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PAUL NATORP
Einleitung in die Psychologie
nach kritischer Methode

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"Ich erkläre als meine Überzeugung: daß es einen anderen Weg, über Recht und Unrecht einer ganzen versuchten Wissenschaft (namens Psychologie) zu entscheiden, nicht gibt, als den von Kant gewiesenen, der Forschung nach den Prinzipien des Erkennens, welchen wir in Erinnerung an ihn und nach seinem prägnanten Wortgebrauch den kritischen heißen."

"Im Grundphänomen der Bewußtheit liegt ganz und gar keine Mannigfaltigkeit und Besonderung, sie ist schlechterdings einfach und an Belehrung arm. Aller Reichtum, alle Mannigfaltigkeit des Bewußtseins liegt vielmehr ausschließlich am Inhalt. Das Bewußtsein einer einfachen Empfindung unterscheidet sich der Art nach, als Bewußtsein, in nichts vom Bewußtsein einer Welt; das Moment der Bewußtheit ist in beiden durchaus dasselbe, der Unterschied liegt ausschließlich am Inhalt."

"Ich frage, weshalb man nicht ebenso bei einer qualitativen Veränderung des Tons auch eine qualitative Änderung des Wahrnehmungsaktes, und so überhaupt ebensoviel verschiedene, stetig abgestufte und ineinander übergehende Weisen der Bewußtheit bei sich wahrnimmt, als am Inhalt sich Unterschiede und Abstufungen bemerken lassen? Ich will gar nicht fragen, ob eine solche Verdoppelung des gesamten psychischen Tatbestandes das Verständnis irgendwie fördern würde; es genügt, daß eben der unmittelbare Tatbestand kein doppelter ist."

"Wo nichts perzipiert wird, da ist auch nichts zu apperzipieren; und umgekehrt würde keine Perzeption uns zu Bewußtsein kommen, wo sie nicht auch apperzipiert wird; kommt sie aber nicht zu Bewußtsein, so ist sie für uns auch gar nicht da; sie ist, in dieser Isolierung, gar kein psychisches Datum, sondern allenfalls nur erschlossen; nach dem, was gegeben ist am Bewußtsein, ist aber hier allein die Frage."


§ 1. Psychologie bedarf zur Sicherung ihrer Grundlagen
einer Voruntersuchung über ihren Gegenstand
und ihrer Methode

1. Es mag wohl in jeder Wissenschaft vorkommen, daß nicht bloß die befriedigende Lösung gewisser Probleme, sondern die Probleme selbst lange Zeit verborgen blieben, zumindest nicht deutlich erkannt und bestimmt formuliert wurden. Doch scheint dabei immer feststehen zu müssen, welches das fundamentale Problem ist, das durch die Gesamtarbeit der Wissenschaft gelöst werden soll; denn sonst würde dieselbe überhaupt ziellos sein, und entweder gar nichts oder zumindest nichts, das man sucht, dabei gefunden werden. Hingegen scheint sich die Psychologie bisher nicht einmal ihres Grundproblems fest versichert zu haben; daher darf es nicht verwundern, wenn man sich auch über den Sinn und Wert ihrer Ergebnisse nicht vereinigen kann. Daher ist es notwendig, bevor man an die Lösung ihrer besonderen Probleme herantritt, zu allererst sie selbst als Problem vorzunehmen, und zu prüfen, erstens, was Psychologie will und vernünftigerweise wollen kann; zweitens, wie das, was sie will, auf methodische Weise zu erreichen ist.

Wir bezeichnen diese Aufgabe als die einer "Einleitung" in die Psychologie, um anzudeuten, daß wir jetzt nicht Psychologie treiben, sondern einen Weg eröffnen wollen, auf welchem zur überhaupt erst zu einer Psychologie zu gelangen ist. Diesen Weg der Forschung aber, diese "Methode" zeichen wir aus durch das Beiwort "kritisch"; wir erklären damit als unsere Überzeugung: daß es einen anderen Weg, über Recht und Unrecht einer ganzen versuchten Wissenschaft zu entscheiden, nicht gibt, als den von KANT gewiesenen, der Forschung nach den Prinzipien des Erkennens, welchen wir in Erinnerung an ihn und nach seinem prägnanten Wortgebrauch den "kritischen" heißen. Übrigens sollen, damit der elementare Charakter dieser Voruntersuchung nach Möglichkeit gewahrt bleibt, die Grundbegriffe und Grundsätze kantischer Erkenntniskritik, auf denen unsere Untersuchung tatsächlich fußen wird, nicht als schon anderwärts hinreichend erklärt und begründet vorausgesetzt, nicht einmal in der von KANT geschaffenen Kunstsprache ausgedrückt, sondern möglichst von allgemein zugestandenen Voraussetzungen aus in unabhängigen Formulierungen entwickelt, und erst am Schluß die doch unerläßliche Auseinandersetzung mit KANT nachgeholt werden. Dieses Verfahren erscheint besonders dadurch motiviert, daß wir auf diesem Gebiet, mehr als auf anderen, uns von KANT nicht bloß dem Ausdruck nach zu entfernen genötigt sind; genötigt durch die kritische Methode selbst, welche von KANT auf das eigentümliche Problem der Psychologie nicht in gleicher Strenge und planmäßiger Vollständigkeit wie auf die eigentlichen Naturwissenschaften angewandt worden ist.

2. Das Erste, worin man die Besonderheit einer Wissenschaft naturgemäß sucht, sind die Data, von denen sie ausgeht, der Inbegriff von Erscheinungen oder Tatsachen, welche den Gegenstand der Untersuchung bilden. Durch die Eigentümlichkeit des zu untersuchenden Gegenstandes muß die Eigentümlichkeit des zu untersuchenden Gegenstandes, muß die Eigentümlichkeit der Untersuchungsmethode zum Teil bedingt sein; es läßt sich daher über die letztere nicht eher etwas feststellen, als das Gebiet der zu erforschenden Gegenstände mit Sicherheit bestimmt ist.

Die Mehrzahl der Psychologen ist hier freilich mit dem Bescheid rasch bei der Hand; man meint die Data der Psychologie zur Genüge zu kennen, sie mit Leichtigkeit aufzählen, auch wohl gewisse unterscheidende Merkmale derselben nennen zu können. Dagegen muß ich mit dem Geständnis beginnen, daß schon diese allererste Frage der Psychologie für mich voller ernster Schwierigkeiten ist, in deren Entwicklung ich den Leser zunächst zu folgen bitte. Und zwar wüßte ich diese Erörterung nicht in geeigneter Weise vorzubereiten, als durch eine kurze Erinnerung an den geschichtlichen Ursprung des psychologischen Problems.



I. Das Objekt der Psychologie

§ 2.

In der Bestimmung des Gegenstandes der psychologischen Untersuchung unterscheidet sich die neuere Psychologie charakteristisch von der aristotelischen.

Nach ARISTOTELES fallen unter die Untersuchung peri psyches die Lebenserscheinungen schlechthin oder die Funktionen des organischen Körpers. Er erklärt Seele und Beseeltheit als die Kraft wirklicher Lebendigkeit in dem durch Organisation lebensfähigen Körper, d. h. er unterscheidet die Seele vom Körper nur wie das wirkliche Funktionieren, genauer die Funktionsfähigkeit der Organe von derjenigen körperlichen Einrichtung, durch welche sie bedingt ist, oder wie die Kraft vom Stoff. Zwischen bewußten und bewußtlosen Funktionen des Organismus wird nicht bestimmt unterschieden, noch eine fundamentale Schwierigkeit darin erkannt, wie diese grundverschiedenen Tätigkeiten durch das gemeinsame Prinzip der Organisation erklärt werden sollen. Dagegen unterscheidet ARISTOTELES wohl niedere und höhere Funktionen in einer Stufenreihe der Entwicklung, derart, daß allemal die niederen Funktionen für die höheren vorausgesetzt werden. Unter den letzteren bilden insbesondere die Erkenntnisfunktionen eine engere Einheit, ohne daß die Bewußtheit als gemeinsames Merkmal ausdrücklich gekennzeichnet würde.

