischen Nationalökonomie sind in Wahrheit niemals Naturgesetze im eigentlichen Verstand des Wortes, sie können vielmehr nur empirische oder exakte Gesetze der ethischen Welt sein. Im engen Zusamenhang mit der obigen Terminologie steht eine andere, welche gleichfalls inkorrekt ist und bereits manches zur Verwirrung der erkenntnistheoretischen Probleme unserer Wissenschaft beigetragen hat. Der Gegensatz zwischen den theoretischen Naturwissenschaften und den theoretischen Sozialwissenschaften ist lediglich ein solcher der Erscheinungen, welche dieselben unter dem theoretischen Gesichtspunkt erforschen, keineswegs aber ein Gegensatz der Methoden, indem auf beiden Gebieten der Erscheinungswelt, sowohl die realistische, als auch die exakte Richtung der theoretischen Forschung zulässig ist. Ein Gegensatz besteht nur zwischen der realistischen und der exakten Richtung der theoretischen Forschung, bzw. zwischen den die Ergebnisse beider Richtungen umfassenden, den empirischen und den exakten theoretischen Wissenschaften. Es gibt Naturwissenschaften, welche keine exakten sind (z. B. die Physiologie, die Meteorologie usw.) und umgekehrt exakte Wissenschaften, die keine Naturwissenschaften sind (z. B. die reine Nationalökonomie) und es ist demnach keine genaue Ausdrucksweise, wenn diese letztere eine "Natur wissenschaft" genannt wird: sie ist in Wahrheit eine exakte ethische Wissenschaft. - Ebenso falsch ist es endlich, von der naturwissenschaftlichen Methode in den Sozialwissenschaften überhaupt und der theoretischen Nationalökonomie insbesondere zu sprechen. Die Methode der letzteren kann entweder die empirische oder die exakte, niemals aber in Wahrheit eine "naturwissenschaftliche" sein. 19) Die Methode der exakten Forschung, die Rolle, welche das Experiment in derselben spielt, das über das Experiment und alle Erfahrung hinausgehende spekulative Element derselben, insbesondere bei der Formulierung der "exakten Gesetze", ist kein Gegenstand unserer Darstellung in diesem Werk. Sie wird im Zusammenhang mit einer Kritik der BACONschen Induktion eine gesonderte Stellung an anderer Stelle finden. 20) Siehe Anhang I. 21) Vgl. meine Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, 1871, Seite VIIf 22) Siehe Anhang VI: Daß der Ausgangspunkt und der Zielpunkt aller menschlichen Wirtschaft streng determiniert seien. |