1. Bei der Begriffsbestimmung des Psychischen historisch bis auf ARISTOTELES zurückzugreifen, dessen Schrift de anima, wie bekannt, der erste (zumindest uns erhaltene) Versuch eines Systems der Psychologie in der abendländischen Philosophie ist, empfiehlt sich nicht bloß deshalb, weil gerade im Gegensatz zu ihm die moderne Auffassung, wie sie etwa seit DESCARTES feststeht, in ihrer Eigentümlichkeit klarer hervortritt, sondern weil die aristotelische Problemstellung in gewisser Hinsicht maßgebend geblieben, ja gerade in jüngster Zeit zu neuer Bedeutung gelangt ist. Hat die Idee einer naturwissenschaftlichen Psychologie irgendeinen Grad von Berechtigung, so muß man wissen, daß man mit der Forderung derselben wesentlich zum Standpunkt des ARISTOTELES zurückkehrt.

Allerdings schien sich die Psychologie der Neuzeit anfangs vielmehr im Gegensatz zur Naturwissenschaft zu entwickeln. Auch hatte diese Entgegensetzung bestimmte Gründe, die eben dem ARISTOTELES offenbar noch nicht zu Bewußtsein gekommen waren.

Für ihn deckt sich nämlich das Gebiet des Psychischen schlechthin mit dem des Organischen; beide Begriffe sind durchaus korrelativ zueinander. Es fallen also für ihn unter den Bereich der Psychologie die Erscheinungen des pflanzlichen und tierischen so gut wie des menschlichen Lebens; die Funktionen der Atmung, Ernährung, Fortpflanzung, Fortbewegung so gut wie des Empfindens, Fühlens, Begehrens, Denkens, Wollens. Eine deutliche Abgrenzung und begriffliche Zusammenfassung derjenigen Lebensfunktionen, denen das Merkmal der Bewußtheit gemeinsam und eigentümlich ist, gegenüber solchen, in deren Betrachtung vom etwa begleitenden Bewußtsein zumindest abstrahiert werden darf, vermißt man durchaus.

Dagegen hat ARISTOTELES mit scharfem Blick die Verwandtschaft und den Grund der Zusammengehörigkeit dieser beiden Klassen von Erscheinungen erkannt und zu einem bestimmten Ausdruck gebracht. Der einigende Gesichtspunkt ist eben der der Organisation, und zwar der aus gegebenen Anlagen sich entwickelnden Organisation. ARISTOTELES ist der Entdecker des Begriffs des "Organischen", mit der wesentlichen Bestimmung der Entwicklungsfähigkeit. Mit einer für den damaligen Stand der Kenntnis und der theoretischen Reflexion bewundernswerten Unbefangenheit aber sucht er die Organisation auch zu den (in unserem Sinn) seelischen (d. h. Bewußtseins-) Funktionen im Körper. Der Körper ist organisiert, wie zu allen bewußtlos geschehenden ("physiologischen") Funktionen des Lebens, der Lebenserhaltung und -fortpflanzung, so zu allen psychischen Leistungen. Die Entwicklung des Seelenlebens ist daher an die der körperlichen Organisation durchaus gebunden. Auch die bewußten Funktionen sind Funktionen des Körpers, folglich ist die Psychologie eine Naturwissenschaft, dem Objekt, wie der Methode nach: denn ausdrücklich betont ARISTOTELES im Eingang der Untersuchung peri psyches, daß man in dieser, wie überhaupt in den Naturwissenschaften, den Erklärungsgrund von den Erscheinungen abzuleiten, nicht aus bloßer Vernunft schöpfen kann. Innerhalb des Gesamtgebietes der Naturwissenschaft aber ist seine Psychologie die Grundwissenschaft von der belebten, der organischen Natur. Mit einem modernen Namen wäre sie als "Allgemeine Biologie" zu betiteln.

2. Es ist instruktiv, diese Grundauffassung etwas näher zu beleuchten durch eine Analyse der berühmten aristotelischen Definition der "Seele" als Entelechie [im Stoff selbst liegende Kraft zur Entwicklung - wp] (erster Stufe) des der Anlage nach lebendigen Körpers. Die Erklärung der aristotelischen Formel hängt ab vom Verständnis des die ganze aristotelische Philosophie beherrschenden Gegensatzes von dynamis und energeia oder entelecheia. "Dynamis", Potenz, ist das Vermögen, das bloße Können; energeia, Actus, die Tat oder Betätigung, entelecheia das Vollbringen, der wirkliche Vollzug einer Tätigkeit, wodurch sie zu ihrem Ende kommt oder ihr Ziel erfüllt; also mit dem im organischen Reich ja so naheliegenden teleologischen Nebensinn: daß sie nur das leistet, was sie leisten soll oder wozu sie von Haus aus angelegt war, von welcher Nebenbedeutung man übrigens in der Anwendung mehr oder weniger abstrahieren kann. Unter diese Begriffe fallen nun, in der Anwendung auf das organische Gebiet, eigentlich zwei Gegensätze: der von Anlage und Entwicklung (Keim und Entfaltung) und der der bloßen Funktionsfähigkeit und des wirklichen Funktionierens der Organe. Beides erläutert gut der von ARISTOTELES gern gebrauchte Vergleich vom Künstler. Jemand ist Künstler bloß der Anlage nach, oder er hat diese Anlage auch entwickelt; das ist das Erste. Er ist bloß im ruhenden Besitz der Kunstfertigkeit oder übt sie eben jetzt auch aus; das ist das Zweite. So unterscheidet ARISTOTELES Entelechie erster und zweiter Stufe, nämlich wie die ausgebildete Fertigkeit und deren wirkliche Ausübung. Wird also "Seele" definiert als Entelechie erster Stufe des zum Leben angelegten (nämlich organisierten) Körpers, so haben wir zu verstehen: der zur Ausübung der Lebensfunktionen befähigte, gleichsam fertige Körper, d. h. derjenige, in welchem alle Bedingungen zur wirklichen Lebenstätigkeit gegeben sind - alle, die im lebendigen Körper selbst zu suchen sind, nicht noch von außen hinzukommen müssen -: dieser sei der beseelte. So ist der fertige Künstler derjenige, welcher alle Bedingungen zur wirklichen Ausübung seiner Kunst in sich hat; alle nämlich, die überhaupt in ihm gegeben sind und nicht noch von außen hinzukommen müssen. Denn, um künstlerisch tätig zu sein, braucht er freilich noch Muße und Freiheit, gegebene Anregung, geeignetes Material, zulängliche Werkzeuge. So bedarf es noch hinzukommender äußerer Bedingungen, damit der zum Leben organisierte Körper in der Tat lebt; er kann atmen, und er wird es, natürlich, wenn er Luft hat; er kann sehen und wird es, wenn er Licht hat; er kann sich bewegen und wird es, wenn er Raum zur Bewegung hat, usw. Im Begriff der Organisation werden also alle diejenigen körperlichen Bedingungen zusammengefaßt, welche im Organismus selbst gegeben sein müssen, damit er leben kann; von der so verstandenen Organisation des Körpers wird dann die Fähigkeit des Lebens, welche die "Seele" bedeutet, ferner nur unterschieden wie die Kraft vom Stoff. Der Lieblingssatz der Materialisten: "keine Kraft ohne Stoff, kein Stoff ohne Kraft", findet auf das Verhältnis von Seele und Leib nach aristotelischer Auffassung genaue Anwendung. Allerdings spricht ARISTOTELES hinterher noch von einer reinen stofflosen Energie des Denkens, deren Annahme durch die ursprüngliche Definition der Seele eigentlich ausgeschlossen ist. Doch läßt ihn die nüchterne Beobachtung wohl erkennen, daß auch unser reinstes Denken an die Phantasietätigkeit und durch diese an das Funktionieren leiblicher Organe gebunden ist; und so hebt sich diese Abweichung von der sonst rein naturwissenschaftlichen Richtung seiner Psychologie fast von selbst wieder auf; jedenfalls dürfen wir hier, wo es auf die Grundanschauung allein ankommt, von derselben absehen.

3. Nach diesen Voraussetzungen konnte von einer Abgrenzung des Psychischen gegen das Physische, so daß beide als zwei gesonderte Reihen von Erscheinungen' sich gegenüberstehen, für ARISTOTELES offenbar nicht die Rede sein. ARISTOTELES scheidet nicht zwischen physischen und psychischen Funktionen des Organismus. Er unterscheidet dagegen wohl niedere und höhere Funktionen, so daß jene immer für diese bedingend sind. In dieser Stufenordnung müssen natürlich die bewußten Funktionen sich von selbst näher zusammengruppieren. Insbesondere treten die verschiedenen Tätigkeiten, welche sich zu einer Erkenntnis vereinigen, von der niedersten Stufe der Sinneswahrnehmung durch die Mittelglieder des Gedächtnisses und der Erfahrung bis hinauf zum Begriff, als eine Art engerer Einheit hervor. Das sind nun die Bewußtseinsfunktionen, und man sollte erwarten, daß die Bewußtheit auch als ihr gemeinsames Merkmal hervorgehoben würde. Es ist bezeichnend für den aristotelischen Standpunkt der Psychologie, daß dies nicht geschieht. Es wird vom Wahrnehmen, Denken, Erkennen gesprochen, es wird sogar unterschieden zwischen dem direkten Wahrnehmen oder Denken eines Inhalts und dem Wahrnehmen dieses Wahrnehmens, dem Denken dieses Denkens; allein die gerade in solchen Reflexarten so merkwürdig hervortretende Eigenart des Bewußtseins wird nicht erkannt. Es fehlt überhaupt an einem eigenen, alles Bewußtsein zusammenfassenden Ausdruck, während die Arten des Bewußtseins: Wahrnehmung, Vorstellung, Denken etc. mit vieler Sorgfalt, ja zum Teil bewunderungswürdiger Präzision auseinandergehalten werden.

So verdienstlich es daher war, zumal auf dem Standpunkt der Wissenschaft, den ARISTOTELES vorfand, den Begriff der Organisation festzustellen und die Erscheinungen des organischen Lebens, einschließlich der Bewußtseinserscheinungen, unter eine abgesonderte Betrachtung zu stellen: der eigentümliche Begriff des Psychischen blieb solange unentdeckt, als man nicht über das Unterscheidende des Bewußtseins, das Unterscheidende des Problems, welches darin liegt, und folglich der Methode, nach der dasselbe zu bearbeiten ist, sich klar geworden war.


§ 3.

Dagegen betrachtet die moderne Philosophie seit DESCARTES als eine ihrer festesten Errungenschaften die spezifische Unterscheidung der Bewußtseinsphänomene von allen solchen Naturphänomenen, welche entweder als des Bewußtseins überhaupt unteilhaft betrachtet, oder bei welchen vom begleitenden Bewußtsein zumindest abstrahiert wird. Das wirkliche Bewußtsein und was als ein bloß in einem gesonderten Bewußtsein zutage tretendes Element des Bewußtseins doch nur aus dem wirklichen Bewußtsein erwiesen oder zur Erklärung desselben vorausgesetzt wird, bezeichnet fortan die Grenze des Psychischen gegen das Physische.

1. Es ist eine lehrreiche Tatsache, daß nicht bloß der aristotelischen, sondern der ganzen eigentlich klassischen Philosophie des Altertums das eigentümliche, in der Tatsache des Bewußtseins liegende Problem verborgen geblieben ist. Unter den großen Philosophen Altgriechenlands ist es ohne Zweifel PLATON, der dem Begriff des Bewußtseins vergleichsweise am nächsten kam. Er legt, wie bereits SOKRATES, einen starken Nachdruck auf den Gegensatz von Seele und Leib, betont, daß für den Menschen alles auf die Seele ankommt (Menon 88 E), auf Besinnung (phronesis), auf Selbsterkenntnis. Allein das ist ein Begriff von Bewußtsein, der bereits viel bestimmter ist als derjenige, welchen wir hier suchen und zum Zweck der Psychologie nötig haben. Es ist nicht das Bewußtsein dessen, was wir überhaupt in uns subjektiv erleben, sondern schließt stillschweigend immer das Bewußtsein dessen ein, was unser subjektives Erlebnis objektiv bedeutet, was davon Wahrheit, was Schein ist, was von sich in einem gegründeten objektiven Wert, was von bloß subjektivem ist. Hätte man PLATON gefragt, was für ein "Bewußtsein" das ist, auf welches für den Menschen alles ankommt, nämlich das Bewußtsein wovon? - er würde geantwortet haben: das Bewußtsein der Ideen, der idealen objektiven Werte. Das subjektive Erlebnis bloß als solches, abgesehen von der Frage der objektiven Geltung des Erlebten, lag eigentlich außerhalb des Gesichtskreises seiner Philosophie, die ja wesentlich Ideenforschung sein wolte und war. Nur aus Anlaß der Frage der Erkennbarkeit der Idee gelangt er zu einzelnen, allerdings sehr wertvollen Bestimmungen, welche eben die subjektive Seite des Erkennens betreffen; aber doch eben nicht zu einer allgemeinen Begriffsfassung des Bewußtseins, der Subjektivität als solcher.

2. Immerhin lag von PLATON aus auch zu dieser weiteren Begriffsfassung der Weg offen. Tatsächlich wurde sie erreicht in der neuplatonischen Philosophie (1). Die neuplatonischen Philosophen unterscheiden bereits sehr bestimmt zwischen einem Bewußtsein und dem bewußtlosen Haben einer Vorstellung. Das begleitende Bewußtsein (parakolouthesis) wird als ein Reflexakt erklärt, der zum Akt des Empfindens, Vorstellens etc. erst hinzukommen muß; eine Auffassung, deren Unzulänglichkeit man leicht erkennt, die aber doch zeigt, daß man die Eigentümlichkeit des Bewußtseins ernsthafter ins Auge faßte und nach einer Erklärung, zumindest nach einem zutreffenden Ausdruck dafür suchte. Einen mächtigen Einfluß mußte auf den Fortschritt psychologischer Besinnung die starke Hinwendung auf das Innenleben des Menschen üben, welche, durch das ganze spätere Altertum vorbereitet, durch das Christentum besonders begünstigt wurde. In AUGUSTINUS, der ja fast so sehr neuplatonischer Philosoph wie paulinischer Christ war, vereinigen sich Anregungen von beiden Seiten. Bei ihm findet sich der nachmals von DESCARTES neu betonte Satz, daß wir unserer eigenen, seelischen Existenz im bloßen Bewußtsein unmittelbarer und näher gewiß sind als irgendeiner Existenz äußerer Gegenstände, da, auch wenn wir an allem Dasein von Dingen außerhalb von uns zweifeln würden, selbst dieser Zweifel, als eine Modifikation des Bewußtseins, uns des eigenen, psychischen Daseins gewiß machen würde; eine erkenntnistheoretische Wendung des Begriffs des Bewußtseins, welche an und für sich die Psychologie nichts angeht, aber allerdings beweist, bis zu welchem Grad der Bestimmtheit der Begriff des Selbstbewußtseins, als des Gemeinsamen, zugrunde Liegenden in allem, was wir subjektiv in uns erleben, bereits dem AUGUSTINUS lebendig war.

3. Für die neuere Philosophie seit DESCARTES ist dann eben dieser Begriff feststehend; er gilt nicht mit Unrecht als eine ihrer unbestreitbarsten Errungenschaften und aus dem Einfluß desselben auf die gesamte Spekulation erklärt sich zum Teil der charakteristische Unterschied der neueren Philosophie gegen die alte. Die Frage wegen des Verhältnisses des "Denkenden" und "Ausgedehnten", des Bewußtseins zur Natur oder Materie, steht seitdem für lange Zeit im Mittelpunkt der philosophischen Forschung. Erst durch KANTs kritische Fragestellung wird diese Lage geändert, ohne daß doch der Streit des "Monismus" und "Dualismus" seitdem aufgehört hätte, zu Zweifeln und Bedenken immer neuen Anlaß zu geben. In allem Streit aber ist zumindest dies fest geblieben: daß sich im Bewußtsein die Grenze des Psychischen und Physischen bestimmt markieren läßt, zumindest für die "Erscheinung" der Dinge, wie immer es sich mit deren letztem Wesen verhalten mag. Die Phänomene, denen das Merkmal der Bewußtheit gemeinsam und eigentümlich ist, sind dadurch spezifisch unterschieden von allen solchen, wobei entweder gar kein Bewußtsein stattfindend gedacht oder vom etwa stattfindenden zu einem wissenschaftlichen Zweck abstrahiert wird. Vielfach wird zwar ein Unbewußtes, dennoch Psychisches angenommen. Allein man meint damit ein nur nicht in einem gesonderten Bewußtsein zutage tretendes Element oder eine solche Grundlage des Bewußtseins, die darum doch nur aus dem wirklichen Bewußtsein erwiesen oder etwa nur zu dessen Erklärung hypothetisch aufgestellt wird. Die Lebensfunktionen des Organismus, soweit sie, als bloße Naturvorgänge, sich außerhalb einer Beziehung zum Bewußtsein betrachten und in einen kausalen Kontext stellen lassen, gehen die Psychologie als solche nichts an, möchten sie auch in Wahrheit nur die äußere "Erscheinung" dessen sein, was, innerlich und ansich betrachtet, Bewußtsein oder eine Grundlage desselben wäre. Jedenfalls nicht als Bewußtsein oder Bewußtseinsgrundlage erscheinen die leiblichen Funktionen, sondern als Tätigkeiten, die unmittelbar gar keine Beziehung auf ein Bewußtsein verraten, sich vielmehr mit allen Kraftleistungen der äußeren Natur in jeder Hinsicht als gleichartig erweisen. Diese wichtige Grenzscheide steht unverrückbar fest, gerade infolge der bestimmteren Ausprägung des Naturbegriffs, wie sie durch GALILEI im wesentlichen erreicht, in der Philosophie durch DESCARTES zum Sieg gebracht wurde. Seitdem also bezeichnet das Bewußtsein und was als konstituierendes Moment, aristotelisch gesprochen als dynamis, für das Bewußtsein vorausgesetzt werden muß, also das wirklich und mögliche Bewußtsein die Grenze des Psychischen, das Grundphänomen und folglich das Grundproblem der Psychologie.

Die Auffassung der Psychologie als Naturwissenschaft schien damit vollständig verlassen. Das Streben ging vielmehr dahin, Psychologie womöglich als selbständige Wissenschaft neben der Naturwissenschaft, wenn auch etwa nach analoger Methode, zu begründen. Ob dieses Streben auf Erfolg rechnen darf, kann sich erst herausstellen, nachdem wir zuvor die Eigentümlichkeit des psychischen Grundphänomens und das darin liegende Problem näher ins Auge gefaßt haben.

§ 4.In der Tatsache des Bewußtseins lassen sich mehrere Momente unterscheiden, die in derselben zwar wirklich untrennbar vereint, in der Betrachtung jedoch nowendig auseinanderzuhalten sind: erstens der Inhalt, dessen man sich bewußt ist (Bewußtseinsinhalt); zweitens das Bewußt-sein desselben, oder seine Beziehung auf das Ich; wobei man letzteres durch eine weitere Abstraktioin als drittes Moment der Bewußtseinstatsache von der Beziehung selbst unterscheiden mag.

Jene Beziehung ist für allen noch so mannigfach wechselnden Inhalt offenbar ein und dieselbe; sie ist es eigentlich, welche das Gemeinsame und Spezifische des Bewußtseins ausmacht. Wir markieren sie, um sie von der Gesamttatsache des Bewußtseins zu unterscheiden, durch den besonderen Ausdruck der Bewußtheit.

Näher läßt sich übrigens von derselben kaum angeben, worin sie besteht. Sie ist unvergleichbar mit jeder Beziehung, wie sie unter Bewußtseinsinhalten stattfinden mag. Das Ich, als gemeinsamer Beziehungspunkt zu allen bewußten Inhalten, kann selbst nicht Inhalt des Bewußtseins werden, da es vielmehr Allem, was Inhalt sein kann, schlechthin gegenübersteht. Jeder Ausdruck, der das Ich selbst wie einen Gegenstand vorstellt oder die Beziehung auf dasselbe durch eine Beziehung, wie sie unter Bewußtseinsinhalten stattfindet, zu verdeutlichen sucht, kann allenfalls nur den Wert einer bildlichen Bezeichnung haben. Das Ich läßt sich nicht zum Gegenstand machen, weil es vielmehr allem Gegenstand gegenüber dasjenige ist, dem etwas Gegenstand ist.

1. Wir haben das "Bewußtsein" hier nicht als ein Ding, eine Ursache oder Kraft, kurz ein erklärendes Prinzip, sondern schlechthin als Phänomen und zwar als Grundphänomen der Psychologie ins Aufge zu fassen und zu fragen: was enthält dieses Phänomen? Was finden wir bei jedem tatsächlichen Bewußtsein vor, wodurch ist es als solches, seiner unmittelbaren Erscheinung nach, gekennzeichnet?

Wir gebrauchten bereits die synonyme Bezeichnung des "subjektiven Erlebens". Dieselbe bringt nur in noch bestimmterer Weise etwas zum Ausdruck, was übrigens indirekt in "Bewußtsein" auch liegt. Dieser infinitivische Ausdruck besagt doch in concreto jedenfalls die Tatsache, daß ich oder ein Anderer sich irgendeines Inhalts, welcher es auch sein mag, bewußt ist. Die reflexivische Ausdrucksweise "ich bin mir bewußt" weist schon darauf hin, daß zum Bewußtsein unerläßlich das "Subjekt" gehört, dem Etwas bewußt ist. Ohne die reflexive Beziehung auf das, was wir "Ich" nennen, hat das Bewußtsein keine angebbare Bedeutung mehr. Bewußt-sein heißt Sich-bewußt-sein.

Und offenbar ist diese reflexive Beziehung das einzig Durchgängige und Unterscheidende der Bewußtseinserscheinungen. Denn was den Inhalt betrifft, dessen wir uns bewußt sind, so kann er ein sehr mannigfaltiger und wechselnder sein; allem Bewußtsein gemeinsam ist nur, daß überhaupt ein Inhalt gegeben ist. "Inhalt" nennen wir alles, was nur immer im Bewußtsein auf ein Ich bezogen ist, wie auch immer dieser beschaffen ist. Vielleicht scheint die Bezeichnung nicht ganz zutreffend für Einiges, was doch auf ein Ich bezogen ist, wie Gefühl und Strebung; vielleicht fehlt es eben an einer Bezeichnung, die für alle Besonderungen dessen, was Irgendwem bewußt sein mag, gleich gut paßt; das soll vorerst ununtersucht bleiben. Dem herrschenden Sprachgebrauch der Psychologen widerstreitet es zumindest nicht, auch ein Gefühl, ein Begehren einen Inhalt des Bewußtseins zu nennen; jedenfalls ist es etwas, das uns oder dessen wir uns bewußt sind, und nur das möge der Ausdruck "Inhalt" für jetzt bedeuten. Denn nur auf den Unterschied dessen, was uns bewußt ist, was auch immer das ist, und es Bewußt-seins selber, d. h. der für alles Bewußtsein wesentlichen Beziehung auf ein Ich, kommt es vorerst an. Diese Beziehung ist es, welche einen Inhalt zum Bewußtseinsinhalt macht; wir nennen sie auszeichnend "Bewußtheit", indem wir aus der Gesamttatsache: "Etwas (irgendein Inhalt) ist mir bewußt", das Bewußt-sein des Inhalts durch eine bloße Abstraktion herauslösen und für sich zu betrachten versuchen.

2. Da ergibt sich dann das Seltsame, daß an diesem grundwesentlichen, unleugbar in jedem wirklichen Bewußtsein eingeschlossenen Moment gar nichts weiter ist, worüber sich eine Untersuchung anstellen ließe. Es läßt sich eigentlich nur tautologisch umschreiben, aber mit nichts anderem vergleichen, noch weniger davon ableiten oder dadurch erklären. Wir mögen etwa sagen, es sei die in jedem Augenblick des tatsächlichen Bewußtseins stattfindende, und zwar immer die gleiche und selbige, eine einzigartige Beziehung des jedesmaligen Bewußtseinsinhalts wie auf ein Zentrum. Allein schon indem ich sage: "wie" auf ein Zentrum, deute ich an, daß diese (seit den Neuplatonikern beliebte) Bezeichnung nur gleichnisweise verstanden werden darf. Wirklich trifft die Vergleichung nicht in jeder Hinsicht zu. Der Mittelpunkt eines Kreises gehört mit den Punkten der Peripherie doch in eine Ordnung der Gegenstände, er hat zu ihnen ein Verhältnis gleicher Art, wie sie zu ihm. Nicht so in unserem Fall: das Ich, als das subjektive Beziehungszentrum zu allen mir bewußten Inhalten, steht diesen Inhalten unvergleichlich gegenüber, es hat zu ihnen keine Beziehung gleicher Art wie sie zu ihm, es ist nicht seinen Inhalten bewußt wie der Inhalt ihm; es zeigt sich ebendarin nur sich selber gleich, daß wohl etwas Anderes ihm, aber nie es selbst einem Anderen bewußt sein kann. Es kann selbst nicht Inhalt werden und ist in nichts dem gleichartig, was irgendein Inhalt des Bewußtseins sein mag. Es läßt sich ebendarum auch gar nicht näher beschreiben; denn alles, wodurch wir das Ich oder die Beziehung darauf zu beschreiben versuchen könnten, würde doch nur aus dem Inhalt des Bewußtseins genommen werden können, und also es selbst, das Ich, oder die Beziehung auf dasselbe, nicht treffen.

Anders ausgedrückt: jede Vorstellung, die wir uns vom Ich machen würden, würde dasselbe zum Gegenstand machen. Wir haben aber bereits aufgehört, es als Ich zu denken, indem wir es als Gegenstand denken. Ich-sein heißt, nicht Gegenstand, sondern allem Gegenstand gegenüber dasjenige sein, dem etwas Gegenstand ist. Dasselbe gilt von der Beziehung auf das Ich. Bewußt-sein heißt: Gegenstand für ein Ich sein; dieses Gegenstand-sein läßt sich nicht selbst wiederum zum Gegenstand machen.

Während also die Bewußtheit oder Beziehung auf ein Ich das Einzige ist, was einen Bewußtseinsinhalt von allem, was, ohne irgendjemandem bewußt zu sein, doch da wäre, unterscheidet, so scheint doch dieses einzig Unterscheidende aller näheren Erklärung zu spotten. Die Tatsache der Bewußtheit, obwohl die Grundtatsache der Psychologie, kann wohl als vorhanden konstatiert, durch Aussonderung bemerklich gemacht, aber sie kann nicht definiert noch von etwas anderem abgeleitet werden.

3. Ist dieses erste Ergebnis nun auch ein bloß negatives, so hat es doch zumindest den Nutzen, vor Abwegen zu bewahren, auf welche die Psychologie fast unvermeidlich gerät, sobald sie diesen Punkt außer Acht läßt. Wir müssen aufgrund unserer Festsetzung ein für allemal und grundsätzlich auf jede Erkenntnis Verzicht leisten, die aus den nackten Tatsache der Bewußtheit oder der Beziehung auf ein Ich (Ichheit) gezogen werden soll; und können voraussagen, daß jeder Versuch, eine solche zu erreichen, auf eben jener Verwechslung beruhen wird, die wir abwehrten; darauf nämlich, daß man das Ich, trotz seiner von Jedem eigentlich zugestandenen Unvergleichbarkeit mit allem, was für es Gegenstand ist, doch erkennen, folglich zum Gegenstand machen will.

Es genügt, an einem einzigen typischen Beispiel den Grundfehler aller auf den nackten Begriff des Ich sich aufbauenden Spekulation deutlich zu machen. Der Ich-Philosoph kat exochen [schlechthin - wp] ist bekanntlich FICHTE, der aus dem einfachen, unverfänglich lautenden Satz: das Ich ist dasjenige, welches sich selber vorstellt, oder die Identität von Subjekt und Objekt, so ziemlich alles Existierende hervorzuzaubern verstand. HERBART hat jenen Satz FICHTEs vom Ich nicht übel parodiert. Das Ich stellt sich selber vor. Was aber heißt: sich selber? Natürlich eben das Ich, oder das sich selber Vorstellende; denn es soll ja Subjekt und Objekt dieses Vorstellens ein und dasselbe sein. Also: das Ich stellt sich das sich selber Vorstellende vor. Natürlich erneuert sich die Frage: was heißt sich selber? Offenbar wieder das Ich oder das sich selber Vorstellende. Also: das Ich stellt dasjenige vor, welches sich vorstellt das sich selber Vorstellende und so in infinitum. Das Ich löst sich also auf in die unendliche Reihe: das Vorstellen des Vorstellens des Vorstellens etc. Es will mir nicht gelingen, in dieser Auflösung des Ich in eine unendliche Reihe tiefe Aufschlüsse über unser letztes Ich-Wesen zu finden, ja auch nur ein ernstes Problem darin zu erkennen. Für uns fällt vielmehr dieses ganze Ich-Problem dahin, weil wir die ursprüngliche Definition - aus der, wie es in den feineren metaphysischen Erdichtungen allemal ist, das Weitere unwidersprechlich folgt - nicht zugeben können: Daß das Ich dasjenige ist, welches sich selber "vorstellt", d. h. zum Objekt hat. Das Ich ist niemals Objekt, weder für ein Anderes, noch, was mir der Gipfel des Unmöglichen scheint, für es selbst.


§ 5.

Es ist ebenfalls eine Täuschung, wenn man glaubt, daß wir beim Wahrnehmen, Vorstellen, Denken usw. außer dem Bewußtsein des wahrgenommenen, vorgestellten, gedachten Inhalts noch ein Bewußtsein unseres Wahrnehmens, Vorstellens oder Denkens haben; z. B. beim Hören eines Tons
    1) ein Bewußtsein des Tons,
    2) ein Bewußtsein des Hörens
"Der Ton ertönt mir" und "ich höre den Ton", dies sind nicht zwei Tatsachen, sondern eine, nur auf zweierlei Art ausgedrückt nach den beiden darin unterscheidbaren Momenten, dem Dasein eines Inhaltes und dessen Verhältnis zu mir. Der Inhalt ist, als Bewußtseinsinhalt, gar nicht da ohne sein Verhältnis zum Ich, für welches er da ist; noch weniger ist dieses Verhältnis da ohne den Inhalt, der in diesem Verhältnis steht. Die von Psychologen nicht selten behauptete Unterscheidung zwischen der Vorstellung eines Inhaltes und der Vorstellung dieser Vorstellung beruth auf dem (§ 4 gerügten) Fehler, daß man die Bewußtheit oder Beziehung zum Ich vom Dasein des Inhalts zu isolieren und für sich gegenständlich zu machen sucht.

Demnach ist durch die Bewußtheit die spezifische Eigentümlichkeit der psychischen Phänomene zwar bezeichnet, aber eine positive Aufgabe für die Psychologie noch nicht bestimmt, sondern nur erst das Gebiet abgesteckt, innerhalb dessen sie zu suchen ist.

1. Die Täuschungen, welche aus der Vergegenständlichung des Ich entspringen, sind mit dem in § 4 Gesagten nicht erschöpft. Nicht bloß Metaphysiker, sondern auch solche Psychologen, welche sich eines rein empirischen Verfahrens rühmen, sind nicht selten in Fehler, die aus derselben Wurzel stammen, verfallen.

In der Tat wird nicht gleich jeder sogleich einräumen, daß wir uns selber in keiner Weise Objekt sein können. Jeder meint doch auch von sich selber ein Bewußtsein zu haben, nicht bloß von allerlei Inhalten. Sogar scheint ein jedes Bewußtsein, wovon es auch handelt, das Bewußtsein unser selbst einzuschließen; wie wäre es sonst unser Bewußtsein? Bewußt-sein heißt Sich-bewußt-sein, so sagten wir selbst. Und wenn allerdings auf die Frage: was denn diese reflexive Beziehung, und was der Beziehungspunkt selbst, das Ich, bedeutet, sich so in abstracto schwer antworten läßt; in concreto meint doch Jeder sehr wohl zu wissen und auch einigermaßen sagen zu können, was er damit meint. In jedem Wahrnehmen, Vorstellen, Denken oder welche andere Modifikation des Bewußtseins man auch immer nennen mag, haben wir, so glaubt man, außer dem Bewußtsein des Wahrgenommenen, Vorgestellten, Gedachten noch ein Bewußtsein des Wahrnehmens, Vorstellens, Denkes und dadurch erhielten das Ich und die Bewußtheit ihre nähere Bestimmung. Das Ich in abstracto soll freilich nichts, aber das Ich in concreto, d. h. als Subjekt oder Beziehungspunkt unseres jeweiligen tatsächlichen Bewußtseins, alles sein: wahrnehmend, vorstellend, denkend usw., oder, wenn denn ein zusammenfassender Ausdruck nötig ist: tätig. Durch das allgemeine Prädikat der Tätigkeit soll das Ich hinreichend bestimmt sein. Was aber eine "Tätigkeit" des Bewußtseins bedeutet, dies kann man wiederum nicht in abstracto zu erklären unternehmen, denn da gelangt man zu nichts, aber an solchen Beispielen von Tätigkeiten oder Bewußtseinsakten wie die vorgenannten soll es genugsam klar werden. Und so ist die Unterscheidung von Inhalt und Akt des Bewußtseins in der Psychologie althergebracht; sie wird gemeinhin ohne weitere Vorbereitung als von selbst verständlich eingeführt. Und umso weniger meint man auf dieselbe verzichten zu können, da sich durch sie allein eine sichere Abgrenzung der psychologischen Aufgabe gewinnen läßt. Was auch immer Gegenstand oder Inhalt des Bewußtseins ist, z. B. der Ton, mag zugleich Objekt irgendeiner anderen, etwa der Naturwissenschaft sein; Gegenstand für Bewußtsein ist ja schließlich Alles - die ganze äußere Natur. Aber das Bewußt-sein, die Tätigkeit (z. B. das Hören), soll ein ganz eigentümliches Objekt der Psychologie sein, die mit dem Inhalt nur soweit zu tun hat, als seine Gestaltung eben durch die besondere Art der Bewußtseinstätigkeit bedingt ist und also auf diese zurückschließen läßt.

2. Nun haben wir zwar auch nicht geleugnet, daß sich wirklich in jedem Bewußtsein diese zwei Momente unterscheiden lassen: das Dasein eines Inhalts und sein Verhältnis zum Ich. Aber wir leugneten, daß dieses Verhältnis sich irgendwie auch für sich gegenständlich machen und in eine gesonderte Betrachtung stellen läßt. Im Bewußtsein eines Inhalts liegt immer schon jenes unbeschreibliche Gegenüber zum Ich, sonst wäre es kein Bewußtsein; wer aber glaubt, sich dieses Gegenüber auch noch für sich vor- oder gegenüberstellen zu können, der täuscht sich offenbar.

Wenn mir aufgegeben wird, darauf zu achten, ob ich eine bestimmte Tonempfindung habe, so werde ich auf nichts Anderes achten als eben auf den Ton, den ich hören soll, und werde ihn dann vielleicht wirklich hören. Wer außerdem noch sein Hören hört oder auf eine andere, mir nicht gegebene Art wahrnimmt, den könnte ich um diese Art des Wahrnehmens vielleicht beneiden, aber ich wüßte es ihm nicht nachzutun. Der Ton ertönt mir, und, ich höre den Ton, dies sind für mich nicht zwei Tatsachen; weder zwei nacheinanderfolgende noch zwei gleichzeitig erlebte; sondern es ist eine einzige Tatsache, in der ich allenfalls durch Abstraktion die uns bekannten beiden Momente unterscheiden kann, das Dasein des Inhalts und seine Zugehörigkeit zum Gesamtinhalt meines Bewußtseins. Keines dieser Momente aber läßt sich vom andern wirklich ablösen, sie sind im wirklichen Bewußtsein schlechterdings nur miteinander gegeben. Ich kann zwar das Verhältnis Beider zueinander, wie überhaupt jedes Verhältnis zweier Dinge, in doppelter Weise zum Ausdruck bringen, einmal, indem ich z. B. vom Ton sage, er habe dieses Verhältnis zu mir, daß er mir ertönt, ein andermal, indem ich von mir sage, ich habe zu ihm dieses Verhältnis, daß ich ihn höre; aber dies sind so wenig zwei verschiedene Tatsachen, wie es zwei verschiedene Tatsachen sind, daß A B und daß B A gegenüberliegt. Immerhin kann ich beim räumlichen Gegenüber Jedes, A wie B, auch für sich und in mannigfachen anderen räumlichen Relationen betrachten; in unserem Fall hingegen kann ich zwar wohl den Ton für sich oder im Verhältnis zu anderen Bewußtseinsinhalten betrachten, ohne sein Dasein für ein Ich weiter zu berücksichtigen, aber ich kann nicht mich und mein Hören für sich betrachten, ohne an den Ton zu denken, sondern, wenn ich diesen Versuch mache, so finde ich, daß mir gar nichts übrig bleibt, was sich betrachten oder in eine Untersuchung ziehen oder worüber sich nur irgendeine Aussage tun ließe. Entschwindet mir der Ton, so entschwindet auch mein Hören des Tons, und es tritt entweder ein anderer Inhalt in mein Bewußtsein, für welchen dasselbe gelten wird, oder, wenn mir gar aller Inhalt entschwindet, so entschwindet auch die Bewußtheit und das Ich und es bleibt gar nichts übrig.

Hieraus schließe ich: mein Bewußtsein (z. B. Hören) ist nur da oder findet statt, sofern der Inhalt (z. B. Ton) für mich da ist; sein Dasein für mich, dies ist mein Bewußtsein von ihm. Wer sein Bewußtsein noch sonst irgendwie zu ertappen vermag als im Dasein eines Inhaltes für ihn, dem kann ich es nicht nur nicht nachtun, sondern mir auch gar nicht denken, was er bei sich erleben mag. Ich muß daher in meiner Psychologie von der Unterscheidung zwischen dem Bewußtsein eines Inhalts und dem Bewußtsein dieses Bewußtseins wohl absehen; ja ich kann nach meiner Psychologie nicht umhin zu vermuten, daß, wer so unterscheidet, sich selber täuscht und eigentlich nichts weiter im Sinn hat als die mit jedem Inhalt notwendig gegebene Beziehung auf ein Ich; nur daß er den vorher von uns gerügten Fehler macht, diese Beziehung auch für sich gegenständlich machen zu wollen.

Nur einer kurzen Andeutung wird es bedürfen, daß, wer ein Bewußtsein des Bewußtseins annimmt, nur folgerecht auch ein Bewußtsein des Bewußtseins des Bewußtseins usw. annehmen muß, wie es konsequentere Psychologen dann auch nicht gescheut haben. Daß man damit freilich in eine bodenlose Metaphysik gerät, wird der psychologische Empiriker, mit dem wir es hier zu tun haben, uns wohl ohne weiteres zugestehen.

3. Aber gerade er wird uns entgegenhalten, daß doch die Unterscheidung der Bewußtseinstätigkeiten, Empfinden, Vorstellen, Denken etc. in der Psychologie unentbehrlich ist. Möge auch das Verhältnis zwischen Akt und Inhalt dermaßen eng gedacht werden, daß sich der Akt ohne den Inhalt überhaupt nicht mehr klar fassen, daher auch nicht selbständig beobachten läßt; doch sei eben das Verhalten zum Inhalt ein anderes im Empfinden, ein anderes im Vorstellen, im Denken usw., und um dieses verschiedene Verhalten des Ich zu seinem Inhalt, um also das Bewußtsein nach seinen verschiedenen Arten zu bezeichnen, sei der Ausdruck der Tätigkeiten (des Empfindens, Vorstellens etc.) nicht zu umgehen, wie eng und unlöslich man auch den Inhalt mit der Tätigkeit verknüpft denken mag.

Jedoch leugnen wir nichts anderes als eben dies: daß das Verhalten zum Inhalt im Empfinden oder Vorstellen etc. ein anderes ist; daß es überhaupt verschiedene Arten der Bewußtheit gibt, welche sich mit diesen und den übrigen Ausdrücken bestimmter "Bewußtseinstätigkeiten" bezeichnen lassen. Im Grundphänomen der Bewußtheit liegt ganz und gar keine Mannigfaltigkeit und Besonderung, sie ist schlechterdings einfach und an Belehrung arm. Aller Reichtum, alle Mannigfaltigkeit des Bewußtseins liegt vielmehr ausschließlich am Inhalt. Das Bewußtsein einer einfachen Empfindung unterscheidet sich der Art nach, als Bewußtsein, in nichts vom Bewußtsein einer Welt; das Moment der Bewußtheit ist in beiden durchaus dasselbe, der Unterschied liegt ausschließlich am Inhalt.

Eine kurze Induktion soll dies klar machen: Das Bewußtsein von Rot und Gelb, das Bewußtsein zweier verschiedener Töne der Art nach, als Bewußtsein, und nicht bloß durch den Inhalt zu unterscheiden, wird niemandem einfallen. Selbst daß die verschiedenen Klassen der Wahrnehmung, z. B. Sehen und Hören, allein durch den Inhalt zu unterscheiden sind, wird man bei einigem Besinnen wohl zugeben. Daß also das Bewußtsein qualitativ verschiedener Inhalte nicht darum auch ein qualitativ verschiedenes Bewußtsein ist, diese Behauptung wird kaum auf Widerstand stoßen.

Wohl aber meint man Grade oder Stufen der Bewußtheit unterscheiden zu müssen. Allein es sollte doch klar sein, daß der Unterschied sich hier ebenso, wie im vorigen Fall, am Inhalt aufzeigen läßt, und nirgends anders. Das Hören eines stärkeren Tones ist nicht außerdem noch ein stärkeres Hören. Wenn ich "denselben" Ton einmal leise, ein andermal laut vernehme, so ist es eben für micht nicht mehr derselbe Inhalt, schwach oder stark gehört, sondern verschiedene Inhalte. Freilich, wer überhaupt beim Hören eines Tons zweierlei bei sich zu erfahren glaubt,
    1) den Ton und
    2) sein Hören,
wird mit der Steigerung des Tons auch eine Steigerung des Hörens wahrzunehmen vermeinen. Allein ich frage, weshalb er nicht ebenso bei einer qualitativen Veränderung des Tons auch eine qualitative Änderung des Wahrnehmungsaktes, und so überhaupt ebensoviel verschiedene, stetig abgestufte und ineinander übergehende Weisen der Bewußtheit bei sich wahrnimmt, als am Inhalt sich Unterschiede und Abstufungen bemerken lassen? Ich will gar nicht fragen, ob eine solche Verdoppelung des gesamten psychischen Tatbestandes das Verständnis irgendwie fördern würde; es genügt, daß eben der unmittelbare Tatbestand kein doppelter ist; denn nach diesem ist jetzt allein die Frage.

Es wird viel von einem hellen oder dunklen Bewußtsein gesprochen; ich kann aber nicht erkennen, daß es sich mit dem Klarheitsunterschied irgendwie anders als mit dem Gradunterschied verhalten würde. Im einen Fall ist mir etwas Deutliches, im andern etwas nicht Deutliches bewußt, z. B. im wachen Bewußtsein viel und deutlicher Verbundenes wie Unterschiedenes, im träumenden wenig und in loserer, schwankenderer Verbindung wie Unterscheidung. Das alles sind Unterschiede des Inhalts (das Bewußthaben des Inhalts) ist in vielen Fällen der Art nach, als Bewußtsein, dasselbe.

Ich kann zu verschiedenen Malen dieselben Einzelinhalte im Bewußtsein haben, aber das eine Mal so, das andere Mal anders verbunden, oder etwa auch vollständig isoliert; dann ist die Verbindung oder Verbindungslosigkeit eben am Inhalt aufzuzeigen, und nirgendwo sonst.

Zur Verbindung rechne ich ganz besonders die zeitliche Verknüpfung. Es ist ganz gewiß ein Unterschied, ob ich eines Nacheinander in der Auffassung zweier Inhalte mir bewußt bin oder nicht; es ist ein Unterschied, ob ich ein und denselben Inhalt als jetzt gegenwärtigen oder früher gegenwärtig gewesenen vorstelle; man mag auch sagen, es sei ein Unterschied in der Art, wie ich den Inhalt im Bewußtsein habe. Allein so wahr die Zeitfolge überhaupt zum Inhalt gehört und eine Ordnung oder Verknüpfung unter den Inhalten selbst ist, so gewiß ist auch hier der Unterschied in der Weise des Bewußtseins und der Unterschied in der Art, wie sich der Inhalt dem Bewußtsein darstellt, ein Unterschied und nicht deren zwei.

Mit weit mehr Schein könnte man behaupten, daß Gefühl und Streben Weisen der Bewußtheit sind, die, im Unterschied von allen andern, nicht durch die Besonderheit des Inhalts, sondern ausschließlich durch die eigentümliche "Beteiligung" des Subjekts, also durch ein gewisses eigentümliches Verhalten desselben zu seinem Inhalt ausgezeichnet sind. Die Frage könnte ohne eine tiefere Analyse dieser Bewußtseinserscheinungen nicht entschieden werden; doch genügt hier vielleicht die Erinnerung: daß das Ich, welches das Subjekt des Fühlens und Strebens ist, mit dem Ich, welches den allgemeinen Beziehungspunkt zu allem Bewußtseinsinhalt bildet, sich schwerlich deckt. Das letztere ist ein derart Abstraktes, daß es sich, abgesehen von jener allgemeinen Beziehung des Bewußtseinsinhaltes auf dasselbe, überhaupt nicht fassen lassen will; das erstere ist vielmehr das Konkreteste, was wir nur in uns finden. Es ist vielleicht auch etwas Unsagbares, oder was sich zumindest nur analogisch bezeichnen läßt; es ist auch sui generis [aus sich selbst heraus - wp]; aber was es ist, ist uns, im Fühlen und Streben selber, so bewußt wie nichts anderes. Und schon, indem ich sage: es ist uns bewußt, habe ich ausgesprochen, daß es, jenem allgemeinen Beziehungszentrum des Bewußtseins gegenüber, nur "Inhalt" ist. Im Fühlen und Streben erleben wir das, was wir, in dieser weit bestimmteren Bedeutung, uns selbst oder unser Ich nennen, ganz wie ein anderes Erlebnis. Auch, daß wir es Ich nennen, beruth schwerlich auf einem etwa engeren Verhältnis zum letzten Beziehungszentrum allen Bewußtseins. Eher möchte die Bezeichnung des Letzteren als "Ich" auf einer schlechten Analogie mit demjenigen Ich, welches im Fühlen und Streben sein Sein hat, beruhen. Die ganze Mythologie der "Tätigkeiten" ist augenscheinlich aus dem Gebiet des Fühlens und Strebens hergeleitet; nur weil Bewußtsein oft oder immer von Streben begleitet ist, erscheint es als ein Tun, und sein Subjekt als Täter.

4. Noch erwarten wir einen Einwurf, der von allen wohl schwersten wiegt. Nämlich alles bis dahin Gesagte betreffe nur die sinnliche Seite des Bewußtseins, die bloße "Perzeption". Da möge es richtig sein, daß sich das Ich zu allen perzipierten Inhalten wesentlich in gleicher Weise, nämlich wie unbeteiligt verhält; daß es sie bloß "erlebt", gleichsam vor sich vorüberziehen oder sich geschehen läßt. Aber in der bloßen Perzeption sei auch die Eigentümlichkeit des Ich gar nicht mehr zu suchen; das wahre, eigentlich aktive Ich sei vielmehr das Ich der Apperzeption; dasjenige, welches sich als ein und dasselbe weiß gegenüber all den wechselnden Perzeptionen; welches nicht, wie diese, an das jedesmalige Jetzt gebunden, vor dem auch Vergangenes, ja Künftiges gegenwärtig, räumlich Fernes zugegen ist; auf welchem das "Verstehen", auf welchem die "Synthesis" beruth, die das sinnlich Mannigfaltige zur gedanklichen Einheit bringt. Dieser wurzelhafte Unterschied der Perzeption und der Apperzeption, der sinnlichen und der intellektuellen Funktion sei aber doch ein Unterschied im Verhalten des Ich zu seinen Inhalten und nicht ein Unterschied der Inhalte. Zwar wird man vielleicht einräumen, daß beide in ihrer psychischen Existenz nicht getrennt sind, sich nicht im Bewußtseinsleben gleichsam abwechseln; daß vielmehr beide in ein und demselben tatsächlichen Bewußtsein verknüpft sein können, oder vielmehr notwendig verknüpft sind; denn wo nichts perzipiert wird, da ist auch nichts zu apperzipieren; und umgekehrt würde keine Perzeption uns zu Bewußtsein kommen, wo sie nicht auch apperzipiert wird; kommt sie aber nicht zu Bewußtsein, so ist sie für uns auch gar nicht da; sie ist, in dieser Isolierung, gar kein psychisches Datum, sondern allenfalls nur erschlossen; nach dem, was gegeben ist am Bewußtsein, ist aber hier allein die Frage. Man wird jedoch behaupten, daß bei all dem die beiden Funktionen doch grundverschieden bleiben, wie eng auch ihre Vereinigung im wirklichen Bewßtsein gedacht werden mag.

Hierauf ist zu entgegnen: "Perzeption" bezeichnet eigentlich gar kein Bewußtsein, kein bestimmtes Verhalten des Ich zu seinem Inhalt, sondern nur das Gegebensein, das Bereitliegen eines mannigfachen Inhalts für das apperzipierende Bewußtsein; "Apperzeption" dagegen bezeichnet nichts anderes als das Bewußtsein des Inhalts nach den bestimmten Seite, daß es eine "Einheit" jenes "Mannigfaltigen" darstellt. Von dieser "Einheit des Bewußtseins" selbst kann eigentlich nicht gesagt werden, daß sie erscheint. Sie erscheint, mag man sagen, an der Verbindung der Inhalte, die sie begründet; allein damit wäre ja schon zugestanden, was behauptet wird: daß nämlich auch diese Eigentümlichkeit des Bewußtseins, die wir mit Apperzeption bezeichnen, nur am Inhalt aufzeigbar und psychologisch zu charakterisieren ist; anders ist sie gar kein Objekt der Psychologie, sondern bezeichnet nur etwa die äußerste Grenze.

Von Verbindung war nun schon oben die Rede. Und vielleicht haben wir damit eben dasjenige Moment am Bewußtsein schon erreicht, durch welches die Aufgabe der Psychologie allgemein und zugleich positiv zu bezeichnen ist. Denn, wenn doch kein Inhalt zu Bewußtsein kommen kann, ohne apperzipiert zu werden, die Apperzeption aber in der Verbindung der Inhalte allein psychologisch faßbar ist, so muß wohl eben sie es sein, welche die Eigentümlichkeit des Bewußtseins, so wie es gefordert war, am Inhalt selbst zum Ausdruck bringt. Doch scheint dies noch einer genaueren Ergründung bedürftig zu sein.
LITERATUR - Paul Natorp, Einleitung in die Psychologie nach kritischer Methode, Freiburg i. Br. 1888
    Anmerkungen
    1) SIEBECK, Geschichte der Psychologie, Bd. I b, Seite 337f, 381 und Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 80, Seite 213f (dazu einige Bemerkungen, Philosphische Monatshefte, Bd. 21, Seite 389f